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Achimer Geschichtsheft 28

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Achimer

Geschichtsheft

November 2023

28

RegionalHistorisches Magazin der Geschichtswerkstatt Achim e.v.

www.geschichtswerkstatt-achim.de

30. Mai 2023 - Jähes Ende

eines historischen Hauses

4,- Euro


Liebe Leserinnen, liebe Leser

Der bereits 1936 verstorbene Vielschreiber

Gilbert Keith Chesterton („Vater“ von

Pater Brown) brachte dereinst folgende

kluge Erkenntnis zu Papier:

„Dies ist die riesige moderne Irrlehre:

die Menschenseele zu ändern, um sie

den Verhältnissen anzupassen, anstatt

die Verhältnisse zu ändern, um sie der

Menschenseele anzupassen.“

Diese Worte haben auch heute – im Jahre

2023 – durchaus noch eine gewisse

Berechtigung!

Betrachten wir aufmerksam die gegenwärtige

Situation, so stellen wir fest, dass

es die mannigfaltigsten Bemühungen

gibt, die Menschen zu manipulieren.

Bleiben wir als Lokalhistoriker unserer

Linie treu und bewahren den Überblick…

In diesem Sinne grüßen wir Sie herzlich

Manfred Brodt - Helmut Köhler

Besuch im Landtag von Hannover auf Einladung

der Landtagsabgeordneten Dr. Dörte Liebetruth,

Mitglied der Geschichtswerkstatt Achim.


Inhaltsverzeichnis 3

Unsere Themen:

Die wechselvolle Geschichte des Hauses Obernstraße 45

Heute Obernstraße 47 - Ein Blick in die Vergangenheit

dieses zentral gelegenen Platzes in Achim 4

Die Befreiung unserer Region von der Franzosenherrschaft

im Oktober 1813 - Von 1806 bis 1813 dauerte auch für

unsere Region die französische Besatzungszeit. 11

Sie arbeiteten bei der Desma

Die Anfänge einer großen Erfolgsgeschichte 19

Fragen eines lesenden Arbeiters - von Bert Brecht

Wie wertvoll ist doch gute Nachbarschaft

Auch in der Not gibt`s „gute Zeiten“ 23

Die acht Staustufen der Weser

Die Kanäle und Schleusen in unserer Region 25

Zwanzig Jahre „Traditionsverband Steuben-Kaserne e.V.“

2003 - 2023 Ereignisse Bilder Berichte 31

1855 - Keine neuen Bürger für das Dorf Bollen - Die Aufnahme von neuen

Bürgern in das Dorf Bollen wurde am 26. Januar 1855 verboten. 34

Ende des schrecklichen Weltkrieges in der Heimat

Erlebnisberichte aus dem Raum Langwedel und Achim. 39

Völkerfreundschaft, Rosenkrieg und Alpträume

Aus den unveröffentlichten Protokollen des Achimer Stadtrats

von 1966 bis 1972 48

Ergänzung zu unserem Buch „70 Jahre Stadtrechte in Achim“

„1949 – 2019. Mosaiksteine aus Achim. 70 Jahre Stadtrechte“ 55

Reichsterrornacht vor 85 Jahren

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 58

Die Melkerin - Neue Bronzeplastik erinnert an

historische Badener Besonderheit 60


4

Von Hans-Joachim Wuthe

Die wechselvolle Geschichte

des Hauses Obernstraße 45

Heute Obernstraße 47.

Ein Blick in die Vergangenheit

dieses zentral gelegenen

Platzes in Achim.

Nach dem Brand

Foto: Migowsky

Etwa um 1660 befand sich hier die

Brinksitzerstelle eines Hinrich Kappelmann.

Ca. 1700 erwirbt Johann

Hinrich Tiedemann das Haus. 1785

heißt der Besitzer Johann Friedrich

Tiedemann. Dieser erhält in diesem

Jahre eine Schankgenehmigung und

ist somit der erste Gastwirt (Krugwirt)

an diesem Platz.

Für den Wirt war die günstige Lage

zwischen Pforthaus und Landratsamt

für seine Gaststätte mit Ausspann besonders

lukrativ.

Im Jahre 1818 wird ein Johann Hinrich

Tiedemann als Gastwirt und Brinksitzer

an dieser Stelle in der Achimer

Häuserliste (Brandkassen-Nr. 62) aufgeführt.

Johann Friedrich Oelfke heiratet

wohl 1829 in die Familie Tiedemann

ein und ist der neue Wirt. 1841 wird

das Gebäude aufgestockt und erhält im

Obergeschoß einen Tanzsaal.

1855 übernimmt der Sohn Johann Wilhelm

Oelfke die Gastwirtschaft. Um

1873 ist als Wirt August Bergmann in

der Häuserliste verzeichnet. Bergmann

ist vermutlich Pächter. 1884 ist

Friedrich Oelfke (Sohn von Johann Wilhelm)

als Gastwirt und Brinksitzer eingetragen.

Wilhelm Knoche wird 1889

durch Einheirat der Wirt von „Knoches

Hotel Stadt Bremen“.

Hotel mit Ausspann (Ausschnitt aus einer

Postkarte)

Das Hotel wechselt in den folgenden

Jahren die Besitzer. Während Knoche

noch um die Jahrhundertwende der

Besitzer war, wurde es um 1904 Wilhelm

Schäfer. 1908 war es Heinrich

Hagenah dessen Name als Knoches

Nachfolger an der Stirnseite des Gebäudes

zu sehen ist.


Die wechselvolle Geschichte des Hauses Obernstraße 45 5

Postkarten aus der umfangreichen Sammlung von

Karlheinz Gerhold im Besitz der Geschichtswerkstatt Achim

Im Sommergarten gab

es nicht nur Bier und

andere alkoholische Getränke.

Knoche ließ auch

„Achimer Kristallbrunnen“

aus eigener Herstellung

ausschenken.

Der Rest einer Bügelflasche.

Ein Fund aus einem

Garten an der Bergstraße.

Hotel Stadt Bremen

Inh.: W. Schäfer

In einer Chronik wird der

Sommergarten auf dem

heutigen Grundstück der

Kreissparkasse beschrieben.

Es gab demnach auch

selbst gebrautes Bier im

Ausschank.

Hotel Stadt Bremen

Inh.: H. Hagenah,

Knoche´s Nachf.


6

Die wechselvolle Geschichte des Hauses Obernstraße 45

Am 25.06.1911 wurde das alte Fachwerkhaus,

inzwischen wurde es von

W. Kühsel betrieben, durch ein Feuer

zerstört. Schon Ende 1911 stand der

Neubau in der jetzigen Ausführung (erbaut

von der Fa. Meislahn aus Achim)

dem Wirt und seinen Gästen zur Verfügung.

Hinter dem Gasthaus und Hotel

entstand auch ein neuer Tanzsaal. Hier

fanden Theateraufführungen, Konzerte,

Tanz-, Wahl- und Vereinsveranstaltungen

sowie Festessen zum Kaisergeburtstag

und vieles mehr statt.

Der Neubau von W. Kühsel

Noch zweimal wechselte der Besitzer

laut Häuserliste (1919 Kurt Liebig,

1920 H. Mattfeld) bevor 1921 Hermann

Brockmann das Haus übernahm.

Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg

Nach 1945 benutzten die englischen

Besatzungstruppen das Hotel Stadt

Hotel Stadt Bremen - Saal

Bremen als Wirtshaus und Veranstaltungsraum.

Am 4. Mai 1949 wurde

hier die Feierstunde zur Erhebung der

Gemeinde Achim zur Stadt mit vielen

Ehrengästen abgehalten. Auch der-

Wiederaufbau der Ueser Weserbrücke

1951 und die Einweihung der Mittelschule

1952 wurden hier gefeiert.

13 Jahre lang hielt sich der SV Werder


Von Hans-Joachim Wuthe 7

Bremen hier vor Heimspielen auf. Viele

prominente Fußballspieler, Schauspieler

und Politiker feierten und nächtigten

im Hotel Stadt Bremen. Uwe Seeler,

F. J. Strauß, Bud Spencer und viele

weitere bekannte Persönlichkeiten

waren hier gern gesehene Gäste.

1974 wurde der Saal abgebrochen und

an dessen Stelle entstand ein Bettenhaus

für das Hotel. Das war das Ende

der großen Festveranstaltungen im

Hotel Stadt Bremen.

Dieser Text

befindet sich

auf der Rückseite

der oben

abgebildeten

Postkarte


8

Die wechselvolle Geschichte des Hauses Obernstraße 45

Das Haus in der Zeit von 1950 bis 1997


Von Hans-Joachim Wuthe 9

Foto: Brodt


10

Die wechselvolle Geschichte des Hauses Obernstraße 45

Im Jahre 1997 wird das Bettenhaus geschlossen

und zum Wohn- und Bürohaus

umgebaut.

Ob dieses Gebäude, eines der wenigen

noch verbliebenen alten Häuser

an der Obernstraße, erhalten bleibt?

Das Ende einer langen Tradition

Am 20. September 1997 ist der letzte

Tag für die Gaststätte. Das Hotel Stadt

Bremen schließt für immer seine Pforten.

In den nächsten Jahren beherbergt das

Gebäude die Apotheke „Paulsberg am

Markt“.

Am 30. Mai 2023 um 4:18 Uhr wird die

Freiwillige Feuerwehr Achim zu einem

Müllbehälterbrand in die Innenstadt gerufen.

Das Feuer hat aber schon die Fassade

des ehemaligen Hotels „Stadt Bremen“

und jetziger Apotheke erfasst.

Foto: Dennis Bartz

Die Apotheke „Paulsberg am Markt“


Von Reinhard Dietrich 11

Die Befreiung unserer Region

von der Franzosenherrschaft

im Oktober 1813

Der Status der Besatzung änderte sich

mehrmals. Die folgenden Karten sollen

die sich ändernden Herrschaftsverhältnisse

veranschaulichen.

Von 1806 bis 1813 dauerte

auch für unsere Region die

französische Besatzungszeit.

Karte, u.a. des Königreichs Westphalen (1808) 2

Der gestrichelte Teil von Hannover wird in der Karte als „von Frankreich

verwaltetes Gebiet“ gekennzeichnet. Dieser Zustand dauerte

aber nur drei Jahre. Im Januar 1810 entschied Napoleon, dass

auch der nördliche Teil des Kurfürstentums Hannover dem Königreich

Westphalen einverleibt werden sollte, gültig ab 01.03.1810. 3


12

Die Befreiung unserer Region von der Franzosenherrschaft

Im Oktober 1806 wurde die hannoversche

Regierung von den Franzosen

abgesetzt, am 04.11.1806 wurde per

Proklamation verkündet, Hannover sei

eine eroberte preußische Provinz und

werde nun von Frankreich regiert. 1 Per

Dekret vom 18. August 1807 richtete

Napoleon für seinen Bruder Jérôme

Bonaparte das Königreich Westphalen

ein, incl. dem südlichen Teil des Kurfürstentums

Hannover. Der nördliche

Teil des Kurfürstentums Hannover, zu

dem unsere Region gehörte, stand vorerst

unter französischer Verwaltung.

Für etwa neun Monate gehörte unsere

Region nun zum Königreich Westphalen,

mit der Hauptstadt Kassel;

unser König hieß Jérôme Bonapar-

Das Königreich Westphalen mit seinen Grenzen vom

1. März 1810 bis 10. Dezember 1810 4


Von Reinhard Dietrich 13

te, Bruder des französischen Kaisers

Napoleon Bonaparte. Bereits am

10.12.1810 befahl Kaiser Napoleon die

Einverleibung der gesamten Nordseeküste,

incl. unserer Region in das Kaiserreich

Frankreich. Nun hatten wir einen

Kaiser, den französischen Kaiser

Napoleon I.

Bei der Recherche nach Ereignissen in

unserer Region stieß ich auf eine Berichts-Serie

aus den Bremer Nachrichten

(1875-1876).

Grenzen des Kaiserreichs Frankreich in

Norddeutschland. Die Karte heißt „Der Rheinbund“

und stammt aus dem Jahr 1812 5


14

Die Befreiung unserer Region von der Franzosenherrschaft

Zum Vorverständnis: Zu der Armee des

Generals Walmoden, der unter dem

Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden

eine russisch-preußische Armee

kommandierte, und in der Nähe von

Hamburg eine Armee von ca. 30 000

Mann zusammengezogen hatte, gehörte

auch der „kühne Reiterführer“ Tettenborn.

Der war am Anfang des Jahres

1813 noch österreichischer Rittmeister,

hatte diesen Dienst dann aber quittiert

und war „als Führer eines Kosakenpulks

in russische Dienste getreten.“ Da er sich

als „trefflicher Reitergeneral“ bewiesen

hatte, wurde er nun mit seinen Truppen

Richtung Bremen gegen die Franzosen

geschickt.

Am 9. Oktober 1813 brach er mit ungefähr

800 Kosaken, 400 Mann Kavallerie,

330 Mann Infanterie des Lützow‘schen

Freikorps, dem Reiche’schen Jägerbataillon

und 4 hanseatischen Geschützen

auf. Mit etwa 2400 Männern überquerten

sie bei Bleckede die Elbe und marschierten

in Eilmärschen voran: Am 10.10. in

Bispingen, am 11.10. in Soltau erreichten

sie am 12.10. am Mittag Visselhövede.

Ein Teil marschierte nun nach Rotenburg,

ein Teil setzte bei Hoya über die

Weser, um Bremen auf dem linken Weserufer

anzugreifen. 6

Über den weiteren Verlauf berichteten

die Bremer Nachrichten 1875/76 ausführlich:

„Die Hauptmacht unter Tettenborn

marschierte auf Verden, das

noch vor Abend (des 12.10.1813 – R.D.)

erreicht wurde. Nach kaum dreistündiger

Rast brach Tettenborn von dort mit

einbrechender Nacht nach Bremen auf.

Der beschwerliche Marsch, vier Meilen

sandigen Weges, mußte noch in der

Nacht zurückgelegt werden, wenn die

Ueberrumpelung gelingen sollte. Da

durfte keine Erschöpfung der Krieger

und ihrer Pferde berücksichtigt werden,

denn wenn der Feind rechtzeitig benachrichtigt

war, so wurde die Ausführung

des Handstreichs wesentlich erschwert

oder sogar ganz vereitelt. Der Marsch

wurde durch die einsamsten Nebenwege

geleitet und nach allen Seiten durch

umherstreifende Kosaken gedeckt, welche

jede etwaige feindliche Beobachtung

des Zuges verhinderten, und wo dennoch

einzelne Franzosen oder Freunde der

französischen Herrschaft, durch den Zug

überrascht, flüchten wollten, um ihren

Oberen Kunde zu geben, da wurden sie

glücklich abgefaßt und festgehalten.

Nur zuletzt in Arbergen (hervorgehoben

im Original – R.D.) waren die Verbündeten

mit ihren Vorsichtsmaßregeln weniger

glücklich. Ein Bauer aus Uphusen in

der Nähe von Arbergen – diese Details

sind mündlicher Mittheilung entnommen

– war um Mitternacht noch zu Fuß nach

Achim gepilgert, um für seine schwer

kranke Frau ärztliche Hülfe zu consulliren.

Auf dem Rückwege hörte er in der

Nähe von Bierden Pferdegetrappel hinter

sich, schaute sich um und sah drei Reiter

dahersprengen, die er in seiner Angst

für Räuber hielt. Das Nächste für ihn

war, daß er seitwegs in die Sanddünen

rannte und sich hinter einem Rudel verkrüppelter

Fuhren verbarg. In aller Eile

suchte er dann, als sich kein Geräusch

mehr vernehmen ließ, auf Nebenwegen

seine Bauerschaft zu erreichen; als er

sich jedoch derselben näherte, sah er

einen ganzen Trupp der verdächtigen

Reiter durch das Feld jagen. Er wagte

nicht in seine Wohnung zurückzukehren,

sondern rannte spornstreichs durch die

Marsch nach Arbergen, wo er den Maire

aus dem Schlafe klopfte und ihm die verdächtige

Kunde mittheilte. Dieser hatte

bald begriffen, um was es sich handle


Von Reinhard Dietrich 15

und schickte seinen Knecht, da der Bauer

zu erschöpft war, fort, um nach den

verdächtigen Reitern auszuspähen, und

dieser sah sie bald dem Orte sich nähern.

– Soweit die erwähnte mündliche

Mittheilung. Als der Maire diese Kunde

vernommen hatte, sandte er im lange

gewohnten feigen französischen Diensteifer

einen sicheren Boten nach Bremen,

der jedoch ebenfalls aus Vorsicht Umwege

wählte und glücklicherweise erst

gegen 6 Uhr Morgens, kaum eine Stunde

von Ankunft der ersten Tettenborn’schen

Reiter, in Bremen eintraf. 7

Der hier erwähnte Maire (Bürgermeister)

der Mairie Arbergen war Herr C.

Schünemann, sein Stellvertreter war

Herr J. Wendt. 8 Dieser im Statistischen

Handbuch von 1813 erwähnte Herr C.

Schünemann war Johann Georg Christof

Schünemann (* 19.10.1764 in Bremen,

gestorben als Witwer 14.09.1816 in Arbergen),

Pastor in Arbergen von 1802 bis

1816. 9 Schünemann wird von dem ehemaligen

Stadtarchivar Horst Korte als

„ein getreuer Anhänger Napoleons“ bezeichnet.

10 Der stellvertretende Maire J.

Wendt war der Baumann Johann Wendt

(* 08.02.1760, † 10.07.1826) von der Baumannstelle

Nr. 17.

