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Leseprobe_Achtung International

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Achtung International!

SALZBURG & 100 JAHRE

INTERNATIONALE GESELLSCHAFT

FÜR NEUE MUSIK

SALZBURG & 100 YEARS OF THE

INTERNATIONAL SOCIETY

FOR CONTEMPORARY MUSIC

I


Achtung International!

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Achtung

International!

SALZBURG & 100 JAHRE

INTERNATIONALE GESELLSCHAFT FÜR NEUE MUSIK

SALZBURG & 100 YEARS OF THE

INTERNATIONAL SOCIETY FOR CONTEMPORARY MUSIC

Herausgegeben von | Edited by

Universität Mozarteum Salzburg in Zusammenarbeit mit

der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, Sektion Österreich

University Mozarteum Salzburg in collaboration with

the International Society for Contemporary Music, Austrian Section

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Gefördert durch | Supported by

Alle Rechte vorbehalten.

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich.

Die Abbildungsrechte sind nach bestem Wissen und Gewissen geprüft worden.

Im Fall noch offener berechtigter Ansprüche wird um Mitteilung der Rechteinhaber ersucht.

All rights reserved.

Authors are responsible for the content of their chapters.

Every effort has been made to check copyright holders.

In the case of outstanding, justified claims, we request to be notified by the rights owner.

Universität Mozarteum Salzburg in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, Sektion Österreich (Hg.):

Achtung International!

Salzburg & 100 Jahre Internationale Gesellschaft für Neue Musik / Salzburg & 100 Years of the International Society for Contemporary Music

© Hollitzer Verlag, Wien, 2024

Fotomontage auf dem Cover:

Gruppenbild 14 österreichischer, holländischer, englischer und deutscher Komponist*innen, Salzburg, August 1922

(British Library, Ernst Henschel Collection)

Hintergrund: Café Bazar (Stadt Archiv Salzburg, Fotoatelier Würthle, 1929)

Photo composition on the cover:

14 Austrian, Dutch, English and German composers pictured in Salzburg in August 1922

(British Library, Ernst Henschel Collection)

Background: Café Bazar (Municipal Archive Salzburg, Fotoatelier Würthle, 1929)

Redaktion: Matthew Werley

Koordination: Stefan David Hummel

Lektorat: Marion Linhardt

Layout: Nikola Stevanović

Cover: Salzburg & Café Bazar, August 1922 (King’s College Cambridge Archive, EJ Dent Papers & Stadtarchiv Salzburg)

Hergestellt in der EU | Produced in the EU

www.hollitzer.at

ISBN 978-3-99094-154-6

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Walter Gieseking, Maurits Frank, Isaäc Mossel, Wanda Szigeti (geb. Ostrowska), Paul Weingarten, Licco

Amar, Paul Hindemith (sitzend), Erika Stiedry-Wagner, Mary Dickenson-Auner, Hugo Heller (sitzend),

Dorothy Moulton, Hedwig Heller (geb. Neumayr), Elisabeth Schumann, Karl Alwin, Walter Casper,

Joseph Szigeti und Louis Fleury in Salzburg, August 1922

Walter Gieseking, Maurits Frank, Isaäc Mossel, Wanda Szigeti (née Ostrowska), Paul Weingarten, Licco

Amar, Paul Hindemith (seated), Erika Stiedry-Wagner, Mary Dickenson-Auner, Hugo Heller (seated),

Dorothy Moulton, Hedwig Heller (née Neumayr), Elisabeth Schumann, Karl Alwin, Walter Casper,

Joseph Szigeti and Louis Fleury in Salzburg, August 1922

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INHALT | CONTENTS

11 Geleitwort | Preface

Elisabeth Gutjahr (Salzburg)

13 Von Salzburg in die Welt – die Gründungsstadt und Österreich feiern 100 Jahre IGNM

From Salzburg to the World – the Founding City and Austria Celebrate 100 Years of ISCM

Sonja Leipold (Wien) – Stefan David Hummel (Salzburg)

EINFÜHRUNG | INTRODUCTION

21 IGNM: Geschichte & Gegenwart

ISCM: Past & Present

Glenda Keam (Auckland)

27 „die zerrissenen Fäden der europäischen Kulturgemeinschaft wieder anzuknüpfen“

“To mend the broken bonds of the European cultural community”

Matthew Werley (Salzburg)

47 Gründungskomitee im Café Bazar, 11. August 1922

Founding Committee in Café Bazar, 11 August 1922

51 Übersicht der jährlichen IGNM-Feste & der Weltmusiktage, 1922–2023

List of Annual ISCM Festivals & World New Music Days, 1922–2023

AUFBRUCH | RUPTURE

57 Als die „Neue Musik“ neu war

When “New Music” was New

Giles Masters (Oxford)

67 Eine verhängnisvolle Wahrnehmung: Juden & moderne Musik

A Fatal Perception: Jews & Modern Music

Michael Haas (Oxford / Wien)

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SALZBURG

87 Wendepunkt 1922: Festspielstadt & Friedensprojekte

Turning Point 1922: Festival City & Peace Projects

Matthew Werley (Salzburg)

113 1922. Internationale Kammermusik-Aufführungen in Salzburg

1922. International Chamber Music Performances in Salzburg

Hartmut Krones (Wien)

129 Zwischen Salzburg & London: Die Feste 1923 & 1924

Between Salzburg & London: The 1923 & 1924 Festivals

Barbara L. Kelly (Leeds)

143 Das IGNM-Fest 1952 in Salzburg: Ein Anfang, ein Ende oder ein Krimi ohne Anfang und Ende?

The 1952 ISCM Festival in Salzburg: A Beginning, an End or a Mystery without Beginning or End?

Frank J. Oteri (New York City)

ÖSTERREICH | AUSTRIA

177 Wien 1932, 1961 & 2013: Von Vierteltönen & Fischen auf Prozac

Vienna 1932, 1961 & 2013: Of Quartertones & Fish on Prozac

Stefan Kloiber (Graz)

199 Graz 1972 & 1982: Zwischen organisatorischen Impulsen, kritischem Widerstand &

Generationenkonflikten

Graz 1972 & 1982: Between Organisational Impulses, Critical Resistance & Generational

Conflicts

Cristina Scuderi (Graz)

213 Die Länder-Sektionen

The Regional Sections

Bruno Strobl (Wien)

227 Verbot unter dem Nationalsozialismus: Der Ständige Rat für die internationale

Zusammenarbeit der Komponisten: eine existenzielle Bedrohung für die IGNM?

Ban under National Socialism: The Permanent Council for International Cooperation of

Composers: an Existential Threat to the ISCM?

