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Jul_Aug_23

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Editorial

Julia Kaldori

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„Zitat text hier

bitte“

Xxxxxx

© Xxxxx

Coverfoto: xxxxxxx

wına-magazin.at

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INHALT

MENSCHEN & MEINUNGEN

04 Donau, Berge, Kinderhotel Israelis

entdecken Österreich für sich, und die

Tourismusbranche reagiert.

08 Wiener Oasen Wiener Mütter und ihre

Lieblingsplätze in der hochsommerlichen

Stadt – eine Fotoreportage.

14 „Autos kaufen nichts“ Architekt

Viktor Gruen flüchtete 1938 aus Wien.

In den USA erfand er den Shopping Mall

und kam als Stadtvisionär zurück.

16 „Bäume sind Klimaanlagen“ Grüner,

kühler, freundlicher: Stadtplanerin

Eva Kail setzt sich für Straßen als Aufenthaltsorte

für Menschen ein.

19 Leben im Einklang mit der Natur

Steigende Wohnkosten und Klimakrise:

Israelische Pioniere suchten bereits

vor Jahrzehnten nach Lösungen.

22 Vom Müllberg zum Vorbild Israels

Ideen gegen die Abfallkrise sind kreativ,

innovativ, effizient und nachhaltig.

24 Weniger ist mehr Khakihemden und

„Kova Tembel“: Der typische Israeli wurde

über Jahrzehnte von Erich und Hans Moller

eingekleidet.

KULTUR

30 Die Ehre des Vaters Wie Ilse Nusbaum

(90) einen (Ge-)Denkprozess an

der WU Wien in Gang setzte.

40 Amen und Masel Tov Impressionen

von einer israelischen Hochzeit, die

kaum noch an eine „Chassene“ erinnert.

43 Das vergessene Wien Klänge und

Texte von Elisabeth Eschwé und Orfeo

Mandozzi über Wien vom Fin de Siècle

bis zur Shoah, die unter die Haut gehen.

44 Nachhaltige Präsenz Mit dem jüdischen

Neujahrskonzert und anderen

Projekten will Claudia Prutscher in der

IKG Kultur neue Traditionen etablieren.

47 Fotopionierinnen in Israel Die Kunsthistorikerin

Anna Sophia Messner stellt in

Palästina/Israel im Blick deutsch-jüdische

Avantgarde-Fotografinnen vor.

50 Jüdische Bürger auf den Schlachtfeldern

des blutigen Sezessionskrieges

1861 bis 1865.

52 Kajzer Menachem Kaisers vielbeachtetes

Romandebüt über den Großvater

und dessen Erbe im geheimnisvollen

Schlesien.

WINASTANDARDS

01 Editorial

33 LebensArt

Der ewige Sommer und worauf Sie

dabei nicht verzichten sollten.

38 Matok & Maror

Die „Feinkosterei“ Nr. 2 – Exquisites

auf dem Neuen Markt.

39 WINA_kocht

Wie man ungerade Eierzahlen wieder

geraderückt und kalte Rote-

Bete-Suppe kocht.

47 Urban Legends

Von der Gewalt und der Unzulänglichkeit

ihrer Versprachlichung.

53 KulturTipps

Kulturelle Ein- und Ausblicke für

den Spätsommer.

56 Das letzte Mal

Was Spitzengastronomin Haya

Molcho kocht, wenn der Kühlschrank

leer ist.

S. 04 S. 08 S. 44 S. 48

26 Ben-Gurions Erbe Seine Bedeutung

für Israel ist unumstritten. Doch wie

relevant sind seine Visionen für heutige

Generationen?

28 Israelische Panzer für die globale

Aufrüstung Bis zu 200

„Merkava“-Panzer wird Israel nach

Zypern und Marokko liefern.

34 Rot-weiße Liebe Fußball ist auch

in Israel weit mehr als nur ein Spiel:

Hapoel Tel Aviv feiert 100 Jahre Sportgeschichte.

36 Superjoden und andere Fans

Eine Ausstellung im JMW macht Fußball

auch für Fußballbanaus:innen

greifbar.

2 wına | Juli/August 2023

„Das Dunkel

bietet auch

Geborgenheit und Schutz.“

Der isralische Grafiker und Maler

Ofer Lellouche in der Albertina

S. 48

WINA ONLINE:

wina-magazin.at facebook.com/winamagazin

IMPRESSUM:

Medieninhaber (Verlag):

JMV – Jüdische Medien- und Verlags-

GmbH, Seitenstettengasse 4, 1010 Wien

Chefredaktion: Julia Kaldori

Redaktion: Inge Heitzinger

(T. 01/53104–271), office@jmv-wien.at

Anzeigenannahme: Manuela Glamm

(T. 01/53104–272), m.glamm@jmv-wien.at

Artdirektion: Noa Croitoru-Weissmann

Lektorat: Angela Heide

Druck: Print Alliance HAV Produktions GmbH.

Herstellungsort: Bad Vöslau

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HIGHLIGHTS | 01

Importe gegen

Monopolgewinne

Die israelische Regierung plant

mehrere Gesetze, die die Macht

der großen Handelsketten im Land

beschränken sollen.

Während die Demonstrationen gegen

die geplante Justizreform die

Öffentlichkeit beherrschen, plant die israelische

Regierung eine Reihe von Gesetzen,

die das Alltagsleben – und dessen

Kosten – entscheidend verändern könnten.

Wirtschaftsminister Nir Barkat hat

dazu zwei Stoßrichtungen angekündigt:

Erstens sollen Importe von Lebensmitteln

und Drogeriewaren erleichtert

werden. In diesen Bereichen liegen die

Preise in Israel deutlich über jenen in anderen

Ländern. Das hat in der Vergangenheit

etwa zu heftigen Protesten gegen

zu teure Milchprodukte geführt. Barkat,

ehemaliger Major der Fallschirmjäger

und erfolgreicher Hightech-Unternehmer,

schlägt dazu vor, alle jene Produkte

zum Import freizugeben, die EU-Regulierungen

entsprechen. Sein Argument:

Was für einen Markt mit mehreren hundert

Millionen Konsumenten geeignet

ist, kann auch für Israelis nicht schädlich

sein. Barkat: „Das öffnet die Tore für

Zehntausende von Produkten, die in Europa

verkauft werden, und umgeht dadurch

unnötiges Testen sowie unnötige

Regulierung in Israel.“ Damit entstünde

mit einem Schlag erheblich mehr Wettbewerb

im lokalen Markt, die Preise

müssten fallen.

Zweitens sind mehrere Gesetze geplant,

die den Einfluss der lokalen Monopole

direkt einhegen sollen: etwa durch

die schärfere Kontrolle von Firmenzusammenschlüssen,

durch die Beschränkung

der Einkaufsmacht der großen Handelsunternehmen

gegenüber kleinen

Produzenten sowie durch ein Ende der

Behinderungen von Direktimporten, so

genannten grauen Importen. Auch deren

Legalisierung könnte Druck auf die

Preise nach unten auslösen. RE

© BKA / Andy Wenzel; Ariel Schalit / AP / picturedesk.com

10.000

Reservisten

der israelischen Streitkräfte

werden ihren freiwilligen Reservedienst

aus Protest gegen die

geplante Justizreform aussetzen.

„Wir haben alles versucht,

hier ziehen wir die Grenze“,

kündigten die „Brothers in

Arms“ bei einer Pressekonferenz

an. Einer der großen Kritikpunkte

der Reservisten richtet

sich gegen den rechtsnationalen

Minister für nationale Sicherheit,

Itamar Ben-Gvir, der

selbst wegen seiner Gesinnung

nicht in der Armee ist.

„Wenn eine

Seite gewinnt,

wird

Israel verlieren“,

sagte der israelische

Staatspräsident Jitzchak

Herzog zum Brennpunktthema

Justizreform in Israel bei

einem Besuch in New York .

Ehrenzeichen

Herausgeberin Joanna Nittenberg

wurde mit dem Goldenen Ehrenzeichen

für die Verdienste um die Republik

Österreich ausgezeichnet.

Joanna Nittenberg ist seit 1974 Herausgeberin

der Illustrierten Neuen Welt. Diese geht

auf Theodor Herzls 1897 gegründete Die

Welt zurück, in der Herzl erstmals auch vor

einer breiteren Öffentlichkeit seine Idee des

Zionismus vertrat. Eng mit Israel verbunden

ist auch das seit knapp fünf Jahrzehnten

von Nittenberg geführte Blatt, das aus der

jüdischen Welt hierzulande wie auch aus

Eretz Israel berichtet.

Joanna Nittenberg wurde 1942 in Lemberg

geboren. Im Alter von sechs Jahren

wurde sie aus dem dortigen Ghetto geschmuggelt

und Ukrainern, die mit den

Deutschen zusammenarbeiteten, zur Obhut

übergeben. Nach dem Ende des Zweiten

Weltkriegs weigerte sich die Pflegefamilie,

das Kind seinen Eltern zurückzugeben.

So wurde die kleine Joanna schließlich entführt

und wieder mit ihrer Mutter und ihrem

Vater vereint.

Die spätere Journalistin studierte Publizistik

und Germanistik an der Universität Wien.

1974 übernahm sie gemeinsam mit WINA-

Autorin Marta S. Halpert die Illustrierte Neue

Welt. Die beiden Frauen waren damals die

ersten weiblichen Herausgeberinnen in Österreich.

Nachdem sich ihre beruflichen

Wege wieder getrennt hatten, wurde Franz

C. Bauer Mitherausgebers. Die Illustrierte

Neue Welt ist bis heute bemüht, Toleranz

und Aufklärung durch Information

zu erreichen und so

ein Stück weit Antisemitismus

entgegenzuwirken.

AW

Joanna

Nittenberg

ist seit kanpp

fünf Jahrzehnten

Herausgeberin der

Illutstrierten Neuen

Welt.

3 wına | Juli/August 2023

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Boomender Tourismus

Donau, Berge, Kinderhotels

Der Gästestrom aus Israel nach Österreich wird immer

breiter. Im Vorjahr erreichten die Nächtigungszahlen

beinahe eine Million.

Von Reinhard Engel

Ein kühler Sommertag in

den Tiroler Bergen kann

die Urlaubsfreude nicht

bremsen. Die Kids toben

in der Indoor-Wasserwelt

herum, später geht es zum

Basteln und Malen in ihren Club. Inzwischen

entspannen die Eltern im Adult only

Spa mit Sauna und Pool, wo der Türöffner

so hoch angebracht ist, dass ihn die Kleinen

nicht erreichen können.

Am Abend umkreist dann jede Altersgruppe

ihr jeweils eigenes Buffet: Die Erwachsenen

holen sich am Anfang des

Mehrgang-Menüs Salate und Vorspeisen.

Die Kids arbeiten eine Etage tiefer am Kinderbuffet.

Zuerst gibt es Spaghetti, Pommes

frites und Mini-Schnitzerl, in einem

zweiten Durchgang drängen sie sich zappelig

um die Eisbox. Die einen genießen

ihren Grünen Veltliner oder Zweigelt aus

eleganten Stielgläsern, die anderen umklammern

bruchsichere, mit Säften gefüllte

Kunststoffbecher.

Zwei Familien aus Tel Aviv verbringen

im Alpenpark Resort Seefeld der Kalchschmied-Gruppe

ihren Österreich-Urlaub.

Es sind drei Anwälte und eine

Journalistin, dazu noch pro Paar zwei Vorschulkinder.

Gefunden haben sie das Kinderhotel

durch Zufall bei einem früheren

Tirol-Besuch. Weitere Urlaube in Häusern

der Angebotsgemeinschaft sollen folgen,

im Sommer wie im Winter.

„Ja, israelische Touristen, besonders

solche mit Kindern, lieben Österreich“,

so eine der beiden jungen Mütter. „Es gibt

hier so vieles, was uns zu Hause fehlt: genügend

Platz und die wunderschöne

grüne Natur.“

Diese Aussage steht nicht allein, sie

wird mit aktuellen Zahlen massiv untermauert.

„Wir haben im Jahr 2022 mit

950.000 Nächtigungen von israelischen

Gästen in Österreich ein Rekordjahr gehabt“,

erzählt Michael Tauschmann, bei

der Österreich Werbung zuständig für die

Märkte Naher Osten und Indien. Damit

ist Israel ein wichtiger Markt geworden,

rangiert in Übersee bereits als Nummer

zwei nach den USA. Und den Erwartungen

der Touristen stehen ebensolche

der Hoteliers und Fremdenverkehrsverbände

gegenüber. Sie fassen die Vorteile

der Gäste aus Israel so zusammen:

Israelische Urlauber sind eine ausgesprochen

kaufkräftige Zielgruppe. 35 Prozent

der Gäste haben ein Haushaltsnettoeinkommen

von über 6.000 Euro;

die wichtigste Urlaubsart und Urlaubsaktivität

ist Sightseeing;

36 Prozent der Gäste aus Israel kommen

als Familie;

die Tagesausgaben sind mit 249 Euro

pro Person und Tag überproportional

hoch. Besonders viel wird für Shopping,

Kulinarik und Freizeit bzw. Kultur ausgegeben.

Der aktuelle Boom findet gleichzeitig

in verschiedenen Regionen statt. So lagen

etwa die Nächtigungszahlen der Israelis

in Wien im Vorjahr bei 350.000, berichtet

Matthias Schwindl vom Vienna Tourist

Board. Damit erreichten sie in der Stadt

den neunten Rang unter den internationalen

Gästen, für ein kleines, noch dazu

außereuropäisches Land beachtlich.

Aber auch anderswo schnellen die Zahlen

nach oben. In Salzburg wissen die dortigen

Tourismuswerber von einem seit

Jahren rasanten Wachstum der Nächti-

© fotohofer.at, 123 RF

4 wına | Juli/August 2023

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Diverse Gästegruppen

© fotohofer.at, 123 RF

Rekordzahlen bei

Nächtigungen israelischer

Touristen in Österreich.

gungszahlen israelischer Gäste: „Von 2012

bis 2022 verzeichnete das SalzburgerLand

ein Plus von 243 Prozent. Mit einem Nächtigungsanteil

von 34 Prozent, gefolgt von

Wien (31 Prozent) und Tirol (20), ist das

SalzburgerLand bei den israelischen Gästen

die beliebteste Sommerdestination in

Österreich.“

Und auch in anderen Regionen geht es

rasant aufwärts. So erzählt etwa Christian

Schirlbauer, Geschäftsführer der oberösterreichischen

Ferienregion Dachstein

Salzkammergut: „Wir hatten im Jahr 2021

insgesamt nur 740 Nächtigungen von Israelis.

Im Geschäftsjahr 2022 waren es bereits

14.700. Die Israelischen Gäste haben

das Salzkammergut entdeckt, ich kann

nur dankbar dafür sein.“

Darüber hinaus sind manchmal kleine

Erfolge an Orten zu verbuchen, wo man

sie zunächst nicht erwartet hätte. So

freute sich etwa die Hoteliersfamilie

Thaller in ihrem Betrieb (Hotel, Wirtshaus,

Drei-Hauben-Restaurant) im steirischen

Anger bei Weiz im Mai über die

überraschende Ankunft von 40 Frauen

und Männern aus Israel. Das ist sonst

eher eine Ferienregion für Einheimische.

Spät, aber doch haben die österreichweit

Verantwortlichen diesen Boom erkannt

– und wollen ihn auch verstärken.

Ab Frühjahr 2023 hat die Österreich

Werbung mit der aktiven Bearbeitung des

touristischen Wachstumsmarktes Israel

begonnen. „Die vergangene Sommersaison

hat unsere Entscheidung, Israel als

Aktivmarkt zu definieren und damit die

Marktbearbeitung für die österreichische

Tourismusbranche weiterzuentwickeln,

nochmals bestätigt“, so Lisa Wedding,

ehemalige Geschäftsführerin der Österreich

Werbung. „Die Wachstumszahlen

sind im Vergleich zum Sommer des Vor-

Corona-Jahrs 2019 mit über 20 Prozent

enorm beeindruckend.“

Dazu gab es nicht nur Tourismus-

Workshops und Präsentationen der Österreich

Werbung in mehreren israelischen

Städten, auch Politiker reisten

extra an: Neben dem Bundesminister

für Arbeit und Wirtschaft Martin Kocher

und der Tourismusstaatssekretärin Susanne

Kraus-Winkler waren touristische

Player aus ganz Österreich mit in der Delegation.

Einen genaueren Blick auf den

Herkunftsmarkt wagte etwa Schirlbauer

aus dem oberösterreichischen Bad Goisern.

Aber auch der Tourismusdirektor

Klaus Lorenz aus Baden bei Wien war

dabei: „Wir sehen ein sehr hohes Potenzial

für Baden bei israelischen Gästen und

konnten sehr großes Interesse der Partner

an unserer Region bemerken. Unter anderem

gibt es bereits konkrete Anfragen

in Richtung Wein- und Kulturtourismus,

„Die israelischen

Gäste haben das

Salzkammergut

entdeckt, ich kann

nur dankbar dafür

sein.“

Christian Schirlbauer

die wir in den nächsten Wochen mit den

Partnern entwickeln werden.“

Kultur, Alpen, Shopping. Was machen die

israelischen Gäste in Österreich? Und

wie finden sie ihre Region, ihr Hotel,

ihre Attraktionen? Theresa Berger ist

Marketing-Leiterin des Wiener Luxushotels

Sans Souci. Sie zeigt vom Fenster

einer Suite hinüber auf die nahen Bundesmuseen.

„Wir haben vorrangig zwei

Gästegruppen aus Israel: Da sind einmal

Familien, sie interessieren sich für Kultur,

aber auch für die Geschichte ihrer

Vorfahren. Sie besuchen neben den Museen

etwa Synagogen, den zweiten Bezirk,

eventuell auch Mauthausen.“

Die zweite nennenswerte israelische

Gästegruppe kommt aus der LGBT+-

Community, meist gleichgeschlechtliche

Paare. Unter ihnen ist Wien zunächst einmal

durch den Life Ball bekannt geworden,

aber man umwirbt sie auch gezielt.

Berger: „Wir schalten bei Google Werbung,

wer dann LGBT+friendly Hotel und Wien

eingibt, findet uns schnell.“ Das Sans Souci

ist ein privates Haus und gehört zu keiner

Hotelkette. Erreicht wird es durch Suche

auf den Plattformen booking.com und

wına-magazin.at

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Mundpropaganda

„Da sind einmal

Familien, sie interessieren

sich für

Kultur, aber auch

für die Geschichte

ihrer Vorfahren.“

Theresa Berger

Tripadvisor, überdies kann man über die

Preferred Hotels und direkt über die Website

buchen. „Wichtig ist aber doch die

Mundpropaganda“, ist Director of Sales

and Marketing Theresa Berger überzeugt.

Das bestätigt auch eine Untersuchung

der SalzburgerLand Tourismus GmbH. In

einem Papier für ihre Mitgliedsbetriebe

liest man: „Israel ist ein Empfehlungsmarkt.

Die Weiterempfehlung von Bekannten,

Freunden und Familien hat ei-

nen überproportional hohen Stellenwert.

Wurde eine Lieblingsdestination entdeckt,

wird diese häufig und gerne weiterempfohlen,

weshalb sich die Nachfrage

in manchen Regionen konzentriert.“ Dazu

gibt es gleich ein konkretes Beispiel: „Das

spiegelt sich auch in der Entwicklung

Flachau wider. Es gab den Bericht eines

einflussreichen Influencers, und im Sommer

2022 konnte mit knapp 67.000 Nächtigungen

ein regionales Rekordhoch erreicht

werden.“

Die Bedeutung der persönlichen Empfehlung

kennt Sükran Koc ebenfalls. Sie

ist Resident Manager des vor wenigen Monaten

eröffneten Vier-Sterne-Boutique-

Hotels 011 gegenüber der Wiener Oper.

„Wir haben gleich am Anfang israelische

Gäste gehabt, und jetzt – bei 49 Zimmern

– sind es jede Woche vier bis fünf Familien.“

Dabei handelt es sich um kaufkräftige

Gäste, vor allem aus den Städten Tel

Aviv und Haifa, sie buchen vorrangig die

Suiten, die 300 bis 400 Euro pro Nacht

kosten. „Aber sie wollen auch etwas haben

für ihr Geld.“

Die Oper spielt dabei als Attraktion

kaum eine Rolle, die Museen schon eher.

„Aber vor allem zählen die nahe Kärntner

Straße und die City fürs Shoppen“, weiß

die Managerin. „Wir werden immer wieder

zu Einkaufstipps gefragt.“ Und es geht

auch um weitere Destinationen. „Regelmäßig

buchen wir Bahn-Tickets für unsere

Gäste, nach Salzburg oder München.“

Diese Beweglichkeit und Unruhe haben

die SalzburgerLand-Spezialisten

über ihre israelische Klientel ebenfalls

erhoben: „Israelische Gäste sind sehr unternehmenslustig

und wollen in ihrem

Urlaub so viel wie möglich erleben. Vor

Ort wird gerne ein Mietauto gebucht, so

kann die israelische Spontanität und Flexibilität

noch besser gelebt werden. Die

SalzburgerLand Card mit ihren 190 inkludierten

Attraktionen steht da hoch im

Kurs. Eindrucksvoll: Von knapp 42.000

verkauften Cards wurden 10.900 von Israelis

abgenommen.“

Auch der Oberösterreicher Schirlbauer

hat diese Erfahrung gemacht: „Unsere Israelis

besuchen Hallstatt und das Salzwelten-Bergwerk,

fahren mit der Gondel hinauf

zur spektakulären Aussichtsplattform

Five Fingers auf dem Krippenstein oder

wandern rund um den Gosausee. Aber

nach ein, zwei Tagen sind sie wieder weg

und ziehen weiter – nach Salzburg, Wien

oder Innsbruck.

Was die österreichischen Hoteliers neben

der Ausgabenfreudigkeit der Israelis

besonders freut, ist die andere Taktung der

Urlaubssaisonen. Wieder die Salzburger-

Land-Touristikerin: „Eine Besonderheit

im israelischen Markt ist das große Potenzial

vor allem in der ,Shoulderseason‘,

also abseits der Hauptreisezeiten und insbesondere

im Frühling und Herbst. Denn

die jüdischen Feiertage fallen genau in

diese Zeit: Zu Pessach (Anfang April), Suk-

© Reinhard Engel

KOSCHER AM BERG

Die allermeisten israelischen Touristen

in Wien sind säkular und kommen

aus den Städten Tel Aviv und

Haifa. Doch es gibt auch die religiösen Gäste

aus Jerusalem, Zfat oder Bnei Brak. In Wien

bieten mehrere Hotels koscheres Essen an,

sei es selbst gekocht oder gecatered. Dazu

gibt es koschere Restaurants, vor allem im

ersten und zweiten Bezirk.

Auf dem Land sind solche Angebote selten.

Die religiösen Wiener, Antwerpener oder

Münchner mieten im Sommer alpine Appartements

und versorgen sich selbst. Einkaufsmöglichkeiten,

die ihren religiösen Vorschriften

entsprechen, gibt es vor Ort nur äußerst

selten. Für Israelis wären Lebensmitteltransporte

in ihre Ferien äußerst mühsam.

Es gab und gibt aber immer wieder spezielle

Angebote für streng gläubige Juden.

Unter der Website totallyjewishtravel.com

bietet etwa die israelische Feder-Familie mit

ihrem Veranstalter Tour Olam koschere Urlaube

in Österreich an. Einige Jahre lang arbeiteten

sie mit einem Hotel im Tiroler Serfaus

zusammen, für heuer laden sie ins Sporthotel

Zederhaus im Salzburger Lungau ein.

„Die Küche wird vom Tour-Olam-Team betrieben“,

schreiben sie. „Es gibt Halbpension

und ein reiches Buffet für

Lunch-Sandwiches.“ Im Programm

fakultativ mit buchbar sind auch

Touren nach Hallstatt, nach Kaprun,

auf den Großglockner, zum Shoppen

nach Salzburg oder ins deutsche

Berchtesgaden. Das Hotel wurde

übrigens einmal von den Skifahrern

Hermann Maier und Rainer Schönfelder

betrieben und gehört nach einer

Pleite und mehrjährigem Leerstand jetzt einer

Tiroler Familie.

Ähnliche Angebote organisiert der seit

Jahren in Wien lebende Israeli Avi Fein. Er hat

etwa zuletzt für die Feiertage von Schawuot

in einem Budapester Fünf-Sterne-Hotel 40

Zimmer en bloc gebucht und in der Küche

glatt koscher kochen lassen. „Wir haben sie

6 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 6 25.07.23 14:12


Thema

© Reinhard Engel

kot (Anfang Oktober) und Chanukka (Anfang

Dezember) reisen säkulare Jüdinnen

und Juden gerne und, da Schulferien sind,

auch länger mit ihren Kindern.“ Und das

sind eben gerade Zeiten, in denen die Österreicher

– und auch viele Gäste aus anderen

Ländern – eher zu Hause bleiben und

die Auslastung Luft nach oben hat.

Darüber hinaus sind die Israelis technikaffin

und kurzfristig motivierbar. So

liest man in einer Studie, die die Österreich

Werbung in Auftrag gegeben hat:

„Zwei Drittel der Gäste aus Israel buchten

den Urlaub online im Internet, weitere

26 Prozent per E-Mail. Vor allem der

Anteil der Buchungsplattformen und von

Airbnb ist überproportional hoch.“ Und

zur Spontaneität: „Ein Drittel der israelischen

Gäste buchte den Urlaub ein bis drei

Monate im Vorfeld der Reise. Weitere 20

Prozent buchten zwei bis vier Wochen im

Vorfeld. Im Verhältnis zu anderen ausländischen

Gästen sind Gäste aus Israel damit

eher kurzfristige Bucher.“

Zurück in Seefeld: Nach dem anstrengenden

Kids Club haben sich die Kleinen

mit den Eltern ein Eis in einer Konditorei

im Ort verdient. Noch sind die Gesichter

angemalt wie auf einem Faschings- oder

Purim-Fest. Doch die Müdigkeit lässt sich

nicht mehr verbergen. Die Kinder haben

ihren Tag mit Aktivitäten prall gefüllt. Und

sie werden das Jahre später als erwachsene

Österreich-Besucher wohl wieder

machen. Eventuell mit ihren Kids.

gekaschert, dann unsere Köche, den Meschgiach

und alle Lebensmittel gebracht.“

Fein kann reiche Erfahrung mit derartigen

kurzzeitigen Hotel-Übernahmen vorweisen,

sogar auf viel größerem Niveau. Er hat etwa

in Dubai oder in der Türkei Koscher-Urlaube

für 500 bis 1.000 Gäste geplant und durchgeführt.

Seine Gäste kommen aber seltener

aus Israel denn aus den USA und Großbritannien.

Österreich will er dabei dennoch nicht

vergessen. „Dieses Jahr habe ich kein Angebot,

aber für den kommenden Sommer suche

ich ein Hotel in Tirol. Es ist schwieriger

geworden, denn früher war der Sommer

schwach gebucht, jetzt sind die Häuser oft

voll und suchen keine zusätzlichen Partner.“

Die vor über 200 Jahren gegründete Israelitische Gemeinde Basel

mit ihren knapp 900 Mitgliedern ist eine der grössten jüdischen

Gemeinden der Schweiz. Die IGB ist eine öffentlich-rechtlich anerkannte

Religionsgemeinschaft und eine nach den Regeln der Halacha

geführte Einheitsgemeinde, die ihren Mitgliedern vielfältige Dienstleistungen,

ein breites Kultur- und Bildungsangebot und eine gut

ausgebaute Infrastruktur bietet.

Basel ist eine attraktive, kulturell reiche und familienfreundliche Stadt,

in der jüdisches Leben sichtbar gelebt wird. Es existiert ein breites

jüdisches Vereinsleben, ein grosses Koscherangebot, verschiedene

Betreuungs- und Bildungsinstitutionen für Kinder und vieles mehr.

Per Sommer 2024 oder nach Vereinbarung suchen wir als Nachfolge

für unseren geschätzten Rabbiner Dr. Moshe Baumel einen

Gemeinderabbiner

Ihre Aufgabenbereiche

• Sie sind für die rabbinischen Tätigkeiten unserer Gemeinde

verantwortlich.

• Sie pfl egen Kontakt zu unseren Mitgliedern in all ihren

Lebensabschnitten.

• Sie stehen dem Religionsunterricht der IGB vor und geben

regelmässig Schiurim für Erwachsene und Kinder.

• Sie übernehmen seelsorgerische Tätigkeiten und beraten Mitglieder

in ihren persönlichen Angelegenheiten.

• Sie sind verantwortlich für die Aufsicht aller halachischen und

rituellen Fragen.

Ihr Profil

• Sie verfügen über ein abgeschlossenes Rabbinatsstudium

(Smicha Jore Jore), eine weitere Ausbildung sowie über eine breite

jüdische und eine sehr gute allgemeine Bildung.

• Sie sind eine aufgeschlossene, initiative, vertrauenswürdige und

belastbare Persönlichkeit mit Ausstrahlung.

• Mit Ihrem Elan und integrativem Ansatz möchten Sie die Einheitsgemeinde

stärken und zeitgemäss weiterführen. Von Vorteil ist

dabei eine relevante Berufserfahrung.

• Sie begegnen allen Gemeindemitgliedern respektvoll, unabhängig

von ihrer Religiosität oder Vielfalt.

• Sie weisen sich durch eine hohe Sozialkompetenz aus und sind

es sich gewohnt, im Team zu arbeiten.

• Sie haben Interesse daran, sich in Basel zu integrieren und aktiv

die Israelitische Gemeinde nach aussen zu vertreten. Auch der

interreligiöse Dialog liegt Ihnen am Herzen.

• Sie sprechen sehr gut Deutsch oder haben den Willen, Ihre

grundlegenden Deutschkenntnisse zu vertiefen.

Wir bieten Ihnen ein angenehmes Arbeitsklima in einer professionell

geführten Gemeinde, ein engagiertes Team und attraktive Arbeitsbedingungen.

Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

Glückliche Kids bei Pommes und Kinderschnitzel:

Israelische Familien kommen immer

öfters nach Österreich und genießen hier allinclusive

in alle Regionen und Bereichen.

