Alumni Magazin 04/2024
Alumni Magazin 04/2024
Alumni Magazin 04/2024
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Verbindungen fürs Leben
Das Magazin des Alumnidachverbandes der BOKU University
No. 04 / 12 2024
ISSN: 2224-7416
Der Erdäpfelbaron –
Aus Alumni-Händen 28
In dieser
Ausgabe
Foto: Peter Weish
Foto: Jakob Loidolt
40 Jahre Hainburg – Umweltproteste damals und heute 18
Foto: Remco Koenderman
Ausgezeichnete Abschlussarbeiten –
Wissenschaftspreise für Boku-
Absolvent*innen 26
Bleiben Sie vernetzt!
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sich unter +43 (1) 47654 10442.
Impressum alumni.boku.wien/magazin
Herausgeber: Alumnidachverband der Universität für Bodenkultur Wien, Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien, alumni.boku.wien
• Geschäftsführer BOKU ALUMNI: Ewald Pertlik, alumni@boku.ac.at • Redaktion: Kathrin Horvath, alumnimagazin@boku.ac.at,
Tel.: 01/47654-10442 • Auflage: 8000 • Mitarbeit: Dorottya Bazso, Stephanie Drlik, Martin Grafeneder, Konstantin Heidler, Andreas
Kugler, Sebastian Nieß, Hannes Plackner, Gabriele Weigelhofer • Lektorat: Marlene Gölz • Coverbild: Haroun Moalla • Grafik: Monika
Medvey • Druck: Druckerei Berger – PEFC-zertifiziert: das PEFC-Zertifikat garantiert eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und
Holzverarbeitung. Das Holz stammt aus aktiv nachhaltig und klimafit bewirtschafteten Wäldern.
Alle redaktionellen Beiträge sind nach bestem Wissen recherchiert, es wird jedoch keine Haftung für die Richtigkeit der Angaben
übernommen. Namentlich nichtgekennzeichnete Beiträge stammen von der Redaktion. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung
von Beiträgen sind aus Platzgründen vorbehalten. Nichtgekennzeichnete Fotos sind private Fotos.
2
Änderung im Redaktionsteam:
Kathrin Horvath (l.) übernimmt
die redaktionelle Leitung von
Natalia Lagan.
Editorial
Auf zu neuen Abenteuern
Foto: Isabella Gerszi
Nach vier Jahren voller Engagement und kreativer Ideen übergibt Natalia Lagan das Alumni-Magazin
in neue Hände. Sie bricht zu einem neuen Abenteuer auf und widmet sich in Dänemark ihrem
PhD-Studium.
Als neue Redakteurin des BOKU Alumni-Magazins stehe ich am Anfang eines Abenteuers – so wie
meine Vorgängerin Natalia Lagan gerade in Dänemark ein neues aufregendes Kapitel aufschlägt.
Natalia hat das Alumni-Magazin in einer besonders schwierigen Zeit übernommen – mitten in der
Corona-Pandemie. Plötzlich war persönlicher Kontakt nicht mehr möglich. Doch mit Durchhaltevermögen
und Kreativität gelang es ihr, trotz der räumlichen Distanz mit lebendigen Geschichten
Nähe auch dort zu schaffen, wo sie zu dieser Zeit kaum möglich war. Nach der überstandenen
Pandemie schätzte sie es umso mehr, ihre Interviewpartner*innen endlich persönlich treffen zu
können. Daraus entstanden einige besondere Begegnungen – wie eine Fahrt mit dem Nationalparkdirektor
durch den Nationalpark Neusiedler See - Seewinkel oder ein Besuch im „Amtshaus“
der Kultserie MA2412.
„Für mich war es berührend zu sehen, wie begeistert meine Interviewpartner*innen von ihrer Zeit
an der BOKU und ihrem beruflichen Werdegang berichteten“, erzählt Natalia bei unserem Gespräch.
Es zeigt sich, dass der BOKU-Spirit auch lange nach dem Studienabschluss noch tief in
den Herzen der Alumni verankert ist. Und ich kann das persönlich nur bestätigen. Nach über zehn
Jahren in der Privatwirtschaft als Landschaftsökologin tätig, bin ich wieder an meine Heimatuniversität
zurückgekehrt – und ich muss gestehen: Hier hat sich viel getan! Doch von der ersten
Minute an spüre ich, dass das Herz im Rhythmus des BOKU-Spirits stärker und lauter schlägt
denn je. Es ist ein Gefühl von Vertrautheit und Zugehörigkeit, das sofort wieder aufblüht und mich
daran erinnert, was diese Universität so besonders macht.
Natalia, deine unermüdliche Energie und dein Herzblut haben das Alumni-Magazin in den vergangenen
Jahren entscheidend geprägt. Du hinterlässt ein Erbe, das ich mit Respekt und Begeisterung
weiterführen möchte. Für deinen neuen Weg wünsche ich dir auch im Namen unserer
Leser*innen von Herzen alles Gute!
Liebe Alumni, ich freue mich darauf, zukünftig die Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart
zu schlagen und so den vielfältigen Lebenswegen unserer Alumni eine Bühne geben zu können.
Ob frisch gebackene Absolvent*in oder langjährige BOKU-Expert*in – eure Erlebnisse, Erinnerungen
und Erfahrungen verbinden uns als Gemeinschaft, auch weit über die Studienzeit hinaus.
Dieser Austausch ist das Herzstück unseres Magazins, das ich mit großer Begeisterung weiterführen
werde. Teilt mit uns eure BOKU-Erinnerungen, eure spannenden Werdegänge oder eure Ideen
unter alumnimagazin@boku.ac.at
Kathrin Horvath
Redaktion BOKU Alumni-Magazin
3
Die 2019 angelegten
Hochbeete sind nicht
nur ein Blickfang,
sondern auch eine
neue und spannende
Entdeckung für viele
Alumni.
Auf neuen Wegen mit
alten Verbindungen –
der BOKU Alumni-Tag
Der BOKU Alumni-Tag 2024 bot nicht nur eine Rückkehr
an die Alma Mater, sondern auch einen vielfältigen
Austausch, neue Einblicke in aktuelle Entwicklungen
und ein Wiedersehen alter Bekannter.
Am 28. September lud der Alumniverband
zum großen Wiedersehen ein. Der Tag startete
mit zwei parallel stattfindenden Führungen,
die unterschiedlicher kaum hätten sein können,
aber beide eines vereinten: Sie schlugen
eine Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart.
Hildegund Fauler, Lektorin am Institut
für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau,
führte durch den Türkenschanzpark. Für
Studierende der Landschaftsplanung und
Landschaftsarchitektur ist Fauler eine feste
Größe, denn mit dem Pflichtfach Gehölzkunde
prägt sie das Bachelorstudium maßgeblich.
Für einige der Teilnehmer*innen war es überraschend
zu entdecken, dass in den Wiesen
Kinder umherliefen und sich Jugendliche und
Erwachsene erholten. „Zu meiner Zeit war
das noch streng verboten“, erinnert sich eine
Teilnehmerin. Zeitgleich dazu nahm BOKU-Archivar
Peter Wiltsche die Gäste mit auf eine
Zeitreise durch die traditionsreichen Räumlichkeiten
der Universität. Ein Höhepunkt der
Führung war der Hörsaal GH01 im Guttenberghaus.
Auch wenn der Weg in den zweiten
Stock nicht ganz so anstrengend ist wie der
Aufstieg zur gleichnamigen Schutzhütte im
Fotos: Haroun Moalla
4 12/2024
Dachsteingebirge, wird man dennoch mit einem
beeindruckenden Panorama belohnt. Der
Hörsaal, mit seinen ansteigenden Sitzreihen,
bietet Platz für rund 170 Studierende und beeindruckt
durch seine Höhe von 7,60 Metern.
Auf dem Weg in die Zukunft
Die Eröffnungsansprache von Rektorin Eva
Schulev-Steindl, untermalt von den jazzigen
Klängen der BOKU Big Band, machte deutlich,
dass die BOKU University den Puls der Zeit
spürt – und diesen aktiv mitgestaltet. „Die
BOKU hat sich nicht nur national, sondern
auch international einen Namen gemacht,
wenn es darum geht, die großen Herausforderungen
unserer Zeit – von der Nachhaltigkeit
bis zur Lebensmittelsicherheit – zu lösen“,
erklärte sie. Die jüngsten Neuerungen im Studienangebot
unterstreichen diese Ambition:
Mit den Programmen „Green Building Engineering“
und „Climate Change and Societal
Transformation“ wurden gleich zwei Studiengänge
geschaffen, die aktuelle Bedürfnisse
im Bereich des nachhaltigen Bauens und der
gesellschaftlichen Transformation aufgreifen.
Das starke Wachstum der Studienzahlen ist
eine Bestätigung für den Erfolg dieser Strategie.
„Wir hatten im letzten Wintersemester
das größte Wachstum bei den Erstsemestrigen
von allen österreichischen Universitäten“,
so die Rektorin stolz.
Hildegund Fauler
führt durch den
Türkenschanzpark
und teilt aktuelle
Kenntnisse und
Entwicklungen in
der Gehölzkunde
und Freiraumplanung.
Rektorin Eva
Schulev-Steindl
betont in ihrer Eröffnungsansprache
den internationalen
Ruf der BOKU
University als
Vorreiterin bei
globalen Herausforderungen
wie
Nachhaltigkeit und
Lebensmittelsicherheit.
Peter Wiltsche ermöglicht bei seiner Gebäudeführung
einen beeindruckenden Blick von oben im Hörsaal GH01
– für einige Teilnehmer*innen ein unvergessliches und
einmaliges Erlebnis.
5
Bei der Podiumsdiskussion,
v. l. n. r.: Marcus
Lebesmühlbacher
(Holloid), Jürgen
Mairhofer (enGenes
Biotech), Karin
Fleck (Vienna
Textile Lab), David
Witzeneder (Wormsystems)
„Ich habe Agrarwissenschaften studiert,
mich mit Boden und Würmern
beschäftigt. Ich habe aber auch realisiert,
dass Marketing ein sehr wichtiger
Teil meiner Arbeit werden muss.“
David Witzeneder, wurmkiste.at
Die BOKU BigBand
stimmt mit ihren
jazzigen Klängen
auf die offizielle
Eröffnung ein
Start-ups aus der BOKU-Schmiede
Wie praxisnah die Ausbildung an der BOKU University
tatsächlich ist, zeigte der Podiumstalk,
der von Alumni-Geschäftsführer Ewald Pertlik
und Mitarbeiter Martin Sowa moderiert wurde.
David Witzeneder, Gründer von „Wurmkiste.
at“, brachte das Publikum mit seiner originellen
Gründungsgeschichte zum Schmunzeln. Während
seines Agrarwissenschaftsstudiums stellte
der Oberösterreicher fest, dass Biomüll in Wien
oft im Restmüll landet. Kurzerhand entschied er
sich, seinen eigenen Komposthaufen im Türkenschanzpark
anzulegen – eine kreative, aber
keine dauerhafte Lösung. Es entstand die Idee
zur Wurmkiste. Heute ist sein Unternehmen auf
mittlerweile zehn Mitarbeiter*innen gewachsen.
Witzeneder bleibt der BOKU bis heute verbunden,
indem er im Rahmen von ÖH-Workshops
sein Wissen weitergibt.
Markus Lebesmühlbacher von „Holloid“ und
Jürgen Mairhofer von „enGenes Biotech“ hoben
die Start-up-freundliche Atmosphäre der BOKU
University hervor. Lebesmühlbacher betont, wie
wichtig es ist, dass Forschungsergebnisse aus
Universitäten ihren Weg in die Praxis finden und
so der Gesellschaft zugutekommen. Gerade hier
zeige die BOKU University eine außergewöhnlich
hohe Gründerfreundlichkeit. „Die Universität
ist klassischerweise Eigentümerin der Patente,
aber als Unternehmen braucht man praktikable
Regelungen und Zugang zu diesen Entwicklungen
– und da ist die BOKU äußerst kooperativ“,
so Lebesmühlbacher. Mairhofer, der sich auf die
Entwicklung gentechnisch veränderter Bakterien
für die Produktion von Wirkstoffen spezialisiert
6 12/2024
Chemie erleben:
Begeisterte Zuhörer*innen
bei
der Revival-Vorlesung
von Barbara
Hinterstoisser
hat, mahnte zu einem Blick über den Tellerrand:
„In Österreich sieht man oft zuerst die
Probleme. Auf internationaler Ebene – vor
allem in den USA – wird alles als Möglichkeit
gesehen.“
Auch Karin Fleck von „Vienna Textile Lab“
teilte ihre Erfahrungen aus dem internationalen
Business. Mit einer Mischung aus akademischem
Know-how und unternehmerischer
Erfahrung hat sie ein Unternehmen gegründet,
das textile Farben und Pigmente aus Mikroorganismen
herstellt – eine nachhaltige Alternative
zu herkömmlichen Färbemethoden. Ihr
Ziel ist es, eine kommerziell tragfähige Alternative
zu synthetischen Textilfarben zu bieten.
Selbst Größen wie Chanel klopften bereits im
ersten Jahr bei ihrem Start-up an. Sie ermutigte
unsere BOKU-Absolvent*innen dazu,
Neues auszuprobieren: „Das Leben ist ein
Experiment: Manchmal geht es gut, manchmal
geht’s schief, aber man lernt immer etwas
dazu.“
Chemie – puuuh, muss das sein?
Dieser experimentelle Geist spiegelte sich
in der Revival-Vorlesung von Barbara Hinterstoisser
– wie immer in tierischer Begleitung
– wider. Ihr Thema: Chemie. Ihr Stil: humorvoll
und charmant. Mit dem inoffiziellen Titel
„Chemie – puuuh, muss das sein?“ brachte
sie die zahlreichen Zuhörer*innen zum
Schmunzeln. „Eine dreistündige Vorlesung
über ein ganzes Semester lang und dann auch
noch die ganze Chemie – ich gebe es zu, das
ist halber Wahnsinn“, gestand sie augenzwinkernd.
An diesem Tag beschränkte sich die
Vorlesung auf eine kurzweilige Dreiviertelstunde,
ganz ohne Prüfungsstress. Im Vordergrund
standen diesmal allein der Spaß und die Freude
an der Chemie.
Der BOKU Alumni-Tag 2024 zeigte eindrucksvoll,
dass die BOKU University nicht nur in
der wissenschaftlichen Forschung, sondern
auch im Transfer von Wissen in die Praxis und
der Förderung unternehmerischen Denkens
Maßstäbe setzt. Viele Alumni nutzten die
Veranstaltung auch, um sich im Rahmen des
Jahrgangstreffens mit ihren ehemaligen Studienkolleg*innen
wiederzusehen und gemeinsame
Erinnerungen aufleben zu lassen. Eine
Veranstaltung, die sich durch ihre charmante
Kombination aus akademischer Expertise,
humorvollem Miteinander und einem klaren
Blick in die Zukunft auszeichnete.
7
Von 1954 bis 2004:
Inskriptionsjahrgänge
feiern Wiedersehen
Ein zentraler Programmpunkt
des BOKU Alumni-Tags sind die
Jahrgangstreffen in geselliger
Atmosphäre.
Die Klänge der Jagdhornbläser*innen
läuten den Übergang zu den Jahrgangstreffen
ein und schafften eine
stimmungsvolle Atmosphäre.
Der älteste vertretene Jahrgang stammte dieses
Jahr aus dem Inskriptionsjahr 1954. Trotz
ihres fortgeschrittenen Alters ließen sich die
Alumni den Spaß und die Freude am Wiedersehen
nicht nehmen. Einer von ihnen ist der
90-jährige Forstwirt Anton Schatz, der in der
Steiermark liebevoll als „Fichten-Toni“ bekannt
ist. Begleitet von seiner Familie, reiste
er an, um sich mit seinen ehemaligen Studienkollegen
auszutauschen und die zahlreichen
Entwicklungen an der BOKU zu erkunden
– darunter auch die neu errichteten Gebäude
wie den Türkenwirt und das Wallentin-Haus.
Ein weiterer hochgeschätzter Gast war Peter
Höpler, ebenfalls 90 Jahre alt, der in seiner
beeindruckenden Karriere als Gutsverwalter
und Direktor bedeutender landwirtschaftlicher
Betriebe tätig war. Als Ehrenmitglied des
Österreichischen Kuratoriums für Landtechnik
und Landentwicklung hat er in der Branche
Spuren hinterlassen. So viele, dass sich die
Podcaster von BauertothePeople (B2P) eine
150-minütige Folge seinem Leben und Wirken
widmen.
Bauer to the People (B2P): Peter Höpler –
Erinnerungen eines Gutsverwalters
„Von guten Mächten wunderbar geborgen –
so sehe ich meine Vergangenheit“,
eröffnet Peter Höpler die Podcastfolge Erinnerungen eines
Gutsverwalters. In Seebarn am Wagram sprechen Bianca Blasl
und Wilhelm Geiger mit ihm über sein bewegtes Leben, seine
Erinnerungen und Erfahrungen in der Landwirtschaft. Ob
Jochochsen oder Schnitzkalbinnen – die Themen reichen von
Anekdoten aus früheren Zeiten bis hin zu Einblicken in die
landwirtschaftliche Praxis. 150 Minuten voller geballtem Fachwissen,
gepaart mit der faszinierenden Lebensgeschichte von
Peter Höpler. Anhören lohnt sich!
Foto: Kathrin Horvath
8 12/2024
Alumni aus dem
Jahrgang 1954 kamen
in Begleitung ihrer
Familien: Herbert
Kulterer mit Ehefrau
und Anton Schatz
mit Enkelin verfolgen
aufmerksam die
Eröffnungsworte zu
den Jahrgangstreffen
von Altrektor Martin
Gerzabek.
„Ich habe an der Gebäudeführung
teilgenommen. Hier hat sich so
viel verändert. Man kommt mit
dem Schauen gar nicht nach.“
Anton Schatz, FW 1954
Foto: Kathrin Horvath
Foto: Kathrin Horvath
Astrid Winter,
Organisation
BOKU Alumni-Tag
„Es ist wirklich schön zu sehen,
wie der BOKU Alumni-Tag
Jahr für Jahr Menschen zusammenbringt,
die unsere Universität
geprägt haben und nun
in unterschiedlichsten Bereichen
erfolgreich tätig sind. Der
Alumni-Tag ist nicht nur ein
Tag des Wiedersehens, sondern
auch eine wertvolle Plattform
für den Austausch von Ideen
und neuen Impulsen – etwas,
das die BOKU-Community stets
ausgezeichnet hat. Die Alumni
kehren nicht nur mit Erinnerungen
an ihre Studienzeit
zurück, sondern bringen auch
ihre Erfahrungen und Expertise
aus der Praxis mit. Die Veranstaltung
zeigt eindrucksvoll,
dass die Verbindung zur BOKU
auch nach dem Studium stark
bleibt. Der BOKU Alumni-Tag
ist ein Tag, an dem Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft
aufeinandertreffen.“
9
Gemeinsam für grüne
Visionen – der Jahrgang
der Landschaftsplaner
vereint
Jahrgangstreffen
im kleinen Kreis:
Forstwirte des
Jahrgangs 2004
Jahrgang 1984 der
Lebensmittel- und
Biotechnologie
alumni.boku.wien/alumnitag
Weitere Eindrücke vom Alumni-Tag finden Sie unter
alumni.boku.wien/alumnitag. Dort erwarten Sie zahlreiche
Fotos zum Anschauen und Herunterladen sowie Videos
der inspirierenden Vorträge und spannenden Diskussionen
zum Nachsehen.
10 12/2024
Sponsoren
Generalversammlung des
Alumnidachverbandes
Am 28. September 2024 fand im Rahmen des
Alumni-Tages die jährliche Generalversammlung
des Alumnidachverbandes unter der Leitung von
Obfrau Eva Schulev-Steindl statt. Im Verlauf der
Sitzung berichteten die fachspezifischen Fachverbände
über ihre abgeschlossenen Projekte
und zukünftigen Vorhaben. Dabei wurden Erfolge
hervorgehoben und Einblicke in die geplanten
Aktivitäten für das kommende Jahr gegeben. Die
Rechnungsprüfer wurden entlastet, der Budgetplan
für 2025 bestätigt. Der Dachverband
verabschiedet sich herzlich von den ehemaligen
Vorstandsmitgliedern Manfred Assmann (KT-Verband)
und Simon Huber (UBRM-Alumni). Beide
wurden für ihre herausragende Zusammenarbeit
und ihr langjähriges Engagement gewürdigt.
Gleichzeitig hieß der Verband deren Nachfolger
willkommen: Monika Schönerklee-Grasser und
Martin Grafeneder. Der Verband freut sich auf die
künftige Zusammenarbeit und die gemeinsamen
Herausforderungen, die das kommende Jahr
bereithält.
Wir bedanken uns bei den
Unternehmen, die mit ihrem
Sponsoring die Preise für
unsere diesjährige Tombola
unterstützt haben.
Nachricht vom Alumni-Team
Wir möchten uns auch
bei der BOKU Bibliothek
für ihre geschätzte Unterstützung
bedanken.
Ein herzliches Dankeschön an alle Besucher*innen,
die unseren Alumni-Tag mit ihrer Begeisterung,
ihren Geschichten und ihrem Lächeln zu
einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben.
Wir freuen uns schon jetzt darauf, Sie am 27.
September 2025 beim nächsten Alumni-Tag wiederzusehen
– ob Sie bereits Teil unserer Alumni-
Gemeinschaft sind oder zum ersten Mal dabei
sein werden: Alle sind herzlich willkommen,
diesen besonderen Tag mit uns zu erleben.
Die Gewinner der beiden Hauptpreise,
gesponsert von der St. Martin’s Therme
und Waidzeit Holzuhren & Schmuck.
BOKU Alumni-Verband
11
→ Verbände
Von der Bohne zur
Tasse: Kaffeehandwerk
hautnah
Foto: pexels/pixabay
Von Andreas Kugler
Am 2. Oktober 2024 besuchte eine Gruppe Agrarabsolvent*innen
die Naber Kaffee Manufaktur
in Wien Strebersdorf. Kaffeeliebhaber*innen ist
dieser Traditionsbetrieb mit seiner rot leuchtenden
Marke bekannt. Umso spannender der tiefe
Einblick in die Produktion und Verarbeitung, den
uns Naber-Geschäftsführer Marco Salvatori und
cafè+co-Geschäftsführer Fritz Kaltenegger ermöglichten.
Das Unternehmen blickt auf eine lange Geschichte
zurück, die 1908 in der Wiener Laudongasse
begann. Seit 1957 ist das Röstwerk in der
Autokaderstraße in Betrieb und repräsentiert
die Wiener Kaffeetradition, besonders im „Outof-home“-Sektor.
Bei der Führung wurde die
Manufakturphilosophie deutlich – durch kleine
Chargen und eine über 60 Jahre alte Trommelröstmaschine.
Ausgangsbasis für das finale
Geschmackserlebnis ist der Rohkaffee, der aus
Ländern wie Brasilien, Guatemala oder Uganda
stammt.
Vor allem die Logistik, Liefersicherheit und
Frachtkosten stellen laut Salvatori und Kaltenegger
seit einigen Jahren eine große Herausforderung
dar. Der Faktor Zeit spielt bei der
Röstung eine zentrale Rolle: Im Vergleich zur
industriellen Röstung werden die Bohnen bei Naber
länger geröstet, was das Aroma intensiviert.
Während der Röstung wird der Kaffee ständig
gerührt und laufend vom Röstmeister überprüft,
um eine gleichmäßige Röstung und damit das
ideale Geschmacksprofil zu gewährleisten. Für
einen optimalen Kaffeegenuss sind neben der
Bohnenqualität auch der richtige Mahlgrad sowie
die Wasserqualität entscheidend – Aspekte, die
bei Naber in der Vermarktung und Distribution
ebenfalls Berücksichtigung finden.
Der Besuch endete mit einer Kaffeeverkostung
sowie einem Glas Prickelndem. Insgesamt war es
ein hochinteressanter Betriebsbesuch, den wir
mit viel neuem Wissen bei einem nahegelegenen
Heurigen ausklingen ließen.
Fritz Kaltenegger und Marco Salvatori
geben Einblicke in die Kunst der
Kaffeeröstung
12 12/2024
Die Jagd im digitalen
Zeitalter:
Telemetrie als
Schlüssel zum
Verständnis der
Wildtiere
Heute geht es bei der Jagd nicht
mehr nur um das Beobachten und
Bejagen von Wildtieren, sondern um
ein umfassendes Verständnis ihrer
Lebensweise und Bedürfnisse. Im
steirischen Murau lernen angehende
Akademische Jagdwirtinnen und
Jagdwirte derzeit, wie Telemetrie als
wichtige Methode eingesetzt wird,
um das Verhalten von Wildtieren
wie Reh- und Rotwild zu verstehen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des 16. Lehrgangjahrgangs waren auf
Einladung der Fürstlich Schwarzenbergschen
Stiftung mit modernster
Technik im Gelände unterwegs und
erprobten verschiedene Methoden
der Wildbiologie. Mit Funkgeräten
und GPS-Sendern ausgestattet, beobachten
sie Bewegungsmuster und
Aufenthaltsorte des Wildes. Diese
Einblicke sind wertvoll, um Rückschlüsse
auf den Einfluss von Lebensraumveränderungen,
saisonale
Wanderrouten und die Auswirkungen
menschlicher Aktivitäten zu ziehen.
Telemetrie-Übungen wie diese sind
Teil des Universitätslehrgangs „Akad.
Jagdwirt*in“ an der BOKU University.
Der Lehrgang bietet Jägerinnen und
Jägern eine vertiefte Ausbildung in
Wildtiermanagement und Jagdwirtschaft,
die sowohl wissenschaftliche
Erkenntnisse als auch praktische
Anwendung miteinander verbindet.
Neben Telemetrie lernen die Teilnehmenden
auch die Zusammenhänge
zwischen Jagd, Gesellschaft
und Lebensraumgestaltung besser
zu verstehen. Der Universitätslehrgang
richtet sich an alle, die die
Jagd nicht nur als Hobby, sondern
als Berufung sehen. Mit einer
internationalen Teilnehmerschaft,
begrenzten Plätzen und einem
abwechslungsreichen Programm
bietet er eine einmalige Gelegenheit
zur Weiterbildung und Vernetzung.
Interessierte haben die Möglichkeit,
sich ab sofort für den nächsten
Jahrgang, der im September 2025
startet, zu bewerben.
jagdwirt.at
Ralph Werl,
Jahrgangssprecher
2022
„Ich habe mich für den Universitätslehrgang
‚Akademischen
Jagdwirt‘ entschieden, weil er
eine großartige, wissenschaftlich
fundierte Ausbildung auf
universitärem Boden bietet.
Besonders beeindruckend finde
ich die tiefgehenden Einblicke
in die ökologischen und ökonomischen
Aspekte der Jagdwirtschaft,
die für ein umfassendes
Verständnis dieses Fachgebiets
und dessen Wechselwirkungen
entscheidend sind. Der Austausch
mit Kommilitonen über
die Ausbildungszeit hinaus ist
eine weitere Bereicherung, die
wertvolle Verbindungen ermöglicht.
Zudem ist das europaweit
einzige Institut für Jagdwirtschaft
bekannt für seine
engagierte Betreuung durch die
Lehrenden, was den Lehrgang
für mich besonders attraktiv
macht.“
13
→ Doctor Honoris Causa
Pionier der Kohlenhydratforschung:
Werner Praznik
erhält Doctor Honoris
Causa der Universität
Cracoviensis in Polen
UBRM-Alumni
optimieren ihr Angebot
Von Martin Grafeneder
Anfang Oktober hielten wir UBRM-Alumni in neuer
Besetzung unser erstes gemeinsames Seminar
zur Planung des schon angelaufenen Studienjahres
ab. Während eines pfiffig durchstrukturierten
Arbeitstages versuchten wir als frisch gebackenes
Team, uns zu einer organischen Arbeitsmaschine
zusammenzuschweißen. Zum anderen
haben wir unser bestehendes Angebot auf dessen
Effektivität geprüft und Pläne für bestehende
Lücken geschmiedet: So findet das bewährte
UBRM-Netzwerktreffen jetzt an jedem dritten
Dienstag im Monat statt. Ab sofort werden die
Beiträge unserer Gäste kürzer gehalten, damit
mehr Zeit für informellen Austausch und die
Pflege von Kontakten bleibt. Für alle, die unseren
Netzwerktreffen nicht beiwohnen können, soll
es nun auch ein regelmäßiges Angebot geben: Im
Wintersemester soll noch ein Online-Workshop
und im Sommersemester eine Exkursion abgehalten
werden. Infos dazu folgen auf unseren
Online-Kanälen oder per Mail.
Im September wurde Werner
Praznik, ein international
renommierter Experte für
die Erforschung pflanzlicher
Kohlenhydrate, von der Landwirtschaftlichen
Universität
Krakau mit dem Ehrentitel Doctor
Honoris Causa ausgezeichnet.
Seinen akademischen Grundstein legte
Werner Praznik 1975 mit dem Abschluss
seines Studiums der Biotechnologie und
Lebensmitteltechnologie an der BOKU
University. Seitdem hat er durch seine
bahnbrechenden Forschungen zur
Struktur physikochemischer und physiologischer
Eigenschaften von Glukanen die
wissenschaftlich fundierte Anwendung
von Kohlenhydraten im Bereich der Biotechnologie
und Lebensmittelindustrie
(z. B. Präbiotika) nachhaltig geprägt.
Eure UBRM-Alumni
Save the Date:
Netzwerktreffen mit spannenden Gästen
und lebenslangem BOKU-Spirit
Jeden 3. Dienstag im Monat ab 18:30 Uhr,
im Käuzchen, Gardegasse 8, 1070 Wien
Fotos: Gabriel Wojcieszek Archiv (URK)
14 12/2024
→ Ein- und Aufstieg
nagene GmbH
Manufactoring Operator
Ein besonderer Fokus seiner Arbeit lag auf der
Entwicklung neuartiger Analysemethoden, die
detaillierte Einblicke in die komplexe Welt der
Kohlenhydrate ermöglichen.
Ein weiterer wichtiger Meilenstein seiner Karriere
war seine aktive Mitwirkung bei der Planung des
Interuniversitären Forschungsinstituts für Agrarbiotechnologie
(IFA-Tulln). In der frühen Entwicklungsphase
(1990–1992) arbeitete er mit einem
interdisziplinären Team daran, ein Forschungszentrum
zu schaffen, das die Biotechnologieforschung
von Pflanzen, Tieren und Umwelt vereint.
Dank seiner Expertise im Bereich analytischer
Chemie trug Praznik maßgeblich zur erfolgreichen
Konzeption und technischen Ausstattung
des Instituts bei, das 1994 seinen Betrieb aufnahm
und seither als Vorreiter interdisziplinärer
Forschung gilt.
Seine enge Zusammenarbeit mit der Fakultät
für Lebensmitteltechnologie in Krakau brachte
zahlreiche bahnbrechende Projekte hervor. Dazu
zählen die Erforschung von Topinamburknollen
als gesundheitsfördernde Lebensmittel und die
Entwicklung von Technologien zur Herstellung
von Brot mit Fruktan-Zusätzen. Die feierliche
Verleihung des Titels Doctor Honoris Causa
unterstrich nicht nur die wissenschaftlichen Verdienste
von Professor Praznik, sondern hob auch
die hervorragende Zusammenarbeit zwischen
seiner Heimatuniversität und internationalen
Partnern hervor. Die Veranstaltung betonte, wie
wichtig Kooperationen zwischen akademischen
Institutionen für den Fortschritt in der Forschung
sind. In seiner Rede würdigte Praznik die Rolle
der internationalen Zusammenarbeit und interdisziplinären
Ansätze und machte deutlich, dass
diese der Schlüssel zu innovativen Lösungen
und wissenschaftlichem Erfolg sind. Auch nach
seiner Pensionierung bleibt er der Forschung
verbunden und setzt sich weiterhin für den Wissensaustausch
über Ländergrenzen hinweg ein.
Dominik Wiesinger, Absolvent
des Masterstudiums Biotechnologie,
ist seit Oktober Teil der
nagene GmbH. Bereits während
und nach seinem Studium sammelte er umfassende
Erfahrungen in der Anlagenplanung sowie
in verschiedenen Bereichen der Biotechnologie,
von universitären Laboren und Start-ups bis hin
zu multinationalen Konzernen. Als Manufacturing
Operator trägt Dominik maßgeblich zur Produktion
individuell angefertigter DNA-Sequenzen bei, die
mit einem neuen, innovativen Verfahren schnell
und in hoher Komplexität umgesetzt werden.
Verband der Naturparke
Österreichs
Projektmitarbeiterin
Viktoria Kofler, Absolventin des
Bachelorstudiums Umweltund
Bioressourcenmanagment
sowie des Masterstudiums „Energy and Transport
Management“ an der FH Joanneum, sammelte als
wissenschaftliche Mitarbeiterin bei JOANNEUM RE-
SEARCH Erfahrung in internationalen Forschungsprojekten
zu Klimawandelanpassung und naturbasierten
Lösungen. Seit September verstärkt sie das
Team des Verbands der Naturparke Österreichs. In
ihrer neuen Rolle fördert sie die Vernetzung der 47
Naturparks, koordiniert Projekte in den Bereichen
Biodiversität, Naturschutz und Landwirtschaft und
ist zudem für das Finanzwesen und internationale
Kooperationen zuständig.
palos GmbH
Forstexperte
Matthias Höckner-Moser studierte
Forstwissenschaften
Foto: Humer Lenzing an der BOKU University. Im
Anschluss an das Studium war er bei der Landwirtschaftskammer
Oberösterreich als Referent für
Wildschäden und Waldbau tätig, wo er neben der
Beratung im Themenfeld Forst-Wild-Jagd auch das
Bildungsangebot und die Versuchsflächen im Bereich
Waldbau koordinierte. Seit Oktober 2024 ist er bei
der palos GmbH als Forstexperte in der Abwicklung
von Forsteinrichtungsprojekten und der forstlichen
Begleitung der Entwicklung der palos-Plattform tätig.
15
Konzertflügel und Rohpapier
Von Hannes Plackner
Die Holzwirte starteten ihren Herbst mit einer spannenden
Exkursion nach Oberösterreich. Am 18. Oktober
stand zunächst die Produktion von Team7 in Pram und
die neue Team7 Welt in Ried auf dem Programm. Der
gesamte Prozess – von der nachhaltigen Holzbeschaffung
über das beeindruckende Rohmateriallager bis
hin zu den fertigen Möbelstücken – war äußerst beeindruckend.
Eine interessante Entdeckung für viele:
Neben hochwertigen Möbeln produziert Team7 auch
die Korpusse für die Flügelmanufaktur von Steinway &
Sons in Hamburg. Wenn Ahornholz durch ausgeklügelte
Prozesse zu einem Instrument von Weltrang verarbeitet
wird, ist das natürlich etwas ganz Besonderes für uns
Holzwirte.
Einen interessanten Kontrast bot der Besuch der
Papierfabrik Nettingsdorf, die zum Weltkonzern Smurfit
Westrock gehört. Hier wird aus Frischholz und Altpapier
jenes Papier erzeugt, das später die Oberseiten von
Wellpappe bildet – ein typisches Commodity-Produkt,
bei dem Menge und Effizienz, aber auch Nachhaltigkeit,
die Abläufe bestimmen.
Beide Betriebe haben eines gemeinsam: Verantwortungsvolle
Positionen werden dort von engagierten VHÖ-
Mitgliedern bekleidet. Unser herzlicher Dank gilt Thomas
Grosssteiner (Team7) und Christoph Kurz (Nettingsdorfer)
für die beeindruckenden Einblicke. Abgerundet wurde
die Exkursion mit einer Übernachtung am Traunsee,
einem Besuch des Baumwipfelpfades im Salzkammergut
und einem zünftigen Bratlessen am Grünberg.
Im weiteren Programm des VHÖ stand die Vollversammlung
am 15. November an, und auch die nächste Exkursion
ist bereits geplant: Ende April 2025 werden 30
VHÖ-Mitglieder nach Lateinamerika reisen, um Betriebe,
Nationalparks und Institutionen in Argentinien, Uruguay
und Brasilien zu besichtigen.
Foto: Peter Zeschitz
Nachschau: Exkursion
„Integrativer Hochwasserschutz
Liesingbach“
Von Sebastian Nieß
Am 27. September 2024 lud der Verband wieder
zu seiner jährlichen Exkursion, welche uns Einblicke
in die Bauarbeiten rund um den „Integrativen
Hochwasserschutz Liesingbach“ sowie den
Hochwasserschutz der Stadt Wien insgesamt
ermöglichten. Wir bedanken uns herzlich bei
Marlies Greussing sowie Wien Kanal und Wiener
Gewässer für die Organisation dieser Veranstaltung.
Beim anschließenden Ausklang in
der Pizzeria Da Bruno konnten sich die Teilnehmer*innen
in entspannter Atmosphäre vernetzen
und austauschen.
Manfred Assmann
zum Ehrenobnann
ernannt
Am 11. November 2024 wurde Manfred Assmann
mit dem Titel „Ehrensenator der Universität für
Bodenkultur“ ausgezeichnet. Manfred Assmann
fungierte 11 Jahre als Obmann unseres Verbandes,
engagierte sich als Vizeobmann des Alumni
Dachverbandes und setzte sich für die Förderung
des Fachbereiches sowie des Studiums Umweltingenieurswissenschaften
und Kulturtechnik und
Wasserwirtschaft an der BOKU University ein. Wir
bedanken uns für sein stetiges Engagement und
gratulieren herzlich zur Auszeichnung!
16 12/2024
Leitbild Landschaft
für Österreich
Von Stephanie Drlik
Landschaftsarchitektonische
Höhepunkte in Slowenien
Von Konstatin Heidler
Die ÖGLA organisierte Anfang Oktober gemeinsam mit
der slowenischen Partnerorganisation eine inspirierende
Fachexkursion nach Slowenien. In einer Gruppe von
rund 20 Teilnehmenden erkundeten wir bedeutende
Freiräume und landschaftsarchitektonische Highlights
von Ljubljana und der slowenischen Küstenregion. Ein
besonderer Schwerpunkt war der Spaziergang durch die
Freiräume des Architekten Jose Plecnik in Ljubljana, begleitet
von Valentina Schmitzer und Darja Pergovnik. Ein
weiterer Höhepunkt war der Besuch des historischen
Ferrari-Gartens in Štanjel, der tief in der Karstarchitektur
verwurzelt ist. Abgerundet wurde das Programm
durch Einblicke in moderne und historische Freiraumgestaltung,
Botanische Gärten, das Arboretum Voljči
potok sowie die Hafenstadt Koper.
Der Druck auf Österreichs Landschaften ist größer
denn je. Die Komplexität der Nutzungsinteressen
steigt und fundierte Daten für transparente Entscheidungsfindungen
und ressourcenschonende
Planung fehlen oftmals. Landschaftsleitbilder sind
dynamische Instrumente, die nachhaltige Entwicklungen
von Landschaftsräumen in Zeiten des Wandels
sichern sollen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes,
abgewickelt von Umweltdachverband,
der ÖGLA, dem Büro LACON und gefördert durch
das BML und der EU, wurde ein „Leitbild Landschaft“
für Österreich entwickelt. Das neue Onlinetool
soll zur Erhaltung und Entwicklung bedeutender
landschaftlicher Ressourcen beitragen. Im
Rahmen einer Fachtagung am 28.10.2024 wurde
das Leitbild vorgestellt und unter reger Beteiligung
der Teilnehmer*innen diskutiert.
Foto: AdobeStock
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→ Hainburg
Die Lager waren
Tag und Nacht
besetzt, Strohballen
und Lagerfeuer
sorgten für
Wärme.
40 Jahre Hainburg:
Ziviler Widerstand für
Natur und Gerechtigkeit
Im Dezember
1984 stellten sich
Bürger*innen der
Zerstörung einer
einzigartigen
Aulandschaft
entgegen und
schrieben Geschichte.
Die Hainburger
Aubesetzung wurde
zum Symbol für den
Schutz der Natur
und bleibt bis heute
ein Meilenstein der
österreichischen
Umweltbewegung.
Der geplante Bau eines Wasserkraftwerks
in der Hainburger Au
bedrohte nicht nur eine der letzten
naturnahen Aulandschaften Europas,
sondern auch das Vertrauen
vieler Bürgerinnen und Bürger in
die politischen Entscheidungsträger.
Die politische Dimension
des Konflikts reichte weit über
Umweltfragen hinaus. Der damaligen
Regierung wurde vorgeworfen,
gesetzliche Grundlagen zugunsten
wirtschaftlicher Interessen zu
umgehen. Die Protestbewegung,
getragen von Studierenden, Wissenschaftler*innen,
Künstler*innen
und engagierten Bürger*innen,
machte die Hainburger Au zum
Schauplatz eines grundlegenden
Wertekonflikts: Wirtschaftliches
Wachstum um jeden Preis stand
gegen den Erhalt der Natur und
den Respekt vor demokratischen
Prinzipien.
„Die Leute haben das Gefühl gehabt,
dass die Regierung ein Vorhaben
durchsetzen möchte, das nicht
rechtens war“, erzählt Carl Manzano,
Biologe und ehemaliger Direktor
des Nationalparks Donau-Auen.
Der rechtliche Konflikt
Der geplante Bau des Wasserkraftwerks
stand im Widerspruch
zu geltenden Gesetzen. Die Hainburger
Au war damals bereits als
Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen
und gemäß der Ramsar-Konvention
als Feuchtgebiet
von internationaler Bedeutung
anerkannt. Dieser Status sollte sie
vor Eingriffen schützen, die ihre
ökologische sowie landschaftliche
Vielfalt, Eigenart und Schönheit
unwiderruflich zerstören würden.
„Nach dem niederösterreichischen
Naturschutzgesetz dürfen Vorhaben,
die die Schönheit oder
Eigenart eines Landschaftsschutzgebietes
nachhaltig verändern,
nicht genehmigt werden“, erklärt
Carl Manzano. Am 26. November
1984 genehmigte der niederösterreichische
Landesrat Ernest
Fotos: Peter Weish
18
gebraucht haben“, erinnert sich der
Naturwissenschaftler und Aubesetzer
Peter Weish.
Eskalation und Solidarität
Die Lager waren strategisch so positioniert,
um einen Zugang für Rodungsarbeiten zu verhindern.
Brezovszky das Projekt naturschutzrechtlich,
kurz darauf folgte die
wasserrechtliche Bewilligung durch
Bundesminister Günther Haiden.
Beide Entscheidungen untergruben
die Möglichkeiten von Umweltorganisationen,
rechtlich gegen das
Vorhaben vorzugehen, und heizten
den Konflikt weiter an. Der Bau
des Wasserkraftwerks bei Hainburg
wurde bereits 1948 im Stufenplan
zum Vollausbau der österreichischen
Donau vorgesehen, Anfang der
1989er-Jahre wurden diese Pläne
konkret und stießen auf Widerstand.
Wissenschaftliche Gutachten hatten
vor der ökologischen Zerstörung
gewarnt, doch die Bundes- und niederösterreichische
Landesregierung
hielten am Projekt fest. Im Herbst
1984 verschärfte sich die Lage, als
die Energieversorger unmittelbar
nach den Genehmigungsbescheiden
mit den Rodungsarbeiten beginnen
wollten. Am 8. Dezember 1984
organisierten die Österreichische
Hochschülerschaft einen Sternenmarsch,
an dem tausende Menschen
von sechs Orten aus zur Hainburger
Au zogen.
