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Restauro 8/2024

Sammeln und Forschen

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MAGAZIN ZUR ERHALTUNG DES KULTURERBES

08/2024

SAMMELN UND FORSCHEN


EDITORIAL

3

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sammeln und Forschen – zwei zentrale Aufgaben der Museen, die in ihrer

Bedeutung oft erst auf den zweiten Blick erfasst werden. Große Ausstellungen

wie die Rembrandt-Schau im Kunsthistorischen Museum Wien rücken

diese Aspekte ins Rampenlicht. Sie verbinden meisterhafte Kunstwerke mit

tiefgreifender Forschung und liefern neue Perspektiven. Unsere Restauro-Dezember-Ausgabe

geht dieser Frage nach. Im Artikel „Konkurrenz für

Rembrandt“ beleuchten wir, wie der Dialog zwischen Rembrandt und seinem

Schüler Samuel van Hoogstraten nicht nur die Ausstellung prägt, sondern

auch neue Erkenntnisse über die holländische Barockmalerei eröffnet.

Museen stehen aber auch vor Herausforderungen: Das Sammeln, einst von

mäzenatischen Visionären geprägt, muss heute in einer Zeit gesellschaftlicher

Ansprüche und knapper Budgets neu gedacht werden. Julia Maria

Korn wirft in „Sammeln und sehen“ einen Blick auf die Entwicklung des

Sammelns sowie des Sehens und zeigt mögliche Zukunftsperspektiven auf.

Und es gibt spannende Einblicke in die Renaissanceforschung: Restauratoren,

Kunsthistoriker und Naturwissenschaftler arbeiten interdisziplinär

an Werken der Alten Pinakothek. Dr. Inge Pett berichtet, wie innovative

Methoden neue Details zutage fördern und Altbekanntes in neuem Licht

erscheinen lassen.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen nicht nur eine anregende Lektüre, sondern

auch besinnliche Feiertage und einen inspirierenden Start ins neue

Jahr 2025. Möge auch das kommende Jahr von Neugier, Forschung und Entdeckungsfreude

geprägt sein – im Museum wie im Alltag. Ich hoffe, Sie bleiben

uns treu, und sehe den nächsten Ausgaben der Restauro mit Vorfreude

entgegen. Wie gewohnt, freue ich mich über Ihr Feedback zur Ausgabe.

Herzlichst, Tobias Hager & Team

t.hager@georg-media.de

instagram: @restauro_zeitschrift

Liebe Leserin, lieber

Leser,


4 INHALT

6

Sammeln und Sehen

12

Konkurrenz für

Rembrandt

18

Renaissance

im Fokus

24

Hinter den

Museumskulissen

30

Denkmal & Mutec 2024

Rekordandrang zum Jubiläum

S.32

32

Rätselhafter Münzfund

36

„Spitzenstücke liegen

in Wohnzimmern“

40

Auktionshäuser als

Sammlungsberater

44

News

46

Umdruck auf Holz

S.6


6 SAMMELN UND FORSCHEN

SAMMELN

UND SEHEN

TEXT: JULIA MARIA KORN


SAMMELN UND FORSCHEN

7

1

Die Fotografin Barbara

Klemm fotografierte Besucher

im Museum, wie

hier im Louvre 1987.


8 SAMMELN UND FORSCHEN

2

Paul César Helleu

malte seine Frau beim

Betrachten von Kunst.

„Madame Helleu vor

den Watteaus im Louvre“,

um 1896.


SAMMELN UND FORSCHEN

Unsere heutigen Museen gehen oftmals auf mäzenatische Tätigkeiten zurück. Doch bei

Mäzenen scheint es sich um eine aussterbende Gattung zu handeln. Museen stehen vor

Herausforderungen, und zugleich hat die Gesellschaft ebenfalls Ansprüche an Sammlungen.

Wie hat sich das Sammeln und Ausstellen entwickelt, und wie wird es zukünftig aussehen?

9

Seit jeher sammelt der Mensch. Lange Zeit diente es vor allem

dem Überleben, doch auf Ausgrabungen werden auch immer

wieder völlig nutzlose Objekte, wie Muscheln, Steine oder auch

kleine Versteinerungen, gefunden. Es scheint, als ob der Mensch

auch damals schon aus reiner Leidenschaft und Freude sammelte.

Und auch in den antiken Hochkulturen wurde gesammelt.

Im Mittelalter hingegen war das Sammeln verpönt, man wollte

möglichst frei von weltlichem Gut seinem Schöpfer gegenübertreten.

Das änderte sich in der frühen Neuzeit. Fürsten und Adlige

sammelten in den sogenannten Kunst- und Wunderkammern

mit dem Ziel, ein Abbild der Welt zu erschaffen. Der Vorläufer

unserer heutigen Museen war geboren, mit der Einschränkung,

dass sie nur einer kleinen Gruppe zugänglich war.

