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Leseprobe_Mozart Studien 29

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MOZART STUDIEN

Band 29


MOZART STUDIEN

Herausgegeben von

Manfred Hermann Schmid

Band 29


Aktuelle Fragen der Mozart-Forschung III

Bericht über den Prager

Mozart-Kongress 2020

Im Auftrag des Instituts für Kunstgeschichte der Akademie

der Wissenschaften der Tschechischen Republik

und der Mozart-Gemeinde

in der Tschechischen Republik

vorgelegt von

Manfred Hermann Schmid

und

Milada Jonášová


Die Mozart Studien wurden 1992 bis 2014 im Verlag Hans Schneider, Tutzing,

verlegt und werden seit dem Jahr 2015 vom Verlag Hollitzer in Wien fortgeführt.

Das Erscheinen des Berichtes des Prager Mozart-Kongresses

wurde finanziell unterstützt vom

Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften

der Tschechischen Republik.

Beim Korrektorat war Johanna Senigl behilflich,

die auch das Register erarbeitet hat.

Für die graphische Bearbeitung

einiger Notenbeispiele danken wir Lívia Posádková Krátka.

Besonderer Dank gilt dem Verlagsleiter

Michael Hüttler und Sigrun Müller.

ISSN 0942-5217

ISBN 978-3-99012-919-7

© Hollitzer Verlag, Wien 2024

Hollitzer Wissenschaftsverlag

Trautsongasse 6/6, A-1080 Wien

kontakt@hollitzer.at

www.hollitzer.at

Hergestellt in der EU


Am 5. Oktober 2021 verstarb Professor Dr. Manfred Hermann Schmid nach

langer schwerer Krankheit. Die Musikwissenschaft verlor mit ihm eine

unersetzliche Persönlichkeit und einen der profundesten Kenner des Werkes

Mozarts in seiner ganzen Komplexität. In meisterhafter Weise verband er

detaillierte philologische Kenntnisse der Autographen und Abschriften der

Werke Mozarts mit einem einzigartigen analytischen Verständnis von Mozarts

Schaffen. Seine zahlreichen Bücher und Studien brachten grundlegende und

wesentliche Erkenntnisse zu Mozarts Werk. Viele davon sind in der von ihm

1992 begründeten Jahrbuchreihe Mozart Studien erschienen. Manfred Hermann

Schmid leitete diese Reihe als Herausgeber mit Neugier, Leidenschaft und

großem Arbeitseinsatz 29 Jahre lang, was in der Mozartforschung seinesgleichen

sucht.

Dieser Band enthält die Beiträge, die im Rahmen des Prager Kongresses

»Aktuelle Fragen der Mozart-Forschung III« am 9. Oktober 2020 präsentiert

wurden. Der Band enthält acht letzte Studien von Manfred Hermann Schmid,

die er noch redaktionell bearbeitet hat. Von Mozarts Werken behandelte er die

Es-Dur-Sinfonie KV 543, die »italienischen« Quartette KV 155−160, die

Violinsonaten 1778−1781, die Sinfonia concertante KV 364, das Benedictus

in Mozarts Messen, die Kantate Davide penitente, die Arien »Non temer, amato

bene« KV 490 und »In te spero, o sposo amato« KV 440 sowie die Orchesterproblematik

in der Oper Idomeneo.

PRAG, 10. AUGUST 2024

MILADA JONÁŠOVÁ



INHALT

DER PRAGER MOZART-KONGRESS 2020

R e f e r a t e

MANFRED HERMANN SCHMID

Mozarts Es-Dur-Sinfonie KV 543

Orchesterkomposition und musikalischer Satz .............................................. 11

RAINER KLEINERTZ

Galeazzis »melodische Kadenzen« und ihre Verwendung

in Mozarts Instrumentalmusik ........................................................................ 51

CLAUS BOCKMAIER

Segmentäre Verschränkungen in Mozart’schen Sonatensätzen:

Überlegungen zu einem Reprisenaspekt ........................................................ 69

ULRICH KAISER

Der Seitensatz – Zur Karriere eines dogmatischen Begriffs .......................... 89

JOACHIM BRÜGGE

Perspektiven einer kunstuniversitären Mozartforschung

als Repertoireforschung? ............................................................................. 103

KARL BÖHMER

Mozartsänger auf der Reise nach Prag: Domenico Bedini

und Maria Marchetti Fantozzi im Sommer 1791 und ihre Arien

in Mozarts La clemenza di Tito.................................................................... 117

IACOPO CIVIDINI

»Là mi direte sì« Da Pontes und Mozarts Text- und Musikvarianten

im Duettino »Là ci darem la mano« des Don Giovanni ............................... 165

E r g ä n z e n d e B e i t r ä g e v o n M a n f r e d H e r m a n n S c h m i d

MANFRED HERMANN SCHMID

Das Rondò »Non temer, amato bene« in den Vertonungen

von Gaetano Andreozzi 1783, Giuseppe Giordani 1784

und W. A. Mozart 1786 ............................................................................... 205

MANFRED HERMANN SCHMID

Die fonte-Formel in Mozarts Violinsonaten 1778–1781 ............................. 243


MANFRED HERMANN SCHMID

Mozarts »italienische« Streichquartette KV 155–160 .................................. 259

MANFRED HERMANN SCHMID

Das Benedictus in Mozarts Messen ............................................................. 273

MANFRED HERMANN SCHMID

Die neuen Arien zu Mozarts Davide penitente ............................................ 305

MANFRED HERMANN SCHMID

Mozarts Arie »In te spero, o sposo amato« KV 440 .................................... 321

MANFRED HERMANN SCHMID

Lagen- und Registerfragen in Mozarts Idomeneo-Orchester ....................... 337

W e i t e r e e r g ä n z e n d e B e i t r ä g e

LUCIO TUFANO

Who wrote Ridente la calma? Mysliveček, Bianchi,

Mozart, and Luigi Marchesi’s favourite arias .............................................. 355

KLAUS ARINGER

Mit Klarinetten, aber ohne Oboen − Bläserfaktur und Orchesterklang

in Mozarts Sinfonie Es-Dur KV 543............................................................ 387

TILMAN SIEBER

Wolfgang Amadeus Mozart. Sinfonia concertante KV 364.

Eine Klangstudie .......................................................................................... 401

HARALD STREBEL

Corrigenda zu Pamela L. Poulin, In the Footsteps of Mozart’s

Clarinetist. Anton Stadler and His Basset Clarinet ..................................... 411

ANHANG ....................................................................................................... 441

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN ................................................................. 442

REGISTER ..................................................................................................... 447

1: Personen...................... ............................................................................. 447

2: Werke Mozarts......................................................................................... 456


Abkürzungen

Abert Hermann Abert, W. A. Mozart. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe von Otto

Jahns Mozart, 2 Bände, Leipzig 1919–21, ²1923f, Neudruck 1955 (Register 1966).

Acta Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft, Augsburg 1954

bis 2014.

AMA Wolfgang Amadeus Mozart’s Werke. Kritisch durchgesehene Gesammtausgabe, 24

Briefe

Serien mit insgesamt 67 Bänden, Leipzig 1876–1905.

Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, herausgegeben von der Internationalen

Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt und erläutert von Wilhelm

A. Bauer und Otto Erich Deutsch (Band 1–4), Kassel usw. 1962–1963, dazu Kommentar

(Band 5–6) und Register (Band 7) erläutert und zusammengestellt von

Joseph Heinz Eibl, Kassel usw. 1971–1975; dazu Einführung und Ergänzungen

(Band 8), hrsg. v. Ulrich Konrad, Kassel usw. 2006.

Dokumente Mozart. Die Dokumente seines Lebens, gesammelt und erläutert von Otto Erich

Deutsch, Kassel usw. 1961; Addenda und Corrigenda zusammengestellt von Joseph

Heinz Eibl, Kassel usw. 1978; Addenda Neue Folge zusammengestellt von

Cliff Eisen, Kassel usw. 1997.

Einstein Alfred Einstein, Mozart. His Character, his Work, New York 1945, deutsche Ausgabe

Stockholm 1947.

Haberkamp Gertraut Haberkamp, Die Erstdrucke der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart.

Bibliographie, 2 Bände, Tutzing 1986.

Jahn Otto Jahn, W. A. Mozart, 4 Bände, Leipzig 1856–1859, ²1867. 3. und 4. Auflage

bearbeitet von Hermann Deiters 1889–1891 und 1905–1907.

K. 1–6 Auflagen des Köchelverzeichnisses (s. unter KV).

KrB

KV

MGG

Kritische Berichte zur NMA (s. dort).

Nummern nach: Ludwig Ritter von Köchel, Chronologisch-thematisches Verzeichnis

sämmtlicher Tonwerke W. A. Mozart’s, Leipzig 1862. Zweite Auflage bearbeitet

von Paul Graf Waldersee, Leipzig 1905. Dritte Auflage bearbeitet von Alfred

Einstein, Leipzig 1937 (mit Supplement »Berichtigungen und Zusätze« in der Ausgabe

Ann Arbor, Michigan, 1947 = Auflage 3a). 6. Auflage bearbeitet von Franz

Giegling, Alexander Weinmann und Gerd Sievers, Wiesbaden 1964. Die Auflagen

4, 5, 7 und 8 sind jeweils unveränderte Nachdrucke der Vorgängerauflage.

Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, unter

Mitarbeit zahlreicher Musikforscher des In- und Auslandes hrsg. v. Friedrich

Blume, 17 Bände, Kassel usw. 1949–1986. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg.

v. Ludwig Finscher, Kassel und Stuttgart 1994ff (= MGG²).

MJb Mozart-Jahrbuch, herausgegeben von der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg

1950ff.

