G+L 2/2025
Chemnitz 2025
Chemnitz 2025
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20|02
25
MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR
UND STADTPLANUNG
CHEMNITZ 2025
EDITORIAL
Im Jahr 2025, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
und 36 Jahre nach dem Fall der Mauer, steht Chemnitz im Rampenlicht
als Kulturhauptstadt Europas – eine Auszeichnung, die
Hoffnungen, Herausforderungen und immense Erwartungen
weckt. Neben Nova Gorica in Slowenien und Gorizia in Italien,
die gemeinsam und grenzüberschreitend ebenfalls den Titel
Kulturhauptstadt Europas 2025 tragen, ist es Chemnitz, das für
Deutschland die kreative Bühne Europas betritt. Doch was bedeutet
dieser Titel für eine Stadt, die tief verwurzelt in einer industriellen
Vergangenheit und gleichzeitig gezeichnet ist von Strukturwandel,
Leerstand und einer sanierungsbedürftigen Infrastruktur?
Das Kulturhauptstadtjahr soll einen nachhaltigen
Wandel in die ehemalige Industriestadt
Chemnitz bringen. Für dieses Jahr
sind nun zahlreiche Programmpunkte in
und um Chemnitz geplant. So wird auch
das KosmosFestival mit Musik, Kunst und
Diskussionsrunden 2025 wieder stattfinden.
Im vergangenen Jahr war auch
dieser Slackliner beim Festival dabei – für
uns Sinnbild für die Balance zwischen
Chancen und Herausforderungen, die der
Titel Kulturhauptstadt für Chemnitz mit
sich bringt.
Unser Heft im Februar widmet sich diesen Fragen und wagt einen
tiefgehenden Blick auf die Potenziale und Hindernisse, denen
sich Chemnitz stellen muss. In einer Zeit, in der Städte zunehmend
mit demografischen Umbrüchen und wirtschaftlichen Herausforderungen
ringen, kann das Format der Kulturhauptstadt eine
Plattform bieten, um über sich hinauszuwachsen – nicht nur als
Kulturstätte, sondern als lebendiger, zukunftsgewandter Stadtorganismus.
Für die ehemalige Karl-Marx-Stadt, die in der jüngeren
Geschichte als Sinnbild für wirtschaftliche Umstrukturierungen
und politische Spannungen diente, könnte die neue Rolle einen
Aufbruch markieren und damit ein wichtiges Zeichen für eine
Stadt setzen, die sich neu erfinden muss.
Doch neben diesem Optimismus bleiben die Aufgaben enorm:
Leerstand prägt das Stadtbild, und viele Infrastruktureinrichtungen
sind sanierungsbedürftig – ein vertrauter Anblick in vielen ostdeutschen
Städten. Im Zentrum steht daher die Frage, wie Chemnitz
mit den Narben der Vergangenheit umgehen kann und will. Die
Kulturhauptstadt bietet hier nicht nur einen Titel, sondern ein konkretes
Werkzeug, um das narrative und architektonische Erbe der
Stadt zu beleuchten und neue Räume zu schaffen, die junge
Menschen und neue kreative Kräfte anziehen können.
Coverfoto: Peter Rossner; Illustrationen: Georg Media
ANNA MARTIN
REDAKTION
a.martin@georg-media.de
In dieser Ausgabe stellen wir das inhaltliche Konzept der diesjährigen
deutschen Kulturhauptstadt sowie zentrale Projekte vor.
Darüber hinaus befragen wir Kulturmanager Stefan Schmidtke,
Programm- Geschäftsführer der Projektgesellschaft der Kulturhauptstadt,
zu Herausforderungen in Chemnitz, dem anstehenden Jahr
und zur Zukunft der Stadt. Ex pert*innen aus Architektur und
Stadtplanung sowie Bürger*innen und Künst ler*innen vor Ort
setzen sich seit Jahren für die Gestaltung einer lebenswerten
Stadt ein. Chemnitz' Zukunft wird nicht allein
von Konzepten und Projekten abhängen, sondern
auch davon, wie es gelingt, die Menschen
mitzunehmen, sie aktiv zu beteiligen und der
Stadt eine klare Vision zu geben. Unsere
Hoffnung: Chemnitz könnte als Beispiel dafür
stehen, wie eine einstige Industriestadt über
den Titel hinaus eine kulturelle und soziale
Identität findet, die langfristig eine hohe
Lebensqualität sichert.
THERESA RAMISCH
CHEFREDAKTION
t.ramisch@georg-media.de
G+L 3
INHALT
AKTUELLES
06 SNAPSHOTS
09 MOMENTAUFNAHME
Säulenwald
CHEMNITZ – KULTURHAUPT-
STADT EUROPAS 2025
10 MEHR ALS GLITZERNDE HIGHLIGHTS
Was das Kulturhauptstadtjahr und seine Projekte in Chemnