G+L 1/2025
Klimaanpassung
Klimaanpassung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
20|01
25
MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR
UND STADTPLANUNG
KLIMAANPASSUNG
EDITORIAL
Vor drei Jahren haben wir mit unserer Dezemberausgabe 2021
acht zentrale Maßnahmen für eine zukunftsfähige Klimaanpassung
in Deutschland formuliert. Darunter: Klimaanpassung muss Pflicht
werden, und Städte sowie Gemeinden müssen mit dringend
nötigen finanziellen Mitteln unterstützt werden, um gezielt auf die
Herausforderungen des Klimawandels reagieren zu können. Jetzt,
Anfang 2025 und insbesondere kurz vor der verfrühten Bundestagswahl,
ist es Zeit, ein klares Resümee zu ziehen: Haben die
politischen und institutionellen Schritte der letzten vier Jahre diese
Forderungen erfüllt?
Wäre es doch so einfach wie beim Oktopus:
Während die achtarmigen Tintenfische
gezielt ihre Farbe wechseln können,
beispielsweise um sich zu tarnen, stehen
viele Städte noch vor der Herausforderung,
sich anzupassen – um die Folgen
des Klimawandels zu bewältigen. Welche
Stellschrauben es jetzt zu drehen gilt,
lesen Sie ab Seite 10.
In dieser Ausgabe untersuchen wir deswegen, wie weit sich
Planung, Politik, Verwaltung und Wirtschaft an die Folgen des
Klimawandels angepasst haben – und wie viel noch zu tun bleibt.
Hierfür haben wir uns mit dem Who's who deutscher Entscheidungsträger*innen
zu den derzeitigen Herausforderungen unterhalten.
Darunter: Steffi Lemke (Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz), Helmut
Dedy (Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages), Ute
Bonde (Senatorin für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt in
Berlin), Sabine Lackner (Präsidentin der Bundesanstalt Technisches
Hilfswerk), Jürgen Czernohorszky (Stadtrat in Wien für Klima,
Umwelt, Demokratie und Personal) sowie Dirk Messner (Präsident
des Umweltbundesamtes). Wir freuen uns zudem besonders, dass
auch Carlo Becker, Katharina Lindschulte und Doris Grabner sich
für dieses Heft die Zeit genommen haben, ihren Blick auf die aktuellen
Klimaanpassungsbestrebungen seitens der praktizierenden
Landschaftsarchitektur mit uns zu teilen.
Coverbild: Vlad Tchompalov auf Unsplash; Illustration: Georg Media
Von Überschwemmungen bis zu extremen Hitzeperioden sind die
Klimarisiken längst keine Zukunftsprognose mehr. Viele Kommunen
sind heute gezwungen, mit Hochdruck an Lösungen zu arbeiten,
die einen Spagat zwischen Klimaschutz und Anpassung vollziehen
– eine Herausforderung, die oft an fehlenden Mitteln, Strukturen
und zu viel Bürokratie scheitert. Gleichzeitig beweist der Blick auf
die vergangenen Jahre, dass wir durchaus ein paar Schritte
vorwärtsgekommen sind. Die Schritte, die gemacht wurden, sind
richtungsweisend, oft hakt es aber noch von der Transferleistung
des theoretischen Know-hows in die praktische Umsetzung. Gerade
in unseren Städten gilt es nun, proaktiv Freiräume, Bauten und
Infrastrukturen zu entwickeln, die mit den extremen Bedingungen
der Zukunft harmonieren. Nur so kann es uns gelingen, Städte und
Gemeinden lebenswert zu halten. Diese Ausgabe soll ein Denkanstoß
und ein Leitfaden sein, wie wir das schaffen können – bevor
es zu spät ist.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.
THERESA RAMISCH
CHEFREDAKTION
t.ramisch@georg-media.de
G+L 3
INHALT
AKTUELLES
06 SNAPSHOTS
08 HALLO 2025
Termine fürs neue Jahr
09 MOMENTAUFNAHME
Tyrannotaubus Rex
KLIMAANPASSUNG
10 NOCH NICHT IN DER FLÄCHE ANGEKOMMEN
Welche Stellschrauben es jetzt für Klimaanpassungsmaßnahmen zu drehen gilt
14 KLIMAANPASSUNG: WER MUSS NACHLEGEN?
Ein Blick auf verschiedene Akteur*innen – begonnen mit dem Bundesstaat
18 „STÄDTE WERDEN SICH SICHTBAR VERÄNDERN MÜSSEN“
Bundesumweltministerin Steffi Lemke im Interview
22 „KLIMAANPASSUNG UND MOBILITÄT GEHEN HAND IN HAND“
Berliner Senatorin Ute Bonde im Interview
26 DIE BUNDESLÄNDER
Welche Aufgaben und Verantwortungen auf Länderebene liegen
28 „KLIMAANPASSUNG IST EIN MARATHON, KEIN SPRINT“
Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, im Interview
32 DIE KOMMUNEN
Wie es um Klimaanpassung auf kommunaler Ebene steht
34 „ABGUCKEN AUSDRÜCKLICH ERWÜNSCHT“
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, im Interview
36 „KLIMABEDINGTE EINSÄTZE NEHMEN ZU“
THW-Präsidentin Sabine Lackner im Interview
40 DIE PLANER*INNEN
Zur Rolle der Planer*innenschaft in Fragen der Klimaanpassung
44 „DER BEDARF IST UNÜBERSEHBAR“
Landschaftsarchitektin Doris Grabner im Interview
48 „DIE ERFOLGE SIND MESSBAR“
Wiener Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky im Interview
50 DIE INTERNATIONALE PERSPEKTIVE
Wie es in anderen Ländern um Anpassungsstrategien steht
PRODUKTE
Herausgeber:
Deutsche Gesellschaft
für Gartenkunst und
Landschaftskultur e.V.
(DGGL)
Pariser Platz 6
Allianz Forum
10117 Berlin-Mitte
www.dggl.org
54 LÖSUNGEN
Bodenbeläge, Be- und Entwässerung
RUBRIKEN
62 Impressum
63 Stellenmarkt
62 Lieferquellen
64 DGGL
66 Sichtachse
66 Vorschau
G+L 5
NOCH
NICHT
ANGE-
KOMMEN
Ohne grün-blaue Infrastruktur, Schwammstadt, Hitze- und Überflutungsvorsorge
kommen Stadt- und Freiraumentwicklung, Wasserwirtschaft und Landschaftsarchitektur
heute nicht mehr aus. In den Köpfen der Akteur*innen ist das
bereits angekommen, beobachten Carlo W. Becker und Katharina Lindschulte
vom Büro bgmr – nicht aber in der Fläche. Sie rekapitulieren, was sich in den
letzten Jahren bereits in Gesetzgebung und Regelwerken verändert hat. Das
Fazit: Da geht noch mehr. Welche Stellschrauben es nun zu drehen gilt.
CARLO W. BECKER, KATHARINA LINDSCHULTE
10 G+L
KLIMAANPASSUNG XXX
NOCH NICHT IN DER FLÄCHE ANGEKOMMEN XXX
IN DER
FLACHE
Illustration: Studio Böreck
AUTOR
Dr. Carlo W. Becker,
Landschaftsarchitekt,
ist Mitgesellschafter
und einer
der Gründer des
Berliner Büros bgmr
Landschaftsarchitekten.
Das Büro bgmr
forscht zu Themen
der Schwammstadt,
setzt die Erkenntnisse
in Konzepte und
Strategien um und
realisiert Maßnahmen
baulich und
vegetativ.
AUTORIN
Dr. Katharina
Lindschulte,
Landschaftsarchitektin,
ist seit 2013 bei
bgmr Landschaftsarchitekten
tätig; seit
2023 ist sie
Mitgesellschafterin
des Büros. 2023
promovierte sie an
der TU Berlin.
Vor zehn Jahren haben wir als bgmr den
Begriff der „Schwammstadt“ als Wortmarke
beim Deutschen Patent- und
Markenamt eintragen lassen. In Deutschland
war dieser Begriff und vor allem
die dahinterstehende Strategie, Wasser
und Hitze zusammenzudenken, noch
nicht eingeführt. Grüne und blaue Infrastruktur
als eine gemeinsame Strategie
zu verstehen, war zu der Zeit noch keine
Selbstverständlichkeit. Zum Beispiel
konnte im Weißbuch Stadtgrün 2017 der
Begriff der grünen Infrastruktur noch nicht
platziert werden. Das hat sich grundlegend
geändert.
Grün-blaue Infrastruktur, Schwammstadt,
Schwammlandschaften, wassersensible
Stadtentwicklung, die Gleichzeitigkeit von
Hitze-, Dürre- und Überflutungsvorsorge
– ohne diese Begriffe geht es in der
Stadt- und Freiraumentwicklung, Wasserwirtschaft
und Landschaftsarchitektur nicht
mehr. Klimaanpassung ist in den Köpfen
angekommen, jetzt muss sie aber auch
tatsächlich in die Fläche kommen.
In Wettbewerbsbeiträgen wird mit diesen
Begriffen der Anspruch bereits hoch
gehängt. Aber, bei genauer Prüfung wird
deutlich, dass die Konzepte nicht immer
gut durchdacht sind. Retentionsflächen
werden auf dem Berg geplant, die
benötigten Flächenanteile für die Verdunstung
und Versickerung sind nicht zu
finden, in den Renderings sind Hochbeete
mit Mauern gefasst. In Jurys wird daher
mittlerweile genauer hingesehen und die
Ernsthaftigkeit des wolkigen Versprechens
der Klimaanpassung überprüft.
Im Interview von Theresa Ramisch 2021 in
der Dezemberausgabe der G+L mit dem
Headliner „Ceci n’est pas une Schwammstadt“
wurden von Carlo W. Becker,
Christian Kuhlicke und Ferdinand Ludwig
die folgenden Anforderungen zur
Klimaanpassung zusammenfassend
formuliert:
• Klimaanpassung muss Pflicht werden.
• Bund und Länder müssen Städte und
Gemeinden mit Geldern ausstatten.
• Klimaanpassung muss zur Querschnittsaufgabe
der unterschiedlichen
städtischen Fachplanungen und
Ressorts werden.
• Die Siedlungsentwicklung muss im
Sinne des Klimaschutzes und der
Klimaanpassung hinten anstehen.
• Die Regelwerke müssen neu geschrieben
und neuen Techniken angepasst
werden, um Projekten Orientierung
zu geben.
• Bis diese neu geschrieben sind,
müssen alternative Maßnahmen wie
zum Beispiel Experimentierklauseln
auf den Weg gebracht werden, um
Experimente zu machen.
• Die planenden Disziplinen müssen in
Synergien und Systemen denken.
• Innovative Projekte brauchen eine
kritische Masse, ein Ziel und eine
gemeinsame Sprache.
G+L 11
„STÄDTE WERDEN
SICH SICHTBAR VER-
ÄNDERN MÜSSEN“
Mit Blick auf die Klimakrise müssen Städte in Zukunft grüner werden. Das
stellt Bundesumweltministerin Steffi Lemke fest. Die Bundesregierung habe bereits
zentrale Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Deutschland klimafest
machen sollen. Welches Aktionsprogramm neben dem Klimaanpassungsgesetz
aufgelegt wurde, was sich in Zukunft am Umgang mit Niederschlagswasser
ändern soll und welche Zahlen die Dringlichkeit für Klimaanpassungsmaßnahmen
verdeutlichen, beantwortet Steffi Lemke im Interview.
FRAGEN: THERESA RAMISCH
INTERVIEWEE
Steffi Lemke ist
langjähriges Mitglied
des Deutschen
Bundestages und
hatte bereits verschiedene
Positionen in
der Partei Bündnis
90/Die Grünen inne,
unter anderem als
parlamentarische
Geschäftsführer der
Bundestagsfraktion.
Seit Dezember 2021
ist sie Bundesministerin
für Umwelt,
Naturschutz, nukleare
Sicherheit und
Verbraucherschutz.
Steffi Lemke, im Interview mit dem Fraunhofer
Institut sagten Sie 2023: „Die
Stadt der Zukunft sollte am besten eine
Schwammstadt sein.“ Personen aus Forschung
und Praxis – darunter Christian
Kuhlicke vom Helmholtz-Institut oder
Carlo Becker von bgmr Landschaftsarchitekten
– stehen jedoch fest dafür ein,
dass auf dem Weg zu einer wirklichen
Klimaanpassung die Schwammstadt nur
ein Baustein von vielen ist. Dennoch ruft
nun eine Kommune nach der anderen die
Schwammstadt aus – und definiert sie
als vermeintlichen Gamechanger. Besteht
dabei nicht die Gefahr, dass die wirkliche
Klimaanpassung ausbleibt – weil nur
auf einen Baustein gesetzt wird?
Klimaanpassung ist immer konkret
entsprechend den Bedingungen vor Ort
zu entscheiden. Dies ist auch der Leitgedanke
des Klimaanpassungsgesetzes,
das auf meine Initiative 2023 verabschiedet
wurde. Bund, Länder und Kommunen
sind verpflichtet, Konzepte für die Anpassung
an fortschreitende Erderhitzung zu
entwerfen. Grundlage dafür sind Risikoanalysen
und konkrete, für die jeweilige
Kommune entwickelte Maßnahmen.
Städte sind besonders gefordert, da
Hitze- und Dürreperioden, aber auch
Zeiten mit zu viel Regen und Überschwemmungen
messbar zunehmen. Sie sind
besonders betroffen von diesen Wetterextremen,
aber auch sehr unterschiedlich,
je nach Größe der Kommune und regionaler
Lage. Je nach Bedarf vor Ort können
also auch nur Teile des Schwammstadtkonzepts
für eine wirksame Klimaanpassung
wirksam sein.
Das neue Klimaanpassungsgesetz verpflichtet
Bund, Länder und Kommunen zu
Anpassungsstrategien. Ist das nicht eine
Überforderung angesichts leerer Stadtverwaltungskassen
und akutem Fachpersonalmangel?
Wie sichern Sie seitens
Bund die Finanzierung und Umsetzung
entsprechender Maßnahmen?
Das Klimaanpassungsgesetz lässt den
Ländern dabei einen großen Gestaltungsraum
in der Umsetzung. Denn die Länder
wissen am besten, was vor Ort benötigt
wird. Eine aktuelle Umfrage des Umweltbundesamtes
macht aber deutlich: Damit
wirklich in jeder Stadt und jedem Kreis gut
gegen die Klimakrise vorgesorgt werden
18 G+L
KLIMAANPASSUNG
INTERVIEW STEFFI LEMKE
Mehr Gesundheit, eine
bessere Lebensqualität
sowie weniger Luftund
Lärmverschmutzung
– das versprächen
grünere Städte,
so Steffi Lemke. Ein
Ziel, auf das wir
hinarbeiten sollten,
findet die Bundesumweltministerin.
Foto: BMUV/Klaus Mellenthin
kann, ist mehr Unterstützung durch Bund
und Länder nötig. Das BMUV hat mit dem
Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz
ein schlagkräftiges Milliardenprogramm
aufgelegt. Es sorgt dafür, dass Ökosysteme
wie Wälder, Moore und Auen gestärkt,
wiederhergestellt und bewahrt werden.
Der Bund unterstützt Kommunen mit Fördermitteln,
unter anderem für den Einsatz
von Klimaanpassungs manager*innen
und für innovative Modellprojekte zur
Klima anpassung. Zudem erhalten Städte
und Gemeinden fachliche Beratung und
Unterstützung durch die Fachleute des
Zentrums KlimaAnpassung im Auftrag
des Bundesumweltministeriums. Für die
Umsetzung von Maßnahmen zur Klimaanpassung
werden in den nächsten Jahren
viele Milliarden Euro nötig sein. Dazu
erscheint mir eine neue Gemeinschaftsaufgabe
Klimaanpassung die beste Lösung.
Dafür braucht es eine Verfassungsänderung,
damit der Bund gemeinsam mit den
Ländern mehr Geld in Städte und Gemeinden
investieren kann.
Sie warnen vor den hohen Kosten des
Nicht-Handelns in der Klimaanpassung.
Können Sie konkrete Zahlen nennen, um
die Dringlichkeit zu unterstreichen?