NG The New Grove Dictionary of Music and Musicians, edited by Stanley Sadie, 20

vols., London 1980, Second Edition, 29 vols., London 2001 (= NG²).

NMA Wolfgang Amadeus Mozart. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, in Verbindung mit

den Mozartstädten Augsburg, Salzburg und Wien herausgegeben von der Internationalen

Stiftung Mozarteum Salzburg, Editionsleitung: Ernst Fritz Schmid, Wolfgang

Plath, Wolfgang Rehm u.a., Kassel usw. 1955ff.

RISM Répertoire International des Sources Musicales, Serie A/I: Einzeldrucke vor 1800,

Wyzewa /

Saint-Foix

Redaktion Karlheinz Schlager, Kassel 1971ff.

Théodore de Wyzewa/Georges de Saint-Foix, W.-A. Mozart. Sa vie musicale et son

œuvre, 5 Bände: Bd. 1–2: Paris 1912, Bd. 3–5 (von Saint-Foix): Paris 1936–46.

Die Abkürzung von Zeitschriftentiteln folgt der Praxis im Riemann Musik-Lexikon, 13. Auflage,

Sachteil, Mainz 2012 (S. X–XIV).



Mozarts Es-Dur-Sinfonie KV 543

Orchesterkomposition und musikalischer Satz

Manfred Hermann Schmid

Seit Salzburg hatte Mozart Sinfonien nur vereinzelt und gelegenheitshalber

geschrieben, für Linz und Prag, obwohl er für seine Akademien Sinfonien

regelmäßig nötig hatte. Dabei bediente er sich älterer Werke wie 1783 der

Hafner-Sinfonie KV 385, vermutlich auch fremder Kompositionen. 1 Mit der

Es-Dur-Sinfonie begann Mozart erstmals in Wien mit eigenen neuen Sinfonien

und gleich mit einer ganzen Gruppe. Ein belegbarer Zweck ist nicht zu

erkennen. 2 Die Werke entstanden mit Daten vom 26. Juni 1788, 25. Juli 1788

und 10. August 1788 in der Sommerpause ohne sofortige Verwendung und

gewissermaßen auf Vorrat, vielleicht auch mit Blick auf Reisepläne oder ein

konkretes Verkaufsangebot wie seinerzeit jenes an Donaueschingen, möglicherweise

auch in der Hoffnung, einen zahlenden Verlag zu gewinnen. 3 Aus

dem Schweigen der Quellen zu schließen, die drei »großen« Sinfonien seien

zu seinen Lebzeiten nie erklungen, führt jedenfalls in die Irre. Ein später, aber

verlässlicher Zeuge, nämlich Johann Wenzel, Organist am St.-Veits-Dom in

Prag, berichtet 1802 von einer Aufführung der g-moll-Sinfonie unter Mozarts

Anwesenheit in den Gemächern des Barons van Swieten. 4 Vermutlich handelte

es sich um eine Probe bei Tageslicht für die spätere Präsentation an

einem repräsentativen öffentlichen Ort. Für eine Probe spricht das Verhalten

Mozarts, der bei Anwesenheit von Publikum wegen unzureichender Bläserleistungen

kaum den Raum verlassen hätte (»das[s] er wärend der production

________________

1 Brief Mozarts an den Vater vom 23. März 1783. Bei J. A. Stargardt in Berlin ist am

16. April 2021 ein Manuskript Mozarts zur Versteigerung gekommen, das auf seiner Rückseite

drei Entwürfe für das Programm eben dieser Akademie zeigt. Alle drei haben als Rahmen zu

Anfang und Ende eine Sinfonie, der längste Entwurf hat zusätzlich eine Sinfonie in der Mitte. In

seinem Brief erwähnt Mozart die Praxis, das Konzert mit dem abgetrennten Finale der

Eingangssinfonie zu beenden. Eine Sinfonie auch in der Mitte ist für die Wiener Akademie am

1. April 1784 bezeugt (Deutsch, Dokumente S. 198, vgl. auch S. 300 zu Leipzig 1789).

2 J. Grattan-Guiness, Why did Mozart write three symphonies in the summer of 1788?, in:

The Music Review 1994, S. 1–6.

3 Für die Verlagsperspektive könnte sprechen, dass die g-moll-Sinfonie keine vier Hörner

vorsieht, sondern nur zwei, wenn auch gleichzeitig in verschiedenen Stimmungen, ein Experiment,

das seine Wurzeln im Idomeneo (Arie Nr. 1 in g-moll) und der Maurerischen Trauermusik

KV 477 hat.

4 Milada Jonášová, Eine Aufführung der g-moll-Sinfonie KV 550 im Beisein Mozarts, in:

Mozart Studien 20, Tutzing 2011, S. 253–268.

11


aus dem Zimmer sich hat entfernen müssen, wie man Sie unrichtig aufgeführt

hat«). Die Leitung könnte Antonio Salieri im Blick auf eine Akademie am 16.

und 17. April 1791 gehabt haben. 5 Nach Wenzels erst 2011 bekannt gewordenem

Zeugnis darf man annehmen, dass alle drei Sinfonien in Wien zur Aufführung

gekommen sind, auch wenn sich keine konkreten Daten benennen

lassen. Der gleiche Wenzel hat von der Es-Dur-Sinfonie einen Klavierauszug

hergestellt und Mozart in Wien vorgespielt, der ihn daraufhin drängte, den

Auszug im Druck herauszugeben. 6

Die Musik Mozarts hat ein vielfaches Echo in der Literatur gefunden, mit

Bevorzugung der g-moll- und der C-Dur-Sinfonie, einerseits der Molltonart,

andererseits des Fugenfinales wegen. Peter Gülke hat der ganzen Trias an Sinfonien

1998 eine aufschlussreiche Monographie gewidmet. 7 Seinen Gedanken

fühle ich mich vielfach verpflichtet, auch wenn ich, getrieben von einem

gewissen Unbehagen angesichts überbordender Interpretation 8 , bei satz- und

orchestertechnischen Fragen andere Spuren verfolge. Ziel ist es, Spezifisches

an Techniken des »späten« Mozart und seiner drei »großen« Sinfonien schon

an der singulär stehend ersten zu präzisieren und ihren Sonderstatus zu verdeutlichen.

12

*

Das Neue und Besondere macht sich gleich zu Beginn bemerkbar: in der Tonart,

der rhythmischen Zuspitzung und tonalen Disposition der langsamen Einleitung

und ganz besonders im komplexen Hauptthema des Allegro.

Das Es-Dur ertönt als feierliche Trompetentonart, vergleichbar bisher nur

mit dem Klavierkonzert KV 482. 9 Ein eher entspannter Streicherklang ist mit

der höchsten der vier möglichen Trompetenstimmungen verbunden, die sich

in prononcierter Deutlichkeit heraushebt. Das es² als Ton der »Mitte« gehört

in T. 1 den Trompeten, nicht den Geigen. Die Hörner füllen zunächst den

Oktavraum der Trompeten und übernehmen dann die Rolle eines tieferen

Stimmpaars, mit dem rückblickend der alte und repräsentative vierstimmige

Trompeterchor angedeutet ist, der seine Selbständigkeit im Rhythmus der

________________

5 Deutsch, Dokumente S. 344f (»Eine große Sinfonie von der Erfindung des Hrn. Mozart«).

6 Milada Jonášová 2011, S. 259. Zur Edition kam es erst 1794 im Eigenverlang (S. 260).

7 Peter Gülke, Triumph der neuen Tonkunst. Mozarts späte Sinfonien und ihr Umfeld,

Kassel usw. 1998. Vorausgegangen war 1997 ein Büchlein für die Carl Friedrich von Siemens

Stiftung: Im Zyklus eine Welt. Mozarts letzte Sinfonien, München 1997, ²2015.

8 Nikolaus Harnoncourt hat bekanntlich die historisch abwegige These vertreten, die drei

Sinfonien müssten als Einheit zusammen und hintereinander aufgeführt werden. Der phantasievolle

Titel seiner CD-Einspielung von 2014 bei Sony lautet: »The Last Symphonies. Mozart’s

Instrumental Oratorium«.

9 Dem Konzert für zwei Klaviere KV 365 wurden Trompeten erst nachträglich hinzugefügt,

hatten also keinen unmittelbaren Einfluss auf die Komposition.


Pauke zu erkennen gibt. 10 Der eigene Raum des Es-Dur verrät sich zudem

unmittelbar am Es der Bässe, die vorher das F kaum je unterschritten hatten 11 ,

sowie im es³ der Flöte, mit dem die traditionelle d ³-Grenze der Oboen überboten

ist. Zu den Holzbläsern gehören als besonderes Charakteristikum zwei

Klarinetten. Sie fügen sich zunächst unauffällig ein, die nächsttieferen Töne

unterhalb der Flöte übernehmend, prägen aber unüberhörbar den Gesamtklang,

spätestens im piano des zweiten Taktes.

In diesem zweiten Takt spaltet sich der Klang. Im nachtönenden piano-

Echo bei schweigendem Bass formieren sich die Holzbläser einschließlich der

Hörner, die flexibel ihre Funktion wechseln, zum Ensemble der Harmoniemusik,

bei der zwischen es² und g den Stimmpaaren nach jeder Ton besetzt

ist. Aus dem Ensemble lösen sich zudem asynchron die Geigen, ursprünglich

Hauptträger fanfarengeprägter Sätze, mit einer neuen Figur von Zweiunddreißigsteln,

die auf den nächsten Einsatzton des Tutti hinleiten. Im Klavierkonzert

KV 482 waren sie primär dem forte verpflichtet und überließen die

erste kontrastierende piano-Zone ganz den Bläsern.

