Jul_Aug_23
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Editorial
Julia Kaldori
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Coverfoto: xxxxxxx
wına-magazin.at
1
Jul_Aug_23.indb 1 25.07.23 14:12
INHALT
MENSCHEN & MEINUNGEN
04 Donau, Berge, Kinderhotel Israelis
entdecken Österreich für sich, und die
Tourismusbranche reagiert.
08 Wiener Oasen Wiener Mütter und ihre
Lieblingsplätze in der hochsommerlichen
Stadt – eine Fotoreportage.
14 „Autos kaufen nichts“ Architekt
Viktor Gruen flüchtete 1938 aus Wien.
In den USA erfand er den Shopping Mall
und kam als Stadtvisionär zurück.
16 „Bäume sind Klimaanlagen“ Grüner,
kühler, freundlicher: Stadtplanerin
Eva Kail setzt sich für Straßen als Aufenthaltsorte
für Menschen ein.
19 Leben im Einklang mit der Natur
Steigende Wohnkosten und Klimakrise:
Israelische Pioniere suchten bereits
vor Jahrzehnten nach Lösungen.
22 Vom Müllberg zum Vorbild Israels
Ideen gegen die Abfallkrise sind kreativ,
innovativ, effizient und nachhaltig.
24 Weniger ist mehr Khakihemden und
„Kova Tembel“: Der typische Israeli wurde
über Jahrzehnte von Erich und Hans Moller
eingekleidet.
KULTUR
30 Die Ehre des Vaters Wie Ilse Nusbaum
(90) einen (Ge-)Denkprozess an
der WU Wien in Gang setzte.
40 Amen und Masel Tov Impressionen
von einer israelischen Hochzeit, die
kaum noch an eine „Chassene“ erinnert.
43 Das vergessene Wien Klänge und
Texte von Elisabeth Eschwé und Orfeo
Mandozzi über Wien vom Fin de Siècle
bis zur Shoah, die unter die Haut gehen.
44 Nachhaltige Präsenz Mit dem jüdischen
Neujahrskonzert und anderen
Projekten will Claudia Prutscher in der
IKG Kultur neue Traditionen etablieren.
47 Fotopionierinnen in Israel Die Kunsthistorikerin
Anna Sophia Messner stellt in
Palästina/Israel im Blick deutsch-jüdische
Avantgarde-Fotografinnen vor.
50 Jüdische Bürger auf den Schlachtfeldern
des blutigen Sezessionskrieges
1861 bis 1865.
52 Kajzer Menachem Kaisers vielbeachtetes
Romandebüt über den Großvater
und dessen Erbe im geheimnisvollen
Schlesien.
WINASTANDARDS
01 Editorial
33 LebensArt
Der ewige Sommer und worauf Sie
dabei nicht verzichten sollten.
38 Matok & Maror
Die „Feinkosterei“ Nr. 2 – Exquisites
auf dem Neuen Markt.
39 WINA_kocht
Wie man ungerade Eierzahlen wieder
geraderückt und kalte Rote-
Bete-Suppe kocht.
47 Urban Legends
Von der Gewalt und der Unzulänglichkeit
ihrer Versprachlichung.
53 KulturTipps
Kulturelle Ein- und Ausblicke für
den Spätsommer.
56 Das letzte Mal
Was Spitzengastronomin Haya
Molcho kocht, wenn der Kühlschrank
leer ist.
S. 04 S. 08 S. 44 S. 48
26 Ben-Gurions Erbe Seine Bedeutung
für Israel ist unumstritten. Doch wie
relevant sind seine Visionen für heutige
Generationen?
28 Israelische Panzer für die globale
Aufrüstung Bis zu 200
„Merkava“-Panzer wird Israel nach
Zypern und Marokko liefern.
34 Rot-weiße Liebe Fußball ist auch
in Israel weit mehr als nur ein Spiel:
Hapoel Tel Aviv feiert 100 Jahre Sportgeschichte.
36 Superjoden und andere Fans
Eine Ausstellung im JMW macht Fußball
auch für Fußballbanaus:innen
greifbar.
2 wına | Juli/August 2023
„Das Dunkel
bietet auch
Geborgenheit und Schutz.“
Der isralische Grafiker und Maler
Ofer Lellouche in der Albertina
S. 48
WINA ONLINE:
wina-magazin.at facebook.com/winamagazin
IMPRESSUM:
Medieninhaber (Verlag):
JMV – Jüdische Medien- und Verlags-
GmbH, Seitenstettengasse 4, 1010 Wien
Chefredaktion: Julia Kaldori
Redaktion: Inge Heitzinger
(T. 01/53104–271), office@jmv-wien.at
Anzeigenannahme: Manuela Glamm
(T. 01/53104–272), m.glamm@jmv-wien.at
Artdirektion: Noa Croitoru-Weissmann
Lektorat: Angela Heide
Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH.
Herstellungsort: Bad Vöslau
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HIGHLIGHTS | 01
Importe gegen
Monopolgewinne
Die israelische Regierung plant
mehrere Gesetze, die die Macht
der großen Handelsketten im Land
beschränken sollen.
Während die Demonstrationen gegen
die geplante Justizreform die
Öffentlichkeit beherrschen, plant die israelische
Regierung eine Reihe von Gesetzen,
die das Alltagsleben – und dessen
Kosten – entscheidend verändern könnten.
Wirtschaftsminister Nir Barkat hat
dazu zwei Stoßrichtungen angekündigt:
Erstens sollen Importe von Lebensmitteln
und Drogeriewaren erleichtert
werden. In diesen Bereichen liegen die
Preise in Israel deutlich über jenen in anderen
Ländern. Das hat in der Vergangenheit
etwa zu heftigen Protesten gegen
zu teure Milchprodukte geführt. Barkat,
ehemaliger Major der Fallschirmjäger
und erfolgreicher Hightech-Unternehmer,
schlägt dazu vor, alle jene Produkte
zum Import freizugeben, die EU-Regulierungen
entsprechen. Sein Argument:
Was für einen Markt mit mehreren hundert
Millionen Konsumenten geeignet
ist, kann auch für Israelis nicht schädlich
sein. Barkat: „Das öffnet die Tore für
Zehntausende von Produkten, die in Europa
verkauft werden, und umgeht dadurch
unnötiges Testen sowie unnötige
Regulierung in Israel.“ Damit entstünde
mit einem Schlag erheblich mehr Wettbewerb
im lokalen Markt, die Preise
müssten fallen.
Zweitens sind mehrere Gesetze geplant,
die den Einfluss der lokalen Monopole
direkt einhegen sollen: etwa durch
die schärfere Kontrolle von Firmenzusammenschlüssen,
durch die Beschränkung
der Einkaufsmacht der großen Handelsunternehmen
gegenüber kleinen
Produzenten sowie durch ein Ende der
Behinderungen von Direktimporten, so
genannten grauen Importen. Auch deren
Legalisierung könnte Druck auf die
Preise nach unten auslösen. RE
© BKA / Andy Wenzel; Ariel Schalit / AP / picturedesk.com
10.000
Reservisten
der israelischen Streitkräfte
werden ihren freiwilligen Reservedienst
aus Protest gegen die
geplante Justizreform aussetzen.
„Wir haben alles versucht,
hier ziehen wir die Grenze“,
kündigten die „Brothers in
Arms“ bei einer Pressekonferenz
an. Einer der großen Kritikpunkte
der Reservisten richtet
sich gegen den rechtsnationalen
Minister für nationale Sicherheit,
Itamar Ben-Gvir, der
selbst wegen seiner Gesinnung
nicht in der Armee ist.
„Wenn eine
Seite gewinnt,
wird
Israel verlieren“,
sagte der israelische
Staatspräsident Jitzchak
Herzog zum Brennpunktthema
Justizreform in Israel bei
einem Besuch in New York .
Ehrenzeichen
Herausgeberin Joanna Nittenberg
wurde mit dem Goldenen Ehrenzeichen
für die Verdienste um die Republik
Österreich ausgezeichnet.
Joanna Nittenberg ist seit 1974 Herausgeberin
der Illustrierten Neuen Welt. Diese geht
auf Theodor Herzls 1897 gegründete Die
Welt zurück, in der Herzl erstmals auch vor
einer breiteren Öffentlichkeit seine Idee des
Zionismus vertrat. Eng mit Israel verbunden
ist auch das seit knapp fünf Jahrzehnten
von Nittenberg geführte Blatt, das aus der
jüdischen Welt hierzulande wie auch aus
Eretz Israel berichtet.
Joanna Nittenberg wurde 1942 in Lemberg
geboren. Im Alter von sechs Jahren
wurde sie aus dem dortigen Ghetto geschmuggelt
und Ukrainern, die mit den
Deutschen zusammenarbeiteten, zur Obhut
übergeben. Nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs weigerte sich die Pflegefamilie,
das Kind seinen Eltern zurückzugeben.
So wurde die kleine Joanna schließlich entführt
und wieder mit ihrer Mutter und ihrem
Vater vereint.
Die spätere Journalistin studierte Publizistik
und Germanistik an der Universität Wien.
1974 übernahm sie gemeinsam mit WINA-
Autorin Marta S. Halpert die Illustrierte Neue
Welt. Die beiden Frauen waren damals die
ersten weiblichen Herausgeberinnen in Österreich.
Nachdem sich ihre beruflichen
Wege wieder getrennt hatten, wurde Franz
C. Bauer Mitherausgebers. Die Illustrierte
Neue Welt ist bis heute bemüht, Toleranz
und Aufklärung durch Information
zu erreichen und so
ein Stück weit Antisemitismus
entgegenzuwirken.
AW
Joanna
Nittenberg
ist seit kanpp
fünf Jahrzehnten
Herausgeberin der
Illutstrierten Neuen
Welt.
3 wına | Juli/August 2023
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Boomender Tourismus
Donau, Berge, Kinderhotels
Der Gästestrom aus Israel nach Österreich wird immer
breiter. Im Vorjahr erreichten die Nächtigungszahlen
beinahe eine Million.
Von Reinhard Engel
Ein kühler Sommertag in
den Tiroler Bergen kann
die Urlaubsfreude nicht
bremsen. Die Kids toben
in der Indoor-Wasserwelt
herum, später geht es zum
Basteln und Malen in ihren Club. Inzwischen
entspannen die Eltern im Adult only
Spa mit Sauna und Pool, wo der Türöffner
so hoch angebracht ist, dass ihn die Kleinen
nicht erreichen können.
Am Abend umkreist dann jede Altersgruppe
ihr jeweils eigenes Buffet: Die Erwachsenen
holen sich am Anfang des
Mehrgang-Menüs Salate und Vorspeisen.
Die Kids arbeiten eine Etage tiefer am Kinderbuffet.
Zuerst gibt es Spaghetti, Pommes
frites und Mini-Schnitzerl, in einem
zweiten Durchgang drängen sie sich zappelig
um die Eisbox. Die einen genießen
ihren Grünen Veltliner oder Zweigelt aus
eleganten Stielgläsern, die anderen umklammern
bruchsichere, mit Säften gefüllte
Kunststoffbecher.
Zwei Familien aus Tel Aviv verbringen
im Alpenpark Resort Seefeld der Kalchschmied-Gruppe
ihren Österreich-Urlaub.
Es sind drei Anwälte und eine
Journalistin, dazu noch pro Paar zwei Vorschulkinder.
Gefunden haben sie das Kinderhotel
durch Zufall bei einem früheren
Tirol-Besuch. Weitere Urlaube in Häusern
der Angebotsgemeinschaft sollen folgen,
im Sommer wie im Winter.
„Ja, israelische Touristen, besonders
solche mit Kindern, lieben Österreich“,
so eine der beiden jungen Mütter. „Es gibt
hier so vieles, was uns zu Hause fehlt: genügend
Platz und die wunderschöne
grüne Natur.“
Diese Aussage steht nicht allein, sie
wird mit aktuellen Zahlen massiv untermauert.
„Wir haben im Jahr 2022 mit
950.000 Nächtigungen von israelischen
Gästen in Österreich ein Rekordjahr gehabt“,
erzählt Michael Tauschmann, bei
der Österreich Werbung zuständig für die
Märkte Naher Osten und Indien. Damit
ist Israel ein wichtiger Markt geworden,
rangiert in Übersee bereits als Nummer
zwei nach den USA. Und den Erwartungen
der Touristen stehen ebensolche
der Hoteliers und Fremdenverkehrsverbände
gegenüber. Sie fassen die Vorteile
der Gäste aus Israel so zusammen:
Israelische Urlauber sind eine ausgesprochen
kaufkräftige Zielgruppe. 35 Prozent
der Gäste haben ein Haushaltsnettoeinkommen
von über 6.000 Euro;
die wichtigste Urlaubsart und Urlaubsaktivität
ist Sightseeing;
36 Prozent der Gäste aus Israel kommen
als Familie;
die Tagesausgaben sind mit 249 Euro
pro Person und Tag überproportional
hoch. Besonders viel wird für Shopping,
Kulinarik und Freizeit bzw. Kultur ausgegeben.
Der aktuelle Boom findet gleichzeitig
in verschiedenen Regionen statt. So lagen
etwa die Nächtigungszahlen der Israelis
in Wien im Vorjahr bei 350.000, berichtet
Matthias Schwindl vom Vienna Tourist
Board. Damit erreichten sie in der Stadt
den neunten Rang unter den internationalen
Gästen, für ein kleines, noch dazu
außereuropäisches Land beachtlich.
Aber auch anderswo schnellen die Zahlen
nach oben. In Salzburg wissen die dortigen
Tourismuswerber von einem seit
Jahren rasanten Wachstum der Nächti-
© fotohofer.at, 123 RF
4 wına | Juli/August 2023
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Diverse Gästegruppen
© fotohofer.at, 123 RF
Rekordzahlen bei
Nächtigungen israelischer
Touristen in Österreich.
gungszahlen israelischer Gäste: „Von 2012
bis 2022 verzeichnete das SalzburgerLand
ein Plus von 243 Prozent. Mit einem Nächtigungsanteil
von 34 Prozent, gefolgt von
Wien (31 Prozent) und Tirol (20), ist das
SalzburgerLand bei den israelischen Gästen
die beliebteste Sommerdestination in
Österreich.“
Und auch in anderen Regionen geht es
rasant aufwärts. So erzählt etwa Christian
Schirlbauer, Geschäftsführer der oberösterreichischen
Ferienregion Dachstein
Salzkammergut: „Wir hatten im Jahr 2021
insgesamt nur 740 Nächtigungen von Israelis.
Im Geschäftsjahr 2022 waren es bereits
14.700. Die Israelischen Gäste haben
das Salzkammergut entdeckt, ich kann
nur dankbar dafür sein.“
Darüber hinaus sind manchmal kleine
Erfolge an Orten zu verbuchen, wo man
sie zunächst nicht erwartet hätte. So
freute sich etwa die Hoteliersfamilie
Thaller in ihrem Betrieb (Hotel, Wirtshaus,
Drei-Hauben-Restaurant) im steirischen
Anger bei Weiz im Mai über die
überraschende Ankunft von 40 Frauen
und Männern aus Israel. Das ist sonst
eher eine Ferienregion für Einheimische.
Spät, aber doch haben die österreichweit
Verantwortlichen diesen Boom erkannt
– und wollen ihn auch verstärken.
Ab Frühjahr 2023 hat die Österreich
Werbung mit der aktiven Bearbeitung des
touristischen Wachstumsmarktes Israel
begonnen. „Die vergangene Sommersaison
hat unsere Entscheidung, Israel als
Aktivmarkt zu definieren und damit die
Marktbearbeitung für die österreichische
Tourismusbranche weiterzuentwickeln,
nochmals bestätigt“, so Lisa Wedding,
ehemalige Geschäftsführerin der Österreich
Werbung. „Die Wachstumszahlen
sind im Vergleich zum Sommer des Vor-
Corona-Jahrs 2019 mit über 20 Prozent
enorm beeindruckend.“
Dazu gab es nicht nur Tourismus-
Workshops und Präsentationen der Österreich
Werbung in mehreren israelischen
Städten, auch Politiker reisten
extra an: Neben dem Bundesminister
für Arbeit und Wirtschaft Martin Kocher
und der Tourismusstaatssekretärin Susanne
Kraus-Winkler waren touristische
Player aus ganz Österreich mit in der Delegation.
Einen genaueren Blick auf den
Herkunftsmarkt wagte etwa Schirlbauer
aus dem oberösterreichischen Bad Goisern.
Aber auch der Tourismusdirektor
Klaus Lorenz aus Baden bei Wien war
dabei: „Wir sehen ein sehr hohes Potenzial
für Baden bei israelischen Gästen und
konnten sehr großes Interesse der Partner
an unserer Region bemerken. Unter anderem
gibt es bereits konkrete Anfragen
in Richtung Wein- und Kulturtourismus,
„Die israelischen
Gäste haben das
Salzkammergut
entdeckt, ich kann
nur dankbar dafür
sein.“
Christian Schirlbauer
die wir in den nächsten Wochen mit den
Partnern entwickeln werden.“
Kultur, Alpen, Shopping. Was machen die
israelischen Gäste in Österreich? Und
wie finden sie ihre Region, ihr Hotel,
ihre Attraktionen? Theresa Berger ist
Marketing-Leiterin des Wiener Luxushotels
Sans Souci. Sie zeigt vom Fenster
einer Suite hinüber auf die nahen Bundesmuseen.
„Wir haben vorrangig zwei
Gästegruppen aus Israel: Da sind einmal
Familien, sie interessieren sich für Kultur,
aber auch für die Geschichte ihrer
Vorfahren. Sie besuchen neben den Museen
etwa Synagogen, den zweiten Bezirk,
eventuell auch Mauthausen.“
Die zweite nennenswerte israelische
Gästegruppe kommt aus der LGBT+-
Community, meist gleichgeschlechtliche
Paare. Unter ihnen ist Wien zunächst einmal
durch den Life Ball bekannt geworden,
aber man umwirbt sie auch gezielt.
Berger: „Wir schalten bei Google Werbung,
wer dann LGBT+friendly Hotel und Wien
eingibt, findet uns schnell.“ Das Sans Souci
ist ein privates Haus und gehört zu keiner
Hotelkette. Erreicht wird es durch Suche
auf den Plattformen booking.com und
wına-magazin.at
5
Jul_Aug_23.indb 5 25.07.23 14:12
Mundpropaganda
„Da sind einmal
Familien, sie interessieren
sich für
Kultur, aber auch
für die Geschichte
ihrer Vorfahren.“
Theresa Berger
Tripadvisor, überdies kann man über die
Preferred Hotels und direkt über die Website
buchen. „Wichtig ist aber doch die
Mundpropaganda“, ist Director of Sales
and Marketing Theresa Berger überzeugt.
Das bestätigt auch eine Untersuchung
der SalzburgerLand Tourismus GmbH. In
einem Papier für ihre Mitgliedsbetriebe
liest man: „Israel ist ein Empfehlungsmarkt.
Die Weiterempfehlung von Bekannten,
Freunden und Familien hat ei-
nen überproportional hohen Stellenwert.
Wurde eine Lieblingsdestination entdeckt,
wird diese häufig und gerne weiterempfohlen,
weshalb sich die Nachfrage
in manchen Regionen konzentriert.“ Dazu
gibt es gleich ein konkretes Beispiel: „Das
spiegelt sich auch in der Entwicklung
Flachau wider. Es gab den Bericht eines
einflussreichen Influencers, und im Sommer
2022 konnte mit knapp 67.000 Nächtigungen
ein regionales Rekordhoch erreicht
werden.“
Die Bedeutung der persönlichen Empfehlung
kennt Sükran Koc ebenfalls. Sie
ist Resident Manager des vor wenigen Monaten
eröffneten Vier-Sterne-Boutique-
Hotels 011 gegenüber der Wiener Oper.
„Wir haben gleich am Anfang israelische
Gäste gehabt, und jetzt – bei 49 Zimmern
– sind es jede Woche vier bis fünf Familien.“
Dabei handelt es sich um kaufkräftige
Gäste, vor allem aus den Städten Tel
Aviv und Haifa, sie buchen vorrangig die
Suiten, die 300 bis 400 Euro pro Nacht
kosten. „Aber sie wollen auch etwas haben
für ihr Geld.“
Die Oper spielt dabei als Attraktion
kaum eine Rolle, die Museen schon eher.
„Aber vor allem zählen die nahe Kärntner
Straße und die City fürs Shoppen“, weiß
die Managerin. „Wir werden immer wieder
zu Einkaufstipps gefragt.“ Und es geht
auch um weitere Destinationen. „Regelmäßig
buchen wir Bahn-Tickets für unsere
Gäste, nach Salzburg oder München.“
Diese Beweglichkeit und Unruhe haben
die SalzburgerLand-Spezialisten
über ihre israelische Klientel ebenfalls
erhoben: „Israelische Gäste sind sehr unternehmenslustig
und wollen in ihrem
Urlaub so viel wie möglich erleben. Vor
Ort wird gerne ein Mietauto gebucht, so
kann die israelische Spontanität und Flexibilität
noch besser gelebt werden. Die
SalzburgerLand Card mit ihren 190 inkludierten
Attraktionen steht da hoch im
Kurs. Eindrucksvoll: Von knapp 42.000
verkauften Cards wurden 10.900 von Israelis
abgenommen.“
Auch der Oberösterreicher Schirlbauer
hat diese Erfahrung gemacht: „Unsere Israelis
besuchen Hallstatt und das Salzwelten-Bergwerk,
fahren mit der Gondel hinauf
zur spektakulären Aussichtsplattform
Five Fingers auf dem Krippenstein oder
wandern rund um den Gosausee. Aber
nach ein, zwei Tagen sind sie wieder weg
und ziehen weiter – nach Salzburg, Wien
oder Innsbruck.
Was die österreichischen Hoteliers neben
der Ausgabenfreudigkeit der Israelis
besonders freut, ist die andere Taktung der
Urlaubssaisonen. Wieder die Salzburger-
Land-Touristikerin: „Eine Besonderheit
im israelischen Markt ist das große Potenzial
vor allem in der ,Shoulderseason‘,
also abseits der Hauptreisezeiten und insbesondere
im Frühling und Herbst. Denn
die jüdischen Feiertage fallen genau in
diese Zeit: Zu Pessach (Anfang April), Suk-
© Reinhard Engel
KOSCHER AM BERG
Die allermeisten israelischen Touristen
in Wien sind säkular und kommen
aus den Städten Tel Aviv und
Haifa. Doch es gibt auch die religiösen Gäste
aus Jerusalem, Zfat oder Bnei Brak. In Wien
bieten mehrere Hotels koscheres Essen an,
sei es selbst gekocht oder gecatered. Dazu
gibt es koschere Restaurants, vor allem im
ersten und zweiten Bezirk.
Auf dem Land sind solche Angebote selten.
Die religiösen Wiener, Antwerpener oder
Münchner mieten im Sommer alpine Appartements
und versorgen sich selbst. Einkaufsmöglichkeiten,
die ihren religiösen Vorschriften
entsprechen, gibt es vor Ort nur äußerst
selten. Für Israelis wären Lebensmitteltransporte
in ihre Ferien äußerst mühsam.
Es gab und gibt aber immer wieder spezielle
Angebote für streng gläubige Juden.
Unter der Website totallyjewishtravel.com
bietet etwa die israelische Feder-Familie mit
ihrem Veranstalter Tour Olam koschere Urlaube
in Österreich an. Einige Jahre lang arbeiteten
sie mit einem Hotel im Tiroler Serfaus
zusammen, für heuer laden sie ins Sporthotel
Zederhaus im Salzburger Lungau ein.
„Die Küche wird vom Tour-Olam-Team betrieben“,
schreiben sie. „Es gibt Halbpension
und ein reiches Buffet für
Lunch-Sandwiches.“ Im Programm
fakultativ mit buchbar sind auch
Touren nach Hallstatt, nach Kaprun,
auf den Großglockner, zum Shoppen
nach Salzburg oder ins deutsche
Berchtesgaden. Das Hotel wurde
übrigens einmal von den Skifahrern
Hermann Maier und Rainer Schönfelder
betrieben und gehört nach einer
Pleite und mehrjährigem Leerstand jetzt einer
Tiroler Familie.
Ähnliche Angebote organisiert der seit
Jahren in Wien lebende Israeli Avi Fein. Er hat
etwa zuletzt für die Feiertage von Schawuot
in einem Budapester Fünf-Sterne-Hotel 40
Zimmer en bloc gebucht und in der Küche
glatt koscher kochen lassen. „Wir haben sie
6 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 6 25.07.23 14:12
Thema
© Reinhard Engel
kot (Anfang Oktober) und Chanukka (Anfang
Dezember) reisen säkulare Jüdinnen
und Juden gerne und, da Schulferien sind,
auch länger mit ihren Kindern.“ Und das
sind eben gerade Zeiten, in denen die Österreicher
– und auch viele Gäste aus anderen
Ländern – eher zu Hause bleiben und
die Auslastung Luft nach oben hat.
Darüber hinaus sind die Israelis technikaffin
und kurzfristig motivierbar. So
liest man in einer Studie, die die Österreich
Werbung in Auftrag gegeben hat:
„Zwei Drittel der Gäste aus Israel buchten
den Urlaub online im Internet, weitere
26 Prozent per E-Mail. Vor allem der
Anteil der Buchungsplattformen und von
Airbnb ist überproportional hoch.“ Und
zur Spontaneität: „Ein Drittel der israelischen
Gäste buchte den Urlaub ein bis drei
Monate im Vorfeld der Reise. Weitere 20
Prozent buchten zwei bis vier Wochen im
Vorfeld. Im Verhältnis zu anderen ausländischen
Gästen sind Gäste aus Israel damit
eher kurzfristige Bucher.“
Zurück in Seefeld: Nach dem anstrengenden
Kids Club haben sich die Kleinen
mit den Eltern ein Eis in einer Konditorei
im Ort verdient. Noch sind die Gesichter
angemalt wie auf einem Faschings- oder
Purim-Fest. Doch die Müdigkeit lässt sich
nicht mehr verbergen. Die Kinder haben
ihren Tag mit Aktivitäten prall gefüllt. Und
sie werden das Jahre später als erwachsene
Österreich-Besucher wohl wieder
machen. Eventuell mit ihren Kids.
gekaschert, dann unsere Köche, den Meschgiach
und alle Lebensmittel gebracht.“
Fein kann reiche Erfahrung mit derartigen
kurzzeitigen Hotel-Übernahmen vorweisen,
sogar auf viel größerem Niveau. Er hat etwa
in Dubai oder in der Türkei Koscher-Urlaube
für 500 bis 1.000 Gäste geplant und durchgeführt.
Seine Gäste kommen aber seltener
aus Israel denn aus den USA und Großbritannien.
Österreich will er dabei dennoch nicht
vergessen. „Dieses Jahr habe ich kein Angebot,
aber für den kommenden Sommer suche
ich ein Hotel in Tirol. Es ist schwieriger
geworden, denn früher war der Sommer
schwach gebucht, jetzt sind die Häuser oft
voll und suchen keine zusätzlichen Partner.“
Die vor über 200 Jahren gegründete Israelitische Gemeinde Basel
mit ihren knapp 900 Mitgliedern ist eine der grössten jüdischen
Gemeinden der Schweiz. Die IGB ist eine öffentlich-rechtlich anerkannte
Religionsgemeinschaft und eine nach den Regeln der Halacha
geführte Einheitsgemeinde, die ihren Mitgliedern vielfältige Dienstleistungen,
ein breites Kultur- und Bildungsangebot und eine gut
ausgebaute Infrastruktur bietet.
Basel ist eine attraktive, kulturell reiche und familienfreundliche Stadt,
in der jüdisches Leben sichtbar gelebt wird. Es existiert ein breites
jüdisches Vereinsleben, ein grosses Koscherangebot, verschiedene
Betreuungs- und Bildungsinstitutionen für Kinder und vieles mehr.
Per Sommer 2024 oder nach Vereinbarung suchen wir als Nachfolge
für unseren geschätzten Rabbiner Dr. Moshe Baumel einen
Gemeinderabbiner
Ihre Aufgabenbereiche
• Sie sind für die rabbinischen Tätigkeiten unserer Gemeinde
verantwortlich.
• Sie pfl egen Kontakt zu unseren Mitgliedern in all ihren
Lebensabschnitten.
• Sie stehen dem Religionsunterricht der IGB vor und geben
regelmässig Schiurim für Erwachsene und Kinder.
• Sie übernehmen seelsorgerische Tätigkeiten und beraten Mitglieder
in ihren persönlichen Angelegenheiten.
• Sie sind verantwortlich für die Aufsicht aller halachischen und
rituellen Fragen.
Ihr Profil
• Sie verfügen über ein abgeschlossenes Rabbinatsstudium
(Smicha Jore Jore), eine weitere Ausbildung sowie über eine breite
jüdische und eine sehr gute allgemeine Bildung.
• Sie sind eine aufgeschlossene, initiative, vertrauenswürdige und
belastbare Persönlichkeit mit Ausstrahlung.
• Mit Ihrem Elan und integrativem Ansatz möchten Sie die Einheitsgemeinde
stärken und zeitgemäss weiterführen. Von Vorteil ist
dabei eine relevante Berufserfahrung.
• Sie begegnen allen Gemeindemitgliedern respektvoll, unabhängig
von ihrer Religiosität oder Vielfalt.
• Sie weisen sich durch eine hohe Sozialkompetenz aus und sind
es sich gewohnt, im Team zu arbeiten.
• Sie haben Interesse daran, sich in Basel zu integrieren und aktiv
die Israelitische Gemeinde nach aussen zu vertreten. Auch der
interreligiöse Dialog liegt Ihnen am Herzen.
• Sie sprechen sehr gut Deutsch oder haben den Willen, Ihre
grundlegenden Deutschkenntnisse zu vertiefen.
Wir bieten Ihnen ein angenehmes Arbeitsklima in einer professionell
geführten Gemeinde, ein engagiertes Team und attraktive Arbeitsbedingungen.
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!
Glückliche Kids bei Pommes und Kinderschnitzel:
Israelische Familien kommen immer
öfters nach Österreich und genießen hier allinclusive
in alle Regionen und Bereichen.
Bitte senden Sie Ihre Unterlagen z.H. der Rabbinerfi ndungskommission
an: sekretariat@igb.ch.
www.igb.ch
wına-magazin.at
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Sommer 2023
WIENER OASEN
Der öffentliche Raum ist nicht
nur Verkehrsfläche, sondern
auch Aufenthaltsraum, der
mit den ansteigenden Temperaturen
so manchem Stadtbewohner
zudem ein schattiges
Plätzchen bietet, wenn die unklimatisierte
Wohnung zur Hitzefalle
wird. Kindern, Jugendlichen,
aber auch Erwachsenen
bietet Wien eine Vielzahl an urbanen
Räumen, um zu spielen,
zu spazieren, sich zu bewegen,
zu entspannen. WINA bat
fünf Mütter in ihren bevorzugten
Park oder auf ihren Lieblingsplatz
im Freien. Das Wetter
beim Entstehen der folgenden
Aufnahmen im Mai spielte allerdings
etwas verrückt: Von Kälteeinbruch
über Regen bis zu
Sommersonne war innerhalb
weniger Tage alles dabei.
Text: Alexia Weiss,
Fotos: Daniel Shaked
8 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 8 25.07.23 14:12
Roller fahren
HANI ABRAMOV (28)
Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin
Mutter von Joel (7), Judith (5) und Ruth (1)
AUGARTEN
„Wir kommen gerne mit den Kindern in den Augarten, sind mit
unseren Freunden hier, sehr oft am Wochenende. Wenn man am
Schabbat schon nicht mehr sitzen kann, ist es gut, an die frische
Luft zu gehen, und hier ist viel Grün, der Spielplatz ist hervorragend.
Wir wohnen in der Nähe und können daher auch viele
Spielsachen mitnehmen, das ist für mich sehr praktisch. Die Kinder
fahren auch gerne Roller, da gibt es viele Flächen, auf denen
man Roller oder Fahrrad fahren kann. Manchmal fahren wir auch
in den Donaupark, der ist zwar nicht in der Nähe, aber ein bisschen
Abwechslung tut auch gut. Wien hat insgesamt viele schöne
Parks und Spielplätze.“
wına-magazin.at
9
Jul_Aug_23.indb 9 25.07.23 14:12
Im Sand spielen
SHIRA SAWAZKY (35)
Hobbyfotografin – derzeit in Ausbildung zur
Bürokauffrau; Mutter von Ziona (6)
VENEDIGER-AU-PARK
„Wir sind oft hier, wir wohnen in der Nähe. Wir gehen auch in
andere Parks, aber das ist einer der größeren Spielplätze in der
Umgebung. Ziona spielt gerne im Sandkasten mit ihrem Sandspielzeug,
das haben wir immer mit. Sie schaukelt viel, und
mittlerweile liebt sie es auch zu balancieren. Ich finde es schön,
wie grün es in Wien ist und dass es so viele Parks und Spielplätze
und so viel Natur gibt. In der schönen Jahreszeit gehen wir
jeden Tag nach dem Kindergarten auf einen Spielplatz, außer
es regnet. Und am Sonntag gehen wir auch meist ins Grüne.“
10 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 10 25.07.23 14:12
Bekannte treffen
JULIE GOLDKROB (30)
Marketing-Fachfrau; Mutter von Harel (2) und Eyal (4)
RABBINER-FRIEDMANN-PLATZ
„Nach dem Kindergarten kommen wir meist noch hier her. Das ist gleich
neben unserem Wohnhaus. Hier gibt es eine schöne, offene Fläche, das
mögen die Kinder. Sie laufen herum, und es gibt auch ein paar Spielgeräte.
Hier treffen wir auch immer einige Bekannte und Nachbarn.
Wenn sie müde werden, und es gefährlich werden könnte, gehen wir
nach Hause. Wir sind meistens eine halbe Stunde oder Stunde da, und
dann gehen wir hinauf, weil die Kinder dann auch schon hungrig sind.
Ab und zu gehen wir aber auch in den Venediger-Au-Park, vor allem
am Wochenende. Dort gibt es einen großen Spielplatz, und es ist ein
geschlossener Park.“
wına-magazin.at
11
Jul_Aug_23.indb 11 25.07.23 14:12
Kunstwerke gestalten
LISA PRUTSCHER (39)
Yogalehrerin und Begründerin von Yogashelanu
Mutter von Neela (6) und Samuel (9)
LUSTHAUS-SPIELPLATZ
„Ich komme gerne mit den Kindern hier her, weil es so viel Natur gibt.
Der Spielplatz ist mitten im Wald, eigentlich im naturbelassenen Prater.
Das Angebot hier ist sehr spezifisch, es gibt nicht von allem ganz so
viel wie auf anderen Spielplätzen, sondern Dinge wie ein Klangerlebnis
und Reifenschaukeln oder einen Sandplatz, wo die Kinder Wasser kurbeln
und Sandburgen bauen können und der kein typischer Sandspielplatz
ist. Die Kinder können aber auch in den Wald laufen und dort Zelte
aus Holz und Stöcken bauen. Da sind schon Kunstwerke entstanden.
Und unten beim Wasser gibt es Enten. Wenn es im Winter friert, kann
man auch Eislaufen gehen. Ich bin eine aktivere Mama und mache hier
gerne Yogaübungen. Meistens sind wir aber alle zusammen aktiv, für
eines der Geräte braucht man zum Beispiel eine zweite Person, um hinauf-
und hinunterzugehen.“
12 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 12 25.07.23 14:12
Gemeinsam picknicken
TOVA STARIK (48)
Projektmanagerin bei Bayit und 110HUB
Mutter von Levi (6), Zvi (10), Dov (12), Mendi
(14), Yakov (16), Rosie (21) und Chaim (24)
AUGARTEN
„Was ich an Wien wirklich liebe, ist das viele Grün. Es gibt viele Orte mit Bäumen
und Grünflächen, an denen man seine Freizeit im Freien verbringen kann, was
für das Wohlbefinden so wichtig ist, vor allem wegen der frischen Luft und des
Sauerstoffgehalts, den die Bäume und Pflanzen liefern. Als wir noch im 19. Bezirk
gewohnt haben, war ich oft im Wertheimsteinpark und im Japanischen Garten,
dem Setagayapark, beide sind aber eher klein. Inzwischen sind wir in den zweiten
Bezirk übersiedelt und wohnen in der Nähe des Augartens. Der ist groß, und
ich habe hier auch zu laufen begonnen. Und es gibt all diese Wege zwischen
den Bäumen, und wenn ich mit meinem Sohn in die Schule auf der anderen Seite
des Augarten gehe, dann sagen wir, oh, wir sind im Wald. Als die Kinder noch
kleiner waren, haben wir viel Zeit am Spielplatz verbracht und waren auch im
Schwimmbad. Der 14-Jährige läuft inzwischen auch, die Jüngeren spielen gerne
Fußball. Manchmal machen wir hier auch ein Picknick.“
wına-magazin.at
13
Jul_Aug_23.indb 13 25.07.23 14:12
Victor Gruen und die
autofreie Wiener Innenstadt
In den USA machte sich der Stadtplaner und Architekt Victor
Gruen als Begründer der Shopping Malls einen Namen. Im
Juli 1903 in Wien als Victor David Grünbaum geboren, musste
er 1938 im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten
in die Vereinigten Staaten emigrieren. Seine Geburtsstadt
verdankt ihm die Fußgängerzone in der Kärntner Straße.
Von Alexia Weiss
Die Verbannung des Individualverkehrs
aus dem innersten
Teil der Wiener City wurde
1974 nicht von allen begrüßt.
Kritikern hielt Gruen entgegen: „Autos
kaufen nichts.“ Unrecht wird ihm postum
allerdings getan, wenn man ihm vorwirft,
sowohl mit dem Konzept des Einkaufszentrums
wie auch mit Fußgängerzonen den
Konsum in den Mittelpunkt gestellt haben
zu wollen. Was heute stadtplanerisch State
of the Art ist, trieb Gruen schon vor mehr
als 50 Jahren um: Der Umweltgedanke
einerseits, autofreie öffentliche Lebensräume
für den Menschen andererseits.
Faszinierend ist allerdings aus heutiger
Sicht, wenn man sich ansieht, was
Gruen in seinem Stadterneuerungsplan
für die Wiener Innenstadt noch alles vorgeschwebt
war – umgesetzt wurde davon
nur ein kleiner Teil. In seinen kurz vor seinem
Tod 1979 verfassten Memoiren, die
2014 von Anette Baldauf unter dem Titel
Shopping Town im Böhlau Verlag herausgegeben
wurden, umriss der Stadtplaner die
Ausgangslage so: „Das Kerngebiet Wien ist
identisch mit dem ersten Wiener Gemeindebezirk,
aber auch mit dem ältesten Teil
der Stadt, wie er bis 1860 mit Festungsmauern
und Stadttoren umgeben war. Die
ursprüngliche Einwohnerschaft von über
100.000 war auf 25.000 zurückgegangen.
Der frei gewordene Raum war durch Geschäftshäuser,
Gewerbebetriebe und Büros
übernommen worden. Im Kerngebiet
befinden sich aber auch die bedeutendsten
öffentlichen Gebäude wie Museen,
Burgtheater, Staatsoper, Konzertsäle, die
Als Victor David Grünbaum
in Wien geboren, machte sich der
Architekt und Stadtplaner auch
als politischer Kabbaretist einen
Namen. 1938 wurde er enteignet
und floh in die USA.
schönsten Kirchen, die Ministerien sowie
das Hauptgebäude der Universität. Einkäufern
und Besuchern stehen hunderte
von kleineren und mittleren Geschäften
sowie eine sehr große Anzahl von Gaststätten
zur Verfügung.“
Dadurch seien die Voraussetzungen
der Multifunktionalität bereits gegeben
gewesen. „Ihre Nutzung jedoch litt darunter,
dass das engmaschige, unregelmäßige,
spinnennetzartige System von
kleinen Straßen, Gassen und Plätzen mit
Personenautos und Lastkraftwagen derart
überlastet war, dass Verkehrsverstopfungen
zur Regel wurden und der Fußgängerverkehr
ernstlich gefährdet wurde.“ Die
damit einhergehende Lärm- und Abgasbelästigung
würde Einwohner, aber auch
Käufer und Besucher vertreiben, lautete
Gruens Befund.
In einer 1971 vorgelegten Studie entwarf
er einen Maßnahmenplan für die Attraktivierung
der Wiener Innenstadt, die
aus heutiger Sicht als visionär bezeichnet
werden kann. „Das Ziel des Konzeptes
war es, durch die Reinhaltung der Luft,
die Verringerung des Lärms und durch zusätzliches
Grün die Umweltbedingungen
derart zu verbessern, dass das Kerngebiet
als lebenswertester Bereich der Stadt sowohl
als Wohnort als auch als Besuchsort
wieder größere Anziehungskraft ausüben
würde.“
Gruens konkrete Vorschläge: „Die Erschließung
der Innenstadt durch neue Untergrundbahnlinien,
der völlige Ausschluss
des benzingetriebenen Fahrzeugverkehrs
sowie Ersatz der üblichen Einzelheizmethoden
durch Fernheizmethoden.“ Lagerhäuser,
Speditionen und Industriebetriebe
sollten in andere Teile Wiens
umgesiedelt und auf den dadurch frei
gewordenen Flächen Wohnungen errichtet
werden. Die gesamte Innenstadt sollte
durch eine kreisförmige Umfahrungsstraße
– den Ring – „als Umweltoase gestaltet
werden“. Auch an Details hatte Gruen
gedacht: Wie etwa konnte aus dieser völlig
autofreien Innenstadt der Müll entsorgt
werden? Seine Antwort: mit der U-Bahn.
Die Reaktion der Stadt war – Blockade:
„Alle Maßnahmen, die ich vorschlug und
die darauf hinausliefen, die Stadt menschengerecht
zu gestalten, stießen nicht
nur auf völliges Unverständnis der Planungsbürokratie,
sondern auf offenen
Widerstand.“ Dennoch wurden schließ-
© Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
14 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 14 25.07.23 14:12
© Votava / brandstaetter images / picturedesk.com
lich Teile von Gruens Planungen
umgesetzt: Dazu gehörte
die U-Bahn, die in die Innenstadt
führte (diese wurde von
der Stadt bereits seit Ende
der 1960er-Jahre geplant und
schließlich 1978 eröffnet), die
Umwandlung einiger Straßenzüge
in eine Fußgängerzone sowie
die Einrichtung von Diesel-Minibussen
in der City. Ein
Beamter in der Magistratsabteilung
für Stadtplanung habe ihm
diese Vorgangsweise so erklärt:
„Wir wissen, Herr Architekt,
dass das, was Sie vorgeschlagen
haben, in seiner Ganzheit
notwendig sein wird, aber wir
fürchten uns davor, die Wähler
zu erschrecken, und gehen daher
nach der Salami-Taktik vor.“
Heute möchte man sagen: Da
hat man sich eine Riesensalami
vorgenommen. Auch wenn die
Fußgängerzone inzwischen gewachsen
und um das Konzept der Begegnungszone
(etwa in der Rotenturmstraße) erweitert
wurde, wenn mancher Platz inzwischen
mit einer Tiefgarage weitgehend vom Verkehr
befreit und zu einem Verweilort umgestaltet
wurde (wie der Neue Markt), ist
die Wiener City immer noch nicht autofrei.
Victor Gruen war seiner Zeit weit voraus.
Bereits 1968 gründete er in Los Angeles
das Center for Environmental Planning.
Eine kleine Gruppe von „Rufern
in der Wüste“ sei man damals gewesen,
„Als Verkehrsvertriebene
sind
sie ständig auf
der Flucht: Sie
fliehen von den
Stadtkernen zur
Peripherie, von
dort zum Umland.
Wenn sie
herausfinden,
dass ihnen die
Maschinen […]
mit ihrem Lärm
und Gestank
und ihren Gefahren
überallhin
folgen,
sinnen sie unentwegt
nach
weiteren
Auswegen, erwerben
Zweitund
Drittwohnungen
‚auf
dem Land‘ und,
wenn das alles
nicht mehr hilft,
flüchten sie
sich in Bewusstseinslosigkeit
durch Alkohol
und Drogen.“
Victor Gruen
hielt Gruen in
seinen Erinnerungen
fest. 1973
begründete er in Wien das Zentrum für
Umweltplanung. Ende der 1970er-Jahre
seien Umweltfragen dann bereits medial
breit thematisiert worden, Umweltparteien
waren im Entstehen, hielt Gruen
kurz vor seinem Tod fest. Und bilanzierte,
durchaus mit ein bisschen Stolz:
„Zusammenfassend glaube ich, zu der
Aussage berechtigt zu sein, dass die Bemühungen
der Zentren für Umweltplanung
dazu beigetragen haben, diese Entspannung
herbeizuführen und dass sich
in diesem Sinn vielleicht doch alle Mühe
Die Kärntner Straße:
1974 wurde zwischen Oper
und Stephansplatz die erste
Wiener Fußgängerzone eröffnet
(oben). Davor hatten
sich hier täglich Tausende
Autos durch die Straße
bewegt (unten: 1962).
wına-magazin.at
15
Jul_Aug_23.indb 15 25.07.23 14:12
INTERVIEW MIT EVA KAIL
Wien gilt als grüne Stadt – doch innerstädtisch heizt es sich an
heißen Tagen enorm auf. Der Klimawandel verschärft dieses
Problem zusehends. WINA sprach dazu mit der Stadtplanerin
und Stadt-Wien-Mitarbeiterin Eva Kail. Sie plädiert dafür,
Straßen nicht nur grüner zu gestalten, sondern sie auch wieder
mehr als Aufenhaltsort für Menschen zu verstehen statt als
Park- und Verkehrsfläche für Autos. Interview: Alexia Weiss
WINA: Wien ist knapp 415 Quadratkilometer groß. Knapp
die Hälfte dieser Fläche ist nicht versiegelt, sondern besteht
aus Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Parks. Damit
gilt Wien als im internationalen Vergleich sehr grüne Stadt.
Die durch den Klimawandel ansteigenden Temperaturen haben
allerdings in den vergangenen Jahren das allgemeine Bewusstsein
dafür geschärft, dass es dennoch Stadtteile mit geringem
Grünanteil gibt, die sich im Sommer stark aufheizen.
Wie kann Stadtplanung hier dagegenwirken?
Eva Kail: Wien hat sich mit dieser Problematik relativ
früh auseinandergesetzt und in Zusammenarbeit
mit der Universität für Bodenkultur mit dem Heat Island
Strategieplan mögliche Maßnahmen aufgezeigt.
Inzwischen gibt es auch die Klimastrategie der Stadt
Wien mit einem konkreten Aktionsplan. Angesetzt
wird dabei auf verschiedensten Ebenen. Bei Neubauten
werden beispielsweise Dachbegrünungen vorgeschrieben,
und es werden Fassadenbegrünungen
forciert. Wir wissen aber, dass Baumpflanzungen
die beste Klimaanlage sind. Bäume beeinflussen das
Mikroklima am stärksten. Das größte Potenzial liegt
dabei im Straßenraum. Und genau das wird auch laufend
gemacht. Beispiele sind die Otto-Bauer-Gasse
im sechsten Bezirk oder die Zollergasse im siebenten
Bezirk. Dabei geht es nicht nur um Baumpflanzungen,
sondern auch darum, den Straßenraum,
der nicht nur Bewegungsraum, sondern auch Aufenthaltsraum
ist, zurückzuerobern.
In westlichen Städten nehmen Autos viel von der
Fläche in Anspruch. Hier ist der größte Spielraum für
Begrünungen. Man muss aber auch sagen: Wien hat
im Vergleich mit anderen Großstädten eine Vielfalt
an Stadtlandschaften vom Wiener Wald über das flache
Marchfeld bis zu den Donauauen. Das ist etwas
ganz Besonderes. Gleichzeitig haben wir innerstädtisch
überwiegend einen Gründerzeit-Raster, in dem
zwar einzelne Blöcke für kleine Parks ausgespart wurden,
aber das Grünflächenangebot insgesamt eher
gering ist. Die Ziegelbarone haben damals alles parzelliert.
Hier kann man in der Regel nicht hergehen
und großflächig Häuserblöcke abreißen. Aber auf
dem Areal des früheren Sophienspitals im siebenten
Bezirk, wo eine neue Quartiersentwicklung stattfindet
und neue Wohnprojekte entstehen, da wird
auch ein neuer Park geschaffen. Hier ist es leichter,
mehr Grünflächen und Bäume vorzusehen.
EVA KAIL,
geb. 1959 in Wien, ist
studierte Stadtplanerin.
Sie ist in der Stadt Wien
in der Magistrationsdirektion
im Geschäftsbereich
Bauten und Technik für
Gender Planning zuständig.
Kail koordinierte über 60
gendersensible Pilotprojekte
im Bereich Wohnbau,
Städtebau, Mobilität sowie
Gestaltung öffentlicher
Räume und Parks.
Jungbäume müssen aber auch die ersten Jahre gut überleben.
Manche tun dies in den inzwischen heißen Sommern
mangels Wasser nicht. Wie kann dieses Problem gelöst werden?
I Ja, das ist ein großes Problem. Je jünger die Bäume
sind, desto schwieriger ist es, dass sie hochkommen.
Es wurden Gießsäcke entwickelt, die das Wasser langsam
abgeben. Automatische Bewässerungen werden
eingebaut. Baumstandorte werden durch vergrößerte
Wurzelräume verbessert. Und es werden
Baumarten verwendet, die mit den Standortbedingungen
besser zurechtkommen. Es muss aber auch
gelingen, der Bevölkerung zu vermitteln, dass Bäume
die Klimaanlage unserer Stadt sind.
In innerstädtischen Lagen werden nun auch vermehrt Pflanzenbeete
angelegt, die aber statt mit Erde mit einem spezi-
© Jana Madzigon
16 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 16 25.07.23 14:13
„Bäume sind
die Klimaanlage
unserer Stadt“
ein bisschen Zeit geben: Gerade jetzt, nach der langen
Regenperiode, blühen viele Beete sehr üppig, die
vor Kurzem noch nach Kiesfläche mit Unkraut ausgesehen
haben.
Was übrigens bei vielen Menschen sehr gut ankommt,
ist das „Garteln um Eck“ auf Baumscheiben.
Auch bei den Nachbarschaftsgärten gibt es lange Wartelisten.
Urban Gardening ist total im Trend. Daran
sieht man auch, dass sich die Einstellung zur Natur
gewandelt hat.
Auch bei bestehenden Grünanlagen wie dem Donaupark sollen
nun Teile der asphaltierten Wege wieder zurückgebaut
werden. Warum?
I Asphalt heizt sich stark auf, das kann an heißen Tagen
sehr unangenehm sein. Es ist daher sinnvoll,
Wege auf die nötige Breite zu reduzieren.
© Jana Madzigon
ellen Substrat arbeiten, das ähnlich wie Kies aussieht, zum
Beispiel am Petersplatz oder am Neuen Markt in der Inneren
Stadt. Das kommt bei vielen Menschen nicht gut an. Warum
ist es aber sinnvoll, Beete so anzulegen?
I Wien wächst, und es wachsen auch die Aufgaben,
allerdings bei nicht gleich schnell wachsenden Budgets.
Man muss also Ressourcen gezielt einsetzen.
Steigende Temperaturen im dicht verbauten Stadtgebiet
und länger anhaltende Hitzeperioden sind eine
enorme Herausforderung für Stadtpflanzen. Die Wiener
Stadtgärten reagieren auf sich ändernde klimatische
Rahmenbedingungen mit der Pflanzung von
Gräser- und Staudenbeeten.
Üblicherweise brauchen Gräser und Stauden zwei
bis drei Vegetationsperioden, um ihre volle Größe zu
entwickeln – abhängig von den jeweiligen Standortbedingungen.
Man muss solchen Beeten also auch
„Heute bemüht
man sich, vor
allem dort, wo
es eine hohe
Nutzungsdichte
gibt, speziell
für Kinder und
Jugendliche um
Bewegungsangebote.“
Eva Kail
Die Parklandschaft in Wien ist vielfältig. Es gibt die alten Anlagen,
wie etwa den Türkenschanzpark, oder Projekte wie den
erst 2023 eröffneten Stadtpark Atzgersdorf in Liesing, der
auf dem Areal des früheren Campingplatzes Wien Süd entstanden
ist. Wie hat sich über die Jahrzehnte die Gestaltung
von Parks wie auch von Spielplätzen verändert? Welche Rolle
spielen hier Sicherheit, Gendersensibilität, das Schaffen von
konsumfreien Räumen, aber eben auch der Klimawandel?
I Historisch gesehen gab es einerseits diese Art englischer
Landschaftsparks, wie eben den Türkenschanzpark
oder auch den Stadtpark. Da stand das
bürgerliche Flanieren im Mittelpunkt, und die Kinderspielplätze
waren doch relativ überschaubar.
Diese Parks wurden für den gesitteten Aufenthalt
und das Verweilen konzipiert. Dann gab es die Beserlparks;
sie boten meist nur Sitzbänke und eine
kleine Ecke für Kinder, vor allem jene in den Arbeitervierteln.
Heute bemüht man sich, vor allem dort,
wo es eine hohe Nutzungsdichte gibt, speziell für Kinder
und Jugendliche um Bewegungsangebote. Der
Park auch als Sportzone also. Die Motorikparks im
22. Bezirk oder auch der Helmut-Zilk-Park sind zum
Beispiel echte Erfolgsgeschichten. Klein und Groß
tummeln sich dort. Und dann gibt es Parks wie den
Draschepark, der auch ein alter Park ist, der aber
heute so vielfältig gestaltet ist, dass Jogger dort ihre
Runden drehen, es großzügige Ballkäfige gibt, eine
Hundewiese und eine davon abgetrennte Kinderwiese,
auf der man picknicken kann.
Wien hat hier insgesamt viel entwickelt. Beim
Gender Planning wird darauf geachtet, dass sich
nicht mehr, wie zuvor in Studien festgestellt, zum
Beispiel in den Ballspielkäfigen das Dschungelgesetz
des Verhaltensstärkeren durchsetzt. Dabei werden
die kleineren Buben von jungen männlichen
Erwachsenen verdrängt, und für Mädchen ist überhaupt
wenig Platz da. Mädchen brauchen Kommunikationsräume,
spielen aber auch gerne Volleyball
oder balancieren. Sitzmöglichkeiten in den Ballkä-
wına-magazin.at
17
Jul_Aug_23.indb 17 25.07.23 14:13
Raum für alle
figen stärken ihre Aneignungsmöglichkeiten. Wenn
man außen noch Basketballkörbe anbringt, gibt es zusätzliche
Angebote, die auch gerne genutzt werden.
Und wenn man die Zugangsmöglichkeiten vergrößert,
wirken die Käfige auch einladender.
Migrantische Bevölkerungsgruppen haben eine
spezifische Art der Parknutzung mitgebracht, wie
das Flanieren und sich dabei unterhalten. Daher sind
Rundwege wichtig. Es ist aber auch Übersichtlichkeit
wichtig – das berücksichtigen wir bei der Wegeführung.
Da geht es auch um Sicherheit. Grundsätzlich
bemühen wir uns um ein vielfältiges Angebot – ein
Beispiel dafür sind auch verschiedene Sitzgelegenheiten.
Ältere Personen tun sich manchmal schwer,
sich niederzusetzen und dann wieder leicht aufzukommen.
Sie brauchen Sessel mit Armstützen, wo sie
sich beim Aufstehen aufstützen können und damit
eine Hebelwirkung zum Aufstehen erzielen. Es geht
bei all dem um die Sorgfalt im Detail und den Blick
auf die Bedürfnisse einzelner Gruppen.
Im Alltag muss es aber oft gar nicht der große Park sein, auch
Fußgängerzonen tragen dazu bei, dass Menschen sich wieder
den öffentlichen Raum zurückerobern. Wo wird es in Wien in
absehbarer Zeit neue Fußgängerzonen geben?
I Es geht gar nicht immer nur um reine Fußgängerzonen.
Bewährt haben sich auch Begegnungszonen
wie etwa am Anfang und Ende der inneren
Mariahilfer Straße. Es gibt da etwa das Stadterneuerungsprogramm
WienNeu+, mit dem Grätzelprojekte
entwickelt werden. Ein Beispiel ist hier die Laxenburger
Straße, wo ein Radweg gebaut wird und entlang
dieses Weges Bäume gepflanzt werden. Insgesamt
geht es aber auch im Sinn des tactical urbanism
darum, Dinge auszuprobieren. Wie kann ich Verkehrsberuhigung
und Attraktivierung erreichen?
Da gibt es dann Mitbestimmungsverfahren, bei denen
sich die Anrainer und Anrainerinnen einbringen
können. Für die Gumpendorfer Straße läuft
gerade so ein Verfahren. Ziel ist immer, attraktive
Aufenthaltsräume zu schaffen, den Autoverkehr auf
„Sobald der
Verkehrslärm,
an den sich
schon viele
gewöhnt haben,
weg ist,
sind Menschen
plötzlich sehr
geräuschempfindlich.“
Eva Kail
Eva Kail setzt sich vor
allem auch für eine geschlechtersensible
Stadtplanung
ein.
ein Minimum zu reduzieren und das Mikroklima zu
verbessern.
Selbst ein paar Bänke im Fußgängerbereich einer stark befahrenen
Straße – ich denke da etwa an die Praterstraße – können
zu Kommunikationsorten werden. Wie entscheidet die
Stadtplanung, wo neue Bänke aufgestellt werden?
I Die Partizipationskultur ist hier inzwischen stark
ausgebaut. Es gibt kaum mehr Straßenumbauten
oder -umgestaltungen, wo nicht in der Bezirkszeitung
aufgerufen wird, Vorschläge einzubringen, wo
es keine Informationsveranstaltungen gibt. Das läuft
dann über die Bezirksvorstehungen vor Ort. Oft gibt
es auch Einladungen zu gemeinsamen Begehungen.
Zu Bänken ist allerdings zu sagen: Die einen schätzen
Bänke total, und sie sind auch für bestimmte Menschen
Voraussetzung für Mobilität. Personen, die
Herzbeschwerden haben oder gebrechlich sind, planen
ihre Wege so, dass sie sich zwischendurch niedersetzen
können. Auf der anderen Seite gibt es auch
das Ruhebedürfnis. Und gerade dann, wenn Bänke
als Kommunikationsorte gut funktionieren, kommt
es oft zu Lärmbeschwerden. Und wenn sich die diesbezüglichen
Anrufe bei der Bezirksvorstehung häufen,
ist die Bank wieder weg. Interessanterweise gibt
es dieses Problem häufig in verkehrsberuhigten Straßen.
Sobald der Verkehrslärm, an den sich schon viele
gewöhnt haben, weg ist, sind Menschen plötzlich sehr
geräuschempfindlich.
Braucht es hier auch einen Kulturwandel in der Bevölkerung?
I Es ist ein Paradoxon, dass dort, wo Verkehrsberuhigung
stattfindet und Angebote im öffentlichen Raum
gut angenommen werden, sich die Beschwerden der
Anrainer und Anrainerinnen erhöhen. Das ist also ein
ständiger Aushandlungsprozess. Am Ende geht es um
faire Chancen für die verschiedensten Bedürfnisse.
Bei der Umgestaltung wird darauf Wert gelegt, Platz
und Raum für alle zu schaffen.
InfoPoint Jewish Vienna
Begeben Sie sich mit uns auf die Spuren der Vergangenheit und der Gegenwart
Walking Touren Jüdisches Wien
Stadttempelführung
Innere Stadt
MO/DO/FR um 13:15 Uhr
Leopoldstadt
MI um 13:15 Uhr
Die Ringstraße
SO um 11:00 Uhr
Der Infopoint Jewish Vienna bietet verschiedene Führungen und individuelle Programme an und
lädt Sie herzlich ein, unsere Gemeinde und ihre Geschichte näher kennenzulernen.
18 wına | Juli/August 2023
Stadttempel
MO - FR, 10 Uhr
www.jewishinfopoint.at
oder unter: +43 1 53104 169
© Jana Madzigon
Jul_Aug_23.indb 18 25.07.23 14:13
Bauen oder nicht bauen?
Den zionistischen Traum leben –
im Einklang mit der Natur
Auf Anregung des Staates gründeten umweltbewusste
Stadtbewohner:innen alternative
Gemeinschaftssiedlungen in Galiläa. Als die
Region Profit versprach, wurden sie von der
Landverwaltung als Eindringlinge gesehen,
deren rechtlicher Status zurzeit ungeklärt ist.
Text & Fotos Tal Leder
Laut jährlichem Bericht des Nachrichtenmagazins
The Economist gehört
Tel Aviv zu den acht teuersten
Großstädten weltweit. Wer in der israelischen
Mittelmeer-Metropole wohnt,
nimmt hohe Lebenshaltungskosten in
Kauf. Überhaupt belasten die steigenden
Ausgaben, darunter teure Mieten,
die Gesamtbevölkerung. Ein Grund, weshalb
sich in den letzten Jahren viele nach
alternativen Wohnmöglichkeiten umsehen.
Während zahlreiche Israelis den Kibbuz
für sich wiederentdeckt haben, machten
manche ihr eigenes Boot in der Marina
zu ihrem neuen Zuhause. Andere sahen
diese Probleme schon Jahrzehnte voraus
und gründeten ökologische Siedlungen,
die von der Regierung allerdings bis heute
als rechtswidrig eingestuft werden.
„Ich habe mein Haus ohne Baugenehmigung
gebaut“, erzählt Eyal Ansbacher,
Yoga-Lehrer und Gründungsmitglied der
kleinen Ortschaft Klil in Westgaliläa. „Es
liegt sogar ein Abrissbefehl vor. Das gleiche
Schicksal droht hier vielen.“ Die ökologisch
kommunale Siedlung liegt zehn Kilometer
östlich von Naharija und wurde
1979 von einigen Stadtbewohner:innen
gegründet, die nach Veränderung und
mehr Lebensqualität suchten. Es wurde
nach den antiken Klil-Ruinen (hebräisch:
Hurvat Klil) benannt, die in der Gegend
entdeckt wurden. Die Neuankömmlinge
kauften privates Agrarland von Grundbesitzern
in benachbarten Dörfern sowie
Staatsgrundstücke
mit Unterstützung
der Jewish Agency,
die ihnen eine Fläche
von 10.000 Quadratmetern
übertrug.
Allerdings
bauten sie darauf
ohne Genehmigung
und Lageplan ihre
Häuser. Später kamen
noch ehemalige
Siedler aus dem
Sinai dazu.
Ohne Zaun und
Abgrenzung liegt
das Dorf mit seinen
1.000 Bewohner:innen in einem Waldstück
zwischen großen Olivenhainen. Es
gibt keine kommunalen Dienstleistungen
oder gar ein Zentrum. Auch besitzt Klil
kaum asphaltierte Straßen und ist nicht
an das nationale Elektrizitätsnetz angeschlossen.
Seine Bewohner:innen müssen
ihren eigenen Strom hauptsächlich durch
Solar- und Windkraft erzeugen. Der Großteil
des Abfalls wird recycelt, ebenso das
Wasser. „Unsere Energien sind begrenzt“,
lacht der 53-jährige Ansbacher. „Im Winter
fiel manchmal der Strom aus. Meine
Kinder konnten ihre Hausaufgaben nicht
beenden und dadurch am nächsten Tag
nicht zur Schule gehen.“ Der besondere
Charakter der Siedlung zieht den lokalen
Tourismus an, und im Laufe der Jahre
Eyal Ansbacher ist Gründungsmitglied der kleinen Ortschaft Klil.
wurden dort viele Gästezimmer, Restaurants
und Geschäfte mit Kunsthandwerk
sowie landwirtschaftlichen Produkten, u.
a. Bioolivenöl, eröffnet. Während die Häuser
der Bewohner:innen sich in die grüne
Umgebung der Siedlung einfügten und
der Staat ein Programm zur Judaisierung
Galiläas initiierte, passte diese ökosoziale
Vision zu den demografischen Plänen Israels.
Der illegale Bau auf landwirtschaftlichem
Boden florierte, und dank des Profits
schlossen die Behörden anfangs ihre
Augen. „Bei meinen ersten Häusern hatte
ich noch eine Erlaubnis“, erklärt Ansbacher.
„Danach sagte mir der Staat, dass ich
ohne Probleme weiterbauen kann. Bis sich
die Situation änderte: Erste Abrissbefehle
und Klagen folgten.“
wına-magazin.at
19
Jul_Aug_23.indb 19 25.07.23 14:13
Ökologische Pionierarbeit
Nicht nur die Bewohner:innen hatten
das wirtschaftliche Potenzial des günstigen
Landes um Klil herum entdeckt: Im
Laufe der Jahre wurde aus einer zionistischen
Siedlervision ein Profitprojekt für
Spekulanten. Es dauerte nicht lange, bis
der Staat beschloss, zwar die Wohneinheiten
für 180 Familien zu erweitern, aber illegales
Bauen zu verbieten. Und so wurden
aus zionistischen Pionieren plötzlich
Kriminelle. Mittlerweile haben die Behörden
Dutzende provisorische Unterkünfte
zerstört.
Ökologisches Pionierprojekt vor dem Aus.
Ähnlich erging es auch Kadita, einem
ökologischen Dorf auf dem Berg Koter in
Obergaliläa, acht Kilometer nördlich von
Safed, unweit der libanesischen Grenze.
1988 wurde der ehemalig arabische Ort
von vier Familien gegründet – darunter
Tamar Har Zahav, Tochter des berühmten
Fotografen David Rubinger –, die im
Rahmen einer Sondervereinbarung mit
der israelischen Landverwaltung Boden
im Austausch für ihr Privatland am Berg
Meron auf den Golanhöhen erhielt. Sie
kaufte den drusischen Bewohnern von
Beit Jan ein Stück Land ab, mit der Absicht,
ein Naturschutzgebiet zu errichten.
Als Har Zahav es nicht realisieren konnte,
erlaubte ihr Ariel Sharon, damals Wohnbauminister,
nach einem alternativen Gebiet
in Galiläa zu suchen. Man wurde in
Kadita fündig, wo die Gräber einiger berühmten
Rabbiner aus dem ersten Jahrhundert
als Pilgerstätte dienen.
„Ich gründete 1991 einen Verein mit
dem Ziel, eine ökologische Siedlung in
Kadita zu errichten“, erzählt Moshe Elbaz,
studierter Landwirt. „Ich wollte mit meiner
Familie im Einklang mit der Natur leben.
Dafür erhielt ich sogar den Segen von
Sharon.“ In einem offiziellen Schreiben
bestätigte das Ministerium seine Unterstützung
für die Errichtung der Siedlung.
Es belegt auch, dass die israelische Landverwaltung
die Bodenverteilung an die
Siedler:innen durchführen würde. Auf
der Grundlage dieser Vereinbarung wanderten
20 Familien in die Siedlung ein. Sie
bauten provisorische Häuser und begannen,
das Land zu kultivieren. Mittlerweile
leben knapp 200 Menschen in dem alternativen
und autarken Dorf, in dem sie ihren
eigenen Strom, ebenfalls durch Solarund
Windkraft, erzeugen.
„Leider haben sich die Staatsbeamten
nicht an ihr Versprechen gehalten und
viele Häuser um die Ortschaft herum ab-
Was als sozioökologische Bewegung
begonnen hat, steht heute
möglicherweise vor dem Aus.
„Die Menschen hier
verfolgen eine umweltbewusste
Agenda.
Sie gründeten
den Ort, um in Einklang
mit der Natur
zu leben.“
Moshe Elbaz
* Mit Jischuw bezeichnet man die jüdische Bevölkerung und das
Gemeinwesen in Palästina vor der Gründung des Staates Israel.
** Der Moschaw ist im Unterschied zum Kibbuz eine genossenschaftlich
organisierte ländliche Siedlungsform, deren Güter sich
teils in Kollektiv-, teils in Privateigentum befinden.
gerissen“, erzählt Elbaz. „Sie haben uns
Hindernisse in den Weg gelegt und nur
die Gründerfamilien anerkannt. Die Regionalverwaltung
wollte kein ökologisches
Dorf, sondern eine Gemeinschaftssiedlung
mit mehr als 150 Wohneinheiten.“
Daneben soll auch ein Komitee gegründet
werden, das über die Aufnahme in die
Siedlung entscheidet. Der Agronom sieht
darin eine Zerstörung von Kadita: „Die
Menschen hier verfolgen eine umweltbewusste
Agenda. Sie gründeten den Ort,
um in Einklang mit der Natur zu leben
und nicht, damit Spekulanten das meiste
Geld bieten, um hier eine Stadt zu bauen
und den Wald zu zerstören. Wir sind ökologische
Beduinen und gekommen, um zu
bleiben.“
Während sich die ökologischen Dörfer
als regionale Zentren für Bildung und
nachhaltiges Leben bezeichnen, sieht der
Staat deren Bewohner:innen als Kriminelle
an, die illegal Land besetzen. In Kadita
und Klil dauert der Rechtsstreit schon
Jahrzehnte, zwischen den Parteien dominieren
Misstrauen und Feindseligkeit.
„Es wurden auf allen Seiten Fehler ge-
20 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 20 25.07.23 14:13
Zerstörte Lebens(t)räume
„Die Bewohner
von Klil
und Kadita
sind Pioniere
und leben den
zionistischen
Traum.“
Eyal Ansbacher
macht“, erklärt Uri Ilan, Vorsitzender des
Bezirksausschusses in Nord-Israel. „Der
Staat ließ sie anfangs gewähren, und die
Siedler:innen nutzten diese Situation aus.
Viele wollten das Gesetz in seiner jetzigen
Form auch nicht durchsetzen, denn dann
hätte man die Häuser der Gründerfamilien
sofort abgerissen.“
Nach ersten gescheiterten Versuchen
des Staates und der Anwohner:innen, einen
Rahmenplan zu vereinbarten, wurde
vor zehn Jahren ein Ausschuss eingerichtet,
um grundsätzliche Planungsfragen sowie
die gesetzliche Regelung der Wohneinheiten
festzulegen. So gab es zwar eine
Erweiterung für beide Dörfer, aber auch
den Abriss Dutzender Häuser, die weiter
entfernt von den Siedlungen gebaut worden
waren. „Wir hatten keine Wahl“, sagt
Ilan vom zuständigen Bezirksausschuss.
„Das oberste Gericht Israels beschloss ihre
Auflösung.“
Ziel war es, den bestehenden Bauzustand
mit der Notwendigkeit der Erhaltung
von Grünflächen und einer akzeptablen
Basis für die Bewohner:innen
in Einklang zu bringen und gleichzeitig
Landressourcen zu schonen sowie die
Grenzen benachbarter Orte und ihrer Territorien
zu berücksichtigen. Doch trotz Erstellung
des Rahmenplans wurde dieser je
hinterlegt noch gefördert. Aufgrund der
fehlenden genauen Definition des Begriffs
„ökologische Siedlung“ sind diese weiterhin
gesetzlich umstritten: „Laut Thora
ist es für das jüdische Volk eine Mitzwa
(hebr., Gebot), ganz Eretz Israel zu besiedeln.
Alle Regionen Israels, einschließlich
der ödesten Gebiete“, erläutert Eyal Ansbacher
aus Klil. Dass der Staat sich querstellt,
versteht er nicht, und er erklärt,
dass die Siedlungen in Galiläa nicht mit
denen in Judäa und Samaria zu vergleichen
sind. Letztere werden von der internationalen
Gemeinschaft als illegal eingestuft.
„Die Bewohner von Klil und Kadita
sind Pioniere und leben den zionistischen
Traum: Das Volk Israel im Lande Israel“,
erklärt der Yogi.
wına-magazin.at
21
Jul_Aug_23.indb 21 25.07.23 14:13
Land und Müll
Ariel-Sharon
Park: Aus einer
gefährlichen Mülldeponie
wurde
ein ökologisches
Vorzeigeprojekt.
Der einstige Müllberg
von Hiriya. 2011 wurde
hier mit der Umgestaltung
der Deponie begonnen.
Kreativ und innovativ
Vom Müllberg zum Vorbild für Nachhaltigkeit:
Israels Ideen gegen die Abfallkrise
Von Viola Heilman
In den letzten Jahren hat sich in Israel
ein bemerkenswerter Wandel
im Umgang mit Abfall vollzogen.
Noch vor einigen Jahren war der
riesige Müllberg neben der Autobahn
vom Flughafen Ben Gurion
nach Tel Aviv nicht zu übersehen. Umgeben
von vielen Vögeln und übelriechenden Gerüchen,
war diese Deponie eine der größten
in ganz Israel. Doch im Jahr 1998 wurde
der Hiriya Waste Mountain (Hiriya Müllberg)
aufgrund von Umweltproblemen wie
kontaminiertem Grundwasser und giftigen
Gasen geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt
hatte der Berg eine Höhe von 60 Metern
und es lagerten 25 Millionen Tonnen Abfall.
Erst im Jahr 2011 wurde die Deponie
endlich gemäß den Plänen des deutschen
Landschaftsarchitekten Peter Latz in einen
Park umgestaltet, der den Namen Ariel-
Sharon-Park trägt. Der Architekt entwickelte
eine bioplastische Schutzplane für
den Boden, um die Pflanzen vor Kontamination
durch Methan und andere Gase zu
schützen. Neben der Gestaltung des Naherholungsgebiets
wurden auch Restaurants,
ein Amphitheater, Sport- und Bildungs-
einrichtungen errichtet. Die Arbeiten sollen
bis Ende 2023 abgeschlossen sein. Der
Park wird dann dreimal so groß sein wie der
Central Park in New York. Darüber hinaus
wurde am Fuße des ehemaligen Müllberges
eine Recyclinganlage aus drei Komponenten
errichtet: ein Abfalltrennungszentrum,
eine Grünabfallanlage zur Produktion von
Mulch und eine Baustoff-Recyclinganlage.
Das Zentrum hat eine Kapazität zur Verarbeitung
von einer halben Million Tonnen
Müll pro Jahr und ist damit die größte Abfallverwertungsanlage
im Nahen Osten.
Das Müllproblem in Israel muss in den
kommenden Jahren dringend gelöst werden.
Im Jahr 2022 produzierten Israelis
im Durchschnitt 690 kg Abfall pro Person,
während der Durchschnitt der OECD-Länder
bei 538 kg lag. Fünf Mülldeponien sollen
voraussichtlich in den nächsten drei
bis vier Jahren geschlossen werden, während
das Müllaufkommen jährlich um 2,6
Prozent zunimmt. Das schnelle Bevölkerungswachstum,
die Urbanisierung und
veränderte Konsummuster führen zu einer
erhöhten Abfallmenge. Die begrenzte
Fläche des Landes verschärft das Problem
und limitiert den verfügbaren Platz für
die Abfallentsorgung. Hinzu kommen ein
mangelndes öffentliches Bewusstsein für
Mülltrennung und Abfallvermeidung sowie
eine begrenzte Recyclinginfrastruktur,
die das Problem weiter verschärfen.
In den letzten Jahren hat die israelische
Regierung verschiedene Gesetze zur Abfalltrennung
und zum Recycling verabschiedet,
darunter das Pfand-, Recycling-, Verpackungs-
und Reifengesetz. In kleinen
Gemeinden ist das Umweltbewusstsein
höher als in den Städten. Auch die Bauindustrie
passt sich langsam der dringenden
Notwendigkeit an, umweltfreundlicher zu
agieren. In neu errichteten Wohntürmen
werden beispielsweise hydraulische Mülltrennungssysteme
für nassen und trockenen
Abfall installiert, um bereits eine Vorabsortierung
zu ermöglichen.
Plastiknation Israel. Die israelische Bevölkerung
verbraucht sehr viel Wasser aus
Plastikflaschen. 1999 wurde ein verpflichtendes
Pfandgesetz für Getränkehersteller
erlassen, das im Oktober 2021 erneut erweitert
wurde. Das Pfand variiert je nach
© mfa, p.d. via Wikimedia; Xinhua / Eyevine / picturedesk.com
© TIPA Compostable Packaging; HomeBiogas
22 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 22 25.07.23 14:13
Kreative Zukunftsmodelle
© mfa, p.d. via Wikimedia; Xinhua / Eyevine / picturedesk.com
© TIPA Compostable Packaging; HomeBiogas
Größe der Flaschen zwischen 0,30 NIS und
1,20 NIS (ungefähr 0,30 EUR). So soll es für
die Konsumenten einen Anreiz geben, die
Flaschen nicht im Hausmüll zu entsorgen.
Denn Plastikabfall ist in Israel besonders
problematisch. Neben Plastikflaschen gehört
auch Einweggeschirr in vielen Haushalten
zur Grundausstattung. Jedes Jahr
geben Israelis fast 500 Millionen Euro für
Plastikartikel aus. Trotz Umwelt- und Gesundheitsbedenken
ist Einwegplastik oft
günstiger, als den Geschirrspüler zu bedienen.
Ein Bericht des Parlaments ergab,
dass Haredi-Familien (ultraorthodoxe Familien)
aus einkommensschwachen Gemeinden
dreimal mehr Plastikartikel verwenden
als der Rest der Bevölkerung.
Aufgrund größerer Familien, häufiger
Schabbat-Mahlzeiten mit vielen Gästen
und einer generell höheren Verwendung
von Einwegartikeln entsteht ein höheres
Abfallaufkommen.
Die Strände Israels, insbesondere in und
um Tel Aviv, gehören zu den am stärksten
durch Plastik verschmutzten im gesamten
Mittelmeerraum: Einwegplastik macht
zwischen 70 und 90 Prozent des im Meer
und Sand gefundenen Mülls aus. Plastikmüll
ist somit das größte Verschmutzungsproblem
an Israels Stränden.
Aber Veränderungen brauchen Zeit
und nicht nur die Motivation der Bevölkerung,
sondern auch alternative Ansätze.
Die Lösung des israelischen
Müllproblems
benötigt einen
ganzheitlichen Ansatz,
der technologischen
Fortschritt,
(o.) Ein Sack
voll Müll: Die
Innovation von
HomeBiogas
verwandelt
Hausmüll
in wertvolle
Energie.
(u.) Kompost
statt Plastikmüll:
TIPA
stellt kompostierbare
Lebensmittelund
Kleidungsverpackungen
her.
In den letzten
Jahren sind
in Israel zahlreiche
Unternehmen
entstanden,
die
sich mutig der
Lösung des internationalen
Müllproblems
widmen.
politische Reformen
und gesellschaftliches Engagement
kombiniert. Israels innovative Start-up-
Szene hat bereits Lösungen entwickelt, die
international eingesetzt werden. Aufbauend
auf der Annahme, dass ein Bewusstsein
für die Müllvermeidung viel länger
dauern wird, als das Problem des wachsenden
Müllaufkommens sofort zu beheben,
haben sich zahlreiche Firmen der Kreislaufwirtschaft
verschrieben.
Was aus Müll wieder werden kann. Vor allem
für die Verarbeitung von Plastik gibt es bereits
eine Vielzahl an Unternehmen mit innovativen
Lösungen. Ein Beispiel ist TIPA
(tipa-corp.com), die mithilfe spezieller Bakterien
kompostierbare Lebensmittel- und
Kleidungsverpackungen herstellt, die bereits
in den USA eingesetzt werden.
Clariter (clariter.com) beschäftigt sich mit
dem Upcycling von Plastik und wandelt
Kunststoffe mithilfe chemischer Stoffe in
hochwertige Wachse, Öle und Lösungsmittel
um. Diese stellen eine Alternative zu fossilbasierten
Grundstoffen, wie Petroleum,
dar und werden in zahlreichen Indust-
rie- und Verbraucherprodukten verwendet.
Clariter ist in Polen und Südafrika tätig
und hat auch ein Werk in Israel.
UBQ (ubqmaterials.com) im Kibbuz
Tze’elim verarbeitet nahezu 100 Prozent
aller Haushaltsabfälle in eine karamellartige
Flüssigkeit, die für kompostierbaren
Spritzguss und Biokunststoffe weiterverwendet
wird. In den UBQ-Werken in Israel
und Belgien werden unzählige Tonnen
Müll verarbeitet – dabei entsteht gereinigter
Kunststoff, der für jede Art von Produkt
verwendet werden kann, die der Markt verlangt.
Schon jetzt werden in den USA Mülltonnen
aus diesem Material hergestellt,
und die Nachfrage dafür ist
riesig, da die globale Kunststoffindustrie
für Spritzguss einen Marktanteil
von 325 Milliarden US-Dollar
hat.
Noch ein weiteres Unternehmen
namens TripleW (triplew.com) hat
Lösungen für Lebensmittelabfälle
entwickelt, die mittels Bakterien
zu Biokunststoffen recycelt werden
können. In Supermärkten gibt
es bereits Gemüse- und Obstschalen
aus Maisstärke, doch TripleW
erweitert seine Rohstoffe für die
Wiederverarbeitung und verwendet
sämtliche Lebensmittelabfälle,
einschließlich Fleischreste.
HomeBiogas (homebiogas.com) verwertet
Essensreste in einer Biogasanlage
für den Haushalt und wandelt sie
in Gartendünger um. Diese kleine Anlage
funktioniert wie ein automatisierter Kompostplatz.
Im Gerät befinden sich Bakterien,
die die Essensreste zu Gas für Kochstellen
und Dünger für den Garten verarbeiten.
Die kleinste Anlage kostet rund 900 Euro
und wird zerlegt verschickt. Die Hersteller
von HomeBiogas exportieren ihre Anlagen
auch nach Afrika, wo es viele Dörfer ohne
Müllentsorgung gibt.
In den letzten Jahren sind in Israel zahlreiche
Unternehmen entstanden, die sich
mutig der Lösung des internationalen
Müllproblems widmen. Durch die Einführung
innovativer Recyclingtechnologien,
Sensibilisierungskampagnen und
die Umsetzung von Kreislaufwirtschaftspraktiken
kann Israel sein Abfallmanagementsystem
zu einem Vorbild für Nachhaltigkeit
machen. Mit Entschlossenheit,
Kreativität und einem starken Engagement
für den Umweltschutz hat Israel das Potenzial,
diese Herausforderung zu bewältigen
und eine Vorreiterrolle in nachhaltigem
Abfallmanagement einzunehmen.
wına-magazin.at
23
Jul_Aug_23.indb 23 25.07.23 14:13
Nationales Modeimperium
„Weniger ist mehr“
Von Arbeitshemden, Uniformen und dem „Deppen-Hut“
Khakihemden, weite Shorts und der berühmte „Kova Tembel“ prägten über Jahrzehnte
das Bild des „typischen Israelis“. Produziert wurden diese Kleidungsstücke
von ATA, dem legendären Textilgroßunternehmen, das von zwei Einwanderern aus
Österreich-Ungarn gegründet worden war.
Von Daniela Segenreich-Horsky
Beinahe jeder im Land hatte ihn –
den Kova Tembel. Der oft etwas
lächerlich aussehende Baumwoll-Sonnenhut,
in wörtlicher
Übersetzung der „Deppen-Hut“, war noch
vor der Staatsgründung und dann über
viele Jahrzehnte hinweg das Symbol der
Pioniere, die den Staat aufbauten, und des
„Israelischen“ schlechthin. Das New Yorker
Museum of Modern Art (MoMA) setzte
die schlichte Kopfbedeckung aus Baumwolle
in einer Ausstellung an die Seite von
Modeklassikern wie den Levy-Jeans, dem
„kleinen Schwarzen“ (Cocktail-Kleid) von
Coco Chanel oder dem Trench Coat von
Burberry und war somit wesentlich beteiligt
an der Wiederentdeckung des Hütchens
als Must-have-Accessoire.
Der Palmach-Kommandant und spätere
israelische General Yigal Alon bildete
die Ausnahme der Regel und trug
statt des Kova Tembel lieber einen australischen
Buschhut Er soll dazu bemerkt
haben: „Mit dem australischen Buschhut
sieht jeder Depp aus wie ein Held, aber der
Kova HaMikve [so wurde der Kova Tembel
anfangs genannt, nach der Landwirtschaftsschule
Mikwe Israel, Anm.] macht
aus jedem Helden einen Deppen.“
Richtig berühmt und zum nationalen
Symbol wurde der Kova Tembel dann
durch „Srulik“, den kleinen Israeli in
den Cartoons des legendären Zeichners
Kariel Gardosh, die unter dem Kürzel
„Dosh“ viele Jahrzehnte lang in israelischen
Tageszeitungen erschienen. Srulik
hatte dazu ein kurzärmliges Khakihemd,
Shorts und Sandalen – das gleiche Outfit,
das auch Premierminister Ben-Gurion
täglich trug, ebenso wie die meisten anderen
Politiker, Militärs und hebräischen
Arbeiter.
Produziert wurden alle diese Kleidungsstücke
seit 1934 von ATA, der von
Erich und Hans Moller geführten Fabrik,
die das Bild des „modernen Hebräers“ –
und natürlich auch der modernen Hebräerin,
vor allem der Frauen im Kibbuz –
über ein halbes Jahrhundert lang prägte.
Erich Moller stammte aus einer jüdischen
Industriellenfamilie in Ostrava, sein Cousin
Hans Moller folgte ihm vier Jahre später
aus Wien nach Palästina.
Innerhalb eines Jahres errichtete Moller
im damaligen Kfar Ata, heute Kiriat
Ata, die Textilfabrik inklusive der gesamten
Infrastruktur: Behausungen für die
Angestellten, Zufahrtsstraßen aus dem
benachbarten Haifa, Elektrifizierung des
gesamten Gebiets und Wasserversorgung
durch einen neuen Brunnen. ATA war das
erste Unternehmen, das vom Garn bis
zum letzten Finish alles selbst erzeugte.
Die ersten 20 Arbeiter ließ Moller im Familienunternehmen
in der Tschechoslowakei
ausbilden, bevor er sie nach Palästina
brachte. Es gab auch eine eigene Tochterfirma
für die Distribution, und bald entstanden
im Land zahlreiche ATA-Stores,
schon damals alle mit einem einheitlichen
Erscheinungsbild. Das Textilunternehmen
wurde schnell zum größten im Land.
Die Bekleidung war betont einfach,
funktionell und haltbar und wurde zum
Symbol israelischer Werte und des zionistischen
Lebensgefühls. Es ist also nicht
überraschend, dass Ben-Gurion auf allen
Fotos beinahe ausschließlich im ATA-Outfit
zu sehen ist. Um dieses Bild zu vervollständigen,
wurde später der Name ATA,
ursprünglich nach dem Standort der Fabrik
in Kfar Ata, vom berühmten hebräischen
Schriftsteller S. Y. Agnon zum Akronym
für „Arigei tozeret arzeinu“ erklärt,
was in etwa bedeutet: „Textilien ,made‘
in unserem Land.“ Im Zweiten Weltkrieg
wurde ATA dann zum größten Lieferanten
von Zelten, Uniformen, Unterwäsche
und Socken für die britische Armee im
Nahen Osten. Und nach der Staatsgründung,
inzwischen hatte Hans Moller allein
die Führung des Konzerns übernommen,
kleidete ATA dann auch die israelischen
Soldaten ein und war außerdem in der Zeit
der „Zena“, der Rationierung, auch in der
zivilen Mode federführend, denn die Regierung
gab rationierte Coupons für ATA-
Bekleidung an alle aus. Man kann also mit
ziemlicher Sicherheit sagen, dass in jenen
Jahren jeder israelische Bürger zumindest
ein ATA-Stück im Kleiderschrank hatte.
Die Einfachheit der Kleidung, ohne Verzierung
oder Musterung, wurde in gewisser
Weise auch zelebriert, wollte man
sich doch von den „bourgeoisen Juden“ in
Europa abzeichnen. Und sie scheint auch
dem Geschmack der Mollers entsprochen
zu haben. So ließen Hans und Anny Moller
noch in den 1920er-Jahren ihre Villa in der
Starkfriedgasse in Wien vom Wiener Star-
Architekten Adolf Loos entwerfen, dessen
Doktrin – „weniger ist mehr“ und „Ornament
ist Verbrechen“ – eine neue Epoche
im Design einleitete.
Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren
gab es Versuche, die Kleidung mehr an die
© Matson (G. Eric and Edith) Photograph Collection, Library of Congress, Washington D.C; AFP / picturedesk.com; Jewish National Fund photo archive / Yacov Rosner
24 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 24 25.07.23 14:13
Wiederbelebung einer Ikone
© Matson (G. Eric and Edith) Photograph Collection, Library of Congress, Washington D.C; AFP / picturedesk.com; Jewish National Fund photo archive / Yacov Rosner
aktuelle Mode anzupassen.
Es wurden Designer engagiert
und neben den Standardkollektionen
auch
„moderne“ Damenkleider
produziert. Das Unternehmen
blieb noch drei Jahrzehnte
führend auf dem
Sektor der Arbeitskleidung,
doch in der Freizeitmode
wurde die Konkurrenz immer
stärker, und die jungen
Israelis wollten mehr
und mehr mit den internationalen
Trends mithalten.
Intern gab es immer
mehr Dispute im Management
und Streit mit den Arbeitern, und
die große Zeit von ATA war vorbei. 1985,
nach einem weiteren großen Streik, ging
die Firma schließlich bankrott, und die
2.800 Angestellten wurden entlassen.
Erst beinahe drei Jahrzehnte später, inspiriert
von einer umfangreichen Ausstellung
über den Textilgiganten, der das Erscheinungsbild
des typischen Israelis so
wesentlich mitgestaltet hatte, initiierten
der Unternehmer Shahar Segal und
„Man kann
,nicht moderne‘
Kleider
tragen und
trotzdem stillvoll
sein. […]
Trends machen
uns alle
zu Opfern.“
Yael Shenberger
ATA zählte über Jahrzehnte zu
den größten Bekleidungsbetrieben
Israels und prägte das
modische Gesicht des Landes.
die Modedesignerin Yael
Shenberger ein Remake
der ATA-Mode. Dabei versuchten
sie, ATAs Werte,
wie Simplizität, Funktionalität,
Qualität und Tragekomfort,
zu erhalten
und an die heutigen funktionellen
Ansprüche und unsere moderne
Ästhetik anzupassen. Die neuen ATA-Geschäfte
vermitteln ein Flair des ursprünglichen
Israel und sind gleichzeitig zeitgemäß.
Die Produkte sind ausschließlich aus
Baumwolle, werden lokal produziert und
sollen lange verwendbar sein.