Der Wunsch, ein Abbild der Welt zu erschaffen, war aber auch

eine große Herausforderung, wie uns Anne Buschhoff, Kuratorin

am Wallraf-Richartz-Museum, schildert. Gerade Objekte aus

fernen Erdteilen weckten Begehrlichkeiten bei den Sammlern,

Objekte, bei denen wir heute natürlich an die Schattenseiten

europäischer Ausbeutung und Aneignung denken. Wundersam

mag heute manchem scheinen, dass in den Kunst- und

Wunderkammern Objekte miteinander kombiniert wurden, die

uns heute nicht mehr als zusammengehörig erscheinen. Man

versammelte Naturalia, Artificialia und Mirabilia, um die Geschichte

der Welt erzählen zu können. Heute wissen wir, dass

sie in einem durchaus bedachten Chaos präsentiert wurden.

Der Besuch einer Kunst- und Wunderkammer war ein durchaus

anspruchsvolles Unterfangen. Es galt, zwischen den Objekten

Bezüge herzustellen. Die vielfältigen Bezüge der Objekte in einem

begehbaren Wissensraum anschaulich zu machen, wurde

aber mit der Zeit immer schwieriger, sodass es zunehmend zu

einer Ausdifferenzierung der Sammlungen kam.

Es entwickelten sich Naturalienkabinette, Antikensammlungen

und Gemäldegalerien. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum

widmet momentan dem Ausstellen eine Ausstellung,

zugleich beschreibt es aber auch eine Reise in die Welt des

Sammelns. Der Besucher lernt verschiedene Sammlungskonzepte

und deren Präsentation kennen. So wird der Bildtypus

des „Galeriebilds“ vorgestellt, der im Antwerpen des frühen

17. Jahrhunderts entstand und oftmals fürstliche Sammlungen

zeigt, bisweilen auch Phantasiesammlungen. Er zeigt exemplarisch

auf, wie sich das Ausstellen aber auch das Sammeln,

nach der Abkehr vom Konzept der Kunst- und Wunderkammer

weiterentwickelte. Diese Sammlungen waren in der Regel nach

wie vor nur einem exklusiven Personenkreis zugänglich. In der

Ausstellung präsentieren die Kuratorinnen und Kuratoren ein

Gemälde von David Teniers d. J., das die Sammlung des österreichischen

Erzherzogs Leopold Wilhelm zeigt. Das Werk, um

1660 entstanden, zeigt in der sogenannten barocken Hängung

die Sammlung des Adligen. Oft verfuhr Teniers mit den Werken

in künstlerischer Freiheit, präsentierte sie nicht maßstabsgerecht

oder sogar seitenverkehrt. Mit der Aufklärung wandelte

sich der Anspruch an solche Sammlungen, das Ziel war es, die

Sammlungen zu öffnen und Besucherinnen und Besucher –

auch im Sinne eines Bildungsauftrags – zu formen.

Franz Ferdinand Wallraf – Urvater der Kölner Museen

Auch Bürgerinnen und Bürger betätigten sich als Sammler. In

der Kölner Ausstellung dient Ferdinand Franz Wallraf, auf dessen

Sammlung unter anderem der Grundstock des Wallraf-Richartz-Museums,

aber auch anderer Museen der Stadt fußt,

als Beispiel. Seine Sammlung beinhaltete viele Stücke, die er

aus Kirchen und Klöstern rettete, nachdem im Zuge der Französischen

Revolution diese aufgelöst wurden. Anders als im

18. Jahrhundert üblich, war Wallrafs Sammeltätigkeit jedoch

nicht auf bestimmte Medien beschränkt, sondern er knüpfte

vielmehr an Traditionen der Kunst- und Wunderkammern an.

Das brachte ihm auch Kritik ein, so äußerte Johann Wolfgang

von Goethe Unverständnis an der Art und Weise des Sammelns

Wallrafs. Nach seinem Tod, so legte Wallraf es fest, sollte seine

Sammlung „zum Nutzen der Kunst und Wissenschaft“ in Köln

bleiben. Zwei Jahre nach seinem Tod entstand das „Wallrafianum“,

das zunächst seine gesamte Sammlung präsentierte.

Aus diesem Museum entwickelten sich dann viele Kölner Museen,

wobei das Wallraf-Richartz-Museum den größten Teil der

Sammlung erhielt.

Konzeptfindung einer musealen Präsentation

Die ersten Museen entstanden bereits im 18. Jahrhundert, also

bereits vor dem Tod von Wallraf 1824. Die ersten Museen waren

unter anderem das British Museum in London und das Herzog

Anton Ulrich-Museum in Braunschweig. Das Fridericianum

in Kassel gilt als eines der ersten explizit als Museumsgebäude

geplanten Bauwerke. Damit wurden die Fragen nach dem

Wie-und-Was-Präsentieren dringlicher. Den verschiedenen

Konzepten musealer Präsentation widmet die Ausstellung in

Köln ebenfalls ein Kapitel. Ursprünglich wurden Gemälde in der

Petersburger Hängung dicht an dicht neben- und übereinander

präsentiert. Einen Wandel brachte die Entwicklung des Faches

Kunstgeschichte. Die „progressive Hängung“ wurde Anfang

des 20. Jahrhunderts entwickelt, aber stieß zunächst auf wenig

Verständnis. Eingeführt in das Wallraf-Richartz-Museum hat sie

der damalige Direktor Alfred Hagelstange. Statt die Bilder überund

nebeneinander zu platzieren, präsentierte Hagelstange

die Werke der Sammlung einreihig nebeneinander. Die Wände

wurden dabei farbig passend zu den Gemälden gestaltet und

zwischen den einzelnen Werken war ein größerer Abstand. Das

Ziel war es, den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit

zu geben, jedes Werk auf sich wirken zu lassen.

Im 20. Jahrhundert entwickelten Künstler wie Daniel Spoerri

und John Cage neue Konzepte, Sammlungen zu präsentieren.

Beiden Künstlern widmet das Wallraf-Richartz-Museum Räume.

Daniel Spoerri entwickelte in den 1970er-Jahren das Mu-


36 INTERVIEW

„Spitzenstücke liegen in

Wohnzimmerschränken“

1

1

Gunter Schöbel, Direktor

des Pfahlbaumuseums in

Unteruhldingen, spricht

im Interview zu aktuellen

Herausforderungen, vor

die Privatsammler die

Museen stellen.

FRAGEN: ANNA MARTIN

Im Freilichtmuseum in Unteruhldingen können Besucherinnen

und Besucher in das Leben prähistorischer Pfahlbaubewohnerinnen

und -bewohner eintreten. Doch handelt es sich bei den

im Bodensee stehenden Pfahlbauten um Rekonstruktionen –

die eigentlichen Fundstellen liegen unter Wasser und können

von der Öffentlichkeit nicht besichtigt werden. Wie das Pfahlbaumuseum

versucht, das Unsichtbare sichtbar zu machen und

zu vermitteln, welche konservatorischen Schwierigkeiten die

unter Wasser geborgenen Fundstücke mit sich bringen und vor

welche Herausforderungen Privatsammler die Museen aktuell

stellen, erklärt Museumsdirektor Gunter Schöbel im Interview.

Herr Schöbel, Sie waren einer der ersten Taucharchäologen

überhaupt in den 80er-Jahren in Baden-Württemberg, als sich

diese Disziplin zu etablieren begann. Tauchen Sie noch immer

selbst im Bodensee nach Fundstücken?

Es ist ein alter Traum der Menschheit, zu tauchen und unter

Wasser archäologische Reste zu finden. Die Anfänge gehen

ins 19. Jahrhundert zurück. Hier am Bodensee beginnen sie in

den 1950er-Jahren – allerdings noch nicht mit der Methodik,

die wir dann ab den 1980er-Jahren anwenden durften. Wir haben

uns um die Pfahlbausiedlungen unter Wasser gekümmert:

Wir sind an den alten Fundorten in den Bodensee abgetaucht

und haben versucht, eine Bestandsaufnahme zu generieren.

Ich war mit Kollegen im Auftrag des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg

unterwegs. Auch im Rahmen unserer Dissertation

haben wir dann verschiedene Punkte bearbeitet.

Heute bin ich noch ab und an unter Wasser und schaue mir

den Zustand dieser Anlagen an. Aktuell bereiten invasive Arten

wie Quaggamuscheln und Kamberkrebse große Probleme.

Auch die übliche Erosion macht den Siedlungen zu schaffen.

Es geht vor allem ums Monitoring. Diese Arbeit obliegt den

Behörden des Landesdenkmalamtes oder auf der Schweizer

Seite der Kantonalen Denkmalpflege. Wir haben den Auftrag

der UNESCO, die Erhaltung sicherzustellen.

Dem Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen, getragen vom Verein

für Pfahlbau- und Heimatkunde e.V., ist ein Forschungsinstitut

angegliedert. Tauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Ihres Instituts selbst nach weiteren Fundstücken? Was sind die

Haupttätigkeiten am Forschungsinstitut heutzutage?

Nein, sie tauchen nicht, das ist Aufgabe der staatlichen Denkmalpflege.

Die Haupttätigkeiten am Forschungsinstitut sind

zweigeteilt. Zum einen kümmern wir uns um unsere Sammlungen:

insgesamt über zwei Millionen Stücke quer durch verschiedene

Sammlungsbereiche, mit einem großen Schwerpunkt in

der Archäologie unseres Raumes. Diese Sammlungen werden

fortlaufend bearbeitet. Zweitens haben wir einen Vermittlungsauftrag.

Wir bereiten oftmals im Winterhalbjahr Projekte, wie

Sonderausstellungen, für das kommende Jahr vor.

Im Winter kehren wir den Blick nach innen, sehen nach den

Sammlungen und versuchen dort, unseren Aufgaben des Be-


INTERVIEW

37

wahrens, des Konservierens und auch des Erschließens gerecht

zu werden. Im Sommer gilt unsere ganze Kraft dem Publikum,

das uns besucht.