Eine eigene und in ihrer Mehrschichtigkeit unverwechselbare Klanglichkeit

prägt die Sinfonie so von den ersten Takten an. Motivisches Signum ist in der

Tradition des Fanfarensatzes der italienischen Opernsinfonie 12 ein punktierter

Rhythmus, der nicht nur eröffnet, sondern sich prominent durch die ganze

langsame Einleitung zieht. Als Besonderheit überlagern sich dabei eine lange

und eine kurze Variante, die durch Schärfung der langen Form bei der entscheidenden

kurzen Note deckungsgleich werden: q.. x q und . Die

kurze Variante wird von der Pauke separat eingeführt und bildet die Grundlage

für das nachklingenden Echo des zweiten Taktes . Herausgehoben

ist die kurze Form, die im weiteren Verlauf dominieren wird, in T. 1

demonstrativ durch zwei Auftakt-Zweiunddreißigstel. Die teilende Verdopplung

ist gute Tradition bei der Pauke im Fanfarensatz. 13 Ganz für sich

allein gestellt gegenüber dem gesamten Ensemble ist die rhythmische Isolierung

jedoch singulär in Mozarts Werk und verweist dramatisch auf den Konflikt

der Punktierungsvarianten.

________________

10 Zum vollständigen Ensemble s. Klaus Aringer: Zum Trompeten-Chor in Mozarts »Waisenhausmesse«

KV 139, in: Il Saggiatore musicale 13, 2006, S. 63–75; vgl. Manfred Hermann

Schmid, Späte Gedanken zu Mozart, Wien 2019, Kapitel »Die Rolle der Pauke bei Mozart«

S. 273–313, hier S. 280.

11 Vgl. Manfred Hermann Schmid, Lagen- und Registerfragen in Mozarts Idomeneo-

Orchester, hier Abschnitt 2 »Der Basso« (Beitrag in diesem Band).

12 Dazu Helmut Hell, Die neapolitanische Opernsinfonie in der ersten Hälfte des

18. Jahrhunderts, Tutzing 1971, Kap. IV/2 »Das Eindringen der Fanfare in die neapolitanische

Opernsinfonie«, S. 134–163.

13 Manfred Hermann Schmid, Späte Gedanken zu Mozart, Wien 2019, S. 285.

13


Die Gesamtkonstellation der zwei Eröffnungstakte wiederholt Mozart zwei

Mal im Zeichen harmonisch-klanglicher Fortentwicklung. Takt 3 exponiert

erwartungsgemäß die Dominante. Doch nimmt ihr Mozart im Bass den

Grundton und weicht zu einem überraschenden Terzquartakkord aus. Seinetwegen

ist T. 4 sogar auf die Hörner verzichtet, deren b das Klanggefüge stören

würde. Gleich zwei Gründe bewegen Mozart, das f als Basston zu etablieren.

Einerseits soll die Dominante in einer abgeschwächten Form erscheinen,

um ihrem Auftritt am formalen Wendepunkt von T. 9 nichts an Gewicht zu

nehmen. Andererseits hat das f die Aufgabe, den großen Bassgang in Bewegung

zu setzen, der schrittweise auf das Ereignis dieses Wendepunkts hinführt,

nämlich in einem langgezogen ansteigenden es–f–g–as-a–b T. 1–9.

Der dritte Ton g in T. 5 böte in einem Sextakkord wieder die Tonika an.

Auch sie meidet Mozart mit der Schärfung eines verminderten Septakkords,

um ihr erst später eine formal entscheidende Rolle zuzuweisen, nämlich T. 16

als Mittelsäule und am Ende als Kadenzziel im Übergang zum Allegro. Zu

einem ersten, wenn auch vorläufigen Ziel wird T. 7 die Subdominante, und

zwar in Form der II. Stufe f-moll, die ein Weitertönen des f von T. 3 erlaubt.

Der Klang der Subdominante bedeutet so etwas wie ein prüfendes Innehalten,

um die Möglichkeiten einer Kadenz zu sondieren. Der punktierte Rhythmus

setzt kurzzeitig aus, bis die Entscheidung für die Fortsetzung gefallen ist. An

seine Stelle tritt neu eine synkopische Folge der ersten Geige mit intensiv

chromatischen Akzenten, die den Bewegungszug in Gang halten und auf Entscheidung

drängen. Sie fällt in T. 8 mit der Beschleunigung auf Viertel, dem

Nachgeben von e² zu es² und dem umgekehrten Austausch von as zu a im

Bass, das einen Halbschluss vorbereitet. Damit ist die Dominante als Gegenklang

zur Tonika von T. 1 trotz des piano mit Wiederkehr des Rhythmus in

geschärfter Form der Notierung mächtig verankert.

Formal ist die Entscheidung für einen Halbschluss T. 9 von weitreichender

Bedeutung. Traditionellerweise endet eine Einleitung wie im Dissonanzenquartett

oder der Prager Sinfonie mit diesem Halbschluss. 14 Wenn Mozart ihn

derart früh bringt und mit Exkursen ausdehnt, muss er für den Übergang ins

Allegro schon eine andere Lösung im Kopf haben. Er wird dazu eine lapidare

Kadenz mit der immer mitgegebenen Option von »Tacterstickung« vorsehen.

Einleitung und Allegro sind auf diese Weise weit enger zusammengezogen als

üblich.

Im geordneten Ablauf der Einleitung entzieht sich Takt 9 trotz des »Einrastens«

allerdings einem Schluss und übernimmt metrisch die Position eines

Anfangstaktes. Das verleiht der harmonisch halbschlüssigen Wendung einen

________________

14 Marianne Danckwardt, Die langsame Einleitung, ihre Herkunft und ihr Bau bei Haydn

und Mozart, Tutzing 1977. Noch das D-Dur-Streichquintett KV 593 hält sich an die alte Regel.

14


Impuls, der auf Fortsetzung drängt. Erst einmal erweitert sich der Satz T. 9

nach dem Muster von Orgelpunkt durch verhakt fallende Oberstimmen eines

»gebundenen« Satzes. Für die Überbindungen werden die erstmals hervortretenden

Klarinetten zuständig. In den Satz hineingeflochten sind die

Zweiunddreißigstel von T. 2, die sich im Wechsel der beiden Geigen zu einer

großen Kette verbinden. Neu hinzutreten Achtel der Flöte. Sie knüpfen zumindest

im Einsatzpunkt an die Synkopen von T. 7 an. Die in sich ruhende

Klangbewegung mit der fallenden Hauptstimme b¹–as¹–g¹–f ¹–es¹–d¹ in der

zweiten Klarinette führt T. 14 über die gleichen Schritte es–d und a–b, diesmal

vergrößert in den Klarinetten mit Oktavierung in den Mittelstimmen der

Streicher T. 13, an den Ausgangspunkt zurück: im erneuerten Einrasten der

Halbschluss-Dominante, die jetzt im plakativen forte auftritt. Entsprechend

geht der ostinate Rhythmus in den gesamten Trompeterchor und die ersten

Geigen über, was wiederum die Bässe freisetzt, die sich die Zweiunddreißigstel-Skala

in demonstrativer Umkehr aneignen und sie neu mit einem

zielgerichteten Abwärtsgang in Anpassung an den Grundrhythmus verbinden.

Erstes Ziel, angekündigt schon T. 15 von der Dominantseptim as², ist der

Grundton es der Tonika, mit der sich eine Art staunender Wiederkehr verbindet.

Denn der leitende Bassgang des Anfangs scheint sich im piano der

Schritte es–f… der Takte 16 und 18 zu wiederholen. Doch verbindet sich das

f diesmal mit dem f-moll-Klang von T. 7. Denn der Fanfarenton b war T. 17

im Zeichen der f-moll-Zwischendominante für eine neu aufsteigende Gegenlinie

zu den fallenden Punktierungsfiguren des Basses überboten worden.

Diese Linie setzt sich T. 18 weiter fort und führt zu einem heftigen Zusammenprall,

wenn des³ auf das verharrende c³ eines erhöhten Fanfarentons trifft.

Die scharfe Dissonanz gehört der Intervallik nach zu den heftigsten Erschütterungen

in Mozarts Werk. Gleichwohl kehrt sie nicht das Gewalttätige von

Beethovens Eroica heraus, sondern macht sich in einer Logik der Stimmführung

musikalisch verständlich. Das des³ hält sich mit Oktavierungen im

Fagott, bis es mit der Punktierungsfigur nach dem letzten Zweiunddreißigstel-

Anlauf der Bässe sein Ziel findet: als Dominantseptim eines Es-Klanges, dem

schließlich auch das c³ mit Rückkehr zum Fanfaren-b nachgibt. Gleichzeitig

setzt zur dominantisierten Tonika von T. 19 der große Trompeterchor wieder

ein.

Zum Sammelpunkt wird T. 20 wie in T. 7 die Subdominante, diesmal in

ihrer reinen Ausprägung von As-Dur, wenn auch unter dem Vorbehalt des

großen Fanfaren-es in vierfachen Oktaven es–es¹–es²–es³, das unabweisbar

die Tonika einfordert. Die vielleicht erstaunlichste Eigenheit der kurzen

durchführungsartigen Entwicklung mit Heraushebung einer Mollstufe und

Rückführung in die Grundtonart ist als Zusatzfaktor innerer Steigerung die

rhythmisch-motivische Konzentration. Mit dem des³ von T. 18 und der letz-

15


ten Zweiunddreißigstel-Skala der Bässe meldet sich der Echorhythmus

von T. 2 zurück, beibehalten auch in T. 20. Im Folgetakt mit Eintritt

der orientierenden Subdominante erscheint in krönender Überhöhung erstmals

die große Variante der Punktierung q.. x wieder, wie in T. 1 kombiniert

mit der kleinen Variante , die sich im Überhängen des Dauerrhythmus seit

T. 9 bemerkbar macht. Das letzte Rhythmus-Element steuern die Zweiunddreißigstel

der Pauke bei, die nun befriedet auf übliche Weise in den Großrhythmus

integriert sind.