In einem Interview mit der Tageszeitung
Haaretz erklärt Shenberger, dass
Mode für ein Kleidungsstück zweitrangig
sein sollte. Es soll der Trägerin oder dem
Träger zu Diensten sein und nicht umgekehrt:
„Man kann ,nicht moderne‘ Kleider
tragen und trotzdem stillvoll sein. Wenn
das Stück von exzellenter Qualität, ästhetisch
und angenehm ist, dann besitzt
man etwas, das unbezahlbar und zeitlos
ist. Trends machen uns alle zu Opfern – ein
trendiges Stück verpflichtet uns zu einem
gewissen Stil, und im Jahr darauf müssen
wir dann wieder einen ganz anderen Stil
tragen.“
Natürlich ist auch der gute alte Kova
Tembel wieder mit dabei und gehört angeblich
zu den meistverkauften Stücken.
Die ikonischen weichen Sonnenhütchen
werden mittlerweile teilweise von palästinensischen
Arbeitern produziert, in hoher
Qualität, wie die Chefdesignerin versichert,
und in neuen Farben.
wına-magazin.at
25
Jul_Aug_23.indb 25 25.07.23 14:13
NACHRICHTEN AUS TEL AVIV
Das Erbe des
David Josef Grün
Ben-Gurions Bedeutung ist unumstritten.
Doch das, was sein Erbe für heutige Generationen
bedeutet, variiert zunehmend.
s ist nicht sicher, ob David Ben-Gurion
den Bau eines Luxushotels auf
dem Gelände seines Kibbuzes für gut
geheißen hätte. Aber da steht es nun
stolz, am Eingang von Sde Boker – ein
sandfarbener Bau im orientalischen Stil, gut passend
zur Wüstenlandschaft. Die Gäste können im
Schwimmbad chillen, danach wunderbar essen,
lokalen Wein probieren und mit einem Experten
zur Nachtsafari aufbrechen. Dabei geht es mit dem
Jeep durch den Negev, auf den Spuren von Füchsen,
Hasen, Stachelschweinen, Skorpionen und
Spinnen. Letztere lassen sich mit Hilfe von Ultraviolettlampen
gut sichtbar machen. Sie bauen sich
im Sand winzige Höhlen, samt perfekt gezimmertem
Deckel, der sich auf und zuklappen lässt. Eine
ganz eigene Welt liegt da verborgen.
Auf der Suche nach Lebewesen, die besonders
in der Dunkelheit aktiv sind, geht es auch durch
Felder, auf denen massenweise Kale angebaut
wird. Schon lange gibt es keinen Markt mehr in
Tel Aviv ohne dieses Superfood. Aber es war der
Gegenentwurf zur Großstadt, den unser junger
Guide hier gesucht hat, als er vor einem Jahr aus
Haifa hierher gezogen ist. Sein Wissen stammt aus
der Zusammenarbeit mit einem Zoologen, viel
Von Gisela Dachs
Diese Oase mag sich zwar weit ab von
allem befinden, sie symbolisiert aber trotzdem
das Herz des Zionismus.
mehr aber noch durch genaue Beobachtung. Er
kennt die Gegend wie seine Westentasche.
Junge Leute, die in den Süden gezogen sind, um
ihre Lebenserfahrung zu erweitern, gibt es noch
mehr. Das Hotelmanagement hat einen Deal mit
dem Kibbuz geschlossen. Soldaten, die nach dem
Pflichtdienst entlassen wurden, können sich hier
in einem mehrmonatigen Programm in der Branche
ausbilden lassen. Die beiden jungen Frauen,
die gerade an der Bar bedienen, gehören dazu. Sie
wohnen während der Zeit im Kibbuz.
Diese Oase mag sich zwar weit ab von allem befinden,
sie symbolisiert aber trotzdem das Herz
des Zionismus. Denn direkt neben der Hoteleinfahrt
steht David Ben-Gurions berühmte „Hütte“.
Israelische und ausländische Besucher kommen
hierher, um sich anzusehen, wo der damals frisch
zurückgetretene Ministerpräsident ab 1953 mit
seiner Frau Paula bis zu seinem Tod gelebt hat
(bis auf eine längere Unterbrechung, als er in die
Politik zurückgerufen wurde). Der schlichte Containerbau
ist damals eigens für das Paar errichtet
worden. Alles ist genauso geblieben, wie Ben-Gurion
es verlassen hatte, als er 1973 verstarb. Dies
war sein Wunsch, so stand es in seinem Testament.
Seine Aufnahme in den Kibbuz im Jahr 1952
war damals keine Selbstverständlichkeit. In einem
Brief hatte Ben-Gurion die Mitglieder
schriftlich darum gebeten. Ihn hatte der Pioniergeist
der Gründer fasziniert, als er bei einem Besuch
in der Gegend deren Anfangsbemühungen
sah. Niemals habe er „jemand anderen, die Eigenschaften
eines anderen oder das Eigentum
eines anderen beneidet“, hieß es in
© Shabtai Tal, CC-BY-SA-4.0 wikimedia
26 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 26 25.07.23 14:13
© Shabtai Tal, CC-BY-SA-4.0 wikimedia
seinem Brief. „Aber als ich Sde Boker besuchte,
konnte ich nicht anders, als eifersüchtig und neidisch
zu sein. Warum sollte ich es nicht verdient
haben, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein?“
Im Kibbuz wurde ausführlich über diese Bitte
diskutiert: Ben-Gurions Prominenz, abgewogen
gegenüber der Tatsache, dass er bereits ein älterer
Mann war. Die Abstimmung ging knapp aus,
eine Mehrheit mit nur einer Stimme war dafür.
Am Ende durften er und seine Frau dazustoßen.
Die bescheidene „Hütte“ mit Arbeitsraum,
Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche ist heute
ein Museum. Alles ist tatsächlich so geblieben wie
damals, einschließlich der Hausschuhe und des
Geschirrs in der Küche. Ringsherum aber hat
sich der Kibbuz erweitert, heute lebt er von einer
Klebebandfabrik, Tourismus, Weinanbau. Es
gibt ein Café namens Paula, in dem auch Olivenöl
verkauft wird, und eine Hundepension. Durchreisende
nach Eilat lassen gerne im Urlaub ihre
Haustiere hier. Auf dem Weg zur „Hütte“ gibt es
neuere Bauten. Sie beherbergen das Archiv Ben-
Gurions. Dort wird auch in Filmen seine persönliche
Geschichte erzählt, die unweigerlich mit
der Geschichte des Staates verbunden ist. Schüler-
und Soldatengruppen kommen oft hierher.
Gerade wartet eine Gruppe von etwa zwanzig
Rekrutinnen darauf, dass die Videoshow beginnt,
Sie beginnt damit, wie ein gewisser David Grün
sich 1906 in Polen im Alter von zwanzig Jahren auf-
„Aber als ich Sde Boker
besuchte, konnte
ich nicht anders, als
eifersüchtig und neidisch
zu sein.“ David Ben-
Gurion in seinem Antrag
auf Aufnahme in den
Kibbuz, in dem er von
1953 an bis zu seinem
Tod lebte.
Seine Stimme ertönt seit Monaten bei den
samstäglichen Großdemonstrationen gegen
die Justizreform: Man hört, wie er die
Unabhängigkeitserklärung verliest.
macht, nach Eretz Israel einzuwandern; vier Jahre
später veröffentlicht der künftige Staatsgründer
seinen ersten Artikel in HaAchdut, der Zeitung der
zionistischen Arbeiterbewegung, unter seinem
neuen Namen: Ben-Gurion.
Seine Bedeutung ist unumstritten, was sein
Erbe für heute bedeutet, schon weniger. In Tel
Aviv jedenfalls war und ist Ben-Gurion gerade
präsenter denn je. Da gibt es seine einstige Wohnung,
heute ebenfalls ein Museum. Nicht weit davon,
am Frishman Beach, steht die bunte Skulptur,
die David Ben-Gurion bei seinem legendären
Kopfstand zeigt. Seine Stimme ertönt seit Monaten
bei den samstäglichen Großdemonstrationen
gegen die Justizreform: Man hört, wie er die Unabhängigkeitserklärung
verliest. Dabei laufen seine
Worte in großen Lettern über eine Hausfassade zu
Beginn der Kaplan-Straße. Und neuerdings sieht
man in der Menge neben den unzähligen israelischen
Flaggen immer öfters auch einen selbstgebastelten
hellen Wuschelkopf.
wına-magazin.at
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Jul_Aug_23.indb 27 25.07.23 14:13
Panzer auf langen Wegen
© JALAA MAREY / AFP / picturedesk.com
Das israelische Verteidigungsministerium hüllte sich in
Schweigen. Ja, man exportiere erstmals den in Israel entwickelten
und gebauten schweren Kampfpanzer „Merkava“.
Wohin, wolle man nicht sagen. Dabei handle es sich um bis zu 200
Exemplare älterer Baureihen. Die Geräte stehen seit einiger Zeit auf
Halde, wurden aber regelmäßig gewartet. Dennoch drohte ihnen bereits
die Verschrottung.
Nun, mit dem seit mehr als eineinhalb Jahren wütenden Krieg in
der Ukraine, hat sich die Nachfrage in der globalen Rüstungsbranche
dramatisch verändert. Überall fehlt Material, ob Munition oder
schweres Gerät. Der Westen hat einen Gutteil seiner Bestände an die
Ukraine übergeben, die Lager leeren sich mit hoher Geschwindigkeit.
Und die Entwicklung und Produktion neuer Panzer dauert mehrere
Jahre. Daher sind auch ältere Modelle wieder am Markt gefragt.
Alles Schweigen in Tel Aviv und Jerusalem nutzte nichts, internationale
Militärblogger und einschlägige europäische Fachmagazine
konnten sehr schnell die Kunden der israelischen Panzer
herausfinden. Es handelt sich dabei um Zypern und um Marokko.
Warum diese beiden Länder?
Die Bestellungen haben auch mit dem Krieg in der Ukraine zu
tun. Israel liefert zwar kein Kriegsmaterial, obwohl die russische
Seite iranische Drohnen in großem Umfang gegen militärische und
zivile Ziele schickt – zu wichtig ist Israel das Stillhalten der russischen
Luftwaffe und modernen Fliegerabwehr in Syrien bei seinen regelmäßigen
Einsätzen gegen die dortigen iranischen Aktivitäten –, doch
an komplexen Kreislaufgeschäften kann sich Israel beteiligen. Notwendig
ist dazu allerdings das grüne Licht aus Washington, denn der
Panzer enthält Komponenten aus US-Produktion, etwa den Motor.
Das Geschäft funktioniert laut Berichten von Rüstungsexperten
so: Marokko und Zypern halten in ihren Beständen russische Panzer
der Typen T72 und T80, teilweise direkt aus Russland, teils via
Belarus beschafft. Marokko hat zuletzt 130 seiner 148 russischen T72
an eine tschechische Firma zur Kampfwertsteigerung und elektronischen
Modernisierung geschickt. Von dort sollen allerdings nur
wenige nach Nordafrika zurückgekommen sein, 74 gingen direkt in
die Ukraine, es sollten noch mehr werden. Zypern wiederum verfügt
derzeit über rund 80 T80, die – nach Ersatz durch israelische „Merkavas“
– dann ebenfalls für den Kriegseinsatz zur Verfügung stünden.
Es handelt sich dabei zwar um Modelle, die nicht mit dem modernen
deutschen „Leopard“ oder dem amerikanischen „Abrams“
vergleichbar sind. Aber die ukrainische Armee kann damit ohne zusätzliche
Einschulung professionell umgehen und füllt eigene Verluste
in ihrer Panzertruppe unmittelbar auf.
Der „Merkava“ ist ein mehr als 60 Tonnen schwerer Kampfpanzer.
Er wurde Ende der 1970er-Jahre in Israel entwickelt. Zuvor war
eine einschlägige Zusammenarbeit mit Großbritannien geplant gewesen.
Doch nach einem französischen Embargo, das vor allem die
Luftwaffe traf, entschieden sich auch die Engländer auf arabischen
Druck hin, die Kooperation einzustellen. Israel musste selbst einen
modernen Panzer bauen.
Der „Merkava“ unterscheidet sich von fast allen anderen Modellen
auf dem Markt durch seinen vorne liegenden Motor. Damit wird
die Besatzung besser vor direktem Beschuss geschützt. Diese Bauweise
ermöglicht überdies die Nutzung des rückwärtigen Bereichs
für andere Zwecke, etwa zum Transport von verwundeten Soldaten.
Der Panzer wurde in zahlreichen bewaffneten Konflikten eingesetzt
und nach diesen Erfahrungen laufend modernisiert. Aktuell hält die
israelische Armee IDF bei der Version IV. Diese ist vollgestopft mit
Elektronik und verfügt auch über ein aktives Raketenabwehrsystem,
das seine Effizienz bereits in Gaza unter Beweis gestellt hat.
Panzer-Exporte
Bis zu 200 ältere „Merkava“-Panzer wird
Israel nach Zypern und Marokko liefern.
Sie ersetzen dort russisches Material, das
für die Ukraine bestimmt ist.
Von Reinhard Engel
Business auf Umwegen:
Israel ist an komplexen Kreis
laufgeschäften beteiligt.
28 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 28 25.07.23 14:13
HIGHLIGHTS | 02
Vom Gangsta Rapper zum Chassiden
Sein Lebensweg führte Hip-Hop-Musiker Nissim Black aus der rauen
Vorstadt von Seattle in die chassidische Gemeinde in Beith Shemesh.
Musik ist die universelle Sprache
der Menschheit – Poesie ist ihr
universeller Zeitvertreib und
ihre Freude. Sie hat die Kraft, zu inspirieren,
zu kommunizieren und zu heilen –
Musik bringt Menschen zusammen. Und
das genau tut auch Nissim Black: Seine
Musik ist mehr als nur eine Kombination
aus Hip-Hop und Spiritualität – sie ist ein
Spiegelbild seines Glaubens und seines
Engagements, die Welt zu einem besseren
Ort zu machen. Durch seine Zusammenarbeit
mit vielen bekannten Künstlern
der Hip-Hop- und jüdischen Musikszene,
wie Matisyahu, Y-Love und A-WA, sowie
Auftritte bei renommierten Veranstaltungen
wie der AIPAC Policy Conference und
dem Israel Day Concert hat Nissim Black
es geschafft, seine einzigartige Mischung
aus jüdischer Spiritualität und Hip-Hop
einem breiteren Publikum zugänglich zu
machen.
Der ehemalige Gangsta Rapper wurde
1986 in Seattle, Washington, als Damian Jamohl
Black geboren. Er wuchs bei seiner
alleinerziehenden Mutter auf – Armut und
Gewalt haben ihn von klein auf begleitet:
„I didn’t grow up on the streets. The streets
grew up in my house.“
Als Teenager entdeckte er die Welt des
Hip-Hop und machte sich schnell einen
Namen als talentierter Rapper. Mit 20 Jahren
stand er bereits unter Vertrag, sein Debütalbum
The Black Miracle kam 2006 auf
den Markt. Doch trotz oder eben dank
seines wachsenden Erfolgs spürte Nissim
eine Leere in seinem Leben, wie er immer
wieder erzählt. Also begab er sich auf eine
spirituelle Reise, um diese Leere zu füllen.
Sie führte ihn nach Umwegen über den
Katholizismus und das messianische Judentum
schließlich zum in Melilla geborenen
Rabbiner Shimon Benzaquen. Er begann
mit ihm die Thora zu studieren und
fand dabei seine spirituelle Heimat. Black
und seine Frau Adina, die seit der Highschool
an seiner Seite steht, konvertierten
2013 zum Judentum und zogen 2016
zusammen mit ihren Kindern nach Israel.
Heute lebt die neunköpfige Familie in Beit
Shemesh und ist dort Teil der chassidischen
Gemeinde.
Black verbringt seinen Alltag mit dem
Studium in einem chassidischen Kollel
(Studiensaal), er macht Musik, tourt um
die Welt und veröffentlicht Songs und Videos
im Internet. Sein größter Hit, Mothaland
Bounce, dessen Lyrics sich wie eine
Kurzbiografie lesen, hat über fünf Millionen
Aufrufe auf YouTube. Den Song sieht er
auch als Antwort auf den zunehmenden
Antisemitismus, der in letzter Zeit – auch
in der Hip-Hop-Szene – unter anderem
vom Rapper-Kollegen Kanye West angeheizt
wurde. Das hat Black, der in seiner
Jugend Inspiration bei West fand, besonders
verletzt. Dennoch sieht er ihn nicht
als Bedrohung an.
„Wir müssen diese Entwicklung mit
mehr Liebe und mehr Licht begegnen“,
sagte er in einem Interview für das Jewish
Journal. Und weiter: „Wir sollten Menschen,
die Großes leisten, unterstützen
und Negatives mit Liebe bekämpfen.“
Black möchte mit seiner Musik,
seiner bevorstehenden Fernsehshow
und seinem wohltätigen
Engagement, „dass alle sehen,
dass Haschem sie liebt, sagte er
vor Kurzem in einem Interview.
Ganz in diesem Sinne wird Nissim
Black auch im Dezember als
Stargast bei der Chanukka-Gala der
IKG Wien für liebevolle und großartige
Stimmung sorgen. red
TIPP
Chanukka-Gala 2023
Die Israelitische Kultusgemeinde Wien
(IKG) widmet ihre Chanukka-Spenden-Gala
am 12. Dezember 2023 in
den Wiener Sofiensälen armutsgefährdeten
Kindern der Gemeinde. Die
Erlöse aus dem Tischverkauf und der
Live-Auktion dieser magischen Nacht
der Lebensfreude und der Wunder
werden für Schulstipendien verwendet.
Am Gala-Abend werden neben
Nissim Black auch Ina Regen und
Oberkantor Shmuel Barzilai zu sehen
und zu hören sein.
www.chanukka-gala.at
„G-tt hat mich von all dem Negativen in meinem Leben
erlöst, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich bin es ihm
schuldig, die Gaben, die er mir gegeben hat, zu nutzen,
um mich selbst und die Welt mit ihm zu verbinden.“
Nissim Black
Bald zu Gast in
Wien: Menschen,
die Großes
und vor allem
Gutes leisten,
will Nissim Black
unterstützen.
© Management Nissim Black; Yaminhashem CC BY-SA 3.0
wına-magazin.at
29
Jul_Aug_23.indb 29 25.07.23 14:13
Suche einer Tochter
Der Kampf um die
Ehre des Vaters
Ilse Nusbaum, in Wiener Neustadt geboren,
feiert heuer ihren 90. Geburtstag in Los Angeles.
Die studierte Pädagogin und Autorin erzählte
dem WINA-Magazin, wie sie zur Urheberin
eines Mahnmals an der WU Wien wurde.
Von Marta S. Halpert
usdauer und Kampfgeist sind ihr auch
im 90. Lebensjahr nicht abzusprechen:
Ilse Nusbaum antwortet auf jedes Mail
aus Wien in Minutenschnelle, trotz Zeitunterschied
zu ihrem Wohnort in Los Angeles
– und das auch ausführlich. Obwohl
sie erst viereinhalb Jahre alt war, als ihr
Vater Karl Löwy sie gemeinsam mit ihrer
schwangeren Mutter sicher aus Österreich
nach Amerika brachte, ließ sie
die Vergangenheit nie los.
Dieses Vergangene hatte eigentlich in
Eisenstadt in der Ruster Straße 31 begonnen:
„Meine Eltern waren am 2. September
1933 bei meinem mütterlichen Großvater,
dem beliebten Gemeindearzt Dr.
Jakob Braun, in Markt Piesting zu Besuch.
Da meine Mutter frühzeitige Wehen bekam,
wurde sie von dort ins Spital nach
Wiener Neustadt gebracht – und so kam
ich zu diesem Geburtsort“, erzählt Ilse
Nusbaum.
Diese geburtstechnischen Details wurden
der Eisenstädterin erst viel später erzählt.
Was sie aber mit Wien von Jugend
an verbunden und belastet hat – auch all
die Jahre in den USA –, war die bittere Erfahrung
und Enttäuschung ihres Vaters,
die ihn bis zu seinem plötzlichen Tod im
Herbst 1970 begleitete. Karl Löwy wurde
1902 in Oggau am Neusiedler See geboren,
seine Mutter war Antiquitätenhändlerin,
sein Vater arbeitete in Eisenstadt in
der bekannten Weinhandlung Wolf.
Bereits 1923 legte Karl Löwy seine Diplomprüfung
an der Hochschule für Welthandel
ab und unterrichtete bald darauf
an der Kaufmännischen Wirtschaftsschule
in Eisenstadt. 1931 inskribierte er
erneut an der „Welthandel“ mit dem Ziel,
in Handelswissenschaften zu promovieren.
Seine Dissertation Der Weinbau in Österreich
– Wirtschaftsgeographische Untersuchungen
reichte er am 20. Januar 1938
ein. Die hierfür erforderlichen Gebühren
hatte er bereits am 12. Januar entrichtet.
Obwohl in den Gutachten, die zwei Professoren
der Hochschule über die Doktorarbeit
verfassten, die Zulassung zum
Zweiten Rigorosum empfohlen wurde,
verwehrte die Universität Löwy die Teilnahme
an der Prüfung mit dem ausdrücklichen
Hinweis auf seine Zugehörigkeit
zum Judentum: „da mosaisch zu
den Rigorosen nicht zugelassen“.
„Löwy gehörte somit zu den wenigen
jüdischen Doktoranden, denen durch die
Hochschule für Welthandel der Abschluss
des Doktoratsstudiums aus ,rassischen‘
Gründen verwehrt wurde“, schreibt Johannes
Koll* 2014 im Gedenkbuch der
WU. „Außerdem verlor Löwy seine Anstellung
an der Eisenstädter Wirtschaftsschule
– ,wegen notwendig gewordener
Personaländerungen‘, wie die antisemitischen
Säuberungen im Arbeitszeugnis
vom 15. März 1938 verschleiert bezeichnet
wurden.“
„Ich kenne die Weinberge von Baden
nur von Bildern. Aber hier waren zwei
Onkel von mir Winzer, die ihren Wein
in Wien verkauft haben. Es war also kein
Wunder, dass mein Vater über die Weinwirtschaft
geschrieben hat“, erzählt die
Tochter. Nach der brutalen Verweigerung
des Studienabschlusses erkannte
Karl Löwy sehr schnell, wie gefährlich die
Situation werden würde. „Jedenfalls begannen
meine Eltern bereits im Februar
1938 mit den Vorbereitungen, um Österreich
zu verlassen. Sie verkauften unser
Haus in Eisenstadt, das sie erst 1936 erstanden
hatten, und suchten um amerikanische
Visa an.“
Am 12. April 1938 erhielt Löwy die ersehnten
Ausreisepapiere für seine Frau
Martha, die kurz vor der Geburt von Ilses
Bruder Paul stand, und der damals vierjährigen
Tochter. „Der Weg in die Emigration
führte die Familie Löwy zunächst
quer durch das Deutsche Reich nach
Hamburg. Von hier aus gelangte man
so gut wie mittellos auf der ,S.S. Hamburg‘
nach New York“, recherchierte Johannes
Koll. „Da man vorher alles von
30 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 30 25.07.23 14:13
Wiener Dissertation
Ilse Nusbaum setzte sich
viele Jahre lang um die
postume Anerkennung
der durch das NS-Regime
abgelehnten Dissertation
ihres Vaters ein.
Wert hatte veräußern müssen, verfügte
man nur noch über Gelder für Lebensmittel
und die erzwungene Ausreise. Pro
Person war der Familie lediglich zugestanden
worden, acht Dollar für die Einreisesteuer
mitzunehmen“, so Professor
Koll. Ilse Nusbaum, die ihren Eltern sehr
dankbar ist, dass sie sie trotz beschränkter
Mittel ins Radcliffe College in Harvard
schickten, ist eine zierliche Frau, die als
Mutter von drei Töchtern sehr früh verwitwete.
„Wir hatten großes Glück, dass
wir überlebten, denn das österreichische
Kontingent für Visa in die USA war auf
etwa 700 beschränkt.“
Der Familienname wurde von Löwy auf
Lowy anglisiert, und die Eltern sprachen
nie mehr Deutsch, nicht einmal untereinander.
Karl fand zunächst Arbeit in einem
Kaufhaus in Detroit, wo er in einer Lagerhalle
Kisten entlud. An der Wayne State
Der Familienname
wurde von Löwy auf
Lowy anglisiert, und
die Eltern sprachen
nie mehr Deutsch,
nicht einmal untereinander.
Ilse Nusbaum:
Denial.
Lulu.com,
468 S., € 16,10
University in Detroit erwarb der Familienvater
einen Mastertitel und arbeitete
danach als Wirtschaftsprüfer. „Aber die
Frage, was aus seiner Dissertation geworden
ist, ließ ihn sein ganzes Leben nicht
los. 1970 schließlich wollte er der Sache
nachgehen, buchte für sich und meine
Mutter den Flug und ein Hotel in Wien“,
erinnert sich Tochter Ilse. „Kurz vor der
Abreise erlitt er einen Herzinfarkt und
starb. Erst nach dem Tod meiner Mutter
im Jahr 2008 las ich alle Unterlagen aus
Wien, die sie aufbewahrt hatte: Da wurde
mir bewusst, dass ich diesem Trauma
meines Vaters, das auch unser Familienleben
nachhaltig prägte, unbedingt nachgehen
muss.“
Suche nach der Dissertation des Vaters. Die
erfahrene Autorin und Pädagogin begann
zu recherchieren und fand tatsächlich
den Titel der Dissertation, Weinbau in
Österreich, der in einem Artikel über Wein
zitiert wurde. „Ich kontaktierte sofort das
Archiv der Wirtschaftsuniversität Wien
(WU) und bin zum Glück an Regina Zodl
geraten“, freut sie sich noch heute. „Sie
versprach mir, nach der Dissertation zu
suchen, und ein paar Wochen später lag
eine Kopie in meinem Postkasten. Ich war
überwältigt.“
Das Original bekam Nusbaum erst 2011
zu Gesicht, als sie mit ihrer Tochter Anne
vom Jewish Welcome Service nach Wien
eingeladen wurde. „Wir hatten ein ganz
tolles Programm, aber ich bestand doch
wına-magazin.at
31
Jul_Aug_23.indb 31 25.07.23 14:13
Gemeinsamer Forschungserfolg
darauf, einen Nachmittag auf die WU zu
gehen. Da lernte ich im Archiv Regina
Zodl persönlich kennen, seither nenne
ich sie immer ‚meine Heldin‘.“ Auf der
Rückseite des Dokuments sah Ilse zum
ersten Mal einen Hakenkreuz-Stempel
und den Satz: „Zu den Rigorosen nicht zugelassen,
da mosaischen Glaubens.“ „Ich
kann das Gefühl nicht beschreiben, was
für ein Gruseln über mich kam. Gleichzeitig
war das natürlich die smoking gun,
also der Beweis, dass mein Vater einzig
und allein aufgrund der Tatsache, dass er
Jude war, seinen Doktortitel nicht bekommen
hatte.“
Mit diesem Besuch hat die damals
78-jährige Amerikanerin einen Prozess
in Gang gesetzt, der nicht nur ein
virtuelles Gedenkbuch, sondern auch
ein Forschungsprojekt sowie in dessen
Folge ein Mahnmal zeitigte. Nur der einzige
Wunsch der Tochter wurde nicht erfüllt:
„Ich habe vorgeschlagen, dass man
meinem Vater seine Doktorwürde postum
verleihen könnte. Aber das war auf
Grund der österreichischen Gesetze nicht
möglich. Ich war ziemlich wütend: Österreichische
Gesetze? Schon einmal haben
,Österreichische Gesetze‘ verhindert,
dass mein Vater sein Recht bekam. Und
jetzt wieder?“, erregt sich Ilse Nusbaum
noch heute, fügt aber gleich darauf hinzu:
„Aber dann begannen sie mit einem ganz
wunderbaren Projekt, und es ging alles
sehr schnell.“
Die persönliche Begegnung mit der
Tochter von Diplomkaufmann Karl Löwy
verfehlte die Wirkung auch auf die Archivarin
Zodl nicht: „Wir haben zu recherchieren
begonnen und dabei entdeckt,
dass zu dieser Zeit insgesamt 15 Dissertationen
beanstandet worden sind. Dreizehn
davon wurden später aber anerkannt,
weil die Personen nach den
‚Nürnberger Rassengesetzen‘ ‚nur Halbjuden‘
waren“, erzählt Zodl. Die zwei abgelehnten
Doktoranden waren eben Karl
Löwy und Arthur Luka**. Letzterer wurde
1941 nach Minsk deportiert und dort erschossen.***
„Es wurde uns klar, dass wir etwas tun
mussten. Ich bin sehr froh, dass wir so
die Möglichkeit bekommen haben, die
Geschichte der jüdischen Kolleginnen
und Kollegen aufzuarbeiten, die 1938 an
der alten ,Hochschule für Welthandel‘
als Studenten oder Lehrkräfte tätig waren“,
freut sich Zodl. 2012 startete die WU
ein Forschungsprojekt, das sich mit der
„Ich bin sehr froh, dass wir
so die Möglichkeit bekommen
haben, die Geschichte
der jüdischen Kolleginnen
und Kollegen aufzuarbeiten, die 1938 an
der alten ,Hochschule für Welthandel‘ als
Studenten oder Lehrkräfte tätig waren.“
Regina Zodl
* Am 26. Juli 2017 überreichte PD Dr. Johannes Koll in Los
Angeles das erste Exemplar des von ihm herausgegebenen
Sammelbandes „Säuberungen“ an österreichischen
Hochschulen 1934–1945. Voraussetzungen, Prozesse,
Folgen (Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2017) an Ilse
Nusbaum, die Tochter von Karl Löwy. Mit ihrer Anfrage an
die Wirtschaftsuniversität Wien nach dem Verbleib der
Doktorarbeit ihres Vaters hatte sie den Anstoß zu jenem
Gedenkprojekt gegeben, aus dem auch das Gedenkbuch
hervorgegangen ist.
** Als sich Arthur Luka (geb. 1882 in Lemberg) zum Wintersemester
1936–1937 an der Hochschule für Welthandel
für ein Doktoratsstudium einschrieb, hatte er bereits drei
Doktortitel erworben. An der Universität Wien hatte er
an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät
(1904) sowie an der Philosophischen Fakultät (1914)
promoviert, ebenso an der Philipps-Universität Marburg
(Deutschland) zum Doktor der Medizin (1924–1925).