Bitte senden Sie Ihre Unterlagen z.H. der Rabbinerfi ndungskommission

an: sekretariat@igb.ch.

www.igb.ch

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 7 25.07.23 14:12


Sommer 2023

WIENER OASEN

Der öffentliche Raum ist nicht

nur Verkehrsfläche, sondern

auch Aufenthaltsraum, der

mit den ansteigenden Temperaturen

so manchem Stadtbewohner

zudem ein schattiges

Plätzchen bietet, wenn die unklimatisierte

Wohnung zur Hitzefalle

wird. Kindern, Jugendlichen,

aber auch Erwachsenen

bietet Wien eine Vielzahl an urbanen

Räumen, um zu spielen,

zu spazieren, sich zu bewegen,

zu entspannen. WINA bat

fünf Mütter in ihren bevorzugten

Park oder auf ihren Lieblingsplatz

im Freien. Das Wetter

beim Entstehen der folgenden

Aufnahmen im Mai spielte allerdings

etwas verrückt: Von Kälteeinbruch

über Regen bis zu

Sommersonne war innerhalb

weniger Tage alles dabei.

Text: Alexia Weiss,

Fotos: Daniel Shaked

8 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 8 25.07.23 14:12


Roller fahren

HANI ABRAMOV (28)

Pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin

Mutter von Joel (7), Judith (5) und Ruth (1)

AUGARTEN

„Wir kommen gerne mit den Kindern in den Augarten, sind mit

unseren Freunden hier, sehr oft am Wochenende. Wenn man am

Schabbat schon nicht mehr sitzen kann, ist es gut, an die frische

Luft zu gehen, und hier ist viel Grün, der Spielplatz ist hervorragend.

Wir wohnen in der Nähe und können daher auch viele

Spielsachen mitnehmen, das ist für mich sehr praktisch. Die Kinder

fahren auch gerne Roller, da gibt es viele Flächen, auf denen

man Roller oder Fahrrad fahren kann. Manchmal fahren wir auch

in den Donaupark, der ist zwar nicht in der Nähe, aber ein bisschen

Abwechslung tut auch gut. Wien hat insgesamt viele schöne

Parks und Spielplätze.“

wına-magazin.at

9

Jul_Aug_23.indb 9 25.07.23 14:12


Im Sand spielen

SHIRA SAWAZKY (35)

Hobbyfotografin – derzeit in Ausbildung zur

Bürokauffrau; Mutter von Ziona (6)

VENEDIGER-AU-PARK

„Wir sind oft hier, wir wohnen in der Nähe. Wir gehen auch in

andere Parks, aber das ist einer der größeren Spielplätze in der

Umgebung. Ziona spielt gerne im Sandkasten mit ihrem Sandspielzeug,

das haben wir immer mit. Sie schaukelt viel, und

mittlerweile liebt sie es auch zu balancieren. Ich finde es schön,

wie grün es in Wien ist und dass es so viele Parks und Spielplätze

und so viel Natur gibt. In der schönen Jahreszeit gehen wir

jeden Tag nach dem Kindergarten auf einen Spielplatz, außer

es regnet. Und am Sonntag gehen wir auch meist ins Grüne.“

10 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 10 25.07.23 14:12


Bekannte treffen

JULIE GOLDKROB (30)

Marketing-Fachfrau; Mutter von Harel (2) und Eyal (4)

RABBINER-FRIEDMANN-PLATZ

„Nach dem Kindergarten kommen wir meist noch hier her. Das ist gleich

neben unserem Wohnhaus. Hier gibt es eine schöne, offene Fläche, das

mögen die Kinder. Sie laufen herum, und es gibt auch ein paar Spielgeräte.

Hier treffen wir auch immer einige Bekannte und Nachbarn.

Wenn sie müde werden, und es gefährlich werden könnte, gehen wir

nach Hause. Wir sind meistens eine halbe Stunde oder Stunde da, und

dann gehen wir hinauf, weil die Kinder dann auch schon hungrig sind.

Ab und zu gehen wir aber auch in den Venediger-Au-Park, vor allem

am Wochenende. Dort gibt es einen großen Spielplatz, und es ist ein

geschlossener Park.“

wına-magazin.at

11

Jul_Aug_23.indb 11 25.07.23 14:12


Kunstwerke gestalten

LISA PRUTSCHER (39)

Yogalehrerin und Begründerin von Yogashelanu

Mutter von Neela (6) und Samuel (9)

LUSTHAUS-SPIELPLATZ

„Ich komme gerne mit den Kindern hier her, weil es so viel Natur gibt.

Der Spielplatz ist mitten im Wald, eigentlich im naturbelassenen Prater.

Das Angebot hier ist sehr spezifisch, es gibt nicht von allem ganz so

viel wie auf anderen Spielplätzen, sondern Dinge wie ein Klangerlebnis

und Reifenschaukeln oder einen Sandplatz, wo die Kinder Wasser kurbeln

und Sandburgen bauen können und der kein typischer Sandspielplatz

ist. Die Kinder können aber auch in den Wald laufen und dort Zelte

aus Holz und Stöcken bauen. Da sind schon Kunstwerke entstanden.

Und unten beim Wasser gibt es Enten. Wenn es im Winter friert, kann

man auch Eislaufen gehen. Ich bin eine aktivere Mama und mache hier

gerne Yogaübungen. Meistens sind wir aber alle zusammen aktiv, für

eines der Geräte braucht man zum Beispiel eine zweite Person, um hinauf-

und hinunterzugehen.“

12 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 12 25.07.23 14:12


Gemeinsam picknicken

TOVA STARIK (48)

Projektmanagerin bei Bayit und 110HUB

Mutter von Levi (6), Zvi (10), Dov (12), Mendi

(14), Yakov (16), Rosie (21) und Chaim (24)

AUGARTEN

„Was ich an Wien wirklich liebe, ist das viele Grün. Es gibt viele Orte mit Bäumen

und Grünflächen, an denen man seine Freizeit im Freien verbringen kann, was

für das Wohlbefinden so wichtig ist, vor allem wegen der frischen Luft und des

Sauerstoffgehalts, den die Bäume und Pflanzen liefern. Als wir noch im 19. Bezirk

gewohnt haben, war ich oft im Wertheimsteinpark und im Japanischen Garten,

dem Setagayapark, beide sind aber eher klein. Inzwischen sind wir in den zweiten

Bezirk übersiedelt und wohnen in der Nähe des Augartens. Der ist groß, und

ich habe hier auch zu laufen begonnen. Und es gibt all diese Wege zwischen

den Bäumen, und wenn ich mit meinem Sohn in die Schule auf der anderen Seite

des Augarten gehe, dann sagen wir, oh, wir sind im Wald. Als die Kinder noch

kleiner waren, haben wir viel Zeit am Spielplatz verbracht und waren auch im

Schwimmbad. Der 14-Jährige läuft inzwischen auch, die Jüngeren spielen gerne

Fußball. Manchmal machen wir hier auch ein Picknick.“

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Jul_Aug_23.indb 13 25.07.23 14:12


Victor Gruen und die

autofreie Wiener Innenstadt

In den USA machte sich der Stadtplaner und Architekt Victor

Gruen als Begründer der Shopping Malls einen Namen. Im

Juli 1903 in Wien als Victor David Grünbaum geboren, musste

er 1938 im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten

in die Vereinigten Staaten emigrieren. Seine Geburtsstadt

verdankt ihm die Fußgängerzone in der Kärntner Straße.

Von Alexia Weiss

Die Verbannung des Individualverkehrs

aus dem innersten

Teil der Wiener City wurde

1974 nicht von allen begrüßt.

Kritikern hielt Gruen entgegen: „Autos

kaufen nichts.“ Unrecht wird ihm postum

allerdings getan, wenn man ihm vorwirft,

sowohl mit dem Konzept des Einkaufszentrums

wie auch mit Fußgängerzonen den

Konsum in den Mittelpunkt gestellt haben

zu wollen. Was heute stadtplanerisch State

of the Art ist, trieb Gruen schon vor mehr

als 50 Jahren um: Der Umweltgedanke

einerseits, autofreie öffentliche Lebensräume

für den Menschen andererseits.

Faszinierend ist allerdings aus heutiger

Sicht, wenn man sich ansieht, was

Gruen in seinem Stadterneuerungsplan

für die Wiener Innenstadt noch alles vorgeschwebt

war – umgesetzt wurde davon

nur ein kleiner Teil. In seinen kurz vor seinem

Tod 1979 verfassten Memoiren, die

2014 von Anette Baldauf unter dem Titel

Shopping Town im Böhlau Verlag herausgegeben

wurden, umriss der Stadtplaner die

Ausgangslage so: „Das Kerngebiet Wien ist

identisch mit dem ersten Wiener Gemeindebezirk,

aber auch mit dem ältesten Teil

der Stadt, wie er bis 1860 mit Festungsmauern

und Stadttoren umgeben war. Die

ursprüngliche Einwohnerschaft von über

100.000 war auf 25.000 zurückgegangen.

Der frei gewordene Raum war durch Geschäftshäuser,

Gewerbebetriebe und Büros

übernommen worden. Im Kerngebiet

befinden sich aber auch die bedeutendsten

öffentlichen Gebäude wie Museen,

Burgtheater, Staatsoper, Konzertsäle, die

Als Victor David Grünbaum

in Wien geboren, machte sich der

Architekt und Stadtplaner auch

als politischer Kabbaretist einen

Namen. 1938 wurde er enteignet

und floh in die USA.

schönsten Kirchen, die Ministerien sowie

das Hauptgebäude der Universität. Einkäufern

und Besuchern stehen hunderte

von kleineren und mittleren Geschäften

sowie eine sehr große Anzahl von Gaststätten

zur Verfügung.“

Dadurch seien die Voraussetzungen

der Multifunktionalität bereits gegeben

gewesen. „Ihre Nutzung jedoch litt darunter,

dass das engmaschige, unregelmäßige,

spinnennetzartige System von

kleinen Straßen, Gassen und Plätzen mit

Personenautos und Lastkraftwagen derart

überlastet war, dass Verkehrsverstopfungen

zur Regel wurden und der Fußgängerverkehr

ernstlich gefährdet wurde.“ Die

damit einhergehende Lärm- und Abgasbelästigung

würde Einwohner, aber auch

Käufer und Besucher vertreiben, lautete

Gruens Befund.

In einer 1971 vorgelegten Studie entwarf

er einen Maßnahmenplan für die Attraktivierung

der Wiener Innenstadt, die

aus heutiger Sicht als visionär bezeichnet

werden kann. „Das Ziel des Konzeptes

war es, durch die Reinhaltung der Luft,

die Verringerung des Lärms und durch zusätzliches

Grün die Umweltbedingungen

derart zu verbessern, dass das Kerngebiet

als lebenswertester Bereich der Stadt sowohl

als Wohnort als auch als Besuchsort

wieder größere Anziehungskraft ausüben

würde.“

Gruens konkrete Vorschläge: „Die Erschließung

der Innenstadt durch neue Untergrundbahnlinien,

der völlige Ausschluss

des benzingetriebenen Fahrzeugverkehrs

sowie Ersatz der üblichen Einzelheizmethoden

durch Fernheizmethoden.“ Lagerhäuser,

Speditionen und Industriebetriebe

sollten in andere Teile Wiens

umgesiedelt und auf den dadurch frei

gewordenen Flächen Wohnungen errichtet

werden. Die gesamte Innenstadt sollte

durch eine kreisförmige Umfahrungsstraße

– den Ring – „als Umweltoase gestaltet

werden“. Auch an Details hatte Gruen

gedacht: Wie etwa konnte aus dieser völlig

autofreien Innenstadt der Müll entsorgt

werden? Seine Antwort: mit der U-Bahn.

Die Reaktion der Stadt war – Blockade:

„Alle Maßnahmen, die ich vorschlug und

die darauf hinausliefen, die Stadt menschengerecht

zu gestalten, stießen nicht

nur auf völliges Unverständnis der Planungsbürokratie,

sondern auf offenen

Widerstand.“ Dennoch wurden schließ-

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14 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 14 25.07.23 14:12


© Votava / brandstaetter images / picturedesk.com

lich Teile von Gruens Planungen

umgesetzt: Dazu gehörte

die U-Bahn, die in die Innenstadt

führte (diese wurde von

der Stadt bereits seit Ende

der 1960er-Jahre geplant und

schließlich 1978 eröffnet), die

Umwandlung einiger Straßenzüge

in eine Fußgängerzone sowie

die Einrichtung von Diesel-Minibussen

in der City. Ein

Beamter in der Magistratsabteilung

für Stadtplanung habe ihm

diese Vorgangsweise so erklärt:

„Wir wissen, Herr Architekt,

dass das, was Sie vorgeschlagen

haben, in seiner Ganzheit

notwendig sein wird, aber wir

fürchten uns davor, die Wähler

zu erschrecken, und gehen daher

nach der Salami-Taktik vor.“

Heute möchte man sagen: Da

hat man sich eine Riesensalami

vorgenommen. Auch wenn die

Fußgängerzone inzwischen gewachsen

und um das Konzept der Begegnungszone

(etwa in der Rotenturmstraße) erweitert

wurde, wenn mancher Platz inzwischen

mit einer Tiefgarage weitgehend vom Verkehr

befreit und zu einem Verweilort umgestaltet

wurde (wie der Neue Markt), ist

die Wiener City immer noch nicht autofrei.

Victor Gruen war seiner Zeit weit voraus.

Bereits 1968 gründete er in Los Angeles

das Center for Environmental Planning.

Eine kleine Gruppe von „Rufern

in der Wüste“ sei man damals gewesen,

„Als Verkehrsvertriebene

sind

sie ständig auf

der Flucht: Sie

fliehen von den

Stadtkernen zur

Peripherie, von

dort zum Umland.

Wenn sie

herausfinden,

dass ihnen die

Maschinen […]

mit ihrem Lärm

und Gestank

und ihren Gefahren

überallhin

folgen,

sinnen sie unentwegt

nach

weiteren

Auswegen, erwerben

Zweitund

Drittwohnungen

‚auf

dem Land‘ und,

wenn das alles

nicht mehr hilft,

flüchten sie

sich in Bewusstseinslosigkeit

durch Alkohol

und Drogen.“

Victor Gruen

hielt Gruen in

seinen Erinnerungen

fest. 1973

begründete er in Wien das Zentrum für

Umweltplanung. Ende der 1970er-Jahre

seien Umweltfragen dann bereits medial

breit thematisiert worden, Umweltparteien

waren im Entstehen, hielt Gruen

kurz vor seinem Tod fest. Und bilanzierte,

durchaus mit ein bisschen Stolz:

„Zusammenfassend glaube ich, zu der

Aussage berechtigt zu sein, dass die Bemühungen

der Zentren für Umweltplanung

dazu beigetragen haben, diese Entspannung

herbeizuführen und dass sich

in diesem Sinn vielleicht doch alle Mühe

Die Kärntner Straße:

1974 wurde zwischen Oper

und Stephansplatz die erste

Wiener Fußgängerzone eröffnet

(oben). Davor hatten

sich hier täglich Tausende

Autos durch die Straße

bewegt (unten: 1962).

wına-magazin.at

15

Jul_Aug_23.indb 15 25.07.23 14:12


INTERVIEW MIT EVA KAIL

Wien gilt als grüne Stadt – doch innerstädtisch heizt es sich an

heißen Tagen enorm auf. Der Klimawandel verschärft dieses

Problem zusehends. WINA sprach dazu mit der Stadtplanerin

und Stadt-Wien-Mitarbeiterin Eva Kail. Sie plädiert dafür,

Straßen nicht nur grüner zu gestalten, sondern sie auch wieder

mehr als Aufenhaltsort für Menschen zu verstehen statt als

Park- und Verkehrsfläche für Autos. Interview: Alexia Weiss

WINA: Wien ist knapp 415 Quadratkilometer groß. Knapp

die Hälfte dieser Fläche ist nicht versiegelt, sondern besteht

aus Wäldern, landwirtschaftlichen Flächen und Parks. Damit

gilt Wien als im internationalen Vergleich sehr grüne Stadt.

Die durch den Klimawandel ansteigenden Temperaturen haben

allerdings in den vergangenen Jahren das allgemeine Bewusstsein

dafür geschärft, dass es dennoch Stadtteile mit geringem

Grünanteil gibt, die sich im Sommer stark aufheizen.

Wie kann Stadtplanung hier dagegenwirken?

Eva Kail: Wien hat sich mit dieser Problematik relativ

früh auseinandergesetzt und in Zusammenarbeit

mit der Universität für Bodenkultur mit dem Heat Island

Strategieplan mögliche Maßnahmen aufgezeigt.

Inzwischen gibt es auch die Klimastrategie der Stadt

Wien mit einem konkreten Aktionsplan. Angesetzt

wird dabei auf verschiedensten Ebenen. Bei Neubauten

werden beispielsweise Dachbegrünungen vorgeschrieben,

und es werden Fassadenbegrünungen

forciert. Wir wissen aber, dass Baumpflanzungen

die beste Klimaanlage sind. Bäume beeinflussen das

Mikroklima am stärksten. Das größte Potenzial liegt

dabei im Straßenraum. Und genau das wird auch laufend

gemacht. Beispiele sind die Otto-Bauer-Gasse

im sechsten Bezirk oder die Zollergasse im siebenten

Bezirk. Dabei geht es nicht nur um Baumpflanzungen,

sondern auch darum, den Straßenraum,

der nicht nur Bewegungsraum, sondern auch Aufenthaltsraum

ist, zurückzuerobern.

In westlichen Städten nehmen Autos viel von der

Fläche in Anspruch. Hier ist der größte Spielraum für

Begrünungen. Man muss aber auch sagen: Wien hat

im Vergleich mit anderen Großstädten eine Vielfalt

an Stadtlandschaften vom Wiener Wald über das flache

Marchfeld bis zu den Donauauen. Das ist etwas

ganz Besonderes. Gleichzeitig haben wir innerstädtisch

überwiegend einen Gründerzeit-Raster, in dem

zwar einzelne Blöcke für kleine Parks ausgespart wurden,

aber das Grünflächenangebot insgesamt eher

gering ist. Die Ziegelbarone haben damals alles parzelliert.

Hier kann man in der Regel nicht hergehen

und großflächig Häuserblöcke abreißen. Aber auf

dem Areal des früheren Sophienspitals im siebenten

Bezirk, wo eine neue Quartiersentwicklung stattfindet

und neue Wohnprojekte entstehen, da wird

auch ein neuer Park geschaffen. Hier ist es leichter,

mehr Grünflächen und Bäume vorzusehen.

EVA KAIL,

geb. 1959 in Wien, ist

studierte Stadtplanerin.

Sie ist in der Stadt Wien

in der Magistrationsdirektion

im Geschäftsbereich

Bauten und Technik für

Gender Planning zuständig.

Kail koordinierte über 60

gendersensible Pilotprojekte

im Bereich Wohnbau,

Städtebau, Mobilität sowie

Gestaltung öffentlicher

Räume und Parks.

Jungbäume müssen aber auch die ersten Jahre gut überleben.

Manche tun dies in den inzwischen heißen Sommern

mangels Wasser nicht. Wie kann dieses Problem gelöst werden?

I Ja, das ist ein großes Problem. Je jünger die Bäume

sind, desto schwieriger ist es, dass sie hochkommen.

Es wurden Gießsäcke entwickelt, die das Wasser langsam

abgeben. Automatische Bewässerungen werden

eingebaut. Baumstandorte werden durch vergrößerte

Wurzelräume verbessert. Und es werden

Baumarten verwendet, die mit den Standortbedingungen

besser zurechtkommen. Es muss aber auch

gelingen, der Bevölkerung zu vermitteln, dass Bäume

die Klimaanlage unserer Stadt sind.

In innerstädtischen Lagen werden nun auch vermehrt Pflanzenbeete

angelegt, die aber statt mit Erde mit einem spezi-

© Jana Madzigon

16 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 16 25.07.23 14:13


„Bäume sind

die Klimaanlage

unserer Stadt“

ein bisschen Zeit geben: Gerade jetzt, nach der langen

Regenperiode, blühen viele Beete sehr üppig, die

vor Kurzem noch nach Kiesfläche mit Unkraut ausgesehen

haben.

Was übrigens bei vielen Menschen sehr gut ankommt,

ist das „Garteln um Eck“ auf Baumscheiben.

Auch bei den Nachbarschaftsgärten gibt es lange Wartelisten.

Urban Gardening ist total im Trend. Daran

sieht man auch, dass sich die Einstellung zur Natur

gewandelt hat.

Auch bei bestehenden Grünanlagen wie dem Donaupark sollen

nun Teile der asphaltierten Wege wieder zurückgebaut

werden. Warum?

I Asphalt heizt sich stark auf, das kann an heißen Tagen

sehr unangenehm sein. Es ist daher sinnvoll,

Wege auf die nötige Breite zu reduzieren.

© Jana Madzigon

ellen Substrat arbeiten, das ähnlich wie Kies aussieht, zum

Beispiel am Petersplatz oder am Neuen Markt in der Inneren

Stadt. Das kommt bei vielen Menschen nicht gut an. Warum

ist es aber sinnvoll, Beete so anzulegen?

I Wien wächst, und es wachsen auch die Aufgaben,

allerdings bei nicht gleich schnell wachsenden Budgets.

Man muss also Ressourcen gezielt einsetzen.

Steigende Temperaturen im dicht verbauten Stadtgebiet

und länger anhaltende Hitzeperioden sind eine

enorme Herausforderung für Stadtpflanzen. Die Wiener

Stadtgärten reagieren auf sich ändernde klimatische

Rahmenbedingungen mit der Pflanzung von

Gräser- und Staudenbeeten.

Üblicherweise brauchen Gräser und Stauden zwei

bis drei Vegetationsperioden, um ihre volle Größe zu

entwickeln – abhängig von den jeweiligen Standortbedingungen.

Man muss solchen Beeten also auch

„Heute bemüht

man sich, vor

allem dort, wo

es eine hohe

Nutzungsdichte

gibt, speziell

für Kinder und

Jugendliche um

Bewegungsangebote.“

Eva Kail

Die Parklandschaft in Wien ist vielfältig. Es gibt die alten Anlagen,

wie etwa den Türkenschanzpark, oder Projekte wie den

erst 2023 eröffneten Stadtpark Atzgersdorf in Liesing, der

auf dem Areal des früheren Campingplatzes Wien Süd entstanden

ist. Wie hat sich über die Jahrzehnte die Gestaltung

von Parks wie auch von Spielplätzen verändert? Welche Rolle

spielen hier Sicherheit, Gendersensibilität, das Schaffen von

konsumfreien Räumen, aber eben auch der Klimawandel?

I Historisch gesehen gab es einerseits diese Art englischer

Landschaftsparks, wie eben den Türkenschanzpark

oder auch den Stadtpark. Da stand das

bürgerliche Flanieren im Mittelpunkt, und die Kinderspielplätze

waren doch relativ überschaubar.

Diese Parks wurden für den gesitteten Aufenthalt

und das Verweilen konzipiert. Dann gab es die Beserlparks;

sie boten meist nur Sitzbänke und eine

kleine Ecke für Kinder, vor allem jene in den Arbeitervierteln.

Heute bemüht man sich, vor allem dort,

wo es eine hohe Nutzungsdichte gibt, speziell für Kinder

und Jugendliche um Bewegungsangebote. Der

Park auch als Sportzone also. Die Motorikparks im

22. Bezirk oder auch der Helmut-Zilk-Park sind zum

Beispiel echte Erfolgsgeschichten. Klein und Groß

tummeln sich dort. Und dann gibt es Parks wie den

Draschepark, der auch ein alter Park ist, der aber

heute so vielfältig gestaltet ist, dass Jogger dort ihre

Runden drehen, es großzügige Ballkäfige gibt, eine

Hundewiese und eine davon abgetrennte Kinderwiese,

auf der man picknicken kann.

Wien hat hier insgesamt viel entwickelt. Beim

Gender Planning wird darauf geachtet, dass sich

nicht mehr, wie zuvor in Studien festgestellt, zum

Beispiel in den Ballspielkäfigen das Dschungelgesetz

des Verhaltensstärkeren durchsetzt. Dabei werden

die kleineren Buben von jungen männlichen

Erwachsenen verdrängt, und für Mädchen ist überhaupt

wenig Platz da. Mädchen brauchen Kommunikationsräume,

spielen aber auch gerne Volleyball

oder balancieren. Sitzmöglichkeiten in den Ballkä-

wına-magazin.at

17

Jul_Aug_23.indb 17 25.07.23 14:13


Raum für alle

figen stärken ihre Aneignungsmöglichkeiten. Wenn

man außen noch Basketballkörbe anbringt, gibt es zusätzliche

Angebote, die auch gerne genutzt werden.

Und wenn man die Zugangsmöglichkeiten vergrößert,

wirken die Käfige auch einladender.

Migrantische Bevölkerungsgruppen haben eine

spezifische Art der Parknutzung mitgebracht, wie

das Flanieren und sich dabei unterhalten. Daher sind

Rundwege wichtig. Es ist aber auch Übersichtlichkeit

wichtig – das berücksichtigen wir bei der Wegeführung.

Da geht es auch um Sicherheit. Grundsätzlich

bemühen wir uns um ein vielfältiges Angebot – ein

Beispiel dafür sind auch verschiedene Sitzgelegenheiten.

Ältere Personen tun sich manchmal schwer,

sich niederzusetzen und dann wieder leicht aufzukommen.

Sie brauchen Sessel mit Armstützen, wo sie

sich beim Aufstehen aufstützen können und damit

eine Hebelwirkung zum Aufstehen erzielen. Es geht

bei all dem um die Sorgfalt im Detail und den Blick

auf die Bedürfnisse einzelner Gruppen.

Im Alltag muss es aber oft gar nicht der große Park sein, auch

Fußgängerzonen tragen dazu bei, dass Menschen sich wieder

den öffentlichen Raum zurückerobern. Wo wird es in Wien in

absehbarer Zeit neue Fußgängerzonen geben?

I Es geht gar nicht immer nur um reine Fußgängerzonen.

Bewährt haben sich auch Begegnungszonen

wie etwa am Anfang und Ende der inneren

Mariahilfer Straße. Es gibt da etwa das Stadterneuerungsprogramm

WienNeu+, mit dem Grätzelprojekte

entwickelt werden. Ein Beispiel ist hier die Laxenburger

Straße, wo ein Radweg gebaut wird und entlang

dieses Weges Bäume gepflanzt werden. Insgesamt

geht es aber auch im Sinn des tactical urbanism

darum, Dinge auszuprobieren. Wie kann ich Verkehrsberuhigung

und Attraktivierung erreichen?

Da gibt es dann Mitbestimmungsverfahren, bei denen

sich die Anrainer und Anrainerinnen einbringen

können. Für die Gumpendorfer Straße läuft

gerade so ein Verfahren. Ziel ist immer, attraktive

Aufenthaltsräume zu schaffen, den Autoverkehr auf

„Sobald der

Verkehrslärm,

an den sich

schon viele

gewöhnt haben,

weg ist,

sind Menschen

plötzlich sehr

geräuschempfindlich.“

Eva Kail

Eva Kail setzt sich vor

allem auch für eine geschlechtersensible

Stadtplanung

ein.

ein Minimum zu reduzieren und das Mikroklima zu

verbessern.

Selbst ein paar Bänke im Fußgängerbereich einer stark befahrenen

Straße – ich denke da etwa an die Praterstraße – können

zu Kommunikationsorten werden. Wie entscheidet die

Stadtplanung, wo neue Bänke aufgestellt werden?

I Die Partizipationskultur ist hier inzwischen stark

ausgebaut. Es gibt kaum mehr Straßenumbauten

oder -umgestaltungen, wo nicht in der Bezirkszeitung

aufgerufen wird, Vorschläge einzubringen, wo

es keine Informationsveranstaltungen gibt. Das läuft

dann über die Bezirksvorstehungen vor Ort. Oft gibt

es auch Einladungen zu gemeinsamen Begehungen.

Zu Bänken ist allerdings zu sagen: Die einen schätzen

Bänke total, und sie sind auch für bestimmte Menschen

Voraussetzung für Mobilität. Personen, die

Herzbeschwerden haben oder gebrechlich sind, planen

ihre Wege so, dass sie sich zwischendurch niedersetzen

können. Auf der anderen Seite gibt es auch

das Ruhebedürfnis. Und gerade dann, wenn Bänke

als Kommunikationsorte gut funktionieren, kommt

es oft zu Lärmbeschwerden. Und wenn sich die diesbezüglichen

Anrufe bei der Bezirksvorstehung häufen,

ist die Bank wieder weg. Interessanterweise gibt

es dieses Problem häufig in verkehrsberuhigten Straßen.

Sobald der Verkehrslärm, an den sich schon viele

gewöhnt haben, weg ist, sind Menschen plötzlich sehr

geräuschempfindlich.

Braucht es hier auch einen Kulturwandel in der Bevölkerung?

I Es ist ein Paradoxon, dass dort, wo Verkehrsberuhigung

stattfindet und Angebote im öffentlichen Raum

gut angenommen werden, sich die Beschwerden der

Anrainer und Anrainerinnen erhöhen. Das ist also ein

ständiger Aushandlungsprozess. Am Ende geht es um

faire Chancen für die verschiedensten Bedürfnisse.

Bei der Umgestaltung wird darauf Wert gelegt, Platz

und Raum für alle zu schaffen.

InfoPoint Jewish Vienna

Begeben Sie sich mit uns auf die Spuren der Vergangenheit und der Gegenwart

Walking Touren Jüdisches Wien

Stadttempelführung

Innere Stadt

MO/DO/FR um 13:15 Uhr

Leopoldstadt

MI um 13:15 Uhr

Die Ringstraße

SO um 11:00 Uhr

Der Infopoint Jewish Vienna bietet verschiedene Führungen und individuelle Programme an und

lädt Sie herzlich ein, unsere Gemeinde und ihre Geschichte näher kennenzulernen.

18 wına | Juli/August 2023

Stadttempel

MO - FR, 10 Uhr

www.jewishinfopoint.at

oder unter: +43 1 53104 169

© Jana Madzigon

Jul_Aug_23.indb 18 25.07.23 14:13


Bauen oder nicht bauen?