Im Freilichtmuseum können Besuchende in das Leben der Pfahlbaubewohnerinnen

und -bewohner eintreten: Stege über dem

Wasser des Bodensees führen zu Pfahlbauten, die zu Dörfern

angeordnet sind. Dabei handelt es sich jedoch um Rekonstruktionen.

Was ist von prähistorischen Pfahlbauten heute noch erhalten,

und wie haben Sie im Museum anhand der Funde die

Gebäude rekonstruiert?

Im Bodensee gibt es rund zwei Millionen Pfähle von über 200

Anlagen. Das sind die Originale, die zum Teil zum UNESCO-

Weltkulturerbe erklärt wurden, aber nicht durch die Bevölkerung

besucht werden können – es sei denn, sie sind archäologische

Forschungstaucher und -taucherinnen in speziellen

Projekten. Das ist das große Problem dieses UNESCO-Weltkulturerbes:

Es ist nicht sichtbar. Unsere Aufgabe ist es aber,

dieses zu zeigen und zu vermitteln. Das Museum verfolgt

daher den Plan, Fragmente aus Ausgrabungen in der klassischen

Manier im Original darzustellen. Allerdings spricht das

Fragment noch nicht für sich. Das heißt, es muss erläutert und

inszeniert werden.

Wir erklären den Besucherinnen und Besuchern durch eine

Pre-Show, das Archaeorama, die Methode der Unterwasserarchäologie,

aber auch des Rekonstruierens. Sie können bei

uns zunächst das Original als Fragment, dann im Freilichtmuseum

die rekonstruierte Lebenswelt nach archäologischen

Ergebnissen sehen. Im Steinzeitparcours werden Besucherinnen

und Besucher dann in die Lage versetzt, sich diese

Lebensbilder zu vergegenwärtigen und aus den Fragmenten

von eigener Hand Dinge wieder herzustellen. Am Ende haben

sie in der Galerie des Neubaus die Möglichkeit, in einer Nachbetrachtung

eine Vertiefung für sich zu leisten. In dieser wird

erklärt, wie wir mithilfe der experimentellen Archäologie zu

unseren Ergebnissen und Rekonstruktionen kommen.

Der Rundgang setzt Besucherinnen und Besucher in die Lage,

das archäologische Wirken und Arbeiten zu erkennen, aber auch

kritisch zu hinterfragen. Wir haben noch nicht alle Fragmente, die

wir bräuchten, um ein komplettes Bild zu erstellen – wir haben

ein Mosaik. Das wird im Rundgang erfahr- und erlebbar.

2011 erklärte die UNESCO die „Prähistorischen Pfahlbauten

um die Alpen“ mit insgesamt 111 Fundstellen, verteilt auf sechs

Staaten, zum Welterbe. Einige Bestandteile des Welterbes liegen

heute unter Wasser, so auch in Unteruhldingen. Südlich des

Hafens wurden die Überreste von Pfählen einer spätbronzezeitlichen

Siedlung gefunden. Wie wird entschieden, welche Fundstücke

unter Wasser belassen und welche entnommen werden

und beispielsweise in ein Museum kommen?

Die grundsätzliche Problematik besteht darin, dass diese Pfahlfelder

von der Erosion der Flachwasserzonen betroffen sind.

Hier setzt die Denkmalpflege an: Sie ermittelt den Zustand,

führt Ausgrabungen und Sondagen durch. Einerseits, um Dinge,

die sonst verspült und zerstört werden würden, zu sichern.

Aber auch, um die Architektur und Gestalt dieser Siedlungen

zu begreifen. Der Bestand ist sehr groß – daher wird im Prinzip

nur wenig entnommen. In Unteruhldingen allein dehnt sich der

Bestand auf zwei Hektar aus. Man nimmt Proben, um zu datieren,

nimmt mit, was an der Oberfläche liegt, kartiert. Man geht

sehr schonend mit dem Bestand um. Aber der Großteil bleibt

unter Wasser und muss auch dort bleiben. Die Sorge muss dahin

gehen, den konservierten Bestand unter Luftabschluss im

anaeroben Milieu geschützt zu halten.

Der Fundort in Unteruhldingen ist 400 bis 500 Meter von unserem

Museum entfernt. Aber das ist auch konservatorisch der

2

2

In Unteruhldingen wurden

im Bodensee Pfahlreste

einer bronzezeitlichen

Siedlung gefunden.

Die Funde verbleiben

unter Wasser.


44 NEWS

Die Spuren der Geschichte

nicht vertuschen

von Uta Baier

Der Berliner Gipsabguss des „Taufbeckens von Siena“ ist restauriert

und wird im Bode-Museum wieder ausgestellt.

Einst staunten Museumsbesucher nicht nur über Originale,

sondern auch über Nachbildungen bedeutender Kunstwerke.

Vor allem im 19. Jahrhundert wurden Gipsabgüsse von Kunstwerken

für Museen angefertigt und mit großem Erfolg ausgestellt.