Das Leben im Lager
Doch der Protest endete nicht wie
üblich mit einer Rede – einige der
Demonstrierenden blieben und
besetzten die Au. Die Besetzung
entwickelte sich rasch zu einer
gut organisierten Bewegung und
logistischen Meisterleistung. Die
Hochschülerschaft organisierte
ein kostenloses stündlich fahrendes
Shuttleservice von Wien nach
Stopenreuth. Eine eigene Au-Zeitung
und ein aufgebautes Funknetz
informierten innerhalb der Lager, die
strategisch so angelegt waren, dass
sie die Zugänge zur Au blockierten.
Im Herzen der einzelnen Lager war
die Feuerstelle ein zentraler Ort.
„Es war wichtig, dass die Lager rund
um die Uhr besetzt waren, um die
Rodungsarbeiten effektiv zu verhindern.
Mein großes Vorbild war Karl
Prantl, einer der wichtigsten österreichischen
Bildhauer des letzten
Jahrhunderts. Er war bei uns im Lager
und hat nichts anderes gemacht,
als sich um das Feuer zu kümmern“,
erzählt Carl Manzano. „Mit herumliegenden
Ästen und Baumstämmen,
die wir in der Au gesammelt haben,
hielt er das Feuer Tag und Nacht
am Brennen.“ Die Nächte in der Au
waren bitterkalt, und die einfachen
Zelte boten nur wenig Schutz vor
den eisigen Temperaturen. Anfangs
improvisierte man mit Isomatten
und Decken, doch die Unterstützung
aus der Umgebung nahm
stetig zu. „Auf einer improvisierten
Holztafel standen dringend benötigten
Hilfsgüter und als der ORF
über die Besetzung der Au berichtete,
wurde diese Tafel gefilmt und
in den Abendnachrichten gezeigt.
Am nächsten Tag kamen unzählige
Transporte mit den Sachen, die wird
Die Bevölkerung brachte Schlafsäcke,
warme Kleidung und Lebensmittel,
Bauern aus der Umgebung
lieferten Strohballen, damit niemand
direkt auf dem eisigen Boden schlafen
musste – eine Unterstützung,
die in den kalten Dezembernächten
lebenswichtig war. Trotz der widrigen
Umstände wuchs in den Lagern
ein starker Zusammenhalt. „Es war
erhebend, Teil dieser großen Gemeinschaft
zu sein“, erinnert sich
Weish. „Menschen, die sich nie zuvor
begegnet waren, teilten, was sie
hatten, und unterstützten einander,
als hätten sie ihr ganzes Leben
gemeinsam verbracht.“ Trotz der
starken Gemeinschaft und der kontinuierlichen
Unterstützung aus der
Bevölkerung blieb die Situation angespannt.
Immer wieder versuchten
die Energieversorger Rodungsarbeiten
durchzuführen. Am 19. Dezember
1984 eskalierte die Situation.
Mit einem Großaufgebot rückte die
Polizei an, um die Lager zu räumen.
Dabei ging sie mit brutaler Härte vor:
Demonstrierende wurden gewaltsam
entfernt, und es kam zu zahlreichen
Verletzungen. „Die Härte, mit der die
Foto: Thomas Kirschner
Carl Manzano studierte Biologie an der
Universität Wien und arbeitete später als
Assistent an der BOKU University. Bereits
in den 1970er-Jahren engagierte er sich
in der Anti-Atomkraft-Bewegung und
spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung
des Nationalparks Donau-Auen.
1997 übernahm er dessen Leitung und
prägte ihn über zwei Jahrzehnte hinweg
entscheidend. Unter seiner Führung wurden
bedeutende Renaturierungsprojekte
realisiert.
19
Errichtete Barrikaden erschwerten die Rodungsarbeiten.
Peter Weish (r.) mit
Künstler Friedensreich
Hundertwasser
bei der
Lagebesprechung.
Peter Weish studierte Biologie, Chemie
und Physik an der Universität
Wien. Bereits in den 1970er-Jahren
setzte er sich kritisch mit den gesellschaftlichen
und ökologischen
Folgen der Atomkraft auseinander.
Über Jahrzehnte wirkte er in zahlreichen
Organisationen und Gremien,
darunter das Forum Wissenschaft
& Umwelt, Naturschutzbund, ÖGUT
und Ökobüro. Aber auch als Dozent
für Umweltethik an der BOKU University
prägte er den Diskurs über
Umwelt- und Naturschutz nachhaltig
und inspirierte Generationen von
Studierenden.
Foto: Kathrin Horvath
Polizei vorging, war für viele schockierend.
Es war eine sehr unangenehme
Situation, in der man Ruhe
bewahren musste. Wir wussten,
dass wir hierbleiben mussten, egal
wie groß der Druck war“, erinnert
sich Manzano. Bilder von blutenden
und weinenden Besetzern gingen
durch die Medien und lösten Empörung
aus. „Für viele war das der
Moment, in dem die Unterstützung
für die Besetzung endgültig wuchs“,
erinnert sich Weish.
Vom Weihnachtsfrieden zum
Nationalpark
Viele Unterstützer hatten die Au vor
dem Konflikt nie besucht, doch die
Berichterstattung lenkte die Aufmerksamkeit
auf die einzigartige
Bedeutung dieser Landschaft. Die
schockierenden Ereignisse in der
Hainburger Au bewegten Menschen
in ganz Österreich. In Wien kam es
am Abend nach der Eskalation zu
einer großen Demonstration, bei der
tausende Menschen ihre Solidarität
mit den Besetzern bekundeten
und ein Ende der Gewalt forderten.
Der Druck auf die Politik wuchs.
Am 21. Dezember 1984 lenkte die
Regierung schließlich ein: damaliger
Bundeskanzler Fred Sinowatz verkündete
den sogenannten „Weihnachtsfrieden“.
Ein Aussetzen der
Rodungen bis zum Jahreswechsel
sollte die Lage beruhigen und Raum
für Gespräche schaffen. Wochen
später, unter dem massiven Druck
der Öffentlichkeit, wurden die Pläne
für das Wasserkraftwerk Hainburg
eingestellt. „Als ich erfuhr, dass das
Projekt gestoppt wurde, war das ein
Moment unbeschreiblicher Erleichterung.
Ich habe geweint vor Freude.
Es war aber auch ein Moment,
in dem mir klar wurde, was wir als
Gesellschaft gemeinsam erreicht
hatten.“ Auch Carl Manzano war von
diesem Moment bewegt: „Es war
eine Mischung aus Erleichterung und
Stolz. Ich wusste, dass wir etwas
Historisches erreicht hatten, etwas,
das weit über diese Au hinausgeht.“
Die Hainburger Aubesetzung
war mehr als nur ein Protest gegen
ein Kraftwerksprojekt – sie wurde
zu einem Symbol für den Schutz
der Natur, zivilen Widerstands und
die Kraft einer jungen ökologischen
Bewegung, die Menschen quer
politische Lager und Gesellschaftsschichten
vereinte. Der Erfolg der
Bewegung führte nicht nur zur
Rettung einer einzigartigen Aulandschaft
und einer wegweisenden Umweltbewegung,
sondern legte auch
den Grundstein für die Gründung
des Nationalparks Donau-Auen, der
Grünen Bewegung und einer Stärkung
der gesetzlichen Grundlagen
für den Naturschutz in Österreich.
20 12/2024
Von der Aubesetzung
zur globalen Aktion
Foto: Martina Draper
Seit der Aubesetzung 1984
haben sich Protestformen
weiterentwickelt: Von
lokalen Besetzungen bis
zu globalen Aktionen zeigt
der Umweltaktivismus,
wie sich Widerstand an
neue Herausforderungen
anpasst.
Die Proteste in der Hainburger Au richteten
sich klar gegen die Politik, die mit dem
geplanten Kraftwerksbau eine einzigartige
Aulandschaft zu zerstören drohte. Auch heute
richten sich Umweltbewegungen direkt an die
Politik, sei es durch Forderungen nach einem
wirksamen Klimaschutzgesetz oder einer
Verordnung, die europaweit Renaturierungen
forciert und geschädigte Lebensräume wiederherstellt
– der politische Druck bleibt ein
zentrales Element des Aktivismus. Doch die
Herausforderungen sind komplexer geworden.
Neben der Politik wird auch die Gesellschaft
immer stärker in die Verantwortung genommen.
Wir haben mit Katharina Rogenhofer, Initiatorin
des Klimavolksbegehrens, und Wolfgang
Suske, Verfasser einer erfolgreichen Petition
zur Zustimmung der EU-Renaturierungsverordnung,
über die Herausforderungen und
Erfolge gesprochen.
„Ich hatte das Gefühl,
dass wir der globalen
Krise eine globale Antwort
entgegensetzen können.“
Katharina Rogenhofer
im Interview
Katharina Rogenhofer zählt zu den prägenden Stimmen
im Kampf für eine Ökologisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Als Mitbegründerin von Fridays for Future in
Österreich brachte sie 2018 die globale Bewegung nach
Wien und mobilisierte tausende junge Menschen für wöchentliche
Klimastreiks. Ein Jahr danach setzte sie mit der
Leitung des Klimavolksbegehrens ein weiteres starkes Zeichen:
380.590 Menschen forderten mit ihrer Unterschrift
klare Maßnahmen für den Klimaschutz in Österreich.
21
Im Gespräch erzählt Katharina
Rogenhofer welche Hürden es zu
überwinden gilt, vor welchen Herausforderungen
die Klimabewegung
heute steht und warum sie trotzdem
überzeugt ist, dass Veränderung
möglich ist.
Fridays for Future hat in Österreich
2018 seinen Anfang genommen. Wie
haben Sie den ersten weltweiten
Klimastreik am 15. März 2019 erlebt?
Katharina Rogenhofer: Wir waren
gestresst – wir hatten keine Ahnung,
wie viele Menschen zum Heldenplatz
kommen würden, ob der Streik
groß genug wird und ob wir wirklich
einen Unterschied machen können.
Und am Ende waren wir 35.000
Menschen. Diese Menschenmenge
zu sehen, die alle für das gleiche
Ziel auf die Straße gehen, hat mich
unglaublich bewegt. Gleichzeitig
zu wissen, dass weltweit Millionen
Menschen dasselbe tun, war überwältigend.
Fridays for Future war
und ist eine globale Bewegung, und
an diesem Tag hatte ich das erste
Mal das Gefühl, dass wir dieser
globalen Krise auch eine globale
Antwort entgegensetzen können.
Ähnlich war es beim Klimavolksbegehren,
als wir die Zahl von 380.590
Unterschriften verkündeten.
Heute ist der 1419. Tag ohne wirksames
Klimaschutzgesetz in Österreich.
Wie geht es Ihnen damit?
Ich bin zwiegespalten. Einerseits
haben wir in Österreich
immer noch kein wirksames Klimaschutzgesetz,
und damit keine
nationalen Klimaziele, was sehr
frustrierend ist. Andererseits hat
die Europäische Kommission durch
die Klimabewegung Klimaschutz in
der vergangenen Periode ganz oben
auf die Agenda gesetzt hat. Auch
in Österreich haben wir Fortschritte
gemacht: Einiges, was wir mit
dem Klimavolksbegehren gefordert
haben, ist umgesetzt worden – eine
Besteuerung von CO 2
, der Klimabürger:innenrat
oder auch das Ziel,
bis 2040 klimaneutral zu werden.
Damals wurden wir von vielen Seiten
belächelt – dieses Ziel sei zu
ambitioniert. Heute ist es Teil des
Regierungsprogramms, aber eben
noch nicht verbindlich in ein Gesetz
gegossen. Gleichzeitig erleben
wir in Europa immer öfter Extremwetterereignisse,
die uns zeigen,
wie dringend Maßnahmen nötig
sind. Was mich jedoch ermutigt, ist,
dass immer mehr Institutionen und
Unternehmen sich mit der Klimafrage
beschäftigen – das Thema ist
angekommen.
Ist das Thema auch in der breiten
Bevölkerung angekommen, und wie
schätzen Sie das aktuelle Engagement
der Bevölkerung für den
Klimaschutz ein?
KR: Es gibt definitiv weniger Engagement
auf der Straße, wie wir es
früher bei den großen Fridays for
Future-Protesten hatten. Aber die
Zustimmung in der Bevölkerung ist
nach wie vor stark, vielleicht sogar
stärker als zuvor. Eine Umfrage des
Kontext Instituts vor den Wahlen hat
gezeigt, dass Maßnahmen für den
Klimaschutz von Wähler*innen aller
Parteien unterstützt werden – oft
weit über 50 Prozent. Viele Menschen
spüren die Klimakrise, sei es
durch Überflutungen oder andere
Extremwetterereignisse. Allerdings
wird dieser Zusammenhang oft noch
nicht klar genug wahrgenommen.
Gleichzeitig nimmt auch die Desinformation
zu, vor allem im politischen
Diskurs. Im Wahlkampf haben
wir gesehen, wie die menschengemachte
Klimakrise öffentlich
geleugnet wurde, was nicht dazu
beiträgt, dass mehr Menschen aktiv
werden. Dennoch glaube ich, dass
der Druck auf die Politik langfristig
nicht nachlassen wird, weil die
Auswirkungen der Klimakrise immer
sichtbarer und spürbarer werden.
Bei der Hainburger Aubesetzung gab
es eine breite Solidarität und Welle
der Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung.
Heute hingegen erfahren
Klimaaktivist*innen oft Widerstand
oder Ablehnung – woran könnte das
liegen?
KR: Es gibt wohl noch keine konkreten
Untersuchungen dazu, aber
ich sehe mehrere Entwicklungen.
Viele Menschen fühlen sich heutzutage
machtlos und nicht gehört.
Das habe ich selbst erlebt, als ich
mit dem Klimavolksbegehren in
Gemeinden unterwegs war. Viele
sagten: „Wozu soll ich ein Volksbegehren
unterschreiben? Die da oben
machen sowieso, was sie wollen.“
Dieses Gefühl führt oft zu Resignation
und Ablehnung – besonders
gegenüber Veränderungen, die als
aufgezwungen wahrgenommen
werden. Dazu kommt das Klischee
vom moralischen Zeigefinger: „Ich
lasse mir nicht vorschreiben, was
ich essen soll.“ Dieses Bild wird den
Aktivist*innen aufgedrückt, obwohl
es oft nicht der Realität entspricht.
Wenn dann noch Straßenblockaden
hinzukommen, fühlen sich viele in
ihrem Alltag gestört und reagieren
mit Ärger. Das Aggressionspotenzial
wird dann gezielt von politischen
Parteien geschürt. Begriffe wie
„Klimaterroristen“ sind dafür ein
erschreckendes Beispiel. Dabei handelt
es sich um friedliche Formen
zivilen Ungehorsams, die nicht allen
gefallen, aber die mit Terrorismus
nichts zu tun haben. Solche Verzerrungen
sollten uns alle alarmieren.
22 12/2024
„Am Ende war Österreich
die entscheidende Stimme“
Wolfgang Suske im Interview
Foto: Kathrin Horvath
Die EU-Renaturierungsverordnung
geriet durch den
Widerstand einiger
Länder ins Wanken.
Ohne die Zustimmung
Österreichs
hätte das Gesetz
nicht verabschiedet
werden können.
Nach intensiven politischen Verhandlungen
und starkem öffentlichen
Druck stimmte Umweltministerin
Leonore Gewessler im
Juni 2024 dem Gesetz im EU-Rat
zu. Im Interview spricht Wolfgang
Suske, Initiator der Petition „renaturierungsgesetz.at“,
darüber, wie es
ihm gelang, 23.000 Menschen in nur
drei Wochen für dieses Gesetz zu
mobilisieren.
Österreich hat mit seinem Agrarumweltprogramm
und dem höchsten
Anteil an Bio-Landwirt*innen in
Europa eine Vorreiterrolle im Naturund
Umweltschutz. Warum braucht
Österreich dennoch die Renaturierungsverordnung?
Wolfgang Suske: Das eine hängt
mit dem anderen nicht zusammen.
Österreich ist tatsächlich sehr aktiv
in Umweltbelangen. 80 % der landwirtschaftlichen
Betriebe nehmen
am Umweltprogramm teil, das ist
europäisches Spitzenfeld, genauso
wie der Anteil an Biobetrieben.
Dennoch sinken bei uns die Bestände
der Tagfalter und der Feldvögel.
Die Flüsse sind blau und sauber –
aber die Fischpopulation ist in den
Gewässern dramatisch niedrig. Die
Renaturierungsverordnung sieht vor,
dass alle EU-Mitgliedsländer Ökosysteme,
die sich in einem schlechten
Zustand befinden, in einem
bestimmten Zeitrahmen wiederherstellen.
Von der Gesundung unserer
Ökosysteme profitieren wir alle,
denn gesunde Ökosysteme bieten
23
Schutz vor Naturkatastrophen wie
Überschwemmungen, weil intakte
Feuchtgebiete überschüssiges Wasser
absorbieren.
Die Zustimmung Österreichs zur Renaturierungsverordnung
stand aufgrund
der Blockade mehrerer Bundesländer
kurz vor dem Scheitern.
Es gab Appelle von Umweltschutzorganisationen,
Demonstrationen
und unter anderem die von Ihnen
initiierte Petition „renaturierungsgesetz.at“.
Was hat Sie dazu bewogen,
diese Petition ins Leben zu rufen?
WS: Der Auslöser war eine tiefe Verärgerung
über die Haltung der Bundesländer,
die zwei Jahre lang den
Entstehungsprozess der Verordnung
begleitet und mitgestaltet haben.
Konkret löste ein Beitrag in den
Abendnachrichten diesen Impuls
aus. Man sah die Landeshauptleute,
wie sie zur Überraschung vieler in
Europa plötzlich gegen das Gesetz
stimmten. In diesem Moment wurde
mir klar, dass es zu diesem Zeitpunkt
nicht mehr nur darum ging,
ob Österreich dafür oder dagegen
stimmt, sondern ob Österreich
dieses wichtige europäische Gesetz
tatsächlich in letzter Minute zu Fall
bringt. Denn am Ende war Österreich
die entscheidende Stimme.
Die Petition gilt laut openPetition
als eine der erfolgreichsten Petitionen
– innerhalb von nur drei Wochen
forderten 23.000 Menschen
mit ihrer Unterschrift die österreichische
Bundesregierung auf, dem
Gesetz zuzustimmen. Hatten Sie mit
diesem überwältigenden Erfolg gerechnet?
WS: Ganz ehrlich: Ja, ich habe auf
eine hohe Teilnahme gehofft und sie
auch erwartet, weil ich dachte, dass
viele Menschen dieses Anliegen teilen.
Was mich überrascht hat, war,
wie stark sich das Thema politisch
aufgeladen hat und schließlich sogar
zu einem Regierungskonflikt führte.
Beim Start der Petition war es für
mich wichtig, dass mir nahestehende
Personen emotionalen Rückhalt
gaben. An diesem besagten Abend
habe ich in meinem Netzwerk E-
Mails verschickt und nach Unterstützung
gefragt. Innerhalb kürzester
Zeit bildete sich ein breites
Unterstützungskomitee mit Menschen
aus ganz unterschiedlichen
Bereichen, vor allem auch außerhalb
der gewohnten Naturschutzbubble.
Ich glaube, entscheidend für den
Erfolg war, dass im Unterstützungskomitee
nur Einzelpersonen und
keine Institutionen waren. Diese Unabhängigkeit
war mit Sicherheit ein
zentraler Faktor, um viele Menschen
zu mobilisieren.
Naturschutz ist ein komplexes und
kontroverses Thema. Wie erreichen
Sie Menschen, die dem Thema skeptisch
gegenüberstehen?
WS: Der Schlüssel liegt im Zuhören
und in der Aufklärung. Viele Menschen
waren durch die Gerüchte,
die in den Medien kursieren, verunsichert.
Wenn Gerüchte mit Ängsten
verknüpft werden, dann wirkt das
nachhaltig. Wenn verbreitet wird,
das Gesetz enteigne Grundeigentümer*innen,
dann sind die Menschen
verunsichert. Deshalb haben
mein Team und ich parallel zur
Petition eine Webseite erstellt, die
klare, faktenbasierte Informationen
bietet. Besonders wichtig war mir,
einen direkten Austausch zu ermöglichen.
Bei einem Live-Stream, der
von knapp 1.000 Menschen verfolgt
wurde, habe ich mit Expert*innen
die vielen Gerüchte aufgeklärt. Das
hat vielen geholfen, ihre Skepsis zu
überwinden. Ein besonderer Moment
war, als Bauern und Bäuerinnen
aus ganz Österreich ihre Unterstützung
zusagten und offene Briefe
an Politiker schrieben, in denen sie
Veränderungen forderten. Aber auch
der Zuspruch aus den unterschiedlichsten
Bereichen, von Jung und
Alt, war für mich ein Motivationsschub.
Es erinnerte mich ein wenig
an die Hainburg-Bewegung. Ich war
Funker im Lager 7. Trotz bitterer
Kälte wurden wir von den Menschen
aus der Umgebung mit Essen versorgt.
In unserem Lager mit rund
80 Personen aus den unterschiedlichsten
Bereichen standen wir geschlossen,
auch als die Gendarmerie
anrückte. Diese Solidarität und der
Zusammenhalt haben mich damals
und heute tief beeindruckt.
Zu den Personen
Wolfgang Suske studierte
Landschaftsökologie an der
BOKU University. Danach war
er 15 Jahre lang in der Naturschutzabteilung
des Amtes der
NÖ Landesregierung tätig. Seit
2005 leitet er ein Büro, das
sich auf Naturschutz, Ländliche
Entwicklung und Kommunikation
spezialisiert hat. Er gilt
als Experte für nationalen und
internationalen Naturschutz
sowie für ländliche Entwicklung.
Katharina Rogenhofer studierte
Biologie an der Universität Wien
und „Biodiversity, Conservation
and Management“ an der
Universität Oxford. Gemeinsam
mit Florian Schlederer
schrieb sie das Buch „Ändert
sich nichts, ändert sich alles.
Warum wir jetzt für unseren
Planeten kämpfen müssen“.
Seit 2023 ist sie Mitglied des
Universitätsrats der BOKU University,
seit 2024 Vorständin
des KONTEXT – Institut für
Klimafragen. Sie zählt zu den
prägenden Stimmen der österreichischen
Klimabewegung.
24 12/2024
DIVERSITÄT
IM WALD
Gewappnet für die Zukunft
Der Wald ist einerseits stark von der Klimaveränderung
betroffen, andererseits kann er wesentlich zur
Lösung der Klimakrise beitragen. Große Bedeutung
haben dabei die Baumartenwahl, durchdachtes
Totholzmanagement und das sorgsame Einbringen
von standorttauglichen Gastbaumarten.
Über 20 Millionen Bäume stehen in den Wäldern von
PANNATURA und alle drei Minuten wächst ein Kubikmeter
Holz nach. Auf den Flächen finden sich über
30 verschiedene Baumarten – der Laubholz-Anteil
beträgt rund 63 %, Nadelhölzer machen 37 % der
Diversität aus – auf dieses Potenzial wird auch in
Zukunft vertraut, um die Wälder klimafit zu erhalten
und zu fördern. PANNATURA wirtschaftet nach dem
nachhaltigen Hiebsatz, der besagt, dass nur so viel
Holz entnommen wird, wie auch wieder nachwächst.
Die Entnahme der Bäume passiert dabei individuell dem
Standort angepasst.
In Zeiten der Klimaveränderung spielt die Zusammensetzung
eines klimafitten Baumbestandes eine
immer größere Rolle. Damit die Wälder den neuen
Herausforderungen gewachsen sind, wird seit langem
auf Diversität gesetzt. Die Potenziale der heimischen
Baumarten werden durch eine konsequente
Bewirtschaftung genutzt, nebenbei werden neue
Baumarten auf standörtliche Eigenschaften geprüft.
Für die Stabilität und Resilienz – die Fähigkeit eines
Ökosystems, Störungen abzufedern – von Waldbeständen
unter immer unsichereren Umweltbedingungen
ist die Diversität an Baumarten, aber auch die
genetische Diversität innerhalb der Arten essenziell.
TIPP: Mehr über die nachhaltige Waldbewirtschaftung
bei PANNATURA erzählt Revierleiterin Steffi Nievoll
im Interview auf pannatura.at/draussen-mit-steffi
Die Förderung von Mischbeständen ist ein von
PANNATURA erfolgreich praktiziertes Bewirtschaftungskonzept,
durch das die weiteren Funktionen
des Waldes als Schutz vor Naturgefahren, Wohlfahrts-
und Erholungswirkung und Lebensraum,
gestärkt werden. Zu dieser Vielfalt tragen sowohl
Waldverjüngung und heimische wie sogenannte
fremdländische Baumarten ihren Teil bei. Bei der
Baumartenwahl wird besonders auf den passenden
Standort geachtet. Weiters nimmt gezieltes Altund
Totholzmanagement eine wichtige Rolle ein:
Totholz ist bedeutender Lebensraum für viele
Insektenarten, zudem fungiert es wie ein Schwamm
und speichert über viele Wochen Wasser. Außerdem
entsteht beim Zerfall Humus, der wiederum die
Bodengesundheit unterstützt.
Das Multitalent Wald spielt somit neben seinen
zahlreichen wichtigen Funktionen auch eine große
Rolle als Klimaschützer, den es mit nachhaltiger,
weitsichtiger Bewirtschaftung zu fördern gilt.
Du willst Teil des Teams werden?
Dann bewirb dich bei PANNATURA!
KONTAKT UND BEWERBUNG
Mag. (FH) Kerstin Schmitl-Ohr
+43 2682 63004 134
k.schmitl-ohr@esterhazy.at
→ Splitter
Im Rampenlicht
der Wissenschaft
Wissenschaftspreise bieten eine besondere
Möglichkeit, Abschlussarbeiten zu würdigen
und sichtbar zu machen. Sie fördern nicht
nur die Karrierechancen junger Talente, sondern
eröffnen neue Netzwerke.
Foto: Remco Koenderman
Abschlussarbeiten sind das Ergebnis intensiver Forschung
und großer persönlicher Anstrengung. Wissenschaftspreise
bieten eine besondere Gelegenheit, diesen
Einsatz zu honorieren und innovative Ideen einer breiteren
Öffentlichkeit vorzustellen. Gleichzeitig eröffnen
sie Chancen, wertvolle Netzwerke zu knüpfen und die
eigene Karriere gezielt voranzubringen. Theresa Kauer
und Florian Kitzler wurden für ihre Abschlussarbeiten
ausgezeichnet – wir haben mit ihnen gesprochen, um
mehr über ihre Erfahrungen, ihre Motivation und die Bedeutung
solcher Auszeichnungen zu erfahren.
Foto: Klaus Ranger
Theresa Kauer – Hygienic Study Award
Theresa Kauer, Absolventin des Masterstudiengangs
„Safety in the Food Chain“, beeindruckte mit ihrer Abschlussarbeit,
in der sie ein Biofilmimitat entwickelte,
um die Effektivität von Reinigungsverfahren bei der
Entfernung nativer Biofilme zu überprüfen. „In meiner
Arbeit habe ich ein mikroorganismusfreies Biofilmimitat
hergestellt und charakterisiert. Ein solches Imitat
kann in weiterer Folge dabei helfen zu prüfen, ob gewisse
Reinigungsverfahren effektiv sind, native Biofilme
erfolgreich zu entfernen.“ Beim European Hygienic
Engineering & Design Group (EHEDG)-Kongress 2024 in
Nantes präsentierte sie ihre Arbeit der akademischen
und industriellen Fachwelt. „Ein Research Poster zu
gestalten, war eine großartige Gelegenheit, mein Thema
kurz und prägnant zusammenzufassen“, erklärt sie. Für
ihre innovative Forschung wurde Theresa Kauer mit dem
Hygienic Study Award ausgezeichnet. „Es war eine große
Ehre, diesen Award für meine Arbeit zu erhalten. Ich bin
stolz, dass sich all die geleistete Arbeit und investierte
Zeit gelohnt haben“, sagt sie.
Heute ist Theresa im Bundesministerium für Soziales,
Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz tätig. Ihr
Ratschlag an andere Studierende: „Wählt eine Forschungsfrage,
die euch wirklich interessiert, und nehmt
jede Chance wahr, die sich euch bietet – habt keine
Angst davor, Fehler zu machen.“
Florian Kitzler – Wissenschaft Zukunft Preis
des Landes Niederösterreich
Florian Kitzler, Absolvent des Doktoratsstudiums der
Bodenkultur, wurde mit dem Wissenschaft Zukunftspreis
des Landes Niederösterreich für seine Dissertation
ausgezeichnet. Seine Arbeit widmete sich der Entwicklung
eines KI-gestützten Systems, das Pflanzenarten
auf Feldern präzise erkennen und differenzieren kann.
„Die klassische Unkrautbekämpfung unterscheidet
kaum, welche Pflanzen tatsächlich schädlich sind. Hier
setzt mein Modell an, das eine gezielte und biodiversitätsfördernde
Unkrautbekämpfung ermöglicht“ erklärt
Florian. Durch die Differenzierung können ertragsmindernde
Pflanzen selektiert und entfernt werden,
wodurch der Einsatz von Herbiziden reduziert und der
ökologische Landbau effizienter gestaltet werden kann.
Der Wissenschaftspreis, so berichtet Florian, war nicht
nur eine Anerkennung seiner intensiven Arbeit, sondern
auch ein Türöffner: „Die Sichtbarkeit durch die
Auszeichnung hat enorm geholfen, neue Kontakte zu
knüpfen – sowohl in der akademischen Welt als auch in
der Praxis. Wissenschaftspreise bieten eine großartige
Möglichkeit, über den eigenen Fachbereich hinaus wahrgenommen
zu werden.“ Sein Ratschlag an Studierende:
„Scheut euch nicht vor dem Aufwand, eure Arbeiten bei
Wissenschaftspreisen einzureichen. Die Anerkennung
und die sich ergebenden Möglichkeiten lohnen sich.“
26 12/2024
→ Lunz
→ BOKU Shop
Grand Opening im
Gregor-Mendel-Haus
Foto: hytech
Wir sprechen Fisch
In unserem neuen FWF Wissenschaftskommunikationsprojekt
BrainFood wollen wir der Öffentlichkeit vermitteln,
wie sich die Klimakrise auf die Qualität von
Fischnahrung auswirkt und welche Folgen das für die
Gesundheit, Fitness und kognitive Leistungsfähigkeit
der Fische hat. Außerdem wollen wir einem breiten
Publikum die wissenschaftliche Arbeitsweise verständlich
machen und die Bedeutung von wissenschaftlicher
Forschung für die Gesellschaft aufzeigen. Dazu werden
wir eine digitale semi-immersive Lernumgebung entwickeln,
die anhand von 360°-Bildern verschiedene
Settings der Forschung zeigen: ein Labor, unsere Outdoor-Experimentieranlagen
in Lunz und die Gewässer.
Jedes dieser Bilder wird den Besucher*innen unserer
Plattform Wissenswertes im Rahmen von Kurzgeschichten,
Videos oder animierten Gifs anbieten. So erfahren
Besucher*innen zum Beispiel, wie moderne Überwachungstechnologien
zur Verfolgung von Fischen angewendet
werden. Quizze und interaktive Spiele werden
das Lernerlebnis erweitern.
Bei der Entwicklung der Lernumgebung ist uns wichtig,
dass Endnutzer*innen von Anfang an miteinbezogen
werden, um die Struktur, Verständlichkeit und Attraktivität
der Plattform zu optimieren. Ab Herbst/Winter
2025 werden wir einen Prototyp der Lernumgebung
zur Testung im „Haus der Wildnis“ in Lunz/See, einem
langjährigen Partner des WasserCluster Lunz ausstellen.
Die finale Version kann im Rahmen von Schulprojekten,
bei Forschungsfestivals und im „Haus der Wildnis“ über
Touchscreens und VR-Brillen erkundet werden. Zusätzlich
können die Informationen auch online mittels QR-
Codes über verschiedene elektronische Geräte wie Tablets,
Smartphones und Computern abgerufen werden.
Damit wird das Wissenschaftserlebnis einem breiten
Publikum zugänglich gemacht und interessierten Menschen
ein tiefer Einblick in unsere Arbeit ermöglicht.
Am Montag, den 21. Oktober, war es endlich
so weit: Der BOKU Shop feierte seine offizielle
Eröffnung am neuen Standort im Gregor-Mendel-Haus.
Von 10:00 bis 16:00 Uhr herrschte
reges Treiben in Raum GM-EG/54, direkt
gegenüber dem Café Mendel. Viele neugierige
Besucher*innen nutzten die Gelegenheit, das
vielfältige Sortiment zu entdecken und sich
mit stylischen BOKU-Artikeln einzudecken.
Die entspannte Atmosphäre und Begrüßung
mit Sekt und Knabbereien machten die Eröffnung
zu einem gelungenen Event, das die
Besucher*innen begeisterte. Der BOKU Shop
Standort in der Gregor-Mendel-Straße 33 ist
nun zentrale Anlaufstelle für alle BOKU-Fans.
Unser Tipp: Schauen Sie vorbei und entdecken
Sie die vielfältige Produktwelt des BOKU
Shops. Ob kuschelige Schals und warme
Hauben als stilvolle Begleiter für kalte Tage,
praktische Regenschirme, die trocken durch
den Regen bringen, oder vielseitige Taschen
für den Alltag – hier ist für jeden etwas dabei!
Das Projekt ist eine Kooperation von Libor Zavorka
(WCL), Gabriele Weigelhofer (BOKU, WCL) und Andreas
Zitek (BOKU).
Foto: Maja Naimer
27
→ Aus Alumni Händen
Der Erdäpfelbaron
Lady Claire, King Edward
und Black Princess – wer
jetzt an die königliche
High Society denkt, liegt
falsch: Mit diesen edlen
Kartoffelsorten hat sich
BOKU-Absolvent Jakob
Loidolt einen Namen
gemacht – sowohl in einem
Wiener Luxushotel als auch
bei den Besucherinnen
und Besucher einiger
Wochenmärkte der
Großstadt.
In Großbritannien zählt King Edward zu den
besten Sorten für traditionelle Gerichte
wie den berühmten „Sunday Roast“. Diese
mehlige Kartoffel mit einem leicht nussigen
Geschmack wird seit über hundert Jahren
angebaut und erhielt ihren Namen zu Ehren
von König Edward VII. „Lady Claire“ mag zwar
zerbrechlich klingen, doch im Gegensatz zu
„King Edward“ ist sie festkochend und eignet
sich besonders gut für Kartoffelsalate oder
Petersilkartoffeln. Die „Black Princess“ hingegen
ist eine echte Rarität: Ihre Schale ist
tief dunkelviolett bis fast schwarz, während
das Fruchtfleisch gelblich schimmert. Nicht
nur ihre hörnchenförmige Erscheinung verleiht
ihr einen königlichen Charme, auch ihr
leicht erdiger, fein nussiger Geschmack macht
sie in der gehobenen Gastronomie besonders
begehrt.
„Jede Sorte hat ihren eigenen Charakter. Der
Geschmack kann von süß über nussig bis hin
zu würzig oder erdig variieren, ebenso wie ihr
Aussehen und ihre Ansprüche“, erklärt Jakob
Loidolt. Seit über 40 Jahren werden auf dem
Bio-Hof der Familie Neudolt im nördlichen
Waldviertel Erdäpfelraritäten sowie regionale
Gemüse- und Obstsorten kultiviert. Was einst
in Waidhofen an der Thaya klein begann, ist
inzwischen zu einer beeindruckenden Vielfalt
von über 300 verschiedenen Erdäpfelsorten
herangewachsen. Hier gedeihen Erdäpfel in
allen Formen und Farben – von robust bis
anspruchsvoll. Nicht jede Sorte kommt mit
wechselnden Bedingungen wie extrem trockenen
oder sehr nassen Sommern zurecht. Diese
klimatischen Veränderungen können sogar
die Eigenschaften der Erdäpfel beeinflussen,
sodass eine festkochende Sorte unter
Fotos: Jakob Loidolt; drehkopp/pixabay
28 12/2024
ungünstigen Wetterbedingungen
plötzlich mehlig wird. „Wir lernen
ständig dazu“, betont Jakob. „Wir
beobachten genau, wie sich die Sorten
entwickeln, um in den kommenden
Jahren die idealen Bedingungen
für jede Sorte weiter zu optimieren.“
Ursprünglich begann die Ernte
Ende Juli, doch durch den Klimawandel
hat sich dieser Zeitpunkt
in den letzten Jahren nach vorne
verschoben. „Die Ernte startet
immer früher, fällt aber zum
Glück noch in die Ferienzeit“, sagt
Jakob. Nach seinem Bachelor in
Holz- und Naturfasertechnologie
ist er nun im letzten Drittel seines
Masterstudiums in Umwelt- und
Bioressourcenmanagement. Der
verantwortungsvolle Umgang mit
natürlichen Ressourcen liegt ihm
besonders am Herzen und wird auf
dem elterlichen Hof konsequent
umgesetzt: Dünge- und Spritzmittel
kommen hier nicht zum Einsatz, um
die Biodiversität zu schützen und
zu fördern. „Wir haben jahrelang die
Kartoffelkäfer von Hand eingesammelt
– das war zwar zeitaufwendig,
aber es lohnt sich, wenn man das
Summen und Brummen der Insekten
hört und diese Vielfalt erlebt.“
Seit diesem Jahr kommt der Beetle
Collector zum Einsatz, ein Gerät
für den Frontanbau am Traktor,
das mechanisch Kartoffelkäfer und
ihre Larven von den Pflanzen entfernt.
Auch die Kultivierung alter
Erdäpfelsorten spielt eine zentrale
Rolle im Erhalt der Biodiversität:
Sie fördert die genetische Vielfalt,
erhöht die Anpassungsfähigkeit
an Umweltveränderungen, sichert
durch widerstandsfähigere Pflanzen
die Ernährung und trägt zur Stabilität
der Ökosysteme bei. Und das
wissen Jakobs Kunden zu schätzen
– nicht nur im Geschmack, sondern
auch in der Qualität. Die Sorgfalt
und das kontinuierliche Lernen sind
das Erfolgsgeheimnis des Bio-Hofs
Loidolt, der nicht nur Erdäpfel,
sondern auch ein Stück Biodiversität
bewahrt. Diese besondere Arbeit
blieb nicht unbemerkt: Die Initiative
„Farming for Nature Österreich“
zeichnete Jakob 2022 als Biodiversitätsbotschafter
aus. „Das Feedback
unserer Kunden ist überwältigend,
und es erfüllt mich mit Freude,
wenn sie sagen, dass unsere Erdäpfel
die besten sind, die sie je
gegessen haben. Die Ernennung zum
Biodiversitätsbotschafter macht
mich besonders stolz, denn sie zeigt
mir – von Experten wie auch von der
Bevölkerung –, dass unser Weg der
richtige ist.“
Unser Tipp:
Besuchen Sie Jakob und seine
Familie auf einem ihrer Märkte
oder direkt am Hof und tauchen
Sie ein in die bunte Welt der
Erdäpfelvielfalt.
Bio- und Spezialitätenmarkt
Lange Gasse, Lange Gasse
27–33, 1080 Wien. Jeden Samstag
von 9 bis 15 Uhr.
Alszeilenmarkt, Leopold-Kunschak-Platz,
1170 Wien. Jeden
Samstag von 8 bis 16 Uhr.
Kutschkermarkt, Kutschkergasse,
1180 Wien. Jeden Samstag
von 8 bis 13 Uhr.
biohof-loidolt.at
Mit dem neuen Beetle Collector
erfolgt die Bekämpfung der Kartoffelkäfer
ab sofort mechanisch.
„Wir haben jahrelang die
Kartoffelkäfer per Hand
eingesammelt – das war
zeitaufwendig.“
29
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→ Insekt des Jahres 2024
→ Buch-Tipp
Matter Pillenwälzer –
Unscheinbarer Held
der Weideflächen
Illustration: Monika Medvey
Der Matte Pillenwälzer (Sisyphus
schaefferi) ist ein unscheinbarer,
aber unverzichtbarer Bewohner
unserer Weideflächen. Mit seiner
Fähigkeit, Dung zu verarbeiten und
Nährstoffe im Boden zu verteilen,
trägt er entscheidend zu gesunden
Böden bei. Dieser kleine Käfer, der
nur bis zu 12 mm groß wird, fällt
durch seine langen Hinterbeine und
das matt-schwarze Exoskelett auf.
Er ist spezialisiert auf die Nutzung
von Kot als Nahrungsquelle und
Brutmaterial und spielt eine Schlüsselrolle
als Bodenbearbeiter und
Nährstoffverteiler.
Der Pillenwälzer ist nicht sonderlich
wählerisch: Er nutzt den Dung
verschiedenster Säugetiere, darunter
Pferde, Ziegen, Schafe, Wildschweine,
Füchse, Dachse und sogar
Menschen. Besonders attraktiv für
ihn ist frischer, weicher Kot, der unverdaute
Samen und Fruchtschalen
enthält – dieser wird meist sofort
an Ort und Stelle verzehrt. Die Käfer
formen aus dem Dung kleine Kugeln,
die sie meterweit wegrollen, um sie
vor Konkurrenz zu schützen. Diese
„Pillen“ dienen entweder als Futtervorrat
oder werden während der
Fortpflanzungszeit in „Brutpillen“
umgewandelt, in die ein Ei abgelegt
wird. Der Transport und das Eingraben
der Brutpillen erfolgt durch ein
faszinierendes Zusammenspiel der
Geschlechter: Das Weibchen schiebt
die Pille, während das Männchen
vorne in einer „pulling position“ daran
zieht. Gemeinsam schaffen sie
es, die Brutpillen effizient und an
einige Meter weit entfernte sichere
Stellen zu transportieren, wo sie
dann bis zu 15 cm tief vergraben
werden.
Die Bedeutung des Matten Pillenwälzers
geht weit über das
bloße Vergraben von Exkrementen
hinaus. Durch seine Tätigkeit
verbessert er die Bodenstruktur,
indem er die Bodendurchlüftung
und Wasserdurchlässigkeit fördert.
Zudem sorgt er für natürliche
Schädlingskontrolle, da er die
Menge an offenem Kot reduziert,
in dem sich Parasiten vermehren
könnten. Seine Fähigkeit, Nährstoffe
in den Boden zurückzuführen,
unterstützt das Pflanzenwachstum
und verbessert
die Bodenqualität. Als wichtige
Nahrungsquelle für Fledermäuse
und seltene Vogelarten wie den
Wiedehopf oder die Blauracke
sind diese kleinen Sechsbeiner
auch ein entscheidender Teil der
Nahrungskette auf Weideflächen.
Trotz seiner wichtigen Rolle im
Ökosystem ist der Matte Pillenwälzer
in Österreich zunehmend
gefährdet. Eine der Hauptursachen
ist der Einsatz von Entwurmungsmitteln
in der Weidetierhaltung,
deren Rückstände im
Dung toxisch auf die Käfer wirken.
Dies führt zu einer verzögerten
Larvenentwicklung, einer höheren
Sterblichkeit der Larven
und adulten Tiere sowie zu einer
geringeren Investition in die Fortpflanzung.
Die Rückkehr der
großen Pflanzenfresser
– Konflikte
oder Chancen für
den Artenschutz?
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Einst prägten große Pflanzenfresser
wie Wisent, Elch
und Rothirsch die Landschaften
Mitteleuropas. In
ihrem Buch beleuchten Klaus
Hackländer, Vorstand der
Deutschen Wildtier Stiftung
und Leiter des Instituts
für Wildbiologie und Jagdwirtschaft
an der BOKU
University, und der Forstwissenschaftler
Sebastian
Brackhane die faszinierende
Rolle dieser Tiere als
Lebensraumgestalter. Sie
untersuchen, wie eine Rückkehr
dieser Arten in unsere
Landschaften möglich wäre
und welche Voraussetzungen
dafür geschaffen werden
müssen. Anhand zahlreicher
Illustrationen, Fotos und
Karten werden wissenschaftliche
Erkenntnisse anschaulich
vermittelt, um aufzuzeigen,
wie ein Zusammenleben
von Menschen und großen
Pflanzenfressern in Mitteleuropa
gestaltet werden
könnte.
31
Wir sehen uns wieder.
Als Mitglied bei Alumni.
3690 Mitglieder
Gesamtnetzwerk:
6715 BOKU-Absolvent*innen
Prof. Karl Moder, Angewandte Statistik
Alumni Büro Gregor-Mendel-Straße 33, Südliches Turmzimmer, 1180 Wien
01/47654/10440 alumni@boku.ac.at alumni.boku.wien
Nr. 4 / 12 2024
ISSN: 2224-7416
To buy or not to buy
Consumer Science an der BOKU
→ Wann ist genug wirklich genug?
→ Krisen und Konsumverhalten
→ Du bist, was du isst?
In dieser
Ausgabe
Editorial 3
Interview Klaus Dürrschmid 4
Konsumsuffizienz 8
Online-Tool für nachhaltigen
Lebensmitteleinkauf 10
Krisen und Konsumverhalten 12
Wer kauft nachhaltigen Wein? 15
Sensorisches Marketing 19
Konsument*innen-Crowdsourcing 22
App „Too Good To Go“ 24
Lebensmittel nach der Mindesthaltbarkeit 28
Repair Cafés & Food Coops 30
Interview Leon Wischniewski 32
Du bist, was du isst? 33
Landschaft verstehen 36
Mobilität von Kindern 38
Mobilitätsarmut 40
Human behaviour research at the VR Lab 42
Exzellenzcluster Circular Bioengineering 44
Podcast „Planet Shapers“ 45
Highly cited researchers
Karlheinz Erb und Helmut Haberl 46
ERC Synergy Grant 47
Tropentag 2024 49
BOKU-Nachhaltigkeitsbericht 52
Leitbild Lehren und Lernen 54
Sonderwürdigung Ars Docendi 57
Wie geht hochwertige Lehre 60
BOKU führt bei Neuzulassungen 62
Die neuen BOKU-Bikes 64
Gender & Diversity 66
Neues vom Goldschakal 72
Splitter 74
Citizen Science 76
Inklusion durch Design Accessibility 77
Navigating Brussels 78
Nagoya Protocol 79
Emissionsarme Dienstreisen 80
Naturnahe Flussläufe 84
Open Access Monitoring 88
BOKU-Preise 91
Strategische Kooperation BOKU und UBA 92
Vegane Produkte werden günstiger 33
Wie unsere
sensorischen
Erwartungen
geweckt werden 19
Klaus Dürrschmid
über „hybride“
Konsument*innen
und Ernährungstabus
4
Mobilitätsarmut auf
dem Arbeitsweg 40
Konsum: Zwischen Haben und Sein
Zur Bedeutung der Initiative
Consumer Science
Eva Schulev-Steindl
Rektorin
BOKU/Georg Wilke
Weihnachten ist jedes Jahr die Zeit, in der bei vielen von uns das Konsumverhalten aus dem
Ruder läuft. Die Einkaufswagerl gehen über vor Lebensmitteln, die Geschenke stapeln sich
unterm Christbaum und die Freude und die Abfallberge sind groß. Konsum hat in den westlichen
Gesellschaften eine wichtige soziale Funktion, schafft er doch Identität und Distinktion.
Gleichzeitig geben immer mehr Menschen an, beim Einkauf verstärkt aufs Geld zu achten. Auch
Mobilitätsarmut ist vielen nicht unbekannt.
Umso wichtiger ist es, dass Wissenschaftler*innen über die eigenen Forschungsfelder hinaus
gemeinsam die vielschichtigen Aspekte des Themas Konsum betrachten. Die acht Institute, die
sich in der „Initiative Consumer Science“ an der BOKU zusammengetan haben, machen genau
das und liefern mit ihrem 360-Grad-Blick wichtige Analysen, aber auch Perspektiven, wie Konsum
neu gedacht werden könnte. Es gibt zahlreiche unterschiedliche Lebensentwürfe und die
Konsument*innen selbst werden immer wandelbarer. Langfristig nachhaltigen Konsum zu fördern
bedeutet also auch, an mehreren gesellschaftspolitischen Schrauben drehen zu müssen.
Zur gesellschaftlichen Transformation beizutragen, ist auch vielen jungen Menschen wichtig.
Die zukunftsweisenden Themen der BOKU und unsere Bemühungen, diese potenziellen Studierenden
näherzubringen, etwa mit dem Projekt Wissen|schafft|Zukunft, zeigen Wirkung: Die
Erstsemestrigenzahlen steigen seit zwei Jahren wieder deutlich an. Das bestätigt, dass wir auf
dem richtigen Weg sind, und freut uns sehr.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen frohe Feiertage und das Beste für das Jahr 2025!
Eva Schulev-Steindl
Impressum
Medieninhaberin und Herausgeberin: BOKU University, Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien Chefredaktion: Bettina Fernsebner-Kokert Redaktion:
Hermine Roth Autor*innen: Arne Arnberger, Andreas Bauer, Nina Birkner-Tröger, Barbara Birli, Christiane Brandenburg, Sirna David-Lalic, Kathie Dorfner,
Daniel Dörler, Lada Fialova, Martyna Fidler, Tatjana Fischer, Christian Garaus, Florian Heigl, Anna-Laetitia Hikl, Nicole Hochrainer, Katharina Hofer,
Johanna Huber, Maria Juschten, Annick Kleiner, Vera Kretschmer, Leonore Lendl-Lewisch, Sandra Luck, Julia Männle, Andreas Melcher, Petra Müller,
Gudrun Obersteiner, Reinhold Ottner, Helena Peischl, Siegfried Pöchtrager, Ela Posch, Clemens Püringer, Barbara Riedl, Petra Riefler, Marie-Thérèse
Salcher-Konrad, Silvia Scheibenreif, Ruth Scheiber-Herzog, Beatrix Schiesser, Elisabeth Schmied, Hanni Schopfhauser, Alois Schuschnigg, Roxane
Seiwald, Roman Smutny, Rosemarie Stangl, Antonia Staudacher, Albert Stöckl, Alexandra Strauss-Sieberth, Juliane Stark, Fruzsina Stefán, Karolina
Taczanowska, Yusak Susilo, Verena Vlajo, Udo Wagner, Elisabeth Waldherr-Fabiani, Michael Wallner, Laura Maria Wallnöfer, Elisabeth G. Weber,
Roland Wück Lektorat: Marlene Zeintlinger Grafik: Patricio Handl Coverfoto: BOKU University/APA-Fotoservice/Juhasz Druck: Druckerei Berger Auflage:
8.000 Erscheinungsweise: 4-mal jährlich Blattlinie: Das BOKU Mag versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, Absolvent*innen und
Freund*innen der BOKU University und soll die interne und externe Kommunikation fördern. Namentlich gekennzeichnete
Artikel geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder und müssen mit der Auffassung
der Redaktion nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen
vorbehalten. Beiträge senden Sie bitte an: public.relations@boku.ac.at Bei Adressänderung wenden Sie sich
bitte an: alumni@boku.ac.at
UZ24 „Schadstoffarme
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Dieses Produkt stammt
aus nachhaltig bewirtschafteten
Wäldern und
kontrollierten Quellen
4/2024
3
Sie haben die Initiative Consumer Science an der BOKU
gegründet. Was war dafür ausschlaggebend?
Klaus Dürrschmid: Einige Institute an der BOKU arbeiten
mit ganz ähnlichen Methoden wie wir am Institut für
Lebensmittelwissenschaften, um zu sehen, ob ein Produkt
oder eine Situation für Proband*innen angenehm
oder unangenehm ist, etwa das Institut für Innovation
und Marketing, die Abfallwirtschaft, das Verkehrswesen
oder die Landschaftsplanung. Acht Institute nehmen
bereits an unserer Initiative teil. Wir tauschen uns methodisch
aus, nutzen aber auch Ressourcen gemeinsam.
Außerdem veranstalten wir seit zwei Jahren ein gemeinsames
Symposium und sind mit anderen Universitäten
und Forschungseinrichtungen vernetzt. Unser großes
Zukunftsprojekt ist jedenfalls die Etablierung eines gemeinsamen
Labors für Consumer Science.
Den Konsumenten, die Konsumentin gibt es nicht.
Trotzdem: Wie ticken wir als Gesellschaft derzeit?
Was sich aus Sicht der Wissenschaft und der Unternehmen
herausgestellt hat, ist, dass man immer mehr
Segmente von Konsument*innen untersuchen muss.
Es gibt so viele unterschiedliche Lebensentwürfe und
Zielsetzungen, die in unterschiedliche Konsum- und
Ernährungsverhalten resultieren. Man spricht auch von
den „hybriden“ Konsument*innen, die sehr wandelbar
sind. Es gibt also nicht nur die Segmente, sondern die
einzelnen Personen selbst switchen in ihrem Verhalten
sehr rasch.
Bedeutet das, dass man auch zunehmend auf der individuellen
Ebene ansetzen muss, wenn man Menschen
etwa von nachhaltigerem Konsum überzeugen will?
Der persönliche Nutzen, den die Menschen durch
Konsum kreieren, ist sehr vielfältig. Allgemein gesagt:
Konsumiert wird dann, wenn es zur Erreichung des Lebensziels
und des Glücks einen Beitrag leistet, abhängig
auch von der Persönlichkeit und dem ökonomischen
sowie dem Bildungsstatus.
Wenn ich glaube, dass ein Apfel extrem gesund ist,
mich mit Nährstoffen versorgt und Krankheiten verhindert,
dann ist er ein guter Beitrag, um das Ziel Glück,
Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erreichen. Aber
ein Ziel kann auch die Konstruktion von Identität beinhalten.
Wer bin ich und wie zeige ich, wer ich bin, wer
ich sein will und wer ich nicht sein will? Lebensmittel
werden also sehr häufig auch als Kommunikationsmittel
verwendet: Ich bin der, der nur Bio-Produkte konsumiert
und ich kaufe konventionell produziert Produkte nicht.
Man zeigt seine Identität und Werte sich selbst und den
anderen, aber das kann bis hin zu religiösen Instanzen
gehen, wenn man etwa an Halal- oder koschere Produkte
denkt.
Fotos: BOKU/Christoph Gruber
4 4/2024
„Lange Zeit wurde die
Strategie verfolgt, die
Verantwortung auf
die Konsument*innen
zu schieben.“
Klaus Dürrschmid, der Leiter des Sensorik-Labors
an der BOKU, im Gespräch mit Bettina Fernsebner-
Kokert über „hybride“ Konsument*innen, Ernährungstabus
und das Zukunftsprojekt eines gemeinsamen
Labors für Sensorial Consumer Science.
Der gesundheitliche Aspekt ist natürlich eine wichtige
Funktion der Lebensmittel, um gerade in einer alternden
Gesellschaft wie in Österreich und in Europa durch
ganz spezielle Inhaltsstoffe, die sogenanntem Functional
Food zugesetzt werden, möglichst lange gesund zu
bleiben. Das kann ebenfalls ein Kaufanreiz sein. Den
tatsächlichen Nutzen nachzuweisen, ist aber sehr aufwendig
und teuer.
Für sehr viele ist es auch wichtig, dass Lebensmittel
Spaß machen, sensorisch besondere Effekte haben und
ein Erlebnis sind, Stichwort Erlebnisgastronomie. Der
Spaßfaktor spricht natürlich besonders Kinder und Pubertierende
an, wenn etwa Spielzeug oder andere Gadgets
dem eigentlichen Lebensmittel mitgegeben werden.
Wo endet die Eigenverantwortung und wo bedarf es
Strukturen, die nachhaltigen Konsum fördern?
Lange Zeit wurde die Strategie verfolgt, die Verantwortung
auf die Konsument*innen zu schieben. Ich bin,
wie viele andere auch, der Meinung, dass man mit gesellschaftlichen
Strukturen, Normen und Regeln einen
weitaus höheren Impact hätte, als wenn man nur die
Einzelpersonen anspricht. Ein Weg wäre, mittels Nudging
Menschen zu veranlassen, sich ökologisch oder
ethisch sinnvoller zu verhalten – ich bin mir aber nicht
sicher, ob das in einer aufgeklärten Gesellschaft wirklich
gut und ethisch vertretbar wäre. Diese Einschätzung
hängt natürlich mit der politischen Gesamtsituation
zusammen. Wenn man in einer Gesellschaft lebt, die die
Freiheit des Einzelnen hoch schätzt und nicht möchte,
dass der Staat Einfluss nimmt, dann wird man es
ablehnen. In Großbritannien etwa hat die Zuckersteuer
wider Erwarten erstaunlich gut funktioniert – nicht weil
die Konsument*innen weniger teure zuckerversetzte
Produkte gekauft hätten, sondern weil die Produzent*innen
mit der Reduktion von Zucker in den Produkten
reagiert haben, damit diese nicht teurer werden.
Wir sind hier im Sensorik-Labor, das Sie leiten. Eye
tracking, Messung der Pulsfrequenz, des Hautwiderstandes
und der Pupillendilatation bei den Proband*innen,
die auf Konsumentscheidungen schließen lassen.
Könnten Sie das näher beschreiben?
Wir wenden analytische und hedonische Methoden an.
Bei Ersteren werden Produkte in ihren sensorischen
Merkmalen möglichst objektiviert durch eine kleine
Anzahl von Testpersonen beschrieben, die dafür ausgewählt
und trainiert sind. Es geht nicht um die Bewertung
der Qualität der Produkte, sondern sie werden nur
beschrieben. Die hedonischen Methoden befassen sich
mit dem Urteil einer großen Anzahl von Konsument*innen,
die diese Tests durchführen – also zwischen 100
und 400 Personen.
4/2024
5
Ich koste alles und bin an allem
Neuen interessiert, aber mir graust
es schon vor manchen Dingen.
Klaus Dürrschmid in der Küche des Sensorik-Labors mit ein paar Schätzen aus seinem Fundus.
Wenn man diese Daten verknüpft,
kann man sehen, wie die sensorischen
Merkmale mit der Akzeptanz
und der Beliebtheit von Produkten
zusammenhängen. In der Regel
werden Blindverkostungen durchgeführt,
aber es kommt auch darauf
an, in welcher Situation die Konsument*innen
sind, wenn sie das Produkt
beurteilen. Wie schaut es mit
dem Wissen über den Preis und die
Claims der Produkte aus? Das kann
ein Urteil bereits sehr stark verändern.
Eye tracking und das Messen
physiologischer Parameter gehören
zu den Beobachtungstechniken,
über die wir etwas über die Reaktionen
der Konsument*innen erfahren
wollen, die sie nicht über Befragungen
kommunizieren können, etwa
ihr Blickverhalten bei Betrachtung
von Lebensmittelprodukten oder die
unwillkürlichen physiologischen Reaktionen
wie Hautleitfähigkeit oder
Änderung der Pupillenweite. Sie
erlauben uns Einblicke in das Entstehen
von Entscheidungen bei der
Lebensmittelauswahl.
Was war das außergewöhnlichste Produkt,
das Sie bisher getestet haben?
Wir haben bereits vor 15 Jahren
Insekten getestet. Erstaunlich war
an den Ergebnissen, dass die Frauen
diesen Produkten gegenüber weitaus
aufgeschlossener waren, die
Männer fanden das viel widerwärtiger.
Getestet haben wir auf einem
Steinzeitfest, bei dem Maden- und
Insekten-Pizzen angeboten wurden
– dorthin sind wir mit unseren
getrockneten Insekten gefahren und
haben Beliebtheitstests durchgeführt.
Witzig war auch ein schneeweißes
Schnupfpulver mit Aromen,
Koffein und ein paar Aminosäuren,
das belebend wirken soll – was
dem Produzenten durchaus einige
Fragen von der Polizei eingehandelt
hat. Die Verkostung war jedenfalls
sehr lustig. Neben der sensorischen
Wahrnehmung und dem Einfluss auf
das Riechvermögen haben wir auch
abgefragt, ob die Testpersonen das
Produkt in der Öffentlichkeit konsumieren
würden, was immerhin 5 bis
10 Prozent bejaht haben.
Welche kulturellen Tabus hindern
uns als Konsument*innen daran,
nachhaltig zu essen?
Für ein Gros der Konsument*innen
sind Insekten sicher immer noch
ekelhaft, ich glaube auch nicht, dass
diese bei uns künftig eine große Rolle
in der Ernährung spielen werden.
Vielleicht werden einmal bestimmte
Bestandteile von Insekten extrahiert
und in andere Lebensmittelprodukte
6 4/2024
Es gibt so viele unterschiedliche
Lebensentwürfe und Zielsetzungen,
die in unterschiedliche Konsumund
Ernährungsverhaltensweisen
resultieren.
eingemischt werden. Aber man muss
schon fragen, ob das überhaupt eine
gute Strategie ist. Man erzeugt ja
ebenfalls Tiere in großen Mengen,
von denen man dann Millionen ermordet.
Ob das okay ist, ist fraglich.
Vielleicht ist es klüger, gleich zu
pflanzlichen Rohstoffen zu greifen
und diese zu optimieren – und in
diese Richtung geht es auch.
Das heißt, der Trend geht zu pflanzlichem
Fleischersatz?
Ja. Es gibt bereits ein paar hervorragende
Produkte, aber auch ein paar
so außerordentlich schlechte, dass
es für mich rätselhaft ist, wie die
Produzent*innen überhaupt auf die
Idee kommen, diese auf den Markt
zu bringen. Offenbar wurde da keine
einzige sensorische Untersuchung
gemacht. Das Problem ist: Wenn die
Konsument*innen diese schlechten
Produkte kaufen, dann ist das auch
schlecht fürs Image von Fleischersatz
insgesamt.
Gibt es etwas, das Sie nie essen
würden?
Ich bin sehr neophil, also koste ich
alles und bin an allem Neuen interessiert,
aber mir graust es schon vor
manchen Dingen. Das ändert sich
aber auch immer wieder. Lange Zeit
konnte ich keine Grammelknödel
essen, bis ich sie eines Abends beim
Heurigen gekostet habe und sie gar
nicht so eklig fand – auch wenn sie
nie mein Lieblingsessen werden. Das
marinierte Schafshirn, das ich einmal
in der Türkei gegessen habe und
das im Ganzen serviert wurde, war
von der Konsistenz her puddingartig
und hat so geschmeckt, dass ich es
nicht mehr probieren würde.
Zur Person
Ass.Prof. DI Dr. Klaus Dürrschmid
leitet das Labor für Sensorik und
Konsumentenwissenschaften
am Institut für Lebensmittelwissenschaften.
Er ist Mitglied bei
der European Sensory Science
Society E3S und gründete das
Sensorik Netzwerk Österreich
sowie die Initiative Consumer
Science an der BOKU.
4/2024
7
Konsumsuffizienz:
Wann ist genug wirklich genug?
Von Leonore Lendl-Lewisch, Petra Riefler und Charlotte Baar
Konsumsuffizienz stellt eine
Nachhaltigkeitsstrategie dar,
die eine Veränderung von
Konsummustern als relevanten
Hebel für die Überwindung der
Klimakrise sieht.
Das ACRP-geförderte Forschungsprojekt
SufficiencyGains wurde
von 2020 bis 2024 am Institut für
Marketing und Innovation der BOKU
University gemeinsam mit der Fakultät
für Informatik der Universität
Duisburg-Essen durchgeführt. Ziel
war es, mit einem multimethodischen
Ansatz die strategische Vision
der Konsumsuffizienz zur Eindämmung
des Klimawandels aus einer
Konsument*innenperspektive zu
erforschen.
Konsumsuffizienz unter
der Lupe
Unter Konsumsuffizienz wird ein
ökologisch und sozial verträgliches
Maß an Konsum verstanden. Ein
Beispiel dafür ist etwa der bewusste
Verzicht auf die Anschaffung eines
Autos. Somit stellt Konsumsuffizienz
eine Nachhaltigkeitsstrategie dar,
die eine Veränderung von Konsummustern
als relevanten Hebel für die
Überwindung der Klimakrise sieht.
Konzeptionelle Tragweite und
Assoziationen
Der Begriff der Konsumsuffizienz
wird in der Fachliteratur unterschiedlich
ausgelegt und von verschiedenen
Disziplinen genutzt. Im
Rahmen des Projekts wurde daher
eine systematische Literaturanalyse
zur interdisziplinären Wissensintegration
vorgenommen. Dabei wurden
acht relevante Konzepte identifiziert
(zum Beispiel Minimalismus),
die sich in den zugrundeliegenden
Motivationen der Konsumreduktion
unterscheiden. Umweltschutz etwa
ist dabei nur für wenige Konzepte
von zentraler Bedeutung, während
anderen Motiven (wie Entschleunigung)
eine hohe Gewichtung zukommt.
Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde
eine Taxonomie entwickelt, die
persönliche Motive (etwa Komfort),
soziale (zum Beispiel soziale Vergleiche)
und universelle (wie ökologisches
Wohlergehen) Motive für und
Barrieren gegen eine Konsumreduktion
basierend auf der Literatur darstellt,
die durch die Sicht österreichischer
Konsument*innen ergänzt
wird. Wie die empirischen Studienergebnisse
zeigen, assoziieren
Österreicher*innen eine Konsumreduktion
in vielen identifizierten Bereichen
sowohl mit Vorteilen (etwa
Geldsparen) als auch mit Nachteilen
(zum Beispiel Autonomieverlust).
Neuentwicklung von
Messinstrumenten
Im Rahmen von SufficiencyGains
wurden darüber hinaus zwei neue
Messinstrumente konzeptionell entwickelt
und statistisch validiert: eine
Skala zur Messung der Bereitschaft
zur Konsumreduktion sowie ein Pool
an Messitems zu assoziierten Gewinnen
und Verlusten. Die Neuentwicklung
der beiden Skalen als statistisch
valide Messinstrumente soll künftig
eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse
Fotos: Adobe Stock
8 4/2024
zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen
Studien ermöglichen.
Gegenargumente als
Kernbarriere
In einer Reihe von Online-Experimenten
wurde anschließend untersucht,
wie österreichische Konsument*innen
auf das Konzept der Konsumsuffizienz
reagieren: Rund die Hälfte der
Teilnehmer*innen äußerte Gegenargumente,
die sich in weiterer Folge
negativ auf ihre Bereitschaft zur
Konsumreduktion auswirkten. Daher
kann der systematische Abbau von
Gegenargumenten die Akzeptanz von
Konsumreduktionsstrategien stärken.
Weiters zeigte sich, dass Österreicher*innen
mit hohen ökologischen
Werten seltener Gegenargumente
vorbrachten und eher dazu bereit
waren, ihren Konsum zu reduzieren.
Aus diesem Grund stellt diese Gruppe
ein relevantes Zielsegment für
Konsumreduktionsmaßnahmen am
heimischen Markt dar.
Runder Tisch:
Einladung zum Dialog
Das Projekt wurde schließlich bei
mehreren internationalen Konferenzen
(unter anderem 21 st European
Roundtable of Sustainable Consumption
and Production) sowie in
österreichischen Medien (etwa Die
Presse, Woman) vorgestellt. Darüber
hinaus wurde 2022 das Symposium
Konsum.Neu.Denken organisiert, um
die Zwischenergebnisse zu präsentieren.
Abschließend findet im
Dezember 2024 ein Stakeholderworkshop
an der BOKU University
statt, bei dem namhafte Personen
aus der Wissenschaft, Industrie und
Politik in Dialog treten. Ziel ist es,
die gewonnenen Forschungsergebnisse
in gesellschaftliche Systeme
zu integrieren und somit einen Beitrag
zum Klimaschutz in Österreich
zu leisten.
LINKS
Projektvorstellung
www.boku.ac.at/wiso/mi
Projektzwischenbericht des österreichischen
Klima- und Energiefonds
www.klimafonds.gv.at
KONTAKT
Petra Riefler
petra.riefler@boku.ac.at
UnivProf. in Dr. in Petra Riefler ist
Leiterin des Instituts für Marketing und
Innovation an der BOKU, Dr. in Leonore
Lewisch-Lendl, MSc. und Charlotte Baar,
MSc. sind wissenschaftliche Projektmitarbeiterinnen
am Institut für Marketing
und Innovation.
4/2024
9
TealHelix
Ein psychografisches
Online-Tool für nachhaltigen
Lebensmitteleinkauf
Von Leonore Lendl-Lewisch und Petra Riefler
Fotos: Adobe Stock
10 4/2024
Die Entwicklung von neuen Kennzeichnungsansätzen
und digitalen sozialen Innovationen bezüglich der Nachhaltigkeit
von Lebensmitteln, um Konsument*innen
informierte nachhaltige Kaufentscheidungen zu ermöglichen,
steht im Mittelpunkt des Projekts TealHelix. Dadurch
sollen Widerstände gegen Nachhaltigkeitsinitiativen
überwunden und Interventionen auf die heterogenen
Bedürfnisse vulnerabler Verbraucher*innen zugeschnitten
werden. Im Anschluss werden unter Einbeziehung
des Lebensmittelhandels eine Reihe von traditionellen,
digitalen und KI-basierten Food-Labels getestet.
Insgesamt arbeiten 17 europäische Institutionen an der
interdisziplinären Projektumsetzung. Das Institut für
Marketing und Innovation der BOKU University widmet
sich in Zusammenarbeit mit der Copenhagen Business
School sowie der KU Leuven den Fragestellungen,
• welche Informationen Konsument*innen bei der
Nachhaltigkeitskennzeichnung von Lebensmitteln
benötigen,
• welche Kriterien die Umweltverträglichkeitsbilanz
von Nahrungsmitteln beeinflussen und
• welche Nachhaltigkeitsaspekte für Konsument*innen
eine zentrale Rolle spielen.
Nachhaltigkeitskennzeichnung:
Bedürfnisse und Erwartungen
Um Food-Labels effektiv zu gestalten, müssen in einem
ersten Schritt die Erwartungen europäischer Konsument*innen
in Hinblick auf die benötigten Nachhaltigkeitsinformationen
identifiziert werden. Für diesen
Zweck wird eine systematische Literaturanalyse durchgeführt,
bevor mittels der Experience-Sampling-Methode
relevante physische, soziale und situative Einflussfaktoren
erhoben werden. Diese Erkenntnisse bilden
die Basis für eine Reihe an Experimenten, die sowohl
explizite als auch implizite Ansprüche an Nachhaltigkeitslabels
im Lebensmittelsektor untersuchen werden.
Funded by the European Union. Views and opinions expressed are
however those of the author(s) only and do not necessarily reflect those
of the European Union or European Research Executive Agency. Neither
the European Union nor the granting authority can be held responsible
for them.”
sche Aspekte werden einbezogen, um unterschiedliche
Nachhaltigkeitsdimensionen in den Umweltverträglichkeitsbilanzen
der Produkte zu erfassen.
Abgleich planetarischer und
persönlicher Präferenzen
Im Zuge der dritten Projektphase wird ein neues psychometrisches
Online-Tool entwickelt, das künftig als
integrierte App-Anwendung kostenlos für europäische
Konsument*innen zur Verfügung stehen soll. Zum einen
soll das Tool die persönliche Nachhaltigkeit von Konsument*innen
erfassen und aufzeigen, welche Nachhaltigkeitskriterien
für individuelle Verbraucher*innen eine
Rolle spielen. Andererseits wird das Online-Tool Konsument*innen
die Möglichkeit bieten, ihren persönlichen
„Nachhaltigkeitsscore“ mit den errechneten Umweltverträglichkeitsbilanzen
abzugleichen. Dadurch kann auf
die Abweichungen zwischen persönlichen und planetarischen
Anforderungen aufmerksam gemacht werden.
Darüber hinaus wird das Online-Tool personalisierte und
datenbasierte Empfehlungen liefern, inwiefern Lebensmitteleinkäufe
in der Zukunft nachhaltiger gestaltet
werden können.
Anschließend werden auf Basis der Ergebnisse von
TealHelix in Zusammenarbeit mit führenden europäischen
Verbänden neue Standards für die Bereitstellung
von Nachhaltigkeitsinformationen für die Industrie
sowie für politische Entscheidungsträger*innen entwickelt,
um nachhaltigen Lebensmittelkonsum in der
Europäischen Union zu fördern.
Nachhaltigkeitsbeurteilung
mittels Lebenszyklusanalyse
Im Zuge der darauffolgenden Projektphase wird die
Nachhaltigkeit von Lebensmitteln quantitativ beurteilt.
Die ökologischen Umweltauswirkungen ausgewählter
Lebensmittelgruppen werden mithilfe der Methode
der Lebenszyklusanalyse und unter Berücksichtigung
verschiedener Indikatoren (etwa CO 2
-Emissionen oder
Wasserverbrauch) analysiert. Auch soziale und ökonomi-
LINK
Projektvorstellung
www.boku.ac.at/wiso/mi
KONTAKT
Petra Riefler
petra.riefler@boku.ac.at
4/2024
11
Die Auswirkungen von Krisen
auf unser Konsumverhalten
Eine qualitative BOKU-Studie bei
einkommensschwachen Wiener Haushalten
Von Oliver Meixner
2023 betrug die Inflation in Österreich
annähernd 8 Prozent und
erreichte damit ein Niveau, wie es
seit Mitte der 1970er-Jahre nicht
mehr registriert wurde. Gleichzeitig
sind die Auswirkungen der COVID-
19-Pandemie noch gut in Erinnerung,
der Ukraine-Krieg sowie der Klimawandel
mit seinen unmittelbaren
Auswirkungen wie die jüngsten
Überschwemmungen in Österreich
und Teilen Europas verunsichern die
Bevölkerung zusätzlich. Dementsprechend
machen sich viele Menschen
in Österreich Sorgen.
Die multiplen Krisen, mit denen
unsere Gesellschaft zu kämpfen hat,
sind für Einzelne schwer fassbar
und haben naturgemäß auch Auswirkungen
auf das Konsumverhalten
der Menschen. Steigt die Verunsicherung
in einer Gesellschaft, geht
der private Konsum erfahrungsgemäß
zurück, was zu einer weiteren
Verschärfung der gesamtwirtschaftlichen
Situation führen kann. Die
Menschen verschieben ihre Prioritäten
und sparen bei nicht unbedingt
notwendigen Ausgaben, das Preisbewusstsein
steigt, aber auch eine
größere Nachhaltigkeit im Konsumverhalten
konnte bereits beobachtet
werden. Insgesamt nimmt das
Vertrauen der Konsument*innen ab,
was sich in sinkender Konsumlaune,
geringeren Gesamtausgaben der
Haushalte und damit einhergehenden
massiven Nachfragerückgängen
mit erheblichen Folgen für das
nationale Wirtschaftssystem äußern
kann. Die Auswirkungen der multiplen
Krisen insbesondere in einkommensschwächeren
Bevölkerungsschichten
fassbar zu machen, war
das vorrangige Ziel der BOKU-Studie
„Krisen & Konsum“, die vom Autor
dieses Beitrags geleitet und von der
Arbeiterkammer Wien finanziert
wurde. Hierbei wurden 37 Wiener
Haushalte unter anderem zu ihren
Einstellungen, Wahrnehmungen und
emotionalen Auswirkungen der Krisen
befragt. Die qualitativen Interviews
fanden dabei durchgängig in
den Wohnungen der Befragten statt,
wodurch ein nahe an der Realität
befindliches Bild der Auswirkungen
der multiplen Krisen auf das Konsumverhalten
erreicht wurde.
Fotos: Adobe Stock
12 4/2024
Womit sich die Befragten
konfrontiert
sehen: gleichbleibende,
bei der Hälfte
der Befragten auch
gesunkene Haushaltsbudgets
bei gleichzeitig
stark gestiegenen
Lebenshaltungskosten.
Anhand eines aus der Literatur
erarbeiteten Interviewleitfadens
wurden die bis zu 1,5 Stunden
dauernden Interviews in Form eines
offenen Gesprächs in vertrauter
Umgebung geführt. Sämtliche Aussagen
wurden audioaufgezeichnet,
in der Folge wortwörtlich transkribiert
und computergestützt ausgewertet.
Insgesamt ergibt sich
daraus ein tiefgehendes, in vielen
Bereichen recht düsteres Bild der
Befindlichkeit der interviewten, eher
einkommensschwachen Haushalte.
Die Einkommenssituation hat sich
in den Jahren bis zum Zeitpunkt der
Interviews (Juni bis Juli 2023) kaum
verbessert, bei vielen verschlechtert,
während die Lebenshaltungskosten
zum Teil massiv gestiegen sind.
Aussagen wie „Mein Einkommen hat
sich nicht verändert, aber die Ausgaben
[sind] einfach enorm geworden
[..., so]dass mir einfach überhaupt
nichts vom Geld übrigbleibt“ verdeutlichen
eindringlich, womit sich
die Befragten konfrontiert sehen:
gleichbleibende, bei der Hälfte der
Befragten auch gesunkene Haushaltsbudgets
bei gleichzeitig stark
gestiegenen Lebenshaltungskosten.
„... man kann sich fast nichts mehr
extra leisten. Man kann nur überleben,
die Wohnung zahlen, das
Essen und das Notwendigste. Und
ja, es bleibt einfach nichts übrig.“
Es ist demnach wenig überraschend,
dass auf die sehr allgemein gehaltene
Frage, wie die Befragten ihre
aktuelle Lebenssituation beschreiben
würden, vor allem emotionale
und finanzielle Belastungen genannt
wurden. Als Grund hierfür
wurden insbesondere die noch
immer im Gedächtnis befindliche
COVID-19-Pandemie, der Krieg in der
Ukraine sowie die massive Teuerung
genannt. Auf das Konsumverhalten
wirkt sich besonders die Teuerung
der letzten Jahre signifikant aus,
die Befragten waren durchgängig
gezwungen, sparsamer mit den
verfügbaren finanziellen Ressourcen
umzugehen, wobei ein echtes
Ansparen kaum mehr möglich ist.
Die Menschen werden preisbewusster,
Einkäufe werden sehr genau
geplant, der Konsum wird teilweise
eingeschränkt (nicht notwendige
Ausgaben werden verschoben oder
gänzlich gestrichen), günstigere
Produktalternativen werden gesucht,
Einkaufsorte werden gewechselt
(etwa hin zum Diskonter). Die Freizeitgestaltung
verändert sich, auch
die Urlaubsplanung ist von den
geringeren Haushaltsbudgets betroffen.
Die Teuerung ist damit der bestimmende
Faktor im Konsumverhalten
der Befragten, andere Krisen wirken
sich hier – mit Ausnahme eines
gestiegenen Gesundheitsbewusstseins
durch die COVID-19-Pandemie
– kaum aus. Bei der Zielgruppe der
BOKU-Studie wirkt sich die Klimakrise
kaum aus. Nur wenige gaben
an, ihr Konsumverhalten habe sich
in Richtung umweltfreundlichere
4/2024
13
Die vorliegende Studie zeigte
eindringlich, dass sich Teile
der Bevölkerung von der Politik
unverstanden und mit ihren
drängendsten Problemen
alleingelassen fühlen.
Produkte verändert. Einschränkend
ist hierbei die Tendenz zu nennen,
aus Kostengründen Abfälle zu vermeiden,
was durchaus auch mit
positiven ökologischen Effekten verbunden
ist. Die Teuerung überlagert
hier aber eindeutig die Reaktionen
der Befragten auf die Klimakrise.
Selbst der Krieg in der Ukraine
wurde zum Zeitpunkt der Befragung
hauptsächlich mit der persönlichen
Betroffenheit aufgrund gestiegener
Energiepreise in Verbindung gebracht,
auch wenn bei einigen eine
große emotionale Belastung durch
die geografische Nähe feststellbar
war. Viele Befragte sehen sich in
einer Zwangslage, die kaum mehr
finanziellen Spielraum ermöglicht:
„... man kann sich fast nichts mehr
extra leisten. Man kann nur überleben,
die Wohnung zahlen, das Essen
und das Notwendigste. Und ja, es
bleibt einfach nichts übrig.“
Wenn man in der Folge fragt, inwieweit
sich die betroffenen Haushalte
von der Regierung wahrgenommen
sehen, inwiefern den Haushalten mit
entsprechenden Maßnahmen tatsächlich
geholfen wurde, fallen die
Antworten darauf ernüchternd aus.
Die größte Unzufriedenheit betrifft
erneut die Teuerung, die Hilfsleistungen
werden als zumindest teilweise
wenig zielführend beziehungsweise
unzureichend eingestuft, wohingegen
die COVID-19-Maßnahmen im Nachhinein
eher positiv wahrgenommen
werden. Einschränkend muss hier
angemerkt werden, dass etwa Einmalzahlungen
ob ihrer kurzfristigen
Wirkung als sehr positiv eingestuft
wurden; als probates Mittel, um
etwa die Inflationsrate zu drücken,
werden diese Zahlungen aber als
großteils wirkungslos eingestuft. Hier
hätte die Regierung nach Ansicht
der Mehrzahl der Befragten deutlich
mehr tun können. Dies geht konform
mit den Erwartungen beziehungsweise
Hoffnungen an die Zukunft,
die sich kurz zusammenfassen
lassen in dem Ziel „Stabilität“: Preisstabilisierung,
staatliche, vor allem
finanzielle Unterstützung, adäquat
steigendes Einkommen, Mietpreisbremse,
leistbare Energie.
Auch wenn diese Erkenntnisse aufgrund
des qualitativen empirischen
Designs nicht unmittelbar auf größere
Einheiten übertragbar sind – auch
die Einschränkung auf einkommensschwächere
Haushalte sowie den
Wiener Raum sind hierbei zu berücksichtigen
–, zeigen sie dennoch
eindringlich, wie sehr die Bevölkerung
aufgrund der multiplen Krisen
heute belastet sein dürfte. Und sie
zeigen auch, dass die staatlichen
Maßnahmen, die bisher dagegen
eingesetzt wurden, von den meisten
als eher wenig zielführend eingestuft
werden dürften. Ein breiter
öffentlicher Diskurs darüber unter
Einbeziehung aller relevanten Stakeholder
erscheint daher unabdingbar.
Denn die vorliegende Studie zeigte
eindringlich, dass sich Teile der
Bevölkerung von der Politik unverstanden
und mit ihren drängendsten
Problemen alleingelassen fühlen.
Literatur
Meixner, O., Pichlbauer, M., Haddu, I. N. (2024).
„KRISEN & KONSUM“. Trendstudie zu den Auswirkungen
aktueller Krisen auf Konsum- und
Ernährungsverhalten Wiener Haushalte. AK
Wien, Herausgeber. Materialien zur Konsumforschung.
Kammer für Arbeiter und Angestellte
für Wien; 2024. 40 S.
https://wien.arbeiterkammer.
at/service/presse/AK-Studie_
Krisen_und_Konsum_2024.
Ao.Univ.Prof. DI Dr. Oliver Meixner forscht
und lehrt am Institut für Marketing und
Innovation der BOKU University.
14 4/2024
Wer ist bereit, mehr für
nachhaltigen Wein zu zahlen?
Verbraucherwissen und Präferenzen für Bio- und nachhaltig
zertifizierte Weine. Erkenntnisse aus Deutschland, Österreich
und der Schweiz.
Von Albert Stöckl
Ökozertifizierter Wein
ist nachhaltig, biologisch,
biodynamisch oder natürlich
zertifiziert. Nachhaltigkeit
umfasst Umwelt, Wirtschaft
und Soziales.
Verbraucher*innen in Deutschland,
Österreich und der Schweiz (DACH)
achten beim Einkauf zunehmend auf
nachhaltig und/oder biologisch produzierte
Lebensmittel und Getränke.
Die DACH-Region bildet ein wirtschaftliches
Zentrum in Europa; obwohl
ihre Weinproduktion nicht die
größte ist, ist die Kaufkraft stark und
der Pro-Kopf-Konsum hoch. Unsere
Studie untersucht, welche Verbrauchergruppen
am ehesten Bio- oder
nachhaltigen Wein kaufen und bereit
sind, dafür mehr zu bezahlen.
Der Markt für ökologisch erzeugte
Lebensmittel ist in der DACH-Region
sehr erfolgreich. Der Umsatz mit Bioprodukten
steigt stetig: In Österreich
wuchs der Markt von 1,64 Milliarden
Euro 2016 auf über 2,3 Milliarden
Euro 2020. In Deutschland erreichte
der Marktanteil für Biolebensmittel
2021 6,8 Prozent (15,87 Milliarden
Euro), in der Schweiz über 10 Prozent
(4,11 Milliarden Euro). Diese
Entwicklung zeigt sich auch bei
Weinen, deren Marktanteil für Biound
Nachhaltigkeitszertifizierungen
wächst. In der EU stieg die zertifizierte
Bio-Weinproduktion von etwa
10 Millionen Hektar 2012 auf 14,7 Millionen
Hektar 2020. Österreich ist
führend mit 25,33 Prozent der Rebfläche
als biozertifiziert.
Unsere Studie befragte 4.553 Verbraucher*innen
in Österreich,
Deutschland und der deutschsprachigen
Schweiz zu ihrem Kaufverhalten.
Die Befragten wurden in drei
Segmente unterteilt: grundlegende
Weinkäufer*innen (Segment 1),
selbsternannte Weinkenner*innen
(Segment 2) und preisbewusste
Käufer*innen (Segment 3). Wir vermuteten,
dass Weinkenner*innen
(Segment 2) am ehesten bereit sind,
für Bio- und nachhaltigen Wein
mehr zu bezahlen.
Ökozertifizierter Wein ist nachhaltig,
biologisch, biodynamisch oder
natürlich zertifiziert. Nachhaltigkeit
umfasst Umwelt, Wirtschaft und
Soziales. Bio-Wein in der EU muss
strengen Umwelt- und Produktionsauflagen
gemäß der Verordnung
(EU) 2018/848 entsprechen.
Biodynamische Weine folgen den
Prinzipien von Rudolf Steiner und
umfassen eine ganzheitliche Sichtweise.
Natürliche Weine nutzen
traditionelle Herstellungsverfahren
ohne Zusatzstoffe.
In Österreich gibt es seit 2015 das
Zertifikat „Sustainable Austria“, das
Nachhaltigkeitskriterien in neun
Kategorien bewertet und öffentlich
zugänglich macht. Weinproduktion
belastet die Umwelt, vor allem durch
4/2024
15
Treibhausgasemissionen aus der
Flaschenherstellung und den Einsatz
von Pestiziden. Eine Studie aus der
Schweiz identifizierte den Einsatz
von synthetischen und kupferbasierten
Pestiziden sowie die Flaschenproduktion
als größte Umweltbelastungen.
Nachhaltiger Konsum
wird durch ökologische und soziale
Bedenken der Verbraucher*innen
getrieben. Bessere Informationen
und positive Erfahrungen können die
Kaufentscheidung beeinflussen.
Es gibt objektives, subjektives und
erfahrungsbasiertes Wissen. Konsument*innen
wählen Wein basierend
auf intrinsischen Erfahrungen und
extrinsischen Merkmalen wie Preis,
Marke und Zertifizierung. Wein ist
ein komplexes Produkt und Informationen
über Zertifikate sind oft nicht
bekannt. Trotzdem zeigt sich eine
positive Korrelation zwischen Umweltbewusstsein
und der Bewertung
von Biowein. Studien belegen, dass
22 Prozent der Verbraucher*innen
bereit sind, einen Aufpreis für Biowein
zu zahlen, 19 Prozent für nachhaltigen
Wein. Verbraucher*innen in
traditionellen Weinbauländern sind
bereit, mehr für Biowein zu zahlen.
Untersuchungsmethode
Ziel war es, die Verbraucher*innen
in der DACH-Region verstehen zu
lernen und herauszufinden, wer am
ehesten Bio- und nachhaltigen Wein
kauft. Dafür führten wir eine Online-
Umfrage in diesen Ländern durch.
Die Umfrage bestand aus 49 Fragen
zu Weinkonsum, -verhalten, Wissen
über Wein, subjektiver Selbsteinschätzung,
Beziehung zum Wein,
Zahlungsbereitschaft, Umweltbewusstsein
und einigen Screening-
Fragen. Diese Fragen wurden gestellt,
um einen Förderzuschuss des
österreichischen Bundesministeriums
für Landwirtschaft, Regionen
und Wasserwirtschaft zu erfüllen;
nur ein Teil der Fragen wurde für
diese Analyse verwendet.
Die Feldarbeit fand vom 1. bis
15. März 2022 statt und wurde von
der Marktforschungsfirma Respondi
AG durchgeführt. Die Stichprobengröße
betrug 4.553 Befragte, gleichmäßig
verteilt auf Deutschland (n =
1515), Österreich (n = 1515) und die
deutschsprachige Schweiz (n = 1523).
Die Zielgruppe umfasste Männer und
Frauen im Alter von 18–74 Jahren, die
regelmäßig Wein kaufen und konsumieren.
Unsere Analyse umfasst
einfache Statistiken (Microsoft Excel)
und fortgeschrittene statistische
Analysen (SPSS v28). Zunächst führten
wir eine explorative Faktorenanalyse
(Varimax-Rotation) durch, gefolgt
von einer hierarchischen Clusteranalyse
(Wards-Methode). ANOVA-
Analysen wurden verwendet, um
multiple Vergleiche zu untersuchen.
Die Befragten wurden nach demografischen
Merkmalen aufgeschlüsselt.
Die Teilnehmenden bestanden
zu gleichen Teilen aus Männern und
Frauen. In Bezug auf das Alter waren
etwa 20 Prozent der Befragten in den
Gruppen 26–35, 36–45, 46–55 und
56–65 Jahren; etwa 10 Prozent waren
in den Gruppen 18-25 und 66-75
Jahren. Die Mehrheit lebte in ländlichen
Gebieten (61,37 Prozent), ge-
16 4/2024
Produzent*innen und Vermarkter*innen
sollten vor allem auf
Information und „Bildung“ setzen,
um den Verkauf von Bio- und
nachhaltigen Weinen zu fördern.
folgt von städtischen (34,88 Prozent).
Die Berufe der Befragten verteilten
sich hauptsächlich auf Hausfrauen/-männer
(48,54 Prozent), gefolgt
von nicht Erwerbstätigen (17,90 Prozent).
Die restlichen Befragten waren
Selbstständige, in Ausbildung, Angestellte,
Arbeiter*innen, Beamt*innen,
Rentner*innen oder andere. Die
meisten lebten in Zwei-Personen-
Haushalten (53,96 Prozent).
Ergebnisse Die Hauptkomponentenanalyse
identifizierte drei Schlüsselfaktoren
beim Weinkauf, die
56,2 Prozent der Varianz erklären.
Diese Faktoren sind „Weineigenschaften
und Produktionsmethode“,
„Qualität und Ruf“ sowie „Weinetiketten
und Preisgestaltung“.
Die Clusteranalyse ergab eine
Drei-Cluster-Lösung, die Käufer*innensegmente
beschreibt: Basis-
Weinkäufer*innen, preisbewusste
Käufer*innen und Kenner-Weinkäufer*innen.
ANOVA-Analysen zeigten
signifikante Unterschiede zwischen
den Segmenten. Basis-Weinkäufer*innen
sind jünger (Durchschnittsalter
38,27 Jahre) im Vergleich zu den
anderen Segmenten. Deutschland
und Österreich haben mehr preisbewusste
Käufer*innen im Vergleich zur
Schweiz, wo es mehr Basis- und Kenner-Weinkäufer*innen
gibt. Männer
sind häufiger preisbewusste Käufer,
während Frauen ausgewogener verteilt
sind. Basis-Weinkäufer*innen
kaufen und konsumieren weniger
Wein als preisbewusste Käufer*innen,
die wiederum weniger konsumieren
als Kenner-Weinkäufer*innen.
Die Einkaufsmethoden variieren
ebenfalls: Basis-Weinkäufer*innen
bevorzugen Supermärkte, preisbewusste
Käufer*innen Weinläden
und Weingüter und Kenner-Weinkäufer*innen
kaufen auf vielfältige Weise.
Kenner-Weinkäufer*innen haben das
höchste selbstberichtete Wissen über
Bio- und nachhaltige Weinproduktion,
während preisbewusste Käufer*innen
das geringste Wissen haben. Kenner-
Weinkäufer*innen trinken Wein bevorzugt
zum Essen, während Basis-
Weinkäufer*innen ihn zu besonderen
Anlässen konsumieren.
Umweltbewusstsein und Zahlungsbereitschaft
Kenner-Weinkäufer*innen
sind umweltbewusster und
bereit, mehr für Bioweine zu zahlen
(durchschnittlich 12,35 Euro, gefolgt
von Basis-Weinkäufer*innen
(10,96 Euro) und preisbewussten
Käufer*innen (9,99 Euro). Bildung
und Information erhöhen die Zahlungsbereitschaft
für ökologische
Weine in allen Segmenten.
Schlussfolgerung Produzent*innen
und Vermarkter*innen sollten vor
allem auf Information und „Bildung“
setzen, um den Verkauf von
Bio- und nachhaltigen Weinen zu
fördern. Dies könnte durch innovative
Methoden wie QR-Codes und
detaillierte Informationen im Laden,
bei Verkostungen, im Rahmen von
Events sowie im Zuge weintouristischer
Erlebnisse erfolgen.
Prof.(FH) Dipl.BW(FH) Dr. MA Albert
Stöckl leitet den Studiengang International
Wine Business am IMC Krems.
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Adobe Stock
Sensorisches Marketing:
Von der Sinneswahrnehmung zur Konsumentscheidung
Von Udo Wagner
In Zeiten vielfach gesättigter Märkte,
etwa bei Lebensmitteln, Kosmetika
oder Alltagskleidung, suchen Manager*innen
stets nach weiteren
Differenzierungsmerkmalen für ihre
Produkte, ergänzend zu den traditionellen
Charakteristika wie Qualität
oder Preis. Eindrücke, die über die
menschlichen Sinne wahrgenommen
werden, bieten sich dafür ganz
natürlich an und daher ist es eigentlich
überraschend, dass sich die
Marketingforschung erst seit rund
20 Jahren intensiv mit diesen Aspekten
beschäftigt. Erst die Arbeiten
von Ardhna Krishna und Kolleg*innen
verhalfen dem „sensorischen
Marketing“ zum wissenschaftlichen
Durchbruch, das Krishna 2012 „as
marketing that engages the consumers‘
senses and affects their
perception judgment and behavior“
definierte.
Konsument*innenverhalten. Die
ersten beiden Aspekte werden in der
Umgangssprache häufig recht salopp
mit Wahrnehmung bezeichnet.
Interdisziplinär
Gegenüber anderen Wissenschaftsdisziplinen
müssen die Marketingkolleg*innen
gewiss zugeben, dass
dieser Bereich in der Psychophysik
zumindest seit dem Beginn des
19. Jahrhunderts behandelt wird
und die einschlägige Forschung in
der Medizin, insbesondere in den
Neurowissenschaften, noch weiter
zurückreicht. Zudem beschäftigen
sich auch die Natur- und Lebenswissenschaften
seit Langem mit den
Eigenschaften von Produkten (etwa
von Lebensmitteln, Kosmetika oder
Stoffen) und ihrer Bewertung durch
potenzielle Nutzer*innen; allerdings
liegt hier der Schwerpunkt bei den
Produkten, im Marketing hingegen
bei den Konsument*innen. Diese
Ausführungen belegen aber klar den
interdisziplinären Charakter dieses
Faches.
Als für das Konsument*innenverhalten
wichtigste Eigenschaften
der menschlichen Sinne nennen
wir folgende: Der olfaktorische Sinn
wird manchmal als das Tor zu den
menschlichen Emotionen bezeichnet,
weil Gerüche unmittelbare,
oftmals unbewusste Reaktionen
wie Speichelfluss beim Geruch von
frisch gebackenem Brot auslösen
können. Dies hat auch zur Folge,
dass Gerüche stark subjektiv erlebt
werden, objektiv kaum verbalisierbar
sind und es auch keine allgemein
An dieser Definition sollen zwei
Punkte herausgestrichen werden.
Zum einen geht es um alle fünf
menschlichen Sinne und nicht nur
um den Sehsinn, dem freilich bei der
Informationsaufnahme die dominante
Rolle zukommt. Zum anderen
unterscheidet sie klar zwischen der
sensorischen Empfindung, also dem
Augenblick, an dem ein Reiz auf eine
Rezeptorzelle eines Sinnesorgans
trifft, der perzeptionellen Verarbeitung
dieses Reizes im menschlichen
Gehirn, und dem resultierenden
Sensorisches Marketing als
Marketing, das die Sinne
der Verbraucher*innen
anspricht und
deren Wahrnehmung,
Urteilsvermögen und
Verhalten beeinflusst.
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akzeptierte Klassifizierung der großen
Vielfalt von Gerüchen gibt.
Der auditive Sinn besitzt ebenfalls
eine starke emotionale Komponente,
reagiert jederzeit (auch im Schlaf)
auf akustische Reize und übernimmt
damit eine Wächter- und Schutzfunktion.
Er liefert aber selten dominante
Sinneseindrücke und spielt
daher eine wichtige Rolle im „Hintergrund“
(etwa atmosphärischer
Stimmungsbringer in Geschäften,
beim Autofahren, bei Kinofilmen).
Beim haptischen Sinn sind zwei
Aspekte zu unterscheiden. Der
passive, taktile (Haut-)Sinn liefert
Informationen bei körperlichem
Kontakt. Diesem wird unbewusst
hohe Verlässlichkeit zugeordnet
(man kann sich „verschauen“, aber
man „verfühlt“ sich nicht) und er
ermöglicht eine Komplexitätsreduktion
bei Kaufentscheidungen. Der
aktive, kinästhetische Sinn macht
Bewegungsabläufe fühlbar. Für das
Marketing kommt ihm besondere
Bedeutung bei der Fußboden- oder
Sitzmöbelgestaltung zu.
Beim gustatorischen Sinn gibt es
ebenfalls zwei Gesichtspunkte. Zum
einen den Geschmack (als engerer
Begriff), bei dem bloß zwischen den
vier (manchmal auch fünf) Empfindungen
süß, sauer, salzig, bitter (und
umami) unterschieden wird. Zum
anderen das Mundgefühl, das unterschiedliche
Texturen von Lebensmitteln
beim Verzehr verspürt. Zudem
spielt der Geruch dabei eine wichtige
Rolle. Der visuelle Sinn übernimmt
die Funktion als wichtigster Informationsaufnahmekanal
und für das
Marketing sind weiters jene Eigenschaften
wichtig, die den verschiedenen
Farben zugeschrieben werden.
Verarbeitung im Gehirn
Im strikten Sinne der obigen Definition
folgt also einem Reiz in einer
bestimmten Sinnesmodalität eine
Reaktion in dieser Modalität, beispielsweise
wird ein Geruch im
olfaktorischen Kortex verarbeitet,
und man spricht von einer modalen
Reaktion. Legte man bloß die präzise
Der auditive Sinn besitzt ebenfalls
eine starke emotionale Komponente,
reagiert jederzeit (auch im Schlaf)
auf akustische Reize und übernimmt
damit eine Wächter- und Schutzfunktion.
obige Definition der sensorischen
Empfindung einschlägigen Marketinganstrengungen
zugrunde, wäre der
Spielraum für Manager*innen sehr
klein, insbesondere wenn es sich um
einen virtuellen Vertrieb über das Internet
handelte. Die Forschung konnte
aber nachweisen, dass die Modalitäten
für Empfindung und Perzeption
auch verschieden sein können: So
kann das Sehen eines Apfels – visuelle
Modalität – dazu führen, dass
sich dadurch der/die Konsument*in
den Geruch oder den Geschmack
des Apfels vorstellt und dementsprechend
eine Verarbeitung im olfaktorischen
oder gustatorischen Kortex
stattfindet. So einen Fall nennt man
kreuzmodale Reaktion.
Einen Schritt weiter führt die Tatsache,
dass der Sinnesreiz gar nicht
über ein Sinnesorgan erfolgen muss,
sondern der Reiz auch kognitiv
erfolgen kann: Wenn etwa jemand
auf einer Produktverpackung ein
Rezept für einen Apfelstrudel liest
– kognitiver Reiz – und dadurch der
gustatorische Kortex aktiviert und
eine Geschmackserwartung ausgelöst
werden. Man bezeichnet dies
als amodale Reaktion, unterscheidet
sprachlich aber nicht weiter, ob der
Stimulus und die Reaktion die gleichen
oder verschiedene Modalitäten
betreffen (wenn etwa auf der Verpackung
einer Creme ihr Lavendelduft
beschrieben wird und der Kunde/die
Kundin sich diesen Geruch vorstellt
oder aber an die haptischen Eigenschaften
der Creme denkt).
Backfiring effect
Solche kognitiven sensorischen
Reize besitzen im Marketing und
insbesondere in der Kommunikation
(auf Verpackungen, in der Werbung,
bei der Produktpräsentation, bei
Markennamen) große Bedeutung. Sie
können bei den Konsument*innen
sensorische Erwartungen auslösen;
machen Käufer*innen dann die
reale modale Erfahrung, vergleichen
sie diese mit ihrer Erwartung und
eine negative Diskrepanz kann zu
nachteiligen Reaktionen (Rückgabe/
Umtausch/negative Mund-zu-Mund-
20 4/2024
Kognitive sensorische Reize
besitzen im Marketing und insbesondere
in der Kommunikation
(auf Verpackungen, in der
Werbung, bei der Produktpräsentation,
bei Markennamen)
große Bedeutung.
Fotos: Adobe Stock, https://ambiente-blog.com/de/the-taste-hunter
propaganda) führen; man spricht
von einem „backfiring effect“. Es
gilt aber auch, Vorurteile bezüglich
sensorischer Reize abzubauen; etwa
bei nicht konventionell hergestellten
Lebensmitteln – zum Beispiel
vegane Leberwurst, die bei blinden
Geschmackstests besser bewertet
wird als bei offenen, bei denen (negative)
(Geschmacks-)Erwartungen
auftreten können.
In der Praxis treten sensorische
Reize allerdings selten isoliert als
vielmehr multimodal auf, wodurch
Interaktionseffekte entstehen. Im
speziellen Kontext des (gehobenen)
Restaurantgewerbes hat sich etwa
die Gastrophysik als Teildisziplin des
sensorischen Marketings etabliert,
die die ohnehin schon vorliegende
Multimodalität des gustatorischen
Sinns um die anderen Sinnesempfindungen
erweitert und von „Essen
mit allen fünf Sinnen“ spricht.
Vor diesem Hintergrund erreichen
wissenschaftliche Untersuchungen
rasch hohe Komplexität. Hinzu
kommen Messprobleme: Während
die Naturwissenschaften zumeist zu
apparativen Methoden greifen, sind
solche Verfahren im Marketing wesentlich
weniger verbreitet; vielmehr
stützt man sich auf Befragungstechniken,
die freilich eine wesentlich
geringere Genauigkeit besitzen.
Am Lehrstuhl für Marketing an der
Universität Wien ist das sensorische
Marketing seit vielen Jahren
ein Forschungsschwerpunkt. Partner*innen
kamen dabei einerseits
aus der Praxis, andererseits aus
anderen Forschungsinstitutionen.
Mit Klaus Dürrschmid vom Institut
für Lebensmittelwissenschaften der
BOKU verbindet uns eine langjährige
Kooperation und Petra Riefler,
Lehrstuhlinhaberin am Institut für
Marketing und Innovation der BOKU,
erhielt ihre akademische Ausbildung
an der Universität Wien. Der Bereich
sensorisches Marketing ist daher,
wenn auch mit einer etwas anderen
Schwerpunktsetzung, an der BOKU
bestens verankert.
Literatur
Krishna, A. (2012). An integrative review of sensory
marketing: Engaging the senses to affect
perception, judgment and behavior. Journal of
Consumer Psychology, 22(3), 332–351.
O.Univ.Prof. DI Dr. Dr.h.c. Udo Wagner ist
emeritierter Professor an der Universität
Wien und zurzeit an der Modul Universität
tätig.
4/2024
21
Crowdsourcing:
Konsument*innen als Schlüssel
nachhaltiger Innovationen
Von Christian Garaus
Konsument*innen spielen eine entscheidende
Rolle in der Umstellung
zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.
Dabei geht es nicht nur um umweltbewusstes
Einkaufen – es gibt zahlreiche
weitere Möglichkeiten, wie
sie aktiv zu Innovationen beitragen
können: Sie bringen eigene Ideen
ein, geben wertvolles Feedback zu
neuen Produkten oder unterstützen
Unternehmen finanziell, etwa über
Crowdfunding-Plattformen. Besonders
Start-ups profitieren stark von
diesem Engagement.
Konsument*innen verfügen oft über
wertvolles Wissen, das Unternehmen
fehlt, aber für Innovationen
entscheidend sein kann. Zum einen
bringen sie ihre Erfahrungen aus der
Nutzung von Produkten und Services
mit und kennen dadurch häufig
die kleinen und großen Herausforderungen
im Alltag. Zum anderen
haben Konsument*innen vielfältige
Kenntnisse und Fähigkeiten aus
ihren beruflichen und privaten Rollen,
ob als Studierende, Land- oder
Forstwirt*innen, Mitarbeitende oder
Unternehmer*innen. Dieses Wissen
teilen sie gern – sofern man sie
dazu einlädt.
Unternehmen erkennen zunehmend,
dass sie durch die Einbeziehung
von Konsument*innen ihr eigenes
Wissen erweitern können, besonders
in Prozessen der Transformation hin
zu mehr Nachhaltigkeit. Oft reicht
schon ein einfacher Aufruf, um
durch „Crowdsourcing“ (das Auslagern
einer Aufgabe an eine große
Zahl von Menschen) zahlreiche neue
Ideen zu erhalten, die den Unternehmen
weiterhelfen. Konsument*innen
haben oft innovative Lösungen parat,
die Unternehmen ohne diese Unterstützung
nicht finden würden.
Am Institut für Marketing und Innovation
der BOKU erforschen wir, wie
Konsument*innen motiviert werden
können, an „Challenges“ wie Ideenwettbewerben
oder anderen Crowdsourcing-Ansätzen
teilzunehmen. In
einem aktuellen Projekt untersucht
Christian Garaus, der Autor dieses
Beitrags, zum Beispiel mit Marion
Garaus und Udo Wagner, wie Unternehmen,
die (noch) nicht für ihr En-
Fotos: Adobe Stock
22 4/2024
Das vielfältige Wissen der Konsument*innen
– also zuletzt von
uns allen – kann entscheidend
dazu beitragen, die großen Herausforderungen
unserer Zeit zu
meistern.
gagement in Nachhaltigkeit bekannt
sind – etwa aus energieintensiven
Branchen – Konsument*innen für
eine nachhaltige Innovations-Challenge
gewinnen können. Unsere
Experimente mit 1.737 Teilnehmer*innen
in Österreich zeigen,
dass Skepsis und Greenwashing-Bedenken
nur dann abgebaut werden,
wenn das Unternehmen klare
und glaubwürdige Maßnahmen zur
Umsetzung der Ideen präsentiert,
zum Beispiel durch ein dediziertes
Budget. Bei Unternehmen, die sich
bereits im Klimaschutz engagieren,
zählt dagegen besonders ein transparenter
Auswahlprozess der Ideen.
Zusammen mit Kolleg*innen anderer
nationaler und internationaler Institutionen
– wie der Wirtschaftsuniversität
Wien, der Universität Wien,
Joanneum Research, der Copenhagen
Business School und der City
University of New York – erforschen
wir, wie unterschiedliche Anreizsysteme,
die Aufgabenstellung oder die
Gestaltung der Einladungstexte die
Bereitschaft beeinflussen, Ideen mit
Unternehmen zu teilen. Wir untersuchen
auch, wie Crowdsourcing in
verschiedenen Kontexten eingesetzt
werden kann, sei es zur Bewertung
von Ideen, zur Finanzierung von
Start-ups oder zur Sammlung von
Daten für die Verbesserung der Fernerkundung
(siehe dazu „Eine Zukunft
ohne Schokolade?“ von Caroline
Kunesch im BOKU-Magazin 2/2024).
Mit unserer Forschung möchten wir
Organisationen dabei unterstützen,
erfolgreich mit Konsument*innen
zusammenzuarbeiten und so gemeinsam
die Transformation zu
einer nachhaltigeren Wirtschaft
voranzubringen. Denn das vielfältige
Wissen der Konsument*innen – also
zuletzt von uns allen – kann entscheidend
dazu beitragen, die großen
Herausforderungen unserer Zeit
zu meistern. Wir sind überzeugt:
Crowdsourcing kann helfen, diese zu
lösen – eine „Challenge“ nach der
anderen.
Ass.Prof. Mag. Dr. Christian Garaus
leitet ab Jänner 2025 am Institut für
Marketing und Innovation der BOKU die
Arbeitsgruppe „Sustainable Entrepreneurship
and Innovation Management“.
4/2024
23
App Too Good To Go: Nutzung
und Abfallvermeidungseffekte
Von Gudrun Obersteiner, Katharina Hofer, Sandra Luck, Reinhold Ottner und Elisabeth Schmied
Lebensmittelabfälle verbrauchen
unnötig Ressourcen und schaden
dem Klima. Weltweit sind laut FAO
(2017 und 2018) 8 Prozent der Treibhausgasemissionen,
20 Prozent des
Süßwasserverbrauchs und 30 Prozent
der globalen landwirtschaftlichen
Bodennutzung den anfallenden
Lebensmittelabfällen zuzuschreiben.
Lebensmittelverschwendung tritt
prinzipiell entlang der gesamten
Lebensmittelwertschöpfungskette
auf, zunehmend wird jedoch der
Verringerung der Lebensmittelabfälle
im Einzelhandel Aufmerksamkeit
geschenkt. Nicht zuletzt, da dieser
als Bindeglied zwischen Erzeuger*innen,
Verarbeiter*innen und/
oder Händler*innen sowie Verbraucher*innen
fungiert und somit ein
Einfluss auf die Lebensmittelverluste
und das Abfallaufkommen in
den vor- und nachgelagerten Stufen
der Lebensmittelversorgungskette
angenommen wird.
Die Fortschritte in Informationsund
Kommunikationstechnologien
haben den Lebenszyklus von
Lebensmitteln mit der Entstehung
zahlreicher Websites und Apps, die
das Teilen und Weitergeben von
Lebensmitteln ermöglichen, grundlegend
verändert. Ein Beispiel dafür
ist die 2015 in Dänemark gegründete
App Too Good To Go (TGTG), die es
sich zur Aufgabe gemacht hat, der
Lebensmittelverschwendung in der
Gastronomie und dem Einzelhandel
entgegenzuwirken. Das Konzept
der App ist es, Partnerbetrieben die
Möglichkeit zu geben, Produkte, die
bis Tagesende nicht verkauft wurden
und noch genießbar sind, in
Form eines Überraschungspakets zu
einem billigeren Preis an App-Nutzer*innen
zu verkaufen.
Obwohl die positiven Auswirkungen
der App auf das Abfallaufkommen
im Lebensmitteleinzelhandel und in
der Gastronomie unbestritten sind,
war nicht auszuschließen, dass es
zumindest zum Teil zu einer Verlagerung
des Abfallaufkommens von
der Gastronomie und dem Handel
hin zu den Einzelhaushalten kommt.
So wurde vermutet, dass aus unterschiedlichen
Gründen nicht der
gesamte Inhalt des Überraschungs-
24 4/2024
Ich kenne die App
und nutze sie
regelmäßig
8 %
Ich kenne und
nutze die App nicht
34 %
Ich kenne die App
und nutze sie
gelegentlich
20 %
Ich kenne die App,
habe sie aber noch
nicht genutzt
28 %
Ich habe die App
früher genutzt, aber
aktuell nicht mehr
10 %
Abb. 1: Bekanntheitsgrad und Nutzung von TGTG in der österreichischen Bevölkerung
Das Konzept der App ist es, Partnerbetrieben
die Möglichkeit zu geben, Produkte,
die bis Tagesende nicht verkauft wurden
und noch genießbar sind, in Form eines
Überraschungspakets zu einem billigeren
Preis an App-Nutzer*innen zu verkaufen.
pakets genutzt werden kann, sei
es, weil die Produkte nicht mehr
einwandfrei sind, zu viele Produkte
vorhanden sind oder das Angebot zu
einseitig ist.
Das Ziel des Forschungsprojekts am
Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft
war es daher, herauszufinden,
welchen Einfluss TGTG auf
die Lebensmittelabfallvermeidung in
Österreich hat. Im Detail sollte für
TGTG analysiert werden, inwiefern
die Produkte in den Überraschungspaketen
tatsächlich nutzbar sind
beziehungsweise genutzt werden
und welcher Anteil in weiterer Folge
bei den Konsument*innen entsorgt
wird, um zu untersuchen, ob diese
Lebensmittel letztendlich vor der
Verschwendung bewahrt werden
oder nicht.
Eine in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut
market durchgeführte
repräsentative Umfrage ergab
einen hohen Bekanntheitsgrad von
TGTG innerhalb der österreichischen
Bevölkerung. Zwei Drittel der Österreicher*innen
scheinen die App
zumindest zu kennen. Tatsächlich
genutzt wird sie immerhin von fast
einem Drittel der österreichischen
Bevölkerung, wobei 8 Prozent TGTG
regelmäßig nutzen und 20 Prozent
gelegentlich (Abb. 1).
In Kooperation mit TGTG erfolgte
in weiterer Folge eine detaillierte
Umfrage unter TGTG-Nutzer*innen
zu ihrem Umgang mit den Lebensmitteln
aus TGTG-Überraschungspaketen
im Handel. Der Fragebogen
umfasste soziodemografische
Daten der Teilnehmer*innen,
allgemeine Fragen über die Nutzung
von TGTG, Zufriedenheit und
Qualität der Überraschungspakete,
die Zusammensetzung der Überraschungspakete
und den Verbleib
der Produkte. Die Umfrage wurde
von 742 Personen beantwortet.
Nach Ausschluss unvollständig ausgefüllter
Fragebögen und jener, wo
das Angebot von TGTG im Handel
von den Befragten nicht genutzt
wurde, konnten 538 Fragebögen
für die Auswertung herangezogen
werden. Es zeigte sich, dass ein
Großteil der Teilnehmer*innen das
4/2024
25
Abb. 2: Häufigkeit von Abholungen
von TGTG-Angeboten im Supermarkt.
Abb. 3: Beispiel für niedrige
Produktvielfalt in
jeweils einem TGTG-Sackerl
auf der linken und
„Mahlzeit“-Charakter auf
der rechten Seite.
Angebot von TGTG regelmäßig nutzt
und mit diesem gut zurechtkommt.
Fast die Hälfte der Teilnehmer*innen
(44 Prozent) gab an, regelmäßig
zumindest einmal pro Woche TGTG-
Sackerl oder -Kisterl in Supermärkten
abzuholen (Abb. 2). In
der Woche vor dem Ausfüllen des
Fragebogens hatten 58 Prozent der
Teilnehmer*innen das TGTG-Angebot
genutzt. Die meisten nutzen
das Angebot einmal pro Woche
beziehungsweise alle zwei Wochen
(jeweils 29 Prozent der Antworten).
Über 90 Prozent der TGTG-Nutzer*innen,
die die App für Abholungen
im Supermarkt nutzen, sind
mit der Qualität der Lebensmittel
in den Überraschungspaketen sehr
zufrieden (52 Prozent) oder zumindest
eher zufrieden (42 Prozent).
Nur ein Prozent ist mit der Qualität
gar nicht zufrieden.
Nicht ganz so positiv fällt die Bewertung
der Zusammensetzung des
Inhaltes in Bezug auf die Produktvielfalt
aus. Hier sind nur 27 Prozent
sehr zufrieden. Dies zeigt sich auch
an den Antworten auf die Frage, mit
welchen Problemen sich die TGTG-
Nutzer*innen bisher konfrontiert
sahen. Hier wurden Probleme eher
in Bezug auf die Produktvielfalt angemerkt
(Abb. 3). Weniger Probleme
scheinen die Nutzer*innen damit zu
haben, die erhaltenen Lebensmittel
zu verarbeiten, auch wenn es große
Mengen sind, und auch ein kurzes
Mindesthaltbarkeitsdatum stellt nur
für 5 Prozent der Befragten sehr oft
oder oft ein Problem dar (Abb. 4).
26 4/2024
Abb. 4: Probleme, von denen TGTG-Nutzer*innen betroffen sind.
Ein wesentlicher Grund für die vorliegenden
Analysen war es herauszufinden,
ob es durch die positiven
Auswirkungen der App auf das
Abfallaufkommen im Lebensmitteleinzelhandel
zu einem gesteigerten
Abfallaufkommen bei Haushalten
und somit zu einer Verlagerung des
Abfallaufkommens vom Handel hin
zu den Einzelhaushalten kommt. Ein
Großteil der Befragten gab hierzu
an, kaum Abfälle zu haben (Abb. 5).
44 Prozent mussten gar nichts vom
letzten TGTG-Einkauf entsorgen und
bei 35 Prozent waren es nur geringe
Mengen wie etwa einzelne schlechte
Früchte. Zusammenfassend kann
TGTG eindeutig ein relevantes Abfallvermeidungspotenzial
zugestanden
werden. Das Ausmaß der nach
den TGTG-Einkäufen entsorgten
Abfallmengen bewegt sich im selben
Rahmen wie jenes bei regulären Einkäufen.
Abb. 5: Anteil, der vom TGTG-Sackerl entsorgt wird.
Die Frage, ob es durch TGTG zu
einer Verschiebung von Abfällen aus
dem Einzelhandel hin zu Haushalten
führt, kann basierend auf den
Ergebnissen demnach klar mit nein
beantwortet werden, auch wenn
hier mehrere Faktoren berücksichtigt
werden müssen. Der Grundstein
für eine potenzielle Entsorgung der
Lebensmittel im Haushalt wird von
den Verantwortlichen im Einzelhandel
gelegt. Diese entscheiden maßgeblich
mit, wie leicht oder schwer
es ist, die im Überraschungspaket
enthaltenen Lebensmittel rechtzeitig
verarbeiten zu können. Es zeigte
sich, dass hier wiederholte Schulungen
oder Hinweise hilfreich sein
könnten. Zu einseitig gefüllte Pakete
und große Mengen an bestimmten
Produkten, die nicht zeitgerecht
verzehrt werden konnten, waren
auch laut Befragung für viele Konsument*innen
ausschlaggebend, die
TGTG-App nicht mehr zu nutzen.
LITERATURVERZEICHNIS
FAO, 2017. The State of Food and Agriculture
2017. Leveraging food systems for inclusive
rural transformation. Rome.
FAO, 2018. Food Loss and Waste and the Right
to Adequate Food. Making the connection.
Rome.
DANKSAGUNG
Das Projekt „Analyse des Abfallvermeidungspotentials
von Too Good To Go“ wurde vom
Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt,
Energie, Mobilität, Innovation und Technologie
(BMK) (Projektnr.: 15516) finanziert.
Die Autor*innen forschen am Institut für
Abfall- und Kreislaufwirtschaft.
4/2024
27
Lebensmittel nach der Mindesthaltbarkeit
Riechen, schmecken, schauen und auf die eigenen Sinne vertrauen?
Von Laura Maria Wallnöfer, Petra Riefler und Oliver Meixner
Ob Lebensmittel nach Ablauf des
Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD)
von Konsument*innen auf deren
Frische überprüft oder doch weggeworfen
werden, spielt in Nachhaltigkeitsbestrebungen
eine wesentliche
Rolle. So entstehen durch
Entsorgung abgelaufener, jedoch
noch genießbarer Lebensmittel
allein in der EU rund 10 Prozent der
Lebensmittelabfälle (Europäische
Kommission, 2018). Die Gründe für
die vorzeitige Entsorgung frischer
Lebensmittel liegen dabei oft in
der Verwechslung des Verbrauchsdatums,
eine Kennzeichnung für die
Lebensmittelsicherheit, die angibt,
bis wann Produkte noch gegessen
werden dürfen, mit dem MHD, eine
Kennzeichnung der Lebensmittelqualität,
die angibt, bis wann diese
die höchste Frische aufweisen.
Um den Umgang von Konsument*innen
mit Lebensmittelkennzeichnungen
zu erleichtern und so Lebensmittelabfälle
zu reduzieren, wurden
im Rahmen des European Green
Deals und der Farm-to-Fork-Strategie
verschiedene Vorschläge zu
alternativen Darstellungen des MHD
und zusätzlichen Hinweisen diskutiert.
Einer der Vorschläge dabei
ist die Nutzung des sogenannten
Look-Smell-Taste-Symbols (LST),
um Konsument*innen zu motivieren,
die Genießbarkeit von Lebensmitteln
selbst sensorisch zu überprüfen.
Ob diese Überprüfung aufgrund der
LST-Symbole auch wirklich stattfindet
und die Nutzung von Lebensmitteln
nach Ablauf des MHD bewirkt,
musste jedoch noch getestet werden.
Am Institut für Marketing und
Innovation wurde daher ein Projekt
mit der Unterstützung der Arbeiterkammer
Wien initiiert, in dem die
Wirksamkeit von verschiedenen
Darstellungsformen des MHD für
die Lebensmittelabfallvermeidung
erforscht wurde. Dafür wurden, auf
Basis einer EU-Konsultation, zunächst
zwei verschiedene Wortlaute
(„mindestens haltbar bis“ und „beste
Qualität bis“) mit drei Varianten
der Nutzung von LST-Symbolen
kombiniert (keine Nutzung, vertikale
Darstellung, horizontale Darstellung
mit normativer Botschaft – siehe
Abbildung rechts).
Im nächsten Schritt wurde ein Online-Experiment
mit 306 Teilnehmenden,
die nach Alter und Geschlecht
für Österreich repräsentativ
ausgewählt wurden, durchgeführt.
Dazu wurden die Teilnehmenden
unter anderem gefragt, ob und bis
wann sie ein Joghurt essen würden,
das mit einer der sechs MHD-Darstellungen
gekennzeichnet war. In
dem gezeigten Szenario war das Joghurt
zwei Tage abgelaufen, um so
die hypothetische Bereitschaft der
Teilnehmenden zu messen, Lebensmittel
auch nach Ablauf des MHD zu
essen. Diese war über alle Gruppen
ähnlich hoch und lag bei 93 Prozent.
Zudem berichteten rund 49 Prozent
der Teilnehmenden, das Joghurt
28 4/2024
Darstellungsformen für das
MHD, die im Wortlaut und der
Nutzung von LST-Symbolen
variieren und deren Effekt auf
Konsument*innenverhalten getestet
wurde.
jederzeit nach Ablauf des MHD zu
essen, sollte dieses noch gut sein.
Eine hohe Risikowahrnehmung der
Teilnehmenden wirkte sich dabei
negativ auf diese Bereitschaft aus.
Zwischen berichtetem, hypothetischem
und tatsächlichem Verhalten
besteht jedoch oft eine große Lücke.
Die Literatur empfiehlt daher, gerade
beim Umgang mit abgelaufenen
Lebensmitteln, der durch soziale
Erwünschtheit wie auch von der
Möglichkeit sensorischer Überprüfung
abhängig sein kann, die Schaffung
möglichst realistischer Untersuchungsumgebungen.
In diesem
Projekt gelang diese Annäherung,
dank der Vernetzung im Rahmen der
BOKU-Initiative Consumer Science,
mit einem Experiment im Sensorik-
Labor des Instituts für Lebensmittelwissenschaften.
Daran nahmen 91
Personen teil, die entweder nur die
handelsübliche Darstellung („mindestens
haltbar bis“) auf einem zehn
Tage abgelaufenen Joghurt sahen
oder zusätzlich noch LST-Symbole
samt einer normativen Botschaft.
Tatsächlich führten rund 40 Prozent
der Teilnehmenden eine sensorische
Überprüfung des im Sensorik-Labor
zur Verfügung gestellten Joghurts
durch. Darunter entschieden sich
100 Prozent dafür, das Joghurt auch
zehn Tage nach Ablauf des MHD für
die Zubereitung eines Müslis zu nutzen.
Das Verhalten der Teilnehmenden
unterschied sich jedoch nicht
aufgrund der gesehenen MHD-Darstellung,
was gegen die Wirksamkeit
der LST-Symbole spricht. Dies
könnte mit schwer zu verändernden
Gewohnheiten im Umgang mit
Lebensmitteln zu tun haben, sowie
mit dem Bedarf weiterer Kommunikationskampagnen
zur Minimierung
wahrgenommener Risiken.
Nach Veröffentlichung der Forschungsergebnisse
wurde Too Good
To Go, als einer der wesentlichsten
Stakeholder für die Vermeidung
von Lebensmittelabfällen, auf das
Institut für Marketing und Innovation
aufmerksam. (siehe Seite 22)
Too Good To Go arbeitet in der „Oft
Länger Gut“-Kampagne mit über 500
Partnermarken zusammen, um rund
sechs Milliarden Produktverpackungen
mit LST-Symbolen zu versehen.
Nach einem spannenden Austausch
des Instituts mit dem Unternehmen
wurde im Sommer 2024 ein Folgeprojekt
zum Thema Lebensmittelabfallvermeidung,
Mindesthaltbarkeit
und sensorische Überprüfung bei
einem Förderprogramm der EU eingereicht.
Die Reduktion von Lebensmittelabfällen
zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen
bleibt somit auf
EU-Ebene wie auch innerhalb des
Instituts für Marketing und Innovation
ein relevantes Thema, das über
die BOKU-Initiative für Consumer
Science institutsübergreifend gebündelt
und mit Erkenntnissen anderer
Institute angereichert werden kann.
Weitere Forschung und Projekte sind
nicht zuletzt aufgrund der weltweit
344 Millionen Tonnen an Lebensmittelabfällen
wichtig, die zu rund
10 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen
beitragen (Mbow et
al., 2019), und der Konsument*innen,
die mehr zu diesen Abfällen beitragen
als bisher angenommen (FAO,
2021).
Dr. in Laura Maria Wallnöfer, MSc. MSc.
ist Universitätsassistentin am Institut für
Marketing und Innovation.
4/2024
29
Repair Cafés, Food Coops und Leihläden
auf dem Weg zum Mainstream
Welchen Hürden und Chancen begegnen den Akteur*innen?
Von Laura Maria Wallnöfer und Nina Birkner-Tröger
Benötigt man Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsgeräte
oder Handys, führt der erste Weg oft in den nächstgelegenen
Supermarkt, in die (Online)-Kaufhäuser internationaler
Modeketten oder zum Elektrohändler. Der Weg
ins Geschäft wird gerade, wenn man größere Mengen
transportiert, häufig mit dem eigenen Auto zurückgelegt.
Konsumentscheidungen, beispielsweise über den Kauf
oder das Ausleihen eines Produktes, über Services oder
über die Entsorgung oder Reparatur, sind dabei meistens
mit wesentlichen Auswirkungen auf Umwelt, Klima, Gesellschaft
und die eigenen Finanzen verbunden.
Bottom-up-Initiativen
Um diesen zunehmenden Auswirkungen entgegenzuwirken,
entstehen weltweit immer mehr Initiativen wie Food
Coops, Urban-Gardening-Projekte, Leihläden, Tauschkreise,
Repair Cafés oder Car-Sharing-Gruppen. Diese
Initiativen werden oft von engagierten Konsument*innen
gegründet und aufrechterhalten und sind damit ein
wichtiger Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements
für eine Nachhaltigkeitstransformation. Das Engagement
in den Initiativen beruht dabei oft auf ehrenamtlichen
Tätigkeiten, womit etwa aufgrund von Zeitmangel
unterschiedliche Herausforderungen für eine (laufende)
Beteiligung entstehen, wie eine langfristige Planung und
ein langfristiges Bestehen der Initiative zu gewährleisten.
Ebenso agieren Initiativen, die auch eine andere Form
des Wirtschaftens aufzeigen möchten, oft im Nischenbereich
und stehen Hürden wie fehlenden finanziellen
Mitteln gegenüber. Die verschiedenen Initiativen sind
jedoch reich an Erfahrungen, die über die Schwerpunkte
in unterschiedlichen Konsumbereichen hinweg oft ähnlich
sind, jedoch nur selten geteilt werden.
Workshop von BOKU und AK
Mit dem Ziel, diese Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam
über bestehende Barrieren und Lösungsansätze
zu sprechen sowie die Sichtbarkeit und Bedeutung
von Konsuminitiativen in der Gesellschaft zu
erhöhen, lud das Netzwerk Konsum neu denken Initiativen
wie auch interessierte Konsument*innen zu einem
Workshop ein. Dieser fand am 15. Oktober 2024 unter
der Leitung von Nina Birkner-Tröger, Arbeiterkammer
Wien, und Laura Wallnöfer, BOKU, in der FAKTory statt.
Die 24 Teilnehmer*innen waren dabei größtenteils in
den Bereichen Re-Use, Repair und Tauschen aktiv, die
für die Kreislaufwirtschaft wesentlich sind.
In dem Workshop wurden in einer „Bestandsanalyse“ der
zivilgesellschaftlichen Initiativen zunächst die internen
Stärken und Schwächen wie auch die Chancen und Risiken
gemeinsam erfasst. Die fehlenden Raum-, Perso-
Fotos: Adobe Stock, Foodcoops.at
30 4/2024
nal- und Zeitressourcen sowie zum
Beispiel mangelnde Expertise im IT-
Bereich wurden als Schwächen erkannt,
die für die Entwicklung der Initiativen
hinderlich sind. Als Stärken
wurden hingegen die sinnstiftenden
Tätigkeiten, der soziale Zusammenhalt
sowie auch der aktive Beitrag
zum Umweltschutz genannt. Als großes
Risiko sahen Teilnehmer*innen
wiederum die geringe Wertschätzung
ehrenamtlicher Tätigkeiten und fehlende
finanzielle Unterstützung, beispielsweise
durch leicht zugängliche
und geeignete Förderprogramme. Die
gesellschaftlichen Werte und Normen
stellten einerseits ein kritisches Risiko
dar (beispielsweise der Fast-Fashion-Trend),
andererseits sei jedoch
bereits ein Wandel in den Konsumnormen
zu erkennen, der sich positiv
auf Initiativen auswirken könne.
Welche Rahmenbedingungen?
Nach der ersten Erarbeitung einer
Bestandsanalyse bot Alexandra
Strickner vom Kompetenzzentrum
für Alltagsökonomie und von der
WU Wien wertvolle theoretische und
ergänzende praktische Einblicke zur
Frage, wie Konsuminitiativen den
Sprung von der Nische zum Mainstream
schaffen können. Dazu seien
wirtschaftspolitische Maßnahmen
wie auch Infrastrukturen (etwa verfügbare
Räume) wesentlich. Andererseits
könne der proaktive Aufbau
von Unterstützungsstrukturen, wie
Genossenschaften, ein langfristiges
Bestehen von Initiativen ermöglichen.
Best-Practice-Beispiele dafür
sind unter anderem Worker-Owned
Cooperatives und das Chicago Community
Wealth Building Ecosystem.
Wie die eingeladenen Initiativen
nun selbst zu Best-Practice-Beispielen
werden können und welche
Lösungsansätze es gibt, um Hürden
am Weg zum Mainstream zu bewältigen
und Chancen zu nutzen, wurde
in einem abschließenden Station
Talk erarbeitet. Für die Schaffung
und Aufrechterhaltung des Engagements
in den Initiativen bräuchte
es dazu vor allem organisatorische
Klarheit über Organisationsstrukturen,
Beteiligungsmöglichkeiten und
Verbindlichkeiten. Es wurde auch
mehrfach der Wunsch und Bedarf
einer stärkeren Vernetzung unter
den Initiativen selbst geäußert – um
beispielsweise eine gemeinsame
IT-Infrastruktur aufzubauen, Expertise
zu teilen oder ein gemeinsames
Leitbild zu entwickeln. Eine Möglichkeit
zur Sicherung der Finanzierung
sahen die Teilnehmer*innen in
einer Art Grundfinanzierung zivilgesellschaftlicher
Initiativen, aber auch
in Spendenaufrufen oder Crowdfunding.
Für eine höhere Sichtbarkeit
wurde die Bündelung aller Initiativen
und deren Tätigkeiten auf einer Online-Plattform
als Lösungsvorschlag
genannt.
Das Engagement der Teilnehmer*innen
im Workshop und darüber hinaus
in Initiativen wie Repair Cafés,
Tauschläden und Food Coops war
jedenfalls deutlich sichtbar. Daher
sind in Folge des Workshops auch
eine weitere Vernetzung und Aktionen
angedacht, um so das transformative
Potenzial nachhaltiger
Konsuminitiativen weiter auszubauen
und deren gesellschaftlichen
Stellenwert erhöhen zu können.
Dr. in Laura Maria Wallnöfer, MSc. MSc. ist
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut
für Marketing und Innovation.
Mag. a Nina Birkner-Tröger ist Konsumforscherin
und Referentin in der Abteilung
Konsument*innenpolitik der Arbeiterkammer
Wien.
4/2024
31
Privat
„Langweilig wird
es definitiv nie“
Leon Wischniewski studiert im
Master Nutztierwissenschaften
an der BOKU und koordiniert die
gemeinsamen Aktivitäten der
Initiative Consumer Science.
Interview: Bettina Fernsebner-Kokert
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
braucht vor allem umsichtige und
verlässliche Koordination im Hintergrund.
Was sind die Herausforderungen,
wenn man ein Netzwerk
wie die Initiative Consumer Science
managt?
Leon Wischniewski: Die größte
Herausforderung liegt in der Koordination
der Zusammenarbeit mit
zahlreichen häufig sehr beschäftigten
Professor*innen aus unterschiedlichen
Instituten. Alle Beteiligten
regelmäßig an einen Tisch zu
bringen, kann eine echte Herausforderung
sein.
Wie Sie ja sagen, sind alle sehr
beschäftigt. Wie gelingt es, das Engagement
der Mitglieder aufrechtzuerhalten?
Das erfordert vor allem Hartnäckigkeit
und Durchhaltevermögen. Man
muss geduldig bleiben, regelmäßig
nachhaken und auch mal zähe Arbeit
leisten, etwa wenn es darum geht,
Beiträge einzufordern. Gleichzeitig ist
es wichtig, Verständnis für die Mitglieder
zu zeigen, insbesondere wenn
man bedenkt, wie voll der Wochenplan
mancher Professor*innen ist.
Das geht wohl nur mit Beharrlichkeit
und dem Mut, auch hin und
wieder lästig zu sein, oder?
Definitiv. Es kann schon sein, dass
ich dem einen oder anderen Mitglied
von BOKU ICS hin und wieder
auf die Nerven gegangen bin. (lacht)
Aber das gehört dazu, und damit
kann ich gut leben – letztlich geht
es ja darum, gemeinsame Ziele zu
erreichen.
Was umfasst Ihre Aufgabe darüber
hinaus?
Ich koordiniere gemeinsame Aktivitäten,
finde passende Termine und
plane Meetings, Seminare sowie
Veranstaltungen. Dazu gehört alles
von Einladungen und Ankündigungen
bis hin zur Organisation
von Buffets und Namensschildern.
Ein Highlight meiner Arbeit ist die
Organisation des jährlichen BOKU
ICS-Frühlingssymposiums. Dabei
bin ich von der Themenfindung bis
hin zum Catering in jeden Schritt
eingebunden. Außerdem kümmere
ich mich um die Pflege der neuen
BOKU ICS-Website und unseres
LinkedIn-Accounts. Langweilig wird
es definitiv nie!
Was können Sie als studentischer
Mitarbeiter für das spätere Berufsleben
an Erfahrungen mitnehmen?
Die Vielseitigkeit meiner Aufgaben
bereitet mich auf unterschiedlichste
Herausforderungen im späteren
Berufsleben vor. Durch die Arbeit
bei BOKU ICS habe ich mit vielen
verschiedenen Persönlichkeiten und
Themenfeldern zu tun, ein großer
Gewinn, der mich sowohl fachlich
als auch persönlich weiterbringt.
Besonders begeistert bin ich von
meinem Masterstudium in Nutztierwissenschaften,
das ich allen
empfehlen kann, die sich für zukunftsfähige
Landwirtschaft und
Tiere interessieren. Aber die BOKU
ist mehr als nur ein Studienort. Es
ist ein Ort, an dem Menschen mit
ähnlichen Perspektiven auf die Welt
zusammenkommen, an dem tiefe
Freundschaften entstehen und
persönliches Wachstum möglich ist.
Und ja, ich bin mittlerweile überzeugt:
Es gibt so etwas wie den
BOKU-Spirit!
32 4/2024
Du bist, was du isst?
Flexitarismus im Kontext der neuen Preisparität
veganer Produkte im Jahr 2024
Von Clemens Püringer, Johanna Huber und Siegfried Pöchträger
„Du bist, was du isst“ – dieses Credo
entspricht heute mehr denn je
der Realität. Unsere Nahrungszufuhr
dient längst nicht mehr ausschließlich
der reinen Sättigung, sondern
ist Ausdruck unserer Wertefundierung,
Weltanschauung und fungiert
identitätsstiftend. Während strikter
Veganismus jedoch nach wie vor ein
Randphänomen darstellt, steigt der
Anteil der Flexitarier*innen stetig,
also jener, die zugunsten des Tierwohls,
der Umwelt beziehungsweise
der Nachhaltigkeit sowie der eigenen
Gesundheit bewusst auf tierische
Erzeugnisse verzichten. Über alle
Generationen hinweg bezeichnen
sich aktuell rund 30 Prozent,
innerhalb der Generation Z bereits
53 Prozent als Flexitarier*innen.
Diese Pluralisierung der Ernährungsformen
spiegelt sich in den
Regalen der Supermärkte und Discounter:
kaum ein tierisches Produkt,
das mittlerweile kein pflanzliches
Pendant aufweist. Wird der
klassische Warenkorb eines Mischköstlers
anhand der jeweils günstigsten
verfügbaren pflanzlichen
Alternative nachgebildet, so stellt
das Jahr 2024 eine Kehrtwende dar:
Lag das bisherige durchschnittliche
Preisniveau veganer Produkte in den
Jahren 2022 beziehungsweise 2023
noch deutlich (53 Prozent beziehungsweise
25 Prozent) über dem
ihrer tierischen Vergleichsprodukte,
so ist es heuer erstmals möglich,
rein vegan günstiger einzukaufen.
Als Treiber dieser Entwicklung
können die Preisangleichungen der
veganen Eigenmarken an die jeweiligen
tierischen Pendants identifiziert
werden. Vegane Milch-, Käse- und
Joghurt-Alternativen, vegane Desserts
und Kuchen, vegane Fleischersatzprodukte
sowie vegane Convenience-Produkte
wie Pizza oder
Nuggets werden unter dem Motto
„Gleichberechtigung auf dem Teller“
anhand plakativer Werbekampagnen
als preislich äquivalent beworben.
Am Institut für Marketing und Innovation
haben wir diese Entwicklung
zum Anlass genommen, im Rahmen
einer Bachelorarbeit der Frage nachzugehen,
inwiefern die unter der
neuen Gleichberechtigung beworbenen
Produkte auch in puncto der
beiden zentralen Kaufargumente der
Flexitarier*innen für vegane Produkte,
dem „Gesundheitswert“ sowie
der „Nachhaltigkeit“, äquivalent sind.
Dafür haben wir den eingangs
skizzierten Warenkorb mit den als
preislich äquivalent beworbenen
Durch die Arbeit bei BOKU ICS
habe ich mit vielen verschiedenen
Persönlichkeiten und Themenfeldern
zu tun, ein großer Gewinn,
der mich sowohl fachlich als auch
persönlich weiterbringt.
Im Sortiment von Milch und
Milchalternativen stehen
sich preislich äquivalente
Produkte aus konventioneller,
AMA-zertifizierter heimischer
Landwirtschaft und
vegane Bio-Milchalternativen
auf Mandel-, Haselnusssowie
Kokosnuss-Reis-Basis
der EG-Öko-Verordnung
gegenüber.
4/2024
33
Produkten gefüllt und anhand aller
Informationen, die den Konsumierenden
am Point of Sale (PoS) zur
Verfügung stehen, analysiert. Werden
die Ergebnisse zunächst über alle
Sortimentsgruppen hinweg ausgewertet,
so lässt sich pauschal sagen:
Wer konsequent zu den beworbenen
veganen Ersatzprodukten greift, findet
durchschnittlich eine geringere
Nährstoffdichte, einen tendenziell
geringeren absoluten Fettgehalt sowie
einen höheren Anteil an Bioprodukten
auf seinem Teller wieder.
Eine differenzierte Betrachtung
ist jedoch notwendig, um fundierte
Aussagen treffen zu können,
schließlich sind es etwa die ungesättigten
Fettsäuren, die einen positiven
Effekt auf unsere Gesundheit
haben, während eine Reduktion der
Zufuhr gesättigter Fettsäuren anzustreben
ist. Die beiden Sortimentsgruppen
„vegane Frucht-Joghurtalternativen
auf Kokos-Basis“ sowie
„veganer Käseersatz“ verzeichnen in
puncto Ernährungsphysiologie die
größten Unterschiede, die Sortimentsgruppen
„vegane Milchersatzprodukte“
in puncto Nachhaltigkeitsparameter.
Sowohl im direkten Vergleich als
auch absolut betrachtet verzeichnen
die veganen Käse- und Joghurtalternativen
auf Kokos-Basis eine
wesentlich ungünstigere Fettsäurezusammensetzung
als ihre Kuhmilch-Konkurrenz.
Beim Konsum
einer Kokos-Fruchtjoghurtalternative
zum Beispiel nimmt der/die
Konsumieren de pro 150 g-Becher
im Schnitt 11,25 g mehr gesättigte
Fettsäuren zu sich als beim preislich
äquivalenten klassischen Fruchtjoghurt
„Kirsche“ der Eigenmarke. Und
auch in Bezug auf die weiteren Makronährstoffe
lassen sich wesentliche
Unterschiede feststellen: Der Proteingehalt
der veganen Alternativen ist
über alle Sortimentsgruppen hinweg
geringer.
Das ermittelte Minus umfasst dabei
die Spannbreite von 23 Prozent im
Fall des veganen Marmorkuchens bis
hin zu 100 Prozent weniger Proteingehalt
im Fall der veganen Käsealternative.
Dafür weisen alle veganen
Alternativen – mit Ausnahme der
Milchalternativen – einen deutlich
höheren Kohlenhydratanteil auf.
Beim veganen Käseersatz beträgt
diese Differenz über 1000 Prozent,
Energie in kcal
Abb. 1: Püringer, C. (2024): Vergleichende Analyse von veganen und tierischen Erzeugnissen hinsichtlich
Ernährungsphysiologie und Nachhaltigkeit.
Nährstoffzusammensetzung in Gramm
Abb. 2: Püringer, C. (2024): Vergleichende Analyse von veganen und tierischen Erzeugnissen
hinsichtlich Ernährungsphysiologie und Nachhaltigkeit.
da tierischer Käse maximal Spuren
von Kohlenhydraten enthält.
Die Rohstoffbasis der veganen
Produkte ist also entscheidend
für deren ernährungsphysiologische
Qualität. Doch verfügt der/die
Konsumieren de über ein ausreichen-
34 4/2024
Vegane Karfiol-Brokkoli-Kroketten
(links) und vegane Burger. Unsere
Nahrungszufuhr dient längst nicht
mehr ausschließlich der reinen Sättigung,
sondern ist Ausdruck unserer
Wertefundierung, Weltanschauung und
fungiert identitätsstiftend.
Fotos: Shutterstock
des Fachwissen, um diese Differenzierung
vornehmen zu können?
Unseren Ergebnissen zufolge kann
die neue Preisparität jedenfalls im
Bereich der Gesundheitsorientierung
nicht als Entscheidungsheuristik
genutzt werden. Doch wie verhält es
sich in puncto Nachhaltigkeit?
Flexitarier*innen, die sich aus Gründen
der Nachhaltigkeit für vegane
Alternativen entscheiden, sind am
PoS auf das Informationsangebot
anhand von Siegeln und Produktaufschriften
angewiesen. In unserer
Analyse jedoch ist es weder am PoS
noch anhand zusätzlicher Recherche
für Konsumierende möglich, eine
fundierte Entscheidung zu treffen.
Lediglich in einer Sortimentskategorie
tragen vegane und herkömmliche
Alternativen ein identes Siegel.
Sowohl der vegane als auch der
herkömmliche Marmorkuchen sind
mit dem Rainforest-Alliance-Kakao-
Siegel gekennzeichnet. Doch kann
dieses als ausreichender Nachhaltigkeitsindikator
gesehen werden?
Im Sortiment von Milch und Milchalternativen
stehen sich preislich
äquivalente Produkte aus konventioneller,
AMA-zertifizierter heimischer
Landwirtschaft und vegane
Bio-Milchalternativen auf Mandel-,
Haselnuss- sowie Kokosnuss-
Reis-Basis der EG-Öko-Verordnung
gegenüber. Die Vielfalt unterschiedlicher
Gütesiegel erschwert den
Vergleich für all diejenigen, die als
Flexitarier*innen gezielt nach nachhaltigen
Alternativen suchen.
Unsere Ergebnisse weisen auf ein
erhebliches Informationsdefizit am
PoS hin. Die preisliche Anpassung
veganer und tierischer Produkte
schafft für Flexitarier*innen einen
zusätzlichen Kaufanreiz, vermehrt
pflanzliche Alternativen zu kaufen,
kann jedoch nicht als Garant für eine
ernährungsphysiologisch günstigere
Nährstoffzusammensetzung oder ein
Plus an Nachhaltigkeit auf dem Teller
fungieren. Transparente, miteinander
vergleichbare und auch für Laien
leicht verständliche Kennzeichnungen
in Bezug auf die Nährstoffzusammensetzung
und auch Faktoren
der Nachhaltigkeit erscheinen notwendig,
um fundierte Kaufentscheidungen
treffen zu können. Es gilt zu
überprüfen, inwiefern eine Standardisierung
der Kennzeichnungen oder
die Einführung einheitlicher Bewertungssysteme
zur übersichtlichen
und einfachen Beurteilung der Nachhaltigkeit
sowie der Ernährungsphysiologie
eine präzise Einschätzung
ermöglichen. Der Nutri Score sowie
der Planet Score können dabei als
Grundlage dienen. Nur so können
die Intentionen der Flexitarier*innen,
sich tendenziell gesundheitsfördernd
und umweltschonend zu ernähren,
auch tatsächlich gelebt und umgesetzt
werden.
Clemens Püringer studiert Umwelt- und
Bioressourcenmanagement, Johanna
Huber, MSc und Ao.Univ.Prof. Dr.
Siegfried Pöchtrager lehren und forschen
am Institut für Marketing und Innovation.
4/2024
35
Consumer Science: Die Landschaft
verstehen und nachhaltig gestalten
Von Karolina Taczanowska und Arne Arnberger
Die Consumer Science ist ein interdisziplinäres
Forschungsfeld, das das
Verhalten, die Präferenzen und die
Entscheidungen von Menschen im
Umgang mit Produkten, Dienstleistungen
und der Umwelt untersucht.
Was hat das nun mit Landschaft
zu tun? In der Kulturlandschaft
manifestiert sich, wie wir leben,
wirtschaften, essen oder uns von
A nach B bewegen. Die Consumer
Science hilft uns, Mensch-Umwelt-
Systeme besser zu verstehen und
Landschaftsentwicklungsprozesse
nachhaltig zu gestalten. Auch Naturlandschaften
werden von Menschen
auf die eine oder andere Weise konsumiert,
beispielsweise im Rahmen
von ökotouristischen Aktivitäten.
Das Institut für Landschaftsentwicklung,
Erholungs- und Naturschutzplanung
(ILEN) trägt zur
Consumer Science an der BOKU
bei, indem es die Komplexität der
Entstehung, Veränderung, Nutzung
und Wahrnehmung von Landschaften
erforscht. Dabei werden soziale,
kulturelle, ökonomische und ökologische
Faktoren berücksichtigt,
da Landschaften vielen und oft
widersprüchlichen Erwartungen
ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang
spielt die Consumer
Science eine Schlüsselrolle, um
menschliche Präferenzen für Landschaftsgestaltung,
Erholungsräume,
landschaftsbasierte Tourismusangebote
oder die Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen
beziehungsweise
erneuerbaren Energieinfrastrukturen
zu analysieren. So können Konzepte
und planerische Lösungen
entwickelt werden, die sowohl den
Bedürfnissen der Menschen entsprechen
als auch die ökologische
Nachhaltigkeit fördern. Im Folgenden
werden zwei Beispiele der
Consumer-Science-Ansätze aus
aktuellen Forschungsprojekten am
ILEN vorgestellt.
Erholungsdestination
Wald
Von Arne Arnberger, Silvia
Scheibenreif, Beatrix Schiesser, Christiane
Brandenburg, Alois Schuschnigg,
Annick Kleiner, Karolina Taczanowska
Im Rahmen des Forschungsprojektes
REFOMO, gefördert durch den
Waldfonds, arbeiten BOKU-ILEN und
BFW an der Erweiterung der österreichischen
Waldmonitoringsysteme,
um Indikatoren zur Erholungswirkung
zu erfassen. Die gewonnenen
Projekterkenntnisse über die Qualität
der österreichischen Wälder als
Erholungsraum sollen den gesellschaftlichen
Mehrwert einer multifunktionalen
Waldbewirtschaftung
im Kontext des Klimawandels verdeutlichen.
Eine Befragung der Bevölkerung
Österreichs erfasste sowohl
Erholungsverhalten im Wald als
auch Waldlandschaftspräferenzen.
Anhand eines bildbasierten Wahlmodells
konnten die Befragten ihren
bevorzugten Waldbestand auswählen.
Sie präferierten einen Waldbestand,
der sich aus geringen Mengen
an Totholz, flächendeckendem Unterwuchs,
hohem Überschirmungsgrad
und mehreren Baumschichten
zusammensetzt.
Abb. 1: Natur- und Kulturlandschaften als Forschungsobjekt der Consumer Science.
(Grafik: Thomas Schauppenlehner)
36 4/2024
Abb. 2: Zwei von 128 Waldbeständen mit unterschiedlichen Strukturen. (Grafik: Martin Ebenberger)
Wald als Ressource für
kulturelle Ökosystemleistungen
Von Karolina Taczanowska und Fruzsina Stefán
Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt For-
Rest (Big Data in Forest Recreation Monitoring)
nutzt digitale Ressourcen und fortgeschrittene
Geoinformationsansätze, um kulturelle Ökosystemleistungen
zu quantifizieren und zu verorten.
Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Erholungsfunktion
von (sub)urbanen Waldgebieten und den
funktionalen Beziehungen zwischen den Waldökosystemen
und den Wohngebieten als Quellen
der Erholungsnachfrage im Großraum Wien.
Das Projekt untersucht auch die Potenziale und
Grenzen verschiedener digitaler Datengrundlagen
und Erhebungsmethoden zur Abbildung der
Erholungsmobilität in Wäldern und leistet einen
Beitrag zur Methodendiskussion im Bereich der
Consumer Science, insbesondere im Hinblick auf
das räumliche und zeiträumliche Verhalten von
Menschen in Natur- und Kulturlandschaften.
Abb. 3: Meistbesuchte Waldgebiete im Großraum Wien – Ergebnisse einer
repräsentativen PPGIS-Umfrage (n = 1151, Waldstandorte, die von der Bevölkerung
Wiens und des Wiener Umlands als Erholungsziele genannt wurden).
(Grafik: Thibaud Zobel und Karolina Taczanowska)
4/2024
37
Aktive Mobilität und Wohlbefinden:
Ein multimethodischer Blick
auf die Lebenswelt von Kindern
Von Juliane Stark
Das Sparkling Science-Projekt TRA:WELL – transport and wellbeing
(2022–2024) zielt darauf ab, die Verbindung zwischen aktiver,
eigenständiger Mobilität und dem Wohlbefinden von Kindern
im Alter von 12 bis 14 Jahren zu untersuchen. Das Projekt erfolgte
im Sinne des Citizen-Science-Ansatzes in enger Zusammenarbeit
mit drei AHS in Wien und Korneuburg. Der methodische
Ansatz von TRA:WELL kombiniert quantitative sowie qualitative
Ansätze an der Schnittstelle von Mobilitäts- und Gesundheitsforschung,
Verkehrspsychologie und Verkehrsplanung. Das Projekt
erfolgte unter der Beteiligung des Instituts für Nachhaltige
Wirtschaftsentwicklung der BOKU und des verkehrspsychologischen
Instituts „sicher unterwegs“.
1. Online-Tagebücher und Aktivitätstracker:
Mobilitäts- und Bewegungsverhalten
Fotos: IVe/BOKU
Schüler*innen entwickeln Ideen für ein
Mobilitäts- und Aktivitätentagebuch.
Sammlung von Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden.
In der ersten Projektphase wurde gemeinsam mit den Schüler*innen
ein Wege- und Aktivitätentagebuch entwickelt. Dieses
wurde – ebenfalls von Jugendlichen – online umgesetzt. Die
Kinder dokumentierten darin über eine Woche ihre täglichen
Wege, ihre körperlichen Aktivitäten sowie ihr Wohlbefinden. Parallel
trugen sie Aktivitätstracker, die unter anderem die Herzfrequenz
aufzeichneten. Die Kombination dieser Sensordaten und
Selfreports aus den Fragebögen lieferte ein umfassendes Bild
des gesamten Bewegungsverhaltens der Kinder – das heißt aller
stationären körperlichen Aktivitäten (wie Schulsport, Fitnesstraining)
und die Nutzung aktiver Mobilitätsformen (etwa zu Fuß
gehen, Radfahren). Dies ermöglichte eine Einschätzung, welchen
Beitrag die Nutzung aktiver Mobilitätsformen im Alltag zur Erfüllung
der WHO-Bewegungsempfehlungen leisten kann.
2. Q-Methode: Perspektiven und Motive
Als qualitativer Forschungsansatz wurde im Projekt unter
anderem die Q-Methode eingesetzt, die sich gut für die Untersuchung
individueller Verhaltensmotive eignet. Die Entwicklung
der „Statements“, welche verschiedene Sichtweisen zu Mobilitätsthemen
repräsentieren, erfolgte wiederum in partizipativer
Form. Die Statements wurden von den Teilnehmer*innen in
einem Q-Set nach Wichtigkeit sortiert und faktorenanalytisch
ausgewertet. Diese Methode ermöglichte es den Schüler*innen,
sich intensiv mit den sozialen und psychologischen Aspek-
38 4/2024
Übersicht Projekt TRA:WELL
ten von Mobilitätsentscheidungen
auseinanderzusetzen. Gleichzeitig
konnten Mobilitätstypen identifiziert
werden, die auf gemeinsamen Perspektiven
basieren.
3. Bildbasierte Discrete-Choice-
Experimente: Präferenzen in
der Straßenraumgestaltung
Als quantitative Forschungsmethode
zur Messung von Präferenzen hinsichtlich
der Straßenraumgestaltung
und der Wahrnehmung des Verkehrsraums,
wurde ein bildbasiertes
Best-Worst-Scaling-Experiment
(BWS) eingesetzt. Dazu wurde zunächst
in einer Vorstudie untersucht,
welche Aspekte Kinder im Straßenraum
primär wahrnehmen, wenn
es um ihr Sicherheitsgefühl und
Wohlbefinden geht. Dies ermöglichte
die Identifikation der relevantesten
Attribute, die in ein BWS umgesetzt
wurden. Schüler*innen bewerteten
Bilder aus der Perspektive von
Fußgänger*innen und Radfahrer*innen
und gaben bei jeder Auswahlmöglichkeit
an, welche Option sie
als „beste“ bzw. als „schlechteste“
empfanden. Während der Experimente
trugen einige Schüler*innen
Eye-Tracking-Brillen, um ihre Blickbewegungen
zu analysieren. In Expost-Gruppeninterviews
diskutierten
die Kinder ihre Erfahrungen beim
Unterwegssein und reflektierten ihre
Entscheidungen. Ein Fragebogen zu
ihren Alltagswahrnehmungen ergänzte
die Interviews.
4. Virtual Reality: Sicherheitsempfinden
und Wahrnehmung
des Verkehrsraums
Eine innovative Methode war der
Einsatz von Virtual-Reality-Technologie.
Schüler*innen erlebten in
einer virtuellen Umgebung, wie sich
verschiedene urbane Verkehrsraumszenarien
auf ihr Wohlbefinden und
Sicherheitsempfinden auswirkten.
Dabei wurden etwa verschiedene
Radwegbreiten oder Abstände zum
Autoverkehr simuliert. Beim Radund
Scooterfahren durch die virtuelle
Umgebung wurden Herzraten
mittels Herzfrequenz-Sensor und
EDA-Daten (Electrodermal Activity,
Leitwert der Haut) mittels Handgelenksensor
erhoben. Diese Daten
lassen Schlüsse zu, wann während
der Fahrt Stress empfunden wird.
Zusätzlich wurden mittels Fragebogen
subjektive Eindrücke etwa zum
Sicherheitsempfinden erfasst.
5. Reflexion
Das Projekt zeigt, wie die Kombination
vielfältiger wissenschaftlicher
Methoden zur Untersuchung der
Lebenswelt von Kindern genutzt
werden kann. Eine Besonderheit des
Projekts war die aktive Beteiligung
von Schüler*innen in allen Projektphasen.
Ergebnisse und Eindrücke
sind auf der Homepage zu finden!
LINKS
www.trawell.life
www.young-mobility.at
www.citizen-science.at/
projekte/tra-well
Assoz.Prof. in PD DI in Dr. in Juliane Stark
forscht und lehrt am Institut für Verkehrswesen
der BOKU.
4/2024
39
Arbeitswegbezogene
Mobilitätsarmut im Raum Wien
Hürden und Bewältigungsstrategien von vulnerablen Gruppen
Von Antonia Staudacher und Roxane Seiwald
Hintergrund
Mobilitätsarmut ist ein vielschichtiges
Phänomen, das sich durch hohe
Mobilitätskosten, mangelnde Verkehrsinfrastruktur
oder Erreichbarkeitsprobleme
von grundlegenden
Aktivitäten und Dienstleistungen
äußert. Diese Auswirkungen können
die berufliche und soziale Teilhabe
erheblich beeinträchtigen. Lange
und komplexe Arbeitswege stellen
außerdem eine zeitliche und gesundheitliche
Belastung dar. Oftmals
steht der ländliche Raum im Fokus
der Mobilitätsarmutsforschung,
doch auch im urbanen Raum bestehen
Herausforderungen.
Das Forschungsprojekt AMOWI
konzentriert sich deshalb auf
Pendelwege nach oder innerhalb
von Wien. Ziel ist es, anhand eines
Mixed-Methods-Ansatzes die Betroffenheit
und die unterschiedlichen
Auswirkungen sowie die
Bewältigungsstrategien Betroffener
zu untersuchen.
Analyse der Betroffenheit
In der quantitativen Phase wurden
bestehende Daten und Skripte
(Sozialraummonitor-Daten,
Erhebung von Mitgliedern der
Arbeiterkammer Wien, Routing-
Algorithmen zur Ermittlung der
ÖV-Merkmale von Pendlerbeziehungen)
genutzt, um Risikogruppen und
-gebiete in Wien zu identifizieren.
Dabei wurden drei zentrale Ursachen
arbeitswegbezogener Mobilitätsarmut
untersucht:
a) Räumlich-relationale Ursachen:
Pendlerwege nach/innerhalb von
Wien mit besonders schlechter
Anbindungsqualität
b) Zeitliche Ursachen: zeitintensive
Pendlerwege oder Einschränkungen
aufgrund zeitlicher Gründe
(etwa keine Verbindung am Wochenende/nachts)
c) Persönliche Ursachen: sozioökonomische
Faktoren wie Einkommen,
Alter, Migrationshintergrund.
40 4/2024
Umsteigen mit kurzen Umstiegszeiten
sowie Sicherheitsbedenken
als einschränkend wahrgenommen,
insbesondere, wenn dies Auswirkungen
auf den Arbeitstag hat. Zudem
wurde der hohe Kostenaufwand für
alternative Verkehrsmittel, etwa ein
E-Bike, als eine signifikante Hürde
für Alternativen zum motorisierten
Individualverkehr (MIV) genannt. Im
Alltag zeigten sich unter anderem
Müdigkeit, Stress und Zeitmangel
als wesentliche Auswirkungen von
komplexen Arbeitswegen. Mögliche
Strategien waren verkürzte Schlafphasen,
Bring- und Holfahrten
mittels MIV oder Einsparungen in
anderen Lebensbereichen, um sich
dadurch schnelle Mobilitätsoptionen
leisten zu können, was jedoch die
Leistbarkeitsproblematik verschiebt,
statt sie zu lösen.
Abschluss-Workshop
Im Alltag zeigten sich unter
anderem Müdigkeit, Stress und
Zeitmangel als wesentliche
Auswirkungen von komplexen
Arbeitswegen.
In einem abschließenden Ergebnis-Workshop
mit Expert*innen und
Praktiker*innen werden die Ergebnisse
diskutiert, um gemeinsam
und auf Basis der Projektergebnisse
Lösungsansätze zur Verringerung
von Mobilitätsarmut in Wien zu entwickeln.
Implikationen für
Consumer Science
Semi-narrative Interviews
Anschließend wurden rund 25 teilnarrative
Interviews durchgeführt,
um tiefere Einblicke in die Alltagserfahrungen
der Betroffenen zu
gewinnen. Der Ansatz semi-narrativer
Interviews ermöglichte es,
einerseits flexibel auf individuelle
Erfahrungen einzugehen und die
Reihenfolge der Fragen situativ
anzupassen. Andererseits erleichtert
die Leitfadenstruktur die
Vergleichbarkeit der Antworten im
Rahmen der Auswertung. Im narrativen
Teil wurden die Befragten
gebeten, einen typischen Arbeitstag
und dessen Wege zu beschreiben,
wobei Nachfragen nur als Anregungen
dienten, um die Motive für die
Verkehrsmittelwahl tiefergehend zu
erfragen. Weitere Themenblöcke der
Interviews umfassten die finanzielle
und zeitliche Belastung, das persönliche
Sicherheitsgefühl sowie
potenzielle Erfahrungen sozialer
Exklusion aufgrund eingeschränkter
Mobilitätsoptionen.
Ergebnisse der Interviews
Die Interviews zeigten vielfältige
Probleme aus Sicht der Betroffenen:
In Bezug zum ÖPNV (öffentlicher
Personennahverkehr) wurden
vor allem Verspätungen, häufiges
Die AMOWI-Studie bietet wichtige
Einblicke für die Verbraucherforschung,
insbesondere zu Arbeitsmobilität
und den damit zusammenhängenden
Verhaltensweisen.
Die Einflussfaktoren für die Wahl
eines Verkehrsmittels und Hemmnisse
gegenüber Alternativen liefern
Einblicke in die Vorlieben und
emotionalen Verknüpfungen der
unterschiedlichen Optionen. Diese
Erkenntnisse bieten schließlich
Ansätze für zielgruppenspezifische
Mobilitätsförderungen und infrastrukturelle
Verbesserungen.
Die Autorinnen sind studentische
Mitarbeiterin und wissenschaftliche
Projektmitarbeiterin am Institut für
Verkehrswesen der BOKU.
4/2024
41
VR Lab as a Medium to expand the
Teaching, Learning and Research in Urban
Planning and Human Behaviour Research
By Martyna Fidler and Yusak Susilo
Fotos: BOKU/IVe
The virtual reality (VR) lab at the
Institute for Transport Studies,
established in 2021 under DAVeMoS
project, became a focal point for
research and learning of human perception
and road user behaviour in
simulated environments. Originally
limited to basic virtual simulations,
the lab has grown into a multimodal
research facility that supports
a variety of experiments.
The lab’s first upgrade introduced an
advanced e-scooter stand with sideways
tilting, which better mimicked
real-world e-scooter kinematics and
provided a more authentic riding
experience. Next, a variety of biosensors
was also added, including
mobile EEG devices and ECG chest
straps, enabling the collection of
physiological and neural data, such
as brainwaves and heart rates.
realistic. In 2023, the lab expanded
further with a bicycle simulator,
which connects to the e-scooter for
multiplayer and multimodal studies,
allowing research on interactions
between different types of road
users. Additionally, a 3D projector
was introduced as an alternative to
HMDs to reduce motion sickness,
allowing head-tracking to serve as a
potential eye-tracking proxy.
Patrik Toula
Humble beginnings and
recent expansions
The VR lab initially featured an
e-scooter simulator on a fixed
stand, a high-performance computer
and an HMD, creating 360-degree
immersive environments in Unity.
To facilitate comparisons between
VR and real-world settings, standalone
data collectors were integrated,
allowing for outdoor data
collection. Updates to the virtual
e-scooter model included simulated
tilting and turning features, making
interactions in VR scenarios more
Key experiments and
research initiatives
The VR lab has played a key role in
studying cognitive load and its impact
on riding performance. Cognitive
load is critical in assessing how
riding tasks affect behaviour and
42 4/2024
Scenarios tested by a master student from Tokyo University in exploring the impacts of different cycling lane infrastructure design to cyclists’
behaviours and cognitive loads.
perception, particularly in complex
settings such as urban environments.
VR researchers designed a
series of experiments with varying
difficulty levels in indoor and
outdoor environments on the BOKU
campus and urban areas of Vienna.
Using mobile EEG devices and ECG
sensors, they measured cognitive responses
while participants navigated
both virtual and real environments,
cross-validating physiological data
with subjective cognitive load ratings.
This research aimed to inform
guidelines for transportation safety,
particularly for urban micro-mobility.
Furthermore, one of the key challenges
in VR research is ensuring
that findings from virtual experiments
are applicable to real-world
contexts. To address this, the VR
team developed protocols for similar
scenarios in both VR and outdoor
settings, with standalone data
collectors enabling outdoor data
collection. By comparing responses
across VR and real-world environments,
the lab aimed at establishing
external validity of VR-based findings,
supporting VR’s role in policy-relevant
research.
Another area of focus was on devel-
oping implicit data collection methods,
enabling data gathering without
direct participant interaction.
Using an HTC Vive Pro HMD with
Tobii eye-tracking, an experiment
with two scenarios-a static grid of
coloured spheres and a dynamic
road scene with objects-captured
head and eye movements, recording
participants‘ gaze alignment with
target objects. The study examined
if head-tracking could serve as
a reliable proxy for eye-tracking,
contributing insights on how people
search for and process information
in dynamic and static environments.
The use of VR lab in teaching
and learning activities
Besides experiments and research
activities, The VR lab has been well
used for teaching and learning activities.
Since 2022, the Institute for
Transport Studies has been providing
an introduction class of Virtual
Reality for Urban Planning / Human
Behaviour Analysis in Virtual Environments
(AH856011). In this course
the students experience, develop
and collect data based on their own
virtual reality scenarios in Virtual
Reality lab.
The Virtual Reality Lab also has
been used as an experiment environment
by visiting students from
Tokyo University, Japan as well as by
many guests from around the world,
including the Netherlands, Switzerland,
Italy, Malaysia, Indonesia,
Australia, and Chile.
Closing Remark
The VR Lab at the Institute for
Transport Studies has rapidly
evolved into a comprehensive
teaching and research environment,
enabling diverse experiments in
road user behaviour, perception and
transport safety. Through advanced
infrastructure and innovative experimental
design, the lab continues
to contribute to the understanding
of VR’s research potential. Findings
from these studies not only enhance
VR methodologies but also offer
practical implications for transportation
safety and urban planning,
impacting road safety and micro-mobility
initiatives.
The authors of this article are researcher
at the Institute of Transport Studies.
4/2024
43
Forschungsimpuls für nachhaltige Bioprozesse und Materialien
16 Millionen Euro Förderung für
Exzellenzcluster Circular Bioengineering
FWF/Daniel Novotny
Das Team des Exzellenzclusters
Circular Bioengineering hat die
Arbeit aufgenommen: (v. l. n. r.):
Chris Oostenbrink (BOKU),
Antje Potthast (BOKU),
Marko Mihovilovic (TU Wien),
Roland Ludwig (Director of Research,
BOKU), Wolfgang Kroutil
(Universität Graz), Gunda
Köllensperger (Universität Wien)
und Bernd Nidetzky (TU Graz).
Der Exzellenzcluster Circular Bioengineering
hat Anfang Oktober vom
Österreichischen Wissenschaftsfonds
(FWF) eine Förderung in Höhe
von 16 Millionen Euro erhalten. Diese
Mittel unterstützen die nächsten
fünf Jahre Forschung an umweltfreundlichen
Bioprozessen und
nachhaltigen Materialien auf Basis
erneuerbarer Rohstoffe. Damit wird
ein bedeutender Impuls für den
Übergang zu einer zirkulären Bioökonomie
gesetzt. In dem Projekt,
dessen Gesamtvolumen 27 Millionen
Euro beträgt, arbeiten rund 100
Forscher*innen der Universität Graz,
der Technischen Universität Graz,
der Universität Wien und der Technischen
Universität Wien unter der
Leitung der BOKU University interdisziplinär
zusammen.
Die Ausbeutung begrenzter Ressourcen
zur Herstellung von Konsumgütern
schafft kurzfristig Wohlstand,
gefährdet jedoch langfristig
die Lebensgrundlage von Mensch
und Tier. Der Exzellenzcluster
Circular Bioengineering erforscht
daher zirkuläre, umweltfreundliche
Bioprozesse sowie innovative
Materialien aus erneuerbaren
Rohstoffen. Ziel ist es, den
Ressourcenverbrauch zu senken,
den Übergang von erdölbasierten
Energieträgern auf erneuerbare
Energieträger zu fördern und
letztlich wirtschaftliches Wachstum
von Ressourcenverbrauch zu
entkoppeln.
„Wir erforschen nicht nur neue
umweltfreundliche Methoden und
Verfahren zur Produktion biobasierter
Chemikalien und Materialien,
sondern analysieren auch
deren Auswirkungen auf Umwelt
und Gesellschaft, um die bestmöglichen
Lösungen für die Zukunft
zu finden“, erklärt Roland Ludwig,
Forschungsdirektor des Exzellenzclusters
Circular Bioengineering und
stellvertretender Institutsleiter am
Institut für Lebensmitteltechnologie
der BOKU. Als Konsortialführer ist
die BOKU University auch mit den
Instituten für Molekulare Modellierung
und Simulation unter der
Leitung von Chris Oostenbrink sowie
für Chemie nachwachsender Rohstoffe
unter der Stellvertretung von
Antje Potthast vertreten.
LINK
www.circularbioengineering.at
44 4/2024
4/2024
45
Karlheinz Erb und Helmut Haberl erneut
unter den „Highly Cited Researchers“
Katrina Wodniansky
Karlheinz Erb
(li.) und Helmut
Haberl gehören
auch 2024 wieder
zu den weltweit
meistzitierten
Forschenden.
Laut der aktuellen Publikationsanalyse
„Highly Cited Researchers 2024“,
die Clarivate Analytics jährlich veröffentlicht,
können sich Helmut Haberl
und Karlheinz Erb vom Institut für
Soziale Ökologie (SEC) der BOKU
University wieder – wie bereits in
den Jahren zuvor – zu den weltweit
meistzitierten Wissenschaftler*innen
zählen.
Auf der diesjährigen Liste der
„Highly Cited Researchers“ des
Datenkonzerns Clarivate befinden
sich insgesamt 6.636 Forscher*innen
aus 59 Ländern. Sie bilden laut
der alljährlichen Analyse das oberste
Prozent der am häufigsten zitierten
Wissenschaftler*innen. Als Maß
für die wissenschaftliche Relevanz
der Arbeit gilt – neben der Zahl von
Publikationen in Fachzeitschriften –
vor allem auch, wie oft eine Arbeit
von anderen Fachkolleg*innen zitiert
wurde. In der aktuellen Liste finden
sich 45 (zumindest teilweise)
in Österreich tätige Forscher*innen,
im Vorjahr waren es 41.
USA weiterhin Spitzenreiter,
China holt auf
Die USA führen weiterhin die
Liste der weltweit meistzitierten
Wissenschaftler*innen an:
Insgesamt 2.507 „Highly Cited
Researchers“ stammen aus den
Vereinigten Staaten, was einem
Anteil von 36,4 Prozent entspricht.
Allerdings zeigt sich ein
Rückgang im Vergleich zu 2018,
als der Anteil noch 43,3 Prozent
betrug. China hingegen verzeichnet
einen deutlichen Zuwachs:
Mit 1.405 Forschenden auf der
Liste erreicht das Land einen
Anteil von 20,4 Prozent und hat
diesen im Vergleich zu 2018 mehr
als verdoppelt. Hinter den USA und
China folgen Großbritannien mit
563 „Highly Cited Researchers“,
Deutschland (332), Australien (313)
und Kanada (206). Die Niederlande
(185), Hongkong (134, ohne Festland-China),
Frankreich (126) und
Singapur (108) komplettieren die
Top Ten.
Unter den 45 in Österreich tätigen
„Highly Cited Researchers“ befinden
sich Helmut Haberl und Karlheinz
Erb, beide vom SEC. Mit ihren
fachübergreifenden Arbeiten in der
Kategorie „Cross-Field“ haben sie
laut Clarivate starken Einfluss auf
mehrere wissenschaftliche Gebiete.