Den zionistischen Traum leben –

im Einklang mit der Natur

Auf Anregung des Staates gründeten umweltbewusste

Stadtbewohner:innen alternative

Gemeinschaftssiedlungen in Galiläa. Als die

Region Profit versprach, wurden sie von der

Landverwaltung als Eindringlinge gesehen,

deren rechtlicher Status zurzeit ungeklärt ist.

Text & Fotos Tal Leder

Laut jährlichem Bericht des Nachrichtenmagazins

The Economist gehört

Tel Aviv zu den acht teuersten

Großstädten weltweit. Wer in der israelischen

Mittelmeer-Metropole wohnt,

nimmt hohe Lebenshaltungskosten in

Kauf. Überhaupt belasten die steigenden

Ausgaben, darunter teure Mieten,

die Gesamtbevölkerung. Ein Grund, weshalb

sich in den letzten Jahren viele nach

alternativen Wohnmöglichkeiten umsehen.

Während zahlreiche Israelis den Kibbuz

für sich wiederentdeckt haben, machten

manche ihr eigenes Boot in der Marina

zu ihrem neuen Zuhause. Andere sahen

diese Probleme schon Jahrzehnte voraus

und gründeten ökologische Siedlungen,

die von der Regierung allerdings bis heute

als rechtswidrig eingestuft werden.

„Ich habe mein Haus ohne Baugenehmigung

gebaut“, erzählt Eyal Ansbacher,

Yoga-Lehrer und Gründungsmitglied der

kleinen Ortschaft Klil in Westgaliläa. „Es

liegt sogar ein Abrissbefehl vor. Das gleiche

Schicksal droht hier vielen.“ Die ökologisch

kommunale Siedlung liegt zehn Kilometer

östlich von Naharija und wurde

1979 von einigen Stadtbewohner:innen

gegründet, die nach Veränderung und

mehr Lebensqualität suchten. Es wurde

nach den antiken Klil-Ruinen (hebräisch:

Hurvat Klil) benannt, die in der Gegend

entdeckt wurden. Die Neuankömmlinge

kauften privates Agrarland von Grundbesitzern

in benachbarten Dörfern sowie

Staatsgrundstücke

mit Unterstützung

der Jewish Agency,

die ihnen eine Fläche

von 10.000 Quadratmetern

übertrug.

Allerdings

bauten sie darauf

ohne Genehmigung

und Lageplan ihre

Häuser. Später kamen

noch ehemalige

Siedler aus dem

Sinai dazu.

Ohne Zaun und

Abgrenzung liegt

das Dorf mit seinen

1.000 Bewohner:innen in einem Waldstück

zwischen großen Olivenhainen. Es

gibt keine kommunalen Dienstleistungen

oder gar ein Zentrum. Auch besitzt Klil

kaum asphaltierte Straßen und ist nicht

an das nationale Elektrizitätsnetz angeschlossen.

Seine Bewohner:innen müssen

ihren eigenen Strom hauptsächlich durch

Solar- und Windkraft erzeugen. Der Großteil

des Abfalls wird recycelt, ebenso das

Wasser. „Unsere Energien sind begrenzt“,

lacht der 53-jährige Ansbacher. „Im Winter

fiel manchmal der Strom aus. Meine

Kinder konnten ihre Hausaufgaben nicht

beenden und dadurch am nächsten Tag

nicht zur Schule gehen.“ Der besondere

Charakter der Siedlung zieht den lokalen

Tourismus an, und im Laufe der Jahre

Eyal Ansbacher ist Gründungsmitglied der kleinen Ortschaft Klil.

wurden dort viele Gästezimmer, Restaurants

und Geschäfte mit Kunsthandwerk

sowie landwirtschaftlichen Produkten, u.

a. Bioolivenöl, eröffnet. Während die Häuser

der Bewohner:innen sich in die grüne

Umgebung der Siedlung einfügten und

der Staat ein Programm zur Judaisierung

Galiläas initiierte, passte diese ökosoziale

Vision zu den demografischen Plänen Israels.

Der illegale Bau auf landwirtschaftlichem

Boden florierte, und dank des Profits

schlossen die Behörden anfangs ihre

Augen. „Bei meinen ersten Häusern hatte

ich noch eine Erlaubnis“, erklärt Ansbacher.

„Danach sagte mir der Staat, dass ich

ohne Probleme weiterbauen kann. Bis sich

die Situation änderte: Erste Abrissbefehle

und Klagen folgten.“

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 19 25.07.23 14:13


Ökologische Pionierarbeit

Nicht nur die Bewohner:innen hatten

das wirtschaftliche Potenzial des günstigen

Landes um Klil herum entdeckt: Im

Laufe der Jahre wurde aus einer zionistischen

Siedlervision ein Profitprojekt für

Spekulanten. Es dauerte nicht lange, bis

der Staat beschloss, zwar die Wohneinheiten

für 180 Familien zu erweitern, aber illegales

Bauen zu verbieten. Und so wurden

aus zionistischen Pionieren plötzlich

Kriminelle. Mittlerweile haben die Behörden

Dutzende provisorische Unterkünfte

zerstört.

Ökologisches Pionierprojekt vor dem Aus.

Ähnlich erging es auch Kadita, einem

ökologischen Dorf auf dem Berg Koter in

Obergaliläa, acht Kilometer nördlich von

Safed, unweit der libanesischen Grenze.

1988 wurde der ehemalig arabische Ort

von vier Familien gegründet – darunter

Tamar Har Zahav, Tochter des berühmten

Fotografen David Rubinger –, die im

Rahmen einer Sondervereinbarung mit

der israelischen Landverwaltung Boden

im Austausch für ihr Privatland am Berg

Meron auf den Golanhöhen erhielt. Sie

kaufte den drusischen Bewohnern von

Beit Jan ein Stück Land ab, mit der Absicht,

ein Naturschutzgebiet zu errichten.

Als Har Zahav es nicht realisieren konnte,

erlaubte ihr Ariel Sharon, damals Wohnbauminister,

nach einem alternativen Gebiet

in Galiläa zu suchen. Man wurde in

Kadita fündig, wo die Gräber einiger berühmten

Rabbiner aus dem ersten Jahrhundert

als Pilgerstätte dienen.

„Ich gründete 1991 einen Verein mit

dem Ziel, eine ökologische Siedlung in

Kadita zu errichten“, erzählt Moshe Elbaz,

studierter Landwirt. „Ich wollte mit meiner

Familie im Einklang mit der Natur leben.

Dafür erhielt ich sogar den Segen von

Sharon.“ In einem offiziellen Schreiben

bestätigte das Ministerium seine Unterstützung

für die Errichtung der Siedlung.

Es belegt auch, dass die israelische Landverwaltung

die Bodenverteilung an die

Siedler:innen durchführen würde. Auf

der Grundlage dieser Vereinbarung wanderten

20 Familien in die Siedlung ein. Sie

bauten provisorische Häuser und begannen,

das Land zu kultivieren. Mittlerweile

leben knapp 200 Menschen in dem alternativen

und autarken Dorf, in dem sie ihren

eigenen Strom, ebenfalls durch Solarund

Windkraft, erzeugen.

„Leider haben sich die Staatsbeamten

nicht an ihr Versprechen gehalten und

viele Häuser um die Ortschaft herum ab-

Was als sozioökologische Bewegung

begonnen hat, steht heute

möglicherweise vor dem Aus.

„Die Menschen hier

verfolgen eine umweltbewusste

Agenda.

Sie gründeten

den Ort, um in Einklang

mit der Natur

zu leben.“

Moshe Elbaz

* Mit Jischuw bezeichnet man die jüdische Bevölkerung und das

Gemeinwesen in Palästina vor der Gründung des Staates Israel.

** Der Moschaw ist im Unterschied zum Kibbuz eine genossenschaftlich

organisierte ländliche Siedlungsform, deren Güter sich

teils in Kollektiv-, teils in Privateigentum befinden.

gerissen“, erzählt Elbaz. „Sie haben uns

Hindernisse in den Weg gelegt und nur

die Gründerfamilien anerkannt. Die Regionalverwaltung

wollte kein ökologisches

Dorf, sondern eine Gemeinschaftssiedlung

mit mehr als 150 Wohneinheiten.“

Daneben soll auch ein Komitee gegründet

werden, das über die Aufnahme in die

Siedlung entscheidet. Der Agronom sieht

darin eine Zerstörung von Kadita: „Die

Menschen hier verfolgen eine umweltbewusste

Agenda. Sie gründeten den Ort,

um in Einklang mit der Natur zu leben

und nicht, damit Spekulanten das meiste

Geld bieten, um hier eine Stadt zu bauen

und den Wald zu zerstören. Wir sind ökologische

Beduinen und gekommen, um zu

bleiben.“

Während sich die ökologischen Dörfer

als regionale Zentren für Bildung und

nachhaltiges Leben bezeichnen, sieht der

Staat deren Bewohner:innen als Kriminelle

an, die illegal Land besetzen. In Kadita

und Klil dauert der Rechtsstreit schon

Jahrzehnte, zwischen den Parteien dominieren

Misstrauen und Feindseligkeit.

„Es wurden auf allen Seiten Fehler ge-

20 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 20 25.07.23 14:13


Zerstörte Lebens(t)räume

„Die Bewohner

von Klil

und Kadita

sind Pioniere

und leben den

zionistischen

Traum.“

Eyal Ansbacher

macht“, erklärt Uri Ilan, Vorsitzender des

Bezirksausschusses in Nord-Israel. „Der

Staat ließ sie anfangs gewähren, und die

Siedler:innen nutzten diese Situation aus.

Viele wollten das Gesetz in seiner jetzigen

Form auch nicht durchsetzen, denn dann

hätte man die Häuser der Gründerfamilien

sofort abgerissen.“

Nach ersten gescheiterten Versuchen

des Staates und der Anwohner:innen, einen

Rahmenplan zu vereinbarten, wurde

vor zehn Jahren ein Ausschuss eingerichtet,

um grundsätzliche Planungsfragen sowie

die gesetzliche Regelung der Wohneinheiten

festzulegen. So gab es zwar eine

Erweiterung für beide Dörfer, aber auch

den Abriss Dutzender Häuser, die weiter

entfernt von den Siedlungen gebaut worden

waren. „Wir hatten keine Wahl“, sagt

Ilan vom zuständigen Bezirksausschuss.

„Das oberste Gericht Israels beschloss ihre

Auflösung.“

Ziel war es, den bestehenden Bauzustand

mit der Notwendigkeit der Erhaltung

von Grünflächen und einer akzeptablen

Basis für die Bewohner:innen

in Einklang zu bringen und gleichzeitig

Landressourcen zu schonen sowie die

Grenzen benachbarter Orte und ihrer Territorien

zu berücksichtigen. Doch trotz Erstellung

des Rahmenplans wurde dieser je

hinterlegt noch gefördert. Aufgrund der

fehlenden genauen Definition des Begriffs

„ökologische Siedlung“ sind diese weiterhin

gesetzlich umstritten: „Laut Thora

ist es für das jüdische Volk eine Mitzwa

(hebr., Gebot), ganz Eretz Israel zu besiedeln.

Alle Regionen Israels, einschließlich

der ödesten Gebiete“, erläutert Eyal Ansbacher

aus Klil. Dass der Staat sich querstellt,

versteht er nicht, und er erklärt,

dass die Siedlungen in Galiläa nicht mit

denen in Judäa und Samaria zu vergleichen

sind. Letztere werden von der internationalen

Gemeinschaft als illegal eingestuft.

„Die Bewohner von Klil und Kadita

sind Pioniere und leben den zionistischen

Traum: Das Volk Israel im Lande Israel“,

erklärt der Yogi.

wına-magazin.at

21

Jul_Aug_23.indb 21 25.07.23 14:13


Land und Müll

Ariel-Sharon

Park: Aus einer

gefährlichen Mülldeponie

wurde

ein ökologisches

Vorzeigeprojekt.

Der einstige Müllberg

von Hiriya. 2011 wurde

hier mit der Umgestaltung

der Deponie begonnen.

Kreativ und innovativ

Vom Müllberg zum Vorbild für Nachhaltigkeit:

Israels Ideen gegen die Abfallkrise

Von Viola Heilman

In den letzten Jahren hat sich in Israel

ein bemerkenswerter Wandel

im Umgang mit Abfall vollzogen.

Noch vor einigen Jahren war der

riesige Müllberg neben der Autobahn

vom Flughafen Ben Gurion

nach Tel Aviv nicht zu übersehen. Umgeben

von vielen Vögeln und übelriechenden Gerüchen,

war diese Deponie eine der größten

in ganz Israel. Doch im Jahr 1998 wurde

der Hiriya Waste Mountain (Hiriya Müllberg)

aufgrund von Umweltproblemen wie

kontaminiertem Grundwasser und giftigen

Gasen geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt

hatte der Berg eine Höhe von 60 Metern

und es lagerten 25 Millionen Tonnen Abfall.

Erst im Jahr 2011 wurde die Deponie

endlich gemäß den Plänen des deutschen

Landschaftsarchitekten Peter Latz in einen

Park umgestaltet, der den Namen Ariel-

Sharon-Park trägt. Der Architekt entwickelte

eine bioplastische Schutzplane für

den Boden, um die Pflanzen vor Kontamination

durch Methan und andere Gase zu

schützen. Neben der Gestaltung des Naherholungsgebiets

wurden auch Restaurants,

ein Amphitheater, Sport- und Bildungs-

einrichtungen errichtet. Die Arbeiten sollen

bis Ende 2023 abgeschlossen sein. Der

Park wird dann dreimal so groß sein wie der

Central Park in New York. Darüber hinaus

wurde am Fuße des ehemaligen Müllberges

eine Recyclinganlage aus drei Komponenten

errichtet: ein Abfalltrennungszentrum,

eine Grünabfallanlage zur Produktion von

Mulch und eine Baustoff-Recyclinganlage.

Das Zentrum hat eine Kapazität zur Verarbeitung

von einer halben Million Tonnen

Müll pro Jahr und ist damit die größte Abfallverwertungsanlage

im Nahen Osten.

Das Müllproblem in Israel muss in den

kommenden Jahren dringend gelöst werden.

Im Jahr 2022 produzierten Israelis

im Durchschnitt 690 kg Abfall pro Person,

während der Durchschnitt der OECD-Länder

bei 538 kg lag. Fünf Mülldeponien sollen

voraussichtlich in den nächsten drei

bis vier Jahren geschlossen werden, während

das Müllaufkommen jährlich um 2,6

Prozent zunimmt. Das schnelle Bevölkerungswachstum,

die Urbanisierung und

veränderte Konsummuster führen zu einer

erhöhten Abfallmenge. Die begrenzte

Fläche des Landes verschärft das Problem

und limitiert den verfügbaren Platz für

die Abfallentsorgung. Hinzu kommen ein

mangelndes öffentliches Bewusstsein für

Mülltrennung und Abfallvermeidung sowie

eine begrenzte Recyclinginfrastruktur,

die das Problem weiter verschärfen.

In den letzten Jahren hat die israelische

Regierung verschiedene Gesetze zur Abfalltrennung

und zum Recycling verabschiedet,

darunter das Pfand-, Recycling-, Verpackungs-

und Reifengesetz. In kleinen

Gemeinden ist das Umweltbewusstsein

höher als in den Städten. Auch die Bauindustrie

passt sich langsam der dringenden

Notwendigkeit an, umweltfreundlicher zu

agieren. In neu errichteten Wohntürmen

werden beispielsweise hydraulische Mülltrennungssysteme

für nassen und trockenen

Abfall installiert, um bereits eine Vorabsortierung

zu ermöglichen.

Plastiknation Israel. Die israelische Bevölkerung

verbraucht sehr viel Wasser aus

Plastikflaschen. 1999 wurde ein verpflichtendes

Pfandgesetz für Getränkehersteller

erlassen, das im Oktober 2021 erneut erweitert

wurde. Das Pfand variiert je nach

© mfa, p.d. via Wikimedia; Xinhua / Eyevine / picturedesk.com

© TIPA Compostable Packaging; HomeBiogas

22 wına | Juli/August 2023

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Kreative Zukunftsmodelle

© mfa, p.d. via Wikimedia; Xinhua / Eyevine / picturedesk.com

© TIPA Compostable Packaging; HomeBiogas

Größe der Flaschen zwischen 0,30 NIS und

1,20 NIS (ungefähr 0,30 EUR). So soll es für

die Konsumenten einen Anreiz geben, die

Flaschen nicht im Hausmüll zu entsorgen.

Denn Plastikabfall ist in Israel besonders

problematisch. Neben Plastikflaschen gehört

auch Einweggeschirr in vielen Haushalten

zur Grundausstattung. Jedes Jahr

geben Israelis fast 500 Millionen Euro für

Plastikartikel aus. Trotz Umwelt- und Gesundheitsbedenken

ist Einwegplastik oft

günstiger, als den Geschirrspüler zu bedienen.

Ein Bericht des Parlaments ergab,

dass Haredi-Familien (ultraorthodoxe Familien)

aus einkommensschwachen Gemeinden

dreimal mehr Plastikartikel verwenden

als der Rest der Bevölkerung.

Aufgrund größerer Familien, häufiger

Schabbat-Mahlzeiten mit vielen Gästen

und einer generell höheren Verwendung

von Einwegartikeln entsteht ein höheres

Abfallaufkommen.

Die Strände Israels, insbesondere in und

um Tel Aviv, gehören zu den am stärksten

durch Plastik verschmutzten im gesamten

Mittelmeerraum: Einwegplastik macht

zwischen 70 und 90 Prozent des im Meer

und Sand gefundenen Mülls aus. Plastikmüll

ist somit das größte Verschmutzungsproblem

an Israels Stränden.

Aber Veränderungen brauchen Zeit

und nicht nur die Motivation der Bevölkerung,

sondern auch alternative Ansätze.

Die Lösung des israelischen

Müllproblems

benötigt einen

ganzheitlichen Ansatz,

der technologischen

Fortschritt,

(o.) Ein Sack

voll Müll: Die

Innovation von

HomeBiogas

verwandelt

Hausmüll

in wertvolle

Energie.

(u.) Kompost

statt Plastikmüll:

TIPA

stellt kompostierbare

Lebensmittelund

Kleidungsverpackungen

her.

In den letzten

Jahren sind

in Israel zahlreiche

Unternehmen

entstanden,

die

sich mutig der

Lösung des internationalen

Müllproblems

widmen.

politische Reformen

und gesellschaftliches Engagement

kombiniert. Israels innovative Start-up-

Szene hat bereits Lösungen entwickelt, die

international eingesetzt werden. Aufbauend

auf der Annahme, dass ein Bewusstsein

für die Müllvermeidung viel länger

dauern wird, als das Problem des wachsenden

Müllaufkommens sofort zu beheben,

haben sich zahlreiche Firmen der Kreislaufwirtschaft

verschrieben.

Was aus Müll wieder werden kann. Vor allem

für die Verarbeitung von Plastik gibt es bereits

eine Vielzahl an Unternehmen mit innovativen

Lösungen. Ein Beispiel ist TIPA

(tipa-corp.com), die mithilfe spezieller Bakterien

kompostierbare Lebensmittel- und

Kleidungsverpackungen herstellt, die bereits

in den USA eingesetzt werden.

Clariter (clariter.com) beschäftigt sich mit

dem Upcycling von Plastik und wandelt

Kunststoffe mithilfe chemischer Stoffe in

hochwertige Wachse, Öle und Lösungsmittel

um. Diese stellen eine Alternative zu fossilbasierten

Grundstoffen, wie Petroleum,

dar und werden in zahlreichen Indust-

rie- und Verbraucherprodukten verwendet.

Clariter ist in Polen und Südafrika tätig

und hat auch ein Werk in Israel.

UBQ (ubqmaterials.com) im Kibbuz

Tze’elim verarbeitet nahezu 100 Prozent

aller Haushaltsabfälle in eine karamellartige

Flüssigkeit, die für kompostierbaren

Spritzguss und Biokunststoffe weiterverwendet

wird. In den UBQ-Werken in Israel

und Belgien werden unzählige Tonnen

Müll verarbeitet – dabei entsteht gereinigter

Kunststoff, der für jede Art von Produkt

verwendet werden kann, die der Markt verlangt.

Schon jetzt werden in den USA Mülltonnen

aus diesem Material hergestellt,

und die Nachfrage dafür ist

riesig, da die globale Kunststoffindustrie

für Spritzguss einen Marktanteil

von 325 Milliarden US-Dollar

hat.

Noch ein weiteres Unternehmen

namens TripleW (triplew.com) hat

Lösungen für Lebensmittelabfälle

entwickelt, die mittels Bakterien

zu Biokunststoffen recycelt werden

können. In Supermärkten gibt

es bereits Gemüse- und Obstschalen

aus Maisstärke, doch TripleW

erweitert seine Rohstoffe für die

Wiederverarbeitung und verwendet

sämtliche Lebensmittelabfälle,

einschließlich Fleischreste.

HomeBiogas (homebiogas.com) verwertet

Essensreste in einer Biogasanlage

für den Haushalt und wandelt sie

in Gartendünger um. Diese kleine Anlage

funktioniert wie ein automatisierter Kompostplatz.

Im Gerät befinden sich Bakterien,

die die Essensreste zu Gas für Kochstellen

und Dünger für den Garten verarbeiten.

Die kleinste Anlage kostet rund 900 Euro

und wird zerlegt verschickt. Die Hersteller

von HomeBiogas exportieren ihre Anlagen

auch nach Afrika, wo es viele Dörfer ohne

Müllentsorgung gibt.

In den letzten Jahren sind in Israel zahlreiche

Unternehmen entstanden, die sich

mutig der Lösung des internationalen

Müllproblems widmen. Durch die Einführung

innovativer Recyclingtechnologien,

Sensibilisierungskampagnen und

die Umsetzung von Kreislaufwirtschaftspraktiken

kann Israel sein Abfallmanagementsystem

zu einem Vorbild für Nachhaltigkeit

machen. Mit Entschlossenheit,

Kreativität und einem starken Engagement

für den Umweltschutz hat Israel das Potenzial,

diese Herausforderung zu bewältigen

und eine Vorreiterrolle in nachhaltigem

Abfallmanagement einzunehmen.

wına-magazin.at

23

Jul_Aug_23.indb 23 25.07.23 14:13


Nationales Modeimperium

„Weniger ist mehr“

Von Arbeitshemden, Uniformen und dem „Deppen-Hut“

Khakihemden, weite Shorts und der berühmte „Kova Tembel“ prägten über Jahrzehnte

das Bild des „typischen Israelis“. Produziert wurden diese Kleidungsstücke

von ATA, dem legendären Textilgroßunternehmen, das von zwei Einwanderern aus

Österreich-Ungarn gegründet worden war.

Von Daniela Segenreich-Horsky

Beinahe jeder im Land hatte ihn –

den Kova Tembel. Der oft etwas

lächerlich aussehende Baumwoll-Sonnenhut,

in wörtlicher

Übersetzung der „Deppen-Hut“, war noch

vor der Staatsgründung und dann über

viele Jahrzehnte hinweg das Symbol der

Pioniere, die den Staat aufbauten, und des

„Israelischen“ schlechthin. Das New Yorker

Museum of Modern Art (MoMA) setzte

die schlichte Kopfbedeckung aus Baumwolle

in einer Ausstellung an die Seite von

Modeklassikern wie den Levy-Jeans, dem

„kleinen Schwarzen“ (Cocktail-Kleid) von

Coco Chanel oder dem Trench Coat von

Burberry und war somit wesentlich beteiligt

an der Wiederentdeckung des Hütchens

als Must-have-Accessoire.

Der Palmach-Kommandant und spätere

israelische General Yigal Alon bildete

die Ausnahme der Regel und trug

statt des Kova Tembel lieber einen australischen

Buschhut Er soll dazu bemerkt

haben: „Mit dem australischen Buschhut

sieht jeder Depp aus wie ein Held, aber der

Kova HaMikve [so wurde der Kova Tembel

anfangs genannt, nach der Landwirtschaftsschule

Mikwe Israel, Anm.] macht

aus jedem Helden einen Deppen.“

Richtig berühmt und zum nationalen

Symbol wurde der Kova Tembel dann

durch „Srulik“, den kleinen Israeli in

den Cartoons des legendären Zeichners

Kariel Gardosh, die unter dem Kürzel

„Dosh“ viele Jahrzehnte lang in israelischen

Tageszeitungen erschienen. Srulik

hatte dazu ein kurzärmliges Khakihemd,

Shorts und Sandalen – das gleiche Outfit,

das auch Premierminister Ben-Gurion

täglich trug, ebenso wie die meisten anderen

Politiker, Militärs und hebräischen

Arbeiter.

Produziert wurden alle diese Kleidungsstücke

seit 1934 von ATA, der von

Erich und Hans Moller geführten Fabrik,

die das Bild des „modernen Hebräers“ –

und natürlich auch der modernen Hebräerin,

vor allem der Frauen im Kibbuz –

über ein halbes Jahrhundert lang prägte.

Erich Moller stammte aus einer jüdischen

Industriellenfamilie in Ostrava, sein Cousin

Hans Moller folgte ihm vier Jahre später

aus Wien nach Palästina.

Innerhalb eines Jahres errichtete Moller

im damaligen Kfar Ata, heute Kiriat

Ata, die Textilfabrik inklusive der gesamten

Infrastruktur: Behausungen für die

Angestellten, Zufahrtsstraßen aus dem

benachbarten Haifa, Elektrifizierung des

gesamten Gebiets und Wasserversorgung

durch einen neuen Brunnen. ATA war das

erste Unternehmen, das vom Garn bis

zum letzten Finish alles selbst erzeugte.

Die ersten 20 Arbeiter ließ Moller im Familienunternehmen

in der Tschechoslowakei

ausbilden, bevor er sie nach Palästina

brachte. Es gab auch eine eigene Tochterfirma

für die Distribution, und bald entstanden

im Land zahlreiche ATA-Stores,

schon damals alle mit einem einheitlichen

Erscheinungsbild. Das Textilunternehmen

wurde schnell zum größten im Land.

Die Bekleidung war betont einfach,

funktionell und haltbar und wurde zum

Symbol israelischer Werte und des zionistischen

Lebensgefühls. Es ist also nicht

überraschend, dass Ben-Gurion auf allen

Fotos beinahe ausschließlich im ATA-Outfit

zu sehen ist. Um dieses Bild zu vervollständigen,

wurde später der Name ATA,

ursprünglich nach dem Standort der Fabrik

in Kfar Ata, vom berühmten hebräischen

Schriftsteller S. Y. Agnon zum Akronym

für „Arigei tozeret arzeinu“ erklärt,

was in etwa bedeutet: „Textilien ,made‘

in unserem Land.“ Im Zweiten Weltkrieg

wurde ATA dann zum größten Lieferanten

von Zelten, Uniformen, Unterwäsche

und Socken für die britische Armee im

Nahen Osten. Und nach der Staatsgründung,

inzwischen hatte Hans Moller allein

die Führung des Konzerns übernommen,

kleidete ATA dann auch die israelischen

Soldaten ein und war außerdem in der Zeit

der „Zena“, der Rationierung, auch in der

zivilen Mode federführend, denn die Regierung

gab rationierte Coupons für ATA-

Bekleidung an alle aus. Man kann also mit

ziemlicher Sicherheit sagen, dass in jenen

Jahren jeder israelische Bürger zumindest

ein ATA-Stück im Kleiderschrank hatte.

Die Einfachheit der Kleidung, ohne Verzierung

oder Musterung, wurde in gewisser

Weise auch zelebriert, wollte man

sich doch von den „bourgeoisen Juden“ in

Europa abzeichnen. Und sie scheint auch

dem Geschmack der Mollers entsprochen

zu haben. So ließen Hans und Anny Moller

noch in den 1920er-Jahren ihre Villa in der

Starkfriedgasse in Wien vom Wiener Star-

Architekten Adolf Loos entwerfen, dessen

Doktrin – „weniger ist mehr“ und „Ornament

ist Verbrechen“ – eine neue Epoche

im Design einleitete.

Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren

gab es Versuche, die Kleidung mehr an die

© Matson (G. Eric and Edith) Photograph Collection, Library of Congress, Washington D.C; AFP / picturedesk.com; Jewish National Fund photo archive / Yacov Rosner

24 wına | Juli/August 2023

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Wiederbelebung einer Ikone

© Matson (G. Eric and Edith) Photograph Collection, Library of Congress, Washington D.C; AFP / picturedesk.com; Jewish National Fund photo archive / Yacov Rosner

aktuelle Mode anzupassen.

Es wurden Designer engagiert

und neben den Standardkollektionen

auch

„moderne“ Damenkleider

produziert. Das Unternehmen

blieb noch drei Jahrzehnte

führend auf dem

Sektor der Arbeitskleidung,

doch in der Freizeitmode

wurde die Konkurrenz immer

stärker, und die jungen

Israelis wollten mehr

und mehr mit den internationalen

Trends mithalten.

Intern gab es immer

mehr Dispute im Management

und Streit mit den Arbeitern, und

die große Zeit von ATA war vorbei. 1985,

nach einem weiteren großen Streik, ging

die Firma schließlich bankrott, und die

2.800 Angestellten wurden entlassen.

Erst beinahe drei Jahrzehnte später, inspiriert

von einer umfangreichen Ausstellung

über den Textilgiganten, der das Erscheinungsbild

des typischen Israelis so

wesentlich mitgestaltet hatte, initiierten

der Unternehmer Shahar Segal und

„Man kann

,nicht moderne‘

Kleider

tragen und

trotzdem stillvoll

sein. […]

Trends machen

uns alle

zu Opfern.“

Yael Shenberger

ATA zählte über Jahrzehnte zu

den größten Bekleidungsbetrieben

Israels und prägte das

modische Gesicht des Landes.

die Modedesignerin Yael

Shenberger ein Remake

der ATA-Mode. Dabei versuchten

sie, ATAs Werte,

wie Simplizität, Funktionalität,

Qualität und Tragekomfort,

zu erhalten

und an die heutigen funktionellen

Ansprüche und unsere moderne

Ästhetik anzupassen. Die neuen ATA-Geschäfte

vermitteln ein Flair des ursprünglichen

Israel und sind gleichzeitig zeitgemäß.

Die Produkte sind ausschließlich aus

Baumwolle, werden lokal produziert und

sollen lange verwendbar sein.

In einem Interview mit der Tageszeitung

Haaretz erklärt Shenberger, dass

Mode für ein Kleidungsstück zweitrangig

sein sollte. Es soll der Trägerin oder dem

Träger zu Diensten sein und nicht umgekehrt:

„Man kann ,nicht moderne‘ Kleider

tragen und trotzdem stillvoll sein. Wenn

das Stück von exzellenter Qualität, ästhetisch

und angenehm ist, dann besitzt

man etwas, das unbezahlbar und zeitlos

ist. Trends machen uns alle zu Opfern – ein

trendiges Stück verpflichtet uns zu einem

gewissen Stil, und im Jahr darauf müssen

wir dann wieder einen ganz anderen Stil

tragen.“

Natürlich ist auch der gute alte Kova

Tembel wieder mit dabei und gehört angeblich

zu den meistverkauften Stücken.

Die ikonischen weichen Sonnenhütchen

werden mittlerweile teilweise von palästinensischen

Arbeitern produziert, in hoher

Qualität, wie die Chefdesignerin versichert,

und in neuen Farben.

wına-magazin.at

25

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NACHRICHTEN AUS TEL AVIV

Das Erbe des

David Josef Grün

Ben-Gurions Bedeutung ist unumstritten.

Doch das, was sein Erbe für heutige Generationen

bedeutet, variiert zunehmend.

s ist nicht sicher, ob David Ben-Gurion

den Bau eines Luxushotels auf

dem Gelände seines Kibbuzes für gut

geheißen hätte. Aber da steht es nun

stolz, am Eingang von Sde Boker – ein

sandfarbener Bau im orientalischen Stil, gut passend

zur Wüstenlandschaft. Die Gäste können im

Schwimmbad chillen, danach wunderbar essen,

lokalen Wein probieren und mit einem Experten

zur Nachtsafari aufbrechen. Dabei geht es mit dem

Jeep durch den Negev, auf den Spuren von Füchsen,

Hasen, Stachelschweinen, Skorpionen und

Spinnen. Letztere lassen sich mit Hilfe von Ultraviolettlampen

gut sichtbar machen. Sie bauen sich

im Sand winzige Höhlen, samt perfekt gezimmertem

Deckel, der sich auf und zuklappen lässt. Eine

ganz eigene Welt liegt da verborgen.

Auf der Suche nach Lebewesen, die besonders

in der Dunkelheit aktiv sind, geht es auch durch

Felder, auf denen massenweise Kale angebaut

wird. Schon lange gibt es keinen Markt mehr in

Tel Aviv ohne dieses Superfood. Aber es war der

Gegenentwurf zur Großstadt, den unser junger

Guide hier gesucht hat, als er vor einem Jahr aus

Haifa hierher gezogen ist. Sein Wissen stammt aus

der Zusammenarbeit mit einem Zoologen, viel

Von Gisela Dachs

Diese Oase mag sich zwar weit ab von

allem befinden, sie symbolisiert aber trotzdem

das Herz des Zionismus.

mehr aber noch durch genaue Beobachtung. Er

kennt die Gegend wie seine Westentasche.

Junge Leute, die in den Süden gezogen sind, um

ihre Lebenserfahrung zu erweitern, gibt es noch

mehr. Das Hotelmanagement hat einen Deal mit

dem Kibbuz geschlossen. Soldaten, die nach dem

Pflichtdienst entlassen wurden, können sich hier

in einem mehrmonatigen Programm in der Branche

ausbilden lassen. Die beiden jungen Frauen,

die gerade an der Bar bedienen, gehören dazu. Sie

wohnen während der Zeit im Kibbuz.

Diese Oase mag sich zwar weit ab von allem befinden,

sie symbolisiert aber trotzdem das Herz

des Zionismus. Denn direkt neben der Hoteleinfahrt

steht David Ben-Gurions berühmte „Hütte“.

Israelische und ausländische Besucher kommen

hierher, um sich anzusehen, wo der damals frisch

zurückgetretene Ministerpräsident ab 1953 mit

seiner Frau Paula bis zu seinem Tod gelebt hat

(bis auf eine längere Unterbrechung, als er in die

Politik zurückgerufen wurde). Der schlichte Containerbau

ist damals eigens für das Paar errichtet

worden. Alles ist genauso geblieben, wie Ben-Gurion

es verlassen hatte, als er 1973 verstarb. Dies

war sein Wunsch, so stand es in seinem Testament.

Seine Aufnahme in den Kibbuz im Jahr 1952

war damals keine Selbstverständlichkeit. In einem

Brief hatte Ben-Gurion die Mitglieder

schriftlich darum gebeten. Ihn hatte der Pioniergeist

der Gründer fasziniert, als er bei einem Besuch

in der Gegend deren Anfangsbemühungen

sah. Niemals habe er „jemand anderen, die Eigenschaften

eines anderen oder das Eigentum

eines anderen beneidet“, hieß es in

© Shabtai Tal, CC-BY-SA-4.0 wikimedia

26 wına | Juli/August 2023

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© Shabtai Tal, CC-BY-SA-4.0 wikimedia

seinem Brief. „Aber als ich Sde Boker besuchte,

konnte ich nicht anders, als eifersüchtig und neidisch

zu sein. Warum sollte ich es nicht verdient

haben, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein?“

Im Kibbuz wurde ausführlich über diese Bitte

diskutiert: Ben-Gurions Prominenz, abgewogen

gegenüber der Tatsache, dass er bereits ein älterer

Mann war. Die Abstimmung ging knapp aus,

eine Mehrheit mit nur einer Stimme war dafür.

Am Ende durften er und seine Frau dazustoßen.

Die bescheidene „Hütte“ mit Arbeitsraum,

Wohnzimmer, Schlafzimmer und Küche ist heute

ein Museum. Alles ist tatsächlich so geblieben wie

damals, einschließlich der Hausschuhe und des

Geschirrs in der Küche. Ringsherum aber hat

sich der Kibbuz erweitert, heute lebt er von einer

Klebebandfabrik, Tourismus, Weinanbau. Es

gibt ein Café namens Paula, in dem auch Olivenöl

verkauft wird, und eine Hundepension. Durchreisende

nach Eilat lassen gerne im Urlaub ihre

Haustiere hier. Auf dem Weg zur „Hütte“ gibt es

neuere Bauten. Sie beherbergen das Archiv Ben-

Gurions. Dort wird auch in Filmen seine persönliche

Geschichte erzählt, die unweigerlich mit

der Geschichte des Staates verbunden ist. Schüler-

und Soldatengruppen kommen oft hierher.

Gerade wartet eine Gruppe von etwa zwanzig

Rekrutinnen darauf, dass die Videoshow beginnt,

Sie beginnt damit, wie ein gewisser David Grün

sich 1906 in Polen im Alter von zwanzig Jahren auf-

„Aber als ich Sde Boker

besuchte, konnte

ich nicht anders, als

eifersüchtig und neidisch

zu sein.“ David Ben-

Gurion in seinem Antrag

auf Aufnahme in den

Kibbuz, in dem er von

1953 an bis zu seinem

Tod lebte.

Seine Stimme ertönt seit Monaten bei den

samstäglichen Großdemonstrationen gegen

die Justizreform: Man hört, wie er die

Unabhängigkeitserklärung verliest.

macht, nach Eretz Israel einzuwandern; vier Jahre

später veröffentlicht der künftige Staatsgründer

seinen ersten Artikel in HaAchdut, der Zeitung der

zionistischen Arbeiterbewegung, unter seinem

neuen Namen: Ben-Gurion.

Seine Bedeutung ist unumstritten, was sein

Erbe für heute bedeutet, schon weniger. In Tel

Aviv jedenfalls war und ist Ben-Gurion gerade

präsenter denn je. Da gibt es seine einstige Wohnung,

heute ebenfalls ein Museum. Nicht weit davon,

am Frishman Beach, steht die bunte Skulptur,

die David Ben-Gurion bei seinem legendären

Kopfstand zeigt. Seine Stimme ertönt seit Monaten

bei den samstäglichen Großdemonstrationen

gegen die Justizreform: Man hört, wie er die Unabhängigkeitserklärung

verliest. Dabei laufen seine

Worte in großen Lettern über eine Hausfassade zu

Beginn der Kaplan-Straße. Und neuerdings sieht

man in der Menge neben den unzähligen israelischen

Flaggen immer öfters auch einen selbstgebastelten

hellen Wuschelkopf.

wına-magazin.at

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Panzer auf langen Wegen

© JALAA MAREY / AFP / picturedesk.com

Das israelische Verteidigungsministerium hüllte sich in

Schweigen. Ja, man exportiere erstmals den in Israel entwickelten

und gebauten schweren Kampfpanzer „Merkava“.

Wohin, wolle man nicht sagen. Dabei handle es sich um bis zu 200

Exemplare älterer Baureihen. Die Geräte stehen seit einiger Zeit auf

Halde, wurden aber regelmäßig gewartet. Dennoch drohte ihnen bereits

die Verschrottung.

Nun, mit dem seit mehr als eineinhalb Jahren wütenden Krieg in

der Ukraine, hat sich die Nachfrage in der globalen Rüstungsbranche

dramatisch verändert. Überall fehlt Material, ob Munition oder

schweres Gerät. Der Westen hat einen Gutteil seiner Bestände an die

Ukraine übergeben, die Lager leeren sich mit hoher Geschwindigkeit.

Und die Entwicklung und Produktion neuer Panzer dauert mehrere

Jahre. Daher sind auch ältere Modelle wieder am Markt gefragt.

Alles Schweigen in Tel Aviv und Jerusalem nutzte nichts, internationale

Militärblogger und einschlägige europäische Fachmagazine

konnten sehr schnell die Kunden der israelischen Panzer

herausfinden. Es handelt sich dabei um Zypern und um Marokko.

Warum diese beiden Länder?

Die Bestellungen haben auch mit dem Krieg in der Ukraine zu

tun. Israel liefert zwar kein Kriegsmaterial, obwohl die russische

Seite iranische Drohnen in großem Umfang gegen militärische und

zivile Ziele schickt – zu wichtig ist Israel das Stillhalten der russischen

Luftwaffe und modernen Fliegerabwehr in Syrien bei seinen regelmäßigen

Einsätzen gegen die dortigen iranischen Aktivitäten –, doch

an komplexen Kreislaufgeschäften kann sich Israel beteiligen. Notwendig

ist dazu allerdings das grüne Licht aus Washington, denn der

Panzer enthält Komponenten aus US-Produktion, etwa den Motor.

Das Geschäft funktioniert laut Berichten von Rüstungsexperten

so: Marokko und Zypern halten in ihren Beständen russische Panzer

der Typen T72 und T80, teilweise direkt aus Russland, teils via

Belarus beschafft. Marokko hat zuletzt 130 seiner 148 russischen T72

an eine tschechische Firma zur Kampfwertsteigerung und elektronischen

Modernisierung geschickt. Von dort sollen allerdings nur

wenige nach Nordafrika zurückgekommen sein, 74 gingen direkt in

die Ukraine, es sollten noch mehr werden. Zypern wiederum verfügt

derzeit über rund 80 T80, die – nach Ersatz durch israelische „Merkavas“

– dann ebenfalls für den Kriegseinsatz zur Verfügung stünden.

Es handelt sich dabei zwar um Modelle, die nicht mit dem modernen

deutschen „Leopard“ oder dem amerikanischen „Abrams“

vergleichbar sind. Aber die ukrainische Armee kann damit ohne zusätzliche

Einschulung professionell umgehen und füllt eigene Verluste

in ihrer Panzertruppe unmittelbar auf.

Der „Merkava“ ist ein mehr als 60 Tonnen schwerer Kampfpanzer.

Er wurde Ende der 1970er-Jahre in Israel entwickelt. Zuvor war

eine einschlägige Zusammenarbeit mit Großbritannien geplant gewesen.

Doch nach einem französischen Embargo, das vor allem die

Luftwaffe traf, entschieden sich auch die Engländer auf arabischen

Druck hin, die Kooperation einzustellen. Israel musste selbst einen

modernen Panzer bauen.

Der „Merkava“ unterscheidet sich von fast allen anderen Modellen

auf dem Markt durch seinen vorne liegenden Motor. Damit wird

die Besatzung besser vor direktem Beschuss geschützt. Diese Bauweise

ermöglicht überdies die Nutzung des rückwärtigen Bereichs

für andere Zwecke, etwa zum Transport von verwundeten Soldaten.

Der Panzer wurde in zahlreichen bewaffneten Konflikten eingesetzt

und nach diesen Erfahrungen laufend modernisiert. Aktuell hält die

israelische Armee IDF bei der Version IV. Diese ist vollgestopft mit

Elektronik und verfügt auch über ein aktives Raketenabwehrsystem,

das seine Effizienz bereits in Gaza unter Beweis gestellt hat.

Panzer-Exporte

Bis zu 200 ältere „Merkava“-Panzer wird

Israel nach Zypern und Marokko liefern.

Sie ersetzen dort russisches Material, das

für die Ukraine bestimmt ist.

Von Reinhard Engel

Business auf Umwegen:

Israel ist an komplexen Kreis­

laufgeschäften beteiligt.

28 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 28 25.07.23 14:13


HIGHLIGHTS | 02

Vom Gangsta Rapper zum Chassiden

Sein Lebensweg führte Hip-Hop-Musiker Nissim Black aus der rauen

Vorstadt von Seattle in die chassidische Gemeinde in Beith Shemesh.

Musik ist die universelle Sprache

der Menschheit – Poesie ist ihr

universeller Zeitvertreib und

ihre Freude. Sie hat die Kraft, zu inspirieren,

zu kommunizieren und zu heilen –

Musik bringt Menschen zusammen. Und

das genau tut auch Nissim Black: Seine

Musik ist mehr als nur eine Kombination

aus Hip-Hop und Spiritualität – sie ist ein

Spiegelbild seines Glaubens und seines

Engagements, die Welt zu einem besseren

Ort zu machen. Durch seine Zusammenarbeit

mit vielen bekannten Künstlern

der Hip-Hop- und jüdischen Musikszene,

wie Matisyahu, Y-Love und A-WA, sowie

Auftritte bei renommierten Veranstaltungen

wie der AIPAC Policy Conference und

dem Israel Day Concert hat Nissim Black

es geschafft, seine einzigartige Mischung

aus jüdischer Spiritualität und Hip-Hop

einem breiteren Publikum zugänglich zu

machen.

Der ehemalige Gangsta Rapper wurde

1986 in Seattle, Washington, als Damian Jamohl

Black geboren. Er wuchs bei seiner

alleinerziehenden Mutter auf – Armut und

Gewalt haben ihn von klein auf begleitet:

„I didn’t grow up on the streets. The streets

grew up in my house.“

Als Teenager entdeckte er die Welt des

Hip-Hop und machte sich schnell einen

Namen als talentierter Rapper. Mit 20 Jahren

stand er bereits unter Vertrag, sein Debütalbum

The Black Miracle kam 2006 auf

den Markt. Doch trotz oder eben dank

seines wachsenden Erfolgs spürte Nissim

eine Leere in seinem Leben, wie er immer

wieder erzählt. Also begab er sich auf eine

spirituelle Reise, um diese Leere zu füllen.

Sie führte ihn nach Umwegen über den

Katholizismus und das messianische Judentum

schließlich zum in Melilla geborenen

Rabbiner Shimon Benzaquen. Er begann

mit ihm die Thora zu studieren und

fand dabei seine spirituelle Heimat. Black

und seine Frau Adina, die seit der Highschool

an seiner Seite steht, konvertierten

2013 zum Judentum und zogen 2016

zusammen mit ihren Kindern nach Israel.

Heute lebt die neunköpfige Familie in Beit

Shemesh und ist dort Teil der chassidischen

Gemeinde.

Black verbringt seinen Alltag mit dem

Studium in einem chassidischen Kollel

(Studiensaal), er macht Musik, tourt um

die Welt und veröffentlicht Songs und Videos

im Internet. Sein größter Hit, Mothaland

Bounce, dessen Lyrics sich wie eine

Kurzbiografie lesen, hat über fünf Millionen

Aufrufe auf YouTube. Den Song sieht er

auch als Antwort auf den zunehmenden

Antisemitismus, der in letzter Zeit – auch

in der Hip-Hop-Szene – unter anderem

vom Rapper-Kollegen Kanye West angeheizt

wurde. Das hat Black, der in seiner

Jugend Inspiration bei West fand, besonders

verletzt. Dennoch sieht er ihn nicht

als Bedrohung an.

„Wir müssen diese Entwicklung mit

mehr Liebe und mehr Licht begegnen“,

sagte er in einem Interview für das Jewish

Journal. Und weiter: „Wir sollten Menschen,

die Großes leisten, unterstützen

und Negatives mit Liebe bekämpfen.“

Black möchte mit seiner Musik,

seiner bevorstehenden Fernsehshow

und seinem wohltätigen

Engagement, „dass alle sehen,

dass Haschem sie liebt, sagte er

vor Kurzem in einem Interview.

Ganz in diesem Sinne wird Nissim

Black auch im Dezember als

Stargast bei der Chanukka-Gala der

IKG Wien für liebevolle und großartige

Stimmung sorgen. red

TIPP

Chanukka-Gala 2023

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien

(IKG) widmet ihre Chanukka-Spenden-Gala

am 12. Dezember 2023 in

den Wiener Sofiensälen armutsgefährdeten

Kindern der Gemeinde. Die

Erlöse aus dem Tischverkauf und der

Live-Auktion dieser magischen Nacht

der Lebensfreude und der Wunder

werden für Schulstipendien verwendet.

Am Gala-Abend werden neben

Nissim Black auch Ina Regen und

Oberkantor Shmuel Barzilai zu sehen

und zu hören sein.

www.chanukka-gala.at

„G-tt hat mich von all dem Negativen in meinem Leben

erlöst, mit dem ich aufgewachsen bin. Ich bin es ihm

schuldig, die Gaben, die er mir gegeben hat, zu nutzen,

um mich selbst und die Welt mit ihm zu verbinden.“

Nissim Black

Bald zu Gast in

Wien: Menschen,

die Großes

und vor allem

Gutes leisten,

will Nissim Black

unterstützen.

© Management Nissim Black; Yaminhashem CC BY-SA 3.0

wına-magazin.at

29

Jul_Aug_23.indb 29 25.07.23 14:13


Suche einer Tochter

Der Kampf um die

Ehre des Vaters

Ilse Nusbaum, in Wiener Neustadt geboren,

feiert heuer ihren 90. Geburtstag in Los Angeles.

Die studierte Pädagogin und Autorin erzählte

dem WINA-Magazin, wie sie zur Urheberin

eines Mahnmals an der WU Wien wurde.

Von Marta S. Halpert

usdauer und Kampfgeist sind ihr auch

im 90. Lebensjahr nicht abzusprechen:

Ilse Nusbaum antwortet auf jedes Mail

aus Wien in Minutenschnelle, trotz Zeitunterschied

zu ihrem Wohnort in Los Angeles

– und das auch ausführlich. Obwohl

sie erst viereinhalb Jahre alt war, als ihr

Vater Karl Löwy sie gemeinsam mit ihrer

schwangeren Mutter sicher aus Österreich

nach Amerika brachte, ließ sie

die Vergangenheit nie los.

Dieses Vergangene hatte eigentlich in

Eisenstadt in der Ruster Straße 31 begonnen:

„Meine Eltern waren am 2. September

1933 bei meinem mütterlichen Großvater,

dem beliebten Gemeindearzt Dr.

Jakob Braun, in Markt Piesting zu Besuch.

Da meine Mutter frühzeitige Wehen bekam,

wurde sie von dort ins Spital nach

Wiener Neustadt gebracht – und so kam

ich zu diesem Geburtsort“, erzählt Ilse

Nusbaum.

Diese geburtstechnischen Details wurden

der Eisenstädterin erst viel später erzählt.

Was sie aber mit Wien von Jugend

an verbunden und belastet hat – auch all

die Jahre in den USA –, war die bittere Erfahrung

und Enttäuschung ihres Vaters,

die ihn bis zu seinem plötzlichen Tod im

Herbst 1970 begleitete. Karl Löwy wurde

1902 in Oggau am Neusiedler See geboren,

seine Mutter war Antiquitätenhändlerin,

sein Vater arbeitete in Eisenstadt in

der bekannten Weinhandlung Wolf.

Bereits 1923 legte Karl Löwy seine Diplomprüfung

an der Hochschule für Welthandel

ab und unterrichtete bald darauf

an der Kaufmännischen Wirtschaftsschule

in Eisenstadt. 1931 inskribierte er

erneut an der „Welthandel“ mit dem Ziel,

in Handelswissenschaften zu promovieren.

Seine Dissertation Der Weinbau in Österreich

– Wirtschaftsgeographische Untersuchungen

reichte er am 20. Januar 1938

ein. Die hierfür erforderlichen Gebühren

hatte er bereits am 12. Januar entrichtet.

Obwohl in den Gutachten, die zwei Professoren

der Hochschule über die Doktorarbeit

verfassten, die Zulassung zum

Zweiten Rigorosum empfohlen wurde,

verwehrte die Universität Löwy die Teilnahme

an der Prüfung mit dem ausdrücklichen

Hinweis auf seine Zugehörigkeit

zum Judentum: „da mosaisch zu

den Rigorosen nicht zugelassen“.

„Löwy gehörte somit zu den wenigen

jüdischen Doktoranden, denen durch die

Hochschule für Welthandel der Abschluss

des Doktoratsstudiums aus ,rassischen‘

Gründen verwehrt wurde“, schreibt Johannes

Koll* 2014 im Gedenkbuch der

WU. „Außerdem verlor Löwy seine Anstellung

an der Eisenstädter Wirtschaftsschule

– ,wegen notwendig gewordener

Personaländerungen‘, wie die antisemitischen

Säuberungen im Arbeitszeugnis

vom 15. März 1938 verschleiert bezeichnet

wurden.“

„Ich kenne die Weinberge von Baden

nur von Bildern. Aber hier waren zwei

Onkel von mir Winzer, die ihren Wein

in Wien verkauft haben. Es war also kein

Wunder, dass mein Vater über die Weinwirtschaft

geschrieben hat“, erzählt die

Tochter. Nach der brutalen Verweigerung

des Studienabschlusses erkannte

Karl Löwy sehr schnell, wie gefährlich die

Situation werden würde. „Jedenfalls begannen

meine Eltern bereits im Februar

1938 mit den Vorbereitungen, um Österreich

zu verlassen. Sie verkauften unser

Haus in Eisenstadt, das sie erst 1936 erstanden

hatten, und suchten um amerikanische

Visa an.“

Am 12. April 1938 erhielt Löwy die ersehnten

Ausreisepapiere für seine Frau

Martha, die kurz vor der Geburt von Ilses

Bruder Paul stand, und der damals vierjährigen

Tochter. „Der Weg in die Emigration

führte die Familie Löwy zunächst

quer durch das Deutsche Reich nach

Hamburg. Von hier aus gelangte man

so gut wie mittellos auf der ,S.S. Hamburg‘

nach New York“, recherchierte Johannes

Koll. „Da man vorher alles von

30 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 30 25.07.23 14:13


Wiener Dissertation

Ilse Nusbaum setzte sich

viele Jahre lang um die

postume Anerkennung

der durch das NS-Regime

abgelehnten Dissertation

ihres Vaters ein.

Wert hatte veräußern müssen, verfügte

man nur noch über Gelder für Lebensmittel

und die erzwungene Ausreise. Pro

Person war der Familie lediglich zugestanden

worden, acht Dollar für die Einreisesteuer

mitzunehmen“, so Professor

Koll. Ilse Nusbaum, die ihren Eltern sehr

dankbar ist, dass sie sie trotz beschränkter

Mittel ins Radcliffe College in Harvard

schickten, ist eine zierliche Frau, die als

Mutter von drei Töchtern sehr früh verwitwete.

„Wir hatten großes Glück, dass

wir überlebten, denn das österreichische

Kontingent für Visa in die USA war auf

etwa 700 beschränkt.“

Der Familienname wurde von Löwy auf

Lowy anglisiert, und die Eltern sprachen

nie mehr Deutsch, nicht einmal untereinander.

Karl fand zunächst Arbeit in einem

Kaufhaus in Detroit, wo er in einer Lagerhalle

Kisten entlud. An der Wayne State

Der Familienname

wurde von Löwy auf

Lowy anglisiert, und

die Eltern sprachen

nie mehr Deutsch,

nicht einmal untereinander.

Ilse Nusbaum:

Denial.

Lulu.com,

468 S., € 16,10

University in Detroit erwarb der Familienvater

einen Mastertitel und arbeitete

danach als Wirtschaftsprüfer. „Aber die

Frage, was aus seiner Dissertation geworden

ist, ließ ihn sein ganzes Leben nicht

los. 1970 schließlich wollte er der Sache

nachgehen, buchte für sich und meine

Mutter den Flug und ein Hotel in Wien“,

erinnert sich Tochter Ilse. „Kurz vor der

Abreise erlitt er einen Herzinfarkt und

starb. Erst nach dem Tod meiner Mutter

im Jahr 2008 las ich alle Unterlagen aus

Wien, die sie aufbewahrt hatte: Da wurde

mir bewusst, dass ich diesem Trauma

meines Vaters, das auch unser Familienleben

nachhaltig prägte, unbedingt nachgehen

muss.“

Suche nach der Dissertation des Vaters. Die

erfahrene Autorin und Pädagogin begann

zu recherchieren und fand tatsächlich

den Titel der Dissertation, Weinbau in

Österreich, der in einem Artikel über Wein

zitiert wurde. „Ich kontaktierte sofort das

Archiv der Wirtschaftsuniversität Wien

(WU) und bin zum Glück an Regina Zodl

geraten“, freut sie sich noch heute. „Sie

versprach mir, nach der Dissertation zu

suchen, und ein paar Wochen später lag

eine Kopie in meinem Postkasten. Ich war

überwältigt.“

Das Original bekam Nusbaum erst 2011

zu Gesicht, als sie mit ihrer Tochter Anne

vom Jewish Welcome Service nach Wien

eingeladen wurde. „Wir hatten ein ganz

tolles Programm, aber ich bestand doch

wına-magazin.at

31

Jul_Aug_23.indb 31 25.07.23 14:13


Gemeinsamer Forschungserfolg

darauf, einen Nachmittag auf die WU zu

gehen. Da lernte ich im Archiv Regina

Zodl persönlich kennen, seither nenne

ich sie immer ‚meine Heldin‘.“ Auf der

Rückseite des Dokuments sah Ilse zum

ersten Mal einen Hakenkreuz-Stempel

und den Satz: „Zu den Rigorosen nicht zugelassen,

da mosaischen Glaubens.“ „Ich

kann das Gefühl nicht beschreiben, was

für ein Gruseln über mich kam. Gleichzeitig

war das natürlich die smoking gun,

also der Beweis, dass mein Vater einzig

und allein aufgrund der Tatsache, dass er

Jude war, seinen Doktortitel nicht bekommen

hatte.“

Mit diesem Besuch hat die damals

78-jährige Amerikanerin einen Prozess

in Gang gesetzt, der nicht nur ein

virtuelles Gedenkbuch, sondern auch

ein Forschungsprojekt sowie in dessen

Folge ein Mahnmal zeitigte. Nur der einzige

Wunsch der Tochter wurde nicht erfüllt:

„Ich habe vorgeschlagen, dass man

meinem Vater seine Doktorwürde postum

verleihen könnte. Aber das war auf

Grund der österreichischen Gesetze nicht

möglich. Ich war ziemlich wütend: Österreichische

Gesetze? Schon einmal haben

,Österreichische Gesetze‘ verhindert,

dass mein Vater sein Recht bekam. Und

jetzt wieder?“, erregt sich Ilse Nusbaum

noch heute, fügt aber gleich darauf hinzu:

„Aber dann begannen sie mit einem ganz

wunderbaren Projekt, und es ging alles

sehr schnell.“

Die persönliche Begegnung mit der

Tochter von Diplomkaufmann Karl Löwy

verfehlte die Wirkung auch auf die Archivarin

Zodl nicht: „Wir haben zu recherchieren

begonnen und dabei entdeckt,

dass zu dieser Zeit insgesamt 15 Dissertationen

beanstandet worden sind. Dreizehn

davon wurden später aber anerkannt,

weil die Personen nach den

‚Nürnberger Rassengesetzen‘ ‚nur Halbjuden‘

waren“, erzählt Zodl. Die zwei abgelehnten

Doktoranden waren eben Karl

Löwy und Arthur Luka**. Letzterer wurde

1941 nach Minsk deportiert und dort erschossen.***

„Es wurde uns klar, dass wir etwas tun

mussten. Ich bin sehr froh, dass wir so

die Möglichkeit bekommen haben, die

Geschichte der jüdischen Kolleginnen

und Kollegen aufzuarbeiten, die 1938 an

der alten ,Hochschule für Welthandel‘

als Studenten oder Lehrkräfte tätig waren“,

freut sich Zodl. 2012 startete die WU

ein Forschungsprojekt, das sich mit der

„Ich bin sehr froh, dass wir

so die Möglichkeit bekommen

haben, die Geschichte

der jüdischen Kolleginnen

und Kollegen aufzuarbeiten, die 1938 an

der alten ,Hochschule für Welthandel‘ als

Studenten oder Lehrkräfte tätig waren.“

Regina Zodl

* Am 26. Juli 2017 überreichte PD Dr. Johannes Koll in Los

Angeles das erste Exemplar des von ihm herausgegebenen

Sammelbandes „Säuberungen“ an österreichischen

Hochschulen 1934–1945. Voraussetzungen, Prozesse,

Folgen (Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2017) an Ilse

Nusbaum, die Tochter von Karl Löwy. Mit ihrer Anfrage an

die Wirtschaftsuniversität Wien nach dem Verbleib der

Doktorarbeit ihres Vaters hatte sie den Anstoß zu jenem

Gedenkprojekt gegeben, aus dem auch das Gedenkbuch

hervorgegangen ist.

** Als sich Arthur Luka (geb. 1882 in Lemberg) zum Wintersemester

1936–1937 an der Hochschule für Welthandel

für ein Doktoratsstudium einschrieb, hatte er bereits drei

Doktortitel erworben. An der Universität Wien hatte er

an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät

(1904) sowie an der Philosophischen Fakultät (1914)

promoviert, ebenso an der Philipps-Universität Marburg

(Deutschland) zum Doktor der Medizin (1924–1925).