Die Vereinigung aller rhythmischen Elemente führt in Verbindung mit

einem abermals steigenden Bass as–b–c zu ganz neuen Weiterungen. Der alte

Dauerrhythmus setzt abrupt aus, bleibt aber im Nachschlag durch das komplementäre

Ineinandergreifen von Bläsern und Streichern weiter präsent.

Doch verzichtet der Rhythmus T. 21 unvermutet auf seine Führungsrolle. Die

Bläser schließen sich, wie das ges³ der Flöte verrät, oktavierend den Streichern

in einem zweiten Nachschlag an. Der veränderte Gestus verrät sich

nicht zuletzt im Aussetzen der Pauke. Darin kündigt sich stumm eine weitreichende

Verwandlung an. Im puren und harmonisch unveränderten Wiederholen

verhallen die Punktierungsformeln wie folgenlos.

Die harmonische Progression steckt gleichzeitig an einem ungewissen

Punkt fest. Denn in einem geordneten Kadenzablauf geht der verminderte

Septakkord in wechseldominantischer Funktion einem dominantischen Quartsextakkord

gewöhnlich voran. In T. 21 folgt er ihm nach. Wie versprengt,

wenn auch in einer Imitation der Außenstimmen planvoll geordnet, geistern

seine einzelnen Töne in großen Sprüngen und Halben Noten herum. Erst die

Tiefalterierung vom c³ zum ces³ lässt eine Zielrichtung erkennen. Denn sie

deutet jene Umfärbung nach Moll an, die eine nachfolgende neue Dur-Tonika

richtig zum Leuchten bringen soll. Der Schritt c³–ces³–b² im Übergang von

T. 23 zu 24 könnte sogar ein erstes Signal für den sammelnden und jetzt richtig

positionierten Quartsextakkord geben, würde die Wendung nicht von einer

Wiederholung der Tonfolge im Bass unterlaufen. Doch ist dort der Schritt

zum b mit allen harmonischen Implikationen letztlich angemessener. Die Tür

zur Kadenz ist aufgestoßen, die sich ganz unscheinbar im piano vollendet,

ohne Trompeten und Pauken, zuletzt allein im Bass.

Mozart, dessen langsame Einleitungen sich nie wiederholen und immer

eigene Wege gehen, hat für die Es-Dur-Sinfonie KV 543 etwas geschaffen,

das über eine stupende Zielstrebigkeit hinaus an Einheitlichkeit in der Vielgestaltigkeit

rhythmisch-motivischer Prägung singulär bleibt. 15 Ganz konzentriert

auf den eröffnenden Fanfarengestus der Opernsinfonia und seine Ver-

________________

15 Henning Bey hat von einer »Exposition vor der Exposition« gesprochen: Haydns und

Mozarts Symphonik nach 1782. Konzeptionelle Perspektiven, Neuried 2005, S. 170.

16


wandlung in einem kompositorischen Prozess eigener Art darf das Adagio

den Ton der Erhabenheit Händelscher Größe für sich reklamieren. Die früheste

überlieferte Reaktion nach einem Konzert in Hamburg im Februar 1792

lautete: »majestätisch«. 16 Da ist der Weg zu modernen Interpretationen wie

»triumphal« und »imperial« nicht weit. Die suggestiven Worte besagen aber

eher etwas zur äußeren Wirkung und wenig zur musikalischen Konstruktion,

die so eigen ist, dass sie, wie es der überwältigte Rezensent 1792 ausdrückte,

den Zuhörer zwingt, »ganz Gehör zu werden«. 17

Das Verdichtete und Mehrschichtige kennzeichnet auch den Beginn des

Allegro. Die langsame Einleitung war zwar konsequent einheitlich auf ein

Kadenzieren in zwei Schritten hin ausgerichtet, auf die Halbschluss-Dominante

von T. 9 und den Tonikaschluss von T. 26, aber nicht wirklich an einem

Schließen interessiert. Denn die Zieltakte sind in der übergeordnet zweitaktigen

Struktur, kurzzeitig unterbrochen nur durch die »Orgelpunktpassage«

T. 9–13, als erste Takte immer Anfangs- und Impuls-Takte. Das gilt gerade

auch für T. 26 mit Beginn des Allegro. Der Fortgang lässt sich im

Kadenzzusammenhang zudem idealtypisch so verstehen, dass eine fünftaktige

piano-Einheit ab T. 22 in T. 26 im Interesse eines Neubeginns durch »Tacterstickung«

verkürzt und so die Geradzahligkeit der Taktordnung weiter garantiert

ist. Der eine Basston setzt unverkennbar einen Impuls. Entsprechend

kehrt er T. 30 wieder – und vor allem auch T. 184 bei der Reprise.

Mit T. 26 als Anfangstakt für das Hauptthema des Allegro bilden sich

zweimal 14 Takte, zusammengesetzt aus 8+6. Ein geschlossener Achttakter

wird in drei Zweitaktern, die motivisch ersten und vierten Takt kombinieren,

erweitert und führt T. 39 zu einem Halbschluss, der eine Wiederholung mit

Ganzschluss herausfordert. Signalgeber für die Erweiterung ist die Subdominante

T. 34 in Erinnerung an die Wendestellen der langsamen Einleitung. Die

Wiederholung des Themas im Stimmtausch nach dem Muster des Außenstimmenwechsels

der langsamen Einleitung gestaltet allein das letzte Segment

vergrößernd um. Seine drei Takte kommen aber nicht zur Wirkung, weil ein

forte-Einsatz des ganzen Orchesters die Tonika in neuer »Tacterstickung« für

sich beansprucht. Das Hauptthema beginnt und endet so mit dem gleichen

Überraschungsverfahren.

________________

16 Iwan Anderwitsch, [Beitrag ohne Titel] »Hamburg im März 1792«, in: Musikalische

Korrespondenz der teutschen Filharmonischen Gesellschaft, Nr. 13, 28. März 1792, Spalte 97–

100, vgl. W. A. Mozart im Spiegel des Musikjournalismus. Deutschsprachiger Raum, 1782–

1800. Edition, vorgelegt und kommentiert von Rainer J. Schwob, Stuttgart 2015, Nr. 105 (online

2013).

17 Wer der in Hamburg fremde und vermutlich russische Besucher war, der mit dem Pseudonym

Iwan Anderwitsch zeichnete, ist bislang unbekannt. Jedenfalls ein würdiger Vorgänger von

Alexander Oulibichef.

17


Allerdings fügt sich das wie vorläufige Thema nicht wirklich in diese Ordnung.

Nur jeweils Takt 3–4 und Anhang passen rhythmisch in den üblichen

Rahmen einer 3 /4-Melodie mit zweitöniger Vorhaltsendung h q in der vertrauten

strophenartigen Folge italienischen Verses von piano-piano-tronco

(T. 29, 32, 39) samt piano-Wiederholungen (T. 35, 37); bei den zweiten 14

Takten wird die tronco-Endung lediglich einen Takt später erreicht. Sonderbar

bleiben dabei freilich die extrem späten Lösungen immer zum letzten

Viertel der Viertakter mit dem sofortigen Gegenstoß eines neuen Bassviertels

(T. 29|30 und 33|34). Vor allem aber widersetzt sich der Anfang von Beginn

an einer kleingliedrigen 3 /4-Lesung. Die lange Note b¹ mit einem regelrechten

Dreiklangs-Auftakt von zwei Vierteln, die jeweils ein Bläserecho auslöst,

denkt nicht daran, einem zweiten Takt mit Endungsfunktion anzugehören. Sie

beansprucht das Recht eines ersten Taktes. Damit widerspricht sie der vorausgehenden

»Tacterstickung«, möchte den Tonikaschluss einen Schluss sein

lassen und erst in T. 27 beginnen. Zudem strebt sie im Durcheilen des Dreiklangs

nach einem weiteren »Flug« in großflächiger Bewegung, passend zu

den weiträumigen Harmoniewechseln des Anfangs. 18

Damit fordert die Melodie potentiell auch eine andere Art der Notierung.

Nicht nur bei Mozart, aber besonders bei ihm verbergen sich im Rahmen

einer Vorzeichnung immer wieder verschiedene Taktarten. Das gehörte zu

den Freiheiten der Notationspraxis im 18. Jahrhundert. 19 Der häufigste Fall ist

der »zusammengesetzte Tact«, bei dem nur jeder zweite Taktstrich gezogen

wird, ein 6 /8-Takt also aus zwei 3 /8-Takten besteht und sie zur Geltung bringt,

der 6 /8-Takt aber auch jederzeit selbst wirksam werden kann. 20 Als eher seltenes

Gegenbild gibt es den in der Theorie ohne Begriff gebliebenen umgekehrten

Fall, dass nämlich mehr Taktstriche gezogen werden als nötig. Das

betrifft primär den 3 /4-Takt, weil der größere 6 /4-Takt nur ungern und ausnahmsweise

notiert wird. 21 Zugrunde liegt er aber mehrfach im Werk der

________________

18 Auf »den geradezu auftaktigen Gestus« hat allein Peter Revers hingewiesen, von dem die

bisher beste Beschreibung des Satzes stammt: Die sinfonische Trias KV 543, KV 550 und

KV 551, in: Das Mozart-Handbuch, Band 1: Mozarts Orchesterwerke und Konzerte, hrsg. v.