Erik Levi (London)

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FIGUREN & NETZWERKE | FIGURES & NETWORKS

259 Rudolf Réti & Egon Wellesz: Die vergessenen Gründerväter der IGNM

Rudolf Réti & Egon Wellesz: The Forgotten Founders of the ISCM

Hannes Heher (Wien)

273 Angelsächsische Haltungen & die Präsidenten der IGNM:

Edward J. Dent, Edwin Evans & Edward Clark

Anglo-Saxon Attitudes & ISCM Presidents:

Edward J. Dent, Edwin Evans & Edward Clark

Karen Arrandale (Cambridge)

295 Der Nordstern der IGNM: Pauline Hall & die Gründung von Norwegens Ny Musikk

The ISCM’s North Star: Pauline Hall & the Establishment of Norway’s Ny Musikk

Astrid Kvalbein (Oslo)

315 Verlage & Propaganda: die Universal-Edition & die Musikblätter des Anbruch

Publishers & Propaganda: Universal Edition & Musikblätter des Anbruch

Stephanie Franklin (Oxford)

INTERNATIONALITÄT | INTERNATIONALISM

335 Meilensteine, Uraufführungen & bemerkenswerte Skandale

Milestones, Premieres & Notable Scandals

Laura Tunbridge (Oxford)

347 Eine Institutionengeschichte der IGNM von der Peripherie aus: Die IGNM aus mittel- und

osteuropäischer Perspektive

An Institutional History of the ISCM from the Periphery: The ISCN from a Central- and

Eastern-European Perspective

Rūta Stanevičiūtė (Vilnius)

363 Teil der strategischen Planung: Wolfgang Steinecke, die Darmstädter Ferienkurse & ihr

Verhältnis zur IGNM in der Frühphase des Internationalen Musikinstituts Darmstadt

Part of a Strategic Plan: Wolfgang Steinecke, the Darmstadt Summer Courses & their

Relationship to the ISCM during the Early Phase of the International Music Institute in

Darmstadt

Thomas Schäfer (Darmstadt)

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GEGENWART | PRESENT

389 Kartographie Neue Musik

Cartography Contemporary Music

Stefan Fricke (Frankfurt am Main)

403 Neue Musik in Neuseeland, oder nau mai haere mai (Begrüßung) der IGNM in Aotearoa

New Music in New Zealand, or nau mai haere mai (Welcoming) the ISCM to Aotearoa

Gillian Karawe Whitehead (Auckland)

417 Das Neue als globales Hören

The New as Global Listening

Daniel K.L. Chua (Hong Kong)

433 Liste der konsultierten Archive und Privatbestände | List of Consulted

Archives and Private Holdings

437 Literatur | Literature

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Geleitwort | Preface

Rektorin Elisabeth Gutjahr

Rektorin der Universität Mozarteum | Principal of Mozarteum University

Das 100-jährige Jubiläum der Internationalen Gesellschaft

für Neue Musik und deren Gründung in Salzburg im August

1922 haben in den letzten zwei Jahren zu einer Vielzahl

von künstlerischen und wissenschaftlichen Veranstaltungen

geführt. Dazu zählen die Tagung „Wegzeichen Neue Musik:

Salzburg und die musikalische Zeitgenoss*innenschaft“ am

Mozarteum in Salzburg im April 2022 sowie die Ausstellung

„Achtung International! Salzburg + 100 Jahre Internationale

Gesellschaft für Neue Musik 1922–2022“, kuratiert

von Matthew Werley, die von März bis September 2022 im

Foyer der Universität Mozarteum Salzburg zu sehen war.

Hohe Expertise, Engagement und große Akribie kamen

hier zusammen, um die Geschichte der IGNM nachzuzeichnen

und für die heutige Betrachtung lesbar zu machen: eine

Gesamtschau durch die jeweils zeitgenössische Musik hindurch

auf das Weltgeschehen der letzten 100 Jahre. Besonders

eindrucksvoll gestaltete sich der Festakt am 11. August 2022

im Café Bazar, das von seinem damaligen Ambiente kaum

etwas eingebüßt hat. Die Aufbruchsstimmung, die einst unterschiedliche

ästhetische Positionen überwinden half, für

Vielfalt und Mut zur Moderne einstand, zudem aber eine nationale

Grenzen überwindende, friedliche Zukunft anstrebte,

war stärker als der Lärm in den Straßen, der den aufkeimenden

Nationalsozialismus und Antisemitismus bereits hörbar

werden ließ. Es wurde für alle auch deutlich, dass dieser Akt

der künstlerischen Solidarität nie an Aktualität verloren hat.

Mit dieser Publikation wird das Spektrum der Reflexionen

systematisch erweitert. In fast zwei Dutzend wissenschaftlichen

Texten setzen sich international renommierte

Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen mit

historischen und regionalen Aspekten der IGNM auseinander.

Politische und ideologische Bedingungen, regionale

Besonderheiten, internationale Netzwerke, die Relevanz

einzelner Persönlichkeiten und mediale Kontexte werden

diskutiert. Besonders hervorzuheben sind die forscherischen

Kontroversen über die Rolle von Wien und Salzburg bei der

Gründung der IGNM und deren frühen Aktivitäten in den

Jahren 1922 und 1923. Die Fülle an Abbildungen in diesem

The centenary of the International Society for New

Music and its founding in Salzburg in August 1922 has

led to a multitude of artistic and scientific events over

the past two years. These include the conference “Wegzeichen

Neue Musik: Salzburg und die musikalische

Zeitgenoss*innenschaft” at the Mozarteum in Salzburg

in April 2022, and also the exhibition “Achtung International!

Salzburg + 100 Jahre Internationale Gesellschaft

für Neue Musik 1922–2022,” curated by Matthew Werley,

which was on display in the foyer of the University

Mozarteum Salzburg from March to September 2022.

High expertise, commitment, and great meticulousness

came together here to trace the history of the ISCM

and make it accessible to appreciation today: an overview

through contemporary music of the world events

of the last hundred years. The ceremony on August 11,

2022, at the Café Bazar, which has lost little of its former

ambiance, was particularly impressive. The spirit

of new departures, which once overcame different aesthetic

positions, stood for diversity and the courage of

modernity, but also aimed for a peaceful future overcoming

national borders, was stronger than the noise in

the streets, which already made the emergent National

Socialism and anti-Semitism audible. It became clear

to everyone that this act of artistic solidarity has never

lost its topicality.

With this publication, this spectrum of reflections

is systematically expanded. In almost two dozen scientific

texts, internationally renowned scientists and

practitioners address the historical and regional aspects

of the ISCM. Political and ideological conditions, regional

peculiarities, international networks, the relevance

of individual personalities, and media contexts

are discussed. Particularly noteworthy are the research

controversies about the roles of Vienna and Salzburg in

the founding of the ISCM and their early activities in

the years 1922 and 1923. The abundance of illustrations

in this book, which we were able to compile thanks to

11


Buch, die wir dank der großzügigen Unterstützung internationaler

Institutionen und Einzelpersonen zusammenstellen

konnten, erscheint von hohem dokumentarischem Wert und

ergänzt anschaulich die verschiedenen Textarten.

Unser Dank geht an alle Beteiligten, die dieses Buches

ermöglicht haben, besonders an die Autor*innen. Ein herzliches

Dankeschön auch an die Förderpersönlichkeiten und

-institutionen, die dieses Projekt unterstützt haben. Ohne

die großzügige Unterstützung durch die Stadt Salzburg, das

Land Salzburg, die Spängler Bank, die Salzburg Association,

das Richard Strauss Institut, den Egon-Wellesz-Fonds und

die IGNM Österreich wäre die Realisierung der zahlreichen

Projekte und diese vorliegende Publikation nicht möglich

gewesen.

Ein besonderer Dank geht persönlich an Matthew Werley

für seine leidenschaftliche Recherche und Aufarbeitung

der Quellen, an Stefan David Hummel für die hoch engagierte

Begleitung und Gesamtkoordination auch der Kommunikation

mit der IGNM Österreich und an das Team des

Hollitzer Verlags samt seiner hervorragenden Unterstützung

bei der Umsetzung dieser Publikation. Professionalität,

Leidenschaft und Engagement haben maßgeblich zum

Gelingen dieses wissenschaftlichen Werkes beigetragen,

möge es weltweit eine große Leserschaft erreichen.

the generous support of international institutions and

individuals, appears to be of high documentary value

and vividly complements the various types of text. Our

thanks go to all those involved who made this book

possible, especially to the authors.