LINK
https://clarivate.com/highly-citedresearchers
46 4/2024
NASA - https://www.esa.int/ESA_Multimedia/Images/
Die Magnetosphäre
des
Planeten schirmt
die Erdoberfläche
von den geladenen
Partikeln des
Sonnenwindes ab
(nicht maßstabsgetreue,
illustrierende
Darstellung).
ERC Synergy Grant
Auswirkungen von Magnetfeldvariationen auf unseren Lebensraum
Ein internationales Forschungsteam
mit BOKU-Beteiligung untersucht,
wie Umpolungen des Erdmagnetfelds
die chemische Zusammensetzung
der Erdatmosphäre beeinflussen
und welche möglichen Folgen
sich daraus ergeben.
Das Erdmagnetfeld wirkt als schützender
Schild unseres Planeten und
bewahrt ihn vor den Einflüssen des
Sonnenwindes und der kosmischen
Strahlung, die das sogenannte Weltraumwetter
bestimmen und mit der
Erdatmosphäre in Wechselwirkung
treten können. Im Verlauf der Erdgeschichte
kam es wiederholt zu Umpolungen
des Magnetfelds. Solche
extremen Veränderungen gehen mit
einer drastischen Abschwächung der
Magnetfeldstärke und einer komplexeren
Feldgeometrie einher. Dadurch
verliert das Magnetfeld temporär
deutlich an Schutzwirkung für die
Erde. Die Auswirkungen auf die
Erdatmosphäre sowie die Konsequenzen
für Umwelt und Klima sind
bisher nur teilweise erforscht.
Das ERC Synergy-Projekt GERAC-
LE zielt darauf ab, diese Wissenslücke
zu schließen, indem es das
gesamte System Sonne–Erde
holistisch betrachtet. Im Fokus
steht, wie sich die physikalischen
und chemischen Prozesse unter
veränderten Magnetfeldbedingungen
sowie bei unterschiedlicher
Sonnenaktivität und klimatischen
Verhältnissen verhalten und
gegenseitig beeinflussen.
Das Team der BOKU unter der Leitung
von Harald Rieder vom Institut
für Meteorologie und Klimatologie
bringt in das interdisziplinäre
Projekt seine Expertise in der
Erdsystemmodellierung, Atmosphärenchemie
und Klimadynamik
ein. „Der Synergy Grant ermöglicht
uns, die Auswirkungen von Umpolungen
des Erdmagnetfelds auf
die chemische Zusammensetzung
der Atmosphäre und damit verbundene
Veränderungen im Strahlungshaushalt,
in atmosphärischen
Transportprozessen bis hin
zum Regionalklima zu untersuchen.
Wir erwarten detaillierte Einblicke
in vergangene Umweltbedingungen
und wollen auf dieser Grundlage
auch die möglichen Folgen künftiger
Magnetfeldveränderungen besser
abschätzen“, erklärt Harald Rieder.
Um seine Ziele zu erreichen, vereint
das Synergy-Projekt die Expertise
von Wissenschaftler*innen aus
vier europäischen Forschungseinrichtungen:
dem Deutschen Geo-
ForschungsZentrum in Potsdam
(Projektleiterin Monika Korte), der
Universität Helsinki (Projektleiterin
Emilia Kilpua), der Universität Oulu
(Projektleiter Ilya Usoskin) und der
BOKU University in Wien (Projektleiter
Harald Rieder). Insgesamt stehen
Fördermittel in Höhe von rund
10 Millionen Euro zur Verfügung, um
die Forschungsarbeit des internationalen
Teams aus über 20 Wissenschaftler*innen
zu unterstützen.
4/2024
47
48 4/2024
Tropentag 2024
Internationale Konferenz zu Klimakrise,
Hunger und Armutsbekämpfung an der BOKU
Von Julia Männle, Andreas Bauer und Andi Melcher
Unter dem Motto „Explore opportunities
... for managing natural
resources and a better life for all“
fand vom 10. bis 13. September 2024
eine der bedeutendsten internationalen
Konferenzen in Europa zu den
Themen globale Klimakrise sowie
Hunger- und Armutsbekämpfung an
der BOKU statt. Rund 900 Teilnehmer*innen
aus 80 Nationen und von
350 Institutionen besuchten die Veranstaltung
vor Ort und auch online,
um über diese aktuellen und drängenden
globalen Herausforderungen
in 70 Sessions und 30 Workshops zu
diskutieren. Organisiert wurde die
Konferenz, die bereits 2016 an der
BOKU stattfand, vom Institut und
dem Cluster für Entwicklungsforschung
(IDR und CDR) und dem Rat
für Tropen- und Subtropenforschung
(ATSAF e.V.) in Deutschland. Das
CDR und darüber hinaus das IDR
setzen sich bereits seit über 15 Jahren
für die Entwicklung resilienter
und nachhaltiger Lösungen in den
Tropen und Subtropen ein. Andreas
Melcher vom IDR/CDR und Organisator
des Tropentags 2024 beschreibt
diese Arbeit wie folgt: „Wir arbeiten
eng mit Akteur*innen aus Wissenschaft,
Praxis, Zivilgesellschaft,
Politik und Wirtschaft zusammen,
um Strategien zu entwickeln, die
globale Ungleichheiten reduzieren
und sozial-ökologischen Krisen resilient
begegnen.“
Impulsreferate und
Scientific Sessions
Im Vordergrund der 30 Oral und 40
Poster Sessions stand der dringend
erforderliche Wandel von Ernährungs-
und Agrarsystemen im ländlichen
Raum. Nachhaltige und ökologische
Bewirtschaftung waren daher
ebenso Thema wie der Schutz natürlicher
Ressourcen und die Förderung
gerechterer Wertschöpfungsketten
– ein Aspekt, den auch Klimaschutzministerin
Leonore Gewessler in
ihren Grußworten betonte.
Anja Gassner, Europa-Direktorin des
CIFOR-ICRAF, hob in ihrer Keynote-
Rede zudem die zentrale Bedeutung
von Wäldern und Böden im Klimaschutz
hervor. Sie verdeutlichte,
dass gesunde Ökosysteme einen
wesentlichen Beitrag zur CO 2
-Bindung
und zur Stärkung der Biodiversität
leisten. Die Notwendigkeit einer
besseren Kommunikation zwischen
Wissenschaft, Politik und Gesellschaft
wurde besonders hervorgehoben.
Jennie Barron von der SLU
in Schweden unterstrich dies und
zeigte anhand von Fallstudien, wie
die landwirtschaftliche Produktion
auf nachhaltige Weise intensiviert
werden kann.
Johanna Jacobi von der ETH Zürich
kritisierte in ihrem Vortrag das
anhaltende Wachstumsparadigma,
welches Überkonsum und die Priorisierung
von Luxusbedürfnissen fördert.
Jacobi forderte einen Paradigmenwechsel
in den Agrarsystemen
hin zu Suffizienz und Fürsorge und
hob die zentrale Rolle der Agrarökologie
hervor, um die Regeneration
von Böden und die Autonomie der
Landwirt*innen zu fördern. Johannes
Waldmüller von der Universität
Wien forderte ein Umdenken in
Bezug auf Nachhaltigkeitsansätze
im globalen Süden. Er hob indigene
Konzepte wie „sustainability
from below“ hervor und betonte die
Notwendigkeit einer tiefen, gemeinschaftsorientierten
Transformation.
Lerato Thakholi von der Wageningen
University thematisierte in ihrem
4/2024
49
Die Teilnehmenden
aus aller Welt
diskutierten mit.
Andreas Melcher
und Julia Männle
(beide Institut
und Cluster für
Entwicklungsforschung)
mit
Katharina Gugerell
vom Institut für
Landschaftsplanung
und Cluster
für Entwicklungsforschung.
Workshops
rundeten den
Tropentag 2024
an der BOKU ab.
Teilnehmerinnen
im Ilse-Wallentin-
Haus.
spannenden Vortrag die Wechselwirkungen
von Arbeitsbedingungen
und Naturschutz in Südafrika. Sie
hinterfragte, ob der Biodiversitätsschutz
tatsächlich zu einem besseren
Leben beiträgt oder bestehende
Ungleichheiten verstärkt. Ihre
Analyse beleuchtete die Komplexität
des Naturschutzes und die oft benachteiligte
Rolle der Arbeiter*innen.
Nzula Kitaka von der Egerton
University referierte darüber hinaus
über die Notwendigkeit klarer Ziele
und Rollenverteilungen und über
erfolgreiche wissenschaftliche Netzwerke
als Modelle zur Bewältigung
von Krisen.
Side Events und Workshops
Die insgesamt mehr als 500 wissenschaftlichen
Vorträge wurden von
über 30 Side Events und Workshops
umrahmt. Unter anderem diskutierten
Wissenschaftler*innen der
ÖFSE und der BOKU, Vertreter*innen
des BMEIA, des OEAD und der
Außenwirtschaft Österreichs über
Strategien zur Umsetzung der SDGs.
Von der Politik und den Universitäten
wird auch in Zukunft eine noch
engere Zusammenarbeit mittels
globaler Partnerschaften auf Augenhöhe
erwartet, wie sich diese
beispielsweise in den Projekten
UniNetz oder AfricaUniNet widerspiegelt
(weiterführende Infos siehe
unten).
In einem weiteren Workshop und
in Kooperation zwischen der Maasai
International Solidarity Alliance
(MISA), dem Institut für Entwicklungsforschung
(IDR) BOKU, ADA,
Welthaus Graz und der Coventry
University (UK) wurde die Situation
der Massai in Tansania thematisiert.
Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher
Organisationen, Aktivist*innen
und Forscher*innen beleuchteten
kritisch die Landvertreibung und
Menschenrechtsverletzungen, die
im Zusammenhang mit neoliberalen
Naturschutzansätzen stehen. Diese
Art des „abgeriegelten Naturschutzes“
schließt die lokale Bevölkerung,
Fotos: Christoph Gruber/BOKU University
50 4/2024
Tropentag 2024 – teilnehmende Länder
im vorliegenden Beispiel die Massai, komplett aus und
stellt sie als Bedrohung für die Natur dar. Dekoloniale
Alternativen fördern dagegen inklusive, gerechte und
gemeinschaftsorientierte Lösungen.
Neben dem Pastoralism Film Festival und dem schon
traditionellen Fotowettbewerb fand in Kooperation mit
internationalen Künstler*innen, der ADA, dem OEAD
und IDR/CDR die Veranstaltung „Art in Science“ statt.
Giovanna Chavez-Miguel und ihr Team luden die Teilnehmer*innen
ein, in interaktiven Ausstellungen, Workshops
und einem Agrarökologie-Filmfestival die Verbindung
und möglichen Synergien von Kunst und Wissenschaft
zu erkunden und hervorzuheben. Dabei wurde deutlich,
welches Potenzial die Kunst hat, die Kluft zwischen verschiedenen
Wissensformen zu überbrücken.
Nachhaltige Lösungen für
globale Herausforderungen
Der Tropentag 2024 hat einmal mehr verdeutlicht, wie
wichtig trans- und interdisziplinäre Zusammenarbeit
und innovative Ansätze zur Bewältigung globaler Herausforderungen
und Krisen sind. Die Erkenntnisse und Diskussionen
der Konferenz werden als wertvolle Grundlage
für zukünftig dringende Strategien und Lösungsansätze
dienen. Teile der Veranstaltung werden demnächst auf
dem BOKU YouTube-Channel verfügbar sein. Wir bedanken
uns auf diesem Weg ganz besonders beim Rektorat
sowie bei unzähligen BOKU-Kolleg*innen und Sponsor*innen
für die Unterstützung zum Tropentag 2024.
Über den Tropentag
Die jährliche interdisziplinäre Konferenz zur Forschung
in tropischer und subtropischer Landwirtschaft,
Management natürlicher Ressourcen und ländlicher
Entwicklung (TROPENTAG) wird gemeinsam von den
Universitäten Berlin, Bonn, Göttingen, Hohenheim,
Kassel-Witzenhausen, ZALF e. V. (alle Deutschland), der
Universität Gent (Belgien), der Czech University of Life
Sciences Prague (Tschechische Republik), der BOKU
Wien (Österreich) und dem Rat für Tropen- und Subtropenforschung
(ATSAF e. V.) in Kooperation mit dem
GIZ-Fonds Internationale Agrarforschung (FIA) veranstaltet.
LINKS
www.tropentag.de
www.uninetz.at
https://africa-uninet.at/en
Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung
www.oefse.at
www.atsaf.org
Giovanna Chavez Miguel – ART IN SCIENCE
https://giochavez.art/art-in-science
Die Autor*innen forschen am Institut und dem Cluster für
Entwicklungsforschung an der BOKU.
4/2024
51
Der BOKU-Nachhaltigkeitsbericht
2023 jetzt im neuen BOKU-Design
Von Antonia Staudacher und Roxane Seiwald
Bereits zum fünften Mal
in Folge veröffentlicht
die BOKU University
– als bisher einzige
österreichische
Universität – einen
nach GRI-Standards
extern geprüften
Nachhaltigkeitsbericht.
Heuer erscheint
dieser erstmals im
neuen BOKU-Design
und mit Fokus auf
Barrierefreiheit.
Auf 209 Seiten trägt der BOKU-
Nachhaltigkeitsbericht 2023 die
umfangreichen Nachhaltigkeitsaktivitäten
der BOKU zusammen. Nachdem
2023 ein vollkommen uneingeschränkter
Universitätsbetrieb nach
der Covid-Pandemie wieder möglich
war, schreibt Rektorin Eva Schulev-
Steindl im Vorwort des Berichts:
„Angesichts der großen Herausforderungen
unserer Gesellschaft, wie
die immer sichtbarer werdenden
Folgen des Klimawandels sowie soziale
und ökonomische Verwerfungen,
dürfen wir nicht mehr dorthin
zurück, wo wir vor der Pandemie
standen.“ Der Nachhaltigkeitsbericht
dient in diesem Sinne als Tool, um
die BOKU-Nachhaltigkeitsbestrebungen
zu messen und zu gewährleisten,
dass die angestrebten Ziele
tatsächlich erreicht werden.
Entlang der sechs Berichtsbereiche
(1) Lehre und Studium, (2) Forschung,
(3) Gesellschaftliche Wirksamkeit,
(4) Betrieb und Campus
Management, (5) Organisationskultur
und (6) Governance wird im
Nachhaltigkeitsbericht über Fortschritte
und Aktivitäten berichtet.
Standards und
externe Prüfung
Wer sich schon einmal mit Nachhaltigkeitsberichterstattung
auseinandergesetzt
hat, ist vermutlich auch
über die Global Reporting Initiative
(kurz: GRI) gestolpert. Die von der
GRI entwickelten Sustainability Reporting
Guidelines sind international
anerkannte Standards für Nachhaltigkeitsberichterstattung.
Seit 2019
berichtet die BOKU gemäß GRI über
ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten und
unterzieht sich jährlich einer externen
Prüfung.
Im Jahr 2023 haben EU-weite Änderungen
zu erheblichen Neuerungen
geführt. Die Corporate Sustainability
Reporting Directive (CSRD) und
die dazugehörigen europäischen
Sustainability Reporting Standards
(ESRS) erweitern den Umfang und
die Pflichten der Berichterstattung
erheblich. Weitaus mehr Unternehmen
sind nun durch die CSRD
verpflichtet, nach den ESRS zu
berichten und ihre Berichte extern
prüfen zu lassen. Für einige Organisationen,
wie Universitäten, bleibt
die Berichterstattung jedoch vorerst
freiwillig. Wie die BOKU auf die
neuen Standards reagieren wird, ist
derzeit Gegenstand interner Diskussion.
Feststeht jedenfalls, dass sie
als Pionierin in der österreichischen
Hochschullandschaft die Nachhaltigkeitsberichterstattung
auf hohem
Niveau weiterführen wird.
Die Prioritäten im Blick
Um die wesentlichen Berichtsthemen
zu identifizieren, hat die BOKU
2024 eine neue Wesentlichkeitsanalyse
durchgeführt, die auf einer
Stakeholderbefragung sowie Workshops
mit Expert*innen der BOKU
basierte. Eine Wesentlichkeitsanalyse
ist grundlegender Baustein eines
transparenten Nachhaltigkeitsberichts.
An dieser Stelle sei das hohe
Engagement der BOKU-Angehörigen,
Nachhaltigkeitsbestrebungen mitzutragen
und an der Entwicklung
Fotos: Christoph Gruber/BOKU University
52 4/2024
motiviert teilzunehmen, positiv
hervorzuheben. Das ist der gelebte
BOKU-Spirit, der die BOKU zu
einer „Universität der Nachhaltigkeit“
macht. Im Zuge des Prozesses
konnten sieben wesentliche
Themen im Nachhaltigkeitskontext
identifiziert werden. Diese Themen
und weitere Infos zur Wesentlichkeitsanalyse
finden Sie im Bericht
ab der Seite 26.
So steht es um die BOKU-
Treibhausgas-Emissionen
Wie jedes Jahr zog die BOKU Bilanz
über ihre Treibhausgas-Emissionen
– mit dem Ziel vor Augen, zwei
Drittel der Emissionen bis 2030 (Basisjahr
2019) einzusparen. Die vorläufig
berechneten Emissionen für
2023 konnten im Vergleich zu 2019
um 57 Prozent reduzieren werden.
Neben einem großflächigen Umstieg
auf UZ46-zertifizierten Strom
im Jahr 2021, haben im Bereich des
Energieeinsatzes auch Maßnahmen
zur Betriebsoptimierung, Bewusstseinsbildung
und Verhaltensänderungen
der BOKU-Angehörigen
Wirkung gezeigt. Im Bereich der
Dienstreisen hat sich der Trend vom
Flugzeug hin zur Schiene, der sich
bereits im Vorjahr abgezeichnet hat,
weiter verfestigt und Emissionen
reduziert. Die BOKU ist auf einem
guten Weg in Richtung Klimaneutralität.
Umso wichtiger ist es, jetzt
kontinuierlich und entschlossen
weiterzuarbeiten – denn jede Tonne
zählt. Mehr dazu im Bericht ab
Seite 111.
Ausblick
Mit den Schlussworten „Es freut
mich, jeden Tag mit fast 3.000
BOKU-Mitarbeitenden und über
10.000 Studierenden gemeinsam an
einer nachhaltigen Zukunft zu arbeiten“
bedankt sich die Rektorin für
Ihren Einsatz und Ihr Mitwirken an
dieser gemeinsamen Vision.
Wir freuen uns, im nächsten BOKU-
Nachhaltigkeitsbericht über weitere
Fortschritte zu berichten!
Sie sind neugierig geworden? Machen
Sie sich selbst ein Bild. Jetzt
zum Download und als Flipbook
verfügbar unter:
https://short.boku.ac.at/nh-bericht2023
Demnächst auch in gedruckter Form in Ihrem
Department
Die Autorinnen sind am Zentrum für Globalen
Wandel & Nachhaltigkeit der BOKU
tätig.
4/2024
53
→ Didaktik
Leitbild Lehren und Lernen
an der BOKU University
Gemeinsam in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft
Dieses Leitbild verdeutlicht den Anspruch der BOKU University an das Lehren
und Lernen und soll für Lehrende und Studierende bewusstseinsbildend und
handlungsleitend sein.
Die BOKU University bekennt sich
zur exzellenten Lehre, zur Förderung
der Persönlichkeitsentwicklung und
zur Chancengleichheit. Wir – Lehrende
und Lernende – gestalten
gemeinsam die Lehre der Zukunft an
der BOKU University.
GANZHEITLICH – VERANT-
WORTUNGSBEWUSST –
ZUKUNFTSORIENTIERT
Die BOKU University begreift Bildung
als lebensbegleitenden Prozess und
ermöglicht den Erwerb und Ausbau
von Wissen und Kompetenzen in
allen Lebensphasen. Wir stehen für
die Übernahme von Verantwortung
und die Bereitschaft zur Partizipation
und Mitgestaltung der nachhaltigen
gesellschaftlichen Transformation.
Durch ganzheitliches Lehren und
Lernen fördern wir systemisches,
kritisches, erkenntnis- wie auch
wertorientiertes sowie verantwortungsvolles
Denken und Handeln.
Wir befähigen Studierende dazu,
ökologische, ökonomische, technische
und soziale Folgen von Handlungen
abzuschätzen, nachhaltige
Lösungen zu entwickeln und bei
deren Umsetzung mitzuwirken. Wir
stärken Studierende in ihrer Problemlösungs-
und Gestaltungskompetenz,
im Umgang mit Komplexität
und Risiken sowie im Aufbau von
Empathie und Resilienz.
FORSCHUNGSGELEITET –
INTERDISZIPLINÄR –
TRANSDISZIPLINÄR
Mit dem 3-Säulen-Prinzip der BOKU
University finden Ingenieurwissenschaften,
Naturwissenschaften
sowie Wirtschafts-, Sozial- und
Rechtswissenschaften in einem
Fotos: Christoph Gruber/BOKU University
54 4/2024
ausgewogenen Verhältnis Einzug in
alle Curricula. Mit forschungsgeleiteter
Lehre stellen wir sicher, dass
unsere Lehrinhalte aktuell sind und
fördern das Streben nach Wissen.
Durch die Auseinandersetzung mit
den neuesten wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Diskursen sowie
durch die Einbindung in aktuelle
Forschungsaktivitäten machen wir
Forschung früh erlebbar. Wir schärfen
bei unseren Studierenden das
Bewusstsein für den Nutzen von
Kompetenzen aus verschiedenen
Fachdisziplinen sowie aus allen
Bereichen der Gesellschaft und
stärken die Fähigkeit zu kollaborativem
Arbeiten. So führen wir unsere
Studierenden schrittweise an das
eigenständige Forschen heran und
vermitteln ihnen die Standards guter
wissenschaftlicher Praxis sowie wissenschaftsethische
Prinzipien.
KOOPERATIV – INNOVATIV –
STUDIERENDENZENTRIERT
Wir bekennen uns zu einer Lehrund
Lernkultur, in der ein wertschätzender
und konstruktiver
Umgang sowie eine positive Fehler-
und Feedbackkultur gepflegt
werden. Wir gestalten Lehre als
kooperativen Prozess, bei dem die
Studierenden im Zentrum stehen.
Wir bauen dabei auf ein hohes Maß
an Neugier, Motivation und Selbstverantwortung.
Unsere Studierenden
sind zielstrebig und sehen ihr
Studium als wertvolle Chance. Unsere
Lehrenden sind offen für Veränderungen
und fördern die Selbstwirksamkeit
und Kompetenzen der
Studierenden. Sie stimmen ihre
Lehr- und Prüfungsmethoden auf
kompetenzorientierte Lernergebnisse
ab. Dabei achten sie auf eine
korrekte Bemessung des studentischen
Arbeitsaufwandes und darauf,
sämtliche Leistungsanforderungen
transparent darzustellen. Sie setzen
Methoden ein, die zu einer intensiven
Auseinandersetzung, Diskussion
und Reflexion anregen. Wir geben
bewährten didaktischen Methoden
sowie innovativen, digitalen und
experimentellen Lehr- und Lernsettings
Raum.
„Die Universität der Zukunft, als
Ort des Lehrens und Lernens,
setzt auf qualitativ hochwertige
Lehre als eine wichtige Schlüsselkompetenz
einer Bildungseinrichtung.
Mit dem neuen Leitbild
Lehre definiert die BOKU University
grundlegende und zukunftsweisende
Leitsätze für Lehre und
Studium, die sicherstellen, dass
die Bildungsangebote der BOKU
höchsten Qualitätsstandards
entsprechen und die Studierenden
optimal auf ihre berufliche
Zukunft vorbereitet werden.“
Assoc. Prof. in DI in Dr. in Doris
Damyanovic, Vizerektorin für Lehre,
Weiterbildung und Studierende
4/2024
55
„Angesichts sich stetig verändernder
Rahmenbedingungen ist
es uns wichtig, das Leitbild für
Lehren und Lernen regelmäßig zu
überprüfen und sicherzustellen,
dass es relevant, ansprechend
und pointiert bleibt. Das Leitbild
soll uns – Lehrenden wie Lernenden
– als Kompass dienen. Es
weist uns bereits mit den Überschriften
in die Richtung, in die
wir uns bewegen möchten. Es
definiert Werte, Ziele und Methoden
für den Bildungsprozess an
der BOKU und unterstreicht die
Bedeutung universitärer Bildung,
die nicht nur Wissen vermittelt,
sondern auch kritisches Denken,
Kreativität und (Eigen)Verantwortung
fördert, Neugierde weckt und
individuelle Potenziale zur Entfaltung
bringt. Es erinnert uns daran,
dass wir nur durch eine Beziehung
zwischen Lehrenden und Lernenden,
die auf gegenseitigem Respekt
und Vertrauen basiert, unser
vielleicht wichtigstes Ziel erreichen
können: inspirierende und
inklusive Lernräume zu schaffen,
die den Herausforderungen der
Zukunft gerecht werden.“
Assoc. Prof. Dipl.-Ing. Dr.
Roland Ludwig, Senatsvorsitzender
INDIVIDUELL – INTERNATIONAL
– QUALITÄTSVOLL
Die Diversität unserer Universitätsangehörigen
verstehen wir als Bereicherung,
ein diskriminierungs- und
vorurteilsfreies Lehren und Lernen
als Selbstverständlichkeit. Wir
berücksichtigen unterschiedliche
Lebens- und Studienrealitäten und
erarbeiten passende Strategien und
Unterstützungsangebote.
Wir legen Wert auf interkulturellen
Austausch, schaffen ein einladendes
und attraktives Umfeld für Gastlehrende
und Studierende aus dem
Ausland und fördern traditionelle
wie innovative Mobilitätsformate.
Unsere Studien lassen Freiräume für
individuelle Interessen, Begabungen,
berufliche Perspektiven wie auch für
Persönlichkeitsentwicklung und den
Erwerb von interkulturellen Kompetenzen.
Die inhaltliche, didaktische
und organisatorische Weiterentwicklung
der Lehre verstehen
wir als fortwährenden Prozess, der
unter Einbindung aller relevanten
Akteur*innen, darunter insbesondere
der Studierenden, erfolgt. Wir
schaffen dafür entsprechende Diskussions-
und Reflexionsräume und
ermöglichen so eine bedarfsorientierte
Anpassung der Lehre.
„Das Leitbild Lehren und Lernen
ist auch für uns Studierende
von großer Bedeutung, denn es
leistet einen wertvollen Beitrag
zur Zugehörigkeit an der eigenen
Universität. Das neue Leitbild ist
unter anderem ansprechend für
uns Studierende, da der Fokus
nicht lediglich auf Lern- und
Ausbildungsziele gelegt wird,
sondern auch auf die sozialen
Aspekte, welche die BOKU so
besonders machen (beispielhaft
dafür der BOKU-Spirit). Allerdings
sollte dabei auch nicht auf die
unterschiedlichen Lebensrealitäten
der Studierenden vergessen
werden (wie Studieren mit Kind,
Studieren und Arbeit etc.).
Wir als ÖH BOKU sehen die
Wichtigkeit der Kernthemen der
BOKU University, die in diesem
Leitbild beschrieben werden.
Ihre Realisierung ist essenziell im
Studienalltag und auch für die
Rolle der nachfolgenden Generationen,
die durch die BOKU
University mit den aktuellsten
Forschungs- und Lehrergebnissen
vorbereitet werden.“
Vorsitz ÖH BOKU
Durch ganzheitliches
Lehren und Lernen
fördern wir systemisches,
kritisches,
erkenntnis- wie auch
wertorientiertes sowie
verantwortungsvolles
Denken und Handeln.
BOKU-Leitbild
Lehren und Lernen
56 4/2024
→ Didaktik
Wie könnte der Campus Türkenschanze künftig gestaltet werden? Hier zwei Vorschläge von Studierenden, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung
entstanden sind. (Entwurf oben: Krampl/Fritz/Vraspirova; unten: Praiczer/Genova/Lenzewski)
Sonderwürdigung Ars Docendi „Staatspreis Lehre“
Ideenbörse Plan Your BOKU!
Von Tatjana Fischer, Roman Smutny, Karolina Taczanowska, Roland Wück, Alexandra Strauss-Sieberth und Verena Vlajo
Beim heurigen Staatspreis für Lehre
„Ars Docendi“ konnte die BOKU
unter 171 Einreichungen zum vierten
Mal in Folge eine Auszeichnung erhalten.
Diesmal wurde die Kooperative
und interdisziplinäre Lehrinitiative
IDEENBÖRSE „Plan your BOKU!“
mit der Ars Docendi-Sonderwürdigung
für institutionelle Lehrentwicklung
gewürdigt.
Von einer inspirierenden
Idee zur Realität
Ein moderner Campus mit inspirierenden
Lern- und Lehrumgebungen
ist ein zentrales Merkmal von
Topuniversitäten, durch welches
die Authentizität auch nach außen
sichtbar wird. Entsprechend gestaltete
Innen- und Außenräume
sollen nicht nur den interaktiven
Austausch sowie kollaboratives
Lernen unterstützen, sondern auch
die interdisziplinäre Kommunikation
von Studierenden und Lehrenden
fördern und hinreichend Gelegenheiten
zum fachlichen Austausch
zwischen Lehrenden bieten. Ziel
dabei ist unter anderen, dass die
Studierenden vom akademischen
4/2024
57
Sebastian Judtmann/BMBWF
Die Preisträger*innen der BOKU (v. l.): Gernot Stöglehner, Erwin Frohmann, Christiane Brandenburg, Karolina Taczanowska, Tatjana Fischer,
GS Martin Netzer, Roland Wück, Roman Smutny, Felix-Nikolaus Kontrus und Joel Profe.
Spirit bestmöglich profitieren.
Für die Weiterentwicklung eines
bestehenden Universitätsgeländes,
das dieses Ziel erfüllen soll, eignet
sich ein Zugang besonders – jener
des „Living Lab“. Versteht man ein
„Living Lab“ als partizipativ angelegten
Prozess in der Projektplanung,
so sind die Bedürfnisse aller Nutzer*innen
des (zukünftigen) Campus,
sprich Studierende, Lehrende,
Forschende sowie administratives
Personal, hinreichend zu berücksichtigen.
Dies soll dadurch gelingen,
indem alle Nutzer*innen aktiv
über das Ansinnen informiert und
gezielt zur Mitwirkung an der Ideenfindung
und Konzeptentwicklung
eingeladen werden.
Diesen Zugang hat die BOKU gewählt,
als es im Jahr 2022 darum
ging, konkrete Vorstellungen für eine
geplante Weiterentwicklung des
Standorts Türkenschanze zu entwickeln.
Es wurde die Idee geboren,
dieses Vorhaben als „Fallbeispiel“ in
die universitäre Lehre zu integrieren
und für die Studierenden die Komplexität
der Projektplanung erlebbar
zu machen.
So entstand die kooperative und interdisziplinäre
Lehrinitiative IDEEN-
BÖRSE „Plan your BOKU!“. Gemäß
dem Motto „Gemeinsam lernen, gemeinsam
Ideen entwickeln, gemeinsam
Zukunft gestalten“ entwickelten
die Studierenden gemeinsam
mit den Lehrveranstaltungs-Leiter*innen
und unter Einbindung des
technisch-administrativen Personals
in verschiedenen Lehrveranstaltungen
mittels der Methode des kooperativen
Lernens Campuskonzepte
und -modelle. Der inhaltliche Bogen
der Lehrveranstaltungen spannte
sich von der Stadt(teil)planung und
-entwicklung über den Naturschutz,
die Landschaftsplanung und konzeptbasierte
Landschaftsarchitektur
bis hin zu nachhaltiger Mobilität und
zu nachhaltigem Bauen. Die Ergebnisse
aus den Beteiligungsprozessen
wurden mittels geografischer Informationssysteme
veranschaulicht.
In diese Lehrinitiative waren 14
Lehrende aus zwei Departments, 82
Studierende und vier Vertreter*innen
des BOKU-Facility Managements
eingebunden. Sie umfasste
sieben Lehrveranstaltungen, die den
didaktischen Prinzipien des kooperativen
und projektbasierten Lernens
folgten und in Master-Studienplänen
verankert sind. Die Initiative
bestand aus zwei aufeinander aufbauenden
interdisziplinären Bearbeitungsphasen,
die die Betrachtung
des Campus-Geländes aus strategisch-planerischer
und objektplanerischer
Perspektive vorsahen.
Daran orientierte sich sowohl die
chronologische Abfolge der Lehrveranstaltungen
als auch die Definition
der inhaltlichen Schnittstellen der
Lehrveranstaltungen zueinander.
58 4/2024
Würdigung der Jury
„Wenn eine gesamte Hochschule
– Studierende und Lehrende, administratives
Personal und Hochschulleitung
– gemeinsam daran arbeitet,
die Lernumgebungen ihres eigenen
Campus neu zu denken und zu verbessern,
ist das etwas Besonderes.
Die BOKU University hat mit ihrer
ausgezeichneten Lehrinitiative „Plan
your BOKU“ gezeigt, wie ein solches
Projekt Teil des Lern- und Lehrprozesses
werden kann […] und wird
in diesem Jahr mit einer Sonderwürdigung des Ars Docendi-
Staatspreises für exzellente Lehre geehrt. Die Jury zeigte sich
beeindruckt von der Art und Weise, wie die Konzeption universitärer
Lehr- und Lernumgebungen neu gedacht wurde, und
auch davon, wie die gemeinsame Arbeit als lebhaftes Labor für
kreativen und interdisziplinären Austausch zwischen allen
Beteiligten genutzt wurde.“
Die Beteiligten in
alphabetischer Reihenfolge:
Prof. in DI in Dr. in
Christiane Brandenburg,
PD. in Dr. in Tatjana Fischer,
Prof. Dr. Erwin Frohmann,
Prof. in Dr. in Astrid Gühnemann,
Lukas Hartwig, MA,
DI. in Ann Barbara Keßler,
Felix-Nikolaus Kontrus,
Dr. Harald Kutzenberger,
DI. in Pia Minixhofer,
Joel Profe,
Em. O. Prof. in Dr. in Gerda Schneider,
DI Roman Smutny,
Prof. in Dr. in Rosemarie Stangl,
Prof. Dr. Gernot Stöglehner,
Prof. Dr. Yusak Susilo,
PD in Dr. in Karolina Taczanowska,
Dr. Oliver Weiss,
DI Roland Wück
Statements von Beteiligten
Gernot Stöglehner:
Wie fühlt man sich, wenn man eine
Idee so erfolgreich umgesetzt hat,
dass einem der Staatspreis Ars
Docendi zuerkannt wird?
Sehr gut. Für mich war das der
Testlauf für die Modularisierung in
den neuen Studienplänen. Diese
Modularisierung steht für eine
stärker institutsübergreifend vernetzte
Lehre. Durch die Initiative
„Plan your BOKU!“, in der wir eine
Serie von Lehrveranstaltungen über
sechs Institute und 17 Lehrende
plus Facility Management gemeinsam
unter einem Generalthema
ausgerichtet haben, konnten wir
erarbeiten und zeigen, dass interdisziplinäre
und institutsübergreifende
Lehre nicht nur machbar ist,
sondern auch bessere Lernergebnisse
der Studierenden erzielt und
für die Lehrenden mehr Freude am
Unterricht bedeuten kann. Dass
dieses interdisziplinäre Lehrprojekt
mit dem Staatspreis für institutionelle
Lehrentwicklung gewürdigt
wird, ist eine besondere Anerkennung
und Motivation dafür, diesen
begonnenen Weg in der Zukunft
bei der Umsetzung des neuen, ab
Oktober 2025 wirksamen Studienplans
für Landschaftsplanung und
Landschaftsarchitektur mit Freude
und Zuversicht weiterzugehen. Die
neu konzipierten Module werden
für diese Art der Lehre spannende
Arenen bieten.
Christiane Brandenburg:
Was waren die Herausforderungen/
positive Inputs bei diesem Projekt?
Die sehr kurzfristige Integration des
Projekts „Plan you BOKU!“ in die
entsprechenden Lehrveranstaltungen
war eine Herausforderung. Die
Planung von Projektlehrveranstaltungen
hat zum Teil einen längeren
Vorlauf und einige Lehrende waren
sehr gefordert, ihre Themen zu
ändern. Nach einer kurzen Diskussionsphase
im Department war
jedoch offensichtlich, dass die
Lehrenden verschiedener Lehrveranstaltungen
begeistert waren und
mitmachen wollten. Die rasche
Genehmigung des Projekts und die
Zusage einer Unterstützung durch
das Rektorat halfen bei der Umsetzung.
So wurde für zwei Semester
eine Tutor*innenstelle geschaffen.
Eine Genehmigung war notwendig,
da in einigen Lehrveranstaltungen
die Bevölkerung der Umgebung einbezogen
wurde.
Feedback Studierende:
„Plan your BOKU!“ ist eine spannende
Zusammenarbeit und bietet
die Möglichkeit, ein Thema aus sehr
vielen Blickwinkeln zu betrachten.
Freies, unterstütztes Arbeiten mit
erlaubten unterschiedlichen Zugangsweisen..
LINKS
https://short.boku.ac.at/planyourboku
https://gutelehre.at/fileadmin/Heimische_
Exzellenz/Ars_Docendi/2024/Broschuere_Ars_Docendi_2024_BF.pdf
S. 63-65
4/2024
59
→ Didaktik
Eine innovative, praxisnahe
Lehrveranstaltung für qualitativ
hochwertige Lehre
Von Elisabeth G. Weber
Wie können sich künftige Lehrende
praxisnah vorbereiten? Die Lehrveranstaltung
University Didactics for
Doctoral Candidates richtet sich an
Doktorand*innen der BOKU, die ihre
didaktischen Fähigkeiten auf wissenschaftlicher
Grundlage und mit
klarem Praxisbezug erarbeiten und
vertiefen möchten. Sie vermittelt die
wesentlichen Prinzipien des Lehrens
und Lernens und bietet den Teilnehmenden
eine qualitativ hochwertige,
fundierte und nachhaltige Einführung
in die Hochschuldidaktik. Im
Mittelpunkt steht dabei die praxisnahe
Vorbereitung auf die eigene
zukünftige Lehrtätigkeit, angeleitet
durch innovative und interaktive Online-Elemente.
Diese LVA, die mit einem systematisch
strukturierten Konzept auf
der Plattform BOKUlearn aufgebaut
ist, ermöglicht ein selbstgesteuertes,
ortsunabhängiges Lernen. Sie
greift auf vielfältige didaktische
Elemente zurück, um den Bedürfnissen
der Teilnehmenden gerecht
zu werden und eine flexible Integration
in den vollgepackten Alltag von
Doktorand*innen zu gewährleisten.
Die Inhalte sind klar strukturiert
und werden stufenweise über das
Semester hinweg freigeschaltet.
Dies unterstützt eine kontinuierliche
Auseinandersetzung und bietet
Studierenden eine klare Orientierung.
Der Aufbau fördert und fordert
selbstorganisiertes Lernen, bietet
aber zugleich genügend Anleitung
und Struktur für den Lernerfolg.
Ein besonderer Fokus der LVA liegt
auf aktivem und kooperativem Lernen.
Die Studierenden erhalten in
den zahlreichen Aufgaben und Reflexionsphasen
die Gelegenheit, ihre
eigenen didaktischen Überlegungen
zu entwickeln, zu überprüfen und
mit anderen in einen fruchtbaren
Austausch zu treten. Regelmäßige
Forendiskussionen und interaktive
Lernformate regen zur Reflexion an
und fördern einen kontinuierlichen
Diskurs über didaktische Fragestellungen.
Die fortlaufende Leistungsbeurteilung
und kontinuierliche, hochwertige
Rückmeldung sind zentrale
Aspekte des didaktischen Konzepts.
Diese offene Feedbackkultur unterstützt
die Studierenden dabei, ihre
Kompetenzen kontinuierlich zu erweitern
und die eigene Perspektive
kritisch zu reflektieren.
Gamification-Elemente sind ebenfalls
in das Konzept integriert, um
60 4/2024
Regelmäßige Forendiskussionen
und interaktive Lernformate
regen zur Reflexion an und fördern
einen kontinuierlichen Diskurs
über didaktische Fragestellungen.
die Studierenden für Engagement
und Leistungsbereitschaft zu belohnen
und ihre Motivation zu fördern.
Darüber hinaus sind die Lernressourcen
dieser LVA besonders vielseitig
und ansprechend gestaltet.
Die Kombination aus Videos, Aufgaben
und interaktiven Modulen gewährleistet
ein abwechslungsreiches
Lernerlebnis und deckt unterschiedliche
Lernbedürfnisse ab.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der
kollegiale Austausch, der durch die
freiwilligen Collegial Exchanges und
den Einsatz von Gastreferent*innen
gefördert wird. Dies ermöglicht den
Studierenden, verschiedene Unterstützungsressourcen
der Universität
für Lehrende kennenzulernen. All
das trägt nicht nur zur persönlichen
Entwicklung der Studierenden bei,
sondern fördert auch eine Gemeinschaft
von angehenden Lehrenden,
die sich gegenseitig unterstützen
und voneinander lernen.
Aktuell ist die LVA für den Manfred
Schwanninger Preis 2024 nominiert
– und zwar durch Studierende
selbst, was die hohe Qualität und
die positive Resonanz der Teilnehmenden
unterstreichen. Diese LVA
steht für eine zeitgemäße und praxisnahe
didaktische Ausbildung, die
Studierenden das Handwerkszeug
bietet, um ihre eigene Lehre zukünftig
kompetent und professionell zu
gestalten. Als Entwicklerin und Leiterin
der LVA bringe ich meine umfangreiche
Erfahrung als Lehrende
und akademische Hochschuldidaktikerin
ein, um den Teilnehmenden
eine herausragende Lernerfahrung
zu bieten.
University Didactics for Doctoral
Elisabeth G. Weber
Candidates zeigt, wie eine flexible,
online-basierte LVA den hohen
Erwartungen der Studierenden
gerecht werden kann und sich als
wertvoller Beitrag zur didaktischen
Qualifizierung etabliert. Diese LVA ist
dabei nicht nur für die angehenden
Lehrenden von großer Bedeutung,
sondern auch für die Universität
selbst, da sie einen direkten Beitrag
zur Schaffung qualitativ hochwertiger
Lehre leistet.
MMag. a Dr. in Elisabeth G. Weber ist
akademische Hochschuldidaktikerin und
Universitätslektorin an der BOKU
Fotos: Privat, Adobe Stock
4/2024
61
Christoph Gruber | BOKU University
Zukunft
Studieren an der
BOKU im Trend
Von Hanni Schopfhauser
Die Studierendenzahlen
steigen österreichweit
wieder leicht an,
die Studien der BOKU
erfreuen sich besonderer
Beliebtheit – zwei
Jahre in Folge gab es
hier die meisten
Neuzulassungen und
Erstsemestrigen des
Landes.
Vor allem das Interesse an technischen
Studienrichtungen steigt
österreichweit wieder an, wie man
an der Entwicklung der Erstsemestrigenzahlen
ablesen kann. Wenn
noch Themen wie Klima- und Umweltschutz
oder nachhaltige Landund
Forstwirtschaft dazukommen,
wie an der BOKU, ist das Interesse
noch größer: In den letzten beiden
Jahren war die BOKU die Universität
mit den am stärksten steigenden
Neuzugängen beziehungsweise
Erstsemestrigen in Österreich.