Zur Mairie Arbergen gehörten Arbergen

(343 Einwohner), Stackkamp (13), Hemelingen

(386), Grumstreich (9), Mahndorf

(240), Bollen (210), Uphusen (318), insgesamt

1 519 Einwohner. 11

Die Bremer Nachrichten schrieben

1875/1876: „Gewiß ist, daß der Maire später

in Verden für seinen französischen

Diensteifer mit dem Kantschu und der

Knute Bekanntschaft machen mußte.“ 12

Ein Kantschu ist eine bei orientalischen

und slawischen Völkern verbreitete aus

Leder geflochtene Riemenpeitsche. 13

Eine Knute ist eine Peitsche aus aufein-

Friedrich Karl Freiherr von Tettenborn. Es

handelt sich um eine Lithographie des Gemäldes

von Karl Joseph Stieler (1815). „In

der Hand hält Tettenborn eine Papierrolle

mit der Aufschrift „Capitulation de Brême,

le 15 oct. 1813. Die Phantasiestadt im Hintergrund

soll Bremen darstellen.“ 15

ander genähten Lederriemen. 14

Tettenborn wird von den Bremer Nachrichten

so beschrieben: „Tettenborn, der

militärische Pracht liebte, war von einem

Gefolge sogenannter Adjutanten umgeben,

welches für einen Befehlshaber von

50 000 Mann, der Zahl nach, ausgereicht

hätte.“ 16

Zur der Tettenborgschen Befreiungsarmee

von knapp 2400 Mann gehörten auch

800 Kosaken. Kosaken waren russische,

ukrainische und polnische Reiterverbände,

die als Bestandteil der Kaiserlichrussischen

Armee zu jener Zeit gegen die


16 Befreiung unserer Region von der Franzosenherrschaft

Kosaken auf dem Domshof (Marktplatz) in Bremen (1813) 18

Ansichtskarte: Gruss aus Achim. Kosakenberg im Bürgerpark.

Diese Ansichtskarte wurde vom Verlag des Verschönerungsvereins Achim: Heinrich

E. Holtmann, Bremen, herausgegeben; sie wurde am 17.01.1901 gestempelt. Noch

heute heißt eine Straße in Achim „Am Kosakenberg“. 20


Von Reinhard Dietrich

17

napoleonische Herrschaft kämpften. 17

Der ehemalige Achimer Stadtarchivar

Horst Korte hält über die Kosaken in Achim

fest: „In Achims Dünenbergen vor den

ersten Häusern des Dorfes (gemeint ist

Achim – R.D. Das Dorf Achim hatte 1812

921 Einwohner. 19 ) lagerten mehrfach

Kosaken. Die Einwohner mußten ihnen

Holz für ihre Lagerfeuer, Fourage und

Lebensmittel liefern, um sich vor Belästigungen

in ihren Häusern zu schützen.

Bei dieser Gelegenheit soll das Dünengebiet

den Namen Kosakenberg erhalten

haben.“ 20

Schon unter der französischen Besatzung

waren zahlreiche Männer, die zur

Bestellung der Landwirtschaft unverzichtbar

waren, in ihre Armee gepresst

worden, die Bauern hatten die Besatzer

zu unterhalten und wurden noch zu zusätzlichen

Kriegssteuern herangezogen.

Jetzt kamen die Befreier. Es waren

sehr viele Menschen, die versorgt werden

mussten.

Man kann sich vorstellen, wie die Bevölkerung

unserer Region bei dem Durchmarsch

der Tettenborgschen Truppen

gelitten hat. Sicherlich waren die Truppen

bei der Requirierung von Proviant

und sonstigen Annehmlichkeiten nicht

sonderlich rücksichtsvoll. Die Ortschaften

waren noch sehr klein und es gab

nur wenige etwas reichere Bauern.

Die Bewohner-Zahl der Ortschaften auf

der damaligen Route von Achim nach

Bremen: Achim (921 Einwohner), Achimer

Bruch (17 Einwohner), Bierden (262

Einwohner), Clüverswerder (11 Einwohner),

Uphusen (318 Einwohner), Bollen

(210 Einwohner), Mahndorf (240 Einwohner),

Arbergen (343 Einwohner), Stackkamp

(13 Einwohner), Hemelingen (386

Einwohner). 21 Auf dem weiteren Weg

ging es durch Hastedt (755 Einwohner)

und eventuell noch Sebaldsbrück (132

Einwohner). 22

In Hastedt, am Steintor bis hin zum

Ostertor gab es am 13.10.1813 Kämpfe.

Die Kämpfe um Bremen dauerten bis

zum 15. Oktober; dann kapitulierten die

Franzosen und durften „unter klingendem

Spiel“ erst nach der Neustadt und

dann weiter aus Bremen abziehen.

„In Uphusen hatte sich ein ehemaliger

Militär-Chirurg niedergelassen. Nun

wurde er wieder in seiner ursprünglichen

Profession tätig. Er behandelte am

14.10. in Hemelingen 14 preußische Jäger,

einen Offizier und mehrere Kosaken.

Bis zum 16.10. wurde er laufend zur Behandlung

Verwundeter zu Hilfe gerufen.

In Arbergen mußte er 6 preußische Jäger

und 12 Kosaken, in Achim 13 preußische

Jäger versorgen.“

Als die Kosaken am 15. Oktober 1813 in

Bremen einzogen – die Franzosen hatten

die Stadt über die Neustadt verlassen

– wurden sie von den Bremern, „stürmisch

als Befreier begrüßt.“ 25 In einem

anderen Geschichtswerk aus dem Jahr

1855 heißt es: Tettenborn hielt einen „jubelvollen

Einzug in die alte Hansestadt“.

„In der Stadt herrschte unter Hoch und

Niedrig, Reich und Arm, Jung und Alt ein

ungemessener Jubel über den Abzug der

Bedrücker, der sich in lauten Demonstrationen

gegen die französischen Militärs

und Beamte Luft machte. … Sofort

nach seinem Einzuge (gemeint ist Tettenborn

– R.D.), der unter Hörnerklang

und Trommelwirbel und Seitens der

Einwohner unter nicht enden wollenden

Hochrufen, Blumenwürfen etc. vor sich

ging…“ 27

Am 6. November 1813 wurde in

Bremen proklamiert:

„Auf Befehl Sr. Majestät des Kaisers aller

Reußen, meines Herrn, und Sr. Königl.


18

Befreiung unserer Region von der Franzosenherrschaft

Hoheit des Kronprinzen von Schweden

sind von heute an die bestehenden französischen

Autoritäten der Stadt Bremen

und ihres ehemaligen Gebietes aufgelöst,

und ist die alte Verfassung der Freien

Hansestadt Bremen wieder hergestellt.

Bremen, den 6. November 1813

Der Russisch-Kaiserliche General-Major

Freiherr von Tettenborn.“

Fußnoten:

1

Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer Ortsteile,

Teil 3. Achim im Kurfürstentum Hannover bis zum Ende der

Franzosenzeit (1715-1815), Bremen 1998, S. 117

2

Entnommen: https://de.wikipedia.org/wiki/

K%C3%B6nigreich_Westphalen#/media/Datei:Rheinbund_

1808,_political_map.png, am 18.08.2022

Als Quelle wird u.a. angegeben: Westermanns Großer Atlas zur

Weltgeschichte, Braunschweig 1969

3

Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer Ortsteile,

Teil 3. Achim im Kurfürstentum Hannover bis zum Ende der

Franzosenzeit (1715-1815), Bremen 1998, S. 130

4

Entnommen: https://stampswiki.de/images/e/e3/1810_Wf-

Karte_2.JPG, am 24.09.2022

5

Karte entnommen: https://de.wikipedia.org/wiki/

K%C3%B6nigreic1h_Westphalen#/media/Datei:Rheinbund_

1812,_political_map.png, am 24.09.2022

Als Quelle wird u.a. angegeben: Westermanns Großer Atlas zur

Weltgeschichte, Braunschweig 1969

6

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9. Oktober

1875 bis 24. September 1876, S. 176

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736

7

Ebenda, S. 177-178

8

Statistisches Handbuch für das Departement der

Wesermündungen auf das Jahr 1813, herausgegeben von G.A.

von Halem, Bremen, S. 200

https://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/

pageview/243815, gelesen am 19.07.2023

9

Blüthner, Friedhelm: Der Bauer und der Pastor. Versuch einer

Landwirtschafts- und Kirchengeschichte vom Mittelalter bis

zur Industrialisierung am Beispiel des Kirchenspiels Arbergen,

Bremen 2003, S. 199

10

Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer

Ortsteile, Teil 3. Achim im Kurfürstentum Hannover bis zum

Ende der Franzosenzeit (1715-1815), Bremen 1998, S. 170

11

Lasius, Albrecht, Friedrich Ludolph: Der französische

Kayser-Staat unter der Regierung des Kaysers Napoleon des

Großen im Jahre 1812, Osnabrück 1813, S. 95

http://books.google.de/books?id=Q_5OAAAAcAAJ&printsec

=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=o

nepage&q&f=false, gelesen am 27.03.2015

12

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9.

Oktober 1875 bis 24. September 1876, S. 178

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736

13

https://de.wikipedia.org/wiki/Kantschu, gelesen am

27.09.2022

14

https://www.wissen.de/fremdwort/knute, gelesen am

27.09.2022

15

Stubbe da Luz, Helmut: „Franzosenzeit“ in Norddeutschland

(1803-1814). Napoleons Hanseatische Departements, Bremen

2003, S. 238

Als Quelle wird das Staatsarchiv Bremen angegeben (S. 324)

16

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9. Oktober

1875 bis 24. September 1876, S. 191

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736

17

https://de.wikipedia.org/wiki/Kosaken, gelesen am

21.08.2022

18

https://www.weser-kurier.de/bremen/der-bremer-domshofim-wandel-der-zeit-doc7e536n6byi81msjn15zo,

entnommen am

22.08.2022

Herbert Schwarzwälder präsentiert das Bild ebenfalls:

Schwarzwälder, Herbert: Geschichte der Freien Hansestadt

Bremen. Band II. Von der Franzosenzeit bis zum Ersten

Weltkrieg (1810-1918), Bremen 1995, S. 37. Er nennt als Quelle

„Aquarell von Ernsting aus dem Focke-Museum“. In seiner

Unterschrift datiert er das Bild fälschlich auf den 15. Oktober

1815. Es muss 1813 heißen.

19

Lasius, Albrecht, Friedrich Ludolph: Der französische

Kayser-Staat unter der Regierung des Kaysers Napoleon des

Großen im Jahre 1812, Osnabrück 1813, S. 95

http://books.google.de/books?id=Q_5OAAAAcAAJ&printsec

=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=o

nepage&q&f=false, gelesen am 12.08.2022

20

Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer Ortsteile,

Teil 3. Achim im Kurfürstentum Hannover bis zum Ende der

Franzosenzeit (1715-1815), Bremen 1998, S. 179

21

Lasius, Albrecht, Friedrich Ludolph: Der französische

Kayser-Staat unter der Regierung des Kaysers Napoleon des

Großen im Jahre 1812, Osnabrück 1813, S. 95

http://books.google.de/books?id=Q_5OAAAAcAAJ&printsec

=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=o

nepage&q&f=false, gelesen am 21.08.2022

22

Ebenda, S. 94

23

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9. Oktober

1875 bis 24. September 1876, S. 186

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736

24

Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer Ortsteile,

Teil 3. Achim im Kurfürstentum Hannover bis zum Ende der

Franzosenzeit (1715-1815), Bremen 1998, S. 179

25

Bessell, Georg: Bremen. Geschichte einer deutschen Stadt,

Bremen 1955, S. 273

26

Beitzke, Heinrich: Geschichte der deutschen Freiheitskriege

in den Jahren 1813 und 1814. Zweiter band, Berlin 1855, S. 466

27

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9. Oktober

1875 bis 24. September 1876, S. 187-188

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736

28

Bremen in der Franzosenzeit. Bremer Nachrichten 9. Oktober

1875 bis 24. September 1876, S. 204

Abdrucke der Artikel aus den Bremer Nachrichten, Staats- und

Universitätsbibliothek Bremen, Signatur 01.K.6736


Wie alles begann:

Am 25. Juni 1946 begann die Firma

„DESCO“ mit einem Startkapital von

10.000 RM die Produktion von Textilien,

Spielzeug, Spielautomaten und Gartenzäunen

in einem kleinen Schuppen in

Uesen – damals noch eine kleine unabhängige

Gemeinde - mit zwei Arbeitern.

Das Grundstück gehörte zum Sägewerk

des Vaters.

Von Edith Bielefeld

Sie arbeiteten bei der

Die Anfänge einer großen

Erfolgsgeschichte

19

Die Militärverwaltung der Briten, die

auch Uesen besetzt hatte, erlaubte ehemaligen

Wehrmachtsangehörigen der

deutschen Armee nicht, Firmen zu besitzen.

So gehörte die „Deutsche Spezialmaschinen

Co. U. E.“ zu 96 % der Ehefrau

Edith Ludwig, geborene Willisch, nur 4%

liefen auf den Namen von Herbert Ludwig.

Die Familie Willisch hatte bereits in Dresden

ein Leder verarbeitendes Geschäft

betrieben, das bald auch Schuhe herstellte,

war aber in den Westen gegangen,

weil sie sich hier bessere Chancen

ausrechnete. Ludwigs Schwager hatte

Interesse an Technik. Er war die Hand

des kleinen Betriebes in Uesen. Bald

wurden Maschinen für die Schuhproduktion

hergestellt, so dass der Schuppen zu

klein wurde. Die Familien suchten einen

neuen Standort. Der Achimer Gemeinderat

lehnte es ab, ein Grundstück zur

Verfügung zu stellen. Auf Anraten des

damaligen Ueser Gemeindebürgermeisters

Heinrich Laakmann kaufte Herbert

Ludwig von einem Bauern aus Uesen für


20 Sie arbeiteten bei der DESMA

1 RM pro Quadratmeter Land dort, wo

heute noch die Firma steht. Das Produktionsgebäude

wurde mit Zustimmung

der Militärverwaltung in Bremen von der

Automobilfabrik Borgward in Hemelingen

übernommen. Es steht heute immer

noch auf dem Grundstück der DESMA

links vom Eingang.

Die Firma DESCO pachtete für 24 Monate

einen PKW der Marke Opel für 35 RM

monatlich – zahlbar mit Brennholz. Der

Verpächter des Autos wurde Magazinverwalter

der Firma.

Mit der Einführung der D-Mark verkaufte

Ludwig auch Kleidung, um ein zweites

Standbein zu haben.

Aus DESCO wird DESMA

Anfang der fünfziger Jahre trennten sich

die Familien Willisch und Ludwig. Damit

verließ auch der Name DESCO den Ort

mit inzwischen 44 Mitarbeitern, lediglich

sechs blieben zurück. Ein neuer Name

wurde gefunden: die DESMA.

Im September 1953 meldete Ludwig sein

erstes Patent an, und der Ingenieur Friedel

Koch wurde als Angestellter eingestellt.

Er brachte die Firma durch sein

Können und seine Ideen weiter voran.

An den Maschinen wurden Negativformen

von Schuhen ausgegossen, deren

Umrisse aus Aluminium waren. Eine andere

Maschine stellte Leisten aus Aluminium

her. Die Apparaturen wurden

verkauft – bald in der ganzen Welt. Der

Durchbruch kam, als Schuhsohlen zunehmend

aus Gummi statt des knappen

Rohstoffs Leder gefragt waren. Ein Exportschlager

wurde die Drehtischanlage

zum Anformen von feinen Sohlen.

Quellen:

Achimer Kreisblatt vom 31. 12. 1955,

vom 2. 8. 1971, vom 30. 3. 2007,

Achimer Kurier vom 16. 9. 2006

und besonders:

Carys Davies, 60 Jahre DESMA, Ein Firmenporträt,

Achim 2006

Manfred Winsemann, Achim-Uesen

Fertigung einer Drehtischanlage


Von Edith Bielefeld 21

Auch bei der DESMA arbeiteten Menschen,

die besonders zu dem großen

Erfolg des Betriebes beigetragen haben,

aber nur selten erwähnt wurden. Einige

von ihnen kommen hier zu Wort:

Auch sie haben zum Erfolg beigetragen

Manfred Winsemann

Der Betrieb startete 1946 mit zwei Arbeitern.

Als Manfred dort im Jahre 1957

anfing, war er bereits der 48. Mitarbeiter.

Seine Ausbildung zum Betriebsschlosser

bei der Firma Heller in Uphusen hatte

er bereits hinter sich. Bei der DESMA

arbeitete er an Maschinen, die verkauft

wurden. DESMA kaufte keine Ersatzteile,

alles, was benötigt wurde, stellten

die Betriebsangehörigen selbst her. Als

Betriebsschlosser führte Manfred alle

Schlosserarbeiten aus.

Werkstattleiter war Heinrich Laakmann,

im Büro war Paul Schwarmann

für die Maschinenschlosser zuständig.

Nachdem ein Dreher erkrankte, ersetzte

Winsemann ihn. Die Dreherei war eine

eigene Abteilung, die Mitarbeiter arbeiteten

im Akkordlohn. Dadurch versuchte

jeder, die bestbezahlte Arbeit zu verrichten.

Für den Neuankömmling Winsemann

blieb so nur die Restarbeit. Er

arbeitete an der Drehbank und lieferte

Teile für die Maschinen. Meister in der

Dreherabteilung war Wellbrock, eine

Respektperson für die Mitarbeiter.

Als Mitarbeiter bei der DESMA lernte

Manfred Winsemann sehr viel, aber

er wollte sich noch weiterbilden und

wechselte deshalb in andere Betriebe.

Hans Migowsky

Hans begann seine Ausbildung zum

Maschinenschlosser 1959 bei der DES-

MA. Damals wurden die Auszubildenden

noch per Handschlag von dem

Chef Herbert Ludwig begrüßt. So wurde

der Vertrag zwischen den jungen

Menschen und der Firma geschlossen.

Nach der Ausbildung war Hans Migowsky

im Montagesektor für Maschinen und Anlagen

der Spritztechnik tätig. Er arbeitete

im Montagesektor der Spritzgießtechnik.

1982 fuhr Migowsky mit einer Spritzgießmaschine

in Drehtischbauweise, die er

im Werk montiert hatte, in die USA, um

sie dort wieder aufzubauen. Auch in anderen

Ländern und in Deutschland stellte

er Maschinen direkt vor Ort auf. Hans Migowsky

ist inzwischen gestorben. Seine

Frau Marlies stellte sein Fotoalbum und

diese Informationen zur Verfügung.