Joachim Brügge und Claudia Maria Knispel, Laaber 2007, S. 98–148, hier S. 106.

19 Dazu grundlegend Claudia Maurer Zenck, Vom Takt. Untersuchungen zur Theorie und

kompositorischen Praxis im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, Wien 2001;

Michael Spors, Grundsätzliche Möglichkeiten nicht angezeigter Taktwechsel in den Werken der

Wiener Klassik sowie ihr konkretes Auftreten im Mozart’schen Œuvre, in: MJb 2013, Kassel

usw. 2014, S. 157–174; Helmut Hell, Metrischer Bruch. Das Verknüpfen unterschiedlicher

Metren als Stilmittel Mozarts, in: Mozart Studien 24, Wien 2016, S. 235–298.

20 So im Finale des g-moll-Streichquintetts KV 516, vgl. Manfred Hermann Schmid, Italienischer

Vers und musikalische Syntax in Mozarts Opern, Tutzing 1994, S. 236–238.

21 Manfred Hermann Schmid, Späte Gedanken zu Mozart, Wien 2019, im Kapitel »Eine

späte geistliche Kontrafaktur des Duetts Nr. 7 aus Mozarts Zauberflöte«, S. 437–469, hier

S. 442–445, mit weiteren Hinweisen auf Literatur.

18


letzten Jahre Mozarts, vorzugsweise in Menuetten oder Teilen von ihnen. Der

prominenteste und mehrfach genannte Fall ist das Menuett der Es-Dur-Sinfonie

KV 543, das von Anfang bis Ende dem Bewegungsmuster eines nicht

notierten 6 /4-Takts folgt. So liegt es nahe, beim Hauptthema im ersten Allegro

der gleichen Sinfonie ebenfalls an den Großtakt im Hintergrund zu denken.

Wirklich offenbart das Thema ein Stück weit im 6 /4-Takt seinen Charakter

weit besser als im 3 /4-Takt. Der rhythmische Schwerpunkt ist in der Eins verankert,

ohne optisch unterbrochen zu werden, die erste Endung sitzt korrekt in

einem zweiten Takt, die zweite parallel in einem vierten Takt. Danach allerdings

verliert sich der große Bogen. Der stumpfe Halbschluss träfe auf einen

siebten Takt, das Orchester-forte fiele sogar mitten in den Takt. Hier hat der

3/4-Takt das Thema längst wieder eingeholt. Kleine Störungen gibt es schon

in den fiktiven ersten vier 6 /4-Takten. Die piano-Endung kommt leicht verfrüht

an ihr Ende. Ein h. q würde besser passen, ließe sich in »T. 2« auch

unschwer herstellen, nicht dagegen in »T. 4«, weil der Bass die melodische

Verlängerung mit seinem As verwehren müsste.

Ohne kleine Gegenakzente passt keine der beiden Taktarten zu Mozarts

melodischem Einfall. Insofern überlagern sich beim Hauptthema des Allegro

unterschiedliche Bewegungsmuster. Das ist möglicherweise auch der Grund,

dass die Artikulationsbögen in Mozarts Autograph bei Exposition und

Reprise so auffällig voneinander abweichen. Der Bassimpuls von T. 26 setzt

den notierten 3 /4-Takt in Kraft, der »architektonisch« in seiner hintergründigen

Zweitaktigkeit den Vorrang gewinnt, der auftaktige Dreiklangsaufsteig

mit Spitzenton b¹ den großräumigeren 6/4-Takt. Am Anfang

dominiert die größere Bewegung, am Ende die kleinere. Das absolute Novum

ist, dass sich unterschiedliche Taktarten nicht wie sonst sukzessiv im

Hintereinander ablösen, sondern simultan überlagern. Das Hauptthema wirkt

unter diesen Vorgaben auffällig verhalten und lässt den Hörer halb im

Ungewissen. 22

________________

22 Peter Revers sprach von etwas »Tastendem, Rätselhaften« (2007, S. 106). Neal Zaslaw

dachte eher an Zurückhaltung: »The opening of the Allego is an interesting case of strong ideas

presented in a deceptively understatet way« (Mozart’s Symphonies. Context, Performance

Practice, Reception, New York 1989, S. 434). Zuvor hat Zaslaw die angebliche Herkunft des

Themas von einer Es-Dur Sinfonie Michael Haydns als unzutreffend nachgewiesen (S. 402).

19


Schon der erste Allegro-Takt 26 ist hier bezeichnend. In der Don Giovanni-

Ouvertüre startet das Allegro mir einer Art Leertakt zur Anzeige des neuen

Tempos; motivisch-syntaktisch beginnt der Satz erst im zweiten Takt. In der

Zauberflöte wird Mozart die förmliche Kadenz dagegen umstandslos für den

sofortigen Anschluss des Allegro-Themas nutzen. Die Es-Dur-Sinfonie steht

hier merkwürdig zwischen den Varianten und zeigt sich auch darin als singulär.

Allen Ambivalenzen macht der forte-Einsatz des ganzen Orchesters in

T. 54 ein Ende. Sein mehrfach entschiedenes Eintreten prägt als Merkmal des

Sinfonischen den ganzen Satz. Dabei bilden sich Passagen sehr verschiedenen

Zuschnitts. In T. 54 stabilisieren schlussbetonte Viertaktgruppen den ¾-Takt.

Mit Anklängen an die Dreiklangsbewegung des Hauptthemas, dem bekannten

Rhythmus h q und dem Hinlaufen auf den Ton g nach Art einer stumpfen

Endung folgt das Orchester, nachträglich den notierten Takt bestätigend, einer

Grundordnung geschlossener Bauweise. Nach dreimaligem Anstoßen T. 57,

59 und 61 am letzten Ton g endet die Selbst-Wiederholung. Der Schlusston

allein genügt und lässt nach dem Muster einer tronco-Endung eine größere

Lücke, die ein neuer langer Auftakt füllt, der durch die Imitation im Bass

motivische Züge annimmt. Die Erweiterung geht abermals über die Subdominante

T. 63. Es wiederholen sich T. 68–69 vom Ende der Einleitung zudem

verminderter Septakkord und Quartsextakkord. Syntaktisch von primärer

Bedeutung ist das Weiterführen des geschlossenen und endungsorientierten

Baus mit markanten zwei Vierteln T. 63 samt einer neuen Vorhaltsfigur beim

Trugschluss von T. 65. Zuletzt garantieren zusätzliche zwei Takte das Hinsteuern

auf einen stumpfen Schluss mit Kadenzierung bei der Tonika. Ab

T. 54 sortieren sich auf diese Weise 4+4, 4+6* Takte.

Nach dem Muster aller bisherigen Tonikakadenzen tritt T. 71 wie unvermeidlich

das Beschleunigungsmoment der »Tacterstickung« (*) ein. Den

Impuls geben die neuen Achtel im Bass sowie die Viertelrepetitionen in den

Bläsern. Der neue Abschnitt ändert grundlegend den Charakter, nicht nur,

weil er in die Zweitaktordnung des alten Abschnitts verkürzend eingreift,

sondern vor allem, weil er eine neue, nämlich offene Bauweise als Wesensmerkmal

des sinfonischen Tutti in neuer Zweierordnung zur Geltung bringt.

Endungen spielen jetzt keine Rolle mehr. Der Satz stürmt ohne bremsende

Zäsuren in einem festen Muster voran. Der erste Takt hat die lange Note h.

zum Zeichen, der jeweils zweite die neu aktivierten und aus der langsamen

Einleitung übernommenen Skalensechzehntel, die nirgendwo enden, sondern

zäsurlos den Anschluss an den nächsten, gleichartigen Baustein suchen.

Graphisch lassen sich alter und neuer Bau in etwa nach dem folgenden

Schema unterscheiden:

2 _ | 2 _ | 2 _ | 2 _ | 2→ 2→ 2→ 2→

20


Mit der neuen Bauweise gewinnt der Satz an innerem Tempo und an Zielstrebigkeit.

Nach zwölf Takten eines 2→ mit jeweils gleichbleibender Harmonie

folgen T. 83 intendiert 16 Takte gleicher offener Bauweise in neuer

Faktur. Die Sechzehntel rücken T. 83 in einen ersten Takt und halten sich in

einem Aufwärts/Abwärts die Balance. Das ruft in T. 83 einen spürbaren

Gegenstoß im kontrapostischen Gegeneinander eines ↔ hervor, jedoch kein

Abphrasieren nach Art eines Atemholens im geschlossenen Bau. Ein formal

bedeutsamer motivischer Wechsel vollzieht sich im neuen Abschnitt unter

den Klangschritten eines Halbschlusses in T. 89. Doch sind Kadenzstrukturen

der Bewegungsdominanz ganz nachgeordnet. In einen ersten Takt gerückt

gibt der F-Dur-Klang das Signal für eine lang ausgedehnte Wechseldominante.

Die übliche Zäsur nach Erreichen der Wechseldominante als Wegmarke

vor Eintritt des Seitensatzes entfällt in höchst ungewöhnlicher Weise.

Innerhalb des »F-Plateaus« ändert sich die Faktur definitiv in diesem T. 89.

In einer Verdichtung der Bewegung steuert der Rhythmus auf die typischen,

seit T. 63 etablierten Zäsurviertel q q Î mit fallenden Oktaven und

einer Pause zu. Da jedoch der Klang nicht wechselt und die Bläser ihre Viertel

in Umkehrung der Anordnung von T. 71–72 ergänzen, bleibt der

Vorwärtsdrang des offenen Baus nach dem Muster 2→ weiter erhalten. Auf

die neue Tonart B-Dur des Seitensatzes führt nicht punktuell, sondern flächig

ein achttaktiger Großbaustein mit fallendem Bass f–es–d–c: b hin, mit den

Harmonieschritten D–D 7 –T 6 –D 4/3 –T ganz im Zeichen von B-Dur. Den letzten

Schritt begleitet T. 96 ein unnachahmlich eleganter Schlenker der Flöte.

Mit dem widerstandslos weichen Hineinsinken ins definitive B-Dur von

T. 97 ereignet sich etwas überaus Merkwürdiges und vorher nie Dagewesenes.

Der rhythmische Impuls des offenen Baus verpufft zusammen mit dem

sfp der Trompeten. Danach tritt, als seien Formabschnitte innerhalb des Seitensatzes

vertauscht, über verharrendem Bass eine Zone im beruhigten Gestus

der Schlussgruppe ein. 23 Melodisch schwenken ab dem zweiten Takt die

kleinen Bausteine mit einer Streicherfigur leicht hemiolischer Innenspannung

samt »begradigender« zweitaktiger Bläserantwort wieder auf strikt geschlossenen

Baus mit einer typisch neuen, quasi dreitönigen Endungsfigur des

sdrucciolo-Musters e ä samt begrenzender Pause ein. Es gilt wieder

seitensatzkonform das vokal orientierte gesangliche Bauprinzip mit seinem

gewohnten Endungsstreben und Atemholen. Das Besondere ist nur, dass seine

Zweitaktigkeit verschoben ist und in T. 97 so etwas wie ein Leertakt entsteht.

________________

23 Neal Zaslaw 2007, S. 434: »the calmer ›second group‹ of ideas sounds more like a transition

to the closing section than a stable presentation of contrasting material«.

21


T. 89 T. 97

2→ 2→ 2→ 2→ [2→]

2 _ | 2 _ | 2 _ | 2 _ |

Hauptthema und Seitenthema des Satzes beginnen auf diese Weise ähnlich

mit einem Vortakt und ohne wirkliche Zäsur in einem Prozess innerer Verwandlung.

Das Aufheben von säuberlich mit Pausen geschiedenen Einheiten

mag mit einer der Gründe sein, weshalb der russische Referent von 1792 den

Eindruck hatte, dass es fast unmöglich wäre, »so schnell im Gehör und Gefühl

zu folgen«.

Nach acht Takten mit ruhendem Bass B weitet sich T. 106 der harmonische

Raum ein kleines Stück weit mit der fonte-Sequenz VI→V zur melodischen

Fortentwicklung des Bläsermotivs, dessen sdrucciolo-Rhythmen in zweitaktigem

Abstand enger zusammenrücken.

Bei Ablösung durch die Streicher T. 110 bildet der Seitensatz zukunftsweisend

ein Segment aus, das zart an das Hauptthema erinnert, zudem mit

fünf Takten das sichere Grundmaß verlässt. Eingefangen wird das Irreguläre

des Exkurses beim zweiten Fünftakter durch das Überraschungs-forte von

T. 119, das in erneuter »Tacterstickung« den fünften Takt kappt und mit sechs

Sechzehntel-Takten das Zweier-Gleichmaß wieder herstellt, um auf eine Steigerungszone

zuzulaufen, deren Aufgabe es ist, die Schlusskadenz auf der

V. Stufe vorzubereiten. Harmonisch geht das Schlusstutti T. 125 von einem

verminderten Septakkord als Zwischendominante der VI. Stufe aus, motivisch

vom Hauptrhythmus h q , der sich überraschend mit der kleinen neuen

Endungsfigur von T. 65 verbindet. Syntaktisch sorgt Mozart für eine besondere

Pointe, weil er den Steigerungsfortgang eines chromatisch steigenden

Basses in T. 130 mit einem unfertigen neuen Fünftakter abbricht und zu

T. 125 zurückspringt, um bei abgewandeltem Bass, aber den gleichen Harmonien,

einen zweiten Anlauf zu unternehmen.

Das Tutti des Satzes verdichtet sich ab T. 125 explosiv und erreicht seinen

Höhepunkt, wenn vom T. 130 angefangenen Sechstakter mit jeweils

eintaktiger Ausdehnung von Quartsextakkord und Dominante in T. 135, vergleichbar

T. 119, mit dem Donnerschlag eines Fakturwechsels die Zieltonika

in letzter »Tacterstickung« abgetrennt wird, um nach dem zweiten unfreiwilligen

Fünftakter einen großen Schlussblock von acht Takten zu eröffnen: vier

Takte mit Dreiklangsbrechungen und Dominantantrieb im jeweils zweiten

Takt, vier Takte Skalentriumph mit der Tonika ganz allein. Am Ende steht

das Taktpaar von T. 89–90 aus der Zwischenzone vor dem Seitensatz. Seine

Eigenschaft, mit zwei Vierteln eine Schlusszäsur zu suggerieren, die jedoch

im Spannungsfeld offener Zweitakter stehen, gilt immer noch. Allein der

verhaltene Beginn von T. 26 bei der Wiederholung nimmt die Spannung her-

22


aus. Beim Übergang in die Durchführung setzen sich die weiterdrängenden

Zweitakter jedoch in Versetzungen einfach fort. Es gibt zwar eine Zäsur zwischen

Exposition und Durchführung, doch keine Ruhepause. Entsprechend

war auch eine Zäsur entfallen, die eine separate Schlussgruppe abgrenzen

hätte können, die ohnehin nach dem flächigen Beginn des Seitensatzes

überzählig wäre. Der Seitensatz bildet einen Komplex von Verwandlungen,

die sich wie im Hauptsatz ohne fest abgesteckte Einheiten in dichtem

Anschluss vollziehen. In diesem Punkt sind g-moll-Sinfonie und C-Dur-

Sinfonie sehr viel traditioneller und auch leichter zu verfolgen.

Die Durchführung ist ungewöhnlich konzentriert und beschränkt sich auf

nur zwei Fremdstufen, allerdings wohl ausgewählte. Mozart beginnt nach dem

stürmischen Eintritt T. 147 mit einem in wörtlichem Sinne extravaganten

As-Dur. Die Subdominante, die in langsamer Einleitung und Exposition

mehrfach Schaltstelle für thematische Weiterentwicklungen gewesen war,

bekommt eine ganze eigene Zone für das »Synthesethema« von T. 110 des

Seitensatzes mit Anklängen an den Hauptsatz zugeteilt. Gewöhnlich gehen

Satzentwicklungen nach der V. Stufe am Ende der Exposition in der

räumlichen Quintordnung weiter nach oben. Die IV. Stufe als Untergrenze in

Gegenrichtung wird manchmal gar nicht berührt, und wenn, dann eher in der

Mitte oder gegen Ende einer breit ausgearbeiteten Durchführung, immer die

Botschaft einer entfernt fremden Sphäre tragend. Mozart setzt auf diesen

Effekt in der Es-Dur-Sinfonie entgegen sonstiger Praxis gleich zu Beginn, um

von hier aus nahezu übergangslos an die traditionelle Obergrenze des Raums

mit der VI. Stufe c-moll zu wechseln. Damit ist der tonale Rahmen der knappen

Durchführung bereits vollständig umrissen.

Das entrückte As-Dur erlaubt dem bekannten Thema den Ausbau in neue

Weite. Der Fünftakter der Streicher wird in Klarinetten und Fagotten wiederholt,

allerdings schon im Anfangstakt mit dem verminderten Septakkord der

Streicher eigenartig verfremdet. Den fünften Takt ersetzt Mozart dann T. 156

unter Hinzunahme der Flöte mit einem Rücksprung in den dritten, auf ein

b-moll zielend, das an der Kadenzstelle T. 158 von einer weiteren Rückung

der Streicher überholt wird. Diese dürfen ihr Kadenzziel c-moll in

Vollendung der steigenden Klangfolge IV-V-VI mit As–b–c erreichen, auch

wenn ihnen im gleichen Moment T. 160 durch »Tacterstickung« unter Einsatz

von Trompeten und Pauken vom Tutti das Heft des Handelns genommen

wird.

Die größere und für einen Durchführungsabschnitt erstaunlich stabile

c-moll-Zone ab T. 160 startet mit einem Gang, der wegzumodulieren scheint,

am Ende aber c-moll gestärkt in Kraft setzt. Träger der Bewegung ist ein

chromatisch fallender Bass c–b–a–as–g, verspannt mit einer 7-6-Vorhaltsfolge

der Oberstimme, der letztlich den übermäßigen Quintsextakkord T. 167

23


für ein halbschlüssiges Einrasten der Dominante einschließlich der selten zu

beobachtenden »Mozart-Quinten« benutzt. Das es¹–d ¹ der zweiten Geige ist

aber vom hervortretenden und auch noch oktavierten alternativen es¹–g¹ der

Trompeten und Hörner gedeckt. Klanglich ist das Orchester zu einem extrem

volltönenden Tutti in Verbindung eines kompletten Streicher- und Bläsersatzes

ausgebaut, mit einem seltenen hohen as³ T. 161 in der Flöte und ständiger

Beteiligung des Trompeterchors, der immer einen geeigneten Ton zur

Verdopplung im Stimmgefüge findet, zur Not auch einen dissonanten, dessen

Lösung er anderen Instrumenten überlässt. Seit T. 160 herrscht wieder der

zweitaktig offene Bau, so dass die Dominante in einen Impulstakt fällt, mit

dem ein Schließen umgangen ist. Die Tonika c-moll tritt deshalb T. 169 nur

basslos und in Quartsextlage auf.

Mit dem Unisono von T. 170 beginnt ein letzter Achttakter, nach dem die

Zwischenstation f-moll in Wiederholung der raketengleichen Achtel T. 178

von der zielgerichteten Wechseldominante überboten wird, die umstandslos

einen Kadenzvorgang in Viertelschritten einleitet. Diese Kadenz ist auf mehrfache

Weise ein Unikum. Zum Einen zielt sie unmittelbar vor der Reprise, die

gerne den Halbschluss der Tonika vor sich hat, ganzschlüssig auf eine Stufe

weit abseits der Grundtonart. Zum Anderen hält sie abrupt inne und bietet

statt des Schlussakkords eine Generalpause. Und drittens verknappt sie die

Bewegung nach langen Ganztaktharmonien ruckartig auf Viertel. Alle drei

Besonderheiten haben mit der Reprise und dem diffizilen Hauptthema zu tun.

Ein freies Eintreten passte nicht recht zu seinem halb labilen ersten Takt, der

abermals aus einer Art Prozess hervorgeht. Die Konstellation beim Übergang

von langsamer Einleitung zum Allegro ist nicht wiederholbar, aber erinnerbar.

Also schreibt Mozart einen Übergang, der zur Voraussetzung hat, tonal aus

einer anderen Sphäre zu kommen. Den Anschluss schafft besetzungstechnisch

ein Wechsel auf die Holzbläser und harmonisch eine Alteration. Aus dem

unausgesprochenen c-moll wird ein C-Dur mit kleiner Septim. Damit setzt ein

Quintfall dominantischer Klänge C 7 –F 7 –B 7 →Es an, der für ein widerstandsloses

Hineingleiten ins Es-Dur der Tonika sorgt. Der Effekt ist unerhört und

steht in Korrespondenz zur eigenartigen Verbindung von Haupt- und Seitensatz.

Die motivisch entscheidende Vorbereitung liefert der Rhythmus. Der

plötzliche Abbruch mit Generalpause stellt zwei Viertel einschließlich von

Hörnern und Trompeten dramatisch frei. Diesen Rhythmus setzt Mozart im

Bläsersatz dadurch fort, dass er den Grundton in der Flöte jeweils mit einem

Nonvorhalt versieht, der Bewegung auslöst: ein q e ä als verkappte Variante

der beiden »Auftaktviertel« des Hauptthemas, die wie von Zauberhand neu in

Aufwärtsbewegung und Dreiklangsschritten wiedererstehen. Den Übergang,

der sowohl der weitgehend zäsurlosen Anlage des Satzes als auch den spezifi-

24


schen Erfordernissen des Hauptthemas entspricht, darf man wahrhaft genial

nennen. 24

Die Reprise folgt sehr getreu der Exposition. Die nötige tonale Veränderung

nimmt Mozart extrem früh vor, in dem er die Kadenzierung von T. 226–

228 für eine Versetzung in die Unterquint nutzt. Dadurch rückt innerhalb des

Hauptsatzes kurz nochmals das markante As-Dur in eine formal dirigierende

Position. Die Versetzung im Tonraum hat Änderungen in Oktavlagen wie der

Staffelung nach Oktaven in den Hörnern zu Beginn des Seitensatzes sowie

auf die Verteilung der Instrumente zur Folge, ändert aber nichts an den syntaktischen

Strukturen. Der einzige tiefere Eingriff in den Satz bleibt dem

Schlussabschnitt vorbehalten. Während er in der Exposition T. 135 klanglich

völlig stabil geblieben war, sah Mozart nach T. 292 eine erweiternde Sequenzierung

vor. In T. 307 blendet er den treibenden Rhythmus aus, um dem Satz

seinen Vorwärtsdrang zu nehmen, indem er die zwei Viertel von T. 142

eliminiert und für ein Auslaufen der Bewegung in zwei Zusatztakten sorgt,

die in aller Einfachheit von Tonikaverlängerung ein kleines Momentum der

Rückbesinnung in sich bergen. Zunächst erfahren in T. 306 Rhythmus und

harmonische Bewegung eine Zuspitzung durch die neuen Wechseltöne des

Trompeterchors. Ihre Achtel gehen danach fürs ganze Orchester in eine

Viertelbewegung über, deren Rhythmus und Dreiklangstöne an den Anfang

des Hauptthemas erinnern. Mozart mied für den ersten Satz einen großen

Schluss, ließ ihn aber nicht ganz ohne Pointe.

Die Anlage des Satzes folgt einem vertrauten Standard und ist doch als

Folge des Hauptthemas von Grund auf eigenwillig. Die Besonderheiten beginnen

mit der langsamen Einleitung und dem Übergang ins Allegro samt

Übernahmen von Elementen aus den ersten Takten und setzen sich im tonalen

Zuschnitt mit Bevorzugung der Subdominante bis hinein in die Durchführung

fort. Die vielleicht wichtigste Eigenheit zeigt der Satz aber im syntaktischen

Verfahren mit seinen häufigen »Tacterstickungen« und enger Verknüpfung

aller Formteile. Das führt weniger zu einer Abfolge als zu einer Verwandlung

von Themen und letztlich zu einer Art monumentaler Geschlossenheit.

Für Beethoven dürfte der erste Satz der Es-Dur-Sinfonie mehrfach eine

Inspirationsquelle gewesen sein: im Umgehen der Zäsur am Ende des Hauptsatzes,

in der Zwischenzone zwischen Haupt- und Seitensatz und nicht zuletzt

in der auffälligen IV. Stufe zu Beginn der Durchführung. Diese Elemente

werden für sein Verständnis des Sonatensatzes eine wichtige Rolle spielen.

________________

24 Peter Gülke sprach von einem »kaum dechiffrierbaren Enigma« (1998. S. 136); für den

Leertakt hat er einen G 7 -Klang angenommen, mit dem sich die steuernde Quintfallkette verlängerte,

die freilich nur ein Element im Geflecht der musikalischen Logik darstellt. Die fiktive

Verlängerung hat den Nachteil, dass der Wechsel vom stillen c-moll zum erklingenden C-Dur

als wichtiges Hörereignis unterdrückt wird.

25


*

Der zweite Satz ist wie durchwirkt von einem permanenten punktierten

Rhythmus, der Element des Themas ist und sich während dessen Ausbreitung

auf vielfältige Weise vermehrt. Verbunden mit einer Bindung und weitgehendem

piano hat der Rhythmus nichts von der Schärfe der langsamen Einleitung

des ersten Satzes, sondern gibt sich weich und fließend, unterstützt von einer

spezifischen Klangsphäre. Das As-Dur als Sonderstufe des ersten Satzes, mit

dem Aufstieg von einem Erweiterungsklang zu einer eigenen Zone in der

Durchführung, trägt nun einen ganzen Satz. Die Tonart entsprach zwar einer

Bevorzugung der Subdominante bei langsamen Sätzen, die Mozart bei Es-

Dur-Werken der Häufung von b-Vorzeichen wegen jedoch weitgehend zugunsten

von c-moll und B-Dur gemieden und allein in der Kammermusik

ausnahmsweise verwendet hatte. 25 Insofern hat das As-Dur in der Sinfonie

KV 543 eine eigene Note. Die »Tiefenentspannung« setzt sich im Thema

noch fort, weil es keine Balance mit der Dominante sucht, sondern bei den

ersten Punktierungsnoten in die eigene Subdominante Des-Dur eintaucht.

Der Satz beginnt schlicht mit einem reinen Streicherthema nach einfachstem

Wiederholungsmuster. Dieses Thema bildet die Stützen einer fünfteiligen

Rahmenanlage, in der es drei Mal in seinem As-Dur fast unverändert erscheint

(»A«), wenn auch zum Schluss hin im Sinne einer Coda verkürzt. Die

Zwischenteile (»B«) liefern dramatische Erweiterungen, in die das Thema

phasenweise selbst mit eingearbeitet ist. Diese Erweiterungen laufen in beiden

Großabschnitten trotz extremer harmonischer Differenz (*) im Interesse einer

Einheit des Satzes motivisch parallel:

26

T. 1 28 68 96 144

A B A B* A

Die A-Teile verkleinern sich im Laufe des Satzes, erst durch Entfallen der

Wiederholungen, dann durch Fragmentierung. Der B*-Teil wächst im Gegenzug

beträchtlich an. Die Satzanlage ist wesentlich durch ihre Orchesteranteile

geprägt. Das Thema A beginnt immer wie ganz zu Anfang in den Streichern,

die beim späteren Erscheinen während des ersten Segments mit Bläsern angereichert

sind. Der Zwischenteil B beginnt im Zeichen der Bläser mit einer Art

Weckruf (T. 28), stürzt in ein großes Tutti (T. 30), führt einen Dialog von

Bläsern und Streichern mit Fragmenten des Themas (T. 39) und entwickelt

________________

25 In den Streichquartetten KV 160 und 428, der Violinsonate KV 481 und dem Klavierquartett

KV 493. Nach der Es-Dur-Sinfonie wird mit dem Adagio des Divertimentos KV 563 noch

ein gewichtiger As-Dur-Satz hinzukommen. Ein Sonderfall ist die Bläserserenade KV 375, wo

Mozart der Klarinetten wegen im Adagio bei Es-Dur bleibt.


sich dann rückläufig mit Wiederkehr erst des Tutti (T. 46), dann einer epilogartigen

Umgestaltung des Bläser-Weckrufs (T. 53), wobei im Folgetakt abgewandelt

auch die Sechzehntel des Übergangs von T. 29 benutzt werden. 26

B-Teil

T. 28 30 39 46 53

α β γ δ ε

B C 7 f-moll … Es-Dur C 7 → Es-Dur

B* – h-moll … As-Dur F 7 → As-Dur

Die beiden B-Teile (»B« und »B*«) gehen harmonisch in ihrem β-Segment

weit auseinander, verlaufen aber ansonsten im Unterquintverhältnis parallel

nach dem Vorbild des Seitensatzes einer Sonatenanlage in Exposition und

Reprise. Im γ-Segment erscheint die Zieltonart der V. Stufe, wenn auch zunächst

labil durch den ruhenden Dominant-Bass, stabil jedoch im letzten

ε-Segment. Ein pointiert formales Paradoxon liegt darin, dass sich die relative

Seitensatz-Zone γ mit ihrer Schlussgruppe ε motivisch an das Hauptthema

bindet.

