Mäusebunker und Hygieneinstitut
ISBN 978-3-98612-029-0
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Mäusebunker und Hygieneinstitut
LUDWIG HEIMBACH
(Hg.)
Eine Berliner Versuchsanordnung
Inhaltsverzeichnis
17 Vorwort
Kristin Feireiss
Kontext
23 Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
Ludwig Heimbach
27 Das solistische Ensemble
Ludwig Heimbach
Bestand
47 Das Institut für Hygiene und Mikrobiologie
Thorsten Dame
59 Mäusebunker: Die Zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin
Anja Wiese und Christoph Janik
Vom Entwurf zum Gebäude
74 Mäusebunker und Hygieneinstitut
84 Hygieneinstitut
179 Inside Mäusebunker und Hygieneinstitut: Die szenische Intensität technisch-klinischer Innenräume
Kay Fingerle
204 Mäusebunker
280 Positionen
Andreas Fogarasi, Lothar Hempel, Tracey Snelling, Julian Rosefeldt, Alexis Dworsky,
Cecelia Vincent, b+ (bplus.xyz), FORWARD Planung und Forschung, ludwig heimbach architektur,
Make_Shift
Debatte und Zukunft
315 Die Debatte: Eine soziale Versuchsanordnung
Ludwig Heimbach
329 Der gesunde Mensch: Das Berlin Centre for the Biology of Health
Andreas Diefenbach
337 Modellverfahren Mäusebunker
Christoph Rauhut und Kerstin Lassnig
343 Denkmalpflege als Avantgarde? Interview mit Christoph Rauhut
Francesca Ferguson
353 Vers un Béton Vert: Der Mäusebunker als brutalistischer Metabolismus
Rachel Armstrong, Ludwig Heimbach und Jan Wurm
369 Analysen zur Biodiversität von Biofilmen auf der Fassade des Mäusebunkers
Julia von Werder und Alexander Bartholomäus
Anhang
374 Abbildungen zu den Texten
400 Biografien
403 Literatur- und Filmlisten
404 Dank
405 Herausgeber
406 Bildnachweis
408 Impressum
Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
LUDWIG HEIMBACH
Kontext
23 Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
Als ich 1992 mein Architekturstudium an der TU Berlin
begann, war der Berlin Pavillon im Hansaviertel1 der Veranstaltungsort,
an dem die aktuellen Debatten geführt wurden, die
über das künftige Stadtbild der gerade wiedervereinigten Stadt
entscheiden sollten. Nachdem das Veranstaltungsgebäude mir
meistens interessanter erschien als die vorgestellten Siegerprojekte
der dort diskutierten Wettbewerbe, fuhr ich durch Berlin,
um mir alle Gebäude der Architekten Fehling+Gogel anzuschauen.
Bei meiner Station am Hygieneinstitut entdeckte ich
so auch das unheimliche, rätselhafte, komplett abgeriegelte
Gebäude gegenüber: den Mäusebunker von Gerd und Magdalena
Hänska.
Meine Affinität zu diesem Gebäudedoppel hängt vielleicht
mit einer architektonischen Urerfahrung meiner Kindheit
in Köln zusammen: Meine Eltern besuchten mit mir regelmäßig
die Brühler Schlosskonzerte, die in Balthasar Neumanns großartigem
Treppenhaus von Schloss Augustusburg stattfinden.
Auf dem nächtlichen Rückweg fuhren wir auf der Köln Bonner
Autobahn durch die Petrochemie in Wesseling S. 374, die plötzlich
traumähnlich als hell erleuchtete Stadt auftauchte. Diese
Raum-Erfahrung verdichtete sich zu einem für mich bis heute
faszinierenden Architektur Amalgam. In eigentümlicher Weise
hängt dieses mit den beiden Gebäuden zusammen, repräsentieren
sie doch zwei unterschiedliche Ausformungen der Sichtbeton-Nachkriegsmoderne:
eine, die – von der Fließfähigkeit
des Baustoffs unterstützt – die Dynamik der architektonischen
Form wiederentdeckt, und eine, die durch die technologische
Schönheit und Maßstäblichkeit von Industrieanlagen inspiriert
ist.2 Als ich im Januar 2020 erfuhr, dass der Mäusebunker abgerissen
werden sollte und auch für das Hygieneinstitut eine
Abrissanzeige vorlag, entschloss ich mich, im Rahmen meiner
ehrenamtlichen Kuratoriumstätigkeit in der BDA Galerie Berlin,
die beiden Bauten durch eine Ausstellung zur Diskussion
zu stellen und im besten Fall dazu beizutragen, den Abriss zu
verhindern S. 384–385. Die Ausstellung würdigte zum einen die
baukünstlerische Leistung ihrer Architektin und ihrer Architek
1 Der Berlin Pavillon war ein Wettbewerb zur Interbau 1957, den Hermann Fehling
1956 mit Daniel Gogel und Peter Pfankuch als Mitarbeiter gewann – Juryvorsitzender
war Hans Scharoun. Schon zur Realisierung firmierte das Büro
bis 1960 als Fehling, Gogel, Pfankuch, danach als Fehling+ Gogel.