Ein Weckruf, der uns diesen Zusammenhang
und darin die Kosten des Nicht-
Handelns in der Klimaanpassung drastisch
vor Augen geführt hat, ist die Ahrtal-
Katastrophe im Jahr 2021. Mehr als 180
Tote waren zu beklagen, dazu zahlreiche
„Städte sind besonders gefordert, da
Hitze- und Dürreperioden, aber auch
Zeiten mit zu viel Regen und Überschwemmungen
messbar zunehmen.“
Verletzte und durch die Katastrophe
Traumatisierte. Die Gesamtschadenssumme
allein dieser einzelnen Katastrophe
wird auf bis zu 40 Milliarden Euro
geschätzt. Von 2000 bis 2021 sind fast
145 Milliarden Euro an erfassten extremwetterbedingten
Schäden entstanden,
alleine 80 Milliarden davon seit 2018.
Viele dieser Kosten hätten durch vorausschauendes
Handeln vermieden werden
können. Je nach Erfolg im Klimaschutz
ist die Heftigkeit des Klimawandels und
sind die damit verbundenen Kosten
höher oder geringer. In jedem Fall aber
können diese Kosten durch entschlossene
Maßnahmen zur Klimaanpassung deutlich
verringert werden.
Personen aus der Planungspraxis
fordern, dass für eine effektive Klimaanpassung
insbesondere im Regenwassermanagement
die gesamte
Wasserinfrastruktur, einschließlich
Entsorgungs- und Versorgungssystemen,
verzahnt bearbeitet werden müssen.
Aktuell hakt es dafür jedoch insbesondere
auf kommunaler Ebene an der
Zusammenarbeit. Klimaanpassung muss
G+L 19
„ABGUCKEN
AUSDRÜCKLICH
ERWÜNSCHT“
Starkregen und Hitze machen nicht an Stadtgrenzen halt. Darauf verweist
Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, und macht
sich für interkommunale Zusammenarbeit stark, wenn es um Klimaanpassung
geht. Dazu zählt auch der Austausch zu Ansätzen und Lösungen – abgucken
ist also erwünscht. Im Interview beantwortet er zudem, wo es beim Thema
Klimaanpassung aktuell brennt, wie sich Flächenkonkurrenz in Städten angehen
lässt und wen er bei der Finanzierung in der Verantwortung sieht.
FRAGEN: THERESA RAMISCH
INTERVIEWEE
Helmut Dedy, Jurist
und DiplomVerwaltungswirt,
ist seit
2016 Hauptgeschäftsführer
des Deutschen
Städtetages sowie
Geschäftsführer des
Städtetages
NordrheinWestfalen,
Berlin und Köln.
Helmut Dedy, Mitte Juni 2024 teilte der
Deutsche Städtetag mit, dass er die Finanzierung
zum Klimaanpassungsgesetz als
„kritisch“ betrachte. Wie schätzen Sie
die Lage rund sechs Monate später ein:
Besteht – mit Blick auf die angespannte
Haushaltslage – eine realistische Chance,
dass die im Gesetz festgeschriebenen
Maßnahmen finanziert werden können?
Hochwasser und Extremwetterereignisse
kommen in immer schnellerem Takt. Deshalb
ist das Gesetz in der Sache richtig.
Und wir alle wissen: Klimaanpassung ist
eine Daueraufgabe für die ganze Gesellschaft.
Deshalb muss sie auch dauerhaft
finanziert werden. Da ist noch längst nicht
alles in trockenen Tüchern. Für Klimaanpassung
sind massive Investitionen nötig.
Wir müssen dafür unsere Städte umbauen.
Stichwort Schwammstadt, das heißt, Rückhaltebecken,
um Regenwasser aufzunehmen,
Flächen entsiegeln, damit Wasser
versickern kann, mehr Grün und vieles
mehr. Und mit einem einmaligen Umbau
ist es nicht getan. Wir müssen diese Infrastrukturen
auch pflegen.
Wir wissen aber auch: Die kommunalen
Haushalte sind extrem angespannt und
rutschen weiter ins Defizit. Allein werden
die Städte die Klimaanpassung nicht
leisten können. Bund und Länder müssen
viel stärker in die Verantwortung für eine
klimaresiliente Zukunft gehen. Die Städte
brauchen eine langfristige Perspektive und
Planungssicherheit.
Die Finanzierung durch Bund und Länder
für diese Mammutaufgabe muss auf neue
Füße gestellt werden. Das ist auch eine
Erwartung von uns an eine neue Bundesregierung
nach der Wahl im Februar. Der
Deutsche Städtetag ist offen für eine
Gemeinschaftsaufgabe Klimaanpassung.
Gerade steht Klimaanpassung bei den
Debatten um den noch ausstehenden
Bundeshaushalt und in den Ländern unter
enormem Konkurrenzdruck. Aus Sicht des
Deutschen Städtetages ist eine Gemeinschaftsaufgabe
aber nur ausreichend
finanziert und mit einem festen Budget für
Kommunen denkbar, statt mit befristeten
Förderprogrammen.
Wie bewerten Sie die Verpflichtung
der Kommunen zu Klimaanpassungsstrategien
im neuen Gesetz? Was
braucht es um Klimaanpassung kommunal
künftig als Querschnittsaufgabe
angehen zu können?