Denn das Reisen war beschwerlich, das Bedürfnis, enzyklopädische

Ausstellungen zu sehen, jedoch groß. Zu dieser

Zeit entstanden in der Berliner Gipsformerei zahlreiche Abgüsse

italienischer Renaissancebildwerke, die bis 1920 in gleich

fünf Ausstellungssälen des heutigen Bode-Museums gezeigt

wurden. Danach schwand das Interesse, und die Gipsmodelle

gerieten in Vergessenheit.

Seit einiger Zeit werden sie wiederentdeckt, denn sie haben

mittlerweile auch einen kunsthistorischen Wert. Das zeigt sich

besonders deutlich am Modell des „Taufbeckens von Siena“,

das zwischen 1416 und 1434 entstand und 1876 vor Ort für die

Berliner Sammlungen abgeformt wurde. Das mehr als fünf Meter

hohe Taufbecken aus Marmor und Bronze ist eine Gemeinschaftsarbeit

von Jacopo della Quercia, Turino di Sano, Giovanni

di Turino, Goro di Neroccio, Lorenzo Ghiberti und Donatello

für das Baptisterium von San Giovanni in Siena. Der italienische

Gipsformer Giuseppe Del Ricco brauchte für die Abformung

des monumentalen Taufbeckens mit figurengeschmücktem

Aufsatz zehn Monate. Die 59 Teil-Abgüsse wurden anschließend

in der Berliner Gipsformerei gegossen, zusammengesetzt

und im Museum ausgestellt.

Die 1819 gegründete Gipsformerei hatte damals bereits jahrzehntelange

Erfahrung mit Abgüssen in Museumsqualität. Das

Sieneser Taufbecken überzeugte offenbar besonders, denn es

entstanden in den folgenden Jahren vier weitere Abgüsse. Der

erste wurde 1879 für die Königlichen Sammlungen in Dresden

angefertigt. Außerdem bestellten Museen in London, Pittsburgh

und Budapest Abgüsse.

„Das 59-teilige Gipsmodell des Taufbeckens ist weit mehr als

eine bloße Kopie. Es ist eine Zeitkapsel, die den Zustand des

Sieneser Monuments im Jahr 1876 bewahrt, als es abgeformt

wurde. Zugleich hat es eine eigene historische Bedeutung und

ist eng mit der Geschichte der Staatlichen Museen zu Berlin

verbunden. Dass dieses Objekt nun im Rahmen einer eigenen

musealen Präsentation gewürdigt wird, ist nicht nur ein großer

Erfolg für die Gipsformerei, sondern auch ein Novum in der

Berliner Museumslandschaft“, sagte Miguel Helfrich, der Leiter

der Gipsformerei zur Ausstellungseröffnung. Das restaurierte

Modell steht nun in der sogenannten „Krypta“ des Bode-Museums,

einem hohen, von Treppen umgebenen Lichthof. Der

Platz ist perfekt, denn der Raum hat eine Galerie, sodass die

Besucher das Taufbecken aus verschiedenen Höhen betrachten

können. Sie sehen ein Kunstwerk mit vielen sichtbaren Reparaturen,

Anstückungen und Kittungen.

Der Abguss des Berliner Taufbeckens wurde 2023 mit finanzieller

Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung von

Restauratorin Aurelia Badde in Zusammenarbeit mit Judith

Kauffeldt und der Gipsformerei restauriert. Aurelia Badde hat


NEWS

45

1

viel Erfahrung mit Gipsen. Sie restaurierte in der Vergangenheit

zum Beispiel die vom Löschwasser geschädigten Büsten aus

der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar. In einem ausführlichen

Aufsatz für die Begleitpublikation zur Berliner Ausstellung

beschreibt Aurelia Badde das Ziel der Restaurierung

des Taufbeckens so: „Die Kenntlichlassung der Kittungen und

Rekonstruktionen sowie der Verzicht auf eine vereinheitlichende

oder auch abstufende Farbretusche, welche die der Nutzungsgeschichte

geschuldete Fleckigkeit und heterogene Farbigkeit

der verschiedenen Teilmodelle buchstäblich ‚vertuscht‘

hätte, sind zentrale Merkmale des restaurierten Werkes.“

Diese Publikation ist überaus gelungen, verbindet sie doch die

wissenschaftliche Beschreibung der „Geschichte, Restaurierung

und Wiederaufstellung eines Gipsmodells“ mit mehreren

Fotoessays von Fabian Fröhlich und Philip Radowitz. Die ausführlichen,

detailreichen Fotostrecken geben einen vielfältigen,

manchmal spielerischen, immer präzisen Einblick in die

Gipsformerei und ihren Reichtum und beschreiben die Arbeit

an den beschädigten Einzelteilen des Taufbeckens sowie den

Prozess des Zusammensetzens und Aufstellens.

Der Besuch des Gipsmodells in Berlin ersetzt natürlich keinen Besuch

des Originals in Siena und das Lesen des Buchs zur Restaurierung

ersetzt keinen Besuch des Bode-Museums. Doch es öffnet

mit seinen wunderbaren Fotoessays, den wissenschaftlichen Texten

und den abgebildeten Dokumenten eine Tür hinter die Kulissen

des Museums und zu all dem Wissen, das dort versammelt ist.

1

Im Berliner Bode-Museum

wurde nach der

Restaurierung wieder

der Gipsabguss des

„Taufbeckens von Siena“

aufgestellt.

Berlin, Bode-Museum

Publikation: „Das Taufbecken von Siena“, Hg.:

Neville Rowley, Veronika Tocha, 25 Euro, Verlag:

Schnell & Steiner, ISBN: 978-3-7954-3975-0


48 SAMMELN UND FORSCHEN

2

3

2

Umgedruckter Kupferstich

auf Holz, während

des Abziehens des

Papiers.

3

Fertig umgedruckter

Kupferstich auf der

Ahornholz-Platte, nach

der Schellackpolitur.


SAMMELN UND FORSCHEN

Im 18. Jahrhundert wurden neue Dekorationstechniken entwickelt, um so zeitaufwendige

und teure Techniken zu imitieren. Ein solches Verfahren war der sogenannte Umdruck.

Zunächst setzte man es für Porzellan ein, aber bald wurde der Umdruck auch für Holz angewendet.

Irene Meneghetti untersuchte dieses Verfahren und schildert hier ihre Ergebnisse.

49

Die im 18. Jahrhundert entstandenen Dekorationstechniken

wie Gips sollten zeitaufwendigere und teurere Techniken imitieren

und dienten dazu, Möbel für eine neu entstandene wohlhabende

Mittelschicht bezahlbarer und leichter zugänglich zu

machen. In Europa tauchte der Umdruck als Dekorationsmethode

für Keramik erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts auf, wobei

der älteste bekannte Umdruck auf einer Teekanne aus der

Doccia-Manufaktur in Italien aus dem Jahr 1742 stammt 1 . Die

Anwendung der Technik durch Doccia erfolgte knapp vor ihrem

Erscheinen in England in den 1750er-Jahren, wo die Massenproduktion

von Keramik- und Emaille-Objekten mit Umdruck

begann 2 . Der Umdruck entwickelte sich zu einer der wichtigsten

Dekorationstechniken für Porzellan, da er viel schneller und

präziser war als die Handmalerei, die er auf Keramik nach und

nach ersetzte 3 . In ähnlicher Weise wurde der Umdruck auf Holz

immer beliebter als Alternative zu den schwierigeren und zeitaufwendigeren

Verfahren der Marketerie, Intarsie oder Malerei

auf Holz. Daneben ist der Umdruck nicht die einzige Technik,

mit der gedruckte Bilder auf Möbel oder Holzgegenstände

aufgebracht werden; dieser Trend entwickelte sich auch in anderen

Formen, z. B. der Decoupage. Allegorische Bilder, klassische

Ornamente, Kopien französischer Marketerien 4 und bekannter

oder beliebter Bilder 5 wurden zur häufigsten Art von

Bildern verwendet wurden.

Die Unterlagen über die Entwicklung der Technik sind spärlich,

aber es scheint, dass das erste Beispiel für den Umdruck auf

Holz eine Teedose war, die 1790 von Geoffrey Beard in England

mit allegorischen Bildern verziert wurde 6 . Im Jahr 1804 perfektionierten

zunächst Vater und Sohn Potter in Erfurt ihre Technik

des Drucks auf alle Arten von harten Materialien, einschließlich

Holz. Der Umdruck auf Möbeln wurde in Wien im Jahr 1810 von

Michael Menner und Johann Härle durchgeführt 7 . Auch der

Wiener Tischler Böhlmann 8 wird als Anwender dieser Technik

erwähnt, und ein Tisch aus dem Jahr 1823 ist bekannt 9 . In den

Jahren 1818 und 1819 erlebte die Herstellung von Umdrucken

auf Holz einen Aufschwung, als Johann Georg Hiltl in der Akademie

der Künste Möbel mit Umdrucken ausstellte 10 . Dies markiert

den Beginn der Produktion von Möbeln mit Umdruckdekor

in größerem Maßstab 11 . Johann Georg Hiltl lehrte die Technik

seinen Sohn Anton Hiltl, der bis in die 1840-er-Jahre 12 in Berlin,

als Hoftischler tätig war und Möbel mit Umdrucken herstellte.

Auch der Berliner Kunsttischler Joseph Schneevogl fertigte seit

mindestens 1828 Möbel mit Umdrucken an, dem Jahr, in dem

er sein Meisterstück, einen mechanischen Sekretär, vorstellte,

den König Friedrich Wilhelm III. zur Ausschmückung des Neuen

Pavillons im Berliner Schloss Charlottenburg erwarb. Leider

scheint der Umdruck auf Holzmöbeln um die Mitte des 19. Jahrhunderts

ausgestorben zu sein, und es gibt wohl keine Beispiele

mehr für Möbel oder Holzgegenstände dieser Art nach dem

Schmetterlingsschrank von Anton Hiltl von 1840.