A heartfelt thank you also to the patrons and institutions

that have supported this project. Without the

generous support of the city of Salzburg, the state of

Salzburg, the Spängler Bank, the Salzburg Association,

the Richard Strauss Institute, the Egon-Wellesz-Fund,

and the ISCM Austria, the realization of numerous

projects and this present publication would not have

been possible.

Special thanks go personally to Matthew Werley for

his passionate research and processing of the sources,

to Stefan David Hummel for his highly committed accompaniment

and overall coordination of communications

with the ISCM Austria, and the team of the Hollitzer

Verlag along with their excellent support in the

implementation of this publication. Professionalism,

passion, and commitment have significantly contributed

to the success of this scientific work; may it reach

a large readership worldwide!

12


Von Salzburg in die Welt – die Gründungsstadt und

Österreich feiern 100 Jahre IGNM

From Salzburg to the World – the Founding City and

Austria Celebrate 100 Years of ISCM

Sonja Leipold

(Wien)

Präsidentin der IGNM Österreich

Stefan David Hummel

(Salzburg)

Vorsitzender der IGNM Salzburg

Liebe Leser*innen,

versetzen Sie sich mit uns in die Zeit vor 100 Jahren, genauer

gesagt in den August 1922 in Salzburg: Die Wiener Komponisten

Rudolf Réti und Egon Wellesz hatten Internationale

Kammermusik-Aufführungen im Mozarteum organisiert

– und Béla Bartók, Arnold Bax, Paul Hindemith, Arthur

Honegger, Darius Milhaud, Ethel Smyth, Anton Webern

und viele andere Komponistinnen und Komponisten aus

15 Ländern versammelten sich unter dem Protektorat des

Mitbegründers der Salzburger Festspiele, Richard Strauss,

um das erste internationale Friedensprojekt in der Musik

nach dem Ersten Weltkrieg zu etablieren. In der Folge entwickelte

sich die Internationale Gesellschaft für Neue Musik

(IGNM) zu einer der bedeutendsten Förderinstitutionen der

Welt für zeitgenössische Musik auf allen Kontinenten in

rund 50 Ländersektionen, deren 100-jährigem Bestehen wir

diesen Band gewidmet haben.

Gemeinsam mit der IGNM Österreich und zahlreichen

Partnerinstitutionen wurde die Gesellschaft anlässlich ihres

100. Geburtstages mit ihren Zielen, ihrer Geschichte und

ihrer Bedeutung einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein

gebracht. Dazu trug eine Vielzahl von Aktivitäten bei.

Ein zentrales Ereignis des Jubiläumsjahres war der Festakt

am 11. August 2022, dem Jahrestag der Gründung, im Salz-

Dear readers,

Let us take you back 100 years to August 1922 in

Salzburg: Viennese composers Rudolf Réti and Egon

Wellesz had organised International Chamber Music

Performances at the Mozarteum – and Béla Bartók,

Arnold Bax, Paul Hindemith, Arthur Honegger, Darius

Milhaud, Ethel Smyth, Anton Webern and many

other composers from 15 countries gathered under the

protectorate of Salzburg Festival co-founder Richard

Strauss to establish the first international peace project

in music after the First World War. Subsequently, the

International Society for Contemporary Music (ISCM)

developed into one of the world’s most important

funding organisations for contemporary music on all

continents in around 50 country sections, and we have

dedicated this volume to its 100th anniversary.

Together with ISCM Austria and numerous partner

institutions, the society’s goals, history, and significance

were brought to the attention of a broad public

on its 100th birthday. Many activities contributed to

this.

A central event of the anniversary year was the

ceremony on 11 August 2022, the anniversary of the

founding, in Salzburg’s Café Bazar: a literary and mu-

13


burger Café Bazar: Eine literarisch-musikalische Performance

am historischen Ort hat uns diese Zeit des Um- und Aufbruchs

vor 100 Jahren vergegenwärtigt. Unser großer Dank gilt Prof.

Elisabeth Gutjahr, der Rektorin der Universität Mozarteum,

sowie Bettina Hering, Leiterin des Schauspiels der Salzburger

Festspiele, für die so gelungene Gestaltung mit Schauspielern

des Jedermann-Ensembles.

Ein weiteres Highlight war das Kammerkonzert der

Salzburger Festspiele am 7. August 2022 im Großen Saal des

Mozarteums: Solisten der Wiener Philharmoniker erinnerten

mit Werken von Strauss, Ravel, Berg und Wellesz an die

Gründung der IGNM in Salzburg und an das erste Konzert

der Internationalen Kammermusik-Aufführungen 100 Jahre zuvor.

Es war uns eine besondere Freude, einen so renommierten

Kooperationspartner für diese Jubiläumsveranstaltung

gefunden zu haben.

Die Universität Mozarteum Salzburg hat zahlreiche

Projekte mit uns verwirklicht, darunter die Ausstellung

„ACHTUNG INTERNATIONAL! – 100 Jahre IGNM“,

von der in dieser Publikation noch zu lesen sein wird. Großzügig

unterstützt von Stadt und Land Salzburg, wurde diese

Ausstellung von März bis September 2022 im Großen Foyer

der Universität Mozarteum gezeigt und zog über 20.000

Besucher an, bevor sie als Wanderausstellung auch national

und international breites Interesse weckte.

Der Musikwissenschaftler Matthew Werley, der

Kurator dieser Ausstellung, spricht vom „Januskopf“

der IGNM: „Zum Zeitpunkt der Gründung hatte die

Gesellschaft einen diplomatischen Zweck: Menschen

zusammenzubringen und Musik zu hören, die vier oder

fünf Jahre zuvor noch verboten gewesen war. Die IGNM

war ein Projekt des – neuen – Hörens. Nach dem Zweiten

Weltkrieg zeigte die Gesellschaft dann ein anderes Gesicht:

diese hochmoderne Musik zur Förderung von jungen

Komponistinnen zu öffnen, alte Muster aufzubrechen

und Neues zu finden.“

Die IGNM Österreich ist bestrebt, hohen künstlerischen

Ansprüchen gerecht zu werden und das Publikum mit hervorragenden

Interpret*innen in den Bann zu ziehen. Für

die Musik unserer Zeit zu begeistern, ist im Jubiläumsjahr

überzeugend gelungen mit der Hilfe vieler Persönlichkeiten,

die sich in Österreich für die IGNM eingesetzt haben,

allen voran der Vorstand der IGNM Österreich. Nicht

nur in Salzburg, sondern in ganz Österreich fanden in den

Jubiläumsjahren 89 facettenreiche Konzerte und Veranstaltungen

zu verschiedensten aktuellen Themen statt:

von neuester Musik über Werke der Gründungsjahre, vom

Gender- und Diversitätsschwerpunkt über Neue Musik mit

und von Jugendlichen, von innovativer Multimediakunst bis

sical performance at the historic location recalled the

time of upheaval and change 100 years ago. We would

like to thank Prof Elisabeth Gutjahr, Chancellor of the

Mozarteum University, and Bettina Hering, Head of

Drama at the Salzburg Festival, for organising such a

successful performance with actors from the Jedermann

ensemble.

Another highlight was the Salzburg Festival chamber

music concert on 7 August 2022 in the Great Hall

of the Mozarteum: soloists from the Vienna Philharmonic

recalled the founding of the IGNM in Salzburg

and the first concert of the International Chamber

Music Performances 100 years earlier with works by

Strauss, Ravel, Berg and Wellesz. It was a particular

pleasure for us to have found such a renowned cooperation

partner for this anniversary event.

The Mozarteum University Salzburg has realised

numerous projects with us, including the exhibition

“ACHTUNG INTERNATIONAL! – 100 Jahre

IGNM”, which will be featured in this publication.

Generously supported by the City and Province of

Salzburg, this exhibition was shown in the Great

Foyer of the Mozarteum University from March to

September 2022 and attracted over 20,000 visitors before

it also aroused widespread interest nationally and

internationally as a travelling exhibition.

Musicologist Matthew Werley, curator of this exhibition,

speaks of the “Januskopf (Janus face)” of the

ISCM: “At the time of its founding, the society had

a diplomatic purpose: to bring people together and

listen to music that had been banned four or five years

earlier. The ISCM was a project of – new – listening.

After the Second World War, the society showed a

different face: to open up this ultra-modern music to

promote young female composers, to break up old patterns

and find new ones.”

ISCM Austria endeavours to meet high artistic

standards and to captivate audiences with outstanding

performers. In its anniversary year, the ISCM

Austria has succeeded in inspiring enthusiasm for the

music of our time with the help of many personalities

who have worked for the ISCM in Austria, above all,

the ISCM Austria board. Not only in Salzburg, but

also throughout Austria, 89 multifaceted concerts

and events on a wide variety of current topics took

place in the anniversary years: from the latest music

to works from the founding years, from a focus on

gender and diversity to new music with and by young

people, from innovative multimedia art to interdis-

14


hin zu spartenübergreifenden Formaten wurde – in enger

Zusammenarbeit mit hervorragenden international renommierten

Ensembles, Solist*innen und Komponist*innen

– ein großes Spektrum aktuellster Musik und Klangkunst

präsentiert. Zwei große Symposien mit hochkarätigen internationalen

Teilnehmer*innen ermöglichten intensiven

wissenschaftlichen Diskurs zur IGNM: Beim Symposium

„Wegzeichen Neue Musik“ im April 2022 in Salzburg wurde

die Geschichte der IGNM thematisiert, das Symposium

„Gegenwartsentwürfe – Zukunftsbilder“ im November

2023 in Wien widmete sich der musikalischen Gegenwart

mit ihren aktuellen und zukünftigen Tendenzen. Diverse

Workshops und Wettbewerbe luden vor allem Menschen der

jüngeren Generation zur vertiefenden Beschäftigung mit

Neuester Musik ein: vom Workshop in Musikkritik über

„Junge Musik“-Workshops für junge Interpret*innen und

Komponist*innen, transdisziplinäre Klangforschungsprojekte

bis hin zu Wettbewerben für Studierende wie dem neu

ins Leben gerufenen sounding visions award und dem IGNM-

Schwerpunkt beim Mozart-Wettbewerb Salzburg. Große

Radioporträts widmeten sich der Geschichte und Gegenwart

der IGNM, ergänzt durch Radioübertragungen diverser

Jubiläumskonzerte, von der „Langen Nacht der IGNM“ in

Ö1 bis zur „Gründung im Kaffeehaus“ in Deutschlandfunk

Kultur. Außerdem wurde im Rahmen des Jubiläums der

gesamte Archivbestand der Gesellschaft an die Musiksammlung

der Österreichischen Nationalbibliothek transferiert,

um das umfangreiche Quellenmaterial der internationalen

Wissenschaftsgemeinde zugänglich zu machen.

Die IGNM Österreich bedankt sich sehr herzlich bei

all ihren Jubiläumspartnern, die dieses Jubiläum mit viel

Engagement und in höchster Qualität mitgestaltet und

mitgetragen haben!

Unser Dank für die hervorragenden zukunftsweisenden

musikalischen Beiträge gilt den international renommierten

Ensembles Quatuor Diotima, Schallfeld, Ensemble

XXI Jahrhundert, oesterreichisches ensemble fuer neue

musik, Cantando Admont, Ensemble Wiener Collage,

NeuRaum, Studio Dan, Black Page, Mondrian, Platypus,

airborne extended, Phace, Lizard, NAMES – New Art

and Music Ensemble Salzburg, twenty fingers duo, Wirk-

Werk und den zahlreichen kongenialen Solist*innen und

Komponist*innen.

Unverzichtbar für das gelungene Jubiläum sind unsere

Kooperationspartner Universität Mozarteum Salzburg

mit Rektorin Dr. Elisabeth Gutjahr, Arbeitsschwerpunkt

Salzburger Musikgeschichte, Salzburger Festspiele, Wien

Modern, Aspekte Festival Salzburg, Gottfried von Einem

Musikstiftung, Musik und Kunst Privatuniversität der

ciplinary formats – a wide range of the latest music

and sound art was presented in close collaboration

with outstanding internationally renowned ensembles,

soloists and composers. Two major symposia with

high-calibre international participants facilitated

intensive academic discourse on ISCM: The symposium

“Wegzeichen Neue Musik” in Salzburg in April

2022 focussed on the history of the ISCM, while the

symposium “Gegenwartsentwürfe – Zukunftsbilder”

in Vienna in November 2023 was dedicated to the

musical present and its current and future trends.

Various workshops and competitions invited people

from the younger generation in particular to delve

deeper into contemporary music: from workshops

in music criticism to “Junge Musik” workshops for

young performers and composers, transdisciplinary

sound research projects and competitions for students

such as the newly launched sounding visions award and

the ISCM focus at the Salzburg Mozart Competition.

Large radio portraits were dedicated to the past and

present of the ISCM, supplemented by radio broadcasts

of various anniversary concerts, from the “Lange

Nacht der IGNM” on Ö1 to the “Gründung im Kaffeehaus”

on Deutschlandfunk Kultur. In addition, the

entire archives of the Society were transferred to the

Music Collection of the Austrian National Library to

make the extensive source material accessible to the

international scientific community.

The ISCM Austria would like to thank all its anniversary

partners who have helped to organise and

support this anniversary with great commitment and

the highest quality!

We would like to thank the internationally renowned

ensembles Quatuor Diotima, Schallfeld, Ensemble

XXI Jahrhundert, oesterreichisches ensemble fuer neue

musik, Cantando Admont, Ensemble Wiener Collage,

NeuRaum, Studio Dan, Black Page, Mondrian, Platypus,

airborne extended, Phace, Lizard, NAMES – New

Art and Music Ensemble Salzburg, twenty fingers duo,

WirkWerk and the numerous congenial soloists and

composers for their outstanding, forward-looking musical

contributions.

Indispensable for the successful anniversary are our

co-operation partners Mozarteum University Salzburg

with Chancellor Dr. Elisabeth Gutjahr, Arbeitsschwerpunkt

Salzburger Musikgeschichte, Salzburg Festival,

Wien Modern, Aspekte Festival Salzburg, Gottfried

von Einem Musikstiftung, Musik und Kunst Privatuniversität

der Stadt Wien, Universität für Musik und

15


Stadt Wien, Universität für Musik und darstellende Kunst

Wien, Universität Wien, Gustav Mahler Privatuniversität

Klagenfurt, Zentrum Zeitgenössischer Musik Klagenfurt,

Musikprotokoll Graz, Brucknerhaus Linz, noiz//elektrorauschen

Innsbruck, czirp czirp – experimental and

sonic arts, Orchesterprojekt Salzburg, Maria Anna Mozart

Gesellschaft, acousmatic project.

Großer Dank gebührt auch allen unseren Kolleg*innen

im Vorstandsteam der IGNM für ihr unermüdliches Engagement

und ihren Einsatz, für Kreativität, Expertise,

konstruktive Kritik und viele Ideen.