In den Bläserteilen führen auffällig die Klarinetten. Für As-Dur nicht gemacht,

schweigen sie zunächst und beschränken sich im Tutti auf Haltetöne.

Im γ-Segment T. 39 blühen sie mit dem Es-Dur, der Vorzugstonart der

B-Klarinette, jedoch regelrecht auf und beteiligen sich auch lückenlos am

ε-Epilog. Im B*-Teil, wenn sich die tonalen Verhältnisse ändern, ändert sich

auch in Nuancen der Bläsersatz. Im γ-Segment bleiben die Klarinetten zwar

beteiligt, überlassen die Führung aber jetzt der Flöte. Im ε-Epilog ändert sich

nichts für sie, weil ihre Stimmen akzidentienfrei bleiben, auch noch bei den

solistischen Terzen der demonstrativen Satzerweiterung in T. 139. Dass

Mozart den Klarinetten allerdings T. 142 den optisch eher halsbrecherischen,

griff- und klappentechnisch aber problemlosen 27 , doch wegen der vielfachen

Chromatik heiklen Übergang ins A-Thema zumutet, spricht für ein großes

Zutrauen in die Spieler, das selbst in Wien möglicherweise nicht immer gerechtfertigt

war, wie Johann Wenzel im Fall der g-moll-Sinfonie berichtet:

»im Prag hat man Sie probiret, und die Blasenden Instrumente wollten nicht

pariren, die doch ziemlich geschikt bei uns sind, und im Wien habe ich selbst

es von verstorbenem Mozart gehört, als Er sie bei Baron Wanswiten hat

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26 Peter Gülke hat die Gruppe β–γ–δ als dreiteilig in Wiederholung der ABA-Form des

Hauptthemas interpretiert und in ε eine »Enklave« mit A' als zweiten A-Teil gesehen (1998,

S. 119). Der erste A-Teil bleibt bei ihm undefiniert.

27 Herrn Dr. h.c. Harald Strebel in Zürich danke ich den Hinweis, dass fis² und gis² von

Klappen abgesehen auch mit Gabel möglich sind. Die Varianten ohne Klappe »klingen ohne

Klappen besonders ‚gedämpft‘ und leise, aber besonders reizvoll«, 26. 4. 2021).

27


produciren lassen, das[s] er wärend der production aus dem Zimmer sich hat

entfernen müssen, wie man Sie unrichtig aufgeführt hat«. 28 Den Klarinetten

fällt noch eine Sonderrolle beim Übergang vom Thema zum B*-Teil zu.

Mozart erlässt ihnen T. 94–96 die enharmonische Verwechslung und bleibt

bei b-Akzidentien. Die Doppelnotierung erfasst in T. 99 dann unversehens

auch die Streicher.

Das Hauptthema als Ausgangspunkt und Zentrum des Satzes ist zwar der

Notierung nach ||: :||: :|| schlicht zweiteilig, geht der reinen Symmetrie eines

ehemaligen Tanz- oder Liedsatzes aber schon in den Taktzahlen mit 8+19

aus dem Weg. Im zweiten Teil bleibt von den alten Mustern primär die

Reprise mit einer Rückführung in die Tonika, nachdem vor dem Doppelstrich

die Mittelzäsur durch die V. Stufe besetzt worden war. Nach dem Doppelstrich

bleibt das Es-Dur lange weiter in Geltung, dem ponte älterer Theorie

entsprechend, allerdings mit eher durchführungsartigen Erweiterungen des

eröffnenden Zweitakters. Dann jedoch setzt sich das Es-Dur mit mehrfachen

Kadenzschritten zu einer ununterbrochen weiterlaufenden Girlande fest, mit

einer dem Grundrhythmus entfremdeten und übergebunden neu artikulierenden

Bewegung, eine Girlande, die den achten Takt überspielt und erst im

zehnten ein Ende findet, ohne zu stoppen, weil sie auch noch die Rückführung

ins Thema besorgen möchte. Dabei gerät die Fortsetzung einen Takt

zu lang und bringt mit 6+4+1 Takten die Zweierordnung durcheinander,

selbst einen Übergangszweitakter im 6+3+2 neben der primären Ordnung

versuchend. Das Thema stellt die Grundordnung unbeirrt auf seine Weise

wieder her. Es nimmt allerdings das expansive Element auf, wenn es im letzten

Viertakter anfangs sowohl Subdominante als auch Tonika nach Moll

verrückt. Den tonalen Schritt in Neuland korrigiert wiederum der letzte Zweitakter,

der mit dem Wiedergewinn des Dur besonderes Gewicht im Gesamtgefüge

erhält.

Im A-Teil sind so bereits zwei wichtige Elemente sowohl in der Form wie

in der Themengestaltung angelegt: das Stabile der Wiederkehr und die

Neigung zum irregulär Anderen. Das Thema beruht zudem auf fundamental

unterschiedlichen Bauprinzipien. Sein erster Teil besteht aus zwei parallelen

Viertaktern, die sich nur in der Richtung unterscheiden. Die Viertakter selbst

sind jedoch in sich extrem heterogen. Mozart beginnt mit zwei Takten, die

ganz in sich ruhen, auch melodisch und harmonisch an ihren Anfang zurückkehren

und sich mit dem Ende auf der Takt-Eins abwartend separieren. Der

nächste Zweitakter nimmt von den Vorgaben nur den Rhythmus auf, beginnt

auftaktig und formt aus der Kreisbewegung eine aufs Doppelte vergrößerte

Skalenbewegung, die gerade dort endet, wo der Leitrhythmus zuvor seinen

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28 Milada Jonášová 2011, S. 262.

28


Platz gehabt hatte, und mit der Endung auf ein nächstes neues Element stößt:

die repetierten Achtel , die dem Anfangston es¹, wiedererklingend im

Violoncello, in der Oberoktav es² der Geigen mit der Dominante einen neuen

Impuls verleihen. Das rhythmisch Profilierte dieser selbständigen Endung, die

mit beibehaltenem es² am Ende beider Viertakter der Reprise wiederkehrt,

wird subkutan die Fortsetzung bestimmen: im chromatisch steigenden Schritt

es²–e²–f ² bei Übernahme durch die erste Klarinette und einem verlängerten

Rhythmus, der T. 28 auf die Bläser insgesamt übergeht, wird das f-moll von

T. 30 des B-Teils vorbereitet. Auf die Endungsrepetitionen berufen sich am

Ende des B-Teils dann auch die Achtel des ε-Epilogs ab T. 53.

Die Art, in der sich die Zweitakter des Themas, schon im subtilen Wechsel

von Tuttibässen und Violoncello unterschieden, im Umbau von Elementen

ergänzen, hat Züge des »Montierten« und abgestimmt ineinander Gefügten.

Nach dem Doppelstrich dagegen wechselt das Muster. Der Satz entwickelt

sich gewissermaßen ständig wachsend weiter. Insofern wirken beim Thema

Mechanisches und Organisches nach Vorstellungen einer prinzipienorientierten

Geistesgeschichte idealtypisch zusammen. Der Komponist gestaltet etwas,

für das ein kleiner Anstoß genügt, sich quasi selbst fortzusetzen. Das wiederum

korrespondiert mit einem einfach dreigliedrigen Formkonzept.

Mit dem forte-Tutti des B-Teils wechselt die Satzfaktur vollkommen, in

einer Vielschichtigkeit von synkopischer Bewegung, durchgehenden Sechzehnteln

und Bläser-Haltetönen. Nur ein Element bleibt verborgen erhalten.

Es sind die Achtel der vorausgehenden Takte, die jetzt mit der verdeckt abtaktigen

Form die rhythmischen Hauptimpulse setzen, wobei das mittlere

Achtel durch die scharfe Punktierung ersetzt ist, die noch einen zweiten

und einfacher erkennbaren Bezug zum Hauptthema schafft, und zwar

unter Preisgabe der Skala im Interesse dramatisch gezackter Dreiklangsfiguren.

Im Gestisch völlig Neuen wirken so konstruktiv Elemente des Alten

weiter. Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn nach wenigen Takten das

Thema, variativ abgewandelt, erneut erscheint. Voraussetzung ist der musikalische

Doppelpunkt, den nach eintaktigen Harmoniewechseln der halbschlüssige

Schritt ces–b im Bass T. 36 markiert. Für das Festigen des dominantischen

Haltepunkts sorgen klangauskreisende Terzen der Klarinetten.

Im forte von T. 46 werden dann die beiden Satzschichten kombiniert. Die

Punktierungskette der Themenvariante wandert in den Bass, die Sechzehntel

des Tutti in die Bläser. Neu an der Kombination sind die Oktaven der Geigen.

Als Auftakt holen sie sich ein Zweiunddreißigstel aus den Punktierungen des

Hauptthemas. Die markanten zwei Achtel aktivieren die fallenden Endungen

der ersten beiden Viertakter mit heftigen Stößen und sperrigen Septimen.

Harmonische Basis sind verminderte Septakkorde, die jeweils als Zwischendominanten

zum sinkenden, leitereigenen Stufengang der Mollklänge f–es–

29

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