*** Zur Erinnerung an sein Schicksal wurde am 6. Juni 2016

ein Schild mit seinem Namen in Blagowschtschina

aufgehängt – jenem Wäldchen, in dem die Deportierten

nahe Maly Trostinec erschossen wurden. Eine Initiative

von Waltraud Barton und IM-MER, Initiative Malvine –

Maly Trostinec erinnern.

VIRTUELLES GEDENKBUCH:

Die Biografien der Opfer sind in einem virtuellen Gedenkbuch

abrufbar. Sie gründen auf Recherchen in Archiven

und in Opferdatenbanken, die von angesehenen

Institutionen, wie dem Dokumentationsarchiv des

österreichischen Widerstandes (Wien) oder Yad Vashem

(Jerusalem) im Internet bereitgestellt werden. In

wenigen Einzelfällen war es möglich, Interviews mit betroffenen

Zeitzeugen zu führen.

gedenkbuch.wu.ac.at/

Geschichte der ehemaligen Hochschule

für Welthandel zur Zeit des „Anschlusses“

und der NS-Herrschaft beschäftigte.

Jene Studierenden, die aufgrund ihres jüdischen

Glaubens oder ihrer Opposition

zum NS-Regime daran gehindert wurden,

ihren Abschluss zu machen, sollten identifiziert

werden.

Zunächst arbeitete man an einem digitalen

Gedenkbuch. Durch die Übersiedlung

auf den neuen Campus im 2. Bezirk

entstand dann die Idee eines Mahnmals.

28 Absolventen und Studentinnen der

Akademie der bildenden Künste beteiligten

sich an dieser Ausschreibung. Die Arbeit

des Künstlers Alexander Felch wurde

an zentraler Stelle am neuen Campus errichtet

und am 8. Mai 2014 die Skulptur

präsentiert: Insgesamt 120 Namen der

Opfer sind zu einer Kugel aus Niro verbunden.

Weitere Namen können noch

hinzugefügt werden, bewusst sind auch

Leerstellen eingebaut. „Ich kam mit meiner

Tochter Anne zur Einweihung, das

war eine sehr emotionale Geschichte“, erinnert

sich Nusbaum. „Es wurde mir auch

für die Anregung zur Durchführung des

Gedenkprojekts gedankt.“

Auf einen Film über Ilse Nusbaum dürfen

wir noch hoffen, denn der österreichische

Filmregisseur und Drehbuchautor

Stephanus Domanig hat seine Recherchen

dazu bereits 2015 begonnen. „Ich

habe Ilse damals in Los Angeles kennen

und schätzen gelernt, als ich den Film

Das erste Jahrhundert des Walter Arlen über

den Wiener Musiker und Komponisten

Arlen (Uraufführung 2018 bei der Viennale)

dort drehte.“ Für sich selbst und ihre

große Familie in den USA – Ilses drei Töchter

sind auch schon teilweise Großmütter

– hat sie in der englischen Autobiografie

Denial (Verweigerung) die traurig-beklemmende

Geschichte ihres Vaters dokumentiert,

aber noch immer nicht verarbeitet.

32 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 32 25.07.23 14:13


LEBENS ART

Sommer für immer!

1

1. Ring frei?

Die Wassermelone ist im Sommer

ja eine echte Allrounderin. Sie eignet

sich nicht nur als superleckerer

Snack (etwa mit Minze und

Feta!), sondern auch als lässige

Pool-Begleiterin.

Z.B. über otto.de

3

2

Sonnenschutz,

Eiswürfel und hier

noch ein paar Dinge,

auf die wir außerdem in

den kommenden Wochen

nicht verzichten

möchten.

7

9

2. Runde Sache

Erinnert an Israels saftige Jaffa-

Orangen, nimmt Feuchtigkeit allerdings

besonders gut auf und

trocknet schnell: Das runde

Handtuch aus Microfaser kann

nicht nur am Pool zum Einsatz

kommen, sondern auch als Unterlage

beim Yoga.

Z.B. über amazon.de

3. Coole Tasche

Die wahrscheinlich schönste

Kühlbox der Welt kommt in fünf

verschiedenen Softeistönen und

bietet dank eines Volumens von

ca. 12 Litern im Inneren Platz für erfrischende

Getränke plus Snacks.

Die Polarbox ist zudem robust

und leicht zu reinigen.

Z.B. über xxxlutz.at

4. Keine

Schattenseiten

Der UV-beständige Mondello

ist sogar bei schlechtem Wetter

eine gute Partie: Die solide Stoffbespannung

ist feuchtigkeitsbeständig,

und der Gartenschirm

verfügt über einen robusten

Holzmast und verstärkte

Streben aus flexibler Glasfaser,

die zusammen seine Standfestigkeit

bei Windböen erhöhen.

Z.B. über beliani.at

4

5

6

5. Wie bei Pipi

Die kunterbunten Stoffservietten

der New Yorker Designerin

Susan Alexandra kommen

im Viererpack in den wundervollen

Farben Soiree-Marineblau,

Slipper-Pink, Playa-Gelb

und Flieder.

susanalexandra.com

8

6. Auf großem Fuß

Diese Kinderflossen lassen sich

leicht an- und ausziehen und

hinterlassen niedliche maritime

Spuren im Sand. In verschiedenen

Farben, aber leider nur bis

Größe 35 erhältlich.

Z.B. über smallable.com

7. Fliegender

Regenbogen

Kicken, werfen, baggern, pritschen:

Mit diesem Freizeitball

von Remember ist alles

möglich. Und durch die unempfindliche

Oberfläche aus

Neopren darf er sogar nass

werden.

Z.B. über nostalgieimkinderzimmer.de

8. Teilchen

in Tumult

Dieses kreisförmige Puzzle feiert

die unerschütterliche Freude

des jüdischen Lebens: Essen!

Auf 500 Teilen sind „die 100 jüdischsten

Lebensmittel“ versammelt,

eine selbstverständlich

höchst umstrittene Zusammenstellung.

Z.B. über moderntribe.com

9. Pfoten-Training

Dieser Guide ist ein echter

Heuler und beantwortet Ihnen

etwa die Frage, ob die Erziehungsregeln,

mit denen man

seine Kinder erzieht, eigentlich

auch direkt auf das Hündchen

angewendet werden können.

Z.B. aus zweiter Hand über

medimops.de

Fotos: Hersteller

33 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 33 25.07.23 14:13


Fußballnation Israel

Rot-weiße Liebe –

100 Jahre Hapoel Tel Aviv

Der erfolgreiche Klub entstand aus der zionistischen

Arbeiterklasse. Doch Fußball in Israel

bedeutet auch, politische Rivalitäten auszutragen.

Von Tal Lederer

Im Song Meine Roten spricht der

israelische Sänger Arik Einstein

über eine niemals endende Liebe.

Der Künstler besang dabei seine

erste rot-weiße Leidenschaft, die

er als Licht seines Lebens sah. Was er aber

als seine Seele und Gruppe beschrieb, war

nicht die Offenbarung seines Herzens an

einen geliebten Menschen, sondern an

den Fußballclub Hapoel Tel Aviv, der diesen

Sommer sein 100-jähriges Jubiläum

feiert. Der 2013 verstorbene Liedermacher

und Schauspieler widmete anlässlich

des Double-Gewinns in der Saison

1999–2000 dieses Musikstück seinem

Herzensverein.

„Nur einem Fußballclub kann man

treu sein“, lacht Doron Ben Bassat, Ex-

Vereinsarzt von Hapoel. „Diese Liebe

kann man nicht austauschen. Wäre Arik

Einstein noch am Leben, hätte er ihnen

ein neues Lied zum Ehrentag gewidmet.“

Dem 70-jährigen Fußballfan und

mittlerweile pensionierten Orthopäden

wurde die Liebe zu den „Roten“ praktisch

in die Wiege gelegt. Seine Eltern waren

jüdische Einwanderer aus Bulgarien, die

sich in Jaffa niederließen. Er wuchs in der

Nähe des Bloomfield Stadions auf, das

mittlerweile mehr als 29.000 Sitzplätze

bietet und wo neben Hapoel (hebräisch:

der Arbeiter) auch die Stadtrivalen Maccabi

und Bnei Yehuda ihre Heimspiele

austragen. „Mein Vater führte die Vereinsgaststätte“,

erzählt Ben Bassat. „Und

meine Mutter putzte in der Sportanlage.

Ich war ständig von Fußball umgeben und

kickte in der Hapoel-Jugend.“ Aufgrund

einer Verletzung musste er seine Sportkarriere

aufgeben. Nach seinem Medizinstudium

blieb er seinem Verein jedoch

treu und wurde Teil des Ärzteteams.

„Ich hatte immer ein rotes Herz“, sagt er.

„Und ein Großteil von Tel Aviv schon seit

100 Jahren.“

Tatsächlich war Ende Juli 1923 die Geburtsstunde

von Hapoel Tel Aviv F. C., der

aber bald darauf aufgelöst wurde. In den

Jahren 1925 und 1926 wurde er jeweils neu

gegründet, doch erst die Fusion mit dem

F. C. Allenby ein Jahr später gab dem Klub

seine moderne Form. Der Verein spielt

seit 1932 – als die höchste Spielklasse des

Landes eingeführt wurde – in der „Ligat

ha’Al“, von der er nur 1989 und 2017 abstieg.

Allgemein gehören die Roten zu den

erfolgreichsten Fußballteams Israels, mit

13 Meisterschaften – und 16 Pokalsiegen.

Während sie 1967 sogar die asiatische

Champions League gewinnen konnten,

erreichte Hapoel in der Saison 2010–2011

die Gruppenphase der UEFA Champions

League, wo sie den letzten Platz belegten.

Der Klub hat seine Ursprünge in der

zionistischen Arbeiterbewegung und ist

Teil des Hapoel-Sportverbands, der in

Kombination mit dem roten Hammerund-Sichel-Abzeichen

die Verbundenheit

zum Sozialismus darstellt. Er war 70

Jahre im Besitz der Histadrut, des israelischen

Gewerkschaftsdachverbands, weshalb

seine Anhänger oft als Kommunisten

bezeichnet wurden. „Er war der letzte

Verein, der formelle Verbindungen zur

Politik abbrach“, erklärt David Marciano,

langjähriger Sprecher der Hapoel-Ultras.

„Trotzdem stehen unsere meisten Fans

der israelischen Linken nahe. Der Verein

setzte sich stets gegen Rassismus und für

eine jüdisch-arabische Koexistenz ein.“

Der 62-jährige Taxifahrer wuchs in

den Armenvierteln von Tel Aviv auf, wo

es viele Anhänger von Hapoel gab. Während

er sich als Jugendlicher zu Beginn

noch Straßenschlachten mit arabischen

Gleichaltrigen lieferte, kam es aufgrund

der Unterstützung der Roten in beiden

Lagern irgendwann zur Verbrüderung.

Und so schwenken sie gemeinsam Flaggen

mit den Gesichtern von Che Guevara

und Karl Marx sowie Banner mit dem Slogan

„Arbeiter aller Länder, vereint euch!“

Die Ultras pflegen Freundschaften mit

vielen anderen antifaschistischen Fanszenen,

wie z. B. dem FC St. Pauli. TV-Umfragen

beweisen, dass Hapoel Tel Aviv nach

Maccabi Haifa die zweitbeliebteste Fußballmannschaft

unter den israelischen

Arabern ist. „Fußball ist in Israel nicht nur

Sport, sondern auch Politik“, sagt Marciano.

„Maccabi gegen Hapoel Tel Aviv ist

© Tal Lederer; Government Press Office Israel CC BY-SA 3.0

34 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 34 25.07.23 14:13


Spiegel der Gesellschaft

Fußball ist stehts auch ein

Spiegel der Gesellschaft. Hapoel-Spieler

beim Aufmarsch

am 01. Mai 1949 in Tel Aviv (o.)

Graffiti der Hapoel-Ultras in

Tel Aviv (u.).

© Tal Lederer; Government Press Office Israel CC BY-SA 3.0

das wichtigste Spiel des Jahres. Ich gewinne

lieber das Derby und steige ab, als

Meister zu werden und es zu verlieren.“

„Im Fußball geht es

nämlich nicht um

Leben oder Tod, sondern

um viel mehr.“

Ben Bassat

Die Rivalität beider Vereine – die die größten

Vertreter der einflussreichsten Strömungen

im israelischen Fußball sind – besteht

seit 100 Jahren. Während Hapoel aus

der Arbeiterklasse entstand, wurde Maccabi

1906 als zionistische Sportbewegung

gegründet, deren Ziel es war, jüdischen

Sport zu fördern. Bei ihnen stand die Verbindung

von physischer Fitness und Nationalismus

im Vordergrund. Es ging um

Stolz und Wettbewerb. Der erfolgreichste

Klub Israels ist für Hapoel-Fans ein rotes

Tuch, seine Anhänger werden von ihnen

als „Deutsche“ und „Nazis“ beschimpft.

„Fußball ist das Spiegelbild der Gesellschaft“,

sagt Rifaat Turk, legendärer

Spieler von Hapoel Tel Aviv. „Von der politischen

Dimension ist das Spiel gegen

Beitar Jerusalem sogar wichtiger. Ein Sieg

gegen den Klub der Rechtsnationalen ist

eine Genugtuung für uns.“

Der heute 68-Jährige war der erste

Araber, der für die israelische Nationalmannschaft

spielte und das Land bei

den Olympischen Spielen 1976 in Montreal

vertrat. Während er aufgrund seiner

Herkunft von gegnerischen Fans und

Spielern angefeindet wurde, wurde er im

Laufe der Jahre zu einem überaus beliebten

Sportler und setzte sich für ein harmonischeres

Zusammenleben von Juden

und Arabern in Israel ein. Als Mitglied der

linksgerichteten Meretz-Partei wurde er

nach seiner Karriere 2003 zum stellvertretenden

Bürgermeister Tel Avivs gewählt.

„Es ist heute schwieriger geworden,

den israelischen Fußball bestimmten

Parteien zuzuordnen“, erklärt er. „Wie die

Gesellschaft, so sind auch die Fans diverser

geworden. Zwar existiert die sozialistische

Idee bei Hapoel nicht mehr, aber

das Underdog-Gefühl ist präsent.“

Auch wenn die Roten sich immer noch

als idealistischer Verein geben, werden

sie heute privat geführt. Zwar besingen

ihn seine Fans als liebenswerten Verlierer

– wie der Sänger Arik Einstein in seinem

Lied Fahr langsam –, doch auch bei Hapoel

geht es um Triumphe und Geld.

„Seit den 1970er-Jahren balanciert der

Klub zwischen erfolgreich und authentisch

sein“, erzählt Doron Ben Bassat, der

Ex-Arzt der Roten. „Alle paar Jahre steht

auch Hapoel vor dem Scheideweg, der

über seine sportliche Zukunft entscheidet.“

Das Vereinsmotto war stets:

Bringt uns um, wir sind schon hinüber.

Ben Bassat hofft, dass seine

große Leidenschaft weiterbestehen

wird, trotz des inneren Widerspruchs:

„Im Fußball geht es nämlich

nicht um Leben oder Tod, sondern um

viel mehr.“

wına-magazin.at

35

Jul_Aug_23.indb 35 25.07.23 14:13


Fußball nahegebracht

Über Superjoden, die Yid Army

und Partisan*Rothschild

Die neue Ausstellung im Jüdischen Museum Wien befasst

sich mit jüdischer Identität im Fußballstadion und

beeindruckt damit auch eine Fußballbanausin.

Von Alexia Weiss

macht einen Fußballklub

zu einem „jüdi-

Was schen Klub“? Die

Spieler? Die Funktionäre? Die Financiers

und Sponsoren? Die Fans? Braucht

es dazu überhaupt Juden und Jüdinnen?

Und wie spielt Antisemitismus in die Fankultur

mit hinein? Bis heute finden sich

beispielsweise in Wien im öffentlichen

Raum immer wieder Graffiti, auf denen

die Austria als jüdischer Verein – und das

durchaus im negativen Sinn – angeprangert

wird. „Tod dem FAK“, ist da etwa zu lesen

– das A wurde durch einen Davidstern

ersetzt.

Als bekannt wurde, dass sich das Jüdische

Museum Wien (JMW) in seiner

neuen Ausstellung mit dem Thema Fußball

befasst, sei die Erwartungshaltung

vieler gewesen: Da werde die Hakoah im

Mittelpunkt stehen, schilderte Museums-

Die Wiener Austria, ein

jüdischer Fußballklub?

Das Jüdische Museum

Wien klärt auf.

direktorin Barbara

Staudinger am Dienstag

bei der Presseführung

durch die Schau

Superjuden. Jüdische

Identität im Fußballstadion.

Die Ausstellung,

kuratiert von Agnes

Meisinger und Staudinger

selbst, verhandelt

allerdings

etwas ganz anderes:

Wie sich jüdische

Geschichte in

die Gesamtgeschichte

eingeschrieben hat.

Meisinger und Staudinger

picken sich also nicht nur

den einen jüdischen Fußballklub heraus

(der aber natürlich in der Schau eingangs

schon erwähnt wird), sondern sie

sehen sich an, wie insgesamt fünf Klubs –

zwei österreichische (First Vienna FC und

FK Austria Wien) und drei internationale

(FC Bayern München, Ajax Amsterdam und

Tottenham Hotspur FC) zum Attribut kamen,

jüdische Klubs zu sein. Auch hier enttäuschen

sie vermutlich die Erwartungshaltung

mancher: Nein, es werden hier

nicht einfach der Reihe nach alle jüdischen

Spieler und Funktionäre porträtiert.

Was die Schau – auch für eine bekennende

Fußballbanausin wie mich – so interessant

macht: Hier werden die Mechanismen

aufgezeigt, wie Klubs, aber auch

Fangruppen zu einer jüdischen Identität

kommen, wie diese dann im Zusammenspiel

mit rivalisierenden Fans in Antisemitismus

ausarten kann, aber auch, dass in

Zeiten der Globalisierung manche Fanattitüde

befremdlich ist, die Klubs aber wenig

Handhabe haben: Sie leben von den Fans,

Verbote fallen da schwer.

Was ist gemeint? Die Heimstätte von Tottenham

Hotspur befindet sich im Londoner

East End, dort hatte sich um 1900 eine

Gemeinde von Juden und Jüdinnen aus

Osteuropa etabliert. So zog der Klub auch

vermehrt jüdische Fans an. Antisemitismus

war im 20. Jahrhundert auch in England

präsent. Während der NS-Zeit kam es auch

in London zu einem Anstieg judenfeindlicher

Äußerungen, dabei bürgerte sich

der abwertende Begriff „Yid“ ein. In den

1970er-Jahren wurden Fans und Spieler

von Tottenham Hotspur von gegnerischen

Fans als „Yids“ und „Yiddos“ diffamiert. Daraufhin

eigneten sich die Tottenham-Fans

„Yids“ als Selbstbezeichnung an und nannten

sich eben „Yids“ oder „Yid Army“, schildert

Meisinger.

Doch die Zeiten hätten sich geändert,

betont Staudinger. Wenn heute dann ein

nichtjüdischer Fan, der, wie in vielen Ultra-Verbänden

üblich, durchaus zu Gewalttätigkeit

neige, laut „Yid“ brülle, könne das

etwa israelische Touristen verstören. Der

Klub bemühe sich daher, diesen Ausdruck

hintanzuhalten – verbieten kann er es aber

nicht. Am Ende sind die Fans eben doch die

Könige im Fußball.

Stichwort Verstörung israelischer Besucher:

Der Film Superjuden – titelgebend für

die neue Schau im JMW (zu sehen bis 14.

Jänner 2024) – wurde von der in Amsterdam

lebenden israelischen Filmemacherin

Nirit Peled 2013 gedreht. Sie geht darin

der Frage nach, warum sich Fans von

Ajax Amsterdam den Beinamen „Superjoden“

angeeignet haben. Man kann sich die

Dokumentation im Rahmen der Schau anschauen,

und ja, da geraten auf der eigenen

Wahrnehmungsebene Dinge schon gehörig

durcheinander, wenn man da gewaltbereite

Hooligans sieht, die sich Davidsterne

tätowieren haben lassen und in Massen israelische

Fahnen schwenken. Kritiker meinen,

diese Vereinnahmung führe auch zu

Antisemitismus. Doch wie dem begegnen?

Tatsächlich stellt sich hier auch für mich

die Frage: Wenn sich auf einem Wiener

Straßenzug FAK-Schriftzüge finden, deren

A allesamt durch Davidsterne ersetzt wurden,

wie wird das dann gelesen? Von Rapid-Anhängern

und -Anhängerinnen wohl

„nur“ als Bashing des gegnerischen Vereins

Austria. Wie aber nehmen das Menschen

wahr, die mit Fußball und Fußballfankultur

wenig am Hut haben? Da prangt also

ein rasch hingesprayter Davidstern – und

erinnert an historisch sehr dunkle Zeiten,

etwa an jene Sterne, die mit weißer Farbe

auf die Schaufenster von Geschäften von

Juden und Jüdinnen geschmiert wurden.

Die Schau – in ihrer Architektur (Robert

Rüf) einer Fankurve nachempfunden

– wartet aber auch mit einigen sehr

charmanten Objekten auf. Da ist etwa

© JMW / Tobias de St. Julien

36 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 36 25.07.23 14:13


Fan-Identität

Wie kamen die Farben

zu den Klubs und auf

die Fanartikel? Die Ausstellung

erzählt davon.

© JMW / Tobias de St. Julien

ein Austria-Fan-Schal mit der

Aufschrift „Tempelfront Seitenstetten

Boyz“ aus dem Jahr

2005 (zur Austria kommt übrigens

auch der bekennende

Austria-Fan und IKG-Präsident

Oskar Deutsch zu Wort) oder

ein T-Shirt der Vienna-Fangruppe

„Partisan*Rothschild“.

Dieses 2012 gegründete Fankollektiv

griff auf die Gründungsgeschichte

des Vereins zurück

– und diese erzählt wiederum

ein interessantes Stück Stadtgeschichte,

das aufzeigt, dass

jüdische Geschichte mit der allgemeinen

Geschichte gemeinsam erzählt werden

muss – man kann sie nicht einfach herauslösen.

[…] dass

jüdische

Geschichte

mit der allgemeinen

Geschichte

gemeinsam

erzählt

werden

muss.

gen Zusehenden, konnten sich bei einem

Spiel hier an die 100.000 Menschen versammeln.

Der Vienna gehörte nach dem Zweiten

Weltkrieg mit Hans Menasse auch ein jüdischer

Spieler an. Er gewann

mit der Vienna 1955 die österreichische

Fußballmeisterschaft

und spielte zwei Mal

auch im Nationalteam. Seine

Geschichte ist insofern bemerkenswert,

als Menasse (1930–

2022) als Achtjähriger zusammen

mit seinem Bruder Kurt

mit einem Kindertransport

nach England in Sicherheit gebracht

werden konnte. Dort

spielte er vor seiner Rückkehr

nach Österreich in englischen

Regionalauswahlen und hatte

sogar ein Angebot von Arsenal

FC. In der öffentlichen Wahrnehmung galt

Menasse jedoch als „der Engländer“, aber

nicht als ein 1938 in Österreich verfolgter

und von hier vertriebener Jude.

Bitter liest sich in diesem Kontext auch

die Geschichte der Wohnung der Menasses

in der Döblinger Hauptstraße: Sie wurde

vom langjährigen Vienna-Verteidiger Karl

Rainer enteignet („arisiert“) und bezogen.

Rainer hatte zuvor schon ein Lederwarengeschäft

in unmittelbarer Nähe in gleicher

Weise an sich genommen.

Dass der erfolgreiche Fußballer Hans

Menasse von den Nationalsozialisten verfolgt

worden war, wurde medial durch die

Bank totgeschwiegen. Beklemmend auch

dieses Detail, nachzulesen im umfassenden

Katalog zur Schau: „Hans Menasse er-

Pins der „Yid Army“,

2022.

Wie der englische Fußball nach Wien kam.

Nathaniel Mayer Freiherr von Rothschild

ließ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

auf der Hohen Warte eine große

Garten- und Parkanlage errichten, die

„Rothschildgärten“. Dazu ließ er britische

Landschaftsgärtner nach Wien holen –

und diese brachten den Fußball mit. Um

die Gärten zu schützen, unterstützte er die

Fußballspielenden finanziell, damit sie einen

Verein gründen und eine Wiese außerhalb

seiner Parkanlage mieten konnten.

So wurde 1894 die Vienna gegründet. Als

Klubfarben wurden die Farben des Hauses

Rothschild – blau und gelb – gewählt.

Auch später sorgten jüdische Funktionäre

und Mäzene für den Aufstieg des Vereins.

Sie ermöglichten und finanzierten

das Stadion Hohe Warte. Dieses gehörte

bei seiner Eröffnung zu den größten Stadien

der Welt und fasste 80.000 Besucher

und Besucherinnen, so Meisinger. Zählte

man auch die auf den umliegenden Hänfuhr

zudem auch erst 2019 im Zuge der

Arbeit an seiner Biografie, The Austrian Boy,

dass er bei der Vienna mit einem ehemaligen

Funktionär der Hitlerjugend und mit

den Söhnen eines hochrangigen NS-Funktionärs

und ‚Ariseurs‘ zusammen gespielt

hatte.“

Das Objekt, das mich persönlich am

meisten beeindruckt hat, ist ein von Wilhelm

Viktor Krausz um 1900 gemaltes

Porträt der Wiener Modeschöpferin und

Kaufhausbesitzerin Ella Zirner-Zwieback

(1878–1970), eines der ersten Ausstellungsstücke

in dieser Schau. Was aber hatte sie

mit Fußball am Hut? Sie ermöglichte durch

ihre Finanzierung 1936 die Gründung

der ersten Frauenfußballliga. Zwei Saisonen

konnten hier Meisterschaften ausgetragen

werden (begleitet von medialer

Häme, aber dennoch, sie wurden ausgetragen).

1938 verboten die Nationalsozialisten

den Frauenfußball. Es sollte in Österreich

viele Jahrzehnte dauern, bis erst

Anfang der 1970er-Jahre wieder eine Meisterschaft

ausgetragen wurde.

Und auch hier sind wir wieder bei der

Gesamtgeschichte: Die Zäsur durch den

Nationalsozialismus war enorm – das betrifft

so viele gesellschaftliche Bereiche.

Zarte Pflänzchen, die nicht nur, aber auch

von Jüdinnen und Juden geschaffen oder

ermöglicht wurden, wie eben der Frauenfußball,

wurden von den Nazis für Jahrzehnte

ausgerissen und ein neues Keimen

verunmöglicht. Diese vergleichsweise

kurze Periode von 1938 bis 1945 hat nicht

nur so viel Leid über Juden und Jüdinnen

und andere verfolgte Gruppen gebracht

und dem Land einen bitteren Krieg beschwert:

Sie hat Österreich auch gesellschaftlich

um Jahrzehnte zurückgeworfen.

An so scheinbar kleinen Dingen lässt

sich das eindrucksvoll festmachen.

wına-magazin.at

37

Jul_Aug_23.indb 37 25.07.23 14:13


MATOK & MAROR

Die neue Feinkosterei

Die zweite „Feinkosterei“ am Neuen Markt hat es in sich.

Das Lokal ist eleganter und exquisiter, als der Name vermuten lässt.

Auch die unverbesserlichen Nostalgiker, die

beim denkmalgeschützten Haus „Zum Roten

Dachl“ am Neuen Markt im 1. Bezirk

noch immer dem Gebrüder Wild*-Delikatessen-

Olymp nachtrauern, werden im neuen Lokal nicht

nur Trost finden, sondern die Vergangenheit hinter

sich lassen: Die beiden Catering-Unternehmer

Daniel Hirschmann und Matthias Schwarzmüller

treten mit der Feinkosterei die kulinarische Nachfolge

würdevoll an.

Eigentlich ist es die „Feinkosterei Schwarz-

Hirsch Nr. 2“, denn das erste Lokal dieses Namens

floriert bereits seit einigen Jahren auf dem Judenplatz

(gleich neben dem Misrachi-Haus, aber trotzdem

nicht koscher). Für den neuen, seit April 2023

geöffneten Restaurant- und Barbetrieb hat sich das

Gastronomen-Duo etwas ziemlich anderes einfallen

lassen. Täglich von 11 bis 24 Uhr gibt es im ersten

Stock, der aufwendig umgebaut wurde und ein

sehr ansprechendes Flair hat, mit österreichischen

Speisen im Tapas-Format ein reiches Angebot in

guter Qualität. Im Erdgeschoss gibt es einen eigenen

Barbereich mit kalten und warmen Fingerfood-Spezialitäten

sowie einer Auswahl an eigenen

Brötchenkreationen mit eigens für die Feinkosterei

gebackenem Sauerbrot.

„Wir bieten ein echtes österreichisches Tapas-Restaurant,

sozusagen die gehobene Wirtshausküche

im Kleinformat“, erzählt Daniel Hirschmann. „So

muss man sich nicht schweren Herzens nur für

eine Hauptspeise entscheiden.“ Das habe sich bereits

gut bewährt, denn es komme auch ein Publikum,

das seine ausländischen Gäste in die Feinkosterei

einlädt, „weil sie hier eine Reihe von Wiener

Klassikern kosten können, wie z.B. das Wiener

Schnitzel vom Kalb, das Rindsgulasch oder den

Steckerlfisch – und alles an einem Ort und in genießbarer

Größe“.

Während das Servieren mehrerer Kleingerichte

in vielen Ländern eine geliebte und „ganz normale“

Tradition ist, tat man sich hierzulande immer ein

bisschen schwer. Aber das veränderte sich auch

grundlegend mit der Reisetätigkeit der Österreicher.

Risikofreudig haben die zwei Geschäftspartner,

die seit 17 Jahren miteinander arbeiten, mitten

in der Pandemie, im September 2021, mit dem Umbau

auf dem Neuen Markt begonnen. „Das war eine

echte Herausforderung“, verrät Hirschmann, der

ebenso wie Matthias Schwarzmüller Quereinsteiger

in der Gastronomie ist. „Ich habe als Nebenjob

Die Feinkosterei

Nr. 2: „gehobene

Wirtshausküche im

Kleinformat“.