*** Zur Erinnerung an sein Schicksal wurde am 6. Juni 2016
ein Schild mit seinem Namen in Blagowschtschina
aufgehängt – jenem Wäldchen, in dem die Deportierten
nahe Maly Trostinec erschossen wurden. Eine Initiative
von Waltraud Barton und IM-MER, Initiative Malvine –
Maly Trostinec erinnern.
VIRTUELLES GEDENKBUCH:
Die Biografien der Opfer sind in einem virtuellen Gedenkbuch
abrufbar. Sie gründen auf Recherchen in Archiven
und in Opferdatenbanken, die von angesehenen
Institutionen, wie dem Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes (Wien) oder Yad Vashem
(Jerusalem) im Internet bereitgestellt werden. In
wenigen Einzelfällen war es möglich, Interviews mit betroffenen
Zeitzeugen zu führen.
gedenkbuch.wu.ac.at/
Geschichte der ehemaligen Hochschule
für Welthandel zur Zeit des „Anschlusses“
und der NS-Herrschaft beschäftigte.
Jene Studierenden, die aufgrund ihres jüdischen
Glaubens oder ihrer Opposition
zum NS-Regime daran gehindert wurden,
ihren Abschluss zu machen, sollten identifiziert
werden.
Zunächst arbeitete man an einem digitalen
Gedenkbuch. Durch die Übersiedlung
auf den neuen Campus im 2. Bezirk
entstand dann die Idee eines Mahnmals.
28 Absolventen und Studentinnen der
Akademie der bildenden Künste beteiligten
sich an dieser Ausschreibung. Die Arbeit
des Künstlers Alexander Felch wurde
an zentraler Stelle am neuen Campus errichtet
und am 8. Mai 2014 die Skulptur
präsentiert: Insgesamt 120 Namen der
Opfer sind zu einer Kugel aus Niro verbunden.
Weitere Namen können noch
hinzugefügt werden, bewusst sind auch
Leerstellen eingebaut. „Ich kam mit meiner
Tochter Anne zur Einweihung, das
war eine sehr emotionale Geschichte“, erinnert
sich Nusbaum. „Es wurde mir auch
für die Anregung zur Durchführung des
Gedenkprojekts gedankt.“
Auf einen Film über Ilse Nusbaum dürfen
wir noch hoffen, denn der österreichische
Filmregisseur und Drehbuchautor
Stephanus Domanig hat seine Recherchen
dazu bereits 2015 begonnen. „Ich
habe Ilse damals in Los Angeles kennen
und schätzen gelernt, als ich den Film
Das erste Jahrhundert des Walter Arlen über
den Wiener Musiker und Komponisten
Arlen (Uraufführung 2018 bei der Viennale)
dort drehte.“ Für sich selbst und ihre
große Familie in den USA – Ilses drei Töchter
sind auch schon teilweise Großmütter
– hat sie in der englischen Autobiografie
Denial (Verweigerung) die traurig-beklemmende
Geschichte ihres Vaters dokumentiert,
aber noch immer nicht verarbeitet.
32 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 32 25.07.23 14:13
LEBENS ART
Sommer für immer!
1
1. Ring frei?
Die Wassermelone ist im Sommer
ja eine echte Allrounderin. Sie eignet
sich nicht nur als superleckerer
Snack (etwa mit Minze und
Feta!), sondern auch als lässige
Pool-Begleiterin.
Z.B. über otto.de
3
2
Sonnenschutz,
Eiswürfel und hier
noch ein paar Dinge,
auf die wir außerdem in
den kommenden Wochen
nicht verzichten
möchten.
7
9
2. Runde Sache
Erinnert an Israels saftige Jaffa-
Orangen, nimmt Feuchtigkeit allerdings
besonders gut auf und
trocknet schnell: Das runde
Handtuch aus Microfaser kann
nicht nur am Pool zum Einsatz
kommen, sondern auch als Unterlage
beim Yoga.
Z.B. über amazon.de
3. Coole Tasche
Die wahrscheinlich schönste
Kühlbox der Welt kommt in fünf
verschiedenen Softeistönen und
bietet dank eines Volumens von
ca. 12 Litern im Inneren Platz für erfrischende
Getränke plus Snacks.
Die Polarbox ist zudem robust
und leicht zu reinigen.
Z.B. über xxxlutz.at
4. Keine
Schattenseiten
Der UV-beständige Mondello
ist sogar bei schlechtem Wetter
eine gute Partie: Die solide Stoffbespannung
ist feuchtigkeitsbeständig,
und der Gartenschirm
verfügt über einen robusten
Holzmast und verstärkte
Streben aus flexibler Glasfaser,
die zusammen seine Standfestigkeit
bei Windböen erhöhen.
Z.B. über beliani.at
4
5
6
5. Wie bei Pipi
Die kunterbunten Stoffservietten
der New Yorker Designerin
Susan Alexandra kommen
im Viererpack in den wundervollen
Farben Soiree-Marineblau,
Slipper-Pink, Playa-Gelb
und Flieder.
susanalexandra.com
8
6. Auf großem Fuß
Diese Kinderflossen lassen sich
leicht an- und ausziehen und
hinterlassen niedliche maritime
Spuren im Sand. In verschiedenen
Farben, aber leider nur bis
Größe 35 erhältlich.
Z.B. über smallable.com
7. Fliegender
Regenbogen
Kicken, werfen, baggern, pritschen:
Mit diesem Freizeitball
von Remember ist alles
möglich. Und durch die unempfindliche
Oberfläche aus
Neopren darf er sogar nass
werden.
Z.B. über nostalgieimkinderzimmer.de
8. Teilchen
in Tumult
Dieses kreisförmige Puzzle feiert
die unerschütterliche Freude
des jüdischen Lebens: Essen!
Auf 500 Teilen sind „die 100 jüdischsten
Lebensmittel“ versammelt,
eine selbstverständlich
höchst umstrittene Zusammenstellung.
Z.B. über moderntribe.com
9. Pfoten-Training
Dieser Guide ist ein echter
Heuler und beantwortet Ihnen
etwa die Frage, ob die Erziehungsregeln,
mit denen man
seine Kinder erzieht, eigentlich
auch direkt auf das Hündchen
angewendet werden können.
Z.B. aus zweiter Hand über
medimops.de
Fotos: Hersteller
33 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 33 25.07.23 14:13
Fußballnation Israel
Rot-weiße Liebe –
100 Jahre Hapoel Tel Aviv
Der erfolgreiche Klub entstand aus der zionistischen
Arbeiterklasse. Doch Fußball in Israel
bedeutet auch, politische Rivalitäten auszutragen.
Von Tal Lederer
Im Song Meine Roten spricht der
israelische Sänger Arik Einstein
über eine niemals endende Liebe.
Der Künstler besang dabei seine
erste rot-weiße Leidenschaft, die
er als Licht seines Lebens sah. Was er aber
als seine Seele und Gruppe beschrieb, war
nicht die Offenbarung seines Herzens an
einen geliebten Menschen, sondern an
den Fußballclub Hapoel Tel Aviv, der diesen
Sommer sein 100-jähriges Jubiläum
feiert. Der 2013 verstorbene Liedermacher
und Schauspieler widmete anlässlich
des Double-Gewinns in der Saison
1999–2000 dieses Musikstück seinem
Herzensverein.
„Nur einem Fußballclub kann man
treu sein“, lacht Doron Ben Bassat, Ex-
Vereinsarzt von Hapoel. „Diese Liebe
kann man nicht austauschen. Wäre Arik
Einstein noch am Leben, hätte er ihnen
ein neues Lied zum Ehrentag gewidmet.“
Dem 70-jährigen Fußballfan und
mittlerweile pensionierten Orthopäden
wurde die Liebe zu den „Roten“ praktisch
in die Wiege gelegt. Seine Eltern waren
jüdische Einwanderer aus Bulgarien, die
sich in Jaffa niederließen. Er wuchs in der
Nähe des Bloomfield Stadions auf, das
mittlerweile mehr als 29.000 Sitzplätze
bietet und wo neben Hapoel (hebräisch:
der Arbeiter) auch die Stadtrivalen Maccabi
und Bnei Yehuda ihre Heimspiele
austragen. „Mein Vater führte die Vereinsgaststätte“,
erzählt Ben Bassat. „Und
meine Mutter putzte in der Sportanlage.
Ich war ständig von Fußball umgeben und
kickte in der Hapoel-Jugend.“ Aufgrund
einer Verletzung musste er seine Sportkarriere
aufgeben. Nach seinem Medizinstudium
blieb er seinem Verein jedoch
treu und wurde Teil des Ärzteteams.
„Ich hatte immer ein rotes Herz“, sagt er.
„Und ein Großteil von Tel Aviv schon seit
100 Jahren.“
Tatsächlich war Ende Juli 1923 die Geburtsstunde
von Hapoel Tel Aviv F. C., der
aber bald darauf aufgelöst wurde. In den
Jahren 1925 und 1926 wurde er jeweils neu
gegründet, doch erst die Fusion mit dem
F. C. Allenby ein Jahr später gab dem Klub
seine moderne Form. Der Verein spielt
seit 1932 – als die höchste Spielklasse des
Landes eingeführt wurde – in der „Ligat
ha’Al“, von der er nur 1989 und 2017 abstieg.
Allgemein gehören die Roten zu den
erfolgreichsten Fußballteams Israels, mit
13 Meisterschaften – und 16 Pokalsiegen.
Während sie 1967 sogar die asiatische
Champions League gewinnen konnten,
erreichte Hapoel in der Saison 2010–2011
die Gruppenphase der UEFA Champions
League, wo sie den letzten Platz belegten.
Der Klub hat seine Ursprünge in der
zionistischen Arbeiterbewegung und ist
Teil des Hapoel-Sportverbands, der in
Kombination mit dem roten Hammerund-Sichel-Abzeichen
die Verbundenheit
zum Sozialismus darstellt. Er war 70
Jahre im Besitz der Histadrut, des israelischen
Gewerkschaftsdachverbands, weshalb
seine Anhänger oft als Kommunisten
bezeichnet wurden. „Er war der letzte
Verein, der formelle Verbindungen zur
Politik abbrach“, erklärt David Marciano,
langjähriger Sprecher der Hapoel-Ultras.
„Trotzdem stehen unsere meisten Fans
der israelischen Linken nahe. Der Verein
setzte sich stets gegen Rassismus und für
eine jüdisch-arabische Koexistenz ein.“
Der 62-jährige Taxifahrer wuchs in
den Armenvierteln von Tel Aviv auf, wo
es viele Anhänger von Hapoel gab. Während
er sich als Jugendlicher zu Beginn
noch Straßenschlachten mit arabischen
Gleichaltrigen lieferte, kam es aufgrund
der Unterstützung der Roten in beiden
Lagern irgendwann zur Verbrüderung.
Und so schwenken sie gemeinsam Flaggen
mit den Gesichtern von Che Guevara
und Karl Marx sowie Banner mit dem Slogan
„Arbeiter aller Länder, vereint euch!“
Die Ultras pflegen Freundschaften mit
vielen anderen antifaschistischen Fanszenen,
wie z. B. dem FC St. Pauli. TV-Umfragen
beweisen, dass Hapoel Tel Aviv nach
Maccabi Haifa die zweitbeliebteste Fußballmannschaft
unter den israelischen
Arabern ist. „Fußball ist in Israel nicht nur
Sport, sondern auch Politik“, sagt Marciano.
„Maccabi gegen Hapoel Tel Aviv ist
© Tal Lederer; Government Press Office Israel CC BY-SA 3.0
34 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 34 25.07.23 14:13
Spiegel der Gesellschaft
Fußball ist stehts auch ein
Spiegel der Gesellschaft. Hapoel-Spieler
beim Aufmarsch
am 01. Mai 1949 in Tel Aviv (o.)
Graffiti der Hapoel-Ultras in
Tel Aviv (u.).
© Tal Lederer; Government Press Office Israel CC BY-SA 3.0
das wichtigste Spiel des Jahres. Ich gewinne
lieber das Derby und steige ab, als
Meister zu werden und es zu verlieren.“
„Im Fußball geht es
nämlich nicht um
Leben oder Tod, sondern
um viel mehr.“
Ben Bassat
Die Rivalität beider Vereine – die die größten
Vertreter der einflussreichsten Strömungen
im israelischen Fußball sind – besteht
seit 100 Jahren. Während Hapoel aus
der Arbeiterklasse entstand, wurde Maccabi
1906 als zionistische Sportbewegung
gegründet, deren Ziel es war, jüdischen
Sport zu fördern. Bei ihnen stand die Verbindung
von physischer Fitness und Nationalismus
im Vordergrund. Es ging um
Stolz und Wettbewerb. Der erfolgreichste
Klub Israels ist für Hapoel-Fans ein rotes
Tuch, seine Anhänger werden von ihnen
als „Deutsche“ und „Nazis“ beschimpft.
„Fußball ist das Spiegelbild der Gesellschaft“,
sagt Rifaat Turk, legendärer
Spieler von Hapoel Tel Aviv. „Von der politischen
Dimension ist das Spiel gegen
Beitar Jerusalem sogar wichtiger. Ein Sieg
gegen den Klub der Rechtsnationalen ist
eine Genugtuung für uns.“
Der heute 68-Jährige war der erste
Araber, der für die israelische Nationalmannschaft
spielte und das Land bei
den Olympischen Spielen 1976 in Montreal
vertrat. Während er aufgrund seiner
Herkunft von gegnerischen Fans und
Spielern angefeindet wurde, wurde er im
Laufe der Jahre zu einem überaus beliebten
Sportler und setzte sich für ein harmonischeres
Zusammenleben von Juden
und Arabern in Israel ein. Als Mitglied der
linksgerichteten Meretz-Partei wurde er
nach seiner Karriere 2003 zum stellvertretenden
Bürgermeister Tel Avivs gewählt.
„Es ist heute schwieriger geworden,
den israelischen Fußball bestimmten
Parteien zuzuordnen“, erklärt er. „Wie die
Gesellschaft, so sind auch die Fans diverser
geworden. Zwar existiert die sozialistische
Idee bei Hapoel nicht mehr, aber
das Underdog-Gefühl ist präsent.“
Auch wenn die Roten sich immer noch
als idealistischer Verein geben, werden
sie heute privat geführt. Zwar besingen
ihn seine Fans als liebenswerten Verlierer
– wie der Sänger Arik Einstein in seinem
Lied Fahr langsam –, doch auch bei Hapoel
geht es um Triumphe und Geld.
„Seit den 1970er-Jahren balanciert der
Klub zwischen erfolgreich und authentisch
sein“, erzählt Doron Ben Bassat, der
Ex-Arzt der Roten. „Alle paar Jahre steht
auch Hapoel vor dem Scheideweg, der
über seine sportliche Zukunft entscheidet.“
Das Vereinsmotto war stets:
Bringt uns um, wir sind schon hinüber.
Ben Bassat hofft, dass seine
große Leidenschaft weiterbestehen
wird, trotz des inneren Widerspruchs:
„Im Fußball geht es nämlich
nicht um Leben oder Tod, sondern um
viel mehr.“
wına-magazin.at
35
Jul_Aug_23.indb 35 25.07.23 14:13
Fußball nahegebracht
Über Superjoden, die Yid Army
und Partisan*Rothschild
Die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Wien befasst
sich mit jüdischer Identität im Fußballstadion und
beeindruckt damit auch eine Fußballbanausin.
Von Alexia Weiss
macht einen Fußballklub
zu einem „jüdi-
Was schen Klub“? Die
Spieler? Die Funktionäre? Die Financiers
und Sponsoren? Die Fans? Braucht
es dazu überhaupt Juden und Jüdinnen?
Und wie spielt Antisemitismus in die Fankultur
mit hinein? Bis heute finden sich
beispielsweise in Wien im öffentlichen
Raum immer wieder Graffiti, auf denen
die Austria als jüdischer Verein – und das
durchaus im negativen Sinn – angeprangert
wird. „Tod dem FAK“, ist da etwa zu lesen
– das A wurde durch einen Davidstern
ersetzt.
Als bekannt wurde, dass sich das Jüdische
Museum Wien (JMW) in seiner
neuen Ausstellung mit dem Thema Fußball
befasst, sei die Erwartungshaltung
vieler gewesen: Da werde die Hakoah im
Mittelpunkt stehen, schilderte Museums-
Die Wiener Austria, ein
jüdischer Fußballklub?
Das Jüdische Museum
Wien klärt auf.
direktorin Barbara
Staudinger am Dienstag
bei der Presseführung
durch die Schau
Superjuden. Jüdische
Identität im Fußballstadion.
Die Ausstellung,
kuratiert von Agnes
Meisinger und Staudinger
selbst, verhandelt
allerdings
etwas ganz anderes:
Wie sich jüdische
Geschichte in
die Gesamtgeschichte
eingeschrieben hat.
Meisinger und Staudinger
picken sich also nicht nur
den einen jüdischen Fußballklub heraus
(der aber natürlich in der Schau eingangs
schon erwähnt wird), sondern sie
sehen sich an, wie insgesamt fünf Klubs –
zwei österreichische (First Vienna FC und
FK Austria Wien) und drei internationale
(FC Bayern München, Ajax Amsterdam und
Tottenham Hotspur FC) zum Attribut kamen,
jüdische Klubs zu sein. Auch hier enttäuschen
sie vermutlich die Erwartungshaltung
mancher: Nein, es werden hier
nicht einfach der Reihe nach alle jüdischen
Spieler und Funktionäre porträtiert.
Was die Schau – auch für eine bekennende
Fußballbanausin wie mich – so interessant
macht: Hier werden die Mechanismen
aufgezeigt, wie Klubs, aber auch
Fangruppen zu einer jüdischen Identität
kommen, wie diese dann im Zusammenspiel
mit rivalisierenden Fans in Antisemitismus
ausarten kann, aber auch, dass in
Zeiten der Globalisierung manche Fanattitüde
befremdlich ist, die Klubs aber wenig
Handhabe haben: Sie leben von den Fans,
Verbote fallen da schwer.
Was ist gemeint? Die Heimstätte von Tottenham
Hotspur befindet sich im Londoner
East End, dort hatte sich um 1900 eine
Gemeinde von Juden und Jüdinnen aus
Osteuropa etabliert. So zog der Klub auch
vermehrt jüdische Fans an. Antisemitismus
war im 20. Jahrhundert auch in England
präsent. Während der NS-Zeit kam es auch
in London zu einem Anstieg judenfeindlicher
Äußerungen, dabei bürgerte sich
der abwertende Begriff „Yid“ ein. In den
1970er-Jahren wurden Fans und Spieler
von Tottenham Hotspur von gegnerischen
Fans als „Yids“ und „Yiddos“ diffamiert. Daraufhin
eigneten sich die Tottenham-Fans
„Yids“ als Selbstbezeichnung an und nannten
sich eben „Yids“ oder „Yid Army“, schildert
Meisinger.
Doch die Zeiten hätten sich geändert,
betont Staudinger. Wenn heute dann ein
nichtjüdischer Fan, der, wie in vielen Ultra-Verbänden
üblich, durchaus zu Gewalttätigkeit
neige, laut „Yid“ brülle, könne das
etwa israelische Touristen verstören. Der
Klub bemühe sich daher, diesen Ausdruck
hintanzuhalten – verbieten kann er es aber
nicht. Am Ende sind die Fans eben doch die
Könige im Fußball.
Stichwort Verstörung israelischer Besucher:
Der Film Superjuden – titelgebend für
die neue Schau im JMW (zu sehen bis 14.
Jänner 2024) – wurde von der in Amsterdam
lebenden israelischen Filmemacherin
Nirit Peled 2013 gedreht. Sie geht darin
der Frage nach, warum sich Fans von
Ajax Amsterdam den Beinamen „Superjoden“
angeeignet haben. Man kann sich die
Dokumentation im Rahmen der Schau anschauen,
und ja, da geraten auf der eigenen
Wahrnehmungsebene Dinge schon gehörig
durcheinander, wenn man da gewaltbereite
Hooligans sieht, die sich Davidsterne
tätowieren haben lassen und in Massen israelische
Fahnen schwenken. Kritiker meinen,
diese Vereinnahmung führe auch zu
Antisemitismus. Doch wie dem begegnen?
Tatsächlich stellt sich hier auch für mich
die Frage: Wenn sich auf einem Wiener
Straßenzug FAK-Schriftzüge finden, deren
A allesamt durch Davidsterne ersetzt wurden,
wie wird das dann gelesen? Von Rapid-Anhängern
und -Anhängerinnen wohl
„nur“ als Bashing des gegnerischen Vereins
Austria. Wie aber nehmen das Menschen
wahr, die mit Fußball und Fußballfankultur
wenig am Hut haben? Da prangt also
ein rasch hingesprayter Davidstern – und
erinnert an historisch sehr dunkle Zeiten,
etwa an jene Sterne, die mit weißer Farbe
auf die Schaufenster von Geschäften von
Juden und Jüdinnen geschmiert wurden.
Die Schau – in ihrer Architektur (Robert
Rüf) einer Fankurve nachempfunden
– wartet aber auch mit einigen sehr
charmanten Objekten auf. Da ist etwa
© JMW / Tobias de St. Julien
36 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 36 25.07.23 14:13
Fan-Identität
Wie kamen die Farben
zu den Klubs und auf
die Fanartikel? Die Ausstellung
erzählt davon.
© JMW / Tobias de St. Julien
ein Austria-Fan-Schal mit der
Aufschrift „Tempelfront Seitenstetten
Boyz“ aus dem Jahr
2005 (zur Austria kommt übrigens
auch der bekennende
Austria-Fan und IKG-Präsident
Oskar Deutsch zu Wort) oder
ein T-Shirt der Vienna-Fangruppe
„Partisan*Rothschild“.
Dieses 2012 gegründete Fankollektiv
griff auf die Gründungsgeschichte
des Vereins zurück
– und diese erzählt wiederum
ein interessantes Stück Stadtgeschichte,
das aufzeigt, dass
jüdische Geschichte mit der allgemeinen
Geschichte gemeinsam erzählt werden
muss – man kann sie nicht einfach herauslösen.
[…] dass
jüdische
Geschichte
mit der allgemeinen
Geschichte
gemeinsam
erzählt
werden
muss.
gen Zusehenden, konnten sich bei einem
Spiel hier an die 100.000 Menschen versammeln.
Der Vienna gehörte nach dem Zweiten
Weltkrieg mit Hans Menasse auch ein jüdischer
Spieler an. Er gewann
mit der Vienna 1955 die österreichische
Fußballmeisterschaft
und spielte zwei Mal
auch im Nationalteam. Seine
Geschichte ist insofern bemerkenswert,
als Menasse (1930–
2022) als Achtjähriger zusammen
mit seinem Bruder Kurt
mit einem Kindertransport
nach England in Sicherheit gebracht
werden konnte. Dort
spielte er vor seiner Rückkehr
nach Österreich in englischen
Regionalauswahlen und hatte
sogar ein Angebot von Arsenal
FC. In der öffentlichen Wahrnehmung galt
Menasse jedoch als „der Engländer“, aber
nicht als ein 1938 in Österreich verfolgter
und von hier vertriebener Jude.
Bitter liest sich in diesem Kontext auch
die Geschichte der Wohnung der Menasses
in der Döblinger Hauptstraße: Sie wurde
vom langjährigen Vienna-Verteidiger Karl
Rainer enteignet („arisiert“) und bezogen.
Rainer hatte zuvor schon ein Lederwarengeschäft
in unmittelbarer Nähe in gleicher
Weise an sich genommen.
Dass der erfolgreiche Fußballer Hans
Menasse von den Nationalsozialisten verfolgt
worden war, wurde medial durch die
Bank totgeschwiegen. Beklemmend auch
dieses Detail, nachzulesen im umfassenden
Katalog zur Schau: „Hans Menasse er-
Pins der „Yid Army“,
2022.
Wie der englische Fußball nach Wien kam.
Nathaniel Mayer Freiherr von Rothschild
ließ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
auf der Hohen Warte eine große
Garten- und Parkanlage errichten, die
„Rothschildgärten“. Dazu ließ er britische
Landschaftsgärtner nach Wien holen –
und diese brachten den Fußball mit. Um
die Gärten zu schützen, unterstützte er die
Fußballspielenden finanziell, damit sie einen
Verein gründen und eine Wiese außerhalb
seiner Parkanlage mieten konnten.
So wurde 1894 die Vienna gegründet. Als
Klubfarben wurden die Farben des Hauses
Rothschild – blau und gelb – gewählt.
Auch später sorgten jüdische Funktionäre
und Mäzene für den Aufstieg des Vereins.
Sie ermöglichten und finanzierten
das Stadion Hohe Warte. Dieses gehörte
bei seiner Eröffnung zu den größten Stadien
der Welt und fasste 80.000 Besucher
und Besucherinnen, so Meisinger. Zählte
man auch die auf den umliegenden Hänfuhr
zudem auch erst 2019 im Zuge der
Arbeit an seiner Biografie, The Austrian Boy,
dass er bei der Vienna mit einem ehemaligen
Funktionär der Hitlerjugend und mit
den Söhnen eines hochrangigen NS-Funktionärs
und ‚Ariseurs‘ zusammen gespielt
hatte.“
Das Objekt, das mich persönlich am
meisten beeindruckt hat, ist ein von Wilhelm
Viktor Krausz um 1900 gemaltes
Porträt der Wiener Modeschöpferin und
Kaufhausbesitzerin Ella Zirner-Zwieback
(1878–1970), eines der ersten Ausstellungsstücke
in dieser Schau. Was aber hatte sie
mit Fußball am Hut? Sie ermöglichte durch
ihre Finanzierung 1936 die Gründung
der ersten Frauenfußballliga. Zwei Saisonen
konnten hier Meisterschaften ausgetragen
werden (begleitet von medialer
Häme, aber dennoch, sie wurden ausgetragen).
1938 verboten die Nationalsozialisten
den Frauenfußball. Es sollte in Österreich
viele Jahrzehnte dauern, bis erst
Anfang der 1970er-Jahre wieder eine Meisterschaft
ausgetragen wurde.
Und auch hier sind wir wieder bei der
Gesamtgeschichte: Die Zäsur durch den
Nationalsozialismus war enorm – das betrifft
so viele gesellschaftliche Bereiche.
Zarte Pflänzchen, die nicht nur, aber auch
von Jüdinnen und Juden geschaffen oder
ermöglicht wurden, wie eben der Frauenfußball,
wurden von den Nazis für Jahrzehnte
ausgerissen und ein neues Keimen
verunmöglicht. Diese vergleichsweise
kurze Periode von 1938 bis 1945 hat nicht
nur so viel Leid über Juden und Jüdinnen
und andere verfolgte Gruppen gebracht
und dem Land einen bitteren Krieg beschwert:
Sie hat Österreich auch gesellschaftlich
um Jahrzehnte zurückgeworfen.
An so scheinbar kleinen Dingen lässt
sich das eindrucksvoll festmachen.
wına-magazin.at
37
Jul_Aug_23.indb 37 25.07.23 14:13
MATOK & MAROR
Die neue Feinkosterei
Die zweite „Feinkosterei“ am Neuen Markt hat es in sich.
Das Lokal ist eleganter und exquisiter, als der Name vermuten lässt.
Auch die unverbesserlichen Nostalgiker, die
beim denkmalgeschützten Haus „Zum Roten
Dachl“ am Neuen Markt im 1. Bezirk
noch immer dem Gebrüder Wild*-Delikatessen-
Olymp nachtrauern, werden im neuen Lokal nicht
nur Trost finden, sondern die Vergangenheit hinter
sich lassen: Die beiden Catering-Unternehmer
Daniel Hirschmann und Matthias Schwarzmüller
treten mit der Feinkosterei die kulinarische Nachfolge
würdevoll an.
Eigentlich ist es die „Feinkosterei Schwarz-
Hirsch Nr. 2“, denn das erste Lokal dieses Namens
floriert bereits seit einigen Jahren auf dem Judenplatz
(gleich neben dem Misrachi-Haus, aber trotzdem
nicht koscher). Für den neuen, seit April 2023
geöffneten Restaurant- und Barbetrieb hat sich das
Gastronomen-Duo etwas ziemlich anderes einfallen
lassen. Täglich von 11 bis 24 Uhr gibt es im ersten
Stock, der aufwendig umgebaut wurde und ein
sehr ansprechendes Flair hat, mit österreichischen
Speisen im Tapas-Format ein reiches Angebot in
guter Qualität. Im Erdgeschoss gibt es einen eigenen
Barbereich mit kalten und warmen Fingerfood-Spezialitäten
sowie einer Auswahl an eigenen
Brötchenkreationen mit eigens für die Feinkosterei
gebackenem Sauerbrot.
„Wir bieten ein echtes österreichisches Tapas-Restaurant,
sozusagen die gehobene Wirtshausküche
im Kleinformat“, erzählt Daniel Hirschmann. „So
muss man sich nicht schweren Herzens nur für
eine Hauptspeise entscheiden.“ Das habe sich bereits
gut bewährt, denn es komme auch ein Publikum,
das seine ausländischen Gäste in die Feinkosterei
einlädt, „weil sie hier eine Reihe von Wiener
Klassikern kosten können, wie z.B. das Wiener
Schnitzel vom Kalb, das Rindsgulasch oder den
Steckerlfisch – und alles an einem Ort und in genießbarer
Größe“.
Während das Servieren mehrerer Kleingerichte
in vielen Ländern eine geliebte und „ganz normale“
Tradition ist, tat man sich hierzulande immer ein
bisschen schwer. Aber das veränderte sich auch
grundlegend mit der Reisetätigkeit der Österreicher.
Risikofreudig haben die zwei Geschäftspartner,
die seit 17 Jahren miteinander arbeiten, mitten
in der Pandemie, im September 2021, mit dem Umbau
auf dem Neuen Markt begonnen. „Das war eine
echte Herausforderung“, verrät Hirschmann, der
ebenso wie Matthias Schwarzmüller Quereinsteiger
in der Gastronomie ist. „Ich habe als Nebenjob
Die Feinkosterei
Nr. 2: „gehobene
Wirtshausküche im
Kleinformat“.