Dass die Themen der BOKU University
zukunftsweisend sind, wissen
Kenner*innen der Universität. Das
Besondere hier ist, dass Forschung
und Lehre entlang der gesamten
Wertschöpfungskette betrieben
werden. Die notwendige Interdisziplinarität,
um die großen Zukunftsthemen
behandeln zu können, sind
also zu einem guten Teil bereits „im
Haus“. Die weitere Expertise kommt
über Kooperationen in Österreich,
Europa und weltweit zustande.
Entsprechend umfassend sind auch
die Curricula: Alle haben neben den
fachspezifischen Lehrveranstaltungen
immer auch Anteile von Naturwissenschaften,
Technik und Wirt-
62 4/2024
Die Grafik zeigt die prozentuelle Veränderung
der Erstsemestrigenzahlen an
österreichischen Universitäten zwischen
den Studienjahren 2021/22 und 2023/24.
Die jährliche Veränderung war an einigen
davon variabel, der stärkste Anstieg war in
beiden Jahren an der BOKU University zu
verzeichnen. (Datenquelle: unidata.gv.at)
Die Grafik zeigt die Entwicklung der erstsemestrigen
Bachelorstudien zwischen
den Studienjahren 2021/22 und 2023/24.
Der Frauenanteil ist im „Nach-Corona-
Knick“ 2021/22 schlagartig von 58,2 %
auf 54,4 % gesunken. Die begonnenen
Bachelorstudien sind danach wieder angestiegen
– sogar über den „Spitzenwert“
von 2020/21 hinaus, als aufgrund der
Pandemie Erleichterungen bei der Matura
galten, was zu einer ungewöhnlich hohen
Zahl an Maturant*innen geführt hat. Der
Frauenanteil jedoch hat sich nicht an den
Spitzenwert angepasst und bleibt nun bei
55,6 % stabil. (Datenquelle: unidata.gv.at)
schafts- und Sozialwissenschaften
inklusive der Rechtswissenschaften.
BOKU-Absolvent*innen können sich
daher auf jedem wissenschaftlichen
und wirtschaftlichen Parkett bewegen
– von Anfang an.
Damit Maturant*innen und Interessierte
aus dem Ausland von diesen
Vorzügen der BOKU erfahren, gehen
wir mit dieser Botschaft auch hinaus:
ein neuer Markenauftritt, um
die Aufmerksamkeit auf die wahren
Werte der BOKU zu lenken, nationale
und internationale Werbekampagnen,
die Zukunftskonferenz, die
seit dem Jubiläumsjahr die Kernkompetenz
der BOKU demonstriert.
All das trägt dazu bei, dass junge
Menschen, die vor einem schier unüberschaubaren
Angebot an Studienmöglichkeiten
stehen, auf die
BOKU schauen.
Am wichtigsten jedoch ist, was
dann passiert – persönlicher
Kontakt nämlich. Studienbotschafter*innen
der Studienwahlberatung
BOKU4you besuchen Messen und
Schulen, bieten Campusführungen
an, begleiten den Studieninfotag im
Frühjahr und tragen so den BOKU-
Spirit, ihre Begeisterung für ihre
Uni, in die Welt. Noch konkreter
wird es bei dem Projekt Wissen|
schafft|Zukunft, bei dem Schüler*innen
Einblicke in die Berufswelten
der BOKU-Absolvent*innen
erhalten – oft direkt vor Ort und
immer hautnah.
Das überzeugt offenbar immer
mehr junge Menschen, Teil der
BOKU-Community sein zu wollen.
DI in Hannelore Schopfhauser ist in der
Stabsstelle Lehre für die Bereiche Kommunikation
und Berichtwesen verantwortlich.
4/2024
63
Die neuen BOKU-Bikes für
Cool planet shapers
Von Kurt Renner
Das neue BOKU-Bike
mit dem Rahmen „Diamond“.
Zum Semester-Opening-Fest am 26. September 2024
war es so weit: Wir präsentierten erstmals unsere
BOKU-Bikes im neuen Design. Die Fahrräder erstrahlen
nunmehr in einem glänzenden Weiß. Mit dem Slogan
„Cool planet shaper“ haben die Fahrräder ein einzigartiges
BOKU-Branding erhalten. Die BOKU-Bikes sind in
den zwei Rahmenarten „Wave“ und „Diamond“ sowie in
unterschiedlichen Größen verfügbar.
And the winner is …
Bei der Tombola beim Semester Opening war jedes
gekaufte Los gleich auch eine Chance auf den Hauptgewinn:
ein BOKU-Bike im neuen Look. Die Ziehung des
Loses für den Hauptgewinn wurde vom Vorsitzteam der
ÖH-BOKU vorgenommen. Die glückliche Gewinnerin Nina
Germadnik, die an der BOKU Landschaftsplanung und
Landschaftsarchitektur studiert, konnt ihr Bike gleich vor
Ort aussuchen – und einen Helm mit BOKU-Logo gab
es mit dazu. Der Erlös aus dem Losverkauf kam dem
BOKU-Kindergarten zugute.
Startklar für neue Abenteuer
Gleichzeitig startete die BOKU-Bikes-Kampagne „New
Look, Same Mission“. Nach dem Prinzip „First come, first
served“ können die ersten 100 BOKU-Bikes mit Top-Ausstattung
im neuen Design bestellt werden. Pünktlich
zur neuen Fahrradsaison sollen diese im Frühjahr 2025
geliefert werden. Die BOKU University verfolgt auch weiterhin
das Ziel, eine nachhaltige, gesundheitsfördernde
und identitätsstiftende Mobilitätskultur zu unterstützen.
Für Mitarbeitende und Studierende der BOKU wird daher
unter bestimmten Voraussetzungen der Kaufpreis durch
das Rektorat stark gefördert. Obendrein ist auch ein umfangreiches
Erst-Service inkludiert. Alle Informationen
rund um die neuen BOKU-Bikes finden Sie unter:
https://short.boku.ac.at/boku-bike
Im kommenden Jahr feiern die BOKU-Bikes bereits ihr
10-jähriges Jubiläum. Mittlerweile sind über 1.400 BOKU-
Bikes im Einsatz – ein Erfolg, der das Engagement der
BOKU für nachhaltige Mobilität eindrucksvoll unterstreicht.
Rektorin Eva
Schulev-Steindl,
Deborah Sailer
und Timo Hilger
vom ÖH-Vorsitzteam
der BOKU
mit der strahlenden
Gewinnerin
Nina Germadnik.
Fotos: Christoph Gruber/BOKU, Stefan Pramhaas/BOKU
64 4/2024
4/2024
65
→ Gender & Diversity
Raphaela Nistler.
„Nachhaltige Diversität
ist ein grundlegender
Wert, der in allen
Bereichen unserer
Universität verankert
sein sollte.“
Mag.ª Matthäa Ritter-Wurnig
im Interview
Interview: Ruth Scheiber-Herzog
Mag.ª Matthäa Ritter-
Wurnig ist seit September
2024 in unserem Team der
Koordinationsstelle für
Gleichstellung, Diversität
und Behinderung
(Ko-Stelle) als Sustainable
Diversitymanagerin an
der BOKU tätig. Mit einem
Hintergrund in Architektur
und umfassender Erfahrung
in Nachhaltigkeits- und
Diversitätsmanagement
bringt sie eine wertvolle
Perspektive in ihre neue
Rolle ein.
Auf welchem Weg sind Sie an die
BOKU gekommen?
Ritter-Wurnig: Mein beruflicher
Werdegang ist geprägt durch eine
breite Palette von Tätigkeiten: Ich
habe meine Wurzeln in der Architektur,
wo ich auf nachhaltiges
Bauen und klimagerechte Städte
spezialisiert bin. Nachdem ich mein
eigenes Architekturbüro gemeinsam
mit zwei Studienkolleginnen geführt
und auch mehrere Projekte
selbst realisiert habe, hat mich mein
beruflicher Werdegang als wissenschaftliche
Mitarbeiterin an die
TU Berlin geführt. Mein Fokus hat
sich von der Architekturpraxis hin
zu Lehre und Forschung und dann
weiter zu (Diversity-)Management
und politisch-strukturellem Arbeiten
in Organisationen entwickelt. Zuerst
wurde ich an der TU Berlin zur
Gleichstellungsbeauftragten gewählt
und dann habe ich als Referentin
für Gleichbehandlung an der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften
gearbeitet.
Welche Erfahrungen bringen Sie als
Diversitymanagerin mit?
Ich war sowohl in der strategischen
Governance als auch in der operativen
Umsetzung aktiv. Auf Governance-Ebene
habe ich an der Entwicklung
und Implementierung von
Gleichstellungsplänen, Richtlinien
und Leitfäden und in Gremien mitgewirkt,
während ich auf der operativen
Ebene Projekte geleitet, Mitarbeiter*innen
begleitet und gefördert
sowie Gender- und Diversity-Aspekte
in verschiedenen Kontexten vorangetrieben
habe. Ein konkretes Beispiel
ist der Gleichstellungsplan an der
TU Berlin und der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Beide Pläne habe ich konzeptionell
in Arbeitsgruppen erstellt, operativ
begleitet, kommuniziert und durch
regelmäßiges Reporting sichtbar
gemacht. Damit konnte ich eine Verbesserung
der Gender-Balance und
die Förderung einer Antidiskriminierungskultur
in verschiedenen Abteilungen
und Instituten vorantreiben.
66 4/2024
Was hat Sie zu dieser Position an
der BOKU geführt?
Ich habe immer schon sehr gerne
gelernt und mich weitergebildet.
Neben meiner beruflichen Arbeit
als Gleichstellungsbeauftragte der
TU Berlin habe ich 2020 an der FU
Berlin einen zweijährigen postgraduellen
Universitätslehrgang in der
intersektionalen Gleichstellungsarbeit
abgeschlossen. Aktuell habe ich
einen postgradualen Universitätslehrgang
in Kreislaufwirtschaft und
Nachhaltigkeitsmanagement an der
Universität Graz abgeschlossen und
ein Personenzertifikat bei Quality
Austria als Managerin für Nachhaltigkeit
und Kreislaufwirtschaft erworben.
Dadurch bin ich in der Lage,
aktuelle Entwicklungen und politische
Strategien in diesen Bereichen
zu verstehen und umzusetzen, und
kenne die relevanten nationalen
und internationalen Richtlinien und
Normen. Insbesondere auch die
UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen
für eine nachhaltige Entwicklung
(Sustainable Development Goals,
SDGs). Die Möglichkeit, die Diversitätsstrategie
der BOKU strategisch
zu begleiten und die nachhaltigen
Entwicklungsziele der UN-Agenda
2030 zu berücksichtigen, hat mich
besonders angesprochen.
Welche Erfahrungen bringen Sie
noch in Ihre neue Rolle ein?
Ich verfüge über umfassende Erfahrung
in der Beratung und Unterstützung
verschiedener Akteur*innen
innerhalb der Universität und
der nationalen wie internationalen
Forschungslandschaft. Ich habe
mich intensiv mit Themen wie der
Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses, der Implementierung
von Gender- und Diversity-Aspekten
in Forschung und Lehre sowie
der Entwicklung gendergerechter
und barrierefreier Kommunikation
beschäftigt. Zudem habe ich Erfahrung
im Umgang mit Herausforderungen
wie der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf sowie Konflikten
und Mobbing am Arbeitsplatz oder
auch (sexueller) Diskriminierung, Belästigung
und Gewalt. Die Tätigkeit
als Diversitymanagerin ist eine sehr
kommunikative Aufgabe – sowohl
intern als auch extern.
Welche Themen und Konzepte erachten
Sie für Ihre Arbeit im Bereich
Diversität als wesentlich?
In meiner Arbeit beschäftige ich
mich mit den Themen Care, soziale
Gerechtigkeit und ökologische
Krise. Dabei habe ich mich schon als
Architektin gefragt, wie eine Transformation
zu resilienten, klimagerechten
und sozial inklusiven
Räumen gelingt – ein Thema, das
auch aus der Perspektive von Geschlechter-
und Diversitätsforschung
sowie der Care-Theorie relevant
ist. Ich betrachte Care-Arbeit nicht
nur als individuelle Verantwortung,
sondern als gesellschaftliche Notwendigkeit
für das Überleben in
Krisenzeiten. Ähnlich wie Theoretiker*innen
wie Eva von Redecker
verknüpfe ich Care-Arbeit mit ökologischer
Regeneration und arbeite
an einer Umstrukturierung hin zu
einem regenerativen Wirtschaftsund
Sozialmodell, das die Pflege von
Menschen, der (Um)Welt und Beziehungen
in den Mittelpunkt stellt.
Was sind Ihre konkreten Ziele in der
Position als Sustainable Diversitymanagerin?
Ich möchte die Diversitätsstrategie
der BOKU aktiv mitgestalten und
nachhaltige Initiativen entwickeln,
die die Vielfalt unserer Universität
widerspiegeln. Die Diversitätsstrategie
fördert in sieben Handlungsfeldern
eine integrative und diskriminierungsfreie
Kultur: Diversität und
Hochschulmanagement, Diversität
und Studium, Diversität und Lehre,
Diversität und Forschung, Diversität
und Personal, Diversität und Internationales,
Diversität und Kommunikation.
Zentrale Instrumente sind
bis jetzt die Awareness Days und
der Diversity Day, welche ich weiterentwickeln
möchte. Dazu plane
ich Workshops, Schulungsprogramme
und partizipative Projekte, die
das Bewusstsein für Diversität und
Nachhaltigkeit stärken.
Was sind Ihre nächsten Schritte?
Ich bin gerade dabei, eine Bestandsaufnahme
der aktuellen Diversitätsstrategien
und -initiativen an
der BOKU durchzuführen. Es gibt
ja schon konkrete Maßnahmen,
die in einem partizipativen Prozess
erarbeitet wurden. Darauf basierend
plane ich, gemeinsam mit den
Mitarbeitenden, den entsprechenden
Abteilungen und der ÖH eine
Evaluierung der Maßnahmen vorzunehmen.
Ich will gleich zur Sache
gehen und gemeinsam mit der
Leistungsvereinbarung 2025–2027 in
die zweite Runde bei der Umsetzung
der Maßnahmen starten.
Wie könnte das konkret aussehen?
Wie sich im bisherigen partizipativen
Prozess der Diversitätsstrategie an
4/2024
67
Ich sehe mich als sehr kooperativen
Menschen, aber in der Sache bleibe ich
trotzdem entschlossen und kämpferisch.
Matthäa Ritter-Wurnig
der BOKU gezeigt hat, besteht von
vielen Seiten ein großes Interesse
daran, mehr Reflexionsräume zum
Thema Diversität zu schaffen. Diese
können in unterschiedlichen Formaten
wie Stammtischen, Foren oder
Gesprächsrunden realisiert werden
und sollen verschiedene Zielgruppen
innerhalb der Universität ansprechen.
Diversitätsbewusstes Handeln
ist neben nachhaltigem Denken und
Handeln eine zentrale Schlüsselkompetenz
für die Zukunft. Je mehr
Personen an der Universität sich mit
diesen Themen auseinandersetzen
und aktiv daran mitwirken, desto erfolgreicher
und zukunftsfähiger kann
der Transformationsprozess hin zu
einer inklusiveren und diversitätsbewussteren
Universitätskultur gestaltet
werden. Dieser Prozess erfordert
ein kontinuierliches Engagement
aller Beteiligten und sollte als langfristige
Aufgabe verstanden werden,
die auf allen Ebenen der Universität
verankert wird.
Welche Methoden setzen Sie ein,
um Ihre Ziele zu erreichen?
Meine bevorzugte Methode ist die
Verankerung transparenter und fairer
Entscheidungsverfahren. Ich setze
auf die Gestaltung und Begleitung
von komplexen Dialog- und Strategieprozessen
mit verschiedenen
Stakeholdern. Dabei sind mir der
Austausch und die Zusammenarbeit
mit unterschiedlichen Akteur*innen
an der Universität sehr wichtig.
Wie können Mitarbeitende und
Studierende aktiv in Ihre Projekte
eingebunden werden?
Ich plane, partizipative Formate zu
schaffen, in denen Mitarbeitende
und Studierende ihre Perspektiven
einbringen können. Zum Beispiel in
Form von Workshops, offenen Foren
und Umfragen kann die Gelegenheit
geboten werden, Ideen und Anliegen
einzubringen und gemeinsam
Lösungen zu entwickeln.
Was motiviert Sie in Ihrer Arbeit?
Lernen ist meine Lieblingsbeschäftigung.
Theorie, kluge Gedanken und
neue Methoden haben mich immer
angezogen. Ich stifte auch andere
gerne dazu an, neugierig zu sein
und sich weiterzuentwickeln. Deshalb
arbeite ich auch sehr gerne an
Transformations-/Veränderungsprozessen,
denn das ist Weiterentwicklung
für mich. Ich denke dabei immer
systemisch von einer globalen,
universellen Ebene auf eine lokale,
spezifische Ebene und zurück. Mein
Engagement als Beraterin richtet
sich dabei auf die Veränderung auf
Struktur- und Kulturebene sowie auf
die Gesellschaft und ihre Zukunft,
aber genauso und vielleicht gleichzeitig
auf die unendlichen Entwicklungsmöglichkeiten
von Menschen,
Gruppen und die Institution.
Ich bin überzeugt, dass jede*r Einzelne
einen Beitrag zu einer gerechteren
und nachhaltigeren Gesellschaft
leisten und einen Unterschied
machen kann. Gleichzeitig sind wir
alle eingebettet in ein System –
das macht die Zusammenarbeit so
wichtig. Die Zusammenarbeit mit
Menschen, die ähnliche Werte vertreten
und sich engagieren wollen,
inspiriert mich. In diesem Sinn freue
ich mich sehr darauf, wenn wir – die
BOKU – gemeinsam positive Veränderungen
herbeiführen.
Wie sehen Sie Ihre Rolle im Team?
Ich bin eine leidenschaftliche Teamplayerin
und setze mich auch im
Team für Gleichstellung auf eine
offene, transparente und integrative
Weise ein. Dabei ist es mir wichtig,
vernetzt sowie konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Ich sehe mich also
als sehr kooperativen Menschen,
aber in der Sache bleibe ich trotzdem
entschlossen und kämpferisch.
Die Zusammenarbeit mit den vielen
engagierten Menschen an der BOKU,
insbesondere mit dem Team der KO-
Stelle, bereitet mir großen Spaß. Ich
habe bereits zahlreiche großartige
Verbündete gefunden und ich freue
mich darauf, noch mehr Kolleg*innen
kennenzulernen.
Welche Herausforderungen sehen
Sie in Ihrer neuen Position?
Eine der größten Herausforderungen
wird es sein, die verschiedenen
Interessen und Perspektiven innerhalb
der Universität in Einklang zu
bringen. Gleichzeitig ist es wichtig,
eine Kultur des offenen Dialogs zu
fördern, in der unterschiedliche
Positionen wertgeschätzt werden.
Natürlich ist auch die Frage der Ressourcen
– gerade in diesen Zeiten
– an allen Universitäten eine Herausforderung.
Das bekommen alle
Universitätsangehörige zu spüren.
Wie sehen Sie die Rolle von nachhaltiger
Diversität an der BOKU?
Nachhaltige Diversität ist nicht nur
ein Ziel, sondern ein grundlegender
Wert, der in allen Bereichen unserer
Universität verankert sein sollte. Sie
fördert kreatives Potenzial und ist
entscheidend für die Resilienz unserer
Institution. Indem wir Vielfalt in
unseren Lehr- und Forschungsaktivitäten
integrieren, können wir innovative
Lösungen für die großen Herausforderungen
unserer Zeit entwickeln.
Sustainable Diversity –
Diversitätsstrategie BOKU
68 4/2024
→ Gender & Diversity
PromoLi2 – Promotionsstellen
ohne Limit Von Ruth Scheiber-Herzog
Gespräch mit
Jakob Mitterhauser
Interview: Ruth Scheiber-Herzog
Jakob Mitterhauser
Jakob Mitterhauser ist einer
von sechs österreichweiten
Nachwuchswissenschaftler*innen,
der an der BOKU am geförderten
Promotionsprojekt PromoLi2 teilnimmt.
Als Bildungs- und Forschungsstätten haben Universitäten
eine hohe gesellschaftliche Verantwortung,
insbesondere im Bereich der sozialen Dimension.
Mit dem Projekt PromoLi (gefördert aus Mitteln des
Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege
und Konsumentenschutz) wird daher versucht, an den
Universitäten eine hinreichende Zahl an Stellen, auf
denen Menschen mit Behinderung und/oder chronischer
Erkrankung promovieren können, in Form eines
dauerhaften Förderprogramms zu schaffen.
In einem kompetitiven Verfahren für die Teilnahme an
PromoLi2 (Laufzeit 2024 bis max. 2030) konnte sich
die BOKU (Institut für Meteorologie und Klimatologie)
durch das innovative sowie klima- und gesellschaftsrelevante
Dissertationsprojekt von Jakob Mitterhauser
neben der WU Wien, TU Wien, Universität Graz, Vetmeduni
und MedUni Wien als eine von insgesamt 17
teilnehmenden Universitäten erfolgreich durchsetzen.
Wir gratulieren herzlich!
Mehr Informationen über das PromoLi-Programm entnehmen
Sie der Website der Uniko.
https://uniko.ac.at
Wie haben Sie von PromoLi erfahren und was waren die
Gründe, sich für eine Dissertationsstelle zu bewerben?
Mitterhauser: Ich wurde von der Leiterin der Koordinationsstelle
für Gleichstellung, Diversität und Behinderung,
Ruth Scheiber-Herzog, über die Ausschreibung
informiert und nach kurzer Überlegung entschied ich
mich, mich zu bewerben und habe daraufhin Kontakt
zu meinem Masterarbeitsbetreuer Philipp Weihs aufgenommen.
Meine Motivationen waren die persönliche
Herausforderung und das große Interesse an der Thematik
Stadtklima.
Worin liegen die Schwerpunkte Ihrer wissenschaftlichen
Arbeit?
Seit 1. Oktober bin ich nun im Rahmen von PromoLi
am Institut für Meteorologie und Klimatologie beschäftigt,
wo mein Arbeitsschwerpunkt in der Stadtklimatologie
liegt. Themenbereiche dabei sind die
Untersuchung der städtischen Wärmeinseln, Mikroklimamodellierung
oder Anpassungsstrategien zur
Minderung von Hitzestress. Das Exposé zur Doktorarbeit
wird erst eingereicht, voraussichtlich wird es
um die Optimierung eines Stadtviertels im Sinne von
thermischem Komfort, aber auch Klimaschutz und
Energie gehen. Abgesehen von den Forschungstätigkeiten
werde ich im Laufe des Doktorats auch in der
Lehre unterstützend mitwirken.
PromoLi richtet sich explizit an Menschen mit Behinderungen
– möchten Sie uns hierzu mehr erzählen?
Bei mir wurde 2011 die neurologische, genetische,
progressive Erkrankung Friedreich-Ataxie (FA) diagnostiziert.
Typische Symptome sind Gleichgewichts- und
Koordinationsprobleme, ein unsicherer Gang, Müdigkeit
und Sprachschwierigkeiten. Im Verlauf der Krankheit
kann man auf die Hilfe eines Rollstuhls angewiesen
sein oder es kann zu Herzproblemen kommen. Da
es sich bei FA um eine seltene Erkrankung (1:50.000)
handelt, habe ich gemeinsam mit anderen Betroffenen
2023 die Selbsthilfegruppe „Friedreich Ataxie Austria
(FAu)“ (www.friedreich-ataxie.at) zur gegenseitigen
Unterstützung gegründet. Mehr über die Krankheit und
meinem Umgang mit FA ist in der Doku „Einfach nur
Jakob“ zu erfahren.
4/2024
69
Ich freue mich schon auf die
Zusammenarbeit mit meinem
Team, das mich sehr unterstützt.
Jakob Mitterhauser
Das Team rund um Jakob Mitterhauser (v. l. n. r.): Jan Haacker, Bernadette Rosati, Olga Rudikova,
Philipp Weihs, Jakob Mitterhauser und Katharina Perny.
Abbildung 2D- und 3D-Modell des Untersuchungsgebiet Rudolf-Bednar-Park im Mikroklima-Modell ENVI-met (Gebäude, Oberflächen, Bäume).
Vergleich der Lufttemperatur bei unterschiedlicher Bodenfeuchte zwischen Szenario 2 (trocken) und Szenario 3 (feucht) – Auswirkung der Bodenfeuchte
(Bewässerung) auf die Lufttemperatur/Kühlwirkung vorhanden.
Zur Person
Jakob Mitterhauser ist 31
Jahre alt und kommt aus
dem Weinviertel. Nach seinem
Bachelorstudium Geografie
(Universität Wien) begann er
an der BOKU das individuelle
Masterstudium Stadtklimatologie
und Stadtraumentwicklung,
welches er 2022
erfolgreich abschloss. Jakob
Mitterhauser liebt Reisen
und Aufenthalte in der Natur.
Gesundheit und Bewegung,
insbesondere das Rudern und
regelmäßige Physiotherapie,
haben für ihn oberste Priorität.
Trailer
Einfach nur Jakob
Selbsthilfegruppe
Friedreich Ataxie Austria
(FAu)
70 4/2024
Wie geht es weiter? Welche Pläne haben Sie für das
erste Jahr?
Ich befinde mich noch in der Einarbeitungsphase und
führe mit Professor*innen und Expert*innen vertiefende
Gespräche, um den Forschungsbedarf, Projekte
und Möglichkeiten zu erheben. Anfang November
fand der Kick-off des ersten Projekts statt, bei dem
ich mich mit der Entwicklung eines Indikatorensets
zur Bewertung der Angepasstheit von Stadtquartieren
an den Klimawandel beschäftige. Im Sommersemester
werde ich dann mein Doktoratsprojekt einreichen.
Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit
meinem Team, das mich sehr unterstützt.
→ Gender & Diversity
#Positively Purple –
Aktionstag zum
Internationalen Tag
von Menschen mit
Behinderungen
Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen
wird jährlich am 3. Dezember begangen.
Dieser Tag wurde 1992 von den Vereinten Nationen
ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für
die Rechte und das Wohlergehen von Menschen
mit Behinderungen weltweit zu stärken und ihre
vollständige Inklusion in alle gesellschaftlichen
Bereiche zu fördern. Der Tag zielt darauf ab, Diskriminierung
zu bekämpfen, Barrieren abzubauen
und die Vielfalt und Fähigkeiten von Menschen mit
Behinderungen hervorzuheben.
Jedes Jahr wird ein spezifisches Thema oder Motto
festgelegt, das auf aktuelle Herausforderungen und
Ziele aufmerksam macht. Zu den Schwerpunkten
gehören etwa die Förderung der Barrierefreiheit, die
Schaffung gleichwertiger Bildungschancen und die
Verbesserung der Arbeitsmarktintegration.
Philipp Weihs
„Ich kenne Jakob schon ca. acht Jahre lang und
schätze ihn als engagierten und qualifizierten angehenden
Wissenschaftler. Das Promotionsprojekt
ermöglicht es Jakob, in einem aktuellen Themenbereich
der Klimafolgenforschung und Stadtklimatologie
zu promovieren, in dem hoher Forschungsbedarf
besteht. Wichtig zu betonen ist mir, dass
das gesamte Institut hinter Jakob steht. Wir sind
dankbar, ihn in unserem Team zu haben und freuen
uns auf die gemeinsame Zeit. Ich denke, dass
es auch für die BOKU gut ist, Wissenschaftlern mit
Behinderung Raum zu geben und sie zu fördern.“
Dieser Tag bietet nicht nur eine Gelegenheit für Regierungen,
Unternehmen oder Organisationen, auf
Fortschritte und Herausforderungen aufmerksam zu
machen, sondern auch für die breite Öffentlichkeit,
das Verständnis und die Solidarität für Menschen
mit Behinderungen zu vertiefen.
Darum unterstützen wir als BOKU diese Gedanken
mit einer symbolischen Aktion und färben diesen
Artikel/das Bild in der Farbe Lila! Im deutschsprachigen
Raum wird die Kampagne #PositivelyPurple
von myAbility als offizieller Partner von Purple
Space UK koordiniert.
Univ. Prof. Philipp Weihs, Institut für Meteorologie und
Klimatologie. Betreuer der Masterarbeit von Jakob Mitterhauser
„Einfluss von Bewässerung auf die Kühlwirkung
von Grünflächen“ und im jetzigen Betreuer-Team.
Masterarbeit: „Einfluss von Bewässerung
auf die Kühlwirkung von
Grünflächen“
4/2024
71
Neues von der Reise eines Goldschakals:
Maj gründet eine Familie
Nicht nur in Österreich, auch allerorts
in ganz Europa tauchen seit
einigen Jahren neue Nachweise
von Goldschakalen auf. Warum das
so ist, wird heiß diskutiert und ist
Gegenstand der Forschung. Durch
den großen Einsatz von Wissenschaftler*innen
und Jäger*innen
aus Slowenien und Österreich
gelang eine kleine Sensation: Maj
wurde mit seiner Partnerin und dem
gemeinsamen Nachwuchs gesichtet
und liefert neue Erkenntnisse und
Einblicke in sein Leben auf Wanderschaft.
Goldschakale sind kleine Hundeverwandte,
die sich in den letzten
Jahrzehnten auf natürliche Weise
in Europa ausbreiten. Anfang des
Jahres sorgte ein Exemplar, ein
junger Rüde, der den Namen Maj erhalten
hatte, für eine kleine wissenschaftliche
Sensation und mediales
Aufsehen: Das im Rahmen eines
Forschungsprogramms in Slowenien
eingefangene Tier war mit einem
Sender versehen worden, um mehr
über die noch wenig bekannten
Bewegungsmuster dieser Art zu erfahren.
Ein Goldschakal auf dokumentierter
Wanderschaft –
erstmals in Österreich
Das Erstaunen war groß, als Maj
plötzlich sein Herkunftsgebiet verließ
und sich auf eine weite Reise
aufmachte. „Das ist ein ganz typisches
Verhalten von Goldschakalen,
wenn sie geschlechtsreif werden. Da
suchen sie dann nach einem eigenen
Territorium und einem Partner
beziehungsweise einer Partnerin“,
erklärt Dr. in Jennifer Hatlauf (BOKU
University) vom Projekt Goldschakal
in Österreich. Dr. Hubert Potocnik
(University of Ljubljana, Biotechnical
Faculty), der Maj in Slowenien
besendert hatte, erklärt: „GPS-Tracking
von Individuen wie Maj zeigt
die schnelle Ausbreitungsfähigkeit
in menschlich geprägten Landschaften
und Wäldern. Vor allem wird
deutlich, dass große Barrieren wie
Flüsse, Autobahnen und Gebirgszüge
kaum Hindernisse darstellen.
In Kombination mit seiner Anpassungsfähigkeit
an die Klima- und
Landschaftsveränderungen erklärt
dies die bisherige rasche Ausbreitung
von Goldschakalen in Europa,
die sich auch in Zukunft auf neue
unbesetzte Gebiete ausweiten
könnte.“
Durch Berg und Tal
Die Forscher*innen staunten in
diesem Fall aber nicht schlecht:
Seine Reise führte Maj über hohe
Berge und durch tiefe Täler, er
überquerte Länder- und Staatsgrenzen
bis weit nach Österreich.
Für die Wissenschaft war dies ein
großer Glücksfall, war dies doch
das erste Mal in der Geschichte,
dass ein besendertes Tier hierzulande
unterwegs war und wertvolle
Informationen über das Verhalten
dieser Art lieferte. Teilweise legte
das Tier viele Kilometer am Tag
zurück – bis seine Reisegeschwindigkeit
plötzlich abnahm. Die Daten
legten nahe, dass er schließlich in
einem Gebiet der Hohen Tauern ein
neues Zuhause gefunden hatte. Die
Forscher*innen konnten daraufhin
die Gegend genauer untersuchen
und tatsächlich funktionierte es
zum ersten Mal seit seinem Aufbruch
aus Slowenien Bilder von Maj
aufzunehmen.
72 4/2024
Das Goldschakalprojekt Österreich läuft seit 2015 am Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ), an der Universität für Bodenkultur Wien
(BOKU), um eine systematische Anwesenheitsbestimmung von Goldschakalen in Österreich durchzuführen, bzw. Monitoring-Standards zu etablieren
und grundlegende ökologische Forschung an dieser Tierart zu betreiben.
Lange Reise mit Happy End
Bald zeigten diese Fotofallenbilder
den Grund, wieso Maj seine „wilde
Reisezeit“ beendet und gerade dort
sesshaft geworden war: Er war nicht
mehr allein, sondern hatte eine
Partnerin gefunden. Seine österreichische
„Braut“ erhielt den Namen
Emma – so wie bei Majs eigener
Namensgebung, wurde auch sie
nach dem Kind eines engagierten
Projektpartners benannt, der die
bisher eindrucksvollsten Videos und
Fotos erhaschen konnte. Der Wert
für die Wissenschaft ist enorm, da
die tatsächlichen Vorgänge bei der
Ausbreitung von Goldschakalen bisher
nur wenig und kaum in der hier
vorliegenden Datenfülle dokumentiert
werden konnten.
Doch kurze Zeit später verschwand
Emma wieder und die Forscher*innen
rätselten, was passiert sein
könnte. War ihr etwas zugestoßen
oder musste Maj doch noch weitersuchen?
Schließlich brachten
erneut Fotofallenbilder nach einigen
Wochen die Aufklärung: Sie zeigten
Maj und Emma wieder gemeinsam –
und dazu noch ihre beiden Jungtiere!
Familienleben auf dem
Rendezvousplatz
Die wissenschaftliche Sensation
ist also perfekt: Denn dies ist die
erste Möglichkeit in Österreich, auf
so genannten Rendezvousplätzen
auch das familiäre Zusammenleben
zu dokumentieren. „Die Zusammenarbeit
mit den Jäger*innen vor Ort
ist nicht nur eine große Freude und
bedeutet uns sehr viel, sondern ist
auch unersetzlich in der Erforschung
dieses spannenden Phänomens und
dieser im Geheimen lebenden Tiere“,
ist Jennifer Hatlauf vom Institut für
Wildbiologie und Jagdwirtschaft der
BOKU begeistert. „Das Erstaunliche
für uns war tatsächlich, dass Maj
sich offenbar in alpinen Gebieten
wohlfühlt, dass wir das erste Mal
in Österreich eine ganze Familie
in einer bisher nicht dagewesenen
Qualität dokumentieren können.
Hier werden wir nun auch lernen
können, wie sich Goldschakale in
alpinen Regionen (auch im Winter)
zurechtfinden“, meint Hatlauf. Der
bisherige Informationsgewinn ist bereits
enorm und die Forscher*innen
hoffen, dass Majs Sender noch lange
übertragen wird, um noch mehr Einblicke
in das noch weitgehend unbekannte
Leben dieser heimischen
Hundeverwandten zu bringen.
Diese wichtige Forschungsarbeit
kann durch die Meldung von Sichtungen
mit Foto- oder Videobelegen
beziehungsweise von Kadavern (erlegte
Tiere oder Straßenopfer) maßgeblich
unterstützt werden.
LINKS
www.goldschakal.at
www.facebook.com/Goldschakalprojekt
www.youtube.com/
channel/UCcG2NnLC56YA22ezjs1cY3w
Das Video der Goldschakal-Familie ist
online anzusehen unter:
https://youtu.be/fAupkNNb9pU
Fotos: Jennifer Hatlauf (BOKU Wien)
4/2024
73
→ Splitter
Rosina Neubauer gewinnt den ersten
Poster-Präsentationspreis im „Subtheme:
Designing sustainable transitions“.
Vier BOKU-
Studierende bei
der ELLS
Scientific
Student
Conference
ausgezeichnet!
Die Wageningen University veranstaltete vom 21. bis 23. November
die jährlichen Konferenzen der Euroleague for Life
Sciences (ELLS). Erstmals waren Lehrende und Studierende
von 14 Universitäten anwesend. Im Rahmen der „General Assembly
and Forum“ diskutierten Mitarbeiter*innen der ELLS-
Universitäten in verschiedenen Workshops von „AI in Education“
über „Student Challenges“, „Summer Schools“, Joint
Programmes“ bis hin zu „Educational Portfolio Management“
zum Thema „Innovation in Higher Education“.
„The puzzle of Life Sciences – add your piece“ war das Thema
der Studierendenkonferenz, bei der Studierende der ELLS-
Universitäten ihre Bachelor- und Masterarbeiten präsentierten.
Die BOKU war dieses Jahr im Vergleich zu den anderen
Universitäten überdurchschnittlich gut vertreten, sowohl bei
den mündlichen Präsentationen (11 von 51 Abstracts), bei
den Postern (11 von 63 Abstracts) und auch bei den Preisträger*innen:
Je zwei Präsentationspreise für den besten mündlichen
Vortrag und die beste Posterpräsentation gingen an die
BOKU. Wir gratulieren Kilian Kasper Wallner, Gregor Nowotny
sowie Martin Ladurner und Rosina Neubauer herzlich!
www.euroleague-study.org • wur.eu/ells2024
www.boku.ac.at/ells
Selfie Time! Helmut Habersack mit seinem Team
bei der Preisverleihung.
„Panta rhei“ auf
dem BOKU-Ball
Auch auf dem BOKU-Ball am 10. Jänner im
Wiener Rathaus wird alles fließen und in Bewegung
sein – „Panta rhei“ lautet dieses Mal
das Motto, lassen Sie sich diese glanzvolle
Ballnacht nicht entgehen!
Karten:
https://oehboku.at/boku-ball/
BOKU-Wasserlabor
erhielt pma award 2024
Das Wasserbaulabor der BOKU wurde mit dem
project excellence award ausgezeichnet. Das
12.000 Quadratmeter große Labor bietet Platz
für 100 Wissenschaftler*innen und 200 Studierende.
Die Bauzeit betrug drei Jahre, inklusive
Ideenfindung und Planung waren es 14 Jahre,
das Gesamtvolumen betrug rund 50 Millionen
Euro. „Das Projekt überzeugt durch Nachhaltigkeit,
Umwelt- und Naturschutz, die in die
gesamte Planung und Umsetzung eingeflossen
sind, sowie durch ein herausragendes Krisenmanagement.
Das BOKU-Wasserbaulabor
markiert so einen bedeutenden Meilenstein für
den Forschungsstandort Österreich“, betonte
pma-Präsidentin Brigitte Schaden. Projekt
Management Austria (pma) verleiht jährlich die
pma awards für herausragende Projekte und
ausgezeichnetes Projektmanagement.
74 4/2024
Nils-Foss-Exzellenzpreis
2024 für Rudolf Krska
Im Laufe seiner 30-jährigen Karriere hat sich Rudolf
Krska vom Institut für Bioanalytik und Agro-Metabolomics
zu einer weltweiten Autorität auf dem
Gebiet der Lebensmittelsicherheit entwickelt, insbesondere
bei der Identifizierung, Bewertung und
dem Umgang mit neu auftretenden Gefahren wie
Mykotoxinen und anderen sekundären Stoffwechselprodukten
von Pflanzen und Pilzen. Für seine
bahnbrechenden Forschungsarbeiten zur Entwicklung
von Analysemethoden, die die Nachhaltigkeit
und Sicherheit der Lebensmittelproduktionskette
verbessern, hat Krska nun den mit 100.000 Euro
dotierten Nils-Foss-Exzellenzpreis 2024 erhalten.
Die Nils-Foss-Preise, die jährlich von der Universität
Kopenhagen ausgerichtet und von FOSS gesponsert
werden, gehören zu den renommiertesten
Auszeichnungen in der weltweiten Lebensmittelwissenschaft.
Sie zeichnen außergewöhnliche Talente
und herausragende Beiträge in den Bereichen
Landwirtschaft, Futtermittel, Lebensmittel und
analytische Technologien aus, wobei der Schwerpunkt
auf Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit in
Lebensmittelsystemen liegt.
Podcast zu
künstlicher Intelligenz
Die Arbeitsgruppe „KI“ der Ethikplattform hat mit
dem Wintersemester 2024 einen Podcast zum Thema
„künstliche Intelligenz“ lanciert. In der Podcast-Reihe
kommen Vertreter*innen der BOKU zu Wort und beleuchten
verschiedene Aspekte rund um das Thema
KI und deren Anwendungen. Rechtliche Grundlagen
werden abgedeckt, konkrete Anwendungsmöglichkeiten
diskutiert, Ressourcenfragen thematisiert und vor
allem ethische Aspekte beleuchtet. Denn in einer Welt,
die zunehmend von digitalen Technologien geprägt
ist, ist es entscheidend, dass wir diese Entwicklungen
nicht nur aus technischer Sicht im Hinblick auf ihre
Möglichkeiten diskutieren, sondern uns aktiv Gedanken
machen, welche Anwendungsformen auch ethisch vertretbar
sind. Das bedeutet unter anderem, die Anwendungen
so zu gestalten, dass sie den Menschen dienen,
ohne ihre Freiheit, Würde oder Sicherheit zu gefährden.
Mit dem Podcast soll dieser Diskurs an der BOKU
unterstützt und angeregt werden. Im begleitenden
BOKUlearn-Kurs finden Sie neben den Show Notes und
Transkripten auch die Möglichkeit, in Diskussionsforen
in einen tiefergehenden Austausch zu treten.
Der Podcast findet sich auf der Homepage der Ethikplattform
unter „Podcast KI-Forum“.
Martin Gerzabek Ehrenmitglied
der Rumänischen Akademie
Martin Gerzabek vom Institut für Bodenforschung wurde am 6. November
eine besondere Ehre zuteil: Er wurde zum Ehrenmitglied der
Rumänischen Akademie in Bukarest gewählt und erhielt feierlich die
Insignien aus den Händen des Akademiepräsidenten. Gerzabek pflegt
seit Jahrzehnten enge wissenschaftliche Beziehungen zu den Life-
Sciences-Universitäten in Rumänien und ist bereits Ehrenmitglied
der Rumänischen Akademie für Agrar- und Forstwissenschaften.
Diese neue Auszeichnung würdigt seine langjährige Kooperation und
seinen herausragenden Beitrag zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit
zwischen Österreich und Rumänien.
Fotos: WWA, Academia Română, Universität Kopenhagen, Claus Rainer Michalek
4/2024
75
→ Citizen Science
ECSA/ÖCSK 2024/Ouriel Morgensztern
Mit über 500
Teilnehmer*innen
fand die bislang
größte Citizen
Science Konferenz
Europas an
der BOKU und im
Naturhistorischen
Museum Wien
statt.
Citizen Science Doppelkonferenz
2024: Ein voller Erfolg
Von Daniel Dörler
und Florian Heigl
Anfang April fand mit über 500 Teilnehmer*innen die bislang größte Citizen
Science Konferenz Europas an der BOKU und im Naturhistorischen Museum
Wien statt. Zwei verschiedene Formate bieten nun die Möglichkeit, zurückzuschauen
und die Konferenz aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten:
eine Sonderfolge des Citizen Science-Podcasts „Wissen macht Leute“
und die Veröffentlichung der Konferenz-Proceedings „Change – The transformative
power of citizen science“, erschienen bei Pensoft.