Ihnen, werte Lesende und Interessierte, wünschen wir

viel Freude bei der Lektüre dieser Publikation und offene

Ohren für weitere 100 Jahre Neue Musik & IGNM.

darstellende Kunst Wien, Universität Wien, Gustav

Mahler Privatuniversität Klagenfurt, Zentrum Zeitgenössischer

Musik Klagenfurt, Musikprotokoll Graz,

Brucknerhaus Linz, noiz//elektrorauschen Innsbruck,

czirp czirp – experimental and sonic arts, Orchesterprojekt

Salzburg, Maria Anna Mozart Gesellschaft,

acousmatic project.

We would also like to thank all our colleagues on

the ISCM board team for their tireless commitment

and dedication, for their creativity, expertise, constructive

criticism and many ideas.

We hope that you, dear readers and interested parties,

enjoy reading this publication and wish you open

ears for another 100 years of New Music & ISCM.

16


EINFÜHRUNG

INTRODUCTION

17


18


„Wenn wir in früheren Jahren in unseren Ferien nach

Mitteleuropa kamen, um Musik zu hören, so war dies, um

solche Musik zu hören, deren Anspruch darauf, gehört zu

werden, bereits fest begründet war. Wir gingen nach Bayreuth

oder München und sättigten uns mit Wagner oder Mozart. Der

neue Geist ist viel abenteuerlicher. Er geht nach Salzburg, nicht

um Musik zu hören, die er liebt und kennt, sondern um Musik

zu hören, die er nicht kennt, in der Hoffnung, daß etwas davon

wert sein möchte, geliebt zu werden. Ein bewundernswerter

Geist, in der Tat! […] Diese Leute scheinen mir unmittelbare

Nachkommen des Columbus zu sein, sie segeln über unbekannte

Wasser, ein neues Land zu entdecken. […] Eine große

musikalische Epoche ist abgeschlossen. Eine neue scheint sich zu

bilden.“

Ernest Newman (Juli 1923)

“In the old days, if we went to Central Europe for music in our

holidays it was to hear music that had already fully established

its claim to be heard; we mostly went to Bayreuth or Munich,

and glutted ourselves with Wagner and Mozart. The new spirit

is much more adventurous. It goes to Salzburg not to hear music

that it knows and likes, but to hear music that it does not know,

in the hope that some of it may be worth liking. An admirable

spirit, truly! […] These people seem to me to be the lineal

descendants of Columbus: they set sail over uncharted waters to

discover a new land. […] A great musical epoch has closed.

A new one is bound to come.”

Ernest Newman (July 1923)

19


20


IGNM: GESCHICHTE & GEGENWART

ISCM: PAST & PRESENT

GLENDA KEAM

(Auckland)

Ich bin wirklich inspiriert und begeistert zu sehen, dass die

lange und komplexe Geschichte der Internationalen Gesellschaft

für Neue Musik (IGNM) in diesem Buch zum Leben

erweckt wird, dass der Band unzählige neue Archivschätze

präsentiert und führende Expert*innen aus der ganzen

Welt darin scharfsinnige wissenschaftliche Überlegungen

anstellen. Diese Publikation leistet einen wichtigen Beitrag

zur laufenden Diskussion über das globale Netzwerk von

Komponist*innen, Ensembles und Institutionen, das mit dieser

Gesellschaft verbunden ist.

Von ihren Anfängen in Salzburg im August 1922 an wurden

das Potenzial, der Wert und die Bedeutung dieser neu gegründeten

Gesellschaft bald auch in anderen Teilen der Welt

offensichtlich, und zu der anfangs kleinen Gruppe von Mitgliedern

aus Europa gesellten sich immer mehr Länder wie die

USA (1923), Argentinien (1925) und Australien (1926). Viele

der berühmtesten musikalischen Werke des 20. Jahrhunderts

wurden bei IGNM-Festen uraufgeführt oder durch Aufführungen

in diesem Rahmen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich

gemacht. In den ersten drei Jahrzehnten wurden bei

den IGNM-Festen so kanonische Werke wie Igor Strawinskys

Klaviersonate (1925 vom Komponisten selbst aufgeführt), Anton

Weberns Fünf Stücke für Orchester, op. 10 (UA 1926), Béla

Bartóks Klavierkonzert Nr. 1 (UA 1927, mit dem Komponisten

als Solisten), Alban Bergs Violinkonzert (UA 1936) und

Pierre Boulez’ Le Marteau sans maître (UA 1955) aufgeführt.

Diese frühe Geschichte wurde erstmals 1982 von dem

Schweizer Musikwissenschaftler Anton Haefeli dokumentiert,

dem wir alle für seine Forschungen sehr dankbar sind. 1

(Bei der Generalversammlung der IGNM im Jahr 2020 wurde

Haefeli in Anerkennung seiner Verdienste die Ehrenmitgliedschaft

verliehen.) Obwohl sein Buch (das das erste hal-

I am truly inspired and excited to see the International

Society for Contemporary Music’s (ISCM) long and

complex history come to life in this book, the countless

new archival treasures it presents, and the penetrating

scholarly reflections from leading experts around

the world. This publication contributes much to the

ongoing discussion of this Society’s global network of

composers, ensembles, and institutions.

From its beginnings in Salzburg in August 1922,

the potential, value, and relevance of this newly formed

Society soon became evident further afield, and the initially

small group of Europe-based member sections

was joined by increasingly diverse geographical states

such as the USA (1923), Argentina (1925), and Australia

(1926). Many of the most celebrated musical works

of the twentieth century were premiered or gained a

wider exposure through performances at ISCM Festivals.

In its first three decades, ISCM Festivals featured

such canonical works as Igor Stravinsky’s Piano

Sonata (performed by the composer in 1925), Anton

Webern’s Five Pieces for Orchestra, op. 10 (premiered in

1926), Béla Bartók’s Piano Concerto No. 1 (premiered

in 1927, with the composer as soloist), Alban Berg’s Violin

Concerto (premiered in 1936), and Pierre Boulez’s

Le Marteau sans maître (premiered in 1955).

This early history was first documented in 1982 by

the Swiss musicologist Anton Haefeli, to whom and

to whose research we are all deeply grateful. 1 (At the

ISCM’s General Assembly in 2020, Haefeli was awarded

Honorary Membership as a formal acknowledgement

of his service.) Although his book (covering the

ISCM’s first half century) has remained a standard ref-

1 Editorial note: The only footnote abbreviation used throughout this volume is the short form citation for Anton Haefeli’s published doctoral

dissertation; henceforth Haefeli (1982); here in full: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM): Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart

(Zürich: Atlantis 1982).

21


be Jahrhundert der IGNM abdeckt) ein Standardwerk für alle

Forscher*innen auf diesem sich erweiternden Gebiet geblieben

ist, ist die Gesellschaft seit seiner Veröffentlichung zunehmend

internationaler geworden und nun auf allen bewohnbaren Kontinenten

der Welt vertreten, vor allem in Ländern, in denen

europäische Sprachen kaum gesprochen werden. Änderungen

der Satzung im Jahr 2008 erlaubten es begrenzten Regionen

(und nicht nur Nationalstaaten), als eigenständige Sektionen

beizutreten, so dass zum Beispiel eine Reihe von unterschiedlichen

chinesischen Regionen ihre besonderen Interessen und

Identitäten vertreten können. Die Bedeutung des Status der

assoziierten Mitgliedschaft in der IGNM nahm ebenfalls zu,

wodurch sich die musikalische Vielfalt und die Modalitäten des

Engagements erweiterten, die von der globalen Gemeinschaft

der Gesellschaft umfasst werden.

Die jährlichen Weltmusiktage – oder Welt(Neu)musiktage

– versuchen, die Musik ihrer Mitglieder in immer mehr

Teilen der Welt zu repräsentieren. Nach der Gründung der

IGNM am 11. August 1922 fanden die ersten beiden Feste

in Salzburg statt. Im Jahr 1924 war Prag die erste Stadt, die

das Netzwerk nicht nur geografisch, sondern auch musikalisch

erweiterte, indem sie Orchestergenres einbezog. Nachfolgende

jährliche Treffen fanden in Kontinentaleuropa statt,

wobei Oxford und London 1931 die geografische Reichweite

der IGNM über den Ärmelkanal hinaus ausdehnten. Ein

Jahrzehnt später fand in New York das erste IGNM-Fest in

Nordamerika statt, 1942 folgte Berkeley (Kalifornien). Angesichts

des Zweiten Weltkriegs wurden 1940, 1943, 1944 und

1945 keine Feste veranstaltet.

Seit diesen frühen Jahren gab es weitere verstreute „Erstausrichtungen“,

darunter in Israel (1954), Island (1973), Kanada

(1984), Hongkong (1988), Mexiko (1993), Südkorea (1997), Japan

(2001) und Australien (2010) – die ersten IGNM-Welt(Neu)

musiktage in der südlichen Hemisphäre. Sie wurden von einem

oder mehreren ihrer Mitglieder ausgerichtet und brachten

Delegierte und Komponisten aus allen Mitgliedsregionen

zusammen. Die Vorteile, die sich aus den jährlichen Zusammentreffen

ergeben, bei denen die Musik der jeweils anderen

Mitglieder im Kontext der Herkunftsregion eines Mitglieds

(und inmitten ihrer hervorragenden Interpreten) gehört werden

kann, sind tiefgehend und vielschichtig. Die Treffen bieten

in der Regel die Möglichkeit, sich unter Gleichgesinnten und

über Generationen hinweg zu vernetzen, wodurch sich viele

Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben – was zu einem

tieferen und gemeinsamen Verständnis neuer Entwicklungen

und Herausforderungen führt.

Ein sehr wichtiger Bereich, dem in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit

gewidmet wurde, ist die Förderung einer breiteren

und angemesseneren Vertretung in den Aktivitäten unserer

erence for all researchers in this growing field, the

Society has grown increasingly international since its

publication and is now represented across all of the

world’s inhabitable continents, most notably in countries

where European languages are not widely spoken.

Amendments to the statutes in 2008 permitted

local regions (and not merely nation states) to join as

sections in their own right, thus allowing a number

of disparate Chinese regions, for example, to represent

their particular interests and identities. Associate

membership status within the ISCM has also increased,

thus enhancing the musical diversification

and modalities of engagement embraced by the

Society’s global community.

In increasingly diverse parts of the globe, the annual

World Music Days – or World (New) Music Days

– have sought to represent the music of its constituent

members. After the founding of the ISCM on 11

August 1922, Salzburg hosted the first two festivals.

In 1924, Prague became the first city to expand the

network geographically but also musically by incorporating

orchestral genres. Subsequent annual gatherings

convened in continental Europe, with Oxford

and London extending the ISCM’s geographical reach

across the English Channel in 1931; and a decade later,

New York hosted the first ISCM Festival in North

America, with Berkeley (California) following in

1942. Due to the Second World War, however, festivals

were not organised in 1940, 1943, 1944, and 1945.

Since those early years, other dispersed “first hostings”

included Israel (1954), Iceland (1973), Canada

(1984), Hong Kong (1988), Mexico (1993), South Korea

(1997), Japan (2001), and Australia (2010) – the

first ISCM World (New) Music Days in the Southern

Hemisphere. Hosted by one or more of its members,

and bringing delegates and composers from all of the

member regions together, the benefits of converging

each year to hear each other’s music within the context

of one member’s environment (and in the midst

of their excellent performers) are profound and multifaceted.

Meetings typically provide opportunities

to network widely amongst peers and across generations,

creating collaborative possibilities of many

kinds – all of which leads to a deeper and shared understanding

of new developments and challenges.

An area of great importance and recent attention

has been to encourage wider and more equitable representation

in our Society’s activities. In 2002, the

“ISCM Young Composer Award” was established to

22


Gesellschaft. Im Jahr 2002 wurde der „IGNM Young Composer

Award“ ins Leben gerufen, um die beeindruckendste Komposition

eines jungen Komponisten oder einer jungen Komponistin zu

unterstützen, die bei einem jährlichen Fest aufgeführt wird. (Der

Preis beinhaltet auch einen Auftrag für eine Aufführung bei einem

nachfolgenden Fest.) Die jüngste grundlegende Überarbeitung

unserer Statuten, die 2018 vorgenommen wurde, spiegelt

den Wunsch wider, geschlechtsspezifische und andere Vorurteile

im Einklang mit unseren seit Langem bestehenden Werten zu

beseitigen. Gegenwärtig wird intensiv über die Einführung von

Mechanismen diskutiert, die Mitglieder und gastgebende Festivalkomitees

ermutigen sollen, Vielfalt zu unterstützen und zu

fördern.

Nachdem die IGNM 97 Jahre lang unter männlicher Führung

war, wurde ich 2019 zur ersten Präsidentin gewählt, nachdem ich

bereits seit 2016 als erste Vizepräsidentin fungiert hatte (dasselbe

Jahr, in dem die Organisation, wie nicht unerwähnt bleiben soll,

ihre erste Generalsekretärin, Oľga Smetanová, bekam). In der

Geschichte der IGNM-Feste waren die Jurymitglieder alle männlich,

bevor Nadia Boulanger im Auswahlkomitee für das Fest

1932 in Wien mitwirkte. Obwohl Boulanger Mitte der 1950er

Jahre Schirmherrin der Gesellschaft wurde, gab es keine weiblichen

Ehrenmitglieder bis zur Wahl von Sofia Gubaidulina im

Jahr 2011, unmittelbar gefolgt von Kaija Saariaho im Jahr 2012.

Die geschlechtsspezifische Ungleichheit hinsichtlich der Repräsentation

von Komponist*innen wurde bei den letzten IGNM-

Festen verringert, vor allem beim Fest in Vancouver 2017, das

sich zum Ziel gesetzt hatte, Geschlechterparität zu erreichen.

Im Jahr 2020 machte die Covid-19-Pandemie internationale

Reisen nur fünf Wochen vor den Welt(Neu)musiktagen,

die in Neuseeland stattfinden sollten (eine Premiere für mein

Heimatland), unmöglich. Als Direktorin dieses Fests (und Präsidentin

der IGNM) kann ich bezeugen, wie viel an Planung

plötzlich zum Erliegen kam und wie sehr wir unsere Erwartungen

und Ziele neu justieren mussten. Mit dem Eintritt in

das zweite Jahrhundert der Organisation stellen sich neue Herausforderungen,

insbesondere durch die miteinander verbundenen

Auswirkungen des Klimawandels, nationaler Konflikte

und der sich entwickelnden Pandemie.

Das für August 2022 neu angesetzte Fest in Neuseeland

feierte das hundertjährige Bestehen der IGNM auf eine Art

und Weise, die der facettenreichen Geschichte der Gesellschaft

Rechnung trug – und dies in der größten geografischen Entfernung

von Europa seit den Anfängen des Festivals und von

seinen festen Wurzeln in Österreich, wo der juristische Sitz

der Organisation seit 2018 beibehalten worden ist. In dieser

historisch-geografischen Verbindung steckt eine tiefe Symbolik:

als Idee entstand die IGNM in Wien, in Salzburg schlug

sie Wurzeln und gedieh, schließlich bahnte sie sich ihren innosupport

the most impressive composition by a young

composer performed at an annual Festival. (The prize

also includes a commission for performance at a subsequent

festival.) The most recent substantial revision

of our statutes, undertaken in 2018, reflects the desire

to address gender and other biases in line with our

long-standing values. Currently, there are significant

discussions with a view toward putting mechanisms

in place to encourage members and hosting festival

committees to support and promote diversity.