Manfred Rinn

Manfred begann seine Ausbildung zum

Maschinenschlosser bei der DESMA am

1. April 1962. Damals wurden die von der

Schule abgehenden Schüler und Schülerinnen

noch zu Ostern entlassen. Seine

Lehre dauerte dreieinhalb Jahre und endete

mit einer praktischen und theoretischen

Prüfung. Manfred Rinn musste in

dieser Zeit die Berufsschule in Verden

besuchen.

1962 gab es bereits 50 Lehrlinge – so hießen

die Auszubildenden damals – bei der

DESMA und eine eigene Werkstatt für sie.

Der Ausbilder hieß Johann Meineke. Die

Lehrlinge mussten sechs Abteilungen

des Werkes durchlaufen. In jeder Abteilung

verbrachten sie vier Wochen.

Während ihrer Ausbildung lernten die

jungen Menschen den Umgang mit

Werkzeugen. Sie mussten Teile anfertigen

und verrichteten leichte Arbeiten an

der Drehbank und an der Fräsmaschine.

Im zweiten und dritten Lehrjahr arbeiteten

sie bereits an Maschinen für den

Verkauf.


22

Sie arbeiteten bei der DESMA

Im ersten Lehrjahr bekam Manfred

Rinn 60 DM, im zweiten 80 DM, im dritten

Jahr 90 DM und schließlich 100 DM.

Als Geselle arbeitete Manfred Rinn am

unteren Bau der großen Maschinen. 1980

wurde er Vorarbeiter und kam jetzt in die

Lohngruppe 11.

Als in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Mercedes nach Bremen kam

und seinen Betriebsangehörigen mehr

Lohn gab als DESMA – einige DESMA-

Leute wanderten deshalb nach Bremen

ab zu Mercedes – glich die Firma den

Lohn ihrer Arbeitenden an, natürlich

wollten sie ihre Arbeiter behalten.

Manfred Rinn hat auch Lehrlinge ausgebildet,

die ja alle Abteilungen durchlaufen

mussten. In seiner Abteilung arbeiteten

circa 50 Menschen von montags bis freitags,

von morgens um 6 Uhr bis nachmittags

um 17 Uhr. Man konnte auch freiwillig

am Sonnabend von 5 Uhr morgens bis

mittags arbeiten. Dann gab es mehr Geld

in der Lohntüte - 50 % Aufschlag.

Die DESMA schickte ihre Schlosser auch

in andere Firmen, die deren Maschinen

gekauft hatten. Dort sollten sie die Bedienung

der Maschinen vermitteln.

In seinen letzten Arbeitsjahren gehörte

Manfred Rinn dem Betriebsrat an. Er

war Mitglied der Gewerkschaft IG Metall.

Als die Gewerkschaft mehr Lohn für

die Beschäftigten verlangte, streikten

die Arbeitenden der DESMA auch dafür

– aber nur einen Tag, dann wurden die

Forderungen erfüllt.

In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts

brach die Wirtschaft im Osten,

einem großen Abnehmer der DESMA-

Maschinen, ein. Bei der DESMA wurde

Personal abgebaut. Als Manfred 2010 in

den Ruhestand ging, arbeiteten lediglich

240 Menschen noch in der Firma.

Heinz Jäckel

Heinz arbeitete von 1963 bis 1974 als

Maschinenschlosser bei der DESMA.

Er montierte die Apparate in der sogenannten

Vormontage vor. Er arbeitete

mit fünf Kollegen in einer Gruppe.

Nach der Vormontage kamen die Apparate

in die Endmontage, wo sie endgültig

für den Verkauf fertiggestellt wurden.

Manfred Vogelsang

Manfred arbeitete von 1969 bis zu seinem

Eintritt in den Ruhestand im Jahre

2005 als technischer Angestellter bei der

DESMA. Er und seine Kollegen in der Abteilung

Arbeitsvorbereitung bekamen die

Unterlagen und Zeichnungen für die Fertigungsteile

von der Konstruktionsabteilung

geliefert.

Die für die Fertigung der Einzelteile im

Betrieb benötigten Vorgabezeiten sowie

die Rüstzeiten wurden an Hand von Tabellen

und Maschinendaten ermittelt.

Die Rüstzeiten sind die Zeiten zur Vorbereitung

des Arbeitsplatzes oder auch des

Arbeitnehmers selbst, die für das Erreichen

eines betriebsbereiten Zustandes

für die Fertigung der Einzelteile notwendig

sind.

Die Zusammenfassung der einzelnen

Fertigungsabläufe im Betrieb mit den

Zeiten wurde für die Planung der weiteren

Abläufe bis zur Montage der Maschinen

benötigt.

Quellen: Achimer Kreisblatt vom 31. 12. 1955,

vom 2. 8. 1971, vom 30. 3. 2007, Achimer Kurier

vom 16. 9. 2006 und besonders: Carys Davies,

60 Jahre DESMA, Ein Firmenporträt, Achim

2006. Manfred Winsemann, Achim-Uesen

Anmerkung:

Gerne berichtet die Geschichtswerkstatt

Achim auch über die Arbeitsbiografien

von weiteren Beschäftigten dieser Firma

und anderer Unternehmen.


Wer baute das siebentorige Theben?

In den Büchern stehen die Namen von

Königen.

Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?

Und das mehrmals zerstörte Babylon -

Wer baute es so viele Male auf?

In welchen Häusern des goldstrahlenden

Lima wohnten die Bauleute?

Wohin gingen an dem Abend , wo die

chinesische Mauer fertig war,

die Maurer?

Das große Rom ist voll von Triumpfbögen.

Wer errichtete sie? Über wen triumphierten

die Cäsaren?

Hatte das vielbesungene Byzanz nur

Paläste für seine Bewohner?

Von Bert Brecht / Von Gisela Ahnert

Fragen eines lesenden Arbeiters

Von Bert Brecht (*10.02.1898 / † 14.08.1956)

So viele Berichte. So viele Fragen.

Selbst in dem sagenhaften Atlantis

brüllten in der Nacht, wo das Meer es

verschlang, die Ersaufenden nach

ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.

Er allein?

Cäsar schlug die Gallier.

Hatte er nicht wenigstens einen Koch

bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine

Flotte untergegangen war.

Weinte sonst niemand?

Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen

Krieg.

Wer siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.

Wer kochte den Siegesschmaus?

Alle zehn Jahre ein großer Mann.

Wer bezahlte die Spesen?

Wie wertvoll ist doch gute Nachbarschaft!

Mister X, der gute Mensch von Nebenan.

Hilfsbereitschaft -groß geschrieben!

Auch in der Not gibt‘s „gute Zeiten“ - von Gisela Ahnert

Wenn heute der Fernseher mal ausgeschaltet

bleibt, und man so die Zeit

zum Nachsinnen hat, werden Erinnerungen

wach, die sehr weit zurückliegen

können. Wie kann es denn sein,

dass nach so vielen Jahrzehnten dann

auf einmal wieder Gesichter aus der

Erinnerung auftauchen z.B. von Menschen,

die ihre Nachbarn durch große

Hilfsbereitschaft beeindruckten. So je-

23

mand war für uns Kinder der Allroundman

Mister X.

Er war der Erste und Einzige in unserer

Wohnreihe (der so genannten Behelfsheime

von damals), der über einen Telefonanschluß

und eine Schreibmaschine

verfügte, und sogar ein kleines Auto

besaß. Für uns Kinder war er der gute

Onkel von Nebenan. Denn er verstand

sogar etwas vom Kochen und Backen.


24

Auch in der Not gibt`s „gute Zeiten“

Wenn er also in der Küche zu tun hatte,

lief auf Lautstärke Musik aus dem Radio,

seinem „Nordmende“. Wer konnte

sich in der Nachkriegszeit schon solch

Rundfunkgerät leisten, vielleicht auf

Ratenzahlung gekauft?

Vor seinem weit geöffneten Küchenfenster

verweilten wir Kinder allzu gerne

und lauschten mit. Mister X war meist

gut gelaunt, auf dem Herd brodelte im

riesengroßen Kochtopf regelmäßig ein

Süppchen zum Sattwerden für viele

hungrige Kindermägen. Manchmal

durften wir Kinder vom Fenster aus

bei der Zubereitung zuschauen. Das

Gemüse für die Suppe stammte aus

dem eigenen Vorgarten und hinteren

Grundstück. Für uns Kinder war er der

Meisterkoch. Aber in Wirklichkeit war

sein Beruf im technischen Bereich,

.Verwaltunqsbüro“ stand auf einem

blanken Schild zu lesen.

Vor seinem Fenster blieben wir oft stehen,

denn der Duft von Frischgebackenem

lockte uns Kinder stets herbei. Ob

Rühr-oder Topfkuchen, Torten, Kekse

oder Plätzchen -er kannte sich bestens

aus und ließ uns teilhaben an der

bekömmlichen Verkostung. Und man

staune: in seiner Küche wurde damals

schon auf einem modernen Elektroherd

gekoch.

Nur Sonntags, wenn Mister X seine

Clubjacke mit Emblem und blanken

Knöpfen trug, war er mir unheimlich,

erinnerte mich irgendwie an zurückliegende

Zeiten, wo man sich nicht

sicher fühlen konnte. Unsere Mütter

waren tagsüber außer Haus. Je nach

Bildung versahen sie ihren Job, z.B.

als Kantinen-oder Ladenhilfe, Sprechstundenhilfe,

Verkäuferin, Serviererin,

Küchenhilfe, Stationshilfe, Schwesternhelferin,

Kellnerin, Schneiderin,

Weißnäherin, Krankenschwester,

Briefträgerin, Schaffnerin, Kontoristin,

Bürokraft, Telefonistin, Übersetzerin

oder Fabrikarbeiterin. Arbeitslose gab

es kaum. Jeder half fleißig mit, die

Wirtschaft zu stärken.

In jedem unserer Wohnblocks, vierzehn

insgesamt, gab es acht Eingänge, pro

Block wohnten dort zwischen 20 und

25 Kinder. Die 14 Blöcke für schutzsuchende

Familien entstanden einst weit

draußen vor den Toren von Bremen, in

Hemelingen. Diese Auffangstationen

in Schlichtbauweise wurden natürlich

im Außenbezirk für Ausgebombte, Vertriebene

oder Flüchtlinge geschaffen,

sie alle hatten zumindest wieder eine

Bleibe bei geringer monatlicher Miete.

Aber wer waren die ersten, die hier ihr

Domizil bezogen? Und vom welchen

Arbeitstrupps wurden sie errichtet?

Auf wessen Anordnung lässt sich denken!

Wie sah die Innenausstattung aus?

Zur Wohnküche gehörten ein großer

Kochherd zum Beheizen und ein

Wasserhahn für Leitungswasser mit

Waschbecken und Ausguss und elektrisches

Licht zum An-und Ausknipsen.

In jener Zeit waren andere Bewohner

aus der Umgebung noch auf Pumpenwasser

angewiesen, mussten das Wasser

Eimerweise heranschleppen, denn

solche Pumpstellen waren nicht gleich

vor dem Haus.

Nach 25-jähriger Nutzungsdauer folgte

der Abriss - dieses Kapitel war damit

abgeschlossen. Auf dem großen Areal

entstand ein beachtliches Wohngebiet,

und aus Fremden wurden Nachbarn.

Hier sorgt nun ein Quartiersmanager

für die Belange der Alteingesessenen

und Neubürger.


Von Reiner Aucamp

Die acht Staustufen der Weser

25

Wie bei allen Verkehrsinfrastruktureinrichtungen,

Straßen, Autobahnen, dem

Schienennetz der Bahn oder Flughäfen,

muss auch das Wasserstraßennetz jederzeit

nutz- und befahrbar sein.

Wir unterscheiden bei den

Wasserstraßen zum einen

natürliche, wie Flüsse und

Naturseen, sowie künstliche,

Kanäle und Baggerseen.

Während bei den künstlich angelegten

Einrichtungen wie Kanäle durch

Schleusen und andere Absperrungen

jegliche Strömung unterbunden ist,

wird in den natürlichen Wasserstraßen

wie Flüssen jederzeit mit Veränderungen

zu rechnen sein. Naturereignisse

wie Regen, Schneeschmelze

oder langanhaltende Trockenheit beeinflussen

den „Lauf des Wassers“.

Unwetter mit Sturm und Starkregen

bringen kleinere Flüsse schnell zum

Überfluten. Diese kleinen Flüsse bilden

sehr oft die Quelle für oder den

Zulauf in größere Flüsse.

Die Folgen können verheerend sein.

Aufspülen von Flussböden oder Mäandern

kann sehr leicht die Wassertiefe

erheblich mindern und die Schifffahrt

erschweren oder unmöglich machen.

Auch längere Trockenheit lässt den

Wasserspiegel sinken, so dass die

Schifffahrt zum Erliegen kommen

kann.

Kommen wir nun zu dem Fluss vor unserer

Haustür, der Weser. Sie entsteht

durch den Zusammenfluss von Werra

und Fulda bei Hann.-Münden. Ein Gedenkstein

sagt: „Wo Werra sich und Fulda

küssen, sie ihren Namen büßen müs-


26 Die acht Staustufen der Weser

Der Verlauf der Weser mit den Staustufen

zwischen Minden und Bremen

sen. Und so ensteht aus diesem Kuss,

deutsch bis ans Meer der Weserfluss“.

Vergessen werden darf hierbei nicht

der Zufluss der Aller.

Die Weser hat eine Gesamtlänge von

451 Kilometer und teilt sich auf in die

Oberweser von Hann.-Münden bis Hameln,

die Mittelweser von Minden bis

zur Staustufe Bremen-Hastedt und

dann die Unterweser bis in die Nordsee.

Die Weser durchfließt die Bundesländer

Hessen, Nordrhein-Westfalen,

Niedersachsen und Bremen.

Es liegen Aufzeichnungen und Protokolle

vor, dass die Weser nach Absinken

des Frühjahrhochwassers große

Mengen steinigen und sandigen Bodens

zurückließ und der Hafen Bremen

nicht mehr erreicht werden

konnte. Anlegestellen in Vegesack und

später dann noch weiter flussabwärts

in Brake wurden hergestellt. Bald war

dann nur noch Bremerhaven zum Löschen

und Beladen geeignet.

Die Hochwasser im Frühjahr und im

Herbst führten aus dem Umland schwere

Sinkstoffe ins Flussbett, die sich am

Ufer ablagerten. In der Mitte ergab das

dann eine unbändige Strömungsenergie,

die große Ausspülungen verursachte.

Dieser Auswasch wurde fortgespült

und bildete an anderer Stelle

dann ein Hindernis beim Befahren.

Alle Anliegerstaaten wurden zu Wasserbaumaßnahmen

für die Sicherung

der Weserschifffahrt aufgefordert.

In Bremen wurden schon recht früh

Dampfbagger angeschafft, um eine

notwendige Wassertiefe zu erlangen.

Auch oberhalb Bremens in Richtung

Minden musste etwas geschehen. Es

begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts

durch Einsetzen von Buhnen.

Hier entsteht durch Verengung eine


Von Reiner Aucamp

27

höhere Fließgeschwindigkeit.

Ab 1911, dem Bau der Staustufe Bremen-Hastedt,

wurde der Wasserspiegel

künstlich angehoben. Es folgten

dann Staustufen in Dörverden 1912,

Langwedel 1958, Drakenburg 1955,

Landesbergen 1960, Schlüsselburg

1956 und Petershagen 1953. An der

Staustufe mit neuer Brücke

Oberweser gibt es noch eine Staustufe

in Hameln.

An der Staustufe Langwedel, das Wehr

oder das Sperrwerk liegt in der Gemeinde

Blender-Intschede und die dazugehörige

Schleuse in der Gemeinde

Langwedel-Daverden, wollen wir das

Prinzip und die Wirkungsweise näher

aufzeigen.

Bereits im Jahre 1934 begannen die

ersten Planungen, und bis zum Beginn

des Zweiten Weltkrieges wurden schon

Baggerarbeiten ausgeführt. Es gab

bereits Ausbaggerungen im heutigen

Schleusenbereich, die Kanalbrücke in

Baden wurde erstellt und ebenfalls ein

Einschnitt von der Weser bis nahe der

Brücke, ca. 300 Meter ausgebaggert.

Weiter existierte ein ebenfalls ca. 300

m langer Wasserlauf zwischen Baden

und Hagen-Grinden, der später ein

Abschnitt des Kanalbettes wurde. Genutzt

wurde ein Teil des Flussbettes

der Alten Aller, die verlegt wurde.

Erst nach dem Krieg wurde dann der

Ausbau von Staustufe und Schleuse

vollendet. Ein möglichst gleichbleibender

Wasserstand sollte gehalten

werden, um größeren Schiffen die

Durchfahrt zu gewährleisten. In den

Jahren 1953 bis 1958 waren sehr viele

Arbeiter aus der näheren und weiteren

Umgebung hier beschäftigt, um dieses

Bauwerk zu errichten.

Das Wehr oder Sperrwerk ist 110 m

breit und besteht aus drei Wehrfeldern

mit beweglichen Sperrelementen. Riesige

Motoren steuern die Elemente. Die

Sperrelemente von 30 bis 40 m Breite

bestehen aus 160 Tonnen schweren

stählernen Dreigurtschutzen, die aufund

abwärts gefahren werden können.

Oben ruht eine acht Tonnen schwere

Fischbauchklappe zur Regulierung des

Oberwasserspiegels.

Nebenan produziert ein Laufwasser-


28 Die acht Staustufen der Weser

kraftwerk den notwendigen Strom. Das

Kraftwerk hat vier Kaplan-Turbinen.

Alles wird automatisch gesteuert. Nur

bei Extremwasserständen wird eingegriffen

und eventuell der Dreigurtschutz

hochgezogen, um größere

Wassermassen durchzulassen.

Das Laufwasserkraftwerk hat eine Kapazität

von 7,2 MW. Jährlich werden

um die 40 GWh ins Netz gegeben bei

einem Durchfluss von 292 m³/s. Betrieben

wird das Kraftwerk von Beginn

an von der Fa. Preussen/Elektra, dann

übernahm Eon. Heute ist die Firma

Statkraft, ein norwegisches Unternehmen,

der Eigentümer.

Damit die Fische zur Laichzeit auch

zu den Laichplätzen gelangen können,

wurde an der Seite der Staustufe eine

Laich- oder Fischtreppe hergestellt.