WINA- TIPP

DIE FEINKOSTEREI

Neuer Markt 10/11, 1010 Wien

++43/(0)1/39 61 282

Mo.–Do., 11 bis 24 Uhr

Fr.–Sa., 11 bis 1 Uhr

So., 11 bis 23 Uhr

feinkosterei.wien/neuermarkt

* Ein bekannter Nachfahre des Firmengründers Josef

Wild (1861–1948), der mit Aloisia, geborene Dommayer

(1867–1904), verheiratet war, ist Franz Welser-Möst, der

berühmte österreichische Dirigent und Musikdirektor des

Cleveland Orchestra.

gekellnert, und Matthias gab

dort den Barman. Seit 2006

sind wir im Catering, 2008

übersiedelten wir von Mödling

nach Wien, weil wir spürten,

dass da viel mehr los ist.“ Der

erfolgreiche Catering-Betrieb

ist im 14. Bezirk angesiedelt

und richtete bisher um die 100

Hochzeiten aus – auch einige jüdische

Feiern waren dabei –, zusätzlich

wird von der Stadionverpflegung

für SK Rapid und

den LASK bis zur Betreuung

von Business-Events für Politik, Wirtschaft und

Botschaften so ziemlich alles gemacht.

Was ihnen bislang aber gefehlt habe, sagt

Hirschmann, sei ein Lokal, an dem sich die Identität

des Unternehmens festmachen ließe. „Wenn

Kunden weitererzählen können, dass sie ihre

Hochzeit von den Feinkosterei-Leuten ausrichten

lassen, dann liegen wir richtig.“ Weshalb es jetzt

tatsächlich ein Lokal mit genau diesem Namen

gibt, das nur österreichische Produkte verwendet

und anbietet. Ist dieses Primat durchführbar?

„Wir bieten keinen Champagner an, sondern z. B.

„Schlumberger Brut Reserve“-Sekt, oder statt Coca

Cola gibt es Tirola Kola. Natürlich sind Kaffeebohnen

schwer in Österreich zu finden, aber wir bieten

eine Röstung an, die eigens für uns kreiert wurde“,

freut sich Hirschmann.

Abgesehen von der umfangreichen Speisekarte

gibt es wöchentlich fünf „Specials“, wie z. B. eine

Lasagne von der Lachsforelle (Gut Dornau) mit Spinat

und Krensauce um € 10,90. Bei den Vorspeisen

munden besonders die Gebackene Sardine

mit Knoblauch-Aioli und Bratkartoffel um € 9,90

oder das Rote-Rüben-Carpaccio mit gegrillten Feigen,

Kürbiskernen, Steinpilzöl und cremiger Erbsenguacamole

um € 11,40. Als „Österreichische

Hauptspeise“ firmieren hier Flaumige Spinatknödel

mit brauner Butter und Salat um wohlfeile

€ 8,60 und die Geschmorten Paprika, gefüllt

mit Balsamico-Senflinsen, Marillen-Kirschtomatenragout

und Wildkräutersalat, für € 8,90. Keinesfalls

auslassen sollte man die Desserts, darunter

den köstlichen, aber viel zu kleinen, flüssigen

Schokoladekuchen mit Vanilleeis (€ 7,40). Das Angebot

an alkoholischen Getränken ist vielfältig, die

Preisgestaltung etwas ambitioniert. Paprikasch

© Reinhard Engel

38 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 38 25.07.23 14:13


WINAKOCHT

Wie biegt man ungerade Eierzahlen

wieder gerade, …

… und warum sind weiße Eier weiser? Die Wiener Küche steckt voller köstlicher Rätsel, die

jüdische sowieso. Wir lösen sie an dieser Stelle. Ob Kochirrtum, Kaschrut oder Kulinargeschichte:

Leserinnen und Leser fragen, WINA antwortet.

Liebe wina-Genussredaktion,

wir sind eine vierköpfige Familie mit einer Vorliebe für weiche Frühstückseier.

Nach dem Mehrheitsprinzip landen immer fünf Eier im Topf.

Das fünfte bleibt meist ungegessen über. Habt ihr eine Idee zur Resteverwertung?

Mir gehen die Ideen aus …

Bettina aus Wien per Mail

Kreisen wir das ovale Problem zunächst ein. Eier aus Legebatterien

sind tabu, eh klar. Einen Bogen macht man besser aber

auch um braune Eier. Denn 15 Prozent weisen Blutgerinnsel auf,

sind also nicht koscher. Bei den weißen sind es weniger als ein Prozent,

sie lassen sich gut durchleuchten (Schieren). Das Restrisiko

von Blutspuren wird – sobald das Ei etwa zum Backen oder Omelettemachen

aufgeschlagen wird – beseitigt.

Und beim Frühstücksei? Hier gilt das von Ihnen erwähnte Mehrheitsprinzip:

Im Haushalt wird eine ungerade Zahl gekocht und

dabei davon ausgegangen, dass die Mehrzahl keine Blutspuren

enthält und deshalb die Eier insgesamt koscher sind. Andernfalls

wäre es unmöglich, ein weiches (oder hartgekochtes) Ei zu essen.

Aber eiern wir nicht länger um Ihre Frage herum. Die Weiterverwendungsmöglichkeiten

für weichgekochte Eier reichen von

der Garnierung des Avocadotoasts bis zur Veredlung von Vogerlsalat,

sind aber – wie Sie auch schon festgestellt haben – begrenzt.

Deutlich erweitern lässt sich die Rezeptpalette, wenn Sie das fünfte

Ei am Wagen einfach noch 5 bis 6 Minuten länger im Topf lassen

und hartkochen. Wurden die Eier zuvor im Kühlschrank gelagert,

kann das Hartkochen auch mal bis zu einer Minute länger dauern.

Hartgekochte Eier sind vielseitig einsetzbar – etwa als Zutat

für den berühmten Salat Niçoise, als Objekt

für knusprige Panierung, als stimmige

Ergänzung eines indischen Currys oder als

Einlage in einer sommerlich-kalten Rote-Bete-Suppe (siehe Rezept).

Ein weiterer Vorteil des Hartkochens: In diesem festen Aggregatzustand

halten sich die Eier, bis Sie dafür Verwendung haben. Ungekühlt

überdauern sie rund zwei Wochen, im Kühlschrank sogar

vier. Voraussetzung: eine unbeschädigte Schale. Also lassen

Sie das mit dem Anpieksen vor dem Kochen. Die WDR-Sendung

Quarks & Co hat mit 3.000 Eiern experimentiert und herausgefunden,

dass zirka jedes zehnte Ei beim Kochen platzt – egal, ob

angestochen oder nicht. Hingegen ist es zielführend, Eier nicht

direkt aus dem Kühlschrank zu verwenden, sondern sie vor dem

Kochen bei Zimmertemperatur zu erwärmen, um ein Platzen im

kochenden Wasser zu verhindern. Stichwort: Temperaturunterschied

verringern.

Apropos Temperatur: Jene Eier, die nicht gleich gegessen werden,

bitte nach dem Kochen nicht abschrecken. Denn dabei entsteht

eine Luftschicht zwischen Schale und Eiweiß. Mikroorganismen

können leichter eindringen, die Eier verderben rascher.

Ansonsten müssen Sie sich um Ihre Gesundheit nicht allzu sehr

sorgen. Der Verzehr von Eiern hat – so das deutsche Bundeszentrum

für Ernährung – keinen Einfluss auf das Risiko für Herz-

Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes oder hohe Blutzuckerund

Cholesterinwerte. Natürlich ist das kein Freifahrtschein für

hemmungslosen Ei-Genuss. Richtwert sind zwei bis drei Eier pro

Woche, für Kinder ein bis zwei – nicht nur im Sinne einer gesunden,

sondern auch einer klimafreundlichen Ernährung.

Und wenn wir schon beim Thema Nachhaltigkeit sind: Langzeittests

von Greenpeace haben ergeben, dass rohe Eier auch 56

Tage nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch einwandfrei

waren. Verlassen Sie sich also auf Ihre

Sinne und nicht auf das MHD, wenn Sie Ihre

Vorräte kontrollieren.

KALTE ROTE-BETE-SUPPE MIT EI

ZUTATEN für 2 Teller:

200 g eingelegte Rote Bete aus dem Glas

1/2 Salatgurke

3 hartgekochte Eier

1/2 Liter Kefir

1 kleiner Bund Dill

2–3 Frühlingszwiebeln mit Grün

Salz und Pfeffer aus der Mühle

ZUBEREITUNG

Rote Bete sehr klein schneiden. Gurke schälen

und raspeln. Frühlingszwiebeln putzen und in

feine Ringe schneiden. Dill waschen und hacken.

Eines der Eier fein hacken. Alles mit dem Kefir verrühren.

Mit Pfeffer und Salz abschmecken. Für

mindestens eine Stunde kaltstellen und durchziehen

lassen. Zum Servieren die restlichen Eier

halbieren und auf die Suppenschalen verteilen.

© 123RF

Wenn auch Sie kulinarisch-kulturelle Fragen haben,

schicken Sie sie bitte an: office@jmv-wien.at, Betreff „Frag WINA“.

wına-magazin.at 39

Jul_Aug_23.indb 39 25.07.23 14:13


Modern Wedding

Impressionen von einer

modernen israelischen

Hochzeit, die wenig mit

einer traditionellen jüdischen

„Chassene“

gemeinsam hat.

Von Anita Pollak

AMEN UND MASEL TOV ZUR GROSSEN WEDDING PARTY!

Wenn es einen Anlass

braucht, um nach Israel

zu reisen: Eine Hochzeit

im erweiterten Familienkreis

ist auf jeden Fall ein solcher. Dachten

wir, als vor einigen Monaten ein kurzes

„Save the Date“ eher überraschend per

WhatsApp einlangte. Dass Aviv, die Tochter

meines Cousins Azi, nun mit ihrem

Freund Ofek zusammenlebte, wussten

wir, von Heirat war bei unserem letzten

Besuch aber noch nicht die Rede gewesen.

Wir freuten uns jedenfalls, „savten“

den Termin und buchten den Flug, als die

definitive Einladung auf dem Handy auftauchte.

Empfang und Chuppa zur Abendstunde

an einem Donnerstag Ende Juni

in Jaffo. Mehr konnte ich den spärlichen

Angaben auf Ivrit nicht entnehmen.

Dass die angeführte Event Location im

Süden Tel Avivs, von außen eher ein Industriebau,

ziemlich groß und trendy sein

muss, offenbarte mir Google. Ein angesagter

Küchenchef soll dort am Werk sein,

und auf Weddings ist man sichtlich spezialisiert.

Mehr an Information hatten

wir nicht.

Religiös? Was zieht man an, gibt’s einen

Dress Code? Von einer früheren Hochzeit

in Tel Aviv wussten wir, dass es dort

auch elegant zugehen kann, doch kenne

ich die Familie meines Cousins als eher

sehr leger. Mit Fragen wollte ich niemanden

belästigen, und so entschloss ich koffergerecht:

„Kleines Schwarzes“ und was

drüber, weil es in derartigen Hallen für

unsere Verhältnisse oft tiefgekühlt ist und

die Arme für die Zeremonie vielleicht bedeckt

sein sollten.

Denn, nächste Frage: Wie religiös wird

es zugehen? Ist der Bräutigam frommer

als die total säkulare Familie der Braut?

Wir entschieden, uns in jeder Hinsicht

überraschen zu lassen und für alle Eventualitäten

gerüstet zu sein.

Die schüchterne Frage, was sich das

junge Paar zur Hochzeit wünscht, war, wie

ich ohnehin ahnte, ziemlich altmodisch

und blieb demgemäß unbeantwortet. Geld,

was sonst. Gut, nimmt keinen Platz ein.

So reisten wir mit leichtem Gepäck und

voller Neugierde an. Als ich meinen Cousin

tags darauf fragte, wann er denn Zeit

für ein Treffen hätte, er sei doch sicher im

Stress, so knapp vor der Hochzeit, sagte er,

wie übrigens immer, „jederzeit, wann und

wo du willst“. Die gesamte Organisation

für den Anlass habe das Brautpaar in die

Hand genommen. Er müsse nur zahlen,

dachte ich mir im Stillen.

Beim Kaffee erfuhren wir schließlich

Näheres. Der Schwiegersohn sei alles andere

als religiös, das Paar hätte sogar erwogen,

ohne Rabbiner zu heiraten. Da

dies aber nur außerhalb Israels möglich

ist, weil es im Land ja keine zivilen Trauungen

gibt, heiraten sie nun doch mit

Rabbiner unter der Chuppa. Es sei auch

wegen der zukünftigen Kinder, in so unsicheren

Zeiten wie diesen, fügte Azi eher

© 123RF

40 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 40 25.07.23 14:13


Gemeinsam feiern

Eine moderne israelische Hochzeit:

„It was our party and we enjoyed

it more than we expected.“

© 123RF

kryptisch hinzu. Und ohne religiöse Heirat

gibt es ja auch keine Scheidung in Israel.

Also, kurzum, better safe than sorry.

Mit einer rabbinischen Trauung ergeben

sich auch Verpflichtungen für die

Braut. Der Besuch einer Mikwe, also des

religiösen Tauchbads, ist obligatorisch,

ebenso eine kurze Ehevorbereitungseinheit,

bei der es vor allem darum gehen

soll, ein „jüdisches Haus“ zu führen. Beide

Termine wären ganz harmlos und für sie

eher gute Erlebnisse gewesen, erklärte

uns die junge Frau später.

Unser Problem war es allerdings, ein

Taxi zur Hochzeit nach Jaffo zu ergattern.

Israelische Taxler winken mehr oder meist

minder höflich ab, wenn man sie auf der

Straße aufzuhalten sucht. Alles funktioniert

nur noch im Internet via App.

Unter der Chuppa. Letztlich doch angekommen,

fühlten wir uns sofort wohl.

Ein großer begrünter, schattiger Innenhof,

entspannte Atmosphäre, viele junge

Leute, die Frauen eher sexy aufgebrezelt,

die Männer unterschiedlich gewandet,

Krawatten keine, Kopfbedeckungen

wenige. An einem langen

Buffet warteten

bereits höchst kreative

warme und kalte

Von Hora,

Klezmermusik

oder Mizwe-

Tänzl keine

Spur.

Goodies. Koscher?

Natürlich, versicherte mir ein entfernter

Verwandter mit Kippa. Da wir ansonsten

so gut wie niemanden der Gäste kannten,

genossen wir die fröhliche Szene wie

im Theater. Begrüßungen, Beküssungen,

Gratulationen an das Brautpaar, immer

wieder wurde spontan laut gesungen, bis

endlich, da war’s schon nach neun Uhr

Abend, die Chuppa auf den erhöhten

Platz im Festsaal gestellt wurde und der

Respekt gebietende Rabbiner erschien.

Also doch alles wie gewohnt? Wart’s ab,

sagte ich mir.

Früher, zu meiner Zeit, da wurde ein

meist blasser Bräutigam von Vater und

Schwiegervater zur Chuppa geschleppt.

Die davor in einem abgesonderten Raum

vom Bräutigam „bedeckte“, verschleierte

Braut führten Mutter und Schwiegermutter

unter den Hochzeitsbaldachin. Dass

nicht nur dieser Brauch sich im Laufe der

Jahrzehnte geändert hatte, bemerkte ich

schnell. Ofek, dessen Vater leider bereits

verstorben ist, wurde von seiner Mutter

geleitet, Aviv von ihren Eltern. Erst vor

der Chuppa „bedeckte“ sie ihr zukünftiger

Mann. Ohne ihn auch nur einmal und

schon gar nicht siebenmal, wie religiös

üblich, zu umkreisen, stellte sie sich an

seine Seite. Mit den vorgeschriebenen Segenssprüchen

erfüllte der sympathische

Rabbiner seine Pflicht, die Gästeschar

stimmte mit „Amen“ ein, die Ketubba

wurde verlesen, schließlich nahm der

Bräutigam die Braut nach den Gesetzen

„von Moses und Israel“ zur Frau und zertrat

das Glas unter begeistertem Masel tov

aller. Als darauf doch noch ein traditionelles

Hochzeitslied angestimmt wurde, bei

dem ich sogar mitsingen konnte,

war ich erleichtert! Wenigstens

das gibt es noch!

Unsere Erwartungen wurden

beim kulinarischen Teil des Festes

dann allerdings bei Weitem

übertroffen. Von der Gänseleber

bis zum Dessertbuffet, alles vom

Feinsten und von allem natürlich

viel zu viel. Wie die individuell

gewählten warmen Speisen des Menüs

punktgenau zu den Tischen gebracht wurden,

zeugte von Routine und perfekter Logistik.

Rührende Reden gab es keine, dafür

war im hinteren Teil des Saales schon

während des Essens die lautstarke Party

mit DJ in vollem Gang. Aviv hatte die High

Heels gegen Sneakers getauscht, Ofek bereits

sein Sakko ab- und ein buntes Hemd

angelegt, und so shakten sie inmitten ihrer

Freunde zum lokalen Disco-Sound.

Zwar wurden sie fleißig auf Sessel gehoben,

wie es sich gehört, doch von Hora,

Klezmermusik oder Mizwe-Tänzl keine

Spur! Eine israelische Hochzeit ist halt

nicht unbedingt ein jüdische „Chassene“,

wurde mir klar.

„It was our party and we enjoyed it

more than we expected“, erklärte mir das

glückliche Paar, als wir es nach seinem

kurzen Honeymoon Weekend zum Abschied

trafen. Genauso soll’s doch sein!

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 41 25.07.23 14:13


Ich. Werk. Zeit.

Three Ships von Jim Dine, oder:

Wie Kunst entsteht

Neben van Gogh stehen und Heuschober beäugen.

Neben Monet im kleinen Malschiff

auf der Seine hin- und hergondeln. Oder mit Toulouse-Lautrec

durch die Tanz- und Vergnügungspaläste

auf dem Montmartre ziehen. Welcher

Kunst-Aficionado träumte nicht von so etwas?

Henri-Georges Clouzot führte ja einmal in einem noch

immer sehenswert verspielten Filmporträt Picasso als

neckisch Kreativen vor. Mit Three Ships von Jim Dine

beschenkt uns Gerhard Steidl, vielleicht einer der letzten

wahrhaft obsessiven Büchermacher der Gegenwart,

mit ganz Ähnlichem. Mit Art in the making, also,

wie ein Kunstwerk Schritt für Schritt entsteht.

Der 1935 geborene Jim Dine überrascht, je älter er wird,

immer stärker, seien es seine jüngst gezeigten Gartenund

Landschaftsbilder oder nun drei Selbstporträt-Serien

in unterschiedlichen Medien: gezeichnet,

dick mit Öl gemalt, geformt aus Gips. Auf

180, exquisit gedruckten Seiten, wie vom

Hause Steidl gewohnt, und mittels 119

Abbildungen der Anfänge, des Entstehens,

der Fertigstellung ist dies

eine Etüde über Zeit und Kraft, Vitalität

und Vergehen. Und darüber, was ist, wenn

man in den Spiegel schaut. Und darüber, was

bleibt, vielleicht. A.K.

Arnold Newman:

Selbstporträt, Philadelphia,

1938.

Jim Dine:

Three Ships.

Steidl 2023,

180 S., 38 €

Ich. Du. Klick.

Die Fotoschau Arnold

Newman: A Retrospective

in Miami, Florida

Was haben der Geiger Isaac

Stern und J. Robert Oppenheimer,

der „Vater“ der Atombombe,

der Romancier Saul Bellow

und Felix Frankfurter, Richter

am US Supreme Court, und der

grandiose Komiker Danny Kaye

gemeinsam? Sie hängen derzeit

alle in Miami. Neben Marc Chagall

und Leonard Bernstein und

Moshe Dayan, neben dem Choreografen

Jerome Robbins, dem

Schauspieler George Segal und Simon Wiesenthal. Denn

all sie und noch viele mehr sind in der großen Retrospektive

des Fotografen Arnold Newman in der Washington

Avenue in Miami Beach zu sehen.

Newman, 1918 in New York City geboren, in Atlantic City

aufgewachsen, wo sein Vater kleine Hotels managte –

und dasselbe im Winter in Miami Beach tat (weshalb

kein Ausstellungsort näher lag als das dortige Jewish Museum)

–, hatte schon 1941 seine erste Ausstellung. Als er

2006 in seiner Geburtsstadt starb, galt er als einer der

sensibelsten und namhaftesten Porträtisten nach 1950.

„Ich bin“, sagte er einmal, „daran interessiert, was Individuen

antreibt, was sie mit ihrem Leben anstellen“. Und

wie sich das Leben in Gesichtern, Falten, Augen, Blicken

und in Augen-Blicken niederschlug und reflektierte. A.K.

ARNOLD NEWMAN: A RETROSPECTIVE

Jewish Museum of Florida

bis 8. Oktober 2023

jmof.fiu.edu

MUSIKTIPPS

OMER KLEIN TRIO

Seit zehn Jahren gibt es mittlerweile das

Omer Klein Trio. Somit ist Life & Fire

(Warner) die Jubiläumseinspielung. Der im deutschen

Frankfurt am Main ansässige Pianist hat in

120 Monaten eine bemerkenswerte musikalische

Jazz-Identität mit dem Bassisten Haggai Cohen-

Milo und dem Drummer Amir Bresler ausgeformt.

Quasi live, vor ausgewählten Freunden, spielten

sie das Album im Studio ein, als Musikhausparty.

Und Freude, Vergnügen und Musikalität springen

über (und Omer bringt noch einen Niggun unter).

20 X OFFENBACH

Mit dieser Zusammenstellung zu zivilem

Preis lässt sich die Millionenshow

gewinnen. Oder verlieren. Denn: Robinson Crusoe?

Il Signor Fagotto und Le Fifre enchante, Vert-Vert,

Belle Lurette? Von wem sind diese Opern? Antwort:

Jacques Offenbach. Das Label Opera Rara

hat auf den sieben CDs Celebrating Offenbach Auszüge

aus 20 zu Unrecht vergessenen Werken Offenbachs

zusammengestellt, Alun Francis und das

Royal Philharmonic Orchestra spielen schwungvoll

und ambitioniert. Das Ganze ist zudem audiophil.

RUBINSTEIN

Woran denkt man bei Arthur Rubinstein

sofort? Natürlich, eh, an

Chopin. Doch der brillante polnisch-amerikanische

Pianist (Joachim Kaiser: „Sein Klavierspiel ist

ein Wunder“) konnte mehr. Auf Legendary Treasures.

Live, vol. 1 (2 CDs), das das auf historische Musikfundstücke

spezialisierte Label Doremi nun herausbrachte,

finden sich Live-Mitschnitte der Jahre

1959 bis 1974, Brahms’ Klavierkonzerte 1 und 2, das

Klavierkonzert Nr. 23 von Mozart – und, eh, Polonaisen

und die Mazurka Nr. 35 von Chopin. A.K.

© Steidl Verlag ; Jewish Museum of Florida

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 42 25.07.23 14:13


Bewegendes Spiel

© Reinhard Engel

Klänge und Texte,

die unter die Haut gehen

Die Pianistin Elisabeth Eschwé und der Cellist Orfeo

Mandozzi haben eine musikalisch-literarische Chronik

über Wien vom Fin de Siècle bis zur Shoah erarbeitet.

Von Marta S. Halpert

Ein berührendes Konzert über das „vergessene

Wien“ boten Elisabeth Eschwé und

Orfeo Mandozzi im Alten Rathaus.

träglichen Text des Herrn Karl das zentrale

jüdische Gebet Avinu Malkeinu in seiner individuellen

Fassung folgt“, erläutert seine

Klavierpartnerin.

Elisabeth Eschwé ist es gewohnt, professionell

im Duo zu spielen: Gemeinsam

mit ihrem Bruder, dem Pianisten und Dirigenten

Alfred Eschwé, gründeten sie 1997

das Wiener Klavierduo, wobei sich die Geschwister

dem Repertoire der vierhändigen

Klaviermusik auf ein und zwei Klavieren

widmen. Ihr Schwerpunkt liegt auf

der Wiener Klassik und Romantik sowie

auf Orchesterwerken in Originalbearbeitung

der Komponisten für dieses Genre.

Beide Eschwés wurden in Wien geboren,

mit französisch-ungarischer Herkunft. Ihren

ersten Unterricht erhielten sie im Alter

von sechs Jahren bei ihrer Großmutter Valerie

Eschwé, einer ungarischen Pianistin

und Pädagogin. Ihr weiteres Studium erfolgte

am Konservatorium der Stadt Wien,

bevor die Geschwister als Dirigent bzw. als

Pianistin weltweit Karriere machten.

Die Chemie zwischen der Wienerin Eschwé

und dem jüdischen Violoncellisten Mandozzi

bescherte dem Publikum einen großen

Genuss. Orfeo Mandozzi wurde 1968 im

schweizerischen Locarno (Tessin) gebo-

Der „schöne Karl“ – wie Bürgermeister

Karl Lueger im Volksmund genannt

wurde – hätte sich grün und blau geärgert:

Unweit seines Porträts im Alten Rathauses

in der Wiener Innenstadt erklingt im Barocksaal

das herzzerreißend schöne jüdische

Gebet Avinu Malkeinu (Unser Vater, unser

König). Orfeo Mandozzi hat diese jahrhundertalte

Weise für sein Violoncello bearbeitet

und präsentierte es gemeinsam mit der

Pianistin Elisabeth Eschwé. Die vielseitige

Wienerin, die nicht nur Klavier, Philosophie

und Schauspiel studierte, zeichnete

für das Konzept dieses erbaulichen Abends

verantwortlich: Das vergessene Wien betitelt

sie die musikalisch-literarische Chronik

über Wien von 1900 bis 1945. „Gemeinsam

mit dem Cellisten Orfeo Mandozzi habe

ich dieses Programm entwickelt, das Originalstücke

für Cello und Klavier aus der

Zeit enthält, also vom Fin de Siècle bis zur

Shoah“, erzählt die Solistin, Kammermusikerin

und Rezitatorin, die in Europa, Korea,

Australien und den USA tätig ist. „Dass

es ein fast rein jüdisches Programm geworden

ist, liegt in der traurigen Natur der Sache“,

fügt sie noch mit Bedauern hinzu.

Die musikalische Auswahl reichte von

Eduard Franck über Erich Wolfgang Korngold

und Alfred Grünfeld bis zum jüngeren

Bruder von Fritz Kreisler, Hugo Kreisler.

„Die Musik war zuerst da, erst dann wählte

ich die passende Literatur dazu“, erzählt

die lebhafte Künstlerin, die ihre Texte äußerst

raffiniert kombiniert hat: Sehr unterschiedliche

Loblieder auf die Wienerstadt

kontrastiert Elisabeth Eschwé mit scharfsinniger

und bitter-sarkastischer Literatur

aus der Feder von Sándor Marai, Peter Altenberg,

Elias Canetti, Karl Kraus, Ingeborg

Bachmann, Friedrich Torberg und Ilse Aichinger.

Wunderbar gelingt ihr die Rezitation

von Teilen des Herrn Karl von Karl Merz

und Helmut Qualtinger sowohl im Jargon

wie auch im Tonfall. „Orfeo Mandozzi bestand

darauf, dass auf diesen schwer erren.

Sein Vater Graziano Mandozzi, ein

bekannter Dirigent und Filmkomponist,

schickte den Sohn an so besondere Ausbildungsstätten

wie das Pariser Konservatorium,

das Conservatorio Giuseppe

Verdi in Mailand, die Juilliard School in

New York und die Universität für Musik

und darstellende Kunst Wien (mdw).

Mandozzi, der u. a. auf einem Cello von

Francesco Ruggeri aus dem Jahr 1675 spielt,

lebt in Wien und ist in Österreich kein Unbekannter:

Von 1993 bis 2007 war er Mitglied

des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich,

danach musizierte er mit dem

Wiener Brahms Trio und dem

Wiener Streichtrio; darüber hinaus

spielte er in verschiedenen

anderen Konstellationen

mit Musikern wie Julian Rachlin,

Boris Kuschnir oder Stefan

Vladar. International gastierte

er u. a. in der Wigmore

Hall London, am Teatro Colon

Buenos Aires sowie in der Carnegie

Hall New York. Hören

konnte man ihn auch bei den

Salzburger Festspielen, dem Schubert Festival,

den Wiener Festwochen, dem Prager

Frühling, den Bregenzer Festspielen sowie

dem Kammermusikfest Lockenhaus. Er

arbeitete mit den Cellisten Mstislaw Leopoldowitsch

Rostropowitsch, Yo-Yo Ma

und Harvey Shapiro.

Mandozzi lehrt Violoncello an der Zürcher

Hochschule der Künste und an der

Hochschule für Musik in Würzburg; zudem

ist er künstlerischer Leiter der Organisation

Yehudi Menuhin Live Music Now in

Zürich. Folgende Beschreibung der Frankfurter

Allgemeinen Zeitung über den Cellisten

zitierten auch andere Medien: „Mandozzi

zog sein Publikum als faszinierende Musikerpersönlichkeit

mit der betörenden

Schönheit seines Tones in seinen Bann.“

Als eine der Draufgaben an diesem

bejubelten Konzertabend von Elisabeth

Eschwé und Orfeo Mandozzi durfte das

Publikum einer Uraufführung lauschen:

„Diese Premiere schenke ich auch mir,

denn ich interpretiere mein Lieblingslied

für Sie, das normalerweise am Ende des

Schabbat-Nachtmahls am Freitagabend gesungen

wird. Der Text wurde erstmals 1586

in aramäischer Sprache publik und beginnt

mit den Worten ,Kah Ribon Olam‘ (,Ja, Herr

der Welt‘)“, bereitete der Musiker das Publikum

vor. Auch ein Profi zeigt manchmal

unabsichtlich seine Gefühle: Versunken im

Spiel, werden seine Augen rot, weil Tränen

in ihnen schwimmen.

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 43 25.07.23 14:13


Claudia Prutscher hat noch viele

visionäre Ideen für die kulturelle

Arbeit der IKG.

INTERVIEW MIT CLAUDIA PRUTSCHER

„Nachhaltige kulturelle Präsenz“

Mit dem jährlichen jüdischen Neujahrskonzert etabliert Claudia Prutscher eine

neue Tradition. Auch sonst hat die Vorsitzende der Kulturkommission der IKG

Wien viele realistische Pläne. Interview: Marta S. Halpert, Foto: Daniel Shaked

WINA: Angesichts der mehrfachen Krisen, wie der Pandemie

und der unsicheren Wirtschafts- und Weltlage, trat bei

vielen Menschen der Kulturgenuss in den Hintergrund. Wo

setzen Sie in dieser Situation an, wo liegen Ihre derzeitigen

Schwerpunkte als Verantwortliche für die Kulturagenden

der IKG?