In 2019, after 97 years of male leadership of the

ISCM, I found myself elected as the first female

President, having also previously served as the first

female Vice-President since 2016 (the same year, it

should be noted, in which the organisation gained

its first female Secretary General, Oľga Smetanová).

Looking back over the history of the ISCM’s Festivals,

the jury members were all male until Nadia

Boulanger served on the selection committee for the

1932 Festival in Vienna. Although Boulanger became a

Patron of the Society in the mid-1950s, there were no

female Honorary Members until Sofia Gubaidulina’s

election in 2011, closely followed in 2012 by Kaija

Saariaho. Gender disparity in composer representation

has been reduced in recent ISCM Festivals, most

notably at the 2017 Vancouver Festival, which set

out to achieve gender parity.

In 2020, the Covid-19 pandemic prohibited international

travel just five weeks before the World

(New) Music Days were scheduled to take place in

New Zealand (a first for my homeland). As Director

of that Festival (and President of the ISCM), I can

attest to the huge amount of planning that abruptly

came to a halt, and the beginning of a serious recalibration

of our expectations and aims. As we enter the

organisation’s second century, new challenges present

themselves particularly through the combined

effects of climate change, national conflicts, and the

evolving pandemic.

Rescheduled for August 2022, the New Zealand

Festival celebrated the ISCM’s centenary year in a

way that responded to the Society’s multi-faceted

history, the farthest from Europe since the festival’s

beginnings and from its firmly-planted roots in Austria,

where the legal seat of the organisation has been

maintained since 2018. As an idea that was formed

in Vienna, took root and flourished in Salzburg, and

threaded its innovative and musical way to the other

side of the globe, there is profound symbolism in this

23


vativen und musikalischen Weg auf die andere Seite des Globus.

(2023 fand das Festival in Südafrika statt und markierte

das hundertjährige Jubiläum des ersten Festes der IGNM

mit seinem ersten Auftritt auf dem afrikanischen Kontinent

– ein weiterer Beweis für die geografische Reichweite der

Organisation.) Die gesamte IGNM-Gemeinschaft ist äußerst

erfreut und stolz, in diesem Buch den ersten vollständigen

Bericht über unsere hundertjährige pangeografische

Geschichte zu sehen, der viele Fäden nachzeichnet und die

unermesslich reiche Geschichte der Triumphe und Herausforderungen

künstlerischer Erfindung und Innovation, der

Begegnung und des Austauschs, der musikalischen Exzellenz

erzählt.

historical-geographic connection. Furthermore, the

2023 Festival took place in South Africa, marking the

centenary of the ISCM’s first festival with its first appearance

in the African continent, another profound

demonstration of the organization’s geographical

reach. The ISCM community at large is extremely pleased

and proud to see in this book the first full account

of our hundred-year pan-geographical history, tracing

multiple threads and telling the immensely rich story

of the triumphs and challenges of artistic invention

and innovation, encounter and exchange, and musical

excellence.

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„Dass gerade von Oesterreich aus es möglich sein wird, die

zerrissenen Fäden der europäischen Kulturgemeinschaft wieder

anzuknüpfen und in keinem Zeichen eher als im Zeichen der

Musik und des Theaters. Dass Salzburg für die darstellende

Kunst das werden könnte, was Montecarlo und Aegypten für die

Reisewelt, Italien für die Bewunderer der Malerei, Griechenland

für den Mann der Wissenschaft.“

Hugo von Hofmannsthal (September 1918)

“That precisely from Austria it will be possible to mend the

broken bonds of the European cultural community, and no more

so than in the symbols of music and theatre. That Salzburg could

become for the performing arts what Montecarlo and Egypt are

for the world of travel, Italy for the admirers of painting, Greece

for the man of science.”

Hugo von Hofmannsthal (September 1918)

25


26


„DIE ZERRISSENEN FÄDEN DER EUROPÄISCHEN

KULTURGEMEINSCHAFT WIEDER ANZUKNÜPFEN“

“TO MEND THE BROKEN BONDS OF THE EUROPEAN

CULTURAL COMMUNITY”

MATTHEW WERLEY

(Salzburg)

Achtung International! Das erste Wort des Titels ist ein

unmissverständlicher deutscher Begriff, der sich im letzten

Vierteljahrhundert eine unverwechselbare, vielleicht sogar

privilegierte Nische in der englischen Sprache geschaffen

hat. Sein knackiges Klangprofil wird durch die konsonantenlastige

(oder velare frikative) Artikulation der deutschen

Sprache geformt und erregt mit germanischer Präzision die

„Aufmerksamkeit“ des Ohrs. Es steht für Aufmerksamkeit

und Vorsicht (wie in „Achtung Hochspannung!“ oder „Achtung

Baustelle!“), aber auch für Respekt, Wertschätzung

und sogar Beglückwünschung („Alle Achtung!“). Beide Nuancen

des Wortes kommen in diesem Buch zum Tragen. 1

Der zweite Begriff hingegen, der das Unbekannte mit

dem Vertrauten verbindet, ist in unserer Alltagssprache so allgegenwärtig

– man denke an internationale Abflüge, Bankleitzahlen

(IBAN), Vorwahlen, Meisterschaften, Nachrichten,

Affären, Spionage, Schulen, Führerscheine, Währungsfonds,

Raumstation usw. –, dass nur wenige von uns jemals innehalten,

um über seine ursprüngliche Bedeutung oder seine historischen

Wurzeln nachzudenken. Der Begriff „international“

wurde 1789 von dem britischen Philosophen und Sozialreformer

Jeremy Bentham (1748–1832) geprägt und tauchte zum

ersten Mal in einem juristischen Kontext auf, um ein Gesetz

zu bezeichnen, das von mindestens zwei (oder mehr) Nationen

angewendet wird. Im Kontext betrachtet ist es jedoch

kein Zufall, dass im selben Jahr die Französische Revolution

stattfand, die die alten feudalen Strukturen hinwegfegte und

Achtung International! The first word in the title is

an unapologetic German import that has carved out a

distinctive, perhaps even privileged niche in the English

language over the last quarter century. Catching

the ear’s “attention” with Germanic precision, its crisp

sonic profile is formed by the consonant-heavy (or

velar fricative) articulation inherent in the Teutonic

tongue. It means attention and caution (as in “Achtung

high voltage!” or “Achtung road works ahead!”),

as well as respect, esteem, and even congratulations

(“Alle Achtung!”). Both nuances of the word come into

play in this book. 1

Pairing the unfamiliar with the familiar, the second

term is by contrast simply so ubiquitous in our

daily language – think of international departures,

banking numbers (IBAN), area codes, championships,

news, affairs, espionage, schools, driving licenses,

monetary fund, space station, etc. – that few of us ever

pause to consider its original meaning or historical

roots. Coined in 1789 by the British philosopher and

social reformer Jeremy Bentham (1748–1832), “international”

first appeared in a legal setting to denote a

single law used by at least two (or more) nations. Yet

it is hardly accidental, when viewed in context, that

the very same year also witnessed that seismic, generation-defining

tectonic shift in history that swept away

the old medieval structures and ushered in a new soci-

1 Shorter versions of this introduction first appeared as “Das Internationale errettet aus Chaos und Krieg”, Salzburger Nachrichten (Festspielbeiheft,

16 July 2022), 14–15; and “‘To mend the broken bonds of the European cultural community’: International Society for Contemporary Music

as the Salzburg Festival’s Peace Project”, in: Kammerkonzert 100 Jahre IGNM: Mitglieder der Wiener Philharmoniker: Sonntag, 7. August: Salzburger

Festspiele 2022 [programme booklet] (St. Margarethen im Lungau: Samson Druck 2022), 6–20. My thanks to Hedwig Kainberger for offering

constructive feedback and encouragement on the initial draft, and to Robert Hoffmann on this current version. – Editorial note: Footnotes appear

only in the original language in which each essay was written.

27


eine neue Gesellschaftsordnung einleitete, welche den Lauf

der Geschichte veränderte. Das Wort „international“ entstand

also inmitten des Chaos und der unvorstellbaren Zerrissenheit

eines Kontinents, der eine völlig neue Sprache brauchte, einen

zukunftsweisenden Begriff, um die zerbrochenen Teile wieder

zusammenzufügen (oder zu befrieden).

In den vier Jahrzehnten vor 1914 hatte Europa eine nie

dagewesene Ära der Stabilität, des Wachstums und des Austauschs

erlebt, in der der Verkehr zwischen den Nationen

weitgehend ohne Grenzkontrollen die Bedingungen für eine

unglaubliche Blüte der Künste schuf. Der Schriftsteller Stefan

Zweig (1881–1942) fasste dieses goldene Zeitalter am einprägsamsten

zusammen, als er es als die „Welt der Sicherheit“ bezeichnete.

2 Es waren wohl die Musik und der Tanz, die von

dieser Freizügigkeit mehr profitierten als die anderen Künste.

Man denke beispielsweise an die Aktivitäten der amerikanischen

Tänzerin Isadora Duncan (1878–1927) in Bayreuth und

Russland im Jahr 1904, an die Gastspiele der Ballets Russes in

Paris zwischen 1909 und 1914, an die Uraufführung der ersten

Fassung von Ariadne auf Naxos (einer Wiener Adaption einer

französischen Komödie aus dem 17. Jahrhundert, die von

einem Bayern vertont wurde) 1912 in Stuttgart oder, besonders

symbolträchtig, an das Ballett Josephs Legende nach einem

Szenario des Kosmopoliten par excellence Harry Graf Kessler

(1868–1937), das im Mai 1914 die erste (und letzte) Uraufführung

eines bedeutenden deutschen Komponisten (Richard

Strauss) in Paris während dieser Epoche war. 3 Die Ermordung

von Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin am 28. Juni

1914 in Sarajewo bedeutete ein plötzliches und unwiderrufliches

Ende des „langen 19. Jahrhunderts“ (1789–1914), und

schon im ersten Monat des Konflikts wurde deutlich, dass

dieses komplizierte Netz politischer und kultureller Beziehungen

völlig zerstört worden war. Bibliotheken wurden

verbrannt, Schützengräben ausgehoben und Musik verboten.

Die Salzburger Idee

Bereits im September 1918 (zwei Monate vor dem Waffenstillstand)

entwarf der österreichische Dichter und Dramatiker

Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) einen kühnen

Plan für die Wiederherstellung Europas. „Dass gerade von

Oesterreich aus es möglich sein wird, die zerrissenen Fäden

etal order: the French Revolution. The word “international”,

in short, was born amidst chaos and unimaginable

rupture in a continent that required an entirely

new language, a forward-thinking term, for piecing

(or peacing) back together the broken parts.

In the four decades leading up to 1914, Europe had

enjoyed an unprecedented era of stability, growth, and

exchange, when moving among nations without need

for checks and controls provided the conditions for

an incredible flourishing of the arts. The writer Stefan

Zweig (1881–1942) captured this golden age most

memorably when he labelled it the “World of Security”.

2 Arguably it was music and dance, more than the

other arts, that profited from this freedom of mobility.

Think for example of the American dancer Isadora

Duncan’s (1878–1927) activities in Bayreuth and

Russia in 1904, the Ballets Russes’ guest appearances

in Paris between 1909 and 1914, the 1912 world premiere

in Stuttgart of the first version of Ariadne auf

Naxos (a Viennese adaptation of a seventeenth-century

French comedy set to music by a Bavarian), or, most

symbolically, the ballet Josephs Legende to a scenario by

the twentieth-century cosmopolite par excellence Harry

Graf Kessler (1868–1937), which in May 1914 became

the first (and last) world premiere by a major German

composer (Richard Strauss) in Paris during this era. 3

The assassination of Archduke Franz Ferdinand and

his wife in Sarajevo on 28 June 1914 signified a sudden

and definitive terminus to the “long nineteenth

century” (1789–1914), and within the first month of

the conflict it became clear that this intricately spun

web of political and cultural networks had been utterly

destroyed. Libraries were burned, trenches dug,

and music banned.

The Salzburg Idea

Already in September 1918 (two months before the

Armistice), the Austrian poet and dramatist Hugo von

Hofmannsthal (1874–1929) boldly envisioned a recovery

plan for Europe. “That precisely from Austria it will be

possible to mend the broken bonds of the European cul-

2 Stefan Zweig, “Die Welt der Sicherheit”, in: idem, Die Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers [1942], ed. Oliver Matuschek (Frankfurt am

Main: S. Fischer 2017), 17–44. The present-day passport system, as controlled by nation states, began with a conference on the topic hosted by

the League of Nations in Paris between 15 and 21 October 1920.

3 Harry Graf Kessler, Künstler und Nationen: Aufsätze und Reden 1899–1933 (Frankfurt am Main: S. Fischer 1988), 279: “Die erste Aufführung

fand in der Großen Oper in Paris kurz vor dem Kriege statt; ganz Paris war erschienen, sowohl das geistige Paris wie auch die französischen

Regierungskreise und der Faubourg Saint-Germain. Es war das erstemal, daß seit dem Kriege 1870 ein deutsches Werk in der Pariser Oper seine

Premiere erlebte; die letzte, glänzendste Parade des Vorkrieg-Europa in seinem glänzendsten Rahmen, während die Katastrophe schon hereinbrach.

Die tragisch furchtbare Situation hatte ich unbewußt in das Libretto hineinverwebt.”

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„Die Welt in Waffen“, eine Karikatur vom 23. August 1914 in der populären

Wiener Zeitung Kikeriki! Wiener humoristisches Volksblatt.

“The World at Arms”, a caricature from 23 August 1914 in the Viennese

broadsheet Kikeriki! Wiener humoristisches Volksblatt.

Diese Karte mit den „Zufahrtslinien

nach Stuttgart“ auf dem Plakat für die

Uraufführung von Ariadne auf Naxos am

25. Oktober 1912 verbindet Zuschauer

aus Nordafrika und Norwegen und

unterstreicht die Mobilität, die innerhalb

von Europa herrschte.

Connecting audiences from as far away

as North Africa and Norway, this map of

“Routes to Stuttgart” on the poster for

the world premiere of Ariadne auf Naxos

on 25 October 1912 emphasised Europe’s

mobility.

Plakat der „Festspiele in Salzburg“, jener Arbeitsgemeinschaft vom August

1921, an der das Mozarteum, die Salzburger Festspielhausgemeinde und das

Salzburger Stadttheater beteiligt waren.

Poster for the “Festival in Salzburg”, the consortium of August 1921 that

brought together the Mozarteum, the Salzburg Festival House Association, and

the Salzburg Municipal Theatre.

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