Auf der gegenüberliegenden Seite

gibt es noch die Gelegenheit, kleinere

Sportboote über eine Gleisanlage auf

den anderen, höheren oder niedrigeren

Wasserstand zu befördern

Da ein Sperrwerk oder eine Staustufe

den Fluss wirklich absperrt, muss für

die Schifffahrt Gelegenheit gegeben

sein, weiterfahren zu können, Zu jeder

Staustufe gehört ein Schleusenkanal.

Während dieser in Bremen-Hastedt direkt

parallel zum Wehr verläuft, macht

der Schleusenkanal in Langwedel mit

einer Länge von 8,5 km eine Abkürzung

zum Altarm der Weser von 4

km. Bei dieser Abkürzung der Fahrzeit

muss natürlich die Schleusenzeit berücksichtigt

werden.

Das Wehr in Langwedel bildet auch eine

Brücke zur Überquerung der Weser.


Von Reiner Aucamp

29

Schleuse Etelsen / Hagen-Grinden

Sie verbindet die Ortschaft Intschede

der Samtgemeinde Thedinghausen mit

der Ortschaft Daverden des Fleckens

Langwedel. Bauern zum Beispiel aus

Daverden unterhalten gentsiet, also

auf der anderen Weserseite, Ländereien

und große Schweinemastställe,

die täglich angefahren werden müssen.

Wie die damalige Zählung und Befragung

vor der jetzigen Erneuerung

des Wehres ergab, nutzen diese Weserquerung

auch viele Autofahrer von

außerhalb des Landkreises Verden,

zum Beispiel Nienburg, um die Autobahnanschlussstelle

Langwedel zu erreichen.

Die Gesamtzahl der täglichen

Nutzer lag bei 6000 Fahrzeugen, die

während der Bauphase über die Ueser

Brücke nach Achim oder über die Weserbrücke

in Hutbergen nach Verden

fahren mussten.Die alte Brückenfahrbahn

in Intschede/Daverden erlaubte

nur einseitiges Fahren, das durch eine

feste Taktung einer Ampel geregelt

wurde.

Auch nach der Wiedereröffnung im

September wird es bei der eingeschränkten

Fahrbahnbreite bleiben,

aber eine moderne, videoüberwachte

Ampelschaltung wird den Verkehr flexibler

steuern. In Minden, in der Zentrale

des Wasser-und Schifffahrts-


30 Die acht Staustufen der Weser

amtes, kann jederzeit bei Bedarf die

Ampelschaltung dem vorhandenen

Verkehr angepasst werden, so dass

auch Fußgängergruppen ungefährdet

die Fahrbahn nutzen können.

Mehrere Anläufe wurden unternommen,

eine Zweispurigkeit der Brücke

zu erreichen, die Kosten und der Denkmalschutz

sprachen leider dagegen.

So wurde beschlossen, mit einem

sehr hohen Kostenaufwand eine futuristische

Fuß-und Radfahrerbrücke

vom Wehr aus gesehen flussabwärts

zu bauen. Die Fertigstellung ist für das

Jahr 2028 vorgesehen.

Schon jetzt wurden 20 Millonen Euro

für die Autobrücke mit Fußweg verbaut.

Für rund 6000 Fahrzeuge pro Tag

und ihre Fahrer, die seit 2018 die Weserüberquerungen

in Uesen und Verden

nutzen mussten, bietet die erneuerte

Brücke in Intschede seit September

auf jeden Fall eine große Erleichterung.

Fotos:Aucamp/Brodt

Bücher der Geschichtswerkstatt Achim

noch vorrätig!

Der neue Kalender 2024


Noch während der Existenz des Panzerflugabwehrregiments

11 im Jahr

2002/2003 diskutierten bereits die

aktiven Soldaten und Achimer Bürger

gemeinsam darüber, ob es sinnvoll

wäre, einen Verein oder eine Kameradschaft

zu gründen, die die Tradition

der Bundeswehr im Standort Achim

erhalten und pflegen sollte.

Mit dieser Frage befasste sich zunächst

ab Februar 2003 eine Arbeitsgruppe, die

die vielen inzwischen aufgeworfenen

Fragen zur Organisation und Personalbesetzung

klären und entsprechende

Vorschläge bis zur endgültigen Gründungsversammlung

erarbeiten sollte.

Am 15. Mai 2003 war es denn soweit:

Der Kommandeur des PzFlakRgt 11,

OLT Hauschildt, lud hierzu interessierte

Soldaten, Reservisten und Bürger in

das Unteroffiziersheim der Steuben-

Kaserne ein. Von den 47 erschienenen

Interessierten beantragten sogleich 42

schriftlich ihre Mitgliedschaft. Damit

waren sie berechtigt, über Status und

Namen des Vereines, Satzung und Besetzung

des ersten Vorstandes zu entscheiden.

Der „Traditionsverband Steuben - Kaserne

Achim e. V.“ war geboren und

gemäß der neuen Satzung bot er allen

aktiven und ehemaligen Soldaten

sowie interessierten Bürgern die Mitgliedschaft

an. Bereits Ende 2003 hatte

sich die Zahl der Mitglieder von 42 auf

knapp über 100 erhöht. Engagierte Mitglieder

hatten innerhalb weniger Monate

den vom Regiment übergebenen

Von Klaus J. Peters

Zwanzig Jahre „Traditionsverband

Steuben-Kaserne e.V.“

2003 - 2023

Ereignisse

Bilder

Berichte

31

Nachlass dekorativ und informativ in

angemietete Räume der Firma DES-

MA untergebracht und so eine sehenswerte

Dauerausstellung geschaffen,

die man interessierten Gästen präsentieren

konnte.

Gemäß der Satzung war die Pflege

der Kameradschaft ein Hauptziel, das

durch gemeinsame Veranstaltungen

wie Grillen, Sommerfeste, Dämmerschoppen,

oft verbunden mit Vorträgen

von Vertretern der Bundeswehr,

der Industrie oder von eigenen Mitgliedern,

erreicht werden konnte. Natürlich

wurden jährlich die gesetzlich

geforderten Mitgliederversammlungen

durchgefiihrt.

Doch Höhepunkte unserer Verbandstätigkeit

waren zweifellos die Tagesund

Wochenendausflüge, bei denen

militärische Dienststellen, Schieß-und

Übungsplätze, Museen oder Rüstungsunternehmen

besucht wurden. Bei der

Organisation dieser Fahrten fanden

wir nicht nur Unterstützung durch die


32 Zwanzig Jahre „Traditionsverband Steuben-Kaserne e.V.“

Bundeswehr, sondern auch durch den

Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge

e. V., der die Nutzung ihrer Jugendbegegnungsstätte

Golm auf der

Insel Usedom genehmigte. So gingen

die Reisen zu verschiedenen Standorten

des Heeres, der Marine und Luftwaffe,

von Stettin über Strausberg,

Kiel, Rendsburg, Munster, Seedorf bis

nach Bremerhaven, Wilhelmshaven

und Wittmund.

Gute Beziehungen unserer Vorstandsmitglieder

machten es dem Traditionsverband

darüber hinaus auch möglich,

militärtechnische Erprobungsstätten

und zivile Rüstungsbetriebe in Bremen,

Kassel und Unterlüß sowie das

Gefechtsübungszentrum der Bundeswehr

in der Altmark/Letzinger Heide

sowie das Taktikzentrum der Marine in

Bremerhaven zu besuchen.

Vom PzFlakRgt 11 wurde ab 2004 die

Durchführung des jährlich einmal stattfindenden

Wohltätigkeitskonzertes übernommen,

bei dem das Heeresmusikkorps

„Hannover“ zugunsten des Volksbundes

Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V.

spielte. Für dieses Engagement ehrte im

Jahr 2021 der Volksbund den Traditionsverband

mit der Verleihung der .Anerkennungsplakette

in Silber“.

Doch nicht nur der Volksbund profitierte

vom Erlös des Konzertes, auch

Achimer Kirchengemeinden und soziale

Einrichtungen der Stadt bekamen

Geldbeträge. Auch das ab 1993 vom

Achimer Schützenverein durchgeführte

Schießen mit der Bundeswehr

zum „Soldatenschützenkönig“ wurde

auf Initiative vom Schützenverein 2013

wieder ins Leben gerufen, wenngleich

die Teilnahme spärlicher und die Verbandsangehörigen

inzwischen deutlich

älter geworden sind.

Ab 2014 nahm der Traditionsverband

auch das Angebot der Stadt Achim an,

sich an öffentlichen Veranstaltungen

wie die Achimer Vereinsbörse, die Maibaumaufstellung

oder dem Wintermarkt

zu beteiligen. Unser Erbsensuppenstand

war -so die Meinung vieler

Achimer- eine Bereicherung, und erinnerte

manche Männer an ihre Bundeswehrzeit.

Dass Achim überhaupt mal eine Garnisonsstadt

war, führte 2008 zur Präsentation

des Buches „Chronik des

Bundeswehrstandortes Achim, Steuben-Kaserne“

von Karl-Heinz Hildebrandt,

Mitglied im Vorstand des Traditionsverbandes.

Die 1. Auflage mit 300

Exemplaren war schnell vergriffen.

Wie bei allen Vereinen schränkte die

Corona-Pandemie 2019 bis 2021 unsere

Aktivitäten deutlich ein, lediglich die

notwendigen Jahreshauptversammlungen

wurden unter Einschränkung

der Teilnehmerzahl und strikter Einhaltung

der Schutzmaßnahmen durchgeführt.

Ganz schmerzlich war für den

Verband und das Heeresmusikkorps

die Entscheidung, das Konzert im Jahr

2020 grundsätzlich absagen zu müssen

und es 2021 in erheblich veränderter

Form mit kleiner Kammerkonzertbesetzung

und eingeschränkter Besucherzahl

durchführen zu müssen.

Zum Glück ist diese schwere Zeit ohne

Mitgliederverlust überstanden und am

24. Juni 2023 konnte mit reger Beteiligung

von knapp 60 Personen bei

„Meyer-Bierden“ die Jubiläumsfeier

,,20 Jahre Traditionsverband Steuben-Kaserne

Achim e. V.“ begangen

werden. Eine reichhaltige Dia-Show

und eine an alle Mitglieder verteilte

Vereins-Chronik von 50 Seiten und 80

Bildern ergänzten das Festessen und


Von Klaus J. Peters

33

die angeregten Gespräche an den Tischen.

Auch wenn die Mitglieder naturgemäß

älter und nicht immer voll mobil

sind, unsere Kameradschaft ist ungebrochen

und die knapp 100 Mitglieder

blicken dennoch zuversichtlich in die

Zukunft!

Autor: Klaus J. Peters

Schriftführer im „Traditionsverband

Zehn Goldene Regeln für Beamte

aus 1965 im Achimer Rathaus

Ausgegraben von Helmut Köhler


34

1855-

Bollen war schon immer ein kleines

landwirtschaftlich geprägtes Dorf.

1845 hatte Bollen 283 Einwohner

(149 männlich, 134 weiblich) 1 auf 35

Hofstellen. Die nach 1871 erstellte

Brandkassen - Nummern - Karte

der VGH-Landschaftliche Brandkasse

Hannover dokumentiert die breite

Streuung der Bebauung in Bollen.

Von Reinhard Dietrich

Keine neuen Bürger

für das Dorf Bollen

Die Aufnahme von neuen

Bürgern in das Dorf Bollen

wurde am 26. Januar 1855 für

mindestens 10 Jahre durch

einen Beschluss der Gemeindeversammlung

verboten.

B. Gerken. Gruss aus Bollen. Ansichtskarte aus dem Archiv

der Achimer Geschichtswerkstatt

Das ist die älteste uns bekannte Ansichtskarte aus Bollen. Sie wurde am 02.01.1900

abgestempelt. Links befindet sich das Lokal von Brüne Gerken (heutiger Standort des

„Bollener Dorfkrugs“). Standort des Betrachters ist etwa der heutige Deichschart. Der

nach links und rechts abzweigende Sandweg ist der heutige „Bollener Deich“. Geradeaus

führt die heutige „Bollener Landstraße“ nach Mahndorf. Der Mann in der Mitte

der Ansichtskarte mit den verschränkten Armen ist der damalige Wirt Brüne Gerken

(*11.07.1869, †12.12.1936).


1855 - Keine neuen Bürger für das Dorf Bollen 35

Brandkassen-Nummern-Karte der VGH-Landwirtschaftliche Brandkasse Hannover (nach 1871)

Diese Brandkassen-Nummern-Karte der VGH-Landschaftliche Brandkasse Hannover wurde

nach 1871 erstellt. Die Ergänzungen bzw. Hervorhebungen habe ich eingefügt. Die in der Karte

eingetragenen Nummern der Höfe waren die Brandkassen- und Hausnummern. Bereits am

24.05.1754 wurde die „Verordnung wegen der Brand-Casse der Hertzogthümer Bremen und

Verden“ durch die Stader Regierung erlassen und veröffentlicht. Alle Gebäude wurden nach und

nach erfasst und durchnummeriert. Mit a, b und c wurden die Nebengebäude bezeichnet; gelbe

Flächen kennzeichnen mit Stroh, rote mit Ziegeln/Pfannen gedeckte Dächer.


36

1855 - Keine neuen Bürger für das Dorf Bollen

Aufgrund des begrenzt vorhandenen Grund und Bodens und weil die Dorfbevölkerung

ausschließlich von der Landwirtschaft gelebt hat, kam es in der Gemeindeversammlung

des Dorfes Bollen am 26. Januar 1855 zu diesem konsequenten und einstimmigen

Beschluss. 2

Auszug aus dem

„Protokoll wegen Aufnahme und Domilicierung („seinen Wohnsitz haben, ansässig sein“ 3 )

.. .der Häuslinge in der Ortschaft Bollen -

Geschehen zu Bollen den 26ten Januar 1855“


Von Reinhard Dietrich 37

Da nach den Umständen und in Ermangelung

verschiedener Erwerbsquellen

rücksichtlich des Gemeindewesen und

des allgemeinen Wohlstandes, ohne

Benachteiligung der einheimischen

Häuslinge nicht rathsam ist, hier in der

Ortschaft Bollen mehrere fremde Häuslinge

ansässig werden zu lassen, so

hat dieserwegen an dem heutigen Tage

eine öffentliche Gemeindeversammlung

stattgefunden, davon jeder Betheiligte

24 Stunden vorher ist in Kenntnis gesetzt

worden und wozu sich auch fast sämmtliche

Betheiligte eingefunden hatten.

Es hat die Versammlung einstimmig den

Beschluß dieseswegen dahin abgefaßt:

daß kein Grundbesitzer befugt sein

soll, falls er nicht in eine Strafe von 25

Reichthaler Courant fallen will, einen

fremden Häusling anzunehmen, auch

dann nicht, wenn der fremde Häusling

einen beglaubigten Domicilschein beibringt.

Vorstehender Beschluss findet

auch seine Gültigkeit beim Verkauf etlicher

Morgen Land zu einer Anbaustelle,

weil auch bei denen immer die Möglichkeit

vorliegt, nach Umständen und

in Ermangelung der Nahrungsquellen

Bollens berechnet, daß solche nach etlichen

Jahren bei widrigem Mißgeschick

der Gemeinde zur Last fallen können.

Dieser Beschluß ist vorläufig auf 10 Jahre,

nämlich von 1855 bis 1865 festgesetzt.

Jedoch findet dieser Beschluß keine

Anwendung auf diejenigen aus der Ortschaft

Bollen, welche ausgewandert sind

nach fremden Ländern und einen Auswanderungsschein

genommen haben.

Vorgelesen und genehmigt durch eigenhändige

Unterschrift der Betheiligten

(Höfe-Nr. und weitere Informationen

wurden von R.D. ergänzt)

1. Die Bauleute (alle 11 waren anwesend

bzw. ließen sich vertreten):

1. Dettmer Eggers (Nr. 4), 2. Hinrich

Meinken (Nr. 7), 3. Gädje Klaus (Nr. 5), 4.

Johann Ellmers (Nr. 9), 5. Dettmer Ellmers

(Nr. 11), 6. Lühr Ellmers (Nr. 2), 7.

Johann Hinrich Eggers (Nr. 8), 8. Hinrich

Osmers (Nr. 3), 9. Johann Klaus (Nr. 12),

10. Dettmer Bollmann (Nr. 10), 11. Johann

Schierholz (Kötner) für den Landrath

von der Decken (Wiepelnbusch)

2. Die Köthner (Von den 14 Kötnern

aus Bollen waren 13 anwesend. Nur

aus der Kötnerstelle Nr. 23 fehlte

ein Vertreter; dort lebte zu jener

Zeit die Witwe Becke Seekamp;

Frauen waren nicht stimmberechtigt.)

1. Johann Schierholz (Nr. 22), 2. Johann

Henken (Nr. 19), 3. Cord Wrede (Nr. 15),

4. Hermann Bartels (Nr. 24), 5. Gerhard

Asendorf (Nr. 20), 6. Hinrich Böse (Nr. 18),

7. Hermann Reiners (Nr. 17), 8. Hermann

Vagt (Nr. 21), 9. Hinrich Dahnken (Nr. 16),

10. Brüne Warns (Nr. 26), 11. Brüne Gerken

(Nr. 25), 12. Johann Seekamp (Nr.

14), 13. Johann Hinrich Meyer (Nr. 13)

3. Brinksitzer (vier von fünf anwesend):

Johann Meinken (Nr. 30), Friedrich Wilkening

(Nr. 27), Albert Dahm (Nr. 28),

Christian Hütter (Nr. 29); es fehlte Johann

Tietjen (Nr. 31).

4. Anbauer (vier von fünf anwesend):

Klaus Hinrich Henken (Nr. 37), Johann

Gerken (Nr. 32), Hinrich Gerken (Nr. 36),

Hermann Wendt (Nr. 39); es fehlte Johann

Puvogel (Nr. 38).

5. Häuslinge (die genaue Anzahl der derzeitigen

Häuslinge war nicht zu ermitteln):

Hinrich Meinken (Nr. 6; der Besitzer

der Baumann-Stelle Nr. 6, Landrat von

der Decken, wohnte in Wiepelnbusch),

Klaus Harms (Hirte auf dem Esch, Nr.