WINA- TIPP
DIE FEINKOSTEREI
Neuer Markt 10/11, 1010 Wien
++43/(0)1/39 61 282
Mo.–Do., 11 bis 24 Uhr
Fr.–Sa., 11 bis 1 Uhr
So., 11 bis 23 Uhr
feinkosterei.wien/neuermarkt
* Ein bekannter Nachfahre des Firmengründers Josef
Wild (1861–1948), der mit Aloisia, geborene Dommayer
(1867–1904), verheiratet war, ist Franz Welser-Möst, der
berühmte österreichische Dirigent und Musikdirektor des
Cleveland Orchestra.
gekellnert, und Matthias gab
dort den Barman. Seit 2006
sind wir im Catering, 2008
übersiedelten wir von Mödling
nach Wien, weil wir spürten,
dass da viel mehr los ist.“ Der
erfolgreiche Catering-Betrieb
ist im 14. Bezirk angesiedelt
und richtete bisher um die 100
Hochzeiten aus – auch einige jüdische
Feiern waren dabei –, zusätzlich
wird von der Stadionverpflegung
für SK Rapid und
den LASK bis zur Betreuung
von Business-Events für Politik, Wirtschaft und
Botschaften so ziemlich alles gemacht.
Was ihnen bislang aber gefehlt habe, sagt
Hirschmann, sei ein Lokal, an dem sich die Identität
des Unternehmens festmachen ließe. „Wenn
Kunden weitererzählen können, dass sie ihre
Hochzeit von den Feinkosterei-Leuten ausrichten
lassen, dann liegen wir richtig.“ Weshalb es jetzt
tatsächlich ein Lokal mit genau diesem Namen
gibt, das nur österreichische Produkte verwendet
und anbietet. Ist dieses Primat durchführbar?
„Wir bieten keinen Champagner an, sondern z. B.
„Schlumberger Brut Reserve“-Sekt, oder statt Coca
Cola gibt es Tirola Kola. Natürlich sind Kaffeebohnen
schwer in Österreich zu finden, aber wir bieten
eine Röstung an, die eigens für uns kreiert wurde“,
freut sich Hirschmann.
Abgesehen von der umfangreichen Speisekarte
gibt es wöchentlich fünf „Specials“, wie z. B. eine
Lasagne von der Lachsforelle (Gut Dornau) mit Spinat
und Krensauce um € 10,90. Bei den Vorspeisen
munden besonders die Gebackene Sardine
mit Knoblauch-Aioli und Bratkartoffel um € 9,90
oder das Rote-Rüben-Carpaccio mit gegrillten Feigen,
Kürbiskernen, Steinpilzöl und cremiger Erbsenguacamole
um € 11,40. Als „Österreichische
Hauptspeise“ firmieren hier Flaumige Spinatknödel
mit brauner Butter und Salat um wohlfeile
€ 8,60 und die Geschmorten Paprika, gefüllt
mit Balsamico-Senflinsen, Marillen-Kirschtomatenragout
und Wildkräutersalat, für € 8,90. Keinesfalls
auslassen sollte man die Desserts, darunter
den köstlichen, aber viel zu kleinen, flüssigen
Schokoladekuchen mit Vanilleeis (€ 7,40). Das Angebot
an alkoholischen Getränken ist vielfältig, die
Preisgestaltung etwas ambitioniert. Paprikasch
© Reinhard Engel
38 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 38 25.07.23 14:13
WINAKOCHT
Wie biegt man ungerade Eierzahlen
wieder gerade, …
… und warum sind weiße Eier weiser? Die Wiener Küche steckt voller köstlicher Rätsel, die
jüdische sowieso. Wir lösen sie an dieser Stelle. Ob Kochirrtum, Kaschrut oder Kulinargeschichte:
Leserinnen und Leser fragen, WINA antwortet.
Liebe wina-Genussredaktion,
wir sind eine vierköpfige Familie mit einer Vorliebe für weiche Frühstückseier.
Nach dem Mehrheitsprinzip landen immer fünf Eier im Topf.
Das fünfte bleibt meist ungegessen über. Habt ihr eine Idee zur Resteverwertung?
Mir gehen die Ideen aus …
Bettina aus Wien per Mail
Kreisen wir das ovale Problem zunächst ein. Eier aus Legebatterien
sind tabu, eh klar. Einen Bogen macht man besser aber
auch um braune Eier. Denn 15 Prozent weisen Blutgerinnsel auf,
sind also nicht koscher. Bei den weißen sind es weniger als ein Prozent,
sie lassen sich gut durchleuchten (Schieren). Das Restrisiko
von Blutspuren wird – sobald das Ei etwa zum Backen oder Omelettemachen
aufgeschlagen wird – beseitigt.
Und beim Frühstücksei? Hier gilt das von Ihnen erwähnte Mehrheitsprinzip:
Im Haushalt wird eine ungerade Zahl gekocht und
dabei davon ausgegangen, dass die Mehrzahl keine Blutspuren
enthält und deshalb die Eier insgesamt koscher sind. Andernfalls
wäre es unmöglich, ein weiches (oder hartgekochtes) Ei zu essen.
Aber eiern wir nicht länger um Ihre Frage herum. Die Weiterverwendungsmöglichkeiten
für weichgekochte Eier reichen von
der Garnierung des Avocadotoasts bis zur Veredlung von Vogerlsalat,
sind aber – wie Sie auch schon festgestellt haben – begrenzt.
Deutlich erweitern lässt sich die Rezeptpalette, wenn Sie das fünfte
Ei am Wagen einfach noch 5 bis 6 Minuten länger im Topf lassen
und hartkochen. Wurden die Eier zuvor im Kühlschrank gelagert,
kann das Hartkochen auch mal bis zu einer Minute länger dauern.
Hartgekochte Eier sind vielseitig einsetzbar – etwa als Zutat
für den berühmten Salat Niçoise, als Objekt
für knusprige Panierung, als stimmige
Ergänzung eines indischen Currys oder als
Einlage in einer sommerlich-kalten Rote-Bete-Suppe (siehe Rezept).
Ein weiterer Vorteil des Hartkochens: In diesem festen Aggregatzustand
halten sich die Eier, bis Sie dafür Verwendung haben. Ungekühlt
überdauern sie rund zwei Wochen, im Kühlschrank sogar
vier. Voraussetzung: eine unbeschädigte Schale. Also lassen
Sie das mit dem Anpieksen vor dem Kochen. Die WDR-Sendung
Quarks & Co hat mit 3.000 Eiern experimentiert und herausgefunden,
dass zirka jedes zehnte Ei beim Kochen platzt – egal, ob
angestochen oder nicht. Hingegen ist es zielführend, Eier nicht
direkt aus dem Kühlschrank zu verwenden, sondern sie vor dem
Kochen bei Zimmertemperatur zu erwärmen, um ein Platzen im
kochenden Wasser zu verhindern. Stichwort: Temperaturunterschied
verringern.
Apropos Temperatur: Jene Eier, die nicht gleich gegessen werden,
bitte nach dem Kochen nicht abschrecken. Denn dabei entsteht
eine Luftschicht zwischen Schale und Eiweiß. Mikroorganismen
können leichter eindringen, die Eier verderben rascher.
Ansonsten müssen Sie sich um Ihre Gesundheit nicht allzu sehr
sorgen. Der Verzehr von Eiern hat – so das deutsche Bundeszentrum
für Ernährung – keinen Einfluss auf das Risiko für Herz-
Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes oder hohe Blutzuckerund
Cholesterinwerte. Natürlich ist das kein Freifahrtschein für
hemmungslosen Ei-Genuss. Richtwert sind zwei bis drei Eier pro
Woche, für Kinder ein bis zwei – nicht nur im Sinne einer gesunden,
sondern auch einer klimafreundlichen Ernährung.
Und wenn wir schon beim Thema Nachhaltigkeit sind: Langzeittests
von Greenpeace haben ergeben, dass rohe Eier auch 56
Tage nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch einwandfrei
waren. Verlassen Sie sich also auf Ihre
Sinne und nicht auf das MHD, wenn Sie Ihre
Vorräte kontrollieren.
KALTE ROTE-BETE-SUPPE MIT EI
ZUTATEN für 2 Teller:
200 g eingelegte Rote Bete aus dem Glas
1/2 Salatgurke
3 hartgekochte Eier
1/2 Liter Kefir
1 kleiner Bund Dill
2–3 Frühlingszwiebeln mit Grün
Salz und Pfeffer aus der Mühle
ZUBEREITUNG
Rote Bete sehr klein schneiden. Gurke schälen
und raspeln. Frühlingszwiebeln putzen und in
feine Ringe schneiden. Dill waschen und hacken.
Eines der Eier fein hacken. Alles mit dem Kefir verrühren.
Mit Pfeffer und Salz abschmecken. Für
mindestens eine Stunde kaltstellen und durchziehen
lassen. Zum Servieren die restlichen Eier
halbieren und auf die Suppenschalen verteilen.
© 123RF
Wenn auch Sie kulinarisch-kulturelle Fragen haben,
schicken Sie sie bitte an: office@jmv-wien.at, Betreff „Frag WINA“.
wına-magazin.at 39
Jul_Aug_23.indb 39 25.07.23 14:13
Modern Wedding
Impressionen von einer
modernen israelischen
Hochzeit, die wenig mit
einer traditionellen jüdischen
„Chassene“
gemeinsam hat.
Von Anita Pollak
AMEN UND MASEL TOV ZUR GROSSEN WEDDING PARTY!
Wenn es einen Anlass
braucht, um nach Israel
zu reisen: Eine Hochzeit
im erweiterten Familienkreis
ist auf jeden Fall ein solcher. Dachten
wir, als vor einigen Monaten ein kurzes
„Save the Date“ eher überraschend per
WhatsApp einlangte. Dass Aviv, die Tochter
meines Cousins Azi, nun mit ihrem
Freund Ofek zusammenlebte, wussten
wir, von Heirat war bei unserem letzten
Besuch aber noch nicht die Rede gewesen.
Wir freuten uns jedenfalls, „savten“
den Termin und buchten den Flug, als die
definitive Einladung auf dem Handy auftauchte.
Empfang und Chuppa zur Abendstunde
an einem Donnerstag Ende Juni
in Jaffo. Mehr konnte ich den spärlichen
Angaben auf Ivrit nicht entnehmen.
Dass die angeführte Event Location im
Süden Tel Avivs, von außen eher ein Industriebau,
ziemlich groß und trendy sein
muss, offenbarte mir Google. Ein angesagter
Küchenchef soll dort am Werk sein,
und auf Weddings ist man sichtlich spezialisiert.
Mehr an Information hatten
wir nicht.
Religiös? Was zieht man an, gibt’s einen
Dress Code? Von einer früheren Hochzeit
in Tel Aviv wussten wir, dass es dort
auch elegant zugehen kann, doch kenne
ich die Familie meines Cousins als eher
sehr leger. Mit Fragen wollte ich niemanden
belästigen, und so entschloss ich koffergerecht:
„Kleines Schwarzes“ und was
drüber, weil es in derartigen Hallen für
unsere Verhältnisse oft tiefgekühlt ist und
die Arme für die Zeremonie vielleicht bedeckt
sein sollten.
Denn, nächste Frage: Wie religiös wird
es zugehen? Ist der Bräutigam frommer
als die total säkulare Familie der Braut?
Wir entschieden, uns in jeder Hinsicht
überraschen zu lassen und für alle Eventualitäten
gerüstet zu sein.
Die schüchterne Frage, was sich das
junge Paar zur Hochzeit wünscht, war, wie
ich ohnehin ahnte, ziemlich altmodisch
und blieb demgemäß unbeantwortet. Geld,
was sonst. Gut, nimmt keinen Platz ein.
So reisten wir mit leichtem Gepäck und
voller Neugierde an. Als ich meinen Cousin
tags darauf fragte, wann er denn Zeit
für ein Treffen hätte, er sei doch sicher im
Stress, so knapp vor der Hochzeit, sagte er,
wie übrigens immer, „jederzeit, wann und
wo du willst“. Die gesamte Organisation
für den Anlass habe das Brautpaar in die
Hand genommen. Er müsse nur zahlen,
dachte ich mir im Stillen.
Beim Kaffee erfuhren wir schließlich
Näheres. Der Schwiegersohn sei alles andere
als religiös, das Paar hätte sogar erwogen,
ohne Rabbiner zu heiraten. Da
dies aber nur außerhalb Israels möglich
ist, weil es im Land ja keine zivilen Trauungen
gibt, heiraten sie nun doch mit
Rabbiner unter der Chuppa. Es sei auch
wegen der zukünftigen Kinder, in so unsicheren
Zeiten wie diesen, fügte Azi eher
© 123RF
40 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 40 25.07.23 14:13
Gemeinsam feiern
Eine moderne israelische Hochzeit:
„It was our party and we enjoyed
it more than we expected.“
© 123RF
kryptisch hinzu. Und ohne religiöse Heirat
gibt es ja auch keine Scheidung in Israel.
Also, kurzum, better safe than sorry.
Mit einer rabbinischen Trauung ergeben
sich auch Verpflichtungen für die
Braut. Der Besuch einer Mikwe, also des
religiösen Tauchbads, ist obligatorisch,
ebenso eine kurze Ehevorbereitungseinheit,
bei der es vor allem darum gehen
soll, ein „jüdisches Haus“ zu führen. Beide
Termine wären ganz harmlos und für sie
eher gute Erlebnisse gewesen, erklärte
uns die junge Frau später.
Unser Problem war es allerdings, ein
Taxi zur Hochzeit nach Jaffo zu ergattern.
Israelische Taxler winken mehr oder meist
minder höflich ab, wenn man sie auf der
Straße aufzuhalten sucht. Alles funktioniert
nur noch im Internet via App.
Unter der Chuppa. Letztlich doch angekommen,
fühlten wir uns sofort wohl.
Ein großer begrünter, schattiger Innenhof,
entspannte Atmosphäre, viele junge
Leute, die Frauen eher sexy aufgebrezelt,
die Männer unterschiedlich gewandet,
Krawatten keine, Kopfbedeckungen
wenige. An einem langen
Buffet warteten
bereits höchst kreative
warme und kalte
Von Hora,
Klezmermusik
oder Mizwe-
Tänzl keine
Spur.
Goodies. Koscher?
Natürlich, versicherte mir ein entfernter
Verwandter mit Kippa. Da wir ansonsten
so gut wie niemanden der Gäste kannten,
genossen wir die fröhliche Szene wie
im Theater. Begrüßungen, Beküssungen,
Gratulationen an das Brautpaar, immer
wieder wurde spontan laut gesungen, bis
endlich, da war’s schon nach neun Uhr
Abend, die Chuppa auf den erhöhten
Platz im Festsaal gestellt wurde und der
Respekt gebietende Rabbiner erschien.
Also doch alles wie gewohnt? Wart’s ab,
sagte ich mir.
Früher, zu meiner Zeit, da wurde ein
meist blasser Bräutigam von Vater und
Schwiegervater zur Chuppa geschleppt.
Die davor in einem abgesonderten Raum
vom Bräutigam „bedeckte“, verschleierte
Braut führten Mutter und Schwiegermutter
unter den Hochzeitsbaldachin. Dass
nicht nur dieser Brauch sich im Laufe der
Jahrzehnte geändert hatte, bemerkte ich
schnell. Ofek, dessen Vater leider bereits
verstorben ist, wurde von seiner Mutter
geleitet, Aviv von ihren Eltern. Erst vor
der Chuppa „bedeckte“ sie ihr zukünftiger
Mann. Ohne ihn auch nur einmal und
schon gar nicht siebenmal, wie religiös
üblich, zu umkreisen, stellte sie sich an
seine Seite. Mit den vorgeschriebenen Segenssprüchen
erfüllte der sympathische
Rabbiner seine Pflicht, die Gästeschar
stimmte mit „Amen“ ein, die Ketubba
wurde verlesen, schließlich nahm der
Bräutigam die Braut nach den Gesetzen
„von Moses und Israel“ zur Frau und zertrat
das Glas unter begeistertem Masel tov
aller. Als darauf doch noch ein traditionelles
Hochzeitslied angestimmt wurde, bei
dem ich sogar mitsingen konnte,
war ich erleichtert! Wenigstens
das gibt es noch!
Unsere Erwartungen wurden
beim kulinarischen Teil des Festes
dann allerdings bei Weitem
übertroffen. Von der Gänseleber
bis zum Dessertbuffet, alles vom
Feinsten und von allem natürlich
viel zu viel. Wie die individuell
gewählten warmen Speisen des Menüs
punktgenau zu den Tischen gebracht wurden,
zeugte von Routine und perfekter Logistik.
Rührende Reden gab es keine, dafür
war im hinteren Teil des Saales schon
während des Essens die lautstarke Party
mit DJ in vollem Gang. Aviv hatte die High
Heels gegen Sneakers getauscht, Ofek bereits
sein Sakko ab- und ein buntes Hemd
angelegt, und so shakten sie inmitten ihrer
Freunde zum lokalen Disco-Sound.
Zwar wurden sie fleißig auf Sessel gehoben,
wie es sich gehört, doch von Hora,
Klezmermusik oder Mizwe-Tänzl keine
Spur! Eine israelische Hochzeit ist halt
nicht unbedingt ein jüdische „Chassene“,
wurde mir klar.
„It was our party and we enjoyed it
more than we expected“, erklärte mir das
glückliche Paar, als wir es nach seinem
kurzen Honeymoon Weekend zum Abschied
trafen. Genauso soll’s doch sein!
wına-magazin.at
41
Jul_Aug_23.indb 41 25.07.23 14:13
Ich. Werk. Zeit.
Three Ships von Jim Dine, oder:
Wie Kunst entsteht
Neben van Gogh stehen und Heuschober beäugen.
Neben Monet im kleinen Malschiff
auf der Seine hin- und hergondeln. Oder mit Toulouse-Lautrec
durch die Tanz- und Vergnügungspaläste
auf dem Montmartre ziehen. Welcher
Kunst-Aficionado träumte nicht von so etwas?
Henri-Georges Clouzot führte ja einmal in einem noch
immer sehenswert verspielten Filmporträt Picasso als
neckisch Kreativen vor. Mit Three Ships von Jim Dine
beschenkt uns Gerhard Steidl, vielleicht einer der letzten
wahrhaft obsessiven Büchermacher der Gegenwart,
mit ganz Ähnlichem. Mit Art in the making, also,
wie ein Kunstwerk Schritt für Schritt entsteht.
Der 1935 geborene Jim Dine überrascht, je älter er wird,
immer stärker, seien es seine jüngst gezeigten Gartenund
Landschaftsbilder oder nun drei Selbstporträt-Serien
in unterschiedlichen Medien: gezeichnet,
dick mit Öl gemalt, geformt aus Gips. Auf
180, exquisit gedruckten Seiten, wie vom
Hause Steidl gewohnt, und mittels 119
Abbildungen der Anfänge, des Entstehens,
der Fertigstellung ist dies
eine Etüde über Zeit und Kraft, Vitalität
und Vergehen. Und darüber, was ist, wenn
man in den Spiegel schaut. Und darüber, was
bleibt, vielleicht. A.K.
Arnold Newman:
Selbstporträt, Philadelphia,
1938.
Jim Dine:
Three Ships.
Steidl 2023,
180 S., 38 €
Ich. Du. Klick.
Die Fotoschau Arnold
Newman: A Retrospective
in Miami, Florida
Was haben der Geiger Isaac
Stern und J. Robert Oppenheimer,
der „Vater“ der Atombombe,
der Romancier Saul Bellow
und Felix Frankfurter, Richter
am US Supreme Court, und der
grandiose Komiker Danny Kaye
gemeinsam? Sie hängen derzeit
alle in Miami. Neben Marc Chagall
und Leonard Bernstein und
Moshe Dayan, neben dem Choreografen
Jerome Robbins, dem
Schauspieler George Segal und Simon Wiesenthal. Denn
all sie und noch viele mehr sind in der großen Retrospektive
des Fotografen Arnold Newman in der Washington
Avenue in Miami Beach zu sehen.
Newman, 1918 in New York City geboren, in Atlantic City
aufgewachsen, wo sein Vater kleine Hotels managte –
und dasselbe im Winter in Miami Beach tat (weshalb
kein Ausstellungsort näher lag als das dortige Jewish Museum)
–, hatte schon 1941 seine erste Ausstellung. Als er
2006 in seiner Geburtsstadt starb, galt er als einer der
sensibelsten und namhaftesten Porträtisten nach 1950.
„Ich bin“, sagte er einmal, „daran interessiert, was Individuen
antreibt, was sie mit ihrem Leben anstellen“. Und
wie sich das Leben in Gesichtern, Falten, Augen, Blicken
und in Augen-Blicken niederschlug und reflektierte. A.K.
ARNOLD NEWMAN: A RETROSPECTIVE
Jewish Museum of Florida
bis 8. Oktober 2023
jmof.fiu.edu
MUSIKTIPPS
OMER KLEIN TRIO
Seit zehn Jahren gibt es mittlerweile das
Omer Klein Trio. Somit ist Life & Fire
(Warner) die Jubiläumseinspielung. Der im deutschen
Frankfurt am Main ansässige Pianist hat in
120 Monaten eine bemerkenswerte musikalische
Jazz-Identität mit dem Bassisten Haggai Cohen-
Milo und dem Drummer Amir Bresler ausgeformt.
Quasi live, vor ausgewählten Freunden, spielten
sie das Album im Studio ein, als Musikhausparty.
Und Freude, Vergnügen und Musikalität springen
über (und Omer bringt noch einen Niggun unter).
20 X OFFENBACH
Mit dieser Zusammenstellung zu zivilem
Preis lässt sich die Millionenshow
gewinnen. Oder verlieren. Denn: Robinson Crusoe?
Il Signor Fagotto und Le Fifre enchante, Vert-Vert,
Belle Lurette? Von wem sind diese Opern? Antwort:
Jacques Offenbach. Das Label Opera Rara
hat auf den sieben CDs Celebrating Offenbach Auszüge
aus 20 zu Unrecht vergessenen Werken Offenbachs
zusammengestellt, Alun Francis und das
Royal Philharmonic Orchestra spielen schwungvoll
und ambitioniert. Das Ganze ist zudem audiophil.
RUBINSTEIN
Woran denkt man bei Arthur Rubinstein
sofort? Natürlich, eh, an
Chopin. Doch der brillante polnisch-amerikanische
Pianist (Joachim Kaiser: „Sein Klavierspiel ist
ein Wunder“) konnte mehr. Auf Legendary Treasures.
Live, vol. 1 (2 CDs), das das auf historische Musikfundstücke
spezialisierte Label Doremi nun herausbrachte,
finden sich Live-Mitschnitte der Jahre
1959 bis 1974, Brahms’ Klavierkonzerte 1 und 2, das
Klavierkonzert Nr. 23 von Mozart – und, eh, Polonaisen
und die Mazurka Nr. 35 von Chopin. A.K.
© Steidl Verlag ; Jewish Museum of Florida
wına-magazin.at
42
Jul_Aug_23.indb 42 25.07.23 14:13
Bewegendes Spiel
© Reinhard Engel
Klänge und Texte,
die unter die Haut gehen
Die Pianistin Elisabeth Eschwé und der Cellist Orfeo
Mandozzi haben eine musikalisch-literarische Chronik
über Wien vom Fin de Siècle bis zur Shoah erarbeitet.
Von Marta S. Halpert
Ein berührendes Konzert über das „vergessene
Wien“ boten Elisabeth Eschwé und
Orfeo Mandozzi im Alten Rathaus.
träglichen Text des Herrn Karl das zentrale
jüdische Gebet Avinu Malkeinu in seiner individuellen
Fassung folgt“, erläutert seine
Klavierpartnerin.
Elisabeth Eschwé ist es gewohnt, professionell
im Duo zu spielen: Gemeinsam
mit ihrem Bruder, dem Pianisten und Dirigenten
Alfred Eschwé, gründeten sie 1997
das Wiener Klavierduo, wobei sich die Geschwister
dem Repertoire der vierhändigen
Klaviermusik auf ein und zwei Klavieren
widmen. Ihr Schwerpunkt liegt auf
der Wiener Klassik und Romantik sowie
auf Orchesterwerken in Originalbearbeitung
der Komponisten für dieses Genre.
Beide Eschwés wurden in Wien geboren,
mit französisch-ungarischer Herkunft. Ihren
ersten Unterricht erhielten sie im Alter
von sechs Jahren bei ihrer Großmutter Valerie
Eschwé, einer ungarischen Pianistin
und Pädagogin. Ihr weiteres Studium erfolgte
am Konservatorium der Stadt Wien,
bevor die Geschwister als Dirigent bzw. als
Pianistin weltweit Karriere machten.
Die Chemie zwischen der Wienerin Eschwé
und dem jüdischen Violoncellisten Mandozzi
bescherte dem Publikum einen großen
Genuss. Orfeo Mandozzi wurde 1968 im
schweizerischen Locarno (Tessin) gebo-
Der „schöne Karl“ – wie Bürgermeister
Karl Lueger im Volksmund genannt
wurde – hätte sich grün und blau geärgert:
Unweit seines Porträts im Alten Rathauses
in der Wiener Innenstadt erklingt im Barocksaal
das herzzerreißend schöne jüdische
Gebet Avinu Malkeinu (Unser Vater, unser
König). Orfeo Mandozzi hat diese jahrhundertalte
Weise für sein Violoncello bearbeitet
und präsentierte es gemeinsam mit der
Pianistin Elisabeth Eschwé. Die vielseitige
Wienerin, die nicht nur Klavier, Philosophie
und Schauspiel studierte, zeichnete
für das Konzept dieses erbaulichen Abends
verantwortlich: Das vergessene Wien betitelt
sie die musikalisch-literarische Chronik
über Wien von 1900 bis 1945. „Gemeinsam
mit dem Cellisten Orfeo Mandozzi habe
ich dieses Programm entwickelt, das Originalstücke
für Cello und Klavier aus der
Zeit enthält, also vom Fin de Siècle bis zur
Shoah“, erzählt die Solistin, Kammermusikerin
und Rezitatorin, die in Europa, Korea,
Australien und den USA tätig ist. „Dass
es ein fast rein jüdisches Programm geworden
ist, liegt in der traurigen Natur der Sache“,
fügt sie noch mit Bedauern hinzu.
Die musikalische Auswahl reichte von
Eduard Franck über Erich Wolfgang Korngold
und Alfred Grünfeld bis zum jüngeren
Bruder von Fritz Kreisler, Hugo Kreisler.
„Die Musik war zuerst da, erst dann wählte
ich die passende Literatur dazu“, erzählt
die lebhafte Künstlerin, die ihre Texte äußerst
raffiniert kombiniert hat: Sehr unterschiedliche
Loblieder auf die Wienerstadt
kontrastiert Elisabeth Eschwé mit scharfsinniger
und bitter-sarkastischer Literatur
aus der Feder von Sándor Marai, Peter Altenberg,
Elias Canetti, Karl Kraus, Ingeborg
Bachmann, Friedrich Torberg und Ilse Aichinger.
Wunderbar gelingt ihr die Rezitation
von Teilen des Herrn Karl von Karl Merz
und Helmut Qualtinger sowohl im Jargon
wie auch im Tonfall. „Orfeo Mandozzi bestand
darauf, dass auf diesen schwer erren.
Sein Vater Graziano Mandozzi, ein
bekannter Dirigent und Filmkomponist,
schickte den Sohn an so besondere Ausbildungsstätten
wie das Pariser Konservatorium,
das Conservatorio Giuseppe
Verdi in Mailand, die Juilliard School in
New York und die Universität für Musik
und darstellende Kunst Wien (mdw).
Mandozzi, der u. a. auf einem Cello von
Francesco Ruggeri aus dem Jahr 1675 spielt,
lebt in Wien und ist in Österreich kein Unbekannter:
Von 1993 bis 2007 war er Mitglied
des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich,
danach musizierte er mit dem
Wiener Brahms Trio und dem
Wiener Streichtrio; darüber hinaus
spielte er in verschiedenen
anderen Konstellationen
mit Musikern wie Julian Rachlin,
Boris Kuschnir oder Stefan
Vladar. International gastierte
er u. a. in der Wigmore
Hall London, am Teatro Colon
Buenos Aires sowie in der Carnegie
Hall New York. Hören
konnte man ihn auch bei den
Salzburger Festspielen, dem Schubert Festival,
den Wiener Festwochen, dem Prager
Frühling, den Bregenzer Festspielen sowie
dem Kammermusikfest Lockenhaus. Er
arbeitete mit den Cellisten Mstislaw Leopoldowitsch
Rostropowitsch, Yo-Yo Ma
und Harvey Shapiro.
Mandozzi lehrt Violoncello an der Zürcher
Hochschule der Künste und an der
Hochschule für Musik in Würzburg; zudem
ist er künstlerischer Leiter der Organisation
Yehudi Menuhin Live Music Now in
Zürich. Folgende Beschreibung der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung über den Cellisten
zitierten auch andere Medien: „Mandozzi
zog sein Publikum als faszinierende Musikerpersönlichkeit
mit der betörenden
Schönheit seines Tones in seinen Bann.“
Als eine der Draufgaben an diesem
bejubelten Konzertabend von Elisabeth
Eschwé und Orfeo Mandozzi durfte das
Publikum einer Uraufführung lauschen:
„Diese Premiere schenke ich auch mir,
denn ich interpretiere mein Lieblingslied
für Sie, das normalerweise am Ende des
Schabbat-Nachtmahls am Freitagabend gesungen
wird. Der Text wurde erstmals 1586
in aramäischer Sprache publik und beginnt
mit den Worten ,Kah Ribon Olam‘ (,Ja, Herr
der Welt‘)“, bereitete der Musiker das Publikum
vor. Auch ein Profi zeigt manchmal
unabsichtlich seine Gefühle: Versunken im
Spiel, werden seine Augen rot, weil Tränen
in ihnen schwimmen.
wına-magazin.at
43
Jul_Aug_23.indb 43 25.07.23 14:13
Claudia Prutscher hat noch viele
visionäre Ideen für die kulturelle
Arbeit der IKG.
INTERVIEW MIT CLAUDIA PRUTSCHER
„Nachhaltige kulturelle Präsenz“
Mit dem jährlichen jüdischen Neujahrskonzert etabliert Claudia Prutscher eine
neue Tradition. Auch sonst hat die Vorsitzende der Kulturkommission der IKG
Wien viele realistische Pläne. Interview: Marta S. Halpert, Foto: Daniel Shaked
WINA: Angesichts der mehrfachen Krisen, wie der Pandemie
und der unsicheren Wirtschafts- und Weltlage, trat bei
vielen Menschen der Kulturgenuss in den Hintergrund. Wo
setzen Sie in dieser Situation an, wo liegen Ihre derzeitigen
Schwerpunkte als Verantwortliche für die Kulturagenden
der IKG?