Claudia Prutscher: Wir leben sicher in herausfordernden

Zeiten, aber grundsätzlich muss ich Ihnen

widersprechen: Es ist immer wieder eine Frage der

Qualität: Wenn wir hochwertige Veranstaltungen

machen, findet sich ein großer Kreis, der interessiert

ist und kommt. Daher sehe ich bei unseren Angeboten

auch keinen Schwund.

Als Kulturgenießerin erlebe ich das auch persönlich:

Wenn attraktiv informiert wird, wie es etwa

das Burgtheater mit anregenden kleinen Filmclips

macht oder auch unsere IKG-Kulturabteilung, die

Veranstaltungen schmackhaft auf den Social-Media-

Kanälen Facebook, Instagram und Spotify bewirbt, dann

funktioniert das. Man erreicht das Publikum heute

weniger über Tageszeitungen als über Social Media.

Wie sehen Ihre Pläne für den Kulturherbst 2023 aus?

I Mit großem Erfolg haben wir letztes Jahr etwas begonnen,

das wir gerne als Tradition etablieren möchten:

In Anlehnung an das berühmte Neujahrskonzert

der Wiener Philharmoniker, jeweils am 1. Jänner im

Goldenen Saal des Musikvereins, haben wir anlässlich

des jüdischen Neujahrs 2022, Rosch ha-Schana

5783, ein hochkarätiges Neujahrskonzert im Wiener

Konzerthaus organisiert, das ausverkauft war. Den

Anfang machte damals das Roman Grinberg & The

Porträt: © Daniel Shaked

44 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 44 25.07.23 14:13


Vielfältiges Kulturangebot

Porträt: © Daniel Shaked

Yiddish Swing Orchestra mit der Sopranistin Ethel

Meerhaut und dem deutschen Rapper Ben Salomon.

Mein Ziel ist es, „unser“ Jüdisches Neujahrskonzert

fest zu verankern, damit es durch seine hohe Qualität

zu einer angesehenen und begehrten Institution

wird.

Verraten Sie uns schon das heurige Programm?

I Ja, sehr gerne, der Kartenverkauf für das Konzert

am 10. September im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses

hat ja schon begonnen: Da wir in diesem

Jahr das 75-jährige Gründungsjubiläum des Staates

Israel als übergeordnetes Motto in fast allen unseren

Kulturprogrammen mitschwingen

lassen, bieten wir diesmal, unterstützt

von den Österreichischen Freunden der

Israel Philharmonic, etwas ganz Besonderes:

Ein junges Streicher-Ensemble

des Israel Philharmonic Orchestra sowie

der 23-jährige hochgelobte Pianist

Tom Borrow werden unsere Gäste sein.

Die jungen Musiker und Musikerinnen

des renommierten Orchesters haben

gemeinsam mit dem britischen Klaviervirtuosen

ein sehr schönes Konzertprogramm

zusammengestellt.

Wie geht der Kulturherbst nach dem Jüdischen

Neujahrskonzert dann weiter?

I Unser Kulturangebot besteht immer

wieder aus unterschiedlichen Großveranstaltungen,

aber darüber darf man

nicht vergessen, dass wir laufend Lesungen,

Filmvorführungen – und hoffentlich bald

wieder Vernissagen machen werden. Die Covid-

Krise hat uns schon einiges durcheinander gewirbelt,

z. B. musste das große Kantorenkonzert schon

zweimal verschoben werden. Aber am 2. November

2023 kann es endlich im Mozartsaal des Konzerthauses

stattfinden – diesmal mit wichtigem Israel-Bezug:

Zu Gast sind der Jerusalemer 15-köpfige Chor der

Großen Synagoge sowie das Slowakische Chamber

Orchestra, die gemeinsam mit Oberkantor Shmuel

Barzilai auftreten und ein einmaliges musikalisches

Erlebnis auf die Bühne bringen werden.

Besonders beliebt, weil bunt und vielfältig, ist

der „Tag der offenen Tür“, der heuer am 22. Oktober

stattfindet. Und im Dezember wird der temperamentvolle

Roman Grinberg wieder sein Swinging

Chanukka-Konzert geben, das 2022 komplett überbucht

war.

Wie weit und womit kann man die sehr unterschiedlichen

Gruppen der jüdischen Gemeinde für das Kulturprogramm

interessieren?

I Primär muss man wissen, dass in unserer Kulturabteilung

jede Fraktion, die in der IKG repräsentiert

ist, eine Vertretung hat, die laufend ermutigt wird,

ihre Wünsche und Anliegen zu artikulieren, damit

wir diese auch realisieren können. Ein gutes Beispiel

„Ich setze gerne

jede Empfehlung

um, egal,

ob es sich um

interessante

Buchprojekte

oder Künstlerförderung

handelt

– daher freue ich

mich über jeden

konkreten Vorschlag.“

Claudia Prutscher

war das diesjährige Straßenfest am 18. Juni: Die Brüder

Meirov Band, eine bucharische Formation mit

Trommeln, ist mit großem Jubel gefeiert worden,

aber die Band hat sich auch selbst bei uns gemeldet.

Ich setze gerne jede Empfehlung um, egal, ob

es sich um interessante Buchprojekte oder Künstlerförderung

handelt, daher freue ich mich über jeden

konkreten Vorschlag.

Mit welcher Kultursparte hatten Sie bei den Jugendlichen

bisher den meisten Zuspruch?

I Eine der schönsten Erfahrungen war der Auftritt

des Stand-up-Comedians Elon Gold im Globe Theater

im letzten Herbst. Da gelang es uns, alle Gruppierungen

zusammenzubringen: Von der Orthodoxie

bis zu den Säkularen, von den Aschkenazim bis

zu den Georgiern und Bucharen war alles wunderbar

durchgemischt. Später wiederholte sich dieser

Erfolg bei zwei israelischen Stand-up-Comedians:

Diese Vorstellungen waren auf Hebräisch und mit

jugendlichen Besuchern ausverkauft.

Leider gibt es kaum deutschsprachige

Künstler:innen dieses Genres, das ist schade, denn

das Interesse ist riesig. In schlechten Zeiten waren

Komiker und Kabarettisten immer sehr gefragt,

denn die Menschen wollen lachen und sich von der

Tristesse ablenken.

Auf welche Programmangebote reagieren nicht jüdische

Kreise am ehesten?

I Das Interesse erstreckt sich über zahlreiche unterschiedliche

Gebiete: Wir haben sowohl viele nicht

jüdische Stammgäste beim Straßenfest wie auch bei

den diversen Musikprogrammen. Bei unseren Veranstaltung

bewerben wir aktiv den Kultur-Newsletter

der IKG*, so haben wir schon rund 1.000 Newsletter-Empfänger:innen

und eine Öffnungsrate von

50, das ist eine hervorragende Rate – ab 20 Prozent ist

es schon super. Dieses Publikum ist meist zwischen

Mitte 30 und Mitte 60 und will die jüdische Kultur

in all ihren Facetten kennenlernen. Dabei wollen sie

nicht nur nach hinten, also in die Vergangenheit blicken,

sondern erfahren, was es heute gibt.

Sie haben sich sehr aktiv bei der Flüchtlingskrise 2015–2016

engagiert: Gemeinsam mit der Autorin und Köchin Parvin

Razavi und dem Musiker Wolfgang Schlögl haben Sie den

Verein „cardamom & nelke“ gegründet. Der Verein hat vielen

Künstlern und Musikerinnen geholfen, in Österreich

ein berufliches Netzwerk aufzubauen und sich hier zu etablieren.

Konnten Sie diese Erfahrungen jetzt auch bei den

Ukraine-Flüchtlingen anwenden?

I Leider haben sich kaum ukrainische Kreative gemeldet.

Beim Straßenfest 2022 ist die Kiewerin Anna

Kypiatkova mit ihrem Saxofon aufgetreten und hat

auch wunderschöne jiddische Lieder gesungen. Ich

bin immer offen, Neues zu bringen, egal, in welcher

Kunstrichtung, aber man muss sich bei uns melden,

oder wir reagieren auf eine Empfehlung hin.

Ich setze gerne Projekte mit viel Herzblut um und

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 45 25.07.23 14:13


Neue Formate

„ Information und

Publicity ist das Wichtigste,

um auf der

Kulturebene wahrgenommen

zu werden.“

Interessierte können entweder ein

Mail schreiben an

kultur@ikg-wien.at oder

ikg-wien.at/newsletter und das

Häkchen Kultur setzen.

arbeite gerne mit interessanten

Partnern zusammen. So auch

zum Beispiel mit dem Magazin

WINA, das mit den Jahren zu einer

Visitenkarte der jüdischen

Gemeinde geworden ist.

Was liegt Ihnen besonders am Herzen,

was möchten Sie unbedingt erreichen?

I Information und Publicity ist

das Wichtigste, um auf der Kulturebene wahrgenommen

zu werden. So sehr uns die Pandemie auch

zu schaffen gemacht hat – etwas Positives konnten

wir in dieser Zeit dennoch ins Leben rufen: Der Podcast

von Avia Seeliger mit dem Titel Chuzpe, in dem

sie unter anderem Künstler:innen aller Sparten interviewt,

hat voll eingeschlagen und kann auch im

IKG-Archiv nachgehört werden.

Rebecca Eder ist unsere engagierte neue Mitarbeiterin

für den Bereich Social Media und deren Auswertung.

Überraschend ist ihre jüngste Erhebung:

Rund 90 Prozent Frauen und nur zehn Prozent Männer

zählen zur treuen Podcast-Hörerschaft. Etwa 50

Prozent der Hörer:innen kommen aus Deutschland,

35 Prozent aus Österreich, vier Prozent aus

der Schweiz, drei Prozent aus Israel und ebenfalls

drei Prozent aus den USA. Vereinzelt haben wir sogar

Hörer:innen aus Indien oder Singapur. Für die

Kulturabteilung unter der Leitung von Karen König

ist es wichtig, dass man uns auf Instagram und Facebook

unter @ikg.kultur taggen kann.

Stimmt es, dass Sie an einem neuen Format arbeiten?

I Das stimmt, ich bin so begeistert von diesem Projekt,

dass ich sogar ein kleines Budget dafür frei gemacht

habe, und der Pilot ist schon im Entstehen:

Der Wiener Fotograf Daniel Shaked und der Berliner

Musiker und Tonmeister Robert Summerfield

haben das Projekt Die gläserne Wand entwickelt. Dabei

geht es um die Verschränkung von Hörspiel und

Fotos beim Gespräch mit jüdischen Menschen aller

Altersgruppen und Herkunftsländer, die über ihre

Lebenserfahrungen berichten und wo sie eben an

Grenzen gestoßen sind. Dabei geht es um Erlebnisse

von Rückkehrern nach 1945, aber auch um junge

Zuwanderer:innen und deren „gläserne Wand“. Wir

fangen mit fünf Folgen an und haben schon interessante

Gesprächspartner:innen gefunden, die bereit

sind zu erzählen. Das Projekt freut mich deshalb so

sehr, weil es nachhaltig ist, diese persönlichen Geschichten

aus der Gemeinde bleiben erhalten.

Sie haben

Fragen an das

Bundeskanzleramt?

service@bka.gv.at

0800 222 666

Mo bis Fr: 8 –16 Uhr

(gebührenfrei aus ganz Österreich)

+43 1 531 15 -204274

Bundeskanzleramt

Ballhausplatz 1

1010 Wien

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

46 wına | Juli/August 2023

Das Bürgerinnen- und Bürgerservice des Bundeskanzleramts freut sich

auf Ihre Fragen und Anliegen!

bundeskanzleramt.gv.at

Jul_Aug_23.indb 46 25.07.23 14:13


Die Optik des weiblichen Auges

Zehn Frauen

schauen auf das junge Land

Palästina/Israel im Blick vergessener deutsch-jüdischer

Avantgarde-Fotografinnen beleuchtet Anna Sophia

Messner in ihrer mit 100 Bildern illustrierten Forschungsarbeit.

Von Anita Pollak

ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

Sie kamen, wie manchmal süffisant

bemerkt, nicht aus Überzeugung, sie

kamen aus Deutschland. Als Töchter

aus liberalen, aufgeschlossenen jüdischen

Familien hatten sie Kultur, Bildung und

Ausbildung genossen, bevor sich ihre beruflichen

und persönlichen Aussichten in

den 1930er-Jahren immer mehr verdunkelten

und sie schließlich zur Auswanderung

zwangen. Wie viele Jeckes, also assimilierte

deutsche Juden, empfanden

sie Palästina, in dem sie schließlich nach

mehr oder minder gefährlichen Schiffspassagen

landeten, eher als Exil denn als

zukünftige Heimat. Dem zionistischen

Aufbauwerk standen sie oft ideologisch

fern, dennoch dokumentierten sie es mit

den ihnen eigenen künstlerischen Mitteln.

Werbefotos. Die Rede ist von zehn deutschjüdischen

Fotografinnen, deren Lebenswege

bzw. „Bildgeographien“ die deutsche

Kunst- und Kulturhistorikerin Anna Sophia

Messner zunächst in ihrer Dissertation

und nun in dem daraus entstandenen

Buch nachzeichnet. Als Quelle

dienten ihr vor allem die Nachlässe dieser

größtenteils vergessenen Künstlerinnen,

die zum Teil auf abenteuerlichen Wegen

ans Licht gelangt waren.

Auf einem Müllhaufen in Haifa fand

sich vor über 15 Jahren ein brauner Lederkoffer

mit deutschsprachigen Dokumenten,

Briefen und thematisch geordneten

Pappschachteln voller Fotografien:

das Archiv der deutschen Fotografin Alice

Hausdorff. Sie war 1939 nach Palästina

emigriert, hatte in Tel Aviv und Haifa Fotoateliers

betrieben und im Auftrag zionistischer

Organisationen wie z. B. der WIZO

Motive aus dem Leben der Pionier:innen

in Kibbuzim oder von Haushaltskursen für

Frauen eingefangen. Auch viele andere ihrer

Kolleginnen arbeiteten eigentlich als

Werbefotografinnen für das zionistische

Willentlich oder unwillentlich

trugen sie mit ihrer Kamera

zum „Nation Building“-Prozess

des jungen Staates bei, aus dem

einige bereits nach wenigen Jahren

wieder weiterzogen ...

Anna Sophia Messner:

Palästina/Israel im Blick.

Bildgeographien deutsch-jüdischer

Fotografinnen nach 1933.

Wallstein 2023,

376 S., € 47

Projekt, porträtierten prominente Persönlichkeiten

oder, je nach Interesse, die ethnische

Vielfalt des Landes, fingen Details

des Alltagslebens oder der aufkeimenden

Kunstszene ein.

Allen gemeinsam ist, wie Messner aufzeigt,

die weibliche Perspektive und eine

an der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit geschulte

Bildsprache. Diese hatten sie vor

dem Nationalsozialismus im Deutschland

der Weimarer Republik zum Beispiel am

Bauhaus in Dessau studiert. Dort waren

auch Ricarda Schwerin und ihr Ehemann

Heinz Schwerin, die Eltern des Publizisten

Tom Segev, tätig gewesen, die sich als

Kommunisten im jüdisch-nationalistisch

geprägten Umfeld wenig zu Hause fühlten.

Wie die meisten Jeckes hatten sie extreme

Anpassungsschwierigkeiten und lebten

zunächst in sehr prekären wirtschaftlichen

Verhältnissen. Davon zeugen zahlreiche,

von Messner ausführlich zitierte

Briefe an die daheim Gebliebenen.

Zwar erlaubten die handlichen Kleinbildkameras

den Fotografinnen mobile

Unabhängigkeit, als Frauen kamen sie

jedoch schwieriger an Aufträge als ihre

männlichen Kollegen. Für Ricarda Schwerin

und deren Bildband über Jerusalem

setzte sich ihre Freundin Hannah Arendt,

die sie in mittlerweile ikonischen Fotos

porträtiert hatte, in Amerika ein, ein Beispiel

für das „transatlantische Netzwerk

zwischen Jerusalem und New York“.

Alles neu. Viel Anfang kennzeichnete diese

Generation der deutsch-jüdischen Avantgarde-Künstlerinnen,

wie sich aus den im

Band immer wieder angeführten Begriffen

wie Neues Sehen, Neue Sachlichkeit,

Neue Frau, Neue Jüdin ablesen lässt. Willentlich

oder unwillentlich trugen sie mit

ihrer Kamera zum

„Nation Building“-

Prozess des jungen

Staates bei, aus dem

einige bereits nach

wenigen Jahren wieder

weiterzogen, aus

dem Heiligen Land,

das ihnen nur spärliche

Möglichkeiten

bot, in das, wo sie unbegrenzte

Möglichkeiten erwarteten. Wie

zum Beispiel Lou Landauer, die in Jerusalem

gegen große Widerstände die Abteilung

für Fotografie an der Bezalel-Akademie

begründet hatte. Ihr Fotomanuskript

dieses Projekts wurde 2015 von einer Reinigungskraft

der Akademie gefunden! In

jahrelangen Recherchen hat Anna Sophia

Messner derlei Verschollenes, Vergessenes

und Vergrabenes zutage gefördert

und die Geschichte des deutsch-jüdischen

„Exils“ durch die Optik des weiblichen

Auges beleuchtet.

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 47 25.07.23 14:13


Dunkle Konzentration

„Das Dunkel bietet auch

Geborgenheit und Schutz“

Dem in Tunis geborenen israelischen Künstler Ofer Lellouche ist

in der Albertina die Sommer-Ausstellung als Retrospektive gewidmet.

Von Marta S. Halpert

In den hohen Räumen der Albertina,

konkret in der Pfeilerhalle,

wirkt der schmächtige, leger gekleidete

Mann eher verloren. Eigentlich

sollte er sich hier geborgen

fühlen, steht er doch inmitten seiner

künstlerischen Arbeiten, darunter Zeichnungen,

Skulpturen, Radierungen und

Holzschnitte. Aber Ofer Lellouche wirkt

nicht nur bescheiden, er ist es auch.

Der 1947 in Tunesien geborene Lellouche

ist ein israelischer Maler, Grafiker,

Bildhauer und Videokünstler, der 1961 mit

seiner Familie von Tunis zuerst nach Paris

geflohen war. Aber bereits 1967 kämpfte er

in Israel im Sechstagekrieg – nachdem er

sein dreijähriges Studium der Mathematik

in Paris knapp vor dem Abschluss unterbrach,

um in den Kibbuz Yechi-Am zu

gehen. Nach seiner Militärzeit studierte er

von 1969 bis 1971 Malerei am Avni Institute

of Art and Design und französische Literatur

an der Universität Tel Aviv. Anschließend

arbeitete er in den Ateliers des Bildhauers

César Baldaccini in Paris.

Nicht nur in Israel, sondern auch in angesehenen

Galerien und Museen weltweit

kennt man Lellouche, hierzulande jedoch

kaum. Wie kommt man dennoch zu einer

Ausstellung in der renommierten Albertina?

Die erste Antwort darauf liefert

Direktor Klaus Albrecht Schröder selbst:

„Die Grafiken von Ofer habe ich zum ersten

Mal in der Druckwerkstatt von Christoph

Chavanne im burgenländischen Apleton

entdeckt – und war fasziniert. Persönlich

durfte ich ihn dann 2008 durch den Kunstsammler

und Galeristen Jan Krugier kennenlernen.“

Lellouche, der mit diesem

Galeristen zusammengearbeitet hat, fügt

leise hinzu: „Die Albertina hatte schon

Werke von mir über die Jahre ausgestellt,

jetzt habe ich dem Haus eine Schenkung

von 50 Objekten gemacht.“ Insgesamt be-

Künstlerische Freundschaft

seit 2008: Ofer Lellouche (re.)

mit Albertina-Direktor Klaus

Albrecht Schröder.

sitzt die Albertina derzeit 77 Werke, von denen

46 in der bis 19. September 2023 laufenden

Ausstellung zu sehen sind.

Was ist der Mensch? Lellouche konzentriert

sich in seinem Schaffen fast ausschließlich

auf die – nackte und bloße – menschliche

Gestalt, auf den Kopf und das Gesicht.

Darin ist er Alberto Giacometti verwandt,

mit dem er befreundet war. „Vereinsamung,

verbrannte Haut, entstellte Gesichter

– Lellouche stellt den Menschen

auf ebenso mystische wie radikale Weise

dar. Das Weltbild des Künstlers ist geprägt

von der Erfahrung der Bedrohung, Verfolgung,

Auslöschung. Der Künstler wirft die

älteste universell gültige Frage auf: ‚Was

ist der Mensch?‘“, so Schröder bei der Eröffnung.

„Das ‚Warum‘ steht seit jeher im Zentrum

jüdischen Denkens, sei es in Bibel

oder Talmud: Im Hebräischen teilt

sich das existenzielle Fragewort denselben

Zahlenwert wie das Wort für Mensch

(Adam), um auf die bestehende enge –

und ewig gültige – Verbindung der beiden

Worte hinzuweisen.“ Und der Direktor

fügt aktuell dazu: „Vor dem Hintergrund

jahrtausendelanger Verfolgung ist es jedoch

in der Geschichte des jüdischen Denkens

– leider bis heute – von besonderer

Stellung und Brisanz.“

Lellouche begann in den 1970er-Jahren

mit Videokunst und Malerei zu experimentieren

und hat sich im Laufe seiner

Karriere mit den verschiedensten Medien

beschäftigt. „Wie ich vor dem Spiegel

stehe, ähnelt der Art und Weise, wie

ich eine Zeichnung auf dem Papier aufbaue.

Wenn ich bei der Anlage der Zeichnung

das Gefühl habe, dass der Kopf mehr

nach unten schauen sollte, begreift dies

der Mann im Spiegel noch vor mir und

senkt seinen Kopf – als wäre er in der

Lage, meine Absichten vorauszuahnen. Es

ist eine seltsame Art von Dialog zwischen

dem Maler und seinem eigenen Abbild.“

Der Künstler geht auch auf seine

Schwarz-weiß-Fixierung bei den Arbeiten

ein: „Vielleicht glauben manche, das

Schwarz wäre deprimierend, aber Dunkelheit

kann viele Assoziationen wecken –

für mich ist es meist die Landschaft meiner

Kindheit“, erzählt Lellouche. „Die

Dunkelheit des Wohnzimmers, sobald

die Jalousien heruntergelassen worden

sind, um uns vor der Hitze und der Gewalt

der Sonne da draußen zu schützen.

Für mich bedeutet Dunkelheit vor allem

auch Geborgenheit. Schwarz habe ich für

mich entdeckt, als ich in den Bergen rings

um Jerusalem arbeitete. Ich hatte die Gelegenheit,

dort einige Wochen zu verbringen,

um diese Landschaft zu erfassen.“

Als Lellouche seine Bilder ins Atelier

zurückbrachte, war er von ihnen

enttäuscht, denn sie ähnelten zu sehr

© Albertina Wien, Schenkung Ofer Lellouche, Foto: Elad Sarig

48 wına | Juli/August 2023

Jul_Aug_23.indb 48 25.07.23 14:13


Dramatische Selbstporträts

Selbstporträt, 2008;

Holzschnitt, 160 x 120 cm.

Selbstporträt mit erhobener

Hand, 2012; Kohle auf

Papier, 80 x 120 cm.

Selbstporträt (Detail), 2022; Kohle auf

Papier, 110 x 80 cm.

„Wie ich vor dem Spiegel stehe,

ähnelt der Art und Weise, wie ich

eine Zeichnung auf dem Papier

aufbaue.“ Ofer Lellouche

© Albertina Wien, Schenkung Ofer Lellouche, Foto: Elad Sarig

Landschaftsgemälden aus der Provence,

etwa mit dem weichen Licht eines Paul

Cézanne. „Von der Intensität und der Gewalt

des Lichts, dem ich ausgesetzt gewesen

war, war nichts mehr zu spüren. Eines

Tages machte ich eine Radierung und

ließ die Platte aus Versehen in der Säure

liegen. Ich machte trotzdem einen Abdruck

davon, der fast ganz schwarz war“,

berichtet Lellouche von jener Entdeckung,

die seine Arbeit vollkommen veränderte:

„Da begriff ich plötzlich, dass

ich die Intensität des Lichts in die Farbe

Schwarz übersetzen konnte, und mir

wurde klar, wie leuchtend Schwarz sein

kann. Das hat auch etwas mit dem starken

Licht in Israel und überhaupt im Süden

zu tun. Viele Gemälde, die mir in Tel Aviv

sehr farbenfroh vorkamen, sahen in Paris

ziemlich dunkel aus.“

Dem aufmerksamen Besucher entgeht

nicht, dass die Schenkungen des Künstlers

zumeist die Widmung tragen: Im Gedenken

an Dov Gottesman. Warum diese

häufige Erwähnung? „Dov wurde ursprünglich

in Wien geboren und war ein

sehr guter Freund sowie ein großer Förderer

der Künste. So bringe ich ihn wenigstens

spirituell hierher zurück. Er war

auch ein Gourmet, und wir gingen viel

und gut essen“, lacht Lellouche. Gottesman

war nicht nur ein Wiener wie der

legendäre Jerusalemer Bürgermeister

Teddy Kollek, sondern dessen Nachfolger

als Direktor des Jerusalem Museums

von 2001 bis zu seinem Tode 2011.

Neben den dramatisch ansprechenden

Selbstporträts, teils abstrakt, ohne Nase

und ohne Ohren, gibt es auch eines mit

der Büste des Vaters. „Mit dem Vater ist in

meinen Augen natürlich nicht der biologische

Vater gemeint. Er ist Dantes Vergil,

der Geist in Hamlet oder Moses in der Bibel.

Er ist der Vater, von dem wir spüren,

dass er hinter uns steht. Souverän, aber abwesend:

der Führer des Dichters, der im

selben Augenblick verschwinden muss, in

dem der Stift das Papier berührt; der sich

auflösen muss, damit wir sein können.“

Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,

Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,

Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,

Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Andreas Gryphius

wına-magazin.at

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Jüdische Bürger

auf den Schlachtfeldern

Ein neues Buch beschreibt die Teilnahme amerikanischer

Juden am blutigen Sezessionskrieg 1861 bis 1865.

Von Reinhard Engel

Der amerikanische Bürgerkrieg

war zwar weit weg,

aber er wurde in Europa

genau beobachtet, auch in

jüdischen Kreisen. So berichteten

etwa der Hessische Israelit und

das Wiener Fremdenblatt im Jahr 1865 über

einen Oberst Grün, einen europäischen

Emigranten, wie dieser am höchsten Feiertag

Jom Kippur zwar fastete, aber dennoch

kämpfte. Im Feldspital, wo er wegen

einer Verletzung behandelt wurde, versammelte

er neun weitere jüdische Soldaten

zum Gebet.

Diese Anekdote, von der man nicht genau

weiß, ob sie stimmt oder eine Fabel ist,

findet sich im aktuellen Buch des südafrikanischen

Historikers vom Kaplan Center

for Jewish Studies in Kapstadt, Adam D.

Mendelsohn: Jewish Soldiers in the Civil War.

The Union Army. Dieses beschreibt den Einsatz

jüdischer Amerikaner im blutigen Sezessionskrieg

der Jahre 1861 bis 1865 und

ihre Motivationen, sich freiwillig zu melden,

egal ob sie Neueinwanderer waren

oder bereits im Land geboren.

Der Krieg, der heute vor allem am Thema

Sklavenbefreiung erinnert wird, hatte

mehrere ökonomische wie politische Ursachen.

Die nördlichen und südlichen Staaten

in den USA hatten sich wirtschaftlich

unterschiedlich entwickelt, mit unmittelbaren

Folgen auf ihre Handelspolitik. Der

industrielle Norden wollte mit Zöllen seine

Fabriken vor internationaler Konkurrenz

schützen, der Süden, der vor allem Agrargüter

wie Baumwolle exportierte, fürchtete

durch ein Zollregime negative Auswirkungen

auf seine eigenen Lieferungen nach Europa.

Überdies hing seine Plantagenwirtschaft

von der billigen Arbeitskraft ab, von

massenhaftem Einsatz afroamerikanischer

Eine 15-Inch-Rodman-

Kolumbiade, die im

amerikanischen Bürgerkrieg

zum Einsatz kam.

Sklaven. Als sich keine Kompromisse erzielen

ließen, spalteten sich die Südstaaten

ab, der Norden bestand auf einem einzigen

Bundesstaat, es kam zum Krieg.

Dieser sollte länger andauern als gedacht,

mit blutigen Schlachten und zeitweisen

Vorteilen der einen oder anderen Seite.

Die Bilanz nach dem Sieg der Union über

die Konföderierten nach vier Jahren war

schrecklich: verwüstete Landstriche und

niedergebrannte Städte; geschätzte 750.000

Soldaten fielen dem Krieg zum Opfer, dabei

starben mehr von ihnen an Krankheiten

wie Typhus, Ruhr und Malaria als an Kugeln

und Schrapnellen; zusätzlich dürften etwa

50.000 Zivilisten, mehrheitlich im Süden,

gestorben sein. Mindestens 60.000 Amputationen

in Feldspitälern verweisen noch

auf die große Zahl Verletzter, Verstümmelter

oder psychisch Geschädigter.

Warum interessierten sich schon die

europäischen Zeitgenossen der amerikanischen

Soldaten für das Geschehen jenseits

des Ozeans? Mendelsohn beginnt sein

Buch mit August Bondi aus Wien, der ein

Kriegstagebuch hinterlassen hat. Er war

ein 1848er-Revolutionär, der wie viele andere

Gleichgesinnte aus Österreich und aus

deutschen Ländern nach der Niederlage

in die USA emigriert oder geflüchtet war.

Bondi kämpfte dann im Sezessionskrieg auf

Seiten der Union wieder für eine Sache, an

die er glaubte, hier eben gleiche Rechte und

die Befreiung der Sklaven, wie er in Europa

für die Demokratie gefochten hatte.