33), Johann Eggers

Geschehen wie oben D. (das ist Dettmer)

Eggers Bauermeister“ (Bollen Nr. 4,

ein Vorfahr - der Ur-Ur-Großvater - von


38

1855 - Keine neuen Bürger für das Dorf Bollen

Helmuth Wurtmann). Dettmer Eggers (*

04.10.1819, † 20.07.1880) war von 1853

bis 1860 Bauermeister - das war die Bezeichnung

für den damaligen Ortsvorsteher/Bürgermeister

- von Bollen.

Der derzeitige Bollener Lehrer Johann

Hermann Cyriaks (Lehrer in Bollen von

1854 bis 1860) ist nicht gelistet. Wir wissen

nicht, über wie viele Stimmen er

verfügen konnte, aufgrund seiner sozialen

Stellung vermutlich nur über eine

Stimme. Der Bollener Lehrer wurde nie

im Protokollbuch oder in den Listen der

Stimmberechtigten gelistet. Ich habe

bisher lediglich einen Hinweis auf die

Stimmenzahl des Bollener Lehrers gefunden.

Am 28.01.1879 wurden auf einer

Gemeindeversammlung die Einteilungen

von sieben (Steuer)Klassen und daraus

resultierenden Stimmenverhältnisse beschlossen.

4

Im Kreisarchiv Verden existiert ein

Schreiben der Gemeindeverwaltung von

Bollen an die Landrostei in Stade vom

01.02.1879, in dem der Beitragsfuß und

daraus abgeleitet die Stimmenverhältnisse

in der Gemeindeversammlung in

Bollen festgehalten sind.

Danach „tragen 7 Köthner gleich 1 Baumann,

2 Brinksitzer gleich einem Köthner,

6 Anbauer und Häuslinge der 11. u.

12. Classe gleich 1 Köthner, 3 Anbauer

und Häuslinge der 10. Classe gleich

einem Köthner zu den Gemeindelasten

bei.

Daneben ist bestimmt, dass der Schullehrer

gleich gestellt ist zwei Anbauern der

geringsten Classe (Hervorgehoben von

R.D.), sowie der Auswärter Riechers zu

Rathswiehe (Amt Syke) gleich zwei Anbauern

der geringsten Classe u. Christoph

Eggers (ehemaliger Kötner bei

Schlieme – R.D.) einem Anbauer der geringsten

Classe. Nach diesem Beitragsfuße

wird auch das Stimmrecht ausgeübt.“

5

Bei dem Beschluss auf der Gemeindeversammlung

am 26. Januar 1855 hatten

sich eingefunden: Alle 11 Bauleute

(Landrat von der Decken von der Baumannstelle

Nr. 6 ließ sich durch den Kötner

Johann Schierholz (Nr. 22) vertreten,

13 (von 14) Kötner, 4 (von 5) Brinksitzer, 4

(von 5) Anbauer, 3 Häuslinge, insgesamt

35 stimmberechtigte Personen. Damit

waren fast alle Stimmberechtigte anwesend.

Z. Bsp. gab es am 10.03.1908 in

Bollen 36 stimmberechtigte Gemeindemitglieder

mit insgesamt 386 Stimmen. 6

Stimmberechtigt waren im Königreich

Hannover nur die Männer ab einem Alter

von 25 Jahren 7 ; das blieb auch später

– im Königreich Preußen (ab 1866) und

im Kaiserreich (ab 1871) – bis 1918 so. 8

Die Stimmenverteilung wurde in jener

Zeit noch nach dem sozialen Stand zugewiesen.

Am 02. April 1864 wurde in einem

Beschluss der Gemeindeversammlung

festgehalten, dass „die Stimmen (in der

Gemeindeversammlung – R.D.) in gewöhnlicher

Weise abgegeben werden

sollen, so dass ein Baumann 42, ein

Kötner 6, ein Brinksitzer 3 und ein Anbauer

und Häusling eine Stimme haben

sollte.“ 9

Die 11 Bauleute als größte Landbesitzer

hätten mit ihren 462 (11 x 42 Stimmen

= 462) zwar locker die Mehrheit

auf der Gemeindeversammlung gehabt

und somit ihre Interessen durchsetzen

können, der Beschluss vom

26.01.1855 wurde jedoch „einstimmig“

gefasst und „durch die eigenständige

Unterschrift der Beteiligten“ genehmigt.

Das Verbot der Aufnahme wurde „vorläufig

auf 10 Jahre, nämlich von 1855

bis 1865“ festgesetzt. Im Protokollbuch

ist keine Verlängerung des Beschlusses


dokumentiert. Allerdings hat der derzeitige

Gemeindevorsteher Johann Meinken

(vom 02.04.1864 bis 11.03.1870) das Protokollbuch

auch nur lückenhaft geführt:

Zwischen der Gemeindeversammlung

am 14. Juni 1864 und der Versammlung

der Bauleute am 3. Januar 1870 sind

keine Protokolle enthalten; insgesamt

hat Johann Meinken nur 3 Protokolle

geschrieben: 14.06.1864, 03.01.1870 und

die Ergebnisse der Wahl zu einem neuen

Gemeindevorsteher - Gädje Klaus (Nr. 5)

- am 11.03.1870.

Was können wir froh sein, dass die wirtschaftlichen

Verhältnisse uns heute eine

vergleichsweise großartige Freizügigkeit

ermöglichen.

Von Harald Gerken 39

Fußnoten

1

Windel, Albrecht Hinrich Christoph: Das Gohgericht Achim,

bearbeitet von Horst Korte, Bremen 1993, S. 87

2

Protokollbuch der Gemeinde Bollen I. (1853-1931),

Gemeindeversammlung vom 26. Januar.1855, Stadtarchiv

Achim, Signatur I.C.5-24

3

https://www.wissen.de/fremdwort/domizilieren, gelesen am

18.08.2021

4

Protokollbuch der Gemeinde Bollen I. (1853-1931),

Gemeindeversammlung vom 28. Januar.1879, Stadtarchiv

Achim, Signatur I.C.5-24

5

Kreisarchiv Verden: Stimmrecht und Gemeindeversammlung

in Bollen (1852-1879), Schreiben vom 01.02.1879, Signatur

9/15 a

6

Protokollbuch Gemeinde Bollen I. (1853-1931),

Gemeindeversammlung vom 10. März 1908, Stadtarchiv Achim,

Signatur I.C.5-24

7

https://de.wikipedia.org/wiki/Wahlrecht_in_den_

deutschen_Einzelstaaten_bis_1918#Hannover_bis_1866,

gelesen am 16.08.2021

8

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/kaiserreich/das-reich/

dreiklassenwahlrecht.html, gelesen am 11.08.2021

9

Protokollbuch der Gemeinde Bollen I. (1853-1931),

Gemeindeversammlung vom 02. April 1864, Stadtarchiv

Achim, Signatur I.C.5-24

Ende des schrecklichen

Weltkrieges in der Heimat

Am 19. April 1945, zweieinhalb Wochen

vor der Kapitulation, erlebten Daverden

und Etelsen das für sie kurze, aber

auch teilweise heftige Ende des Zweiten

Weltkrieges.

Die „Festung Verden“ war buchstäblich in

letzter Minute aufgegeben worden, Daverden

sollte dagegen bis zum bitteren

Ende ein Ort der Verteidigung bleiben,

nachdem Langwedel am Vortage, dem

18. April, auch weitgehend kampflos eingenommen

worden war. Stopps hatte es

dort nur gegeben, wenn die Panzersperren

weggeschossen werden sollten. Das

letzte Bollwerk aus Baumstämmen und

Erde direkt vor dem Goldbach muss den

Panzerkanonier herausgefordert haben;

denn von vier Fehlschüssen über die

Erlebnisberichte aus dem

Raum Langwedel und Achim.

Elf Tage unter Beschuss!

ganze Länge der Großen Straße hinweg

traf einer die alte Eiche in fünf bis sechs

Meter Höhe auf dem Grundstück der damaligen

Schmiede/Elektrobetrieb Meyer.

Auf dem stehengebliebenen Stumpf hat

dann in den Folgejahren ein Storch genistet

und gebrütet.

Nach zwei weiteren schlecht gezielten

Schüssen war die komplette Hausfront

der Gaststätte „Zum Goldbach“ eingestürzt.

Einer der Fehlschüsse traf über

den Goldbach hinweg das Haus des Daverdener

Friseursalons Kolkmann und


40

Ende des schrecklichen Weltkrieges in der Heimat

setzte es in Brand. Als der letzte Treffer

dann das sinnlose Bollwerk endlich zerstört

hatte, hatten Granatsplitter einen

Menschen tödlich getroffen. Hermann

Scheele war lange vorher aus einem Feldlazarett

mit amputiertem Arm zurückgekehrt

und war nun zum Volkssturm kommandiert

worden. Mit geschultertem Karabiner

hatte er auf seinem elterlichen

Hof kurz vor dem Goldbach Wache halten

sollen, als ein Granatsplitter ihn tödlich

traf. Seine Eltern entdeckten ihn dann tot

vor der Haustür.

An diesem Tage machte die britische Einheit

am Goldbach Halt, nicht ohne vorher

ein paarmal nach Daverden hinein und

auch bereits nach Etelsen zu schießen.

Die Befehlshaber rechneten schließlich

beim Weitermarsch nach Daverden mit

Widerstand und nahmen daher am 18.

April erst einmal im kampflos eingenommenen

Langwedel Quartier.

Tägliche Beschießung aus Intschede

Britische Panzer jenseits der Weser. Auf

der linken Weserseite waren die Briten

zügig vorangekommen und nahmen sich

Zeit, uns täglich über die Weser hinweg

zu beschießen.

Am 19. April nun wurde es ernst in und

um Daverden, nachdem die Briten dem

Ort eine ruhige Nacht beschert hatten.

In den elf vorausgegangenen Tagen war

es jedoch im alten Dorfkern immer wieder

zu Granateinschlägen gekommen.

Dort waren nun etwa 100 Soldaten ohne

jegliche angemessene Ausrüstung stationiert.

Sie sollten den Weserübergang

verteidigen, nachdem eine britische Einheit

bereits am 8. April kampflos Blender

erobert hatte. Die Briten hatten etliche

Dörfer im Handstreich genommen

und waren zügig voran gekommen. Ihre

Foto aus dem IWM London, überlassen von

Dr. Fritz Garvens, Thedinghausen

Kameraden auf unserer, der rechten

Weserseite hatten auf ihrem Vormarsch

mehr Widerstand brechen müssen, besonders

in der „Festung Rethem“. Nun

brauchten sie Geländegewinne. Die

deutsche Heeresleitung rechnete, wenn

„der Feind“ auf der Höhe von Daverden

sei, mit einer Querung der Weser an der

Fährstelle Intschede/Daverden. Da sollte

gegengesteuert werden, auch wenn es

dafür keine schlagkräftige Truppe mehr

gab. Das zuvor mögliche Überqueren der

Weser in Hutbergen war dem „Feind“

nämlich durch die Sprengung der Brücke

vereitelt worden.

Ziel der britischen Heeresführung war

letztendlich, Bremen von beiden Weserseiten

aus gleichzeitig anzugreifen.

So sollte Daverden zu einem strategischen

Ort werden.

Bereits am 8, April hatte die britische

Panzerspitze sogleich von Intschede aus

ihre Ankunft mit Panzergeschützen kund

getan. Die ersten Einschläge zwangen

die Daverdener umgehend in die Keller,

die man bereits bei Fliegeralarm häufig

aufgesucht hatte. Als sich drüben dann

erst die Artillerie in Stellung gebracht

hatte, kamen die Einschläge gezielt und

landeten präziser im alten Dorfzentrum


Von Harald Gerken 41

unterhalb der Hauptstraße. Dort wusste

man aus der Aufklärung, dass deutsches

Militär in den Gaststätten Gütersloh und

Jahn und in der Scheune des Nachbarn

Cordes lagerte.

Nachdem elf Tage lang sporadisch immer

wieder Einschläge zu verzeichnen

gewesen waren, kam es nach einer trügerischen

Nachtruhe am 19. April gegen

fünf Uhr morgens zu verhängnisvollem,

heftigem Beschuss. Das sollte die Bevölkerung

und vor allem die Soldaten in die

Keller beziehungsweise in ihre Deckungen

zwingen.

Das geschah dann auch weitgehend, bis

der Beschuss jäh aufhörte. Kaum trauten

sich die Leute wieder vor die Haustür,

konnten sie das Dröhnen von Panzermotoren

und Rattern von Maschinengewehrsalven

wahrnehmen.

Kriegslärm in der Ortschaft.

In einem minutiös abgestimmten Zangenangriff

kamen die Panzer von oben

die Weserstraße herunter, und Panzerspähwagen

steuerten gleichzeitig von

unten auf den alten Dorfkern zu, wo die

blutjungen, mangelhaft bewaffneten und

nicht fertig ausgebildeten Soldaten lagerten.

Unter ihnen auch ältere Männer

in Wehrmachtsuniform: Veteranen aus

dem Ersten Weltkrieg und Hamburger

Polizeibeamte sollten die jungen Kämpfer

ergänzen. Sie gehörten offenbar zum

Volkssturm, dem letzten Aufgebot zur

Heimatverteidigung.

Die am Goldbach gestarteten Panzer

hatten zuvor die Panzersperre an der

Daverdener Hauptstraße, Höhe „Alter

Schulweg“ aus der Ferne zerschossen,

das Bollwerk an der Abfahrt zum Dorfkern

(Höhe Rottenberg) wurde nicht per

Kanone beseitigt, sondern einfach in ein

paar Anläufen umgefahren. Zerschießen

war offenbar nicht mehr möglich, weil

aus der Marsch ja bereits die Spähwagen

entgegen kamen, welche über Eissel

vorgestoßen waren. Von diesen Panzerspähwagen

aus wurden die meisten der

an jenem Tag gefallenen Soldaten durch

Maschinengewehrsalven getroffen.

Der allererste tödlich von einer feindlichen

Gewehrkugel getroffene Soldat war

der 16jährige Werner Rüpprich, der mit

geschultertem Karabiner vor der alten

Gaststätte Gütersloh Wache hielt, während

sich etliche seiner Kameraden im

Keller des Hauses aufhielten. Sie wollten

sich ergeben und hatten es signalisiert,

indem sie ihre Karabiner gesichert an

der Dielenwand aufgereiht hatten. Das

Dröhnen der Panzer war bereits hörbar,

als plötzlich ein Gewehrschuss fiel. Ein

vorauseilender Späher der Engländer

suchte wohl die Panzersperre ab, um

nach lauernden Hitlerjungen mit Panzerfäusten

hinter dem Bollwerk zu suchen.

Der Späher muss an der Weserstraße

vom Hof Elfers (Biskop) aus knapp 100

Meter Entfernung auf den ahnungslosen

Melder des Leutnants geschossen und

ihn tödlich getroffen haben.

Tod des jungen Soldaten erlebt

Den Tod des jungen Soldaten erlebten

wir gegenüber unserer Hofeinfahrt mit

eigenen Augen aus 30 Meter Entfernung,

nachdem wir gerade vor die Haustür

getreten waren, weil der Artillerie-Beschuss

ja aufgehört hatte. Aus nur einem

Meter Abstand (oder weniger) erlebte die

20 jährige Elisabeth Schröder (später Bischoff)

das schrecklichste Ereignis ihres

jungen Lebens. Die beiden diskutierten

miteinander und der junge Soldat zeigte

unmittelbar vor dem tödlichen Schuss in


42

Ende des schrecklichen Weltkrieges in der Heimat

die Richtung, in der er eine Kuh zuletzt

gesehen hatte. Die Kuh hatte sich nach

einem Volltreffer im Stall des Nachbarn

Jahn losgerissen und war davongelaufen.

Elisabeth kam erschüttert zurück in

mein Elternhaus, wo sie mit uns und ihren

Verwandten im Keller den Beschuss

abgewartet hatte. Ich selber kann mich

nur noch daran erinnern, dass sich ihre

Schwester Meta Jahn (Tante „Mene“) und

meine Mutter um sie kümmerten.

Zangenangriff auf nicht kämpfende

deutsche Soldaten

Wegen des soeben miterlebten Vorfalles

und des lauter werdenden Kampfgeschehens

hatten wir uns danach ins Haus

zurückgezogen und nicht mitbekommen,

dass der Leutnant Herkelmann aus dem

Gütersloh`schen Keller, der seinen gefallenen

Melder mit einer Zeltplane bedecken

wollte, im selben Augenblick von

einer Maschinengewehrsalve getroffen

wurde und über seinem toten Melder

zusammenbrach. Das konnten später

die Bewohner des Hauses Gütersloh, auf

deren Hof nun zwei Gefallene lagen, berichten.

Im Keller Gütersloh hatte es bei einem

der letzten Artillerietreffer von Intscheder

Seite aus einen schwerverletzten

Soldaten und den mittelschwer verwundeten

14-jährigen Hausbewohner Günter

Homfeld gegeben. Die bogenförmig heruntergekommene

Granate war genau im

Kellerfensterschacht explodiert. Durch

die Splitter war es im Keller zu den beiden

Verwundeten gekommen, die bald

von englischen Sanitätern versorgt und

dann nach Dauelsen in ein englisches

Notlazarett gebracht wurden.

Soweit die übrigen Soldaten nicht in Kellern

der benachbarten Häuser Zuflucht

gesucht hatten, sprangen sie hektisch aus

ihren Deckungslöchern am Marschrand

heraus und rannten zum nahen Bauernwald

oberhalb der „Alten Aller“

Das bot den MG-Schützen auf den herannahenden

Spähpanzern freies Schussfeld.

Die verstreut am Dorfrand liegenden

und zwei auf der Straße gefallene Soldaten

wurden später durch zwei deutsche

Männer geborgen. Ein englischer Offizier

hatte es den beiden einzigen noch im unteren

Dorf aufzutreibenden älteren Männern

Johann Warnke und Louis Homfeld

befohlen. Sie mussten die am Dorfrand,

auf der Straße und vom Hof Gütersloh

gefallenen deutschen Soldaten zusammentragen

und zunächst vorne in der

Marsch begraben. Unter den britischen

Kämpfern gab es wohl keine Toten; denn

von deutscher Seite war kein Schuss gefallen.

Deutsche schießen auf Deutsche.

Die kurze Ruhe nach dem Einmarsch der

Briten war nun trügerisch. Versprengte

deutsche Truppen, die zunächst die „Festung

Verden“ hätten verteidigen sollen,

hatten sich auf unsere Moordörfer und

Etelsen-Steinberg zurückgezogen und

ihre Geschütze nun auf die Daverdener

Ortsmitte ausgerichtet. Ihre Artillerie

sollte die soeben eingetroffenen Briten

treffen (doch wohl nicht zurücktreiben?).

Tatsächlich aber gab es erneut Schäden

an den Gebäuden. Die Deutschen setzten

auch Brandgranaten ein, was die Engländer

in den elf Tagen ihres Beschusses

über die Weser nicht getan hatten. Die

beiden Häuser von Cord Finke am Holdorf

und des damaligen Bürgermeisters Gätjen

brannten nieder. Die Gastwirtschaft

Flammann („Alter Krug“ später „Antiochia“)

erhielt zu zwei bereits zuvor von


Von Harald Gerken 43

der von der englischen Artillerie erhaltenen

Gebäudetreffern jetzt noch zwei

deutsche hinzu. Direkte Treffer und viele

Splitter an etlichen Gebäuden brachten

erhebliche Schäden.

Tragisch war indes, dass auch ein deutsches

Geschoss – genau wie ein englisches

am Vormittag bei Gütersloh – im

Fensterschacht eines Kellers explodierte.

Unter den Schutz suchenden Personen

im Keller befand sich auch die 52-jährige

Bertha Dittmer, geborene Oetting, die

von einem Splitter an der Halsschlagader

getroffen wurde und dann in den Armen

ihrer Töchter Wilma (später Otersen) und

Amanda (später Decker) verblutete.

Panzersperre auf dem

Vormarsch nach Verden.

Panzersperren haben Panzer niemals

aufhalten können. Sie wurden entweder

weggeschossen, umgefahren oder auch

umfahren (über bewohnte Grundstücke).

Manchmal mussten auch Anwohner in

aller Eile zurückbauen zwecks Schadenvermeidung.

Foto: IWM London, überlassen

von Dr. Fritz Garvens, Thedinghausen.

Bei dem ersten Opfer unter der Zivilbevölkerung

handelte es sich um die 66-

jährige Witwe Katharine Elfers, die zwei

Tage nach einer schweren Verwundung

starb. Sie hatte hinter der Panzersperre

auf der Höhe des Alten Schulweges

Deckung gesucht, als sie den ersten

englischen Panzer aus Richtung Langwedel

kommen sah. Als der Panzerkommandant

auch sogleich auf das sinnlose

Bollwerk eine Granate abfeuern ließ, riss

ein größerer Splitter ihren Oberschenkel

auf. Sie schleppte sich dann in das nahegelegene

Haus des Kaufmanns Wilhelm

Meyer (später H. Przybilla) und wurde

dort nach einem Notverband durch einen

englischen Sanitäter neben der Kellertreppe

auf einer Matratze gelagert. Wegen

ihrer Körperfülle hatte man sie nicht

in den Keller tragen können. Da es keine

zivile ärztliche Versorgung gab, verstarb

sie an dieser Stelle nach zwei Tagen.

Dazu nun die etwas befremdlich anmutende

Geschichte zur Beisetzung: Auf

Anordnung eines britischen Offiziers

sollte die Familie Meyer die Verstorbene

in ihrem Garten beerdigen. Das war nun

wohl unzumutbar, und man organisierte

einen nächtlichen Leichentransport per

Handwagen zum Friedhof, wobei einmal

mehr die Leibesfülle der Verstorbenen

Probleme bereitete. Nachdem diese mit

vereinten Kräften überwunden waren,

brachte man sie unter die Erde, wohl

aber nicht tief genug, sodass später die

„fachgerechte“ Beerdigung nachgeholt

werden musste.

Für die 14 gefallenen Soldaten gab es

ebenfalls nach der am 19. April notdürftig

vorgenommenen Beerdigung vor Ort

am fünften Mai eine reguläre Beisetzung

in einem Massengrab. Dieses war so angelegt

beziehungsweise ausgerichtet,

dass über jedem Gefallenen ein Erdhügel

und am Kopfende jeweils ein Holzkreuz

mit Stahlhelm und den persönlichen Daten

platziert wurde.

Wieviele unserer Soldaten verwundet


44

Ende des schrecklichen Weltkrieges in der Heimat

wurden und in die Lazarette in Dauelsen

oder später Etelser Schloss kamen,

ist nicht zu erfahren. Die in Etelsen Verstorbenen

wurden dem Vernehmen nach

zunächst auf dem Etelser Friedhof beigesetzt

und dürften dann später nach

Daverden überführt worden sein, als

am 26. August 1956 der Ehrenfriedhof

in Daverden eingerichtet wurde. Dorthin

wurden schließlich 72 Gefallene aus der

Umgebung in geschmackvoll hergerichteten

Einzelgräbern zusammengetragen

und dazu umgebettet. Das war an jenem

Tage mit einer größeren, feierlichen

Szene verbunden und wurde danach als

Bild-Beitrag im „Stern“ veröffentlicht.

Ein erschütterndes und aussagekräftiges

Bild, das den Zustand der zusammengewürfelten

Truppe widerspiegelt:

Vielleicht ein 16jähriger neben einem

60jährigen Kameraden.

Foto aus dem Londoner Kriegsmuseum,

unterschrieben mit „Gefangene auf dem

Marsch nach Bremen“ (mir überlassen

von dem kürzlich verstorbenen Dr. Fritz

Garvens, Thedinghausen).

Ebenfalls keine genauen Zahlen gibt es

über die in Gefangenschaft geratenen

Soldaten, es dürften mehr als 100 sein.

Aber zu diesem Thema nun doch einige

überlieferte Geschichten.

Bei der Durchsuchung des Hauses Warnke,

wo auch einige unserer Soldaten mit

den Hausbewohnern im Keller Schutz

gesucht hatten, hatte einer von den erkennbar

recht jungen Deutschen in Uniform

bei der Festnahme bitter geweint.

Der Engländer meinte, sie kämpften

nicht gegen Kinder und forderten die Bewohner

auf, ihm Zivilkleidung zu geben.

Bekannt wurde auch, dass in dem einst

zur Dorfansicht gehörenden Wohnhaus

Bomann-Marschhausen die Engländer

bei der Durchsuchung übersehen hatten,

dass es neben dem Kellerraum, in dem

sie fündig geworden waren, im Hause

noch einen zweiten Keller gab. Die hierin

versteckten Jungs bekamen im Laufe

des Tages von den Bewohnern Zivilkleidung

und konnten sich der Gefangennahme

entziehen.

Nachdem Daverden eingenommen und

weitgehend besetzt war, ging es zügig

weiter auf Etelsen zu.

Ein zweites Kampfgebiet in Daverden.

Gefangene

Aber es gab doch noch Ereignisse, welche

die meisten Einwohner Daverdens

nicht mitbekamen. Dazu sind nun authentische

Angaben möglich. Es konnte

zu jener Zeit kein Daverdener genauer

mitbekommen als der damals 14-jährige

Herbert Luttermann. Er saß im

schützenden Keller des Hauses Hustedt,


Von Harald Gerken 45

ähnlich wie wir alle. Das Haus Hustedt

befand sich damals wie heute weit draußen

im Daverdener „Outback“, als letzter

Hof an der linken Seite der Daverdener

Feldstraße. Der Kellerfensterschacht

war gesichert durch einen großen Findling.

Einen kleinen Ausblick hatte unser

Beobachter nach draußen über die Oberkante

des Steinbrockens hinweg. Dieser

Sehschlitz gab die Sicht – wenn auch eingeschränkt

– über die Feldstraße auf das

Flurstück „Kötnerholz“ frei. Dort hatte

sich eine kampfbereite Truppe der aus

Verden abgezogenen Einheit im Wald,

den wir damals „Wanners Eichen“ nannten,

eingegraben. Sie hatten eine Zwillingsflak

dabei. Die Kanone stammte aus

dem Arsenal der Beutewaffen und zwar

aus der Besetzung der Niederlande. Der

Vorrat an zugehöriger Munition ging bereits

zur Neige. Mit dieser als Kaliber

3,5 cm konzipierten Flugabwehrkanone

hatte die Besatzung drei (!) Kampfbomber

und Tiefflieger, welche pausenlos die

vorrückenden Bodentruppen begleiteten

und auch die deutschen Stellung unter

Feuer nahmen, abgeschossen, wie auch

dem „Tagebuch der Tomma Krull“ zu entnehmen

ist. Herbert Luttermann kann

berichten, dass die Truppe weiter Richtung

Hamburg abrückte, nachdem die

letzte Munition verschossen war. Zuvor

hatten sie noch eine Anweisung durchgeführt,

wonach dem Feind keine heilen

Waffen hinterlassen werden durften. Sie

regelten es per „Rohrkrepierer“.

Wann aber nun nach ihrem Abrücken

dieser Einheit junge kaum ausgebildete

Uniformierte die Stellung übernahmen,

lässt sich nicht mehr feststellen. Eventuell

wurden sie vom Kontingent aus dem

unteren Dorf abgezweigt, als Langwedel

bereits eingenommen und zu erkennen

war, dass wohl der Brückenschlag an

Prinzip einer Panzersperre.

Zeichnung H. Gerken


46

Ende des schrecklichen Weltkrieges in der Heimat

der Weser nicht mehr erfolgen würde.

Ihre Bewaffnung war ebenfalls notdürftig

und bestand lediglich aus wenigen

Karabinern und Handgranaten. Dass die

Deutschen auch mit einem Einmarsch

der Engländer über den Raum Posthausen

gerechnet hatten, lässt sich daran

erkennen, dass auch in der Feldstraße

Höhe Maaß-Bischoff (Depke) eine Panzersperre

errichtet worden war. Diese

wurde nachher in umgekehrter Richtung

angegangen und zerschossen.

Das sinnlose Bollwerk in der Feldstraße

war an die Scheunenwand des Hofes

Depke („Maaß-Bischoff“) gelehnt und

kein Hindernis für eine Panzerkanone.

Die Panzer fuhren hier nachher lieber

über die Mauersteine der eingestürzten

Wand als über die Stämme des Holzhaufens

mit Erdfüllung.

Als nun gegen Mittag des 19. April die

Panzerspitze bereits in Etelsen angekommen

war, und außer dem rollenden Nachschub

sich nur noch leicht bewaffnete

Jeeps im und durchs Dorf bewegten, war

eben noch nicht alles zu Ende. Die Soldaten

in den Jeeps hatten unter anderem

die Aufgabe, die „letzten Ecken“ noch zu

durchsuchen. Dabei stießen sie auch auf

die im Grunde harmlosen Jungs in ihren

Deckungslöchern am Kötnerholz. Als ein

britischer Kradmelder auf dem Feldweg

auf die Stellung zusteuerte, wurde er beschossen.

Nachdem ihn keine Karabinerkugel

getroffen hatte, konnte er eilig in

flach geduckter Haltung auf seinem Krad

die Flucht ergreifen, um den Vorgang

zu melden. Seine Kameraden erledigten

es dann bald, indem sie mit aufgesetztem

Maschinengewehr vorgingen.

Ob oder wie viele der jungen Deutschen

dabei getötet wurden, lässt sich nicht

mehr recherchieren. Registriert worden

ist allerdings, dass es dabei einen vermutlich

schwer Verwunderten gab. Die

Briten holten sich eine Zimmertür aus

dem Hause Hustedt und transportierten

ihn mit dieser provisorischen Trage zum

Sanitätswagen. Die Gefangenen wurden

per Lkw abtransportiert. Einige von ihnen

müssen im Grunde noch gar nicht

der Wehrmacht, sondern wohl eher noch

dem Reichsarbeitsdienst RAD angehört

haben und erst 16 Jahre alt oder jünger

gewesen sein. Das dokumentierte eine

zurückgeblieben Mütze mit der RAD-

Aufschrift, die von der Familie Luttermann

gefunden wurde. Von den liegen

gebliebenen Handgranaten holte sich

der russische Gehilfe, der als Kriegsgefangener

auf dem Hof Böse arbeitete,

einige Exemplare. Er wolle damit fischen,

wie er sagte. Herbert Luttermann

erinnert sich desweiteren an eine kleine

Einheit mit Panzerabwehrkanonen, die

für kurze Zeit auf freiem Feld im Bereich

„Sonnenberg“ Stellung bezogen hatten.

Die Stellung war kaum getarnt und wurde

glücklicherweise rechtzeitig verlegt.

Auch zu einem von der Bevölkerung unbeobachtet

geblieben Fall gehört die Kapitulation

einer Flakstellung auf dem Hof

Bischoff „im Voß“. Ein Leutnant und einige

Rekruten hatten unmittelbar, bevor

die Engländer über Eissel nach Daverden

zogen, eine Zwillingsflak mit einem Pferdegespann

durch die Marsch befördert

und auf dem Hof in Stellung gebracht.

Als auch hier ein Jeep den Hof ansteuerte,

musste der Leutnant den übereifrigen

Mann an der Flak zurückrufen. Dieser

war dabei, auf den sich nähernden Jeep

zu zielen. Das wusste später der damals

ebenfalls 14jährige Walter Bischoff zu

berichten.

Die Briten ziehen weiter.


Von Harald Gerken 47

Die gepanzerten Fahrzeuge hielten sich

nicht länger in unserem „Neddendörp“

auf. Sie zogen weiter in Richtung Etelsen,

und danach folgten etliche Lkw und

Jeeps mit nur leicht bewaffneten Soldaten.

Diese nahmen weitere Hausdurchsuchungen

vor und beschlagnahmten

auch Wohnungen, die dann vorrangig

von Offizieren belegt werden sollten.

Indes gab es anders als in Daverden doch

mehr oder weniger heftige Kämpfe in und

um Etelsen. Dort hatten sich Soldaten

aus den vor Verden zurückgewichenen

Einheiten festgesetzt, um den britischen

Vormarsch zu stören. Unter ihnen waren

dann auch ähnlich wie in Daverden junge,

kaum ausgebildete Marinesoldaten.

Sie sollten auch hier die für die Briten

nächstmögliche Weserquerung in Hagen-Grinden

verhindern und gleichzeitig

das Vordringen nach Bremen aufhalten.

Sie hatten sich kämpfend auf die Briten

eingelassen. Die Etelsen-Verteidiger

lieferten sich erbitterte Gefechte, teilweise

vom Ortsrand und den etwas abgelegenen

Ortsteilen Giersberg, Hustedt

und Steinberg aus. Die Deutschen am

Ortsrand waren zwischendurch von versprengten

Einheiten verstärkt worden.

Sie hatten sich vor dem Angriff der Briten

in den Etelser und Badener Wäldern

festgesetzt, Als Etelsen nach zwei Tagen

verbissenen Kampfes gefallen war, zählte

man hier neben elf deutschen Gefallen

auch 22 Tote auf englischer Seite. Acht

Wohnhäuser waren völlig zerstört. Alle

Opfer lassen erkennen, dass es in den

beiden Etelser Kampftagen heiß her gegangen

war. Am Ende hatten aber auch

die britischen Pioniere „ganz nebenbei“

in Hagen-Grinden den Brückenschlag

hergestellt, so dass sich jetzt die Truppen

auf beiden Weserseiten zusammenschließen

konnten.

Was sich nun nach dem Fall Etelsens

beim Ansturm auf Achim über Baden ereignete,

war einmal mehr den wahnsinnigen

Durchhaltebefehlen zuzuschreiben.

Wie verbissen hier noch gekämpft

wurde, ließ sich auch an den fünf zerstört

verlassenen britischen schweren

Panzern zwischen Etelsen und Achim

erkennen. Alleine drei der getroffenen

stählernen Kolosse waren noch lange

von einer bestimmten Stelle aus in Achim

Ost (damals „Finien“) zu entdecken.

Unterdessen rollte der Nachschub durch

unsere besetzten Dörfer, und man traf

bald überall auf die meist freundlich mit

uns damaligen Kindern umgehenden

uniformierten Briten. Nicht nur Mannschaften

rückten nach, auch schwere

Artillerie mit großkalibrigen Geschützen

gingen abseits unserer Wohngebiete in

Stellung, um auf das bereits durch Bombenangriffe

arg geschundene Bremen zu

feuern. Das sichtbare Ergebnis der tagelangen

Artilleriesalven waren später

große Berge von leeren Kartuschen, die

noch gut zwei Jahre in der Marsch lagen

und erkennen ließen, wo ein Geschütz

seinen Standort gehabt hatte. Der im

März 1945 aus Ostpreußen gekommene

Flüchtling Emil Lebedies hatte eine Unmenge

dieser schweren Messingkartuschen

mit seinem Pferdegespann, das

mit seiner Familie die Flucht überstanden

hatte, gesammelt und auf dem ihm

überlassenen Grundstück „Am Köbens“

gestapelt. Es war dann noch kurz vor der

Währungsreform, als er sie für wenige

Pfennige in den Schrotthandel gab, nicht

ahnend, dass er bald darauf nach dem

20. Juni 1948 mit der neuen Währung

etliche tausend D-Mark hätte verdienen

können.


48

Völkerfreundschaft,

Rosenkrieg und

Alpträume

1966 schnellten die Arbeitslosenzahlen

in Westdeutschland auf ein damaliges

Rekordniveau hoch, auf mehr als 600

000 Menschen, und verdreifachten sich

gegenüber dem Vorjahr. Ende des Wirtschaftswunders?

Auch das führte neben den erstmaligen

erschreckenden Erfolgen der rechtsextremen

NPD zur ersten Großen Koalition

in Deutschland im Dezember 1966.

Nach den Achimer Ratsprotokollen zu

urteilen, blieb es jedoch beschaulich ruhig

im Weserstädtchen.