Claudia Prutscher: Wir leben sicher in herausfordernden
Zeiten, aber grundsätzlich muss ich Ihnen
widersprechen: Es ist immer wieder eine Frage der
Qualität: Wenn wir hochwertige Veranstaltungen
machen, findet sich ein großer Kreis, der interessiert
ist und kommt. Daher sehe ich bei unseren Angeboten
auch keinen Schwund.
Als Kulturgenießerin erlebe ich das auch persönlich:
Wenn attraktiv informiert wird, wie es etwa
das Burgtheater mit anregenden kleinen Filmclips
macht oder auch unsere IKG-Kulturabteilung, die
Veranstaltungen schmackhaft auf den Social-Media-
Kanälen Facebook, Instagram und Spotify bewirbt, dann
funktioniert das. Man erreicht das Publikum heute
weniger über Tageszeitungen als über Social Media.
Wie sehen Ihre Pläne für den Kulturherbst 2023 aus?
I Mit großem Erfolg haben wir letztes Jahr etwas begonnen,
das wir gerne als Tradition etablieren möchten:
In Anlehnung an das berühmte Neujahrskonzert
der Wiener Philharmoniker, jeweils am 1. Jänner im
Goldenen Saal des Musikvereins, haben wir anlässlich
des jüdischen Neujahrs 2022, Rosch ha-Schana
5783, ein hochkarätiges Neujahrskonzert im Wiener
Konzerthaus organisiert, das ausverkauft war. Den
Anfang machte damals das Roman Grinberg & The
Porträt: © Daniel Shaked
44 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 44 25.07.23 14:13
Vielfältiges Kulturangebot
Porträt: © Daniel Shaked
Yiddish Swing Orchestra mit der Sopranistin Ethel
Meerhaut und dem deutschen Rapper Ben Salomon.
Mein Ziel ist es, „unser“ Jüdisches Neujahrskonzert
fest zu verankern, damit es durch seine hohe Qualität
zu einer angesehenen und begehrten Institution
wird.
Verraten Sie uns schon das heurige Programm?
I Ja, sehr gerne, der Kartenverkauf für das Konzert
am 10. September im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses
hat ja schon begonnen: Da wir in diesem
Jahr das 75-jährige Gründungsjubiläum des Staates
Israel als übergeordnetes Motto in fast allen unseren
Kulturprogrammen mitschwingen
lassen, bieten wir diesmal, unterstützt
von den Österreichischen Freunden der
Israel Philharmonic, etwas ganz Besonderes:
Ein junges Streicher-Ensemble
des Israel Philharmonic Orchestra sowie
der 23-jährige hochgelobte Pianist
Tom Borrow werden unsere Gäste sein.
Die jungen Musiker und Musikerinnen
des renommierten Orchesters haben
gemeinsam mit dem britischen Klaviervirtuosen
ein sehr schönes Konzertprogramm
zusammengestellt.
Wie geht der Kulturherbst nach dem Jüdischen
Neujahrskonzert dann weiter?
I Unser Kulturangebot besteht immer
wieder aus unterschiedlichen Großveranstaltungen,
aber darüber darf man
nicht vergessen, dass wir laufend Lesungen,
Filmvorführungen – und hoffentlich bald
wieder Vernissagen machen werden. Die Covid-
Krise hat uns schon einiges durcheinander gewirbelt,
z. B. musste das große Kantorenkonzert schon
zweimal verschoben werden. Aber am 2. November
2023 kann es endlich im Mozartsaal des Konzerthauses
stattfinden – diesmal mit wichtigem Israel-Bezug:
Zu Gast sind der Jerusalemer 15-köpfige Chor der
Großen Synagoge sowie das Slowakische Chamber
Orchestra, die gemeinsam mit Oberkantor Shmuel
Barzilai auftreten und ein einmaliges musikalisches
Erlebnis auf die Bühne bringen werden.
Besonders beliebt, weil bunt und vielfältig, ist
der „Tag der offenen Tür“, der heuer am 22. Oktober
stattfindet. Und im Dezember wird der temperamentvolle
Roman Grinberg wieder sein Swinging
Chanukka-Konzert geben, das 2022 komplett überbucht
war.
Wie weit und womit kann man die sehr unterschiedlichen
Gruppen der jüdischen Gemeinde für das Kulturprogramm
interessieren?
I Primär muss man wissen, dass in unserer Kulturabteilung
jede Fraktion, die in der IKG repräsentiert
ist, eine Vertretung hat, die laufend ermutigt wird,
ihre Wünsche und Anliegen zu artikulieren, damit
wir diese auch realisieren können. Ein gutes Beispiel
„Ich setze gerne
jede Empfehlung
um, egal,
ob es sich um
interessante
Buchprojekte
oder Künstlerförderung
handelt
– daher freue ich
mich über jeden
konkreten Vorschlag.“
Claudia Prutscher
war das diesjährige Straßenfest am 18. Juni: Die Brüder
Meirov Band, eine bucharische Formation mit
Trommeln, ist mit großem Jubel gefeiert worden,
aber die Band hat sich auch selbst bei uns gemeldet.
Ich setze gerne jede Empfehlung um, egal, ob
es sich um interessante Buchprojekte oder Künstlerförderung
handelt, daher freue ich mich über jeden
konkreten Vorschlag.
Mit welcher Kultursparte hatten Sie bei den Jugendlichen
bisher den meisten Zuspruch?
I Eine der schönsten Erfahrungen war der Auftritt
des Stand-up-Comedians Elon Gold im Globe Theater
im letzten Herbst. Da gelang es uns, alle Gruppierungen
zusammenzubringen: Von der Orthodoxie
bis zu den Säkularen, von den Aschkenazim bis
zu den Georgiern und Bucharen war alles wunderbar
durchgemischt. Später wiederholte sich dieser
Erfolg bei zwei israelischen Stand-up-Comedians:
Diese Vorstellungen waren auf Hebräisch und mit
jugendlichen Besuchern ausverkauft.
Leider gibt es kaum deutschsprachige
Künstler:innen dieses Genres, das ist schade, denn
das Interesse ist riesig. In schlechten Zeiten waren
Komiker und Kabarettisten immer sehr gefragt,
denn die Menschen wollen lachen und sich von der
Tristesse ablenken.
Auf welche Programmangebote reagieren nicht jüdische
Kreise am ehesten?
I Das Interesse erstreckt sich über zahlreiche unterschiedliche
Gebiete: Wir haben sowohl viele nicht
jüdische Stammgäste beim Straßenfest wie auch bei
den diversen Musikprogrammen. Bei unseren Veranstaltung
bewerben wir aktiv den Kultur-Newsletter
der IKG*, so haben wir schon rund 1.000 Newsletter-Empfänger:innen
und eine Öffnungsrate von
50, das ist eine hervorragende Rate – ab 20 Prozent ist
es schon super. Dieses Publikum ist meist zwischen
Mitte 30 und Mitte 60 und will die jüdische Kultur
in all ihren Facetten kennenlernen. Dabei wollen sie
nicht nur nach hinten, also in die Vergangenheit blicken,
sondern erfahren, was es heute gibt.
Sie haben sich sehr aktiv bei der Flüchtlingskrise 2015–2016
engagiert: Gemeinsam mit der Autorin und Köchin Parvin
Razavi und dem Musiker Wolfgang Schlögl haben Sie den
Verein „cardamom & nelke“ gegründet. Der Verein hat vielen
Künstlern und Musikerinnen geholfen, in Österreich
ein berufliches Netzwerk aufzubauen und sich hier zu etablieren.
Konnten Sie diese Erfahrungen jetzt auch bei den
Ukraine-Flüchtlingen anwenden?
I Leider haben sich kaum ukrainische Kreative gemeldet.
Beim Straßenfest 2022 ist die Kiewerin Anna
Kypiatkova mit ihrem Saxofon aufgetreten und hat
auch wunderschöne jiddische Lieder gesungen. Ich
bin immer offen, Neues zu bringen, egal, in welcher
Kunstrichtung, aber man muss sich bei uns melden,
oder wir reagieren auf eine Empfehlung hin.
Ich setze gerne Projekte mit viel Herzblut um und
wına-magazin.at
45
Jul_Aug_23.indb 45 25.07.23 14:13
Neue Formate
„ Information und
Publicity ist das Wichtigste,
um auf der
Kulturebene wahrgenommen
zu werden.“
Interessierte können entweder ein
Mail schreiben an
kultur@ikg-wien.at oder
ikg-wien.at/newsletter und das
Häkchen Kultur setzen.
arbeite gerne mit interessanten
Partnern zusammen. So auch
zum Beispiel mit dem Magazin
WINA, das mit den Jahren zu einer
Visitenkarte der jüdischen
Gemeinde geworden ist.
Was liegt Ihnen besonders am Herzen,
was möchten Sie unbedingt erreichen?
I Information und Publicity ist
das Wichtigste, um auf der Kulturebene wahrgenommen
zu werden. So sehr uns die Pandemie auch
zu schaffen gemacht hat – etwas Positives konnten
wir in dieser Zeit dennoch ins Leben rufen: Der Podcast
von Avia Seeliger mit dem Titel Chuzpe, in dem
sie unter anderem Künstler:innen aller Sparten interviewt,
hat voll eingeschlagen und kann auch im
IKG-Archiv nachgehört werden.
Rebecca Eder ist unsere engagierte neue Mitarbeiterin
für den Bereich Social Media und deren Auswertung.
Überraschend ist ihre jüngste Erhebung:
Rund 90 Prozent Frauen und nur zehn Prozent Männer
zählen zur treuen Podcast-Hörerschaft. Etwa 50
Prozent der Hörer:innen kommen aus Deutschland,
35 Prozent aus Österreich, vier Prozent aus
der Schweiz, drei Prozent aus Israel und ebenfalls
drei Prozent aus den USA. Vereinzelt haben wir sogar
Hörer:innen aus Indien oder Singapur. Für die
Kulturabteilung unter der Leitung von Karen König
ist es wichtig, dass man uns auf Instagram und Facebook
unter @ikg.kultur taggen kann.
Stimmt es, dass Sie an einem neuen Format arbeiten?
I Das stimmt, ich bin so begeistert von diesem Projekt,
dass ich sogar ein kleines Budget dafür frei gemacht
habe, und der Pilot ist schon im Entstehen:
Der Wiener Fotograf Daniel Shaked und der Berliner
Musiker und Tonmeister Robert Summerfield
haben das Projekt Die gläserne Wand entwickelt. Dabei
geht es um die Verschränkung von Hörspiel und
Fotos beim Gespräch mit jüdischen Menschen aller
Altersgruppen und Herkunftsländer, die über ihre
Lebenserfahrungen berichten und wo sie eben an
Grenzen gestoßen sind. Dabei geht es um Erlebnisse
von Rückkehrern nach 1945, aber auch um junge
Zuwanderer:innen und deren „gläserne Wand“. Wir
fangen mit fünf Folgen an und haben schon interessante
Gesprächspartner:innen gefunden, die bereit
sind zu erzählen. Das Projekt freut mich deshalb so
sehr, weil es nachhaltig ist, diese persönlichen Geschichten
aus der Gemeinde bleiben erhalten.
Sie haben
Fragen an das
Bundeskanzleramt?
service@bka.gv.at
0800 222 666
Mo bis Fr: 8 –16 Uhr
(gebührenfrei aus ganz Österreich)
+43 1 531 15 -204274
Bundeskanzleramt
Ballhausplatz 1
1010 Wien
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
46 wına | Juli/August 2023
Das Bürgerinnen- und Bürgerservice des Bundeskanzleramts freut sich
auf Ihre Fragen und Anliegen!
bundeskanzleramt.gv.at
Jul_Aug_23.indb 46 25.07.23 14:13
Die Optik des weiblichen Auges
Zehn Frauen
schauen auf das junge Land
Palästina/Israel im Blick vergessener deutsch-jüdischer
Avantgarde-Fotografinnen beleuchtet Anna Sophia
Messner in ihrer mit 100 Bildern illustrierten Forschungsarbeit.
Von Anita Pollak
ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG
Sie kamen, wie manchmal süffisant
bemerkt, nicht aus Überzeugung, sie
kamen aus Deutschland. Als Töchter
aus liberalen, aufgeschlossenen jüdischen
Familien hatten sie Kultur, Bildung und
Ausbildung genossen, bevor sich ihre beruflichen
und persönlichen Aussichten in
den 1930er-Jahren immer mehr verdunkelten
und sie schließlich zur Auswanderung
zwangen. Wie viele Jeckes, also assimilierte
deutsche Juden, empfanden
sie Palästina, in dem sie schließlich nach
mehr oder minder gefährlichen Schiffspassagen
landeten, eher als Exil denn als
zukünftige Heimat. Dem zionistischen
Aufbauwerk standen sie oft ideologisch
fern, dennoch dokumentierten sie es mit
den ihnen eigenen künstlerischen Mitteln.
Werbefotos. Die Rede ist von zehn deutschjüdischen
Fotografinnen, deren Lebenswege
bzw. „Bildgeographien“ die deutsche
Kunst- und Kulturhistorikerin Anna Sophia
Messner zunächst in ihrer Dissertation
und nun in dem daraus entstandenen
Buch nachzeichnet. Als Quelle
dienten ihr vor allem die Nachlässe dieser
größtenteils vergessenen Künstlerinnen,
die zum Teil auf abenteuerlichen Wegen
ans Licht gelangt waren.
Auf einem Müllhaufen in Haifa fand
sich vor über 15 Jahren ein brauner Lederkoffer
mit deutschsprachigen Dokumenten,
Briefen und thematisch geordneten
Pappschachteln voller Fotografien:
das Archiv der deutschen Fotografin Alice
Hausdorff. Sie war 1939 nach Palästina
emigriert, hatte in Tel Aviv und Haifa Fotoateliers
betrieben und im Auftrag zionistischer
Organisationen wie z. B. der WIZO
Motive aus dem Leben der Pionier:innen
in Kibbuzim oder von Haushaltskursen für
Frauen eingefangen. Auch viele andere ihrer
Kolleginnen arbeiteten eigentlich als
Werbefotografinnen für das zionistische
Willentlich oder unwillentlich
trugen sie mit ihrer Kamera
zum „Nation Building“-Prozess
des jungen Staates bei, aus dem
einige bereits nach wenigen Jahren
wieder weiterzogen ...
Anna Sophia Messner:
Palästina/Israel im Blick.
Bildgeographien deutsch-jüdischer
Fotografinnen nach 1933.
Wallstein 2023,
376 S., € 47
Projekt, porträtierten prominente Persönlichkeiten
oder, je nach Interesse, die ethnische
Vielfalt des Landes, fingen Details
des Alltagslebens oder der aufkeimenden
Kunstszene ein.
Allen gemeinsam ist, wie Messner aufzeigt,
die weibliche Perspektive und eine
an der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit geschulte
Bildsprache. Diese hatten sie vor
dem Nationalsozialismus im Deutschland
der Weimarer Republik zum Beispiel am
Bauhaus in Dessau studiert. Dort waren
auch Ricarda Schwerin und ihr Ehemann
Heinz Schwerin, die Eltern des Publizisten
Tom Segev, tätig gewesen, die sich als
Kommunisten im jüdisch-nationalistisch
geprägten Umfeld wenig zu Hause fühlten.
Wie die meisten Jeckes hatten sie extreme
Anpassungsschwierigkeiten und lebten
zunächst in sehr prekären wirtschaftlichen
Verhältnissen. Davon zeugen zahlreiche,
von Messner ausführlich zitierte
Briefe an die daheim Gebliebenen.
Zwar erlaubten die handlichen Kleinbildkameras
den Fotografinnen mobile
Unabhängigkeit, als Frauen kamen sie
jedoch schwieriger an Aufträge als ihre
männlichen Kollegen. Für Ricarda Schwerin
und deren Bildband über Jerusalem
setzte sich ihre Freundin Hannah Arendt,
die sie in mittlerweile ikonischen Fotos
porträtiert hatte, in Amerika ein, ein Beispiel
für das „transatlantische Netzwerk
zwischen Jerusalem und New York“.
Alles neu. Viel Anfang kennzeichnete diese
Generation der deutsch-jüdischen Avantgarde-Künstlerinnen,
wie sich aus den im
Band immer wieder angeführten Begriffen
wie Neues Sehen, Neue Sachlichkeit,
Neue Frau, Neue Jüdin ablesen lässt. Willentlich
oder unwillentlich trugen sie mit
ihrer Kamera zum
„Nation Building“-
Prozess des jungen
Staates bei, aus dem
einige bereits nach
wenigen Jahren wieder
weiterzogen, aus
dem Heiligen Land,
das ihnen nur spärliche
Möglichkeiten
bot, in das, wo sie unbegrenzte
Möglichkeiten erwarteten. Wie
zum Beispiel Lou Landauer, die in Jerusalem
gegen große Widerstände die Abteilung
für Fotografie an der Bezalel-Akademie
begründet hatte. Ihr Fotomanuskript
dieses Projekts wurde 2015 von einer Reinigungskraft
der Akademie gefunden! In
jahrelangen Recherchen hat Anna Sophia
Messner derlei Verschollenes, Vergessenes
und Vergrabenes zutage gefördert
und die Geschichte des deutsch-jüdischen
„Exils“ durch die Optik des weiblichen
Auges beleuchtet.
wına-magazin.at
47
Jul_Aug_23.indb 47 25.07.23 14:13
Dunkle Konzentration
„Das Dunkel bietet auch
Geborgenheit und Schutz“
Dem in Tunis geborenen israelischen Künstler Ofer Lellouche ist
in der Albertina die Sommer-Ausstellung als Retrospektive gewidmet.
Von Marta S. Halpert
In den hohen Räumen der Albertina,
konkret in der Pfeilerhalle,
wirkt der schmächtige, leger gekleidete
Mann eher verloren. Eigentlich
sollte er sich hier geborgen
fühlen, steht er doch inmitten seiner
künstlerischen Arbeiten, darunter Zeichnungen,
Skulpturen, Radierungen und
Holzschnitte. Aber Ofer Lellouche wirkt
nicht nur bescheiden, er ist es auch.
Der 1947 in Tunesien geborene Lellouche
ist ein israelischer Maler, Grafiker,
Bildhauer und Videokünstler, der 1961 mit
seiner Familie von Tunis zuerst nach Paris
geflohen war. Aber bereits 1967 kämpfte er
in Israel im Sechstagekrieg – nachdem er
sein dreijähriges Studium der Mathematik
in Paris knapp vor dem Abschluss unterbrach,
um in den Kibbuz Yechi-Am zu
gehen. Nach seiner Militärzeit studierte er
von 1969 bis 1971 Malerei am Avni Institute
of Art and Design und französische Literatur
an der Universität Tel Aviv. Anschließend
arbeitete er in den Ateliers des Bildhauers
César Baldaccini in Paris.
Nicht nur in Israel, sondern auch in angesehenen
Galerien und Museen weltweit
kennt man Lellouche, hierzulande jedoch
kaum. Wie kommt man dennoch zu einer
Ausstellung in der renommierten Albertina?
Die erste Antwort darauf liefert
Direktor Klaus Albrecht Schröder selbst:
„Die Grafiken von Ofer habe ich zum ersten
Mal in der Druckwerkstatt von Christoph
Chavanne im burgenländischen Apleton
entdeckt – und war fasziniert. Persönlich
durfte ich ihn dann 2008 durch den Kunstsammler
und Galeristen Jan Krugier kennenlernen.“
Lellouche, der mit diesem
Galeristen zusammengearbeitet hat, fügt
leise hinzu: „Die Albertina hatte schon
Werke von mir über die Jahre ausgestellt,
jetzt habe ich dem Haus eine Schenkung
von 50 Objekten gemacht.“ Insgesamt be-
Künstlerische Freundschaft
seit 2008: Ofer Lellouche (re.)
mit Albertina-Direktor Klaus
Albrecht Schröder.
sitzt die Albertina derzeit 77 Werke, von denen
46 in der bis 19. September 2023 laufenden
Ausstellung zu sehen sind.
Was ist der Mensch? Lellouche konzentriert
sich in seinem Schaffen fast ausschließlich
auf die – nackte und bloße – menschliche
Gestalt, auf den Kopf und das Gesicht.
Darin ist er Alberto Giacometti verwandt,
mit dem er befreundet war. „Vereinsamung,
verbrannte Haut, entstellte Gesichter
– Lellouche stellt den Menschen
auf ebenso mystische wie radikale Weise
dar. Das Weltbild des Künstlers ist geprägt
von der Erfahrung der Bedrohung, Verfolgung,
Auslöschung. Der Künstler wirft die
älteste universell gültige Frage auf: ‚Was
ist der Mensch?‘“, so Schröder bei der Eröffnung.
„Das ‚Warum‘ steht seit jeher im Zentrum
jüdischen Denkens, sei es in Bibel
oder Talmud: Im Hebräischen teilt
sich das existenzielle Fragewort denselben
Zahlenwert wie das Wort für Mensch
(Adam), um auf die bestehende enge –
und ewig gültige – Verbindung der beiden
Worte hinzuweisen.“ Und der Direktor
fügt aktuell dazu: „Vor dem Hintergrund
jahrtausendelanger Verfolgung ist es jedoch
in der Geschichte des jüdischen Denkens
– leider bis heute – von besonderer
Stellung und Brisanz.“
Lellouche begann in den 1970er-Jahren
mit Videokunst und Malerei zu experimentieren
und hat sich im Laufe seiner
Karriere mit den verschiedensten Medien
beschäftigt. „Wie ich vor dem Spiegel
stehe, ähnelt der Art und Weise, wie
ich eine Zeichnung auf dem Papier aufbaue.
Wenn ich bei der Anlage der Zeichnung
das Gefühl habe, dass der Kopf mehr
nach unten schauen sollte, begreift dies
der Mann im Spiegel noch vor mir und
senkt seinen Kopf – als wäre er in der
Lage, meine Absichten vorauszuahnen. Es
ist eine seltsame Art von Dialog zwischen
dem Maler und seinem eigenen Abbild.“
Der Künstler geht auch auf seine
Schwarz-weiß-Fixierung bei den Arbeiten
ein: „Vielleicht glauben manche, das
Schwarz wäre deprimierend, aber Dunkelheit
kann viele Assoziationen wecken –
für mich ist es meist die Landschaft meiner
Kindheit“, erzählt Lellouche. „Die
Dunkelheit des Wohnzimmers, sobald
die Jalousien heruntergelassen worden
sind, um uns vor der Hitze und der Gewalt
der Sonne da draußen zu schützen.
Für mich bedeutet Dunkelheit vor allem
auch Geborgenheit. Schwarz habe ich für
mich entdeckt, als ich in den Bergen rings
um Jerusalem arbeitete. Ich hatte die Gelegenheit,
dort einige Wochen zu verbringen,
um diese Landschaft zu erfassen.“
Als Lellouche seine Bilder ins Atelier
zurückbrachte, war er von ihnen
enttäuscht, denn sie ähnelten zu sehr
© Albertina Wien, Schenkung Ofer Lellouche, Foto: Elad Sarig
48 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 48 25.07.23 14:13
Dramatische Selbstporträts
Selbstporträt, 2008;
Holzschnitt, 160 x 120 cm.
Selbstporträt mit erhobener
Hand, 2012; Kohle auf
Papier, 80 x 120 cm.
Selbstporträt (Detail), 2022; Kohle auf
Papier, 110 x 80 cm.
„Wie ich vor dem Spiegel stehe,
ähnelt der Art und Weise, wie ich
eine Zeichnung auf dem Papier
aufbaue.“ Ofer Lellouche
© Albertina Wien, Schenkung Ofer Lellouche, Foto: Elad Sarig
Landschaftsgemälden aus der Provence,
etwa mit dem weichen Licht eines Paul
Cézanne. „Von der Intensität und der Gewalt
des Lichts, dem ich ausgesetzt gewesen
war, war nichts mehr zu spüren. Eines
Tages machte ich eine Radierung und
ließ die Platte aus Versehen in der Säure
liegen. Ich machte trotzdem einen Abdruck
davon, der fast ganz schwarz war“,
berichtet Lellouche von jener Entdeckung,
die seine Arbeit vollkommen veränderte:
„Da begriff ich plötzlich, dass
ich die Intensität des Lichts in die Farbe
Schwarz übersetzen konnte, und mir
wurde klar, wie leuchtend Schwarz sein
kann. Das hat auch etwas mit dem starken
Licht in Israel und überhaupt im Süden
zu tun. Viele Gemälde, die mir in Tel Aviv
sehr farbenfroh vorkamen, sahen in Paris
ziemlich dunkel aus.“
Dem aufmerksamen Besucher entgeht
nicht, dass die Schenkungen des Künstlers
zumeist die Widmung tragen: Im Gedenken
an Dov Gottesman. Warum diese
häufige Erwähnung? „Dov wurde ursprünglich
in Wien geboren und war ein
sehr guter Freund sowie ein großer Förderer
der Künste. So bringe ich ihn wenigstens
spirituell hierher zurück. Er war
auch ein Gourmet, und wir gingen viel
und gut essen“, lacht Lellouche. Gottesman
war nicht nur ein Wiener wie der
legendäre Jerusalemer Bürgermeister
Teddy Kollek, sondern dessen Nachfolger
als Direktor des Jerusalem Museums
von 2001 bis zu seinem Tode 2011.
Neben den dramatisch ansprechenden
Selbstporträts, teils abstrakt, ohne Nase
und ohne Ohren, gibt es auch eines mit
der Büste des Vaters. „Mit dem Vater ist in
meinen Augen natürlich nicht der biologische
Vater gemeint. Er ist Dantes Vergil,
der Geist in Hamlet oder Moses in der Bibel.
Er ist der Vater, von dem wir spüren,
dass er hinter uns steht. Souverän, aber abwesend:
der Führer des Dichters, der im
selben Augenblick verschwinden muss, in
dem der Stift das Papier berührt; der sich
auflösen muss, damit wir sein können.“
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Andreas Gryphius
wına-magazin.at
49
Jul_Aug_23.indb 49 25.07.23 14:13
Jüdische Bürger
auf den Schlachtfeldern
Ein neues Buch beschreibt die Teilnahme amerikanischer
Juden am blutigen Sezessionskrieg 1861 bis 1865.
Von Reinhard Engel
Der amerikanische Bürgerkrieg
war zwar weit weg,
aber er wurde in Europa
genau beobachtet, auch in
jüdischen Kreisen. So berichteten
etwa der Hessische Israelit und
das Wiener Fremdenblatt im Jahr 1865 über
einen Oberst Grün, einen europäischen
Emigranten, wie dieser am höchsten Feiertag
Jom Kippur zwar fastete, aber dennoch
kämpfte. Im Feldspital, wo er wegen
einer Verletzung behandelt wurde, versammelte
er neun weitere jüdische Soldaten
zum Gebet.
Diese Anekdote, von der man nicht genau
weiß, ob sie stimmt oder eine Fabel ist,
findet sich im aktuellen Buch des südafrikanischen
Historikers vom Kaplan Center
for Jewish Studies in Kapstadt, Adam D.
Mendelsohn: Jewish Soldiers in the Civil War.
The Union Army. Dieses beschreibt den Einsatz
jüdischer Amerikaner im blutigen Sezessionskrieg
der Jahre 1861 bis 1865 und
ihre Motivationen, sich freiwillig zu melden,
egal ob sie Neueinwanderer waren
oder bereits im Land geboren.
Der Krieg, der heute vor allem am Thema
Sklavenbefreiung erinnert wird, hatte
mehrere ökonomische wie politische Ursachen.
Die nördlichen und südlichen Staaten
in den USA hatten sich wirtschaftlich
unterschiedlich entwickelt, mit unmittelbaren
Folgen auf ihre Handelspolitik. Der
industrielle Norden wollte mit Zöllen seine
Fabriken vor internationaler Konkurrenz
schützen, der Süden, der vor allem Agrargüter
wie Baumwolle exportierte, fürchtete
durch ein Zollregime negative Auswirkungen
auf seine eigenen Lieferungen nach Europa.
Überdies hing seine Plantagenwirtschaft
von der billigen Arbeitskraft ab, von
massenhaftem Einsatz afroamerikanischer
Eine 15-Inch-Rodman-
Kolumbiade, die im
amerikanischen Bürgerkrieg
zum Einsatz kam.
Sklaven. Als sich keine Kompromisse erzielen
ließen, spalteten sich die Südstaaten
ab, der Norden bestand auf einem einzigen
Bundesstaat, es kam zum Krieg.
Dieser sollte länger andauern als gedacht,
mit blutigen Schlachten und zeitweisen
Vorteilen der einen oder anderen Seite.
Die Bilanz nach dem Sieg der Union über
die Konföderierten nach vier Jahren war
schrecklich: verwüstete Landstriche und
niedergebrannte Städte; geschätzte 750.000
Soldaten fielen dem Krieg zum Opfer, dabei
starben mehr von ihnen an Krankheiten
wie Typhus, Ruhr und Malaria als an Kugeln
und Schrapnellen; zusätzlich dürften etwa
50.000 Zivilisten, mehrheitlich im Süden,
gestorben sein. Mindestens 60.000 Amputationen
in Feldspitälern verweisen noch
auf die große Zahl Verletzter, Verstümmelter
oder psychisch Geschädigter.
Warum interessierten sich schon die
europäischen Zeitgenossen der amerikanischen
Soldaten für das Geschehen jenseits
des Ozeans? Mendelsohn beginnt sein
Buch mit August Bondi aus Wien, der ein
Kriegstagebuch hinterlassen hat. Er war
ein 1848er-Revolutionär, der wie viele andere
Gleichgesinnte aus Österreich und aus
deutschen Ländern nach der Niederlage
in die USA emigriert oder geflüchtet war.
Bondi kämpfte dann im Sezessionskrieg auf
Seiten der Union wieder für eine Sache, an
die er glaubte, hier eben gleiche Rechte und
die Befreiung der Sklaven, wie er in Europa
für die Demokratie gefochten hatte.