2 The Dynamics of Architectural Form ist der Buchtitel der von Rudolf Arnheim
1975 an der Cooper Union in New York gehaltenen Vorlesungen. Michel Ragons
Ästhetik der zeitgenössischen Architektur (Neuchâtel 1968) schließt mit dem
Kapitel „Technologische Schönheit“, das den Ingenieursbauten gewidmet ist
und das „nicht verwunderlich […] vielen als das Kapitel mit den bezauberndsten
Bildern erscheinen wird“.
Kontext
24 Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
ten und zeigte zum anderen den Diskussionsprozess um Erhalt
oder Abbruch als die „soziale Plastik“ der beiden Gebäude. Es
wurden Assoziationen zu anderen Kontexten hergestellt, von
der Ästhetik des Unheimlichen bis hin zum Cyberpunk, und kulturelle
Implikationen aufgezeigt. Die künstlerischen Auseinandersetzungen
und studentischen Arbeiten verschiedener Hochschulen,
die sich in der Zwischenzeit mit den Gebäuden und
deren Nutzung und Nachnutzung beschäftigt hatten, zeigten
wie ein Belegwörterbuch die Bedeutung der beiden Bauten für
uns heute.
Mäusebunker und Hygieneinstitut in den Fokus einer
Ausstellung zu stellen, war aber auch eine kulturelle und aktuellpolitische
Positionierung, denn während der Abriss dieser beiden
denkmalwerten Bauwerke bereits terminiert bzw. angezeigt
war, wurde in Berlin an Stelle des Palasts der Republik
das barock wilhelminische Stadtschloss mit „modernen Elementen“
als humorloses Schein-Denkmal-Medley Humboldt
Forum S. 374 und als Ausdruck einer revanchistischen Geisteshaltung
fertiggestellt. Als nächstes soll sich an Schinkels Bauakademie
gleich gegenüber vergriffen werden.
Mir scheinen diese Entscheidungen und Erwägungen
ein Zeichen dafür zu sein, dass mit dem wirtschaftlichpolitischen
Kollaps des Ostens auch der „freie Westen“ kulturell
kollabiert ist.
Von der grundgesetzlich garantierten „Baufreiheit“3 ist
im Planungsalltag durch einen Wust an Regelungen, Verordnungen
und Normen, die auch die konkrete Gestaltung betreffen,
mittlerweile nicht mehr viel zu spüren. Die baukulturellen Folgen
kann man sich zum Beispiel an den frei stehenden Supermärkten
der großen Ketten anschauen, die ein im Windkanal
des deutschen Baurechts, inklusive der örtlichen Bebauungspläne,
perfektioniertes Bauen vorführen. Dies sind in Zukunft
dann die „zeittypischen Bauten“, die wir angesichts der gewaltigen
Ressourcenproblematik werden bewahren müssen.
Umso mehr gilt es, die qualitätvollen Architekturen der
Nachkriegsepoche, die, nach Reinier de Graaf, als „Blütezeit
des öffentlichen Bauens“ in einer „kurzlebigen Phase, in der
ein naiver Optimismus vorherrschte, bevor die brutale Herrschaft
der Marktwirtschaft zur alles beherrschenden Ideologie
3 Mit der in Art. 14 GG zugesicherten Eigentumsgarantie geht gleichzeitig im
deutschen Recht im Grundsatz die „Baufreiheit“ einher.
Kontext
25 Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
wurde“4 entstanden, zu bewahren und fortzuschreiben: Denn
nur die Nutzung eines Gebäudes sichert seinen Erhalt.
In der Zwischenzeit hat die breite öffentliche Debatte
zum Denkmalschutz beider Gebäude geführt, die weitere Nutzung
des Hygieneinstituts ist durch die Charité geplant, und
das Modellverfahren Mäusebunker hat den öffentlichen Diskussionsprozess
so weit getrieben, dass jetzt eigentlich mit
der Planung der zukünftigen Nutzung des Baus begonnen werden
sollte. Nun ist es an der Zeit, nicht nur die beiden besonderen
Gebäude und ihre Geschichte, sondern auch den Prozess
um ihre Wiederentdeckung, ihre Beinahe Zerstörung und die
Suche nach einem Ausweg in Form einer Weiternutzung „zwischen
zwei Deckel“ zu bringen, wie Kristin Feireiss mich nach
dem Besuch meiner Ausstellung ermutigte.