Historische Methoden für den Umdruck auf Holz

Bei der Untersuchung der verschiedenen Methoden des Umdruckens

auf Holz wird deutlich, dass es einen großen Unterschied

gibt, nämlich die Frage, ob der Druck spiegelverkehrt

oder in der gleichen Richtung wie das Originalbild übertragen

wird. Ersteres ist die einfachere Methode, die nur einen Schritt

erfordert, während Letztere komplexer ist und einen Zwischenschritt

erfordert, der es beispielsweise ermöglicht, Text

oder Landkarten als echtes und lesbares Bild zu übertragen.

Das älteste historische Verfahren für den Umdruck auf Holz

ist höchstwahrscheinlich das von Siddons, der 1820 seinen

ersten „Cabinet Maker's Guide“ veröffentlichte 13 . Die meisten

historischen Methoden zur Übertragung von Drucken auf Holz

sind sehr ähnlich und unterscheiden sich nur in kleinen Details.

Das Holz für den Umdruck muss eine feine Maserung und helle

Farbe haben sowie hart sein. Die feine Maserung und die Härte

bieten eine feste, aber auch gleichmäßige und geschlossene

Oberfläche ohne Rillen und Vertiefungen, auf die der Druck gleichmäßig

übertragen werden kann. Rosskastanien-, Linden-, Ahorn-,

Weißbuche- 14 , Kirsch-, Birnen- und Nussbaumholz wurden alle

verwendet 15 , obwohl Ahornholz das Holz der Wahl für Umdrucke

war – wegen seiner feinen Maserung und sehr hellen Farbe, die

während der süddeutschen Biedermeierzeit beliebt war.

Die für den Umdruck verwendete Druckart war hauptsächlich

der Kupferstich, obwohl auch Lithografien übertragen werden

können.

Das Papier ist möglicherweise der wichtigste Faktor des gesamten

Umdruckverfahrens; es muss so dick sein, dass es

viel Wasser aufnehmen kann, denn erst durch das Wasser, mit

dem das Papier durchtränkt ist, kann es von der Druckfarbe getrennt

werden und anschließend das Bild übertragen werden.

Die Druckfarbe muss lipophil und hydrophob bleiben und mit

dem Lack verbunden sein, und das Papier muss hydrophil und

wasserlöslich bleiben. Wenn das Papier zu viel Lack aufnimmt,

lässt sich das Papier nicht mehr mit Wasser von der Druckfarbe

trennen, und die Übertragung ist nicht erfolgreich.

Der verwendete Lack ist fast immer ein klarer Lack auf Naturharzbasis,

Sandarak wurde am häufigsten verwendet 16 . Der

Lack sollte eine klebende Komponente haben, die dazu dient,

die Tinte auf dem Holz zu befestigen, er sollte transparent und

möglichst farblos sein und muss wasserfest sein 17 .

Reproduktion historischer Verfahren

Das bisher nie in zeitgenössischen Quellen dokumentierte

Verfahren für den Umdruck in der richtigen Richtung wurde in

2020 reproduziert anhand verschiedener historischer Techniken.

Ich stelle hier die getestete Methode vor.

Der für die Tests gewählte Lack ist auf Baumharzbasis hergestellt,

dessen Rezept in der 1846 erschienenen Zeitschrift der

Polytechnischen Gesellschaft zu Berlin gefunden wurde 18 . Die


SAMMELN UND FORSCHEN

61


62 SAMMELN UND FORSCHEN

Das Phänomen des Sammelns hat in der Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft eine

bedeutende Rolle gespielt und durchlief im Laufe der Jahrhunderte einen bemerkenswerten

Wandel. Von den opulenten Wunderkammern der Renaissance bis hin zu avantgardistischen

Museumskonzepten der Gegenwart lässt sich eine faszinierende Entwicklung

beobachten, die nicht nur die Kunst selbst, sondern auch unsere Wahrnehmung und

Interpretation von Objekten und ihre Bedeutung beeinflusst hat.

Die Wunderkammer, auch als Kunstkammer oder Raritätenkabinett

bekannt, entstand im 16. Jahrhundert als Ausdruck fürstlicher

Sammlerleidenschaft und wissenschaftlicher Neugier.

Diese Räume beherbergten eine eklektische Mischung aus

Naturalia (Naturwunder), Artificialia (Kunstwerke), Scientifica

(wissenschaftliche Instrumente) und Exotica (fremdartige Objekte

aus fernen Ländern). Sie repräsentierten den Versuch, die

Welt in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu verstehen.

Aus kunsthistorischer Perspektive sind Wunderkammern von

besonderem Interesse, da sie die Grenzen zwischen Kunst,

Wissenschaft und Natur verwischten. Sie spiegelten das Weltbild

der Renaissance wider, in dem die Verbindungen zwischen

allen Dingen als Teil eines göttlichen Plans verstanden wurden.

Die Juxtaposition disparater Objekte in diesen Räumen sollte

nicht nur das Staunen der Betrachter hervorrufen, sondern

auch zum Nachdenken über die Ordnung der Welt anregen.