Eine Pflicht, kommunale Klimaschutzkonzepte
und Klimaanpassungskonzepte
34 G+L
KLIMAANPASSUNG
INTERVIEW HELMUT DEDY
zu erstellen, ist aus Sicht des Deutschen
Städtetages durchaus sinnvoll. Die Städte
sind schon voll in der Umsetzung. In den
letzten Jahren wurden vielerorts Klimaanpassungsmanagerinnen
und -manager
berufen. Deren Aufgabe ist es, die Expertise
verschiedener Ressorts an einen Tisch
zu bringen und Klimaanpassung in verschiedenen
städtischen Aufgabenfeldern
zu verankern. Diese Stellen sind wichtig,
jedoch oft durch knappe Fördermittel
getragen und befristet. Die Städte
warten in vielen Ländern immer noch auf
eine klare rechtliche und finanzielle
Grundlage für die Klimaanpassung. Dafür
müssen alle Länder das Bundes-Klimaanpassungsgesetz
endlich in Landesrecht
umsetzen. Manche Länder zögern noch,
weil sie erst Förder- und Finanzzusagen
vom Bund haben wollen. Das hilft uns
aber jetzt überhaupt nicht weiter.
Hauptgeschäftsführer
des Deutschen
Städtetages Helmut
Dedy versteht
Klimaanpassung als
Daueraufgabe für die
ganze Gesellschaft.
Foto: © Frank Nürnberger
Welche Rolle spielt die interkommunale
Zusammenarbeit bei der Bewältigung der
Klimakrise?
Die Auswirkungen von Starkregen und
Hitze machen nicht an Stadtgrenzen halt.
Deshalb kann die interkommunale Zusammenarbeit
im Bereich Klimaanpassung
sehr sinnvoll sein. Gute Beispiele dafür
gibt es unter anderem beim Gewässermanagement.
Aber auch zum Thema Hitzevorsorge
planen einige Städte zusammen.
Beispielweise erarbeiten insgesamt
16 Kommunen in Nordrhein-Westfalen
gemeinsam Hitzeaktionspläne im Projekt
HAP.regio. Und grundsätzlich ist der
kommunale Erfahrungsaustausch viel
Wert. Klimaanpassung ist eine Querschnittssaufgabe
und verlangt deshalb
ohnehin, dass sich verschiedene Akteure
miteinander abstimmen. Im Städtetag
tauschen sich die Städte aus, abgucken
ist hier ausdrücklich erwünscht. Für das
Teilen von kreativen Lösungsansätzen
sind Beratungs- und Vernetzungsangebote,
wie das vom BMUV initiierte Zentrum
KlimaAnpassung, wichtig.
Im Sinne von Klimaschutz und Klimaanpassung
muss die Siedlungsentwicklung
künftig hintanstehen. Wie können Städte
den Zielkonflikt zwischen Nachverdichtung
und Klimaanpassung lösen?
Flächenkonkurrenzen erschweren in eng
bebauten Städten oft Klimaanpassungsmaßnahmen.
Dies ist ein bekanntes Problem,
weshalb es immer mehr Konzepte
gibt, die Klimaanpassung und Nachverdichtung
gemeinsam denken. Das gelingt
beispielsweise, wenn Gebäude so ausge-
Deswegen brauche es
auch eine dauerhafte
Finanzierung, so Dedy.
richtet werden, dass sie sich möglichst
wenig aufheizen. Vertikale Grünflächen
und Dachbegrünungen sind außerdem
platzsparende Lösungen für dichte
Quartiere. An diesem Problem wurde
außerdem bereits geforscht. Das Projekt
„Grüne Stadt der Zukunft“ untersuchte
zum Beispiel, wie Klimaanpassung von
Anfang an in den Prozessen der Stadtplanung
berücksichtigt werden kann.
Wo brennt es aus Ihrer Perspektive?
Die notwendigen Investitionen für Klimaanpassung
sind enorm. Die Umweltministerkonferenz
hat einen Bedarf von etwa
55 Milliarden Euro und über 16 000
Personalstellen bis 2030 für Klimaanpassung,
Naturschutz und natürlichen
Klimaschutz in den Ländern und Kommunen
genannt. Das sind unglaublich große
Zahlen, die wir Städte nicht einfach in der
Schublade haben.
Städte werden bald über Ländergesetze
verpflichtet, sich um Klimaanpassung vor
Ort zu kümmern, indem sie Klimaanpassungskonzepte
erstellen und weiterentwickeln.
Das ist eine wichtige Aufgabe,
die auch Bund und Länder mitfinanzieren
müssen. Der jetzigen Bundesregierung
ist es leider nicht gelungen, hier
für Planungssicherheit zu sorgen. Eine
neue Bundesregierung muss deshalb mit
den Ländern dringend eine Lösung für
die langfristige Finanzierung finden.
Denn viele Städte setzen jetzt bereits
diese Maßnahmen um und wollen
das auch weiterhin tun. Wir müssen
uns jetzt dringend fragen: Wie wollen
wir leben, wenn unser Klima immer
heißer und unvorhersehbarer wird? Wir
müssen insbesondere die schützen, die
es besonders hart trifft, also zum Beispiel
Kinder, alte Menschen und chronisch
Kranke.
Blicken wir ins Jahr 2040: Wie haben
sich deutsche Städte in Bezug auf Klimaanpassung
verändert und welche Herausforderungen
sehen Sie noch?
Im Jahr 2040 zahlen sich die momentanen
Anstrengungen der deutschen Städte
aus, sie sind besser als heute auf Klimawandelfolgen
vorbereitet. Die extremen
Wetterereignisse, die bis dahin weiter
zunehmen, machen deutlich, dass eine
klimaangepasste Infrastruktur absolut
notwendig war. Städte und ihre Bevölkerung
können mit den Hitzewellen besser
umgehen, da es mehr Grün und Blau in
der Stadt gibt.