Die Podcast-Sonderfolge „Wissen macht Leute“ mit dem Titel „Die ECSA/
ÖCSK Citizen Science Doppelkonferenz 2024“ bietet mit Teilnehmer*innen-
Interviews, verbunden mit einer Reportage, einen direkten Einblick in die
Stimmung vor Ort. Was ist alles passiert? Wie haben Teilnehmer*innen die
Konferenz und die BOKU erlebt? Was waren besondere Highlights?
Die Proceedings „Change – The transformative power of citizen science“
vereinen mit über 40 Beiträgen eine Auswahl von Vorträgen, Workshops
und Postern, die bei der Konferenz präsentiert bzw. organisiert wurden. Sie
geben einen breiten Überblick zu den Möglichkeiten, die Citizen Science für
Forschung, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik bieten kann. Alle Beiträge
sind kostenlos verfügbar und in englischer Sprache erschienen.
Podcast und Proceedings bieten somit ganz unterschiedliche Perspektiven
auf diese Konferenz und laden dazu ein, sich noch intensiver mit Citizen
Science zu beschäftigen.
LINKS
Die Sendung direkt anhören und so einen
guten Eindruck von der Konferenz erhalten:
www.citizen-science.at/blog/radio-ecsaoecsk-2024
Alle Beiträge auf Deutsch kurz zusammengefasst
und individuell verlinkt:
www.citizen-science.at/blog/proceedingsecsa-oecsk-2024
76 4/2024
Inklusion durch Design Accessibility
Neues Forschungsportal der BOKU-University mit dem
WACA-Zertifikat in Silber für Barrierefreiheit ausgezeichnet.
Immer mehr Bereiche unseres Lebens verlagern sich in
die digitale Welt. Umso wichtiger wird es, dass möglichst
alle an dieser digitalen Welt teilhaben können.
Gewisse Einschränkungen können die Interaktion erschweren,
und es entstehen Barrieren.
Speziell für Webseiten wurden daher vom W3C – dem
Gremium zur Standardisierung der Techniken im World
Wide Web – die Web Content Accessibility Guidelines
(WCAG) entwickelt, welche wiederum die Basis für das
Web Accessibility Certificate (WACA) bilden. Durch die
Einhaltung dieser Guidelines stellt man nicht nur einen
barrierefreien Zugang und damit die Einhaltung gesetzlicher
Anforderungen wie jene des BaFG – das Barrierefreiheitsgesetz
– sicher, sondern verbessert auch
generell das Nutzungserlebnis für alle Anwender*innen
einer Webseite.
Um diesem immer wichtiger werdenden Thema die nötige
Aufmerksamkeit zu geben, wurde im Zuge des FIS3+-
Projektes besonderes Augenmerk auf die barrierefreie
Implementierung desselben gelegt und beschlossen, mit
dem Forschungsportal erstmals ein Informationssystem
der BOKU-University durch die WACA zertifizieren zu
lassen. Der entsprechende Zertifizierungsprozess wurde
nun mit der Verleihung des WACA-Zertifikates für Barrierefreiheit
in Silber höchst erfolgreich abgeschlossen.
Inclusion by Design Accessibility
New research portal of BOKU
University awarded WACA silver
certificate for accessibility.
More and more areas of our life are moving into the digital
world. This makes it all the more important that as
many people as possible can participate in this world.
Certain limitations can make interaction more difficult,
and barriers arise.
The Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) were
developed by the W3C – the World Wide Web Consortium
– specifically for websites. These guidelines, in
turn, form the basis for the Web Accessibility Certificate
(WACA). However, by adhering to these guidelines, you
not only ensure barrier-free access and thus compliance
with legal requirements such as those of the BaFG
– the Accessibility Act – but also generally improve the
user experience for all users of a website.
In order to give this increasingly important topic the
attention it deserves, BOKU University decided to pay
particular attention to the barrier-free implementation
of the FIS3+ project, the first BOKU information system,
certified by the WACA. The corresponding certification
process has now been successfully completed with the
award of the WACA Certificate for Accessibility in silver.
LINKS
https://forschung.boku.ac.at/de
https://forschung.boku.ac.at/en
CONTACT
Michael Wallner M.Sc.
michael.wallner@boku.ac.at
4/2024
77
Participants of
the ELLS Training
“Navigating Brussels
2024” in European
Parliament.
Navigating Brussels 2024
A course for late PhDs and early PostDocs staying
at a crossroad of decisions for to do
By Lada Fialova
Patrik Toula
Finishing PhD or early PostDoc is a critical
point at which a young researcher has to decide
on his/her next career path.
Continue research career with the view of
moving every few years until reaching a permanent
position?
Go to industry with more stable conditions
but less freedom? Quit research completely?
These topics and much more were discussed
at the 5 th training “Navigating Brussels”, organized
annually by six ELLS* universities in
Brussels and funded by the ELLS Fund for
Incentives. Presentations on career options inand
outside science and practical workshops
on proposal writing for those who want to stay
in science, were accompanied by visits of the
European Parliament and the ERC Executive
Agency who decides on the grantees of the
most prestigious European funding programme
in excellent science ERC.
Our presence in Brussels enabled also a valuable
discussion with a member of the European
Commission with practical tips how to
get accepted as an employee.
On top of that, the 26 participants from six
universities got an excellent opportunity to
network and start new friendships or research
collaborations. Or both.
The next event will be organized in June 2025.
Don´t miss the opportunity to extend your
network, start new collaborations, friendships,
and investigate your future career options.
Calls for participants will be open beginning of
January 2025.
LINK
ELLS Euroleague for Life Sciences
https://www.euroleague-study.org/en
78 4/2024
→ Forschung FAQ
Benefits of the
Nagoya Protocol
By Marie-Thérèse Salcher-Konrad
The Nagoya Protocol is an international agreement with 141 parties, including
Austria, that regulates access to genetic resources. Its main objective
is to ensure that benefits arising from the use of these resources
are shared fairly and equitably. When a country grants access to genetic
resources, it should also receive access to innovations resulting from research
on those resources.
Notable research collaborations under the Nagoya Protocol involve German
institutions partnering with international teams to study Cameroonian
plant-microorganism interactions, assess climate change impacts on South
African algae and fish, and evaluate French algae extracts for regenerative
medicine. These projects have led to joint publications, public conferences,
data sharing with governments, and the development of biological products.
Marie-Thérèse Salcher-Konrad
CONTACT
Marie-Thérèse Salcher-Konrad
marie.salcher-konrad@boku.ac.at
To support BOKU researchers in exploring new research opportunities
aligned with the Nagoya Protocol, comprehensive information is available
on the Technology Transfer website and a dedicated point of contact has
been created.
LINK
https://short.boku.ac.at/nagoya00
Privat, Pixabay
4/2024
79
Vom Flugzeug auf die Schiene
Erfreulicher Erfolg bei der Emissionsreduktion
Von Antonia Staudacher & Elisabeth Waldherr-Fabiani
Auf dem BOKU-Weg zur Klimaneutralität ist das Thema Mobilität nicht wegzudenken.
Besonders das Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und akademischem Reisen
stellt die Wissenschaft vor eine große Herausforderung. Die Mobilitätswende erfordert
ein grundlegendes Um- und Neudenken von akademischem Reiseverhalten, das
mit entsprechendem Handeln gekoppelt ist. Erste ermutigende Ergebnisse zeigen,
dass sich die BOKU University dieser Herausforderung erfolgreich stellt. Die bisher
wichtigsten Elemente dabei sind die überarbeitete Dienstreise-Richtlinie 1 sowie die
verstärkte Nutzung von Online-Meetings und kollaborativen Tools. Was bereits passiert
ist und was wir gemeinsam bisher erreichen konnten – mehr dazu in diesem Beitrag.
80 4/2024
gWN
Emissionsreduktion aus Dienstreisen und
studentischen Auslandsaufenthalten in
Tonnen CO 2
-eq basierend auf den vorläufigen
ClimCalc-Bilanzen 2019 und 2023 der BOKU
University.
Das Balkendiagramm zeigt die Emissionen
von Dienstreisen (grün) und studentischen
Auslandsaufenthalten (lila) in den Jahren 2019
und 2023.
Begonnen hat die Reise 2020 mit
dem Beschluss zur BOKU-Nachhaltigkeitsstrategie
und dem darin
enthaltenen Ziel, die BOKU-Treibhausgas-Emissionen
bis 2030 durch
ein breites Bündel an Maßnahmen
zu reduzieren. Angestrebt wird eine
Zwei-Drittel-Reduktion im Vergleich
zu 2019. Bis 2040 sollen 90 Prozent
aller Emissionen eingespart werden.
Dies erfordert strukturelle Veränderungen
und Umdenken in vielen
Teilen des universitären Betriebs
– ein Kraftakt, der nur gemeinsam
gelingen kann. Die BOKU hat anhand
jährlicher Treibhausgasbilanzen zunächst
die größten Emissionsposten
der BOKU ausgelotet. Dadurch
wurde früh erkannt, dass Dienstreisen
– insbesondere Flüge – den
zweitgrößten Posten 2 an Treibhausgas-Emissionen
an der BOKU ausmachen.
Wo die Reise aktuell hingeht, ist
erfreulich. Die vorläufigen Ergebnisse
der Treibhausgasbilanz für 2023
zeigen, dass die Emissionen aus
Dienstreisen 2023 um fast 50 Prozent
gegenüber dem Vor-Covid-Jahr
2019 gesunken sind, obwohl 2023
wieder alles im Normalbetrieb lief.
Gerade im akademischen Umfeld,
in dem länderübergreifende Vernetzung
und Zusammenarbeit eine
wichtige Rolle spielen, sind persönliche
Kontakte oft entscheidend. In
diesem Spannungsfeld zwischen
tatsächlich notwendigen Reisen und
Klimaschutz ist es BOKU-Reisenden
gelungen, durch geschickte Reiseplanung
dazu beizutragen, dass die
Emissionen aus Dienstreisen, einem
der größten Emissionstreiber der
BOKU, deutlich verringert werden
konnten. Dies konnte nur erreicht
werden, indem die Reisenden den
Klimaschutz über ihre eigene Bequemlichkeit
gestellt und somit
bewiesen haben, dass „Universität
der Nachhaltigkeit“ nicht nur ein
Schlagwort, sondern gelebte Realität
ist. Zwei Trends sind zu verzeichnen
1 https://short.boku.ac.at/richtlinien.html
(nach Log-in)
2 Basierend auf der ClimCalc-Treibhausgasbilanz
2019
– einerseits weg vom Flugzeug und
hin zur Schiene, andererseits wird
das Potenzial von Online-Meetings
weiter ausgeschöpft.
Das bedeutet in Zahlen:
• Das Klimaticket kam 2023 bei
über 1.700 Fahrten im Zuge von
Dienstreisen zum Einsatz.
Die PKW-km konnten somit um
ca. ⅓ verringert werden.
• Verstärkte Nutzung des Schlafwagens
(+ 50 Prozent), wodurch
viele besonders schädliche Kurzstreckenflüge
eingespart wurden.
• Und das Wichtigste: Die Anzahl
der Flugreisen ist 2023 um ca.
40 Prozent zurückgegangen. Eine
Ermittlung der genauen Anzahl
an Flügen ist, wie bei allen
Unis, sehr schwierig. Hinter einer
Destination können oft mehrere
Zwischenflüge stecken. Aber
die Tatsache, dass der Anteil
der Reisen mit zumindest einem
Flug so stark gesunken ist, zeigt,
dass die BOKU University den
richtigen Weg eingeschlagen hat.
4/2024
81
Die Anzahl der Flugreisen ist
im Jahr 2023 um ca. 40 Prozent
zurückgegangen.
82 4/2024
Kerstin Buchmüller
Formular für einen Dienstreiseauftrag in deutscher Sprache.
An dieser Stelle sei auch anzumerken,
dass sich der Trend weg vom
Flugzeug und auf die Schiene ebenso
unter Studierenden bemerkbar
macht. Durch geänderte Auslandsaufenthaltsplanung
und umweltfreundlichere
An- und Abreise
konnten hier voraussichtlich über
70 Prozent an Emissionen reduziert
werden.
Der Erfolg jeder Reise hängt von einer
soliden Planung und engagierten
Umsetzung ab. Die BOKU University
setzt gezielt auf eine nachhaltigere
Gestaltung der Dienstreisen. Deshalb
wurden gesetzliche Änderungen
Anfang 2023 zum Anlass genommen,
die Dienstreiserichtlinie zu
überarbeiten und klimafreundliche
Reisen deutlich zu bevorzugen. Das
Leitprinzip lautet: Vermeiden –
Verlagern – Verbessern. Ein Maßnahmenmix
aus positiven Anreizen,
Bewusstseinsbildung und Supportstrukturen
wird angestrebt.
Ein Einblick:
• Flüge sind grundsätzlich nur
mehr bei Auslandsdienstreisen
zulässig.
• Kurzstreckenflüge unter 1.000 km
und Zwischenlandungen sollten
unbedingt vermieden werden, da
sie besonders hohe Emissionen
verursachen.
• Flug vermeiden, wenn ein Ziel
mit der Bahn innerhalb von
sechs Stunden erreichbar ist.
• Höherer Beförderungskostenzuschuss
bei Nutzung des ÖPNV
(etwa Klimaticket statt Auto).
Außerdem wird an den BOKU-
Standorten die Ausstattung für Videokonferenzen
laufend ausgebaut,
um den universitären Austausch
mit geringstem ökologischem Fußabdruck
lebendig zu halten. Auch
Fahrgemeinschaften finden immer
mehr Anklang. Die gemeinsame
An- und Abreise erfordert zwar erhöhten
Abstimmungsbedarf, dieser
wird aber häufig durch die positiven
Aspekte mehr als kompensiert. Sehr
hilfreich ist, dass unsere Führungskräfte
meist mit gutem Beispiel vorangehen
und etwa für Reisen nach
Brüssel auf die Bahn umsteigen.
3 ÖPNV – öffentlicher Personennahverkehr
4 https://boku.ac.at/nachhaltigkeit/dieboku-auf-dem-weg-zur-klimaneutralitaet
Auch wenn wir bereits einiges erreicht
haben, sind wir noch nicht am
Ziel. Die Herausforderung besteht
nun darin, diesen Weg weiterzugehen
und somit nicht nur die für
2040 angestrebte Klimaneutralität 3, 4
zu erreichen, sondern auch unsere
Verantwortung in der Gesellschaft
als Universität wahrzunehmen. Die
größten Hebel sind weitere Reduktionen
in den Langstreckenflugkilometern
und ein Ausbau der
Bahnkilometer durch einen weiteren
Ausbau der positiven Anreize, Supportstrukturen
und Bewusstseinsbildung.
Die BOKU University sagt
DANKE!
Sie haben Ideen und Gedanken zur
Mobilitätswende an der BOKU University?
Schreiben Sie uns und gestalten
wir die BOKU-Mobilität
gemeinsam nachhaltig und zukunftsfit.
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4/2024
83
Vegetation und naturnahe Flussläufe
als hocheffizienter Hochwasserschutz
800 km: Fachexkursion entlang der Rhône
zu ingenieurbiologischen Stationen
Von Katie Dorfner, Sirna David-Lalic, Petra Müller, Helena Peischl, Barbara Riedl
Flüsse sind die Lebensadern
unseres Ökosystems.
Ihr Wasser ist nicht nur
Lebensgrundlage von
Menschen und Lebensraum
für Flora und Fauna. Sie
bieten – entsprechend
gestaltet – auch Schutz vor
Extremwetterereignissen.
Wie effizient dieser Schutz
sein kann, haben fünf
Studierende der BOKU im
Rahmen einer Exkursion und
fachlichen Kooperation mit
der Europäischen Föderation
Ingenieurbiologie (EFIB) zum
Thema Ingenieurbiologie
entlang der Rhône besichtigt.
Entlang der gut 800 Kilometer langen Rhône – auf ihrem gesamten
Verlauf von den Walliser Alpengipfeln bis zur Mündung in der südfranzösischen
Camargue – werden seit Jahren wissenschaftlich begleitete
Renaturierungsmaßnahmen getroffen, die im Fall von Extremereignissen
das Schlimmste verhindern und das ökologische Gleichgewicht
wieder herstellen sollen. Erfolge konnten bereits früher und bei den
jüngsten Hochwasserereignissen verzeichnet werden und zeigen auf,
welches Potenzial die Möglichkeiten der Ingenieurbiologie auch in
Österreich bieten könnten. Drei Beispiele aus der Exkursionsroute
(Station Nr. 3, 4 und 7) werden exemplarisch hervorgehoben und sollen
diese erfolgversprechenden ingenieurbiologischen Maßnahmen zeigen.
Dritte Rhône-Korrektur in der Schweiz (Station 3)
Die Rhône in der Schweiz wurde bereits zweimal „korrigiert“: 1860
bis 1890 und 1930 bis 1960. Bei der dritten „Rhône-Korrektur“, die das
Projektteam als „Rhône free“ bezeichnet, wird primär versucht, ein
intaktes biodiverses Ökosystem mit Überschwemmungszonen wieder-
Übersicht
Exkursionsroute
84 4/2024
Kerstin Buchmüller
Petra Müller
muss das Geschiebe („River Load“),
das den Fluss blockieren könnte,
kontrolliert und wenn nötig ausgeräumt
werden. Das Projekt zeigt: Die
Schweizer*innen betrachten nicht
nur ihr Land als Einheit, sondern
auch ihre Flusssysteme und deren
Auswirkungen auf Menschen – ein
Denkansatz, der auch für Österreich
wünschenswert ist.
Renaturierung des
Flüsschens Aire (Station 4)
Bauarbeiten an der Schweizer Rhône zum Hochwasserschutz.
Quellen: bit.ly/48gwq0Y
Palier MBR
herzustellen, indem das Flussbett
und seine Ufer verbreitert werden.
Die Maßnahmen sollen einerseits
den Zugang zur Rhône gewährleisten
(40 Prozent der 200 km langen
Schweizer Strecke sind für Menschen
nicht zugänglich), gleichzeitig
sollen sie den Hochwässern der
Zukunft standhalten.
Die Schwierigkeit: Landnutzung
ist in der Schweiz stark reglementiert.
Entscheidungen bezüglich der
Renaturierung der Flüsse müssen
einstimmig getroffen werden. Jeder
Eingriff in die Natur muss bekannt
gemacht und gemeinschaftlich freigegeben
werden.
Der von den Studierenden besuchte
Teilabschnitt im Chablais umfasst
15 km der insgesamt 162 km und ist
in fünf Sektoren unterteilt. Bereits
errichtet wurde ein 1,5 km langer
Damm zwischen St. Triphon und
Moutonnerie, der den beschädigten
alten Damm sichern soll und gleichzeitig
Raum für die Flussaufweitung
geschaffen hat. Eine überdeckte
Steinsicherung schützt den vier Meter
hohen Damm, der zusätzlich mit
einem Metallnetz und Geotextilien
gegen Erosion gesichert ist. Am Fuß
sorgt eine Filterdrainage für Stabilisierung.
Entsprechende Ufer- und
Flussvegetation sind Garanten für
Biodiversität. Parallel dazu wurden
Strukturelemente eingebaut, von
Blockwurf bis Wurzelstöcke, die
zuvor entfernt werden mussten. Sie
dienen der Regulierung der Fließgeschwindigkeit.
Ihre Wirksamkeit wird
mehrere Jahre lang beobachtet.
Die Akzeptanz ist nach dem Hochwasser
im Jahr 2000, das den
Startpunkt für das Projekt setzte,
hoch. Um besser voranzukommen,
versucht der Kanton Waadt, Land zu
kaufen und es dem Fluss zurückzugeben.
Dort, wo dies nicht möglich
ist und der Fluss zu schmal bleibt,
1997 war ein ökologisch bedeutsames
Jahr für die Schweiz. Sie führte
das Prinzip der Renaturierung von
Fließgewässern im Wassergesetz
ein. Das bedeutet, dass Flüsse und
ihre Landschaft zu schützen und
wiederherzustellen sind. Die Aire,
ein im 19. Jahrhundert für seine
Kanalisierung gefeierter Zufluss der
Rhône, war der erste Fluss im Kanton
Genf, bei dem eine Flussrenaturierung
stattfand. Das Projekt wurde
vom Team Superpositions durchgeführt
– ein interdisziplinärer Zusammenschluss
von Gestalter*innen,
Biolog*innen, Hydrolog*innen sowie
Bau- und Umweltingenieur*innen.
Startschuss war 2002, die vierte
und letzte Etappe wurde 2022
fertiggestellt.
Die Idee dabei war, die Flusslandschaft
nicht in ihren natürlichen
Zustand zurückzuversetzen, sondern
die Spuren, die der Mensch
in den vergangenen Jahrzehnten
hinterlassen hatte, zu erhalten. Zur
Entlastung des Flusses sollte direkt
neben dem bestehenden alten, begradigten
Fluss ein zweites naturnahes
Flussbett entstehen. Dieses
sollte wieder die natürliche Struktur
eines Flusses bekommen. Zusätzlich
entstanden entlang des Flusses ein
Landschaftspark und eine Promenade
für Freizeitaktivitäten der Bewohner*innen.
Im dritten Bauabschnitt von 2013 bis
2016, dessen Hauptziel der Schutz
der Stadt Genf vor Überschwemmungen
war, wurde im Flussbett ein
Rautendiagramm gebildet, das dem
4/2024
85
Fluss ermöglicht, seinen Durchfluss
selbst zu bilden, erklärte EFIB-Präsidentin
Paola Sangalli. Die Rauten
wurden mit einem Bagger aufgeschüttet.
Die steileren Hänge wurden
in die breiteren Bereiche gelegt,
die Fluten griffen die Rauten an und
so bildete sich von allein das neue
Flussbett. Mit der Zeit entstanden
Mäander, Klippen und Flussbänke
von selbst.
Der Fokus der Renaturierung lag auf
dem Rautengeflecht, durch welches
der Fluss wieder zu seinem
natürlichen Flusslauf finden soll.
Zur Sicherung des Ufers wurden
Geotextilien in Verbindung mit
Trockensaatgut und Steckhölzern
verwendet. Auch die Rauten-„Inseln“
wurden teilweise begrünt, teilweise
allerdings auch der Natur selbst
überlassen. Im Jahr 2006 wurden
Baumstümpfe in den Flusslauf
gesetzt, um Verklausungen im Fluss
entgegenzuwirken. Wie bereits erwähnt,
liegt der Fokus des Projekts
darauf, dass sich der Fluss seinen
natürlichen Lebensraum wieder zurückholt,
indem er durch die Rauten
seinen Weg findet und so in seiner
Form die Landschaft wieder prägt.
Das Projekt „Renaturierung des
Flüsschens Aire“ wurde im Oktober
2019 vom Ministerkomitee des
Europarats mit dem Europäischen
Landschaftspreis ausgezeichnet.
Flusslandschaft entlang
hochwertiger Infrastruktur:
Wie erfolgreicher Hochwasserschutz
funktioniert
(Station 7)
Sechs Stunden hatten die Behörden
im Jahr 2003 Zeit, um die Gegend
rund um das römische Aquädukt
in Sainte-Foy-Les-Lyon am Yzeron
nahe der französischen Stadt Lyon
zu evakuieren. Dann verwandelte
der bis dahin unauffällig in seinem
Betonbett dahindümpelnde Fluss
die vierspurige Straße und die angrenzenden
Wohngebiete in eine
Seenlandschaft.
Flusslauf des Zuflusses Aire während und nach der Renaturierung.
Unmittelbar danach begann die regionale
Wasserschutzbehörde SAGYRC
die Planung für einen effizienten
Hochwasserschutz und für erhöhte
Biodiversität: Verlegung des Kanals,
Aufbrechung der alten Flussregulierung,
Verbreiterung des Flussbettes,
um einem 30-jährlichen Hochwasser
standhalten zu können, Modellierung
eines natürlichen Flusslaufes,
Einbau von Weidenfaschinen entlang
der neuen Uferlinien und im Flussbett,
Förderung der Sedimentation
und der Fischmigration durch weitere
ingenieurbiologische Maßnahmen.
Die Einwände gegen das Projekt
waren beträchtlich, ein erneutes
Hochwasser 2016 führte zum Umdenken
und beschleunigte die Umsetzung
mit besonderem Fokus auf
ingenieurbiologische Maßnahmen.
Zwischen 2018 und 2020 wurde der
Fluss schließlich auf einer Uferseite
aufgeweitet, renaturiert und unter
anderem mithilfe von Heckenbuschlagen
und Weidenfaschinen ökologisch
verbessert. Raubäume und
Steinwürfe schaffen Voraussetzungen
für Sedimentation. Am Steilufer
wurde die Betonkonstruktion um
Steingabionen ergänzt, die ebenfalls
Lebensraum bieten. Die jährlichen
Pflegemaßnahmen erfolgen ressourcen-
und landschaftsschonend
zumeist per Pferd, nur für größere
Eingriffe wird der Bulldozer benötigt.
Großer Kritikpunkt der Bevölkerung
im ersten Jahr war die durch
geringen Durchfluss und Bewuchs
plötzlich sichtbare Verschmutzung
mit Plastik und die Ablagerung von
Fotos: Fabio Chironi/BAFU, Barbara Riedl, Petra Müller
86 4/2024
Der Fluss Yzeron – vor, bei
und nach der Fertigstellung
der Renaturierung – ist heute
ein ökologisch wertvoller
Lebensraum.
Exkursionsziel
Fotos: SAGYRC (2), Barbara Riedl, Petra Müller, André Evette, INRAe
Studierende der BOKU mit Rosemarie Stangl, Uli Pitha, Paola Sangalli/EFIB, Doktorand*innen
des INRAe.
Totholz. Dass die Anwohner*innen
beim jüngsten Hochwasser 2023
ungeschoren davonkamen, ließ die
kritischen Stimmen verstummen.
Mittlerweile ist der Yzeron ein begehrtes
Naherholungsgebiet mit
Schutznutzen.
Die Exkursion hat uns Studierenden
eine breite Palette an ingenieurbiologischen
Anwendungen gezeigt und
vermittelt, welche Methoden unter
bestimmten Bedingungen gut funktionieren
beziehungsweise welche
Schwächen haben. Vor allem aber
haben wir gesehen, welche Erfolge
man in der Schweiz und in Frankreich
damit erzielt – nicht nur im
Hinblick auf intakte ökologische Verhältnisse,
sondern vor allem auch
für den Hochwasserschutz unter
schwierigen Bedingungen.
LINKS
EFIB Europäische Föderation
Ingenieurbiologie https://efib.org/
IBLB Institut für Ingenieurbiologie
und Landschaftsbau
https://boku.ac.at/baunat/iblb
KONTAKT
iblb@boku.ac.at
VIDEO ÜBER DIE BAUARBEITEN
bit.ly/3BZuE8A
QUELLEN
bit.ly/40cKTJt
bit.ly/3BZuE8A
Ziel der von Rosemarie Stangl
und Ulrike Pitha geleiteten und in
Kooperation des Instituts für Ingenieurbiologie
und Landschaftsbau
(IBLB) der BOKU University
mit der European Federation of
Soil and Water Bioengineering
(EFIB) durchgeführten Exkursion
war es, Funktion und Biodiversität
von Flusssystemen ganzheitlich
zu betrachten und anhand
von konkreten Beispielen zu sehen,
wie Fluss-Renaturierungen
mithilfe nature-based Solutions
aus der Ingenieurbiologie Klimaherausforderungen
meistern
helfen.
Die Exkursion erfolgte in Kollaboration
mit angesehenen Kolleg*innen
aus der Schweiz und
aus Frankreich, Studierenden des
INRAe und Institutionen wie der
Ecole polytechnique fédérale de
Lausanne (EPFL), dem Kanton
Waadtland, der französischen
Compagnie National du Rhône
als Energieversorger und Konzessionsinhaber
für die Schifffahrt
(CNR) oder der Regionalbehörde
für Gewässerschutz im Großraum
Lyon (SAGYRC).
4/2024
87
Austrian Open Access Datahub
Open Access Monitoring in Österreich
Von Anna-Laetitia Hikl
Abb. 1:
Darstellung des Data Hubs:
Die Publikationsdaten werden
von den FIS/CRIS-Systemen
der Institutionen geliefert
und mit Daten aus offenen
Services angereichert. Dazu
zählen: Crossref, Open Alex,
DOAJ, WIKIDATA, unpaywall,
Open APC und Sherpa Romeo.
Original: CC-BY 4.0, Hikl, A.-
L., & Danowski, P. (2024). Teilprojekt
2 – Austrian Datahub
for Open Access Negotiations
and Monitoring. Zenodo.
Nach vier Jahren geht das universitätsübergreifende
Projekt AT2OA2
zu Ende und auch das Teilprojekt 2
– Austrian Datahub for Open Access
Negotiations and Monitoring – ist
nun über den Österreichischen
Bibliothekenverbund online und zur
Unterstützung von Verhandlungen
mit wissenschaftlichen Verlagen,
aber auch für die Universitäten und
beteiligten Institutionen für das
eigene Monitoring und Berichtswesen
verwendbar.
Die Idee und Vorarbeiten für ein
eigenes österreichweites Open-
Access-Monitoring stammen aus
dem Vorgängerprojekt AT2OA (2017–
2020). In einer Arbeitsgruppe (zehn
verschiedene Institutionen) unter
dem Lead von ISTA und BOKU University
wurden die Anforderungen an
einen Data Hub ausgearbeitet und
formuliert:
• die Daten stammen von den Universitäten
selbst (FIS) und nicht
aus proprietären Systemen
• genaue und transparente Unterscheidung
der OA-Farben
• Nachvollziehbarkeit der Daten
selbst
• Nachnutzung der angereicherten
Daten an den Institutionen
• Verstetigung und Regelbetrieb
Welche Daten sind im Data
Hub und was ist sichtbar?
Die Institutionen liefern regelmäßig
die Daten aus den FIS/CRIS-Systemen
über eine Schnittstelle oder
auch als EXCEL an den Data Hub. Es
wurden vier Publikationstypen nach
COAR (Controlled Vocabularies for Repositories)
ausgewählt: Journal Article,
Conference Proceeding, Book Part,
Book. Alle Publikationen, die diese
Voraussetzungen erfüllen, werden
mit Daten aus verschiedenen offenen
Services angereichert (Abb. 1),
eine Weiterverarbeitung der Daten
erfolgt nur noch für Publikationen
mit einem DOI (Digital Object Identifier).
Ist kein DOI vorhanden, werden
diese Publikationen als „Unknown“
eingestuft. Eine Klassifikation des
Open-Access-Status (Farben) der
Publikationen mit DOI passiert über
ein in AT2OA entwickeltes Verfahren.
88 4/2024
Entwicklung des Open-Access-Anteils
Österreich 2014-2023
Abb. 2:
Die Entwicklung des Open-Access-Anteils
österreichweit und an der BOKU University
für die Jahre 2014–2023. Vergleich und Darstellung
von zwei Säulen diagrammen mit
prozentueller Angabe der verschiedenen definierten
Open-Access-Farben und -Kategorien
Diamant, Gold-pur, Hybrid, Green-Post,
Green-Pre, Bronze, Closed und Unknown.
BOKU University 2014-2023
Abfrage Data Hub 21. 10. 2014,
https://oamonitor.obvsg.at
Wie entwickelt sich
Open Access?
Auffallend ist, dass sowohl österreichweit
als auch an der BOKU University
der Anteil an „Unknown“-
Publikationen (dunkelblau) (Österreich
2014 60 %, 2023 41 %; BOKU
2014 32 %, 2023 21 %) erheblich
gesunken ist (Abb. 2), was auf die
Verwendung von Permalinks bzw.
eindeutigen Identifikatoren, vor
allem von DOIs zurückzuführen
ist. Bei all jenen Publikationen, die
deshalb auch einer OA-Farbe zuordenbar
sind, bemerkt man einen
starken Anstieg des Gold- und
Hybrid-Anteils der Publikationen,
vor allem nach dem ersten großen
„Transformative Agreement“ 2016
mit dem Springer Verlag und zusätzlich
2021 mit Elsevier (siehe Abb.
1 und Abb. 2). Im Rahmen dieser
Verlagsabkommen wurde einerseits
ein Umstieg einiger Zeitschriften auf
reine Gold-OA-Zeitschriften (das
heißt keine Subskriptionsgebühr)
verhandelt und eine sogenannte
„Read-and-Publish“-Komponente für
die österreichischen wissenschaftlichen
Einrichtungen verhandelt. Da
die BOKU University aufgrund ihrer
wissenschaftlichen Ausrichtung sehr
viel in Journalen unter anderem der
großen Verlagshäuser publiziert,
ist der Trend zu Open Access für
Publikationen besonders an unserer
Universität gut sichtbar (Bsp. 2014
51 %; 2023 16 % Closed-Anteil in
Publikationstypen mit DOI).
Momentan sind 24 Institutionen im
Data Hub erfasst und abgebildet (17
öffentliche Universitäten und ISTA
+ private Universitäten, Fachhochschulen
und Forschungsinstitute),
eine sehr genaue Abbildung des
OA-Anteils der wissenschaftlichen
Publikationen in Österreich ist daher
möglich.
Das Bekenntnis der Fördergeber*innen
und der Europäischen Union zu
Open Science und Plan S, aber natürlich
die gesamte Open-Science-
Bewegung von der Budapest Open
Access Initiative 2001, der Berliner
Erklärung über den offenen Zugang
zu wissenschaftlichem Wissen
2003 bis zur aktuellen Barcelona
Declaration für offenen Zugang zu
Informationen über Forschung 2024,
sind Teil des Erfolgsmodelles Open
Science, das den Einzug in den Wissenschaftsbetrieb
geschafft hat.
LINKS
Österreichischer Bibliothekenverbund
https://oamonitor.obvsg.at
Projekt AT2OA2
https://at2oa2.univie.ac.at/
Arbeitsgruppe (zehn verschiedene Institutionen)
https://at2oa2.univie.ac.at/tp2
KONTAKT
Mag. a Anna-Laetitia Hikl
anna_laetitia.hikl@boku.ac.at
4/2024
89
BOKU-Erfinderin 2024
Monika Cserjan zählt mit
sechs Erfindungsmel dungen,
vier Patentanmeldungen und
über 50 Publikationen zu den
erfolgreichsten BOKU-Forscherinnen.
Preisübergabe: Christian
Obinger und Monika Cserjan
https://www.youtube.com/
watch?v=W07ae8zDGpo
BOKU-Erfindung 2024
Der Preis ging 2024 an die
Erfindung „StreetTREE – Eine
Anordnung zur begrünten
Retention von Niederschlagswasser“,
die im Rahmen eines
FFG-Projekts des Programms
„Smart Cities Demo“ entwickelt
wurde.
Preisübergabe: v. l. n. r.
Christina Henöckl, Bernd
Scharf und Christian Obinger
BOKU-Start-up 2024
Das BOKU-Spin-off Novasign
GmbH konzentriert sich
auf die Beschleunigung der
Bioprozessentwicklung mit
hybriden Modellierungslösungen
und Software.
Preisübergabe: v. l. n. r.
Armin Khodaei, Ali Kleit, Mark
Dürkop und Christian Obinger
Fotos: Patrick Piller
90 4/2024
BOKU Preise
Von Nicole Hochrainer
BOKU-Erfinderin 2024
Für diesen Preis werden Erfinderinnen
vor den Vorhang geholt, um jungen
Wissenschaftlerinnen Inspiration
und Vorbild zu sein. Es bedarf keiner
Einreichung, dem Technologietransfer
gemeldete Erfindungen sind die
Grundlage für die Vorauswahl. Die
Jury hat mit Monika Cserjan eine
erfolgreiche und sehr engagierte
Wissenschaftlerin gewählt.
Bei der Ehrung im Rahmen des
FoS-Open House betonte Vizerektor
Christian Obinger die herausragende
Leistung von Monika Cserjan, denn
trotz ihrer Drittmittelanstellung
zählt sie mit sechs Erfindungsmeldungen,
vier Patentanmeldungen
und über 50 Publikationen zu den
erfolgreichsten BOKU-Forscherinnen.
In ihrer Forschungstätigkeit konzentriert
sie sich derzeit auf nachhaltigere
Alternativen in der Produktion
von Biopharmazeutika. Cserjan
gelingt es, langfristige produktive
Beziehungen zu Unternehmenspartner*innen
zu knüpfen, woraus
immer neue Kooperationsprojekte
mit der BOKU entstehen. Diese dienen
oft auch der wissenschaftlichen
Nachwuchsförderung.
Monika Cserjan ist intensiv in die
Ausbildung der nächsten Generation
Wissen schaftler*innen eingebunden
und eignet sich durch ihre innovativen
For schungsleistungen hervorragend
als BOKU-Role Model.
BOKU-Erfindung 2024
Die Idee und der innovative Charakter
einer Erfindung werden mit der
Verleihung des Preises BOKU-Erfindung
des Jahres ausgezeichnet.
Der Preis ging 2024 an die Erfindung
„StreetTREE – Eine Anordnung zur
begrünten Retention von Niederschlagswasser“,
die im Rahmen
eines FFG-Projekts des Programms
„Smart Cities Demo“ von den BOKU-
Forscher*innen Bernhard Scharf und
Christina Henöckl (Department für
Bautechnik und Naturgefahren, Institut
für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau)
gemeinsam mit Andreas
Berger (Green4cities GmbH), Manfred
Peritsch (IMG Innovation-Management-Group
GmbH) und Friedrich
Schöls (GEOplast Kunststofftechnik
GmbH) entwickelt wurde.
Dieser innovative Ansatz ermöglicht
die Pflanzung von Bäumen
unabhängig von leitungsgebundener
Infrastruktur und stellt dem Baum
ausreichendes Wurzelvolumen zur
Verfügung. Die Bewässerung der
gepflanzten Stadtbäume lässt sich
durch diese Erfindung effizienter
gestalten, da Oberflächenwasser
den Bäumen vor Ort zugeleitet werden
kann. Dabei wird kontaminiertes
Wasser (Auftaumittel im Winter)
mittels eines gemeinsam mit der
Firma ACO GmbH entwickelten Einlaufverteilers
ferngehalten und in
die Kanalisation abgeleitet.
Einige Partner*innen des Konsortiums
arbeiten zurzeit an der
kommerziellen Verwertung der im
August 2023 zum Patent angemeldeten
Erfindung.
BOKU-Start-up 2024
Auch heuer wurde der mit
3.000 Euro dotierte BOKU-Startup-Preis
vergeben. Ausgezeichnet
wird die beste Start-up-Idee, die zu
einer Gründung führte. Die Einreichenden
werden nach den Kriterien
Gründung innerhalb der letzten fünf
Jahre, BOKU-Bezug, Gesellschaftlicher
Mehrwert und Innovative Idee
ausgewählt.
Das BOKU-Spin-off Novasign GmbH
ist Gewinner des BOKU-Start-up-
Preises 2024. Novasign konzentriert
sich auf die Beschleunigung der
Bioprozessentwicklung mit hybriden
Modellierungslösungen und Software.
Durch den Einsatz fortschrittlicher
Tools für maschinelles Lernen
wird eine erhebliche Verkürzung der
Entwicklungszeiten für Bioprozesse
sowohl für neue Pharmazeutika als
auch für Biosimilars erreicht.
LINK
https://boku.ac.at/fos/technologietransfer/
preise-auszeichnungen
4/2024
91
→ Strategische Kooperation BOKU–Umweltbundesamt
Projekte & Personalia
Von Rosemarie Stangl und Barbara Birli
Die Strategische Kooperation BOKU–
Umweltbundesamt verfolgt das Ziel,
gemeinsam Themen zu bearbeiten,
die der nachhaltigen Entwicklung
und der Transformation von Wirtschaft
und Gesellschaft dienen. Beide
Häuser beschäftigen sich traditionellerweise
mit umweltrelevanten
Inhalten mit starken Schnittstellen
zur Gesellschaft, den Auswirkungen
der Handlungen auf die Umwelt
und die Unterstützung und Steuerung
von Politik und Wirtschaft in
Richtung einer umweltverträglichen
Handhabe.
Die Schwerpunktthemen knüpfen
an wichtige Elemente des aktuellen
österreichischen Regierungsprogramms
sowie an gegenwärtige
lokale und nationale Herausforderungen
an und orientieren sich an
internationalen Entwicklungen wie
dem EU Green Deal und den Zielen
für nachhaltige Entwicklung der
Vereinten Nationen (Sustainable Development
Goals) sowie dem Nature
Restoration Law. Im besonderen Fokus
stehen nach wie vor die Themen
Landnutzung, Bodenverbrauch,
grün-blaue Infrastrukturen und
nachhaltige Stadt- und Gemeindeentwicklung.
Hohe Aktualität hat das gemeinsam
vorbereitete Vorhaben PotEnt
– durch die Hochwasserlage vom
September 2024. PotEnt wird sich
mit den Potenzialen zur Entsiegelung
als Kompensation beeinträchtigter
Bodenfunktionen auseinandersetzen.
Der Schwerpunkt wird
dabei auf einer Entsiegelungskarte,
Grundlagen zur Forcierung der
grün-blauen Infrastrukturen und
zur Reduktion und Vermeidung
der Bodenversiegelung und damit
verbundener Hitzeinseln und
Oberflächenabfluss liegen.
Ein weiteres bedeutendes Projekt
der Zusammenarbeit ist eLTER.
Die BOKU arbeitet seit Jahren
intensiv mit dem Umweltbundesamt
im Zuge der österreichischen
Beteiligung an der europäischen
Forschungsinfrastruktur eLTER
(Integrated European Long-Term
Ecosystem, critical zone and socio-ecological
Research). In den
nächsten zwei Jahren geht es in
die letzte Phase der Formalisierung
und Finanzierung.
Die administrative und fachliche
Koordination bei der Vorbereitung
von gemeinsamen Vorhaben
wird von der Koordinierungsstelle
der Kooperation begleitet
und unterstützt. An dieser Stelle
danken wir Florian Borgwardt für
seine langjährige Arbeit in der
Koordinierungsstelle. Er hat in
dieser Aufgabe höchste Kompetenz
bewiesen und exzellentes
Forschungswissen aus seinem
eigenen Bereich, aber auch aus
vielen angrenzenden Fachthemen
eingebracht. Wir gratulieren zur
neuen Stelle und wünschen alles
Gute in der weiteren wissenschaftlichen
Karriere!
Die Nachbesetzung der Koordinierungsstelle
ist im November 2024
erfolgt.
Im Beirat der Strategischen Kooperation,
der sich aus Expert*innen
des Umweltbundesamts und
Wissenschaftler*innen der BOKU
University zusammensetzt, gibt es
aktuell folgende Wechsel:
Verena Radinger-Peer folgte mit
Oktober 2024 Christine Stumpp,
Marion Huber-Humer wird mit Jahresbeginn
2025 Ulrike Pröbstl-Haider
ablösen. Wir danken den beiden
scheidenden Mitgliedern für ihre
inhaltlichen Beiträge. Besonders
wollen wir hier Ulrike Pröbstl-Haider
für ihr langjähriges Engagement und
ihre zahlreichen Initiativen, speziell
die Etablierung der Koordinierungsstelle,
würdigen.
Der Beiratsvorsitz wird mit Jahreswechsel
an das Umweltbundesamt
übergeben: Barbara Birli vom
Umweltbundesamt wird als Vorsitzende,
gemeinsam mit Georg Gübitz
von der BOKU in der Stellvertretung,
die Aufgaben übernehmen.
LINKS
http://short.boku.ac.at/fos_stratkoopbokuu
https://elter-ri.eu
92 4/2024