Ein berühmtes Beispiel für eine solche Wunderkammer war die

Sammlung von Rudolf II. in Prag. Der habsburgische Kaiser war

bekannt für seine Leidenschaft für Kunst, Wissenschaft und das

Okkulte. Seine Wunderkammer enthielt neben Gemälden und

Skulpturen auch astronomische Instrumente, exotische Tiere

und sogar alchemistische Artefakte. Die Vielfalt und der Reichtum

dieser Sammlung spiegelten nicht nur den persönlichen

Geschmack des Kaisers wider, sondern auch den Wunsch, das

gesamte Wissen der Welt an einem Ort zu vereinen.

Paradigmenwechsel: Von der Wunderkammer

zum systematischen Museum

Mit der Aufklärung und dem Aufkommen wissenschaftlicher

Methoden im 18. Jahrhundert vollzog sich ein Paradigmenwechsel

in der Sammelpraxis. Die chaotische Ansammlung

von Objekten in Wunderkammern wich einer systematischeren

Herangehensweise. Museen entstanden als öffentliche Institutionen,

die Wissen vermitteln und Objekte nach klaren taxonomischen

Kriterien ordnen sollten.

Dieser Übergang markierte einen entscheidenden Moment in

der Kunstgeschichte und Museologie. Die Trennung von Kunst

und Naturwissenschaften führte zur Entstehung spezialisierter

Sammlungen und Ausstellungsräume. Kunstwerke wurden nun

primär nach ästhetischen und historischen Gesichtspunkten

präsentiert, während naturwissenschaftliche Objekte in eigenen

Museen nach wissenschaftlichen Klassifikationssystemen

geordnet wurden.

Ein Pionier dieser neuen Museumskonzeption war Sir Hans

Sloane, dessen umfangreiche Sammlung den Grundstein für

das British Museum bildete. Sloane ordnete seine Objekte nach

wissenschaftlichen Prinzipien und legte damit den Grundstein

für die moderne Museumspraxis. Diese Entwicklung spiegelte

den Geist der Aufklärung wider, der auf Rationalität und systematische

Ordnung setzte.

Postmoderne Rückbesinnung: Das Wunderkammer-

Konzept in der zeitgenössischen Kunst

In der zeitgenössischen Kunst und Museumspraxis lässt sich

eine Rückbesinnung auf das Konzept der Wunderkammer beobachten.

Künstler und Kuratoren greifen die Idee des assoziativen

Sammelns und Präsentierens wieder auf, um neue Perspektiven

zu eröffnen und etablierte Kategorien zu hinterfragen.

Ein paradigmatisches Beispiel für diesen Ansatz ist John Cages

„Rolywholyover A Circus“. Dieses innovative Museumskonzept,

das Cage in den 1990er-Jahren entwickelte, bricht radikal mit traditionellen

Ausstellungspraktiken. Anstatt eine feste Anordnung

von Kunstwerken zu präsentieren, schuf Cage ein sich ständig

wandelndes Ausstellungserlebnis, bei dem die ausgestellten

Werke täglich nach dem Zufallsprinzip neu arrangiert wurden.

Der Titel „Rolywholyover“ ist ein Wortspiel, das auf James

Joyces "Finnegans Wake" anspielt – ein literarischer Bezug, der

die Verbindung zwischen Kunst, Literatur und Sammelpraxis

unterstreicht. Wie Joyces Werk, das mit Sprache und Bedeutung

spielt, fordert Cages Konzept die Besucher heraus, neue

Verbindungen zwischen den Objekten herzustellen.

Joyce's „Finnegans Wake“ ist bekannt für seine komplexe,

vielschichtige Sprache und seine zirkuläre Struktur, die traditionelle

narrative Konventionen herausfordert. Ähnlich dazu

bricht Cages „Rolywholyover A Circus“ mit den Konventionen

der Museumsausstellung. Indem er die Anordnung der Kunstwerke

dem Zufall überlässt, schafft Cage eine Art literarisches

Äquivalent zu Joyces Sprachexperimenten im visuellen Raum.

Cages Konzept kann als postmoderne Interpretation der Wunderkammer

verstanden werden. Es hinterfragt die Autorität des

Kurators und die Idee einer festen, linearen Narration in Ausstellungen.

Stattdessen wird der Besucher ermutigt, eigene

Verbindungen zwischen den Objekten herzustellen und so aktiv

am Prozess der Bedeutungskonstruktion teilzunehmen.

Das Sammeln als künstlerische Praxis

Die Wiederentdeckung des Wunderkammer-Konzepts hat auch

zeitgenössische Künstler inspiriert, das Sammeln selbst als

künstlerische Praxis zu begreifen. Künstler wie Mark Dion oder

Damien Hirst haben in ihren Werken die Ästhetik und Philosophie

der Wunderkammer aufgegriffen und kritisch reflektiert.

Mark Dions Installationen, die oft aus einer Vielzahl gefundener

und arrangierter Objekte bestehen, hinterfragen die Art und

Weise, wie wir Wissen organisieren und präsentieren. Seine

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