Auf Betreiben des Landkreises Verden

gründeten der Kreis Verden, Achim, Baden,

Bierden, Oyten, Uesen und Uphusen

eine Entwicklungsgesellschaft im Kreis,

die Bebauungspläne für größere Industriegebiete

und Wohnviertel im Kreis

entwickeln sollte. Für Achim waren

schon Industriegebiete in Achim-Nord

und Wohngebiete im Bereich der späteren

Vogelsiedlung angedacht. Mit Einlagen

von 8000 DM des Kreises und 3000

DM jeder anderen Gemeinde startete die

Entwicklungsgesellschaft.

Volksaufstand und Rettungsstation

Von Manfred Brodt

Aus den unveröffentlichten Protokollen

des Achimer Stadtrats

von 1966 bis 1972

17.Juni 1953: Streikende fordern freie

Wahlen in der DDR und Wiedervereinigung.

Foto: Bundespresseamt.

Am 17. Juni wurde des Volksaufstandes

1953 in der Sowjetischen Besatzungszone

/ „DDR“ gedacht, aber auch die Rettungsstation

an der Weser am Streek

eingeweiht.

Volksaufstand am 17.Juni 1953 in der DDR.

Sowjetische Panzer in der demonstrierenden

Menschenmenge. Foto: Soziales

Archiv der Friedrich Ebert Stiftung.


Völkerfreundschaft, Rosenkrieg und Alpträume

49

Bewegter schon 1967: Die Stadt bereitete

sich auf den Besuch und Empfang

Herbert Wehners, des damaligen Gesamtdeutschen

Ministers, am 1. Mai vor.

Jener Herbert Wehner, der in der Zeit

des Nationalsozialismus zu den führenden

Kommunisten in Moskau gehört

hatte und nach dem Krieg zu den Großen

der Sozialdemokratie zählte, der an

der Entwicklung der SPD von der Klassenkampfpartei

zur Volkspartei und zu

ihrem Eintritt in die Regierung mit der

CDU maßgeblich beteiligt war. Als Fraktionsvorsitzender

der SPD, der fast bei

jeder Bundestagsdebatte anwesend war,

ein Verfechter der neuen Ostpolitik und

später Gegenspieler von Willy Brandt.

Ein bis heute undurchschaubar gebliebener

origineller Politiker. Am 1. Mai

trug er sich jedenfalls ins Goldene Buch

der Stadt Achim ein und verstand sich

mit Achims bürgerlichem Bürgermeister

Osmers bestens.

nicht vertreten fühlten. Christoph Rippich

(SPD) hatte Verständnis für die Klagen

und regte an, für Gremien jetzt auch

noch Borsteler zu benennen. Sympathie

dafür gab es auch von den anderen Fraktionen.

Entschieden dagegen war allerdings

Stadtdirektor Adolf Heußmann, der

darin eine Benachteiligung anderer Orte

sah, die ihre Vertreter demokratisch gewählt

hatten. Der Stadtdirektor unterlag

klar, der Rat beschloss einstimmig im

Sinne der Borsteler.

Das Badehaus an der Langenstraße

Das Badehaus in der Langenstraße sollte

abgerissen werden, was unumstritten

war. Das Haus war schon in der ersten

Das Badehaus an der Langenstraße, einst

Spritzenhaus der Feuerwehr.

Herbert Wehner

Foto: Bundesarchiv

Zoff gab es mit den Borstelern, die ja

schon lange zur Gemeinde und Stadt

Achim gehörten, sich aber überhaupt

Foto: Archiv Günter Schnakenberg.


50

Völkerfreundschaft, Rosenkrieg und Alpträume

Hälfte des 19. Jahrhunderts als Spritzenhaus

der Feuerwehr errichtet worden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele

Vertriebene nach Achim und fanden Unterkunft

oft nur in einem kleinen Zimmer.

An eine Badewanne war nicht zu denken.

Da wurde für sie und andere Achimer

in kargen Wohnverhältnissen das Haus

durch private Initiative zu einem Badehaus

im Dienste der Körperhygiene

umgebaut. Es hatte seine guten Dienste

getan.

Nun 1967 der Beschluss zum Abriss.

Während Christoph Rippich empfahl, hier

eine Altentagesstätte zu schaffen, war

die CDU strikt dagegen und plädierte für

Parkplätze. Die Alten hätten doch schon

im ehemaligen Landratshaus einen Platz

für Zusammenkünfte, argumentierte sie.

Das Badehaus verschwand, statt Altentagesstätte

kamen Parkplätze,

Die Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft

(NWDS) bot Achimern eine

Reichsheimstätte, ein Eigenheim nach

dem Reichsheimstättengesetz an. Der

Begriff verdeutlicht schon die noch andere

Gedankenwelt in der damaligen

Zeit. Nach dem Reichsheimstättengesetz

konnten Menschen ein solches Eigenheim

hier erwerben und mussten es

nur an die NWDS zurückgeben, wenn sie

es nicht zu diesen Konditionen vererbten

beziehungsweise an andere verkauften.

Der Rat ermöglichte das und lud die ersten

acht Interessenten zur Informationsveranstaltung

ein.

Schließlich war 1967 die „Altlast Seidensticker“

noch nicht beseitigt, jenes

vorherigen, abgesetzten Stadtdirektors,

der massiv Geld veruntreut hatte.

32 500 Mark plus Zinsen waren gegenüber

der Stadt noch offen. Der Stadtrat beließ

es bei den der Stadt zustehenden 60 Prozent

der Schuld und verzichtete einstimmig

auf die Zinsen, da sonst auch andere

Gläubiger Zinsen beansprucht hätten.

Das Wichtigste ereignete sich 1967 allerdings

im Oktober, denn was gibt es

Wichtigeres als Krieg und Frieden?

Villa des Landrats mit Park

Das Landratshaus des ehemaligen Kreises

Achim diente später auch als Alten-Tagesstätte,

Wohnhaus und Kindergarten.

Die Stadt und der Rat empfingen Bürgermeister

Tolchard und Stadtdirektor

Parsons aus Launceston/Cornwall in

England, zu dem Herr Weblus, Realschulkonrektor

und Vorsitzender des

Stadtjugendrings, schon seit fast 20

Jahren einen Jugendaustausch organisiert

hatte und diesmal als Dolmetscher

fungierte. Es sei ihm eine große Ehre,

hier auf den Sesseln des Rathauses Platz

zu nehmen, sagte der englische Bürgermeister

und fügte gegenüber seinem

Amtskollegen Osmers hinzu, sie seien

aus dem gleichen Holz geschnitzt.


Von Manfred Brodt 51

Nicht alle 25 Jahre

übereinander herfallen

Dann wörtlich laut Ratsprotokoll: „Es

darf nie wieder vorkommen, daß (heute:

dass) wir alle 25 Jahre übereinander

herfallen und uns in Stücke reißen.“ Vor

weniger als 25 Jahren hatten sich Achimer

und Engländer ja zu Zeiten der britischen

Besatzungszone nach dem Ende

des Zweiten Weltkriegs kennengelernt.

Da in England jedes Jahr ein neuer Bürgermeister

gewählt wird, war es schon

der 723. in der Gemeinde. Bürgermeister

Osmers bestätigte das mit dem “aus dem

gleichen Holze geschnitzt“, denn er sei

Landwirt und sein englischer Kollege ja

beschäftigt in der „landwirtschaftlichen

Industrie“.

Stadtdirektor Heußmann sprach auf

Englisch die geplante Fahrt nach Hannover,

in den Harz und zur Zonengrenze

an: „Wie alle freien Menschen so werden

auch unsere Gäste morgen erschüttert

sein, wenn sie sehen, wie trostlos, wie

unmoralisch eine solche nicht geöffnete

Grenze ist.“ Und mit Spitze gegen den

auf Selbständigkeit pochenden französischen

Präsidenten de Gaulle fügte

der Achimer Stadtdirektor hinzu: „Wir

werden uns mit Ihnen in der EWG (Europäische

Wirtschafts-Gemeinschaft) verbünden,

ob de Gaulle will oder nicht.“

Im März 1968 stimmt der Stadtrat dann

der Partnerschaft mit Launceston/Cornwall

zu.

Stadt Dunhebed alias

Launceston

Bericht über den Besuch des

ehrenwerten Bürgermeisters,

der Bürgermeisterin

und des Stadtdirektors und

seiner Gattin in Achim bei

Bremen, Westdeutschland

11. Bis 16. Oktober 1967

Das Original und eine professionelle

Übersetzung

befindet sich im Archiv der

Geschichtswerkstatt Achim


52

Völkerfreundschaft, Rosenkrieg und Alpträume

Erstmals Mehrheit der SPD in Achim

Bürgermeister Osmers tritt ab. Alle loben

seine Überparteilichkeit. Bei der Gemeinderatswahl

im September bricht die SPD

erstmals die bürgerliche Mehrheit und

erringt neun Sitze gegenüber acht der

CDU. Am 17. Oktober wählt der neue Rat

dann mit 9:7 Stimmen Christoph Rippich

als neuen Bürgermeister. Gegenkandidat

Puvogel unterliegt. Ein Ratsherr hatte an

diesem Tag entschuldigt gefehlt.

Verabschiedung von Bürgermeister Osmers

Der neue Bürgermeister hält eine Antrittsrede,

die er später so oder ähnlich

oft wiederholen sollte. Das Protokoll:

„Sein Wunsch sei es, ein Makler und

Mittler zwischen dem Widerstreit der

Interessen und Meinungen zu sein und

stets, soweit es möglich ist, verbindend

zu wirken. Er sei an der Sache orientiert

und nicht an Parteiinteressen.“

1969 hebt der Rat dann in Abstimmung

mit den Nachbarorten die Grenzen für

die Schulbezirke in Achim, Uesen und

Bierden auf, damit Schüler und Eltern

keine längeren Schulwege als 1,5 Kilometer

haben.

Protest erhebt sich dagegen, dass Achimer

Krankenwagen in Verden stationiert

sind, obwohl die Stadt sich doch auch an

den Kosten für Fahrzeuge und Personal

beteilige.

Im Juli wird die Stadt Mitglied im Verein

zur Erhaltung der Achimer Windmühle

und startet mit 2000 DM Zuschuss. Bis

heute ist die Stadt maßgeblich für die Erhaltung

des Achimer Wahrzeichens unterwegs.

Achims Schmuckstück:

Die Windmühle

„Machtwechsel“ in Achim.

Christoph Rippich wird Bürgermeister.


Von Manfred Brodt 53

Im August 1969 dann eine außerordentliche

Ratssitzung mit Jugendgruppen

aus dem englischen Cornwall

und einer französischen Jugendgruppe,

die sich auf der Rückreise befand.

Die Engländer freuen sich über den

„überwältigenden Empfang mit offenen

Armen“ und unterstreichen die Wichtigkeit

des friedlichen Zusammenlebens.

Alt-Bürgermeister Osmers „drückt

seine Freude darüber aus, welche guten

Früchte das vor drei Jahren gelegte

Samenkorn der beiderseitigen Beziehungen

getragen habe.“ Vor eineinhalb

Jahren hatten Achim und Launceston ja

den Partnerschaftsvertrag geschlossen.

Der Mensch und der Mond

Bürgermeister Rippich zitiert das Protokoll

wie folgt: „Gerade in einer Zeit, in

der der Mensch den Mond betreten hat,

wird die Frage nach dem Menschen an

sich laut.“

Leider ist dann diese Städte-Partnerschaft

wie auch andere, später eingegangene,

doch eingeschlafen.

Gewissensfreiheit oder Verrat

Nach der schönen friedlichen Ratssitzung

dann zwei Monate später im Oktober

eine schon feindselige. Der SPD-

Ratsherr Harms ist von der SPD zur CDU

gewechselt und hat die Mehrheitsverhältnisse

gedreht auf jetzt 9:8 zugunsten

der CDU. Harms hatte begründet, seine

Meinung sei nicht in der SPD gefragt gewesen

Dem widersprechen Sozialdemokraten

energisch. Ratsherr Lange erinnert

ihn, er habe ihm doch versichert, niemand

könne ihn zwingen, wie die SPD,

für die Erhöhung der Badegebühren zu

stimmen. Ob das der einzige Streitpunkt

war?

Sozialdemokrat Rippich blickt eigentlich

auf eine gute Zusammenarbeit und gute

Gespräche mit dem Abtrünnigen zurück.

Er ist „tief enttäuscht und empört

über den Vertrauensbruch“ und sieht

egoistische Gründe. Da Harms über die

Parteienliste gewählt sei, solle er das

Mandat zurückgeben und nicht den Wählerwillen

verfälschen, sagt der Bürgermeister.

Ratsherr Lange assistiert, das

sei jetzt eine manipulierte Mehrheit.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Puvogel

hält dagegen: „Erst kommt der Mensch,

dann die Partei. Ein Mandatsträger verliert

nicht durch die Wahl seine Persönlichkeit“.

Puvogel sieht hier wie bei einer

Ehescheidung das Waschen schmutziger

Wäsche und einen Rosenkrieg. Das

Ratsprotokoll widmet der erbitterten

Auseinandersetzung um Verrat oder Gewissensfreiheit

ganze 23 Seiten.

Es bleibt dabei: Die CDU freut sich über

die neue Mehrheit. Und als Anfang der

80er Jahre zwei Sozialdemokraten mit

der CDU eine neue Mehrheitsgruppe

bilden und die SPD entmachten, geht es

lange Zeit ähnlich giftig zu.

Rohbau des 1. Hochhauses

an der Friedrichstraße

Ende 1969 stellt der Rat dann die Weichen

für Hochhäuser im NWDS-Gebiet,

den „Schwarzen Container“ und das Servicehaus,

gedacht für alleinerziehende

Frauen mit Gemeinschaftseinrichtungen


54

Völkerfreundschaft, Rosenkrieg und Alpträume

von Kindergarten und Waschcenter bis

Geschäftsangebot. Das jämmerliche

Ende dieser dann mit Millionenaufwand

abgebrochenen Hochhäuser ist bekannt.

Verhindert wurden später allerdings

die 1970 aufgekommenen Pläne

einer Retortenstadt „Weser-City“,

in Achim-West mit Hochhäusern und

25 000 bis 60 000 Einwohnern.

CDU-Ratsherr Taszis sprach von einem

Mammutgebilde, einem Alptraum, der

einmalig in Deutschland sei. Seine Aussage,

dass der neue Oberstadtdirektor

dann seine Stadtteile nur noch mit dem

Auto oder dem Flugzeug erreichen könne,

war sicher polemisch überspitzt.

Aber der Alptraum blieb ein schlechter

Traum.

Das Servicehaus an der Magdeburger Straße

Fotos: H.-J. Wuthe

Trauriges Ende eines „Traums“: Das Servicehaus im Magdeburger Viertel. Foto: Brodt


Von Reinhard Dietrich 55

Ende der kleinen Stadt

Wirklichkeit wurde dagegen der anfangs

auch skeptisch gesehene Zusammenschluss

mit benachbarten Orten. Die Räte

der einzelnen Orte trafen sich zusammen

mit dem Regierungspräsidenten,

beschlossen dann eine gemeinsame

Verhandlungskommission, die nach zehn

Sitzungen unter Regie des Achimer Bürgermeisters

Christoph Rippich 1972 den

freiwilligen Zusammenschluss zur neuen

Stadt Achim beschlossen.

Wäre er nicht freiwillig gelungen, hätte

der Landesgesetzgeber eine Fusion dieser

oder anderer Gemeinden erzwingen

können. Gut 50 Jahre ist das her. Eine

Stadt, und Baden und Uphusen zum Beispiel

haben dennoch ihre Eigenheiten

behalten.

Ergänzung zu unserem Buch

„70 Jahre Stadtrechte

in Achim“

2019 haben wir als Geschichtswerkstatt

Achim das Buch „1949 – 2019. Mosaiksteine

aus Achim. 70 Jahre Stadtrechte“

herausgegeben.

Durch Zufall habe ich im Protokollbuch

der Gemeinde Achim gefunden,

dass bereits in der Sitzung des Gemeindeausschusses

am 29.06.1934

eine Diskussion darum geführt wurde,

ob man sich um das Recht der Gemeinde

Achim, die Bezeichnung „Stadt“ zu

führen, bemühen sollte.

Die letzte Gemeindeausschuss-Wahl vom

12.03.1933 (Im Deutschen Reich hatten

die Nazis die Macht am 30.01.1933 übernommen.)

hatte in Achim dieses Ergebnis

gebracht.

Der Gemeindeausschuss hatte 15 Sitze.

NSDAP – 1112 Stimmen, 7 Sitze:

1. Hermann Wülbers, Obersteuersekretär,

Langenstr. 49, 2. Heinrich Rieke,

Bäckermeister, Obernstr. 263, 3.

Hermann Thran, Landwirt, Borstel Nr.

8, 4. Diedrich Bormann, Maurer und

Landwirt, Bruchstr. 300, 5. Heinrich

Bruns, Handlungsgehilfe, Pavillonstr.

192, 6. Fritz Schwarmann, Schneidermeister,

Cordtstr. 643, 7. Friedrich Hinners,

Steuerassistent, Verdener Str. 279

SPD – 717 Stimmen, 4 Sitze:

1. Karl Arndt, Tabakarbeiter, Asmusstr.

549, 2. Diedrich Seekamp, Kassierer,

Meislahnstr. 526, 3. Gerhard van der Poll,

Tabakarbeiter, Bremer Str. 602, 4. Fritz


56

Ergänzung zum Buch „70 Jahre Stadtrechte in Achim“

Richter, Kupferschmied, Bürgerpark 170.

Die Sozialdemokraten nahmen an keiner

Gemeinderatssitzung mehr teil. Es drohten

Verbot und Verfolgung. Am 22.06.1933

wurde die SPD reichsweit verboten.

KPD – 80 Stimmen, keinen Sitz

Bürgerliche Vereinigung – 441 Stimmen,

3 Sitze: 1. Johann Elfers, Landwirt,

Feldstr. 20, 2. Carl Behr, Zigarrenfabrikant,

Paulsbergstr. 104,

3. Eugenius Horstmann, Oberpostsekretär,

Embser Landstr. Nr. 573.

Liste „Landwirtschaft“ – 197 Stimmen, 1

Sitz: 1. Georg Puvogel, Baumann, Langenstr.

Nr. 18.