Idealismus war es freilich nicht überall,

der jüdische Amerikaner die Uniform

anziehen ließ. Sie folgten einerseits – nach

dem Kriegsbeginn durch einen Überfall der

Konföderierten auf ein Fort des Nordens –

einem kurzzeitigen Kriegstaumel, der der

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Jul_Aug_23.indb 50 25.07.23 14:13


späteren Stimmung im Europa des Jahres

1914 ähnelte. Aber vor allem lockte die Armee

Arme, Hoffnungslose und Verschuldete

zu ihren Fahnen.

Zu ihnen gehörte etwa Marcus Spiegel

aus Ohio, ein Stoffhändler auf dem Land,

dessen Geschäfte nicht gut liefen und der

sich in der Armee zweierlei erwartete: erstens

ein Schuldenmoratorium gegen seinen

drohenden Konkurs und zweitens einen soliden,

ordentlich bezahlen Job. Er hoffte auf

eine Stelle wie Zahlmeister. Spiegel, in Hessen

geboren, war anfangs übrigens gar nicht

gegen die Sklaverei eingestellt, doch diese

Meinung sollte er ändern. Er bewährte sich

im Gefecht, wurde zum Offizier befördert

und schrieb in einem Brief an seine Frau:

„Ich werde aus dem hier mit Ehre und Geld

wieder herauskommen.“

Sehnsucht nach Status und Anerkennung.

Ein weiterer Grund, sich zu verpflichten,

neben Jingoismus und Armut, war, sich als

Neueinwanderer in Amerika zu bewähren

und Status zu erlangen. „Vier von fünf Juden

in der Nordstaaten-Armee waren im Ausland

geboren“, schreibt Mendelsohn. Die

rund 9.000 jüdischen Soldaten (die überwiegende

Mehrheit auf Seite des Nordens)

entsprachen mehr als ihrem Bevölkerungsanteil,

die großen Einwanderungen aus Osteuropa

hatten noch nicht eingesetzt. Es gab

in den USA zu der Zeit lediglich etwa 150.000

bis 200.000 Juden, ein halbes Prozent der

Gesamtpopulation.

Die Sehnsucht nach Anerkennung hatten

sicherlich auch andere, christliche Immigranten.

Für sie galt ebenso die freiwillige

Meldung zur Armee als verlockende Integrationschance.

Zu den jüdischen Soldaten

zeigte sich hingegen ein großer Unterschied:

„Er war stolz darauf,

Freimaurer, Jude

und 48er zu sein,

und auch darauf

im Sezessionskrieg

gedient zu haben.“

Adam D. Mendelsohn

über August Bondi

Adam D. Mendelsohn:

Jewish Soldiers in the Civil

War. The Union Army.

New York University

Press 2022,

336 S., 35 $

Während es ganze deutsche oder irische Regimenter

gab, blieben die Juden in der Armee

zum größten Teil vereinzelt, auf viele

Einheiten aufgeteilt. Das machte es ihnen

schwer bis unmöglich, genügend Männer

zum Beten zusammenzubekommen, von

koscherer Verpflegung konnte keine Rede

sein, es gab „Schweinefleisch, Schweinefleisch,

Schweinefleisch“, wie einer klagte.

Diese Zersplitterung half ihnen aber

auch, sich mehrheitlich unter den bereits

einsetzenden antisemitischen Anfeindungen

wegzuducken. Laut Mendelsohn betrafen

diese etwa betrügerische Armeelieferanten,

von denen es in der Realität gar

nicht viele jüdische gab. Und es bezog sich

auf den unrühmlichen Befehl von General

Ulysses S. Grant, aus seinem Kommandobereich,

der mehrere Staaten umfasste, Juden

auszuweisen, weil es Korruption bei der

Versorgung und Schmuggel mit dem Süden

gegeben hatte. Das lastete er kollektiv den

Juden an. Präsident Abraham Lincoln hob

diesen Befehl umgehend wieder auf.

Die Schrecken des Krieges schilderten

manche jüdischen Soldaten in ihren Briefen

nach Hause. So schrieb etwa Friedrich Kappelmann

davon, dass „Tote auf beiden Seiten

liegen, wie gemähtes Gras, einer ohne

Kopf, ein anderer, dem beide Beine fehlten,

einem hingen die Eingeweide heraus,

wieder ein anderer war ohne beide Arme.“

Manche Familien verloren gleich mehrere

Söhne, oder diese kamen als Versehrte nach

Hause. Derartige Berichte von den Fronten

schlugen sich dann in einem Rückgang der

freiwilligen Meldungen nieder, so dass zunächst

die Konföderierten 1862 die Wehrpflicht

einführten, die Union ein Jahr später.

Das führte allerdings zu heftigem Widerstand.

In New York kam es etwa zu so blutigen

Aufständen, dass sogar von Gettysburg

größere Armeeeinheiten in die Stadt verlegt

werden mussten. Zwar wurden nicht ganze

Jahrgänge zwangsverpflichtet, sondern nur

Männer, die in einer Art Lotterie gezogen

wurden. Was aber den gewalttätigen Unmut

auslöste, war die Ungleichheit: Wer es

sich leisten konnte, mochte einen Ersatzmann

schicken oder sich überhaupt freikaufen;

das tat dann schließlich New York

für seine Bürger. Unter dem Strich blieb die

Wehrpflicht aber unbedeutend, die überwiegende

Zahl der Soldaten waren weiterhin

Freiwillige, die sich von 100 Tagen bis

zu mehreren Jahren verpflichten konnten.

Wie durchlässig war die damalige Armee

für Juden, die die Karriereleiter hinaufklettern

wollten? Es gab durchaus

Chancen, Offizier, sogar hoher Offizier

zu werden. Dabei kamen manchen Europäern

ihre „Vordienstzeiten“ bei Armeen

oder Revolutionskorps zugute. Eine kleine

Liste von Brigadegenerälen in Mendelsohns

Buch nennt etwa Henry Moses Judah,

Leopold Blumenberg, Jones Frankle,

Frederick Knefler, Charles Mundee oder

Edward Selig Salomon. Die Liste der Obristen

und Oberstleutnants ist länger, hier

fand etwa auch Marcus Spiegel Aufnahme.

Der Weg zurück ins Zivilleben war – wie

bei jedem Krieg – für viele schwer. August

Bondi, der Wiener 48er, der vor dem Sezessionskrieg

Bauer in Kansas gewesen

war, schrieb nach dem Abrüsten, er werde

weiterhin demokratische Politik betreiben,

„um die Herrschaft der republikanischen

Buchmacher zu beenden“, mit denen

er sich kurzzeitig im Kampf gegen die

Sklaverei verbündet hatte. Für sein eigenes

Begräbnis plante er eine eigenwillige

Kombination aus freimaurerischem Bestattungsritual

und Kaddisch-Gebeten seiner

Kinder. Mendelsohn: „Er war stolz darauf,

Freimaurer, Jude und 48er zu sein,

und auch darauf, im Sezessionskrieg gedient

zu haben.“

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 51 25.07.23 14:13


Irrfahrten im Lande der Väter

Menachem Kaiser über Kajzer, den Großvater und sein fragwürdiges Erbe

in einem geheimnisvollen Schlesien.

Von Anita Pollak

war. Menachem stößt auf immer mehr

Widersprüche. Daten scheinen nicht zu

stimmen, bereits die Adresse ist zweifelhaft,

und überdies sind hier echte Menschen

zuhause. „Ich war ein Jude, der zurückkam,

um sich seinen Familienbesitz

zu holen.“

Menachem Kaiser:

Kajzer. Mein

Familienerbe und

das Abenteuer der

Erinnerung.

Aus dem Englischen

von Brigitte Hilzensauer.

Zsolnay 2023,

336 S., € 28,80

Ein abgewohntes Mietshaus in einer

tristen schlesischen Industriestadt,

das soll also das Erbe sein, um dessen

Rückgabe sich der Großvater jahrzehntelang

erfolglos bemüht hatte. Der Enkel

wird an fremde Türen klopfen, jede Menge

Spinner treffen, neue Freunde finden, vor

polnischen Gerichten stehen, auf tote Ahnen

stoßen, in dunkle Tunnel dringen und

immer mehr Rätsel entdecken. Die Geschichte

seiner jahrelangen Odyssee erzählt

Menachem Kaiser als höchst persönliches

Sachbuch.

Er heißt Menachem wie sein Großvater.

Dass dieser daher bei der Geburt des Enkels

schon tot gewesen sein muss, versteht

sich nach jüdischer Tradition von selbst.

Und der Tradition fühlt sich die große religiöse

Familie der Kaisers verpflichtet. Nur

die Schreibweise hat man dem amerikanischen

Sprachraum angepasst, von Kajzer

zu Kaiser. Polen, wo die Kajzers herkommen,

ist weit weg von Toronto, wo Menachem,

liebevollst umgeben von jeder

Menge Verwandten, aufwächst, und der

Holocaust nur ein sehr ferner Schatten.

Großvater soll der einzige Überlebende

gewesen sein, viel mehr weiß der Enkel

nicht, als er sich in Polen zu Studienzwecken

aufhält und sich dabei verpflichtet

fühlt, den Heimatort der Vorfahren aufzusuchen.

Sosnowiec. Eine schmuddelige,

vom einstigen Kohleabbau verdunkelte

Stadt, die sich anfühlt „wie ein Husten“.

Hier steht das Haus, in dem Großvater aufgewachsen

sein soll, das er zumindest vor

dem Krieg besessen haben soll, das er zurückhaben

wollte, woran er gescheitert

Ein weiterer Kajzer. Menachem nimmt sich

eine Anwältin mit dem Ruf einer „Killerin“,

die vor Gericht nicht einmal die

Tot-Erklärung im Holocaust ermordeter

Verwandter erreicht. Dafür stößt er rein

zufällig auf die Spur eines Cousins des

Großvaters, Abraham Kajzer, der mehrere

KZs überlebt und darüber Tagebuch

geführt hatte. Seine auf dem Packpapier

von Zementsäcken geschriebenen Aufzeichnungen

versteckte er unter Latrinen

und holte sie nach Kriegsende von

dort hervor. Auf seiner Flucht verbarg ihn

eine Deutsche aus Breslau in einer Kartoffelkiste

in ihrem Keller. Die beiden blieben

nach dem Krieg als Paar zusammen,

bis Abraham nach Palästina auswanderte.

Sein Tagebuch ist heute in Polen berühmt,

vor allem in eher obskuren Schatzsucherkreisen

auf den Spuren von Nazi-Raubgut,

weil Abraham genaue Beschreibungen

von einem enorm ausgedehnten

Tunnelsystem der Nazis lieferte, in dem er

als Zwangsarbeiter geschuftet hatte. Weil

Abraham Kajzer einfach die „bessere Geschichte“

ist, erzählt Menachem mit dem

untrüglichen Gefühl für solche Storys

diese auch weit ausführlicher

als die zunehmend

frustrierende Causa des Familienerbes,

hinter dem

sich auch immer mehr moralische

Zweifel auftun. Was

bedeutet erben, wer ist dazu

berechtigt, wie sieht es mit

den Ansprüchen der nachfolgenden

„Besitzer“ aus?

„Ich war ein

Jude, der zurückkam,

um

sich seinen Familienbesitz

zu holen.“

Durchaus selbstkritische

Fragen wie diese beleuchtet

Kaiser aus allen möglichen

Perspektiven, lässt an seinen Skrupel

und Argumentationen teilhaben und

viele Fragen offen. Durchaus gespannt

verfolgt man mit ihm seine abenteuerlichen

Umwege in die bizarrsten und teilweise

abwegigsten Zirkel von Spinnern

und Verschwörungstheoretikern bis hin

zu absurden Gerichtsszenen, doch „es ist

alles wahr“, beteuert der Autor.

Von jüdischen Touristen auf „Erinnerungssafari“

im Land ihrer Vorväter, denen

er mit leiser Ironie begegnet, will er

sich absetzen, weiß sich aber selbst nicht

frei von sentimentalem Unterfutter. Menachems

Obsession mit der Geschichte des

nie gekannten „Zaidy“ (jiddisch für Opa),

dem er sein Buch widmet, ist sogar seinem

Vater suspekt und letztlich auch ihm

selbst, je mehr er sich darin verstrickt,

nicht ganz erklärlich.

Dass sich auf solchen Pilgerreisen zu

den Ahnen viele Erwartungen nicht erfüllen,

Familienlegenden vielleicht nicht bestätigen

lassen, dafür Unerwartetes entdeckt

werden kann, diese Erfahrung habe

ich selbst gerade im geheimnisvollen

Schlesien,

der Heimat auch meiner

Vorväter, machen dürfen.

Familiengeschichten, so

bilanziert Kaiser, „erzählen

keine historische Wahrheit,

sondern eine emotionale

Wahrheit“, aber die ist,

wie sein kluges, warm und

lebendig erzähltes Memoir

zeigt, einfach die bessere

Geschichte.

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 52 25.07.23 14:13


URBAN LEGENDS

Von der Gewalt

Sprechen wir von Gewalt, wird die Unzulänglichkeit der Möglichkeit der Versprachlichung

offenbar. Das Unerträgliche, Spezifische und Unfassbare der Gewalt scheint sich

der Sprache fortwährend zu entziehen.

Von Paul Divjak

„He was just to be loved / He fell

down like a dry leave / He will be

always lying now.“ Oksana Lemishka *

Die Auseinandersetzung mit Gewalt, die Thematisierung

ihrer Präsenz, liegt zumeist unter Schichten der Abstraktion

verborgen, begraben unter der individuellen und

allgemeinen Distanzierung von Körperlichkeit und Leid.

Die Verwendung des Wortes in Alltag und medialer Manifestation,

die Setzung von das Wort begleitenden, mantraartigen

Sprachbildern und stereotypen Phrasen erfolgt zumeist

konsensual und wenig differenziert.

Der Berliner Autor Jo Frank widmet sich nun in seinem

kürzlich erschienenen Buch Gewalt dem titelgebenden,

zumeist schematisierten Begriff: Es geht um Macht,

Missbrauch, Angst, Schmerz und Scham. Sein bildkräftiges,

verstörendes Erinnern und Nachvollziehbarmachen

traumatischer (Kindheits-)Erfahrung ist geprägt von synaptischen

Suchbewegungen, die von Instabilität, vom

Mäandern und vom Scheitern der Sprache angesichts von

Gewalt erzählen.

Und da macht Sprache etwas, das sie hier nicht soll: spielt, beruhigt,

lenkt ab. Dabei soll Sprache hier Ordnung, soll Sprache hier

doch aufräumen, soll Sprache hier doch kalt.

Frank tastet sich in seinen irritierenden Notationen an

die Beschreibung konkreter Gewalterfahrungen heran,

vermittelt sie auf eindrucksvolle und unorthodoxe, sinnliche

Weise. Er begeht mit seinem präzise gezeichneten

Textkörper eine literarische Vermittlungsebene,

die sich mittels persönlicher

Erinnerungsfragmente und vielschichtiger,

Resonanz evozierender Assoziationen wortgewaltig

sezierend an das Phänomen herantastet.

Die knirschende Syntax lotet die Grenzen

der Versprachlichung aus, ertastet die

Dimensionen der prägenden Attacken, die

den Organismus verletzt zurückgelassen haben,

in rhythmischen Wellen. Er klopft die

Sprache auf ihre Tauglichkeit ab, das Unsagbare

zum Ausdruck zu bringen; er deutet an,

Zeichnung: Karin Fasching; * Winds from the Steppe, Sitscher Schützenmarsch, transformiert zum Schlaflied von Oksana Lemishka, Album GodMother, 2020

setzt Verweise, bricht ab, holt erneut aus und

illustriert die geballte Kraft widersprüchlicher

Beziehungsmuster und Emotionen, die in ihm

weiterleben. Das Mapping von Gewalt in einer

Sprache, die der Autor „Vatersprache“ nennt –

es ist die Sprache des Täters („Seine Gewalt erzählt ihn als

Opfer“) –, berührt, verstört, wirft Fragen auf und die Leser:innen

auf sich selbst zurück.

Tränen bis heute kaum möglich, und wenn, dann immer

gebunden an Erinnerung, macht Trauer unmöglich,

selbst dieser Raum ist eingenommen durch seine Gewalt.

Wir wollen und können, als Individuen und auch als Gesellschaft,

wie Jo Frank kürzlich bei einem Gespräch im Literaturhaus

Berlin festgestellt hat, nicht gerne oder nur

schwer über Gewalt sprechen, wollen Detaillierteres, Differenzierteres

mitunter gar nicht näher wissen, verhalten

uns ihr gegenüber oftmals apathisch.

Spreche Kaddish. Lauter als sonst, dabei dränge Erinnerungen

zurück.

Geht es bei Frank um traumatische Erfahrungen und

ganz spezifische Situationen, um Zeug:innenschaft, das

Schweigen und die Wunden der Gewalterfahrungen, die

sich mit multiplen Traumaverästelungen in den Körper

eingeschrieben haben, so sind wir aktuell alle stille

Zeug:innen entfesselter Gewalt – medial gefiltert, auf Distanz.

Der Krieg in der Ukraine ist Tag für Tag, Nacht für

Nacht erschütternde Realität, das unvorstellbare Ausmaß

von Tod, Zerstörung, Leid und Traumatisierung übersteigt

das Vorstellungs- und Fassungsvermögen.

[…] wo sind Lichtveränderungen und Einschlag und

Ohnmacht, wo sind Blut und Luftlosigkeit und Betteln

und Tränen und wortloses Schreien, wo ist das alles

in meine, in seine? Maybe it’s everywhere.

Also auffalten.

Jetzt

Jo Frank:

Gewalt.

Edition Atelier 2023,

160 S., € 20

wına-magazin.at

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Jul_Aug_23.indb 53 25.07.23 14:13


SOMMER KALENDER

FILM

20:30 Uhr

Architekturzentrum Wien,

Museumsplatz 1, 1010 Wien

azw.at

23. AUGUST 2023

URBANE EINBLICKE

Vier sehr unterschiedlichen urbanen

Orten in Wien, New York und

Mexiko ist das Filmprogramm des

Architekturzentrums Wien (AzW)

Ende August gewidmet: Den Anfang

macht Bernoullistraße 1 (AT

2022) über Geschichte, Ende oder

mögliche Zukunft des Gebäudes,

in dem sich derzeit noch die

Volkshochschule Donaustadt befindet.

Wrinklers (MX 2023) widmet

sich einem „in die Jahre“ gekommenen

Wohngebäude in

Mexico City. In City Symphony

(USA 2022) versucht Regisseurin

Lucy Walker einen poetischen

Blick auf das Leben im heißen

New Yorker Sommer zwischen

Hitzebelastung, Freibadspaß und

gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.

Und in der abschließenden

Langdokumentation 27

Storeys – Alterlaa Forever (AT/DE

2023) von Bianca Gleissinger

steht der von 1970 und 1985 errichtete

Wohn- und Kaufpark Alterlaa

im Zentrum, städtisches

Monument zwischen Utopie und

Moderne, prägender Wiener Kindheitsort

und vielges(ch)ichtiger

sozialer Biotop.

THEATER

20 Uhr

Zacherlfabrik, Südhalle,

Nusswaldgasse 14, 1190 Wien

igfokus.wordpress.com

26. AUGUST 2023 (PREMIERE)

WORTE UND HEIMAT

Eine junge Frau zwischen den Kulturen – ein

Topos, der sich auf vielerlei Ebenen durch

die Geschichte des Judentums zieht, aber

auch vieler anderer Lebensgeschichten zwischen

hier und dort, Vergangenheit, Gegenwart

und möglicher Zukunft. So auch im

Erfolgsroman Sechzehn Wörter von Nava

Ebrahimi. In diesem bestechend schonungslosen

Romandebüt der 1978 im Iran

geborenen, heute in Deutschland lebenden

Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin von 2021

begibt sich deren Protagonistin Mona auf

die Suche nach ihrer „Muttersprache“, indem

sie 16 Wörter übersetzt, ihre Großmutter

kennenlernt – und die unbekannte Heimat

ihrer Eltern und Vorfahren. Die Reise

in den Iran wird für die junge Frau zum aufwühlenden

Trip durch ihre Familiengeschichte,

zur Konfrontation mit ihrer eigenen

Identität und ihrer Herkunft, über die so

vieles im Ungewissen ist. Ensemblegründerin

und Regisseurin Margit Mezgolich führt

bei der Uraufführung der Bühnenbearbeitung

des Romans Regie und vergisst bei allem

Tiefgang dank ihres gewohnt temporeichen

Zugangs auch den darin verborgenen

Humor nie. Gespielt wird in der eindrücklichen

Halle der Wiener Zacherlfabrik.

Mit: Jasmin Shahali. Ariana Schirasi Fard, Petra

Strasser, Christian Kohlhofer und Arash Marandi;

weitere Vorstellungen bis 9. September 2023

LESUNG

19 Uhr

Bibliothek der Arbeiterkammer,

Prinz-Eugen-Straße 20–22, 1040 Wien

wien.gv.at/bezirke/wieden

29. AUG. BIS 7. SEPT 2023

GROSSE WIEDNERINNEN

Ein drittes und wohl letztes Mal lädt der

Wiedner Kultursommer im Rahmen der

Reihe Vier Frauen im Vierten zu vier Lesungen

rund um herausragende, teils

weltbekannte, teils auch gänzlich unbekannte

einstige „Wiednerinnen“ ein. Dieses

Jahr stehen dabei die Kunstmäzenin

Lilly Lieser (29.8.), die Technikerin Käthe

Böhm (31.8.), die bildende Künstlerin Teresa

Feodorowna Ries (5.9.) und Erfolgsautorin

von Weltrang Vicki Baum (7.9.)

im Zentrum. Präsentiert werden die teils

biografischen, teils anekdotischen, aber

auch literarischen Einblicke in diese so

unterschiedlichen wie schillernden jüdischen

weiblichen Persönlichkeiten wie in

den beiden letzten Jahren von der großartigen

Wiener Volksschauspielerin und

langjährigen Leiterin des Theaters in den

Bezirken Doris Weiner. Abwechselnd

musikalisch einfühlsam begleitet von Ekaterina

Wladigerova und Christo Popov,

unsentimental und begeisternd liest und

erzählt Weiner in den Räumen der Wiedner

Arbeiterkammer – hier stand einst

das 1960 zerstörte Palais Albert Rothschild

und damit noch ein jüdischer

Wiedner Erinnerungsort, der

nicht unerwähnt bleiben soll.

54 wına | Juli/August 2023

© AzW; IG Fokus; Doris Weiner/privat; IKG Kultur;

Jul_Aug_23.indb 54 25.07.23 14:13


Von Angela Heide

STAND-UP-COMEDY

20 Uhr

MuTh,

Am Augartenspitz 1, 1020 Wien

muth.at

SEPTEMBER VORSCHAU

SOMMERKINO

21 Uhr

Augarten, 1020 Wien

filmarchiv.at/calendar/

13. AUGUST 2023

ERIKA FREEMAN

GEHT INS KINO

Es ist ein ganz besonderer Abend, wenn

an diesem Sonntag mit Erika Freeman

eben jene wunderbare Frau ins Open-

Air-Sommerkino des Österreichischen

Filmarchivs im Wiener Augarten kommt,

um eben jenen Film wiederzusehen, der

auf der Lebensgeschichte ihrer Mutter

basiert: Yentl von und mit Barbra Streisand,

ihr lang erkämpfter Debütfilm aus

dem Jahr 1983 – und bis heute, unglaubliche

runde 40 Jahre später, ein Kassenschlager

und eine ikonografisch gewordene

Verfilmung von Isaac Bashevis

Singers literarischer Vorlage, die wiederum

auf Freemans Erzählungen basiert.

Es ist ein Abend, der auch für die IKG

Kultur als Mitveranstalterin ein ganz besonderer

sein wird – und den sich hoffentlich

viele Fans des Powerfrauentrios

Yentl-Streisand-Freeman nicht entgehen

lassen werden!

Ein weiterer Schwerpunkt des Sommerkinos

im Augarten liegt auf den Filmen

von und mit Maria Schrader, von der

vier Arbeiten zu sehen sind, zuletzt am

15. und 16. August She Said (USA 2022),

Schraders hoch brisante filmische Auseinandersetzung

mit dem Missbrauchsskandal

rund um Harvey Weinstein der

daraus entstandenen weltweiten #Me-

Too-Bewegung.

11. SEPTEMBER 2023

NEUJAHRS-COMEDY-SHOW

Das alte Jahr geht, das neue kommt –

und mit ihm viele offene Fragen an die

Zukunft dieser Welt und der Menschheit.

Doch bei aller Sorge und aktuellen

Krisenstimmung, wohin man sieht, ist eines

wichtig: Mit Intelligenz, Wissen, aber

auch Charme und vor allem viel Humor

auf all das zu blicken und zu reflektieren,

was uns täglich belastet. Das tut Nadav

Abuksis – auf Hebräisch und mit herrlich

spitzer, feiner Klinge – in seinen beliebten

Stand-up-Comedy-Programmen.

Der 1971 in Hatzor HaGlilit geborene israelische

Schauspieler und Komiker erzählt

von Social Media und neuen Technologien,

die nicht zuletzt sein Vater-Sein

und sein Familienleben beeinflussen

und den Jungfünziger täglich vor neue

globale Herausforderungen stellen. So

unbeschwert dieser Abend auch daherkommt,

so tiefgreifend sind die Themen,

die Nadav Abuksis hier aufgreift und das

Publikum lachend mitten hineinführt in

die existenziellen Themen unserer Zeit.

Ein fröhlich-kluger Start in das neue Jahr,

zu dem die IKG Kultur gemeinsam mit

MuTh, Zusammen Vienna und Omanim

Booking & Events einlädt.

Haben auch Sie einen Veranstaltungstipp?

Schreiben Sie uns einfach unter: a.heide@artminutes.com

KONZERT

19:30 Uhr

Theater am Spittelberg,

Spittelberggasse 10, 1070 Wien

theateramspittelberg.at

19. SEPTEMBER 2023

LIEDER DES LEBENS

Den Sommer-KulturKalender beschließe

ich mit einer Vorschau auf ein Konzert,

das wir allen Leser:innen besonders ans

Herz legen wollen: Anlässlich der Feierlichkeiten

zu „75 Jahre Israel“ und in Erinnerung

an 80 Jahre seit der Rettung

der bulgarischen Juden lädt der Verein

Lila Schwan in Kooperation mit der IKG

Wien unter dem Titel Shira – Spirit of Life

zu einem die Neujahrsfeierlichkeiten abschließenden

Festkonzert. Ausgehend

von der Bedeutung ihres hebräischen

Namens „Shira“ – Poesie – hat die vielseitige

Sängerin Shira Karmon gemeinsam

mit Antonis Vounelakos (Gitarre) und

Alexander Vounelakos (Klavier) ein Programm

erstellt, das israelischen Pop mit

sephardischen und jiddischen Liedern

kombiniert und dabei von der Kraft des

Gesangs für unser Überleben erzählt:

Poetisch, lyrisch bis melancholisch,

ohne aber je in Larmoyanz oder Vergangenheitsromantisierung

zu verfallen, hält

das Trio Karmon Vounelakos bei diesem

Jubiläumsevent einer variantenreichen

und weltumspannenden Kultur einen

liebenswerten Spiegel vor Augen.

shirakarmon.org

wına-magazin.at

55

Jul_Aug_23.indb 55 25.07.23 14:13


DAS LETZTE MAL

Das letzte Mal,

dass ich Lust auf fremde Küche hatte,

war, … als ich einen Salat mit Persimon

(eine Kaki-Art; Anm.) gegessen habe.

Die Marinade hat so herrlich nach Umami

geschmeckt …

Das letzte Mal, dass ich einen Vorteil

im Oma-Sein gesehen habe, war, …

als ich merkte, dass man die gemeinsame

Zeit mehr genießen und das Enkelkind

verwöhnen kann. Ich habe vollstes

Vertrauen in die Kindeseltern und kann

die Verantwortung an sie abgeben. Als

Oma darf ich lieben und loben. Die Erziehung

überlasse ich den Eltern.

Das letzte Mal, dass ich nicht wusste,

was ich kochen soll, war, … als ich

bei Freunden eingeladen war und

wir gemeinsam kochen wollten. Der

Kühlschrank war nur leider mit viel

zu wenigen Zutaten bestückt.

Das letzte Mal, dass ich etwas Neues

zubereitet habe, das niemandem so

richtig geschmeckt hat, war … Das

passiert schon hin und wieder, da ich

immer wieder Neues ausprobiere. Wenn

die Balance – und das ist eine der wichtigsten

Zutaten – nicht stimmt, dann

schmeckt es eben nicht. Dann wird das

Gericht überarbeitet und neu gekocht.

Das letzte Mal, dass ich einem meiner

Liebsten mit meinem Essen bewusst

etwas Gutes getan habe, war, … als

mein Ehemann Samy im Krankenhaus lag

und ihm die Spitalsküche so gar nicht geschmeckt

hat. Ich habe ihm dann selbstgekochtes

Wohlfühlessen mitgebracht.

Auch das trägt zur Genesung bei!

GENESUNGS-

KÜCHE

Es gibt für alles ein erstes Mal – aber auch ein letztes! In

diesem Monat erklärt Spitzengastronomin Haya Molcho, was

sie kocht, wenn der Kühlschrank leer ist (nämlich: nichts),

und verrät eine ihrer Lieblingszutaten.

Wer sich für gutes Essen begeistert, kommt an ihr nicht vorbei: Haya

Molcho! 2009 eröffnete die 1955 in Tel Aviv geborene Gastronomin mit

ihren Söhnen ihr erstes Lokal „NENI am Naschmarkt“. Mittlerweile ist

NENI eine europaweite Marke mit einer Kochschule, eigener Produktlinie

sowie Restaurants von Berlin über Kopenhagen bis nach Mallorca

und Paris. Dass Hummus und Falafel hierzulande als „fremde“ Küche

gelten, ist dank Haya Molcho längst Geschichte. Nun hat sie mit ihrem

aktuellen Buch – eine charmante Zusammenstellung aus Rezepten

für Küchenklassiker und vielen persönlichen Geschichten – ein neues

Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen: als begeisterte Oma.

„Lust auf fremde Küche. NENI – Die Rezept-Klassiker“,

Amalthea 2023 | neni.at

© NENIFOOD

56 wına | Juli/Auguat 2023

Jul_Aug_23.indb 56 25.07.23 14:13

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