Damit diese Zukunft Wirklichkeit wird,
müssen wir jetzt nicht nur mehr Flächen
entsiegeln, sondern auch Dächer- und
Fassaden als Grünflächen erschließen.
Dann bleiben unsere Städte auch in
Zukunft für alle Menschen lebenswert.
G+L 35
DIE
PLANER*INNEN
4/5
WAS DER BDLA VON DER POLITIK
FORDERT
„Wir Landschaftsarchitekt*innen gestalten
Klima“, bringt es Stephan Lenzen,
Präsident des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekt:innen
(bdla), treffend auf
den Punkt. In seiner Stellungnahme zum
KAnG begrüßt er deshalb das Bestreben
der Bundesregierung, mit einem bundesweiten
Klimaanpassungsgesetz einen
verbindlichen Rahmen für eine proaktive
Klimaanpassungsstrategie zu schaffen.
Bereits im Oktober 2022 hatte der bdla
ein Dokument mit 20 Empfehlungen zur
Klimaanpassungspolitik für Stadtlandschaften
veröffentlicht, um auf die Ankündigungen
der Bundesregierung zu reagieren,
in der 20. Legislaturperiode neue
Maßstäbe für Klimaanpassung und
Klimaschutz zu setzen.
„Wir
Landschaftsarchitekt*innen
gestalten Klima.“
Im Zentrum dieser Veröffentlichung steht
das Ziel, Städte wassersensibel zu
gestalten und Schnittstellen zwischen
Wasserwirtschaft, Verkehrsplanung und
Freiraumentwicklung zu optimieren. Die
Etablierung von Freiraumentwicklungskonzepten
wird als entscheidend für die
Schaffung klimaresilienter Städte angesehen.
Diese Konzepte sollten flächendeckend
sowohl in Neubau- als auch in
Bestandsgebieten integriert werden. Für
die Umsetzung innovativer, naturbasierter
Lösungen im Stadtgrün ist eine
experimentelle Planungskultur sowie
Raum für partizipative Ansätze unerlässlich.
Zudem müsste die Städtebauförderung
stärker auf Klimaanpassung fokussiert
und verbindlicher gestaltet werden.
Ein langfristig und besser finanziertes
Bundesprogramm soll den Kommunen
helfen, urbane Räume klimafreundlich
zu entwickeln.
Im Wohnungsbau sind Anpassungen
der gesetzlichen und fördertechnischen
Rahmenbedingungen erforderlich, um
Grünflächen zu einem integralen Bestandteil
neuer Wohnprojekte zu machen. Das
Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz
soll weiterentwickelt werden, unter ande-
40 G+L
KLIMAANPASSUNG
DIE PLANER*INNEN
rem durch das Pflanzen von Stadtbäumen
und die Förderung wassersensibler Stadtteile.
Auch Begrünungen von Gebäuden
und nachhaltige Außenanlagen sollten in
die staatlichen Förderungen für energieeffiziente
Gebäude einfließen. Ein „Verschlechterungsverbot“
soll zudem sicherstellen,
dass die Ver sorgung mit Freiflächen
und das Stadt klima durch Neubauten nicht
beeinträchtigt werden.
Darüber hinaus fordert der bdla präzisere
Regelungen zur Sanierung und zum
Erwerb von Grünflächen sowie verbindliche
bundesweite Normen für die Freiflächengestaltung,
um eine klimaschonende
Stadtentwicklung zu fördern. Der
Grünflächenfaktor, der klimawirksame
und biodiversitätsfördernde Flächen misst,
sowie neue Orientierungswerte für die
Stadtplanung sollen verbindliche Standards
schaffen und die Vergabe von
Fördermitteln steuern. Eine klimapositiv
ausgerichtete Kompensation und die
Reaktivierung der Landschaftsplanung
sollen zur Anpassung urbaner Räume
beitragen. Zudem plädiert der bdla für
die bundesweite Verankerung der
Umweltbaubegleitung, um sicherzustellen,
dass Klimaanpassungsmaßnahmen
fachgerecht umgesetzt werden. 2023
folgte eine weitere Veröffentlichung
mit acht Empfehlungen für ein klimaangepasstes
Städtebaurecht, die teilweise
die bestehenden Forderungen wieder
aufgreift.
In seiner Stellungnahme zum KAnG
kommentierte Lenzen, der vorgelegte
Gesetzentwurf gehe in die richtige
Richtung, wenn es auch gelte, die Handlungsfelder
Stadtnatur, Biodiversität,
natürliche Gewässer und Schwammstadt
als jeweils eigenes Cluster zu ergänzen.
Gleichsam wies er damals darauf hin,
dass die Planungspraxis hohe Erwartungen
an die laufende Novellierung des
Bauge setzbuches stelle: „Dort müssen
weitere konkrete und wirksame Änderungen
im Hinblick auf Klimaanpassung
und Klimaschutz erfolgen.“
WAHRNEHMUNG DER PROFESSION
HAT SICH GEWANDELT
Vergangenes Jahr ist nicht nur das KAnG
in Kraft getreten, sondern auch die Novellierung
bekannt geworden. Der bdla
bedauerte in einer Stellungnahme besonders,
dass die Forderung nach einer verbindlichen
Verankerung von qualifizierten
Freiflächengestaltungsplänen beziehungsweise
Freiraumsatzungen sowie die Einführung
eines Grünflächenfaktors nicht
berücksichtigt wurden. Der stattdessen
vorgeschlagene Versiegelungsfaktor sei
aus Sicht des Berufsstands zu monodimensional
auf Versickerung beschränkt und
lasse eine ganzheitliche Betrachtungsweise
(Biodiversität, Hitzeminderung et cetera)
außer Acht. Der bdla werde deshalb nach
eigener Angabe weiterhin im Gesetzgebungsprozess
darauf drängen, die vorgenannten
Elemente doch noch angemessen
in die BauNVO zu integrieren.
Dass ein Landschaftsarchitekturverband
sich zur Gesetzgebung äußert – und
gehört wird –, wäre noch vor einigen
Jahren nicht selbstverständlich gewesen.
Denn obwohl die Klimakrise bereits seit
Jahrzehnten bekannt ist, wird sie erst in
den vergangenen Jahren in der Politik
und im Alltagsdiskurs greifbarer. Somit
gewinnt auch die Landschaftsarchitektur
rapide an Bedeutung. „Sie ist eine Art
'Superstar-Aktie' geworden […] Vor zehn,
zwölf Jahren rangierten wir bei den Hochbau
archi tekt*innen unter ferner liefen.
Die Land schaftsarchitektur war in Terminen
immer der letzte Punkt, die Fachplaner*innen
kamen alle vorher“, beschreibt
Simon Winkler, Landschaftsarchitekt und
Geschäftspartner bei ver.de in Freising die
Entwicklung in einem Artikel vergangenen
Jahres auf competitionline. Mittlerweile
haben Landschaftsarchitektur und die
interdisziplinäre Zusammenarbeit einen
höheren Stellenwert.
„Die Zeit der monochromen Landschaften
ist vorbei. [...] Diese Ästhetik
führt zu überhitzten Straßen,
massiven Abflussproblemen und
artenarmen Landschaften.“
Illustration: Studio Böreck
G+L 41
„DIE ERFOLGE
SIND MESSBAR“
Wenn es um Klimaschutz und -anpassungen geht, trifft die Stadt Wien Entscheidungen
bereichsübergreifend. Das berichtet Jürgen Czernohorszky,
Stadtrat für Klimaschutz in Wien. Möglich ist das auch, weil die Stadt fürs
Klimamanagement neue Strukturen, Prozesse und Kompetenzen geschaffen
hat. Wie sich die Erfolge dieses Wiener Wegs zeigen, was andere Städte
von Wien bei Regenwassermanagement lernen können und wie die österreichische
Hauptstadt Nachverdichtung und Entsiegelung unter einen Hut
bringt, schildert Jürgen Czernohorszky im Interview.
FRAGEN: THERESA RAMISCH
INTERVIEWEE
Jürgen Czernohorszky
ist seit November
2020 Amstführender
Stadtrat für Klima,
Umwelt, Demokratie
und Personal in Wien.
Zuvor war er unter
anderem Amtsführender
Stadtrat für
Bildung, Integration,
Jugend und Personal.
Er ist Bundesvorsitzender
der
Kinderfreunde
Österreichs.
Jürgen Czernohorszky, von 2022 bis
2024 konnte die Stadt Wien ihren Trinkbrunnenbestand
um 200 Exemplare auf
insgesamt 1 500 Trinkbrunnen erweitern.
Schließlich erlebte die Stadt erst 2022
den trockensten Sommer seit 200 Jahren.
Vor welche Herausforderungen stellt die
zunehmende Hitze die österreichische
Hauptstadt?
Klimaschutz heißt auch Schutz vor dem
Klimawandel und seinen Auswirkungen.
Der Wiener Hitzeaktionsplan sieht
dafür akute und langfristige Maßnahmen
vor. Mit der Wiener Schutzformel
– mehr Wasser, mehr schattiges Grün
und kühle Räume – schaffen wir nach
und nach mehr Schutzräume für die
Wiener* innen, insbesondere für vulnerable
Gruppen.
In Wien gibt es 1 500 öffentliche
Trinkbrunnen, das sind mehr als im
gesamten deutschen Bundesgebiet.
Durchschnittlich haben jede Wienerin
und jeder Wiener im Umkreis von 150
bis 400 Metern Zugang zu einem
Trink brunnen. Dieses bereits sehr hohe
Angebot im öffentlichen Raum bauen
wir auch aus, wobei wir insbesondere
Stadtteile berücksichtigen, die stark von
Hitze betroffen sind. Über den Online-
Stadtplan Wien sind die Standorte
öffentlich einsehbar und auch unterwegs
zu finden.
Zudem gilt die Stadt aber auch als
Vorreiter im Regenwassermanagement.
Was können andere europäische Städte
dahingehend von Wien lernen?
Mit geeigneten Oberflächenmaterialien
und Untergrundsubstraten unterstützen wir
natürliche Versickerung und Verdunstung
von Regenwasser. Damit verbessern wir
das Mikroklima und entlasten gleichzeitig
das Kanalsystem.
Die Stadt engagiert sich aktiv in Forschungskooperationen,
setzt Pilotprojekte
für öffentliche Flächen um und verankert
ihre ambitionierten Ziele und Vorgaben
auch rechtlich; so unter anderem in der
Bauordnungsnovelle aus dem Jahr 2023
und dem Wiener Klimagesetz, das 2025
in Kraft tritt. Wien nimmt hier bewusst die
Rolle einer Vorreiterin ein und will damit
auch andere Städte inspirieren, ihre
Klimaziele gesetzlich festzulegen.
Sie setzen auf Schwammstadt-Konzepte.