Dieses Buch verstehe ich als ein „retroaktives Projekt“:
einerseits ein Plädoyer für die Fortschreibung unserer gebauten
Umwelt statt des mutwilligen Zerstörens, andererseits für
die Wiederentdeckung und Wiedererweckung des Freiheitsgedankens,
der den markanten Gestaltungen dieser beiden Bauwerke
zugrunde liegt. Als ich Christian Kerez den Mäusebunker
und das Hygieneinstitut bei einem seiner Besuche in Berlin
zeigte, sagte er nachsinnend: „Vielleicht ist es heutzutage wichtiger,
ein gutes Gebäude zu retten, als ein gutes zu planen – ein
schlechtes oder auch nur mittelmäßiges lässt sich heute ohnehin
nicht mehr rechtfertigen.“
4 Pressemitteilung OMA/AMO zum Ausstellungsbeitrag „Public Works – Architecture
by Civil Servants“ auf der 13. Architekturbiennale Venedig 2012.
Kontext
26 Warum Mäusebunker und Hygieneinstitut?
Bauwelt
A 1561 C
• betrifft 329 • Die Lichterfelder Dorfaue 330
Versuchsanordnungen . Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie
der Freien Universität Berlin 331 • Biologische Institute
in Düsseldorf-Holthausen 344 • Institut für Biologie in München-Neuherberg 346
• Außerdem: Markt Information zur 8. ish in Frankfurt am Main 351
11
14.'März 1975 • 66. Jahrgang
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116–117 – Blicke in die Ausstellung „Fehling+Gogel. Grundrißanalysen“ von Fehling+Gogel in der Aedes Galerie für
Architektur und Raum, damals in der Grolmanstraße 51, 11.10.–15.11.1986
Daniel Gogel hat hierzu sieben Analyseblätter von sechs Projekten erstellt, deren Motivation im Katalog wie folgt
erläutert wurde:
„Die hier ausgestellten Pläne und Zeichnungen sind nicht als Kunst zu bewerten. Sie sollen Ansatzpunkte
vermitteln. Diese Grundrißanalysen zeigen eine konsequente konstruktiv-geometrische Arbeitsmethode. Wir
haben hier versucht, unsere Raumgebilde und Konstruktionen in der Ebene des Grundrisses verständlich zu
machen. Die dritte Dimension ist der Raum, der fertig gebaute. Zudem soll diese kleine Ausstellung zeigen, daß
wir in unseren Organismen nicht den Häring’schen oder Scharoun’schen Gedanken gefolgt sind, wie fälschlich
in vielen Dokumentationen festgestellt wurde.
F+G
September 1986“ 150
116
159
Kay Fingerle, Inside Hygieneinstitut, 2020
96
97–106 – Fotografien von Georg Fischer, entstanden für den in der November-Ausgabe 1984 des Magazins GEO
veröffentlichten „Bericht aus dem Mäusebunker“ von Peter-Matthias Gaede: „Ein Platz für viele Tiere“ 258
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Positionen
ALEXIS DWORSKY
296
297
Was passiert mit dem Mäusebunker? Wird er abgerissen, umgebaut und ganz anders genutzt? Gewiss ist, dass
sich die Situation entscheidend wandelt. Ich betreibe daher digitalen Denkmalschutz: Der Mäusebunker wird digital
erfasst, rekonstruiert und im virtuellen Raum dreidimensional konserviert.
Grundlage für die geodigitale Rekonstruktion des Mäusebunkers sind sehr, sehr viele Fotos des Gebäudes. In einem
als Photogrammetrie bezeichneten Verfahren werden die einzelnen Pixel dieser Bilder miteinander verglichen und
die Aufnahmen räumlich angeordnet. Eine Punktwolke wird generiert und diese dann in Polygone transformiert.
Schließlich wird eine Textur erstellt und sozusagen auf die digitale Oberfläche projiziert. Jetzt sieht das Modell wie
das Original aus.
Mit dem virtuellen Mäusebunker lässt sich allerlei anstellen: Mit der VR-Brille auf dem Kopf kann man darauf rumklettern,
mittels AI kann man ihn in mannigfaltige Zukünfte überführen, mit dem 3D-Drucker kann man das Gebäude
als Miniatur reproduzieren und in die Hand nehmen.
Impressum
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Das Copyright für die Texte liegt bei den Autorinnen und Autoren. Das Copyright für die Abbildungen liegt bei den
Fotografinnen und Fotografen / Inhaberinnen und Inhabern der Bildrechte.
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Kay Fingerle
Übersetzung aus dem Englischen: Nikolaus G. Schneider ( S. 301, 305, 353–368)
Lektorat: Sandra Leitte
Korrektorat: Sandra Leitte
Projektmanagement: Theresa Hartherz, jovis Verlag
Gestaltung und Satz: Floyd E. Schulze
Herstellung: Susanne Rösler, jovis Verlag
Lithografie: Bild1Druck
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