Idealismus war es freilich nicht überall,
der jüdische Amerikaner die Uniform
anziehen ließ. Sie folgten einerseits – nach
dem Kriegsbeginn durch einen Überfall der
Konföderierten auf ein Fort des Nordens –
einem kurzzeitigen Kriegstaumel, der der
50 wına | Juli/August 2023
Jul_Aug_23.indb 50 25.07.23 14:13
späteren Stimmung im Europa des Jahres
1914 ähnelte. Aber vor allem lockte die Armee
Arme, Hoffnungslose und Verschuldete
zu ihren Fahnen.
Zu ihnen gehörte etwa Marcus Spiegel
aus Ohio, ein Stoffhändler auf dem Land,
dessen Geschäfte nicht gut liefen und der
sich in der Armee zweierlei erwartete: erstens
ein Schuldenmoratorium gegen seinen
drohenden Konkurs und zweitens einen soliden,
ordentlich bezahlen Job. Er hoffte auf
eine Stelle wie Zahlmeister. Spiegel, in Hessen
geboren, war anfangs übrigens gar nicht
gegen die Sklaverei eingestellt, doch diese
Meinung sollte er ändern. Er bewährte sich
im Gefecht, wurde zum Offizier befördert
und schrieb in einem Brief an seine Frau:
„Ich werde aus dem hier mit Ehre und Geld
wieder herauskommen.“
Sehnsucht nach Status und Anerkennung.
Ein weiterer Grund, sich zu verpflichten,
neben Jingoismus und Armut, war, sich als
Neueinwanderer in Amerika zu bewähren
und Status zu erlangen. „Vier von fünf Juden
in der Nordstaaten-Armee waren im Ausland
geboren“, schreibt Mendelsohn. Die
rund 9.000 jüdischen Soldaten (die überwiegende
Mehrheit auf Seite des Nordens)
entsprachen mehr als ihrem Bevölkerungsanteil,
die großen Einwanderungen aus Osteuropa
hatten noch nicht eingesetzt. Es gab
in den USA zu der Zeit lediglich etwa 150.000
bis 200.000 Juden, ein halbes Prozent der
Gesamtpopulation.
Die Sehnsucht nach Anerkennung hatten
sicherlich auch andere, christliche Immigranten.
Für sie galt ebenso die freiwillige
Meldung zur Armee als verlockende Integrationschance.
Zu den jüdischen Soldaten
zeigte sich hingegen ein großer Unterschied:
„Er war stolz darauf,
Freimaurer, Jude
und 48er zu sein,
und auch darauf
im Sezessionskrieg
gedient zu haben.“
Adam D. Mendelsohn
über August Bondi
Adam D. Mendelsohn:
Jewish Soldiers in the Civil
War. The Union Army.
New York University
Press 2022,
336 S., 35 $
Während es ganze deutsche oder irische Regimenter
gab, blieben die Juden in der Armee
zum größten Teil vereinzelt, auf viele
Einheiten aufgeteilt. Das machte es ihnen
schwer bis unmöglich, genügend Männer
zum Beten zusammenzubekommen, von
koscherer Verpflegung konnte keine Rede
sein, es gab „Schweinefleisch, Schweinefleisch,
Schweinefleisch“, wie einer klagte.
Diese Zersplitterung half ihnen aber
auch, sich mehrheitlich unter den bereits
einsetzenden antisemitischen Anfeindungen
wegzuducken. Laut Mendelsohn betrafen
diese etwa betrügerische Armeelieferanten,
von denen es in der Realität gar
nicht viele jüdische gab. Und es bezog sich
auf den unrühmlichen Befehl von General
Ulysses S. Grant, aus seinem Kommandobereich,
der mehrere Staaten umfasste, Juden
auszuweisen, weil es Korruption bei der
Versorgung und Schmuggel mit dem Süden
gegeben hatte. Das lastete er kollektiv den
Juden an. Präsident Abraham Lincoln hob
diesen Befehl umgehend wieder auf.
Die Schrecken des Krieges schilderten
manche jüdischen Soldaten in ihren Briefen
nach Hause. So schrieb etwa Friedrich Kappelmann
davon, dass „Tote auf beiden Seiten
liegen, wie gemähtes Gras, einer ohne
Kopf, ein anderer, dem beide Beine fehlten,
einem hingen die Eingeweide heraus,
wieder ein anderer war ohne beide Arme.“
Manche Familien verloren gleich mehrere
Söhne, oder diese kamen als Versehrte nach
Hause. Derartige Berichte von den Fronten
schlugen sich dann in einem Rückgang der
freiwilligen Meldungen nieder, so dass zunächst
die Konföderierten 1862 die Wehrpflicht
einführten, die Union ein Jahr später.
Das führte allerdings zu heftigem Widerstand.
In New York kam es etwa zu so blutigen
Aufständen, dass sogar von Gettysburg
größere Armeeeinheiten in die Stadt verlegt
werden mussten. Zwar wurden nicht ganze
Jahrgänge zwangsverpflichtet, sondern nur
Männer, die in einer Art Lotterie gezogen
wurden. Was aber den gewalttätigen Unmut
auslöste, war die Ungleichheit: Wer es
sich leisten konnte, mochte einen Ersatzmann
schicken oder sich überhaupt freikaufen;
das tat dann schließlich New York
für seine Bürger. Unter dem Strich blieb die
Wehrpflicht aber unbedeutend, die überwiegende
Zahl der Soldaten waren weiterhin
Freiwillige, die sich von 100 Tagen bis
zu mehreren Jahren verpflichten konnten.
Wie durchlässig war die damalige Armee
für Juden, die die Karriereleiter hinaufklettern
wollten? Es gab durchaus
Chancen, Offizier, sogar hoher Offizier
zu werden. Dabei kamen manchen Europäern
ihre „Vordienstzeiten“ bei Armeen
oder Revolutionskorps zugute. Eine kleine
Liste von Brigadegenerälen in Mendelsohns
Buch nennt etwa Henry Moses Judah,
Leopold Blumenberg, Jones Frankle,
Frederick Knefler, Charles Mundee oder
Edward Selig Salomon. Die Liste der Obristen
und Oberstleutnants ist länger, hier
fand etwa auch Marcus Spiegel Aufnahme.
Der Weg zurück ins Zivilleben war – wie
bei jedem Krieg – für viele schwer. August
Bondi, der Wiener 48er, der vor dem Sezessionskrieg
Bauer in Kansas gewesen
war, schrieb nach dem Abrüsten, er werde
weiterhin demokratische Politik betreiben,
„um die Herrschaft der republikanischen
Buchmacher zu beenden“, mit denen
er sich kurzzeitig im Kampf gegen die
Sklaverei verbündet hatte. Für sein eigenes
Begräbnis plante er eine eigenwillige
Kombination aus freimaurerischem Bestattungsritual
und Kaddisch-Gebeten seiner
Kinder. Mendelsohn: „Er war stolz darauf,
Freimaurer, Jude und 48er zu sein,
und auch darauf, im Sezessionskrieg gedient
zu haben.“
wına-magazin.at
51
Jul_Aug_23.indb 51 25.07.23 14:13
Irrfahrten im Lande der Väter
Menachem Kaiser über Kajzer, den Großvater und sein fragwürdiges Erbe
in einem geheimnisvollen Schlesien.
Von Anita Pollak
war. Menachem stößt auf immer mehr
Widersprüche. Daten scheinen nicht zu
stimmen, bereits die Adresse ist zweifelhaft,
und überdies sind hier echte Menschen
zuhause. „Ich war ein Jude, der zurückkam,
um sich seinen Familienbesitz
zu holen.“
Menachem Kaiser:
Kajzer. Mein
Familienerbe und
das Abenteuer der
Erinnerung.
Aus dem Englischen
von Brigitte Hilzensauer.
Zsolnay 2023,
336 S., € 28,80
Ein abgewohntes Mietshaus in einer
tristen schlesischen Industriestadt,
das soll also das Erbe sein, um dessen
Rückgabe sich der Großvater jahrzehntelang
erfolglos bemüht hatte. Der Enkel
wird an fremde Türen klopfen, jede Menge
Spinner treffen, neue Freunde finden, vor
polnischen Gerichten stehen, auf tote Ahnen
stoßen, in dunkle Tunnel dringen und
immer mehr Rätsel entdecken. Die Geschichte
seiner jahrelangen Odyssee erzählt
Menachem Kaiser als höchst persönliches
Sachbuch.
Er heißt Menachem wie sein Großvater.
Dass dieser daher bei der Geburt des Enkels
schon tot gewesen sein muss, versteht
sich nach jüdischer Tradition von selbst.
Und der Tradition fühlt sich die große religiöse
Familie der Kaisers verpflichtet. Nur
die Schreibweise hat man dem amerikanischen
Sprachraum angepasst, von Kajzer
zu Kaiser. Polen, wo die Kajzers herkommen,
ist weit weg von Toronto, wo Menachem,
liebevollst umgeben von jeder
Menge Verwandten, aufwächst, und der
Holocaust nur ein sehr ferner Schatten.
Großvater soll der einzige Überlebende
gewesen sein, viel mehr weiß der Enkel
nicht, als er sich in Polen zu Studienzwecken
aufhält und sich dabei verpflichtet
fühlt, den Heimatort der Vorfahren aufzusuchen.
Sosnowiec. Eine schmuddelige,
vom einstigen Kohleabbau verdunkelte
Stadt, die sich anfühlt „wie ein Husten“.
Hier steht das Haus, in dem Großvater aufgewachsen
sein soll, das er zumindest vor
dem Krieg besessen haben soll, das er zurückhaben
wollte, woran er gescheitert
Ein weiterer Kajzer. Menachem nimmt sich
eine Anwältin mit dem Ruf einer „Killerin“,
die vor Gericht nicht einmal die
Tot-Erklärung im Holocaust ermordeter
Verwandter erreicht. Dafür stößt er rein
zufällig auf die Spur eines Cousins des
Großvaters, Abraham Kajzer, der mehrere
KZs überlebt und darüber Tagebuch
geführt hatte. Seine auf dem Packpapier
von Zementsäcken geschriebenen Aufzeichnungen
versteckte er unter Latrinen
und holte sie nach Kriegsende von
dort hervor. Auf seiner Flucht verbarg ihn
eine Deutsche aus Breslau in einer Kartoffelkiste
in ihrem Keller. Die beiden blieben
nach dem Krieg als Paar zusammen,
bis Abraham nach Palästina auswanderte.
Sein Tagebuch ist heute in Polen berühmt,
vor allem in eher obskuren Schatzsucherkreisen
auf den Spuren von Nazi-Raubgut,
weil Abraham genaue Beschreibungen
von einem enorm ausgedehnten
Tunnelsystem der Nazis lieferte, in dem er
als Zwangsarbeiter geschuftet hatte. Weil
Abraham Kajzer einfach die „bessere Geschichte“
ist, erzählt Menachem mit dem
untrüglichen Gefühl für solche Storys
diese auch weit ausführlicher
als die zunehmend
frustrierende Causa des Familienerbes,
hinter dem
sich auch immer mehr moralische
Zweifel auftun. Was
bedeutet erben, wer ist dazu
berechtigt, wie sieht es mit
den Ansprüchen der nachfolgenden
„Besitzer“ aus?
„Ich war ein
Jude, der zurückkam,
um
sich seinen Familienbesitz
zu holen.“
Durchaus selbstkritische
Fragen wie diese beleuchtet
Kaiser aus allen möglichen
Perspektiven, lässt an seinen Skrupel
und Argumentationen teilhaben und
viele Fragen offen. Durchaus gespannt
verfolgt man mit ihm seine abenteuerlichen
Umwege in die bizarrsten und teilweise
abwegigsten Zirkel von Spinnern
und Verschwörungstheoretikern bis hin
zu absurden Gerichtsszenen, doch „es ist
alles wahr“, beteuert der Autor.
Von jüdischen Touristen auf „Erinnerungssafari“
im Land ihrer Vorväter, denen
er mit leiser Ironie begegnet, will er
sich absetzen, weiß sich aber selbst nicht
frei von sentimentalem Unterfutter. Menachems
Obsession mit der Geschichte des
nie gekannten „Zaidy“ (jiddisch für Opa),
dem er sein Buch widmet, ist sogar seinem
Vater suspekt und letztlich auch ihm
selbst, je mehr er sich darin verstrickt,
nicht ganz erklärlich.
Dass sich auf solchen Pilgerreisen zu
den Ahnen viele Erwartungen nicht erfüllen,
Familienlegenden vielleicht nicht bestätigen
lassen, dafür Unerwartetes entdeckt
werden kann, diese Erfahrung habe
ich selbst gerade im geheimnisvollen
Schlesien,
der Heimat auch meiner
Vorväter, machen dürfen.
Familiengeschichten, so
bilanziert Kaiser, „erzählen
keine historische Wahrheit,
sondern eine emotionale
Wahrheit“, aber die ist,
wie sein kluges, warm und
lebendig erzähltes Memoir
zeigt, einfach die bessere
Geschichte.
wına-magazin.at
52
Jul_Aug_23.indb 52 25.07.23 14:13
URBAN LEGENDS
Von der Gewalt
Sprechen wir von Gewalt, wird die Unzulänglichkeit der Möglichkeit der Versprachlichung
offenbar. Das Unerträgliche, Spezifische und Unfassbare der Gewalt scheint sich
der Sprache fortwährend zu entziehen.
Von Paul Divjak
„He was just to be loved / He fell
down like a dry leave / He will be
always lying now.“ Oksana Lemishka *
Die Auseinandersetzung mit Gewalt, die Thematisierung
ihrer Präsenz, liegt zumeist unter Schichten der Abstraktion
verborgen, begraben unter der individuellen und
allgemeinen Distanzierung von Körperlichkeit und Leid.
Die Verwendung des Wortes in Alltag und medialer Manifestation,
die Setzung von das Wort begleitenden, mantraartigen
Sprachbildern und stereotypen Phrasen erfolgt zumeist
konsensual und wenig differenziert.
Der Berliner Autor Jo Frank widmet sich nun in seinem
kürzlich erschienenen Buch Gewalt dem titelgebenden,
zumeist schematisierten Begriff: Es geht um Macht,
Missbrauch, Angst, Schmerz und Scham. Sein bildkräftiges,
verstörendes Erinnern und Nachvollziehbarmachen
traumatischer (Kindheits-)Erfahrung ist geprägt von synaptischen
Suchbewegungen, die von Instabilität, vom
Mäandern und vom Scheitern der Sprache angesichts von
Gewalt erzählen.
Und da macht Sprache etwas, das sie hier nicht soll: spielt, beruhigt,
lenkt ab. Dabei soll Sprache hier Ordnung, soll Sprache hier
doch aufräumen, soll Sprache hier doch kalt.
Frank tastet sich in seinen irritierenden Notationen an
die Beschreibung konkreter Gewalterfahrungen heran,
vermittelt sie auf eindrucksvolle und unorthodoxe, sinnliche
Weise. Er begeht mit seinem präzise gezeichneten
Textkörper eine literarische Vermittlungsebene,
die sich mittels persönlicher
Erinnerungsfragmente und vielschichtiger,
Resonanz evozierender Assoziationen wortgewaltig
sezierend an das Phänomen herantastet.
Die knirschende Syntax lotet die Grenzen
der Versprachlichung aus, ertastet die
Dimensionen der prägenden Attacken, die
den Organismus verletzt zurückgelassen haben,
in rhythmischen Wellen. Er klopft die
Sprache auf ihre Tauglichkeit ab, das Unsagbare
zum Ausdruck zu bringen; er deutet an,
Zeichnung: Karin Fasching; * Winds from the Steppe, Sitscher Schützenmarsch, transformiert zum Schlaflied von Oksana Lemishka, Album GodMother, 2020
setzt Verweise, bricht ab, holt erneut aus und
illustriert die geballte Kraft widersprüchlicher
Beziehungsmuster und Emotionen, die in ihm
weiterleben. Das Mapping von Gewalt in einer
Sprache, die der Autor „Vatersprache“ nennt –
es ist die Sprache des Täters („Seine Gewalt erzählt ihn als
Opfer“) –, berührt, verstört, wirft Fragen auf und die Leser:innen
auf sich selbst zurück.
Tränen bis heute kaum möglich, und wenn, dann immer
gebunden an Erinnerung, macht Trauer unmöglich,
selbst dieser Raum ist eingenommen durch seine Gewalt.
Wir wollen und können, als Individuen und auch als Gesellschaft,
wie Jo Frank kürzlich bei einem Gespräch im Literaturhaus
Berlin festgestellt hat, nicht gerne oder nur
schwer über Gewalt sprechen, wollen Detaillierteres, Differenzierteres
mitunter gar nicht näher wissen, verhalten
uns ihr gegenüber oftmals apathisch.
Spreche Kaddish. Lauter als sonst, dabei dränge Erinnerungen
zurück.
Geht es bei Frank um traumatische Erfahrungen und
ganz spezifische Situationen, um Zeug:innenschaft, das
Schweigen und die Wunden der Gewalterfahrungen, die
sich mit multiplen Traumaverästelungen in den Körper
eingeschrieben haben, so sind wir aktuell alle stille
Zeug:innen entfesselter Gewalt – medial gefiltert, auf Distanz.
Der Krieg in der Ukraine ist Tag für Tag, Nacht für
Nacht erschütternde Realität, das unvorstellbare Ausmaß
von Tod, Zerstörung, Leid und Traumatisierung übersteigt
das Vorstellungs- und Fassungsvermögen.
[…] wo sind Lichtveränderungen und Einschlag und
Ohnmacht, wo sind Blut und Luftlosigkeit und Betteln
und Tränen und wortloses Schreien, wo ist das alles
in meine, in seine? Maybe it’s everywhere.
Also auffalten.
Jetzt
Jo Frank:
Gewalt.
Edition Atelier 2023,
160 S., € 20
wına-magazin.at
53
Jul_Aug_23.indb 53 25.07.23 14:13
SOMMER KALENDER
FILM
20:30 Uhr
Architekturzentrum Wien,
Museumsplatz 1, 1010 Wien
azw.at
23. AUGUST 2023
URBANE EINBLICKE
Vier sehr unterschiedlichen urbanen
Orten in Wien, New York und
Mexiko ist das Filmprogramm des
Architekturzentrums Wien (AzW)
Ende August gewidmet: Den Anfang
macht Bernoullistraße 1 (AT
2022) über Geschichte, Ende oder
mögliche Zukunft des Gebäudes,
in dem sich derzeit noch die
Volkshochschule Donaustadt befindet.
Wrinklers (MX 2023) widmet
sich einem „in die Jahre“ gekommenen
Wohngebäude in
Mexico City. In City Symphony
(USA 2022) versucht Regisseurin
Lucy Walker einen poetischen
Blick auf das Leben im heißen
New Yorker Sommer zwischen
Hitzebelastung, Freibadspaß und
gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.
Und in der abschließenden
Langdokumentation 27
Storeys – Alterlaa Forever (AT/DE
2023) von Bianca Gleissinger
steht der von 1970 und 1985 errichtete
Wohn- und Kaufpark Alterlaa
im Zentrum, städtisches
Monument zwischen Utopie und
Moderne, prägender Wiener Kindheitsort
und vielges(ch)ichtiger
sozialer Biotop.
THEATER
20 Uhr
Zacherlfabrik, Südhalle,
Nusswaldgasse 14, 1190 Wien
igfokus.wordpress.com
26. AUGUST 2023 (PREMIERE)
WORTE UND HEIMAT
Eine junge Frau zwischen den Kulturen – ein
Topos, der sich auf vielerlei Ebenen durch
die Geschichte des Judentums zieht, aber
auch vieler anderer Lebensgeschichten zwischen
hier und dort, Vergangenheit, Gegenwart
und möglicher Zukunft. So auch im
Erfolgsroman Sechzehn Wörter von Nava
Ebrahimi. In diesem bestechend schonungslosen
Romandebüt der 1978 im Iran
geborenen, heute in Deutschland lebenden
Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin von 2021
begibt sich deren Protagonistin Mona auf
die Suche nach ihrer „Muttersprache“, indem
sie 16 Wörter übersetzt, ihre Großmutter
kennenlernt – und die unbekannte Heimat
ihrer Eltern und Vorfahren. Die Reise
in den Iran wird für die junge Frau zum aufwühlenden
Trip durch ihre Familiengeschichte,
zur Konfrontation mit ihrer eigenen
Identität und ihrer Herkunft, über die so
vieles im Ungewissen ist. Ensemblegründerin
und Regisseurin Margit Mezgolich führt
bei der Uraufführung der Bühnenbearbeitung
des Romans Regie und vergisst bei allem
Tiefgang dank ihres gewohnt temporeichen
Zugangs auch den darin verborgenen
Humor nie. Gespielt wird in der eindrücklichen
Halle der Wiener Zacherlfabrik.
Mit: Jasmin Shahali. Ariana Schirasi Fard, Petra
Strasser, Christian Kohlhofer und Arash Marandi;
weitere Vorstellungen bis 9. September 2023
LESUNG
19 Uhr
Bibliothek der Arbeiterkammer,
Prinz-Eugen-Straße 20–22, 1040 Wien
wien.gv.at/bezirke/wieden
29. AUG. BIS 7. SEPT 2023
GROSSE WIEDNERINNEN
Ein drittes und wohl letztes Mal lädt der
Wiedner Kultursommer im Rahmen der
Reihe Vier Frauen im Vierten zu vier Lesungen
rund um herausragende, teils
weltbekannte, teils auch gänzlich unbekannte
einstige „Wiednerinnen“ ein. Dieses
Jahr stehen dabei die Kunstmäzenin
Lilly Lieser (29.8.), die Technikerin Käthe
Böhm (31.8.), die bildende Künstlerin Teresa
Feodorowna Ries (5.9.) und Erfolgsautorin
von Weltrang Vicki Baum (7.9.)
im Zentrum. Präsentiert werden die teils
biografischen, teils anekdotischen, aber
auch literarischen Einblicke in diese so
unterschiedlichen wie schillernden jüdischen
weiblichen Persönlichkeiten wie in
den beiden letzten Jahren von der großartigen
Wiener Volksschauspielerin und
langjährigen Leiterin des Theaters in den
Bezirken Doris Weiner. Abwechselnd
musikalisch einfühlsam begleitet von Ekaterina
Wladigerova und Christo Popov,
unsentimental und begeisternd liest und
erzählt Weiner in den Räumen der Wiedner
Arbeiterkammer – hier stand einst
das 1960 zerstörte Palais Albert Rothschild
und damit noch ein jüdischer
Wiedner Erinnerungsort, der
nicht unerwähnt bleiben soll.
54 wına | Juli/August 2023
© AzW; IG Fokus; Doris Weiner/privat; IKG Kultur;
Jul_Aug_23.indb 54 25.07.23 14:13
Von Angela Heide
STAND-UP-COMEDY
20 Uhr
MuTh,
Am Augartenspitz 1, 1020 Wien
muth.at
SEPTEMBER VORSCHAU
SOMMERKINO
21 Uhr
Augarten, 1020 Wien
filmarchiv.at/calendar/
13. AUGUST 2023
ERIKA FREEMAN
GEHT INS KINO
Es ist ein ganz besonderer Abend, wenn
an diesem Sonntag mit Erika Freeman
eben jene wunderbare Frau ins Open-
Air-Sommerkino des Österreichischen
Filmarchivs im Wiener Augarten kommt,
um eben jenen Film wiederzusehen, der
auf der Lebensgeschichte ihrer Mutter
basiert: Yentl von und mit Barbra Streisand,
ihr lang erkämpfter Debütfilm aus
dem Jahr 1983 – und bis heute, unglaubliche
runde 40 Jahre später, ein Kassenschlager
und eine ikonografisch gewordene
Verfilmung von Isaac Bashevis
Singers literarischer Vorlage, die wiederum
auf Freemans Erzählungen basiert.
Es ist ein Abend, der auch für die IKG
Kultur als Mitveranstalterin ein ganz besonderer
sein wird – und den sich hoffentlich
viele Fans des Powerfrauentrios
Yentl-Streisand-Freeman nicht entgehen
lassen werden!
Ein weiterer Schwerpunkt des Sommerkinos
im Augarten liegt auf den Filmen
von und mit Maria Schrader, von der
vier Arbeiten zu sehen sind, zuletzt am
15. und 16. August She Said (USA 2022),
Schraders hoch brisante filmische Auseinandersetzung
mit dem Missbrauchsskandal
rund um Harvey Weinstein der
daraus entstandenen weltweiten #Me-
Too-Bewegung.
11. SEPTEMBER 2023
NEUJAHRS-COMEDY-SHOW
Das alte Jahr geht, das neue kommt –
und mit ihm viele offene Fragen an die
Zukunft dieser Welt und der Menschheit.
Doch bei aller Sorge und aktuellen
Krisenstimmung, wohin man sieht, ist eines
wichtig: Mit Intelligenz, Wissen, aber
auch Charme und vor allem viel Humor
auf all das zu blicken und zu reflektieren,
was uns täglich belastet. Das tut Nadav
Abuksis – auf Hebräisch und mit herrlich
spitzer, feiner Klinge – in seinen beliebten
Stand-up-Comedy-Programmen.
Der 1971 in Hatzor HaGlilit geborene israelische
Schauspieler und Komiker erzählt
von Social Media und neuen Technologien,
die nicht zuletzt sein Vater-Sein
und sein Familienleben beeinflussen
und den Jungfünziger täglich vor neue
globale Herausforderungen stellen. So
unbeschwert dieser Abend auch daherkommt,
so tiefgreifend sind die Themen,
die Nadav Abuksis hier aufgreift und das
Publikum lachend mitten hineinführt in
die existenziellen Themen unserer Zeit.
Ein fröhlich-kluger Start in das neue Jahr,
zu dem die IKG Kultur gemeinsam mit
MuTh, Zusammen Vienna und Omanim
Booking & Events einlädt.
Haben auch Sie einen Veranstaltungstipp?
Schreiben Sie uns einfach unter: a.heide@artminutes.com
KONZERT
19:30 Uhr
Theater am Spittelberg,
Spittelberggasse 10, 1070 Wien
theateramspittelberg.at
19. SEPTEMBER 2023
LIEDER DES LEBENS
Den Sommer-KulturKalender beschließe
ich mit einer Vorschau auf ein Konzert,
das wir allen Leser:innen besonders ans
Herz legen wollen: Anlässlich der Feierlichkeiten
zu „75 Jahre Israel“ und in Erinnerung
an 80 Jahre seit der Rettung
der bulgarischen Juden lädt der Verein
Lila Schwan in Kooperation mit der IKG
Wien unter dem Titel Shira – Spirit of Life
zu einem die Neujahrsfeierlichkeiten abschließenden
Festkonzert. Ausgehend
von der Bedeutung ihres hebräischen
Namens „Shira“ – Poesie – hat die vielseitige
Sängerin Shira Karmon gemeinsam
mit Antonis Vounelakos (Gitarre) und
Alexander Vounelakos (Klavier) ein Programm
erstellt, das israelischen Pop mit
sephardischen und jiddischen Liedern
kombiniert und dabei von der Kraft des
Gesangs für unser Überleben erzählt:
Poetisch, lyrisch bis melancholisch,
ohne aber je in Larmoyanz oder Vergangenheitsromantisierung
zu verfallen, hält
das Trio Karmon Vounelakos bei diesem
Jubiläumsevent einer variantenreichen
und weltumspannenden Kultur einen
liebenswerten Spiegel vor Augen.
shirakarmon.org
wına-magazin.at
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Jul_Aug_23.indb 55 25.07.23 14:13
DAS LETZTE MAL
Das letzte Mal,
dass ich Lust auf fremde Küche hatte,
war, … als ich einen Salat mit Persimon
(eine Kaki-Art; Anm.) gegessen habe.
Die Marinade hat so herrlich nach Umami
geschmeckt …
Das letzte Mal, dass ich einen Vorteil
im Oma-Sein gesehen habe, war, …
als ich merkte, dass man die gemeinsame
Zeit mehr genießen und das Enkelkind
verwöhnen kann. Ich habe vollstes
Vertrauen in die Kindeseltern und kann
die Verantwortung an sie abgeben. Als
Oma darf ich lieben und loben. Die Erziehung
überlasse ich den Eltern.
Das letzte Mal, dass ich nicht wusste,
was ich kochen soll, war, … als ich
bei Freunden eingeladen war und
wir gemeinsam kochen wollten. Der
Kühlschrank war nur leider mit viel
zu wenigen Zutaten bestückt.
Das letzte Mal, dass ich etwas Neues
zubereitet habe, das niemandem so
richtig geschmeckt hat, war … Das
passiert schon hin und wieder, da ich
immer wieder Neues ausprobiere. Wenn
die Balance – und das ist eine der wichtigsten
Zutaten – nicht stimmt, dann
schmeckt es eben nicht. Dann wird das
Gericht überarbeitet und neu gekocht.
Das letzte Mal, dass ich einem meiner
Liebsten mit meinem Essen bewusst
etwas Gutes getan habe, war, … als
mein Ehemann Samy im Krankenhaus lag
und ihm die Spitalsküche so gar nicht geschmeckt
hat. Ich habe ihm dann selbstgekochtes
Wohlfühlessen mitgebracht.
Auch das trägt zur Genesung bei!
GENESUNGS-
KÜCHE
Es gibt für alles ein erstes Mal – aber auch ein letztes! In
diesem Monat erklärt Spitzengastronomin Haya Molcho, was
sie kocht, wenn der Kühlschrank leer ist (nämlich: nichts),
und verrät eine ihrer Lieblingszutaten.
Wer sich für gutes Essen begeistert, kommt an ihr nicht vorbei: Haya
Molcho! 2009 eröffnete die 1955 in Tel Aviv geborene Gastronomin mit
ihren Söhnen ihr erstes Lokal „NENI am Naschmarkt“. Mittlerweile ist
NENI eine europaweite Marke mit einer Kochschule, eigener Produktlinie
sowie Restaurants von Berlin über Kopenhagen bis nach Mallorca
und Paris. Dass Hummus und Falafel hierzulande als „fremde“ Küche
gelten, ist dank Haya Molcho längst Geschichte. Nun hat sie mit ihrem
aktuellen Buch – eine charmante Zusammenstellung aus Rezepten
für Küchenklassiker und vielen persönlichen Geschichten – ein neues
Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen: als begeisterte Oma.
„Lust auf fremde Küche. NENI – Die Rezept-Klassiker“,
Amalthea 2023 | neni.at
© NENIFOOD
56 wına | Juli/Auguat 2023
Jul_Aug_23.indb 56 25.07.23 14:13