Praktiker*innen und Forscher*innen betonen,
dass die Schwammstadt jedoch nur
ein Baustein von vielen im Kampf gegen
48 G+L
KLIMAANPASSUNG
INTERVIEW JÜRGEN CZERNOHORSZKY
die Folgen des Klimawandels sein kann.
Wie stellen Sie sicher, dass Sie nicht auf
das „falsche“ Pferd setzen?
In Wien soll jede*r Bewohner*in ein
gutes Leben führen können, und zwar
unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht
und körperlichen oder anderen
Einschränkungen. Es ist unsere Mission,
den gewohnt hohen Wiener Lebensstandard
mit gezielten Klimaschutz- und
Anpassungsmaßnahmen für die kommenden
Generationen zu sichern.
Dazu müssen wir die Bevölkerung vor
bereits jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels
wie Hitze, starke Niederschläge
und Unwetter so gut wie möglich schützen,
indem wir uns an die neuen Gegebenheiten
anpassen.
Es geht aber auch darum, das Voranschreiten
dieser Folgen zu bremsen, und
dazu braucht es mehr Klimaschutz. Der
Wiener Klimafahrplan beinhaltet deshalb
nicht nur Anpassungsmaßnahmen, sondern
legt auch den Ausstieg aus fossilen
Gasen fest. Nur durch weniger umweltschädliche
Emissionen und die Hinwendung
zu klimafreundlichen Alternativen
ist auch in 20 Jahren ein gutes Leben für
alle möglich.
In Wien soll jede*r ein
gutes Leben führen
können, so Jürgen
Czernohorszky, Stadtrat
für Klimaschutz in
Wien. Den hohen
Lebensstandard möchte
die Stadt mit gezielten
Klimaschutz und
Anpassungsmaßnahmen
sichern.
Foto: Ingo Pertramer
In Deutschland hakt es bei der Umsetzung
nachhaltiger Klimaanpassungsprojekte
immer wieder an der
interdisziplinären Zusammenarbeit der
unterschiedlichen städtischen Fachplanungen
und Ressorts. Klimaanpassung
als kommunale Querschnittsaufgabe
will nicht recht gelingen – und damit
bleiben auch die Erfolge bei diesem
recht komplexen Thema aus. Wie ist
Wien hier aufgestellt?
Unsere oberste Priorität ist es, die hohe
Lebensqualität in Wien zu erhalten. Dafür
ist es wichtig, dass alle Player*innen
vom selben Grundproblem ausgehen,
nämlich dass die Klimakrise unseren
Lebensstandard bedroht. Die Meinung
dazu ist innerhalb der Stadt Wien ressortübergreifend
einhellig. Diese Einhelligkeit
erlaubt es uns, gezielte Klimaschutz- und
Anpassungsmaßnahmen zu setzen, um
alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere
vulnerable, vor den Auswirkungen der
Klimakrise zu schützen.
Im Klimabereich werden weitreichende
und bereichsübergreifende Entscheidungen
getroffen. Die Stadt Wien hat deshalb
neue Strukturen, Prozesse und Kompetenzen
für ihr Klimamanagement geschaffen.
Um die Wiener Klimathemen strategisch
zu steuern, wurde 2021 ein Bereichsleiter
für Klimaangelegenheiten ernannt. Er
steuert mit seinem Team die Umsetzung
des Klimafahrplans im Magistrat.
Die Erfolge des Wiener Wegs sind messbar:
Der Sonnenstrom-Ausbau ist in
vollem Gange und konnte seit Beginn der
Offensive verfünffacht werden; seit Beginn
der Legislaturperiode haben wir mehrere
hunderttausend Quadratmeter Grünraum
klimafreundlich neu oder umgestaltet;
Stadtbäume werden dank einer Gesetzesnovelle
künftig stärker geschützt; das
Radwegesystem wird massiv ausgebaut;
die Wasserversorgung wird ausgebaut
und gesichert.
Wie gehen Sie in Wien mit dem Zielkonflikt
zwischen Nachverdichtung und
Entsiegelung um?
Die Stadt Wien hat sich das Ziel gesetzt,
Stadtteile klimasensibel zu planen und
Grün- und Freiräume in Bestandsgebieten
zu erweitern. Bei Nachverdichtungen
beziehungsweise Zu- und Umbauten in
der Bestandsstadt werden Innenhöfe
und Gebäude begrünt sowie Straßen und
Plätze, wo möglich, hell und wasserdurchlässig
gepflastert. Allein im Rahmen
der Grünraumoffensive konnten wir
81 000 Quadratmeter Flächen entsiegeln.
Stellen Sie sich vor, es ist 2050: Wie hat
sich das Wiener Wassermanagement
verändert, und welche Herausforderungen
sehen Sie?
Dass Wien heute eine der lebenswertesten
Städte der Welt ist, ist Resultat
vorausschauender und mutiger politischer
Entscheidungen. Dank dieser Entscheidungen
verfügen wir über eine Infrastruktur
für ein gutes Leben in Wien. Heute arbeiten
wir ununterbrochen an der Wahrung
und am Ausbau dieser Infrastruktur. Die
Wasserversorgung ist – wie das Kanalnetz,
das Gesundheits- oder Abfallwirtschaftssystem
– ein wesentlicher Baustein
dieser Infrastruktur. Unser Ziel ist es,
Wasser als wichtigstes Lebensmittel für
Wien zu sichern. Mit der Strategie Wiener
Wasser 2050 planen wir langfristig und
vorausschauend, indem wir Quellen
schützen und damit den Wienerinnen und
Wienern die höchste Wasserqualität auch
im Jahr 2050 garantieren.
G+L 49