Die NSDAP hatte nach der Wahl mit

sieben von 15 Sitzen im Achimer Gemeindeausschuss

keine Mehrheit. Die

Mitglieder der SPD wurden allerdings

reichsweit bereits verfolgt und bedroht;

die Partei stand kurz vor dem Verbot. Am

14.07.1933 wurden per Gesetz alle Parteien

mit Ausnahme der NSDAP verboten.

Die Diktatur war etabliert. Alle demokratischen

Rechte aufgehoben. Das

war der historische Hintergrund, weswegen

die SPD-Gemeinde-Ausschuss-

Mitglieder von ihren gewählten Ämtern

zurücktraten.

Im Protokoll über die Sitzung vom

17.06.1933 (der zweiten Sitzung nach

der Wahl am 12.03.1933) heißt es: „Der

Gemeindeausschuß zählt, nachdem

von dem Wahlvorschlag 2, Kennwort

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

(SPD), die Gewählten von ihrem

Gemeinderatsvertretung zurückgetreten

sind und die nachfolgenden Bewerber

dieses Wahlvorschlages sämtlich

abgelehnt haben, das Amt eines Gemeindevertreters

anzunehmen, außer

dem Bürgermeister 11 Mitglieder.“

Vier Sitze des Gemeindeausschusses

waren somit einfach ausgelöscht. Die

Meinung von 717 WählerInnen gelöscht.

Ab sofort bestand der Ausschuss nur

noch aus 11 Mitgliedern. Entsprechend

muss diese Formulierung aus dem Protokoll

gelesen werden: „Da die Hälfte

seiner Mitglieder anwesend ist, ist der

Gemeindeausschuss beschlussfähig.“

Ausgangspunkt für die Ermittlung der

Beschlussfähigkeit waren nun nicht

mehr 15 Mitglieder, sondern nur noch 11

Mitglieder. Mit sieben von 15 Gewählten

hatte die NSDAP noch keine Mehrheit im

Gemeindeausschuss gehabt, auch wenn

sich vermutlich sowieso in der bereits

bedrohlichen Atmosphäre keiner mehr

getraut hätte, gegen irgendwelche Vorlagen

der Nazis zu stimmen. Mit sieben von

jetzt nur noch 11 Sitzen war die Mehrheit

der Nazis gesichert.

Am 29.06.1934 gab es u.a. diesen

Tagesordnungspunkt:

„2. Staatliche Verleihung

a) des Rechts an die Gemeinde Achim

die Bezeichnung „Stadt“ zu führen.

b) des Rechts an die Gemeinde Achim in

dem Siegel der Gemeinde Achim die Inschrift

„Siegel der ehemaligen Kreisstadt

Achim, Kreis Verden“ zu führen.

„Die Aussprache zeitigte folgende Auslassungen:

Gemeindeältester Hermann Wülbers

(NSDAP, Obersteuersekretär, Langenstr.

49): „Es ist doch wohl der Termin

für die Antragstellung verstrichen.“

Gemeindeältester Eugenius Horstmann


Von Reinhard Dietrich 57

(Liste: Bürgerliche Vereinigung, Oberpostsekretär,

Embser Landstr. 573):

„Ich trage Bedenken wegen der voraussichtlich

entstehenden Kosten.“

Gemeindeältester Georg Puvogel (Liste

„Landwirtschaft“, Baumann, Langenstr.

18): „Ich mache die Geschichte nicht mit.“

Stellvertretender Ortsgruppenleiter der

NSDAP Heinz-Otto Wülbers (Steinmetz,

Borsteler Landstr. 382): „Es ist ganz einerlei,

ob wir Dorf, Landgemeinde oder

Stadt sind.“

Der Vorsitzende, Gemeindeschulze

Brinkmann: „Ich glaube nicht, daß für

die Gemeinde erhebliche Mehrkosten

entstehen.“

Schöffe Wilhelm Rieke (Ortsgruppenleiter

der NSDAP, Obernstr. 263): „Es handelt

sich ja doch nur um leeres Stroh dreschen,

wir sind ja doch nur Statisten, es

ist ja ganz gleich, was herauskommt, wir

legen wenig Wert auf Stadtbezeichnung“

– an den Vorsitzenden gewandt: „Herr

Brinkmann, die ganze Stimmung ist so,

daß es sich nur um den Bürgermeisterartikel

handelt.“ – Die letzte Äußerung

des Schöffen Rieke wies der Vorsitzende

mit aller Entschlossenheit zurück.“

Gemeindeältester Diedrich Bormann

(NSDAP, Maurer und Landwirt, Bruchstr.

300) und Schöffe Rieke verließen um

21.59 Uhr die Sitzung, letzterer mit den

Worten: „Wir haben ja doch nichts zu sagen.“

Über die nächste Sitzung am

13.08.1934 heißt es im Protokoll:

„Gemeindeältester Elfers (Johann Elfers,

Liste Bürgerliche Vereinigung,

Landwirt, Feldstr. 20) erklärt dazu,

daß Schöffe Rieke bei Punkt 2 nicht

gesagt habe: Wir (Unterstreichungen

im Original) sind ja doch nur Statisten,

sondern „Die – und damit habe Herr

Rieke die Vertreter der bürgerlichen

Parteien gemeint – sind ja doch nur

Statisten.“ Der Vorsitzende vertrat darauf

die Richtigkeit der Niederschrift.

Stellvertretender Ortsgruppenleiter

Heinz-Otto Wülbers wünscht die Verlesung

der Niederschrift nochmals

in der nächsten Gemeinderatssitzung,

weil heute mehrere Gemeindeälteste

– darunter Hermann Wülbers

und auch Schöffe Rieke fehlen.“

Die nächste Sitzung fand dann erst

sieben Monate später am 29.03.1935

statt. Der Schöffe Rieke war wieder

nicht anwesend. Am 20.03.1935 hatte

das Achimer Kreisblatt berichtet,

dass er „in den nächsten Tagen“ eine

„Privatstellung“ in Bremen antreten

werde. Das Protokoll wurde nicht erneut

verlesen oder diskutiert. Am Ende

dieser Sitzung wurde der Gemeinderat

„in seiner jetzigen Zusammensetzung

und Zahl der Gemeindeältesten aufgelöst“.

Wahlen waren abgeschafft. Die

Mitglieder des Gemeinderates wurden

nun von der NSDAP bestimmt.

Bis zur Verleihung der Stadtrechte

für Achim am 11.04.1949 mit Wirkung

vom 01.05.1949 sollten nach der Diskussion

im Gemeindeausschuss am

29.06.1934 noch knapp 15 Jahre vergehen.

Rat der Stadt Achim von 1948-1952


58

Von Manfred Brodt

Reichtsterrornacht

vor 85 Jahren

Vor 85 Jahren, in der Nacht vom

9. auf den 10. November 1938,

erreichte der Antisemitismus in

Deutschland einen vorläufigen,

schrecklichen Höhepunkt:

Im ganzen deutschen Reich steckten

SA-Leute und Nazis in Zivil Synagogen

und jüdische Schulen an, verwüsteten

sie, demolierten und plünderten jüdische

Geschäfte. Jüdische Mitbürger

wurden misshandelt, getötet und in

Konzentrationslager verschleppt. Auch

in Achim wüteten die Braunhemden.

Das Achimer Kreisblatt berichtete schon

am 10.November 1938: „In der vergangenen

Nacht vollzog sich wie im Kreis so

auch in ganz Deutschland die Vergeltung

gegen die Todfeinde Deutschlands. In

Achim zogen zahlreiche Volksgenossen

im Morgengrauen vor die Wohnungen

der hiesigen Juden.“

Der Schriftleiter, schon 1930 in die NS-

DAP eingetreten, meldete, vorher habe

sich vor der hiesigen Synagoge in der

Obernstraße eine empörte Menge angesammelt,

um ihren Abscheu über die

Methoden der Juden auszudrücken. In

wenigen Augenblicken sei die Synagoge

zerstört gewesen. Sie wäre wahrscheinlich

in Flammen aufgegangen, wenn

nicht für die unmittelbar angrenzenden

Häuser, unter anderem das Hotel Gieschen,

Gefahr bestanden hätte.

„Es blieb buchstäblich kein Stück aufeinander.

Eine Unmenge von Brennmaterial

aus den ehemaligen Betstühlen wird

bedürftigen Volksgenossen willkommen

sein“, höhnte der Redakteur.

Auch in Häuser der Juden drangen Achimer

ein und rissen sich unter die Nagel,

was sie gebrauchen konnten.

Übergriffe und Misshandlungen auch in

Hemelingen und in Verden, wo der braune

Mob schnell die Synagoge in Brand

gesetzt hatte.

Die Schreckensbilanz dieser Nacht hatte

Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei,

stolz an Göring gemeldet:

815 zerstörte Geschäfte, 29 in Brand gesteckte

oder anders zerstörte Warenhäuser,

171 in Brand gesetzte oder zerstörte

Wohnhäuser, 1991 angezündete, 76 völlig

demolierte Synagogen, niedergebrannte

oder anders zerstörte Gemeindehäuser

und Friedhofskapellen. 36 getötete und

36 schwerverletzte Juden, 20 000 festgenommene

Juden, die in Konzentrationslager

verschleppt wurden.

Dass das alles kein „spontaner Volkszorn“

war, wie die Propaganda behauptete,

gab das oberste Parteigericht der

NSDAP selbst in einem vertraulichen

Bericht zu:

„Auch die Öffentlichkeit weiß bis auf den

letzten Mann, dass politische Aktionen

wie die des 9. November von der Partei

organisiert und durchgeführt sind, ob

dies zugegeben wird oder nicht. Wenn

in einer Nacht sämtliche Synagogen ab-


Reichtsterrornacht vor 85 Jahren 59

brennen, so muss das organisiert gewesen

sein und kann nur organisiert sein

von der Partei.“

Für ihren Schaden mussten die Juden

nicht nur aufkommen, sondern auch

noch eine Milliarde Reichsmark als

„Buße“ zahlen, Juwelen, Schmuck und

Kunstgegenstande verkaufen. höhere

Steuern zahlen.

Spätestens in dieser Terrornacht muss

auch der letzte Deutsche den Charakter

dieser Diktatur erkannt haben. Aber

schon vorher war der bürgerliche Tod der

Juden unübersehbar. Nach den Nürnberger

Gesetzen von 1935 waren Ehen

und außereheliche Verbindungen von

Juden und Nichtjuden verboten, durften

die Reichs- und Nationalflagge nicht

Fotos: Auch Infotafeln einer kreisweiten

Ausstellung im Achimer Clüverhaus, dem

Sitz der Achimer Geschichtswerkstatt, informieren

über die Verfolgung der Juden.

Fotos: Brodt

hissen, sich kein Radio kaufen. Juden

wurden aus den Beamtenverhältnissen,

den freien Berufen vom Apotheker und

Arzt bis zum Viehhändler, entfernt.

Nach dem Terror des 9. und 10. November

verloren sie die Erlaubnis, Kraftfahrzeuge

und Krafträder zu halten und

zu führen, durften nicht auf Messen und

Märkten auftreten, durften nicht Ladeninhaber,

Börsenmakler, Kaufmann oder

Unternehmenschef sein.

Auch Busse, Bahn, Bäder, Theater, Konzerte,

Kinos, Sitzbänke und Parkanlagen

waren ihnen verboten ebenso wie „der

deutsche Wald“.

Auch vor 85 Jahren mussten die deutschen

Juden ihre Namen um Israel oder

Sara ergänzen. Der rote „ Judenstempel“

mit einem J in ihren Pässen ergänzte die

Brandmarkung.

All das geschah vor den Augen der Öffentlichkeit

schon lange, bevor die Mordmaschinerie

der Nazis auf Hochtouren

lief.

Ein zerbrochener Stein der

zerstörten Synagoge wurde in

die Gedenkstätte integriert.


60

Die Melkerin

Die Melkerin“ heißt ein neues Kunstwerk,

das den Badener Weserhang oberhalb

des Spielplatzes an der „Pfingstwiese“

schmückt und ein Geschenk

der Arbeitsgemeinschaft Badener Vereine

an die Stadt Achim ist. Der Titel

„ Die Melkerin“ ist zugleich Inhalt.

Von Friedrich Priehs

Neue Bronzeplastik erinnert

an historische Badener

Besonderheit

Die Melkerin am Badener Weserhang.

Foto: Dennis Bartz.

Der Badener Friedrich Priehs beschreibt

die historisch begründete Besonderheit,

die es unter diesen Umständen wohl nur

in Baden gegeben hat.

Nach einem extremen Hochwasser im

Jahr 1679 änderte die Weser letztmalig

ihren Verlauf. Durch das neue Flussbett

wurde die zur Gemarkung Baden gehörige

Nathenwisch (nasse Wiese) mit einer

Fläche von etwa 70 Hektar auf der

gegenüber liegenden Seite abgetrennt

und konnte somit nicht mehr direkt von

den Badener Bauern, Kötnern, Höfnern

und Anbauern genutzt werden. Die breite

Weser mit starker Strömung lag dazwischen.

Es folgten kriegsähnliche Auseinandersetzungen

der Badener Besitzer mit den


Die Melkerin 61

vermeintlich neuen Besitzern auf der anderen

Seite der Weser aus Ahsen-Ötzen

(Gemeinde Thedinghausen). Diese waren

der Meinung, dass die Flächen ihnen

durch Naturgewalt zugewachsen seien.

Langwierige Prozesse mit unterschiedlichen

Schadensersatzansprüchen führten

zu keinem Ergebnis.

Erschwerend kam hinzu, dass die Gemeinde

Baden zu Hannover, Thedinghausen

aber noch zu Braunschweig gehörte.

Schlussendlich entschied das Herzogliche

Hofgericht in Wolfenbüttel

mit Bezug auf ein Gutachten der

Universität Jena im Jahr 1780, dass

die Weiden der Nathenwisch weiterhin

den Badener Bauern gehörten.

den schweren Milchkannen bewältigen

- alles nur für ein paar Liter Milch.

Alltäglich anstrengende körperliche Arbeiten

bestimmten den Tagesablauf bei

sehr bescheidener Lebensweise. Durch

ausgeprägte Nachbarschaftshilfe mit gegenseitiger

Unterstützung bei freudigen

und traurigen Anlässen entwickelte sich

eine besondere Zusammengehörigkeit in

dem damals noch kleinem Ort Baden an

der Weser.

Bis Ende der 1950er Jahre haben die

Melkerinnen aus Baden noch diese ungewöhnliche,

wohl aber einmalige und

körperlich sehr anstrengende Arbeit

verrichtet.

Aber wie sollten sie dort hinkommen?

Die Ueser Brücke über die Weser wurde

erst 1928 gebaut, und der Umweg zur

Fähre nach Hagen-Grinden war viel zu

weit. Die Lösung bestand darin, dass die

Badener eine Wagenfähre (Gierseilfähre)

bauen ließen. Jeweils im Frühjahr wurde

das Jungvieh mit Kühen und Pferden

mittels dieser Fähre über die Weser zum

Auftrieb zur Nathenwisch gebracht.

Die Weiden waren je nach kleinteiligen

Besitzanteilen in Streek-, Höfner- und

Krooksweide aufgeteilt, wurden aber gemeinschaftlich

bis zum Abtrieb im Herbst

genutzt. Da die Kötner nur geringe Weideanteile

besaßen, konnten sie nur wenige

Kühe auftreiben. Alle Kühe mussten

täglich bis zu dreimal gemolken werden.

Diese Arbeit oblag den Frauen. Mit Ruderbooten

gelangten die Melkerinnen

über die Weser zum Melken. Bei zum Teil

starker Strömung sowie Wetterkapriolen

mussten die Melkerinnen die beschwerliche

und kräftezehrende Überfahrt mit

Ein Foto aus der Historie.

Mit dieser Bronzeskulptur ist ihnen ein

Denkmal gesetzt worden zum 1010.

Geburtstag der Ortschaft Baden im

Jahr 2023.


62

Wir über uns:

Impressum

Die Achimer Geschichts-Hefte werden herausgegeben von der Geschichtswerkstatt

Achim - Verein für Regionalgeschichte e.V. (Vereinsregister Walsrode VR 120146)

und erscheinen unregelmäßig. Dieses regionalhistorische Magazin kostet 4,- €, ist

im Achimer Buchhandel erhältlich und kann auch bestellt werden. Bei Bestellung

gilt die Überweisung von 4,- € auf das Vereinskonto bei der KSK Verden:

IBAN: DE23 2915 2670 0014 0010 69 - BIC: BRLADE21VER

Für Vereinsmitglieder ist der Bezug der Achimer Geschichts-Hefte kostenlos.

Die Geschichtswerkstatt Achim e.V. mit ihren über 100 Mitgliedern ist Mitglied des

Niedersächsischen Heimatbundes e.V. und des Trägervereins „Kulturhaus Alter

Schützenhof“. Sie wurde im Jahre 1986 als Teil der bundesweiten Geschichtswerkstattsbewegung

gegründet, die sich die Erforschung der Regionalgeschichte aus der

Sicht der Betroffenen als „Geschichte von unten“ auf ihre Fahnen geschrieben hat.

Der jährliche Vereinsbeitrag beträgt 20,- €, ermäßigt für Schüler, Studierende, Auszubildende,

Erwerbslose und Rentner 10,- €.

Redaktion:

Manfred Brodt, Helmut Köhler, Edith Bielefeld, Harald Gerken, Gisela Ahnert,

Reiner Aucamp, Hans-Joachim Wuthe., Reinhard Dietrich.

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion

wieder.

Redaktionsanschrift:

Geschichtswerkstatt Achim, c/o Manfred Brodt, Verdener Straße 135A, 28832 Achim,

Tel.: 04202-71674 - Verantwortlich im Sinne des Presserechts.

Internet: www.geschichtswerkstatt-achim.de

Satz: Hans-Joachim Wuthe

Titelbild: Dennis Bartz

Druck und Gesamtherstellung:

Haus der Werbung, Anita-Augspurg-Platz 7, 27283 Verden

1. Auflage November 2023 - Alle Rechte vorbehalten

© 2023 by Geschichtswerkstatt Achim - Verein für Regionalgeschichte e.V.

ISSN 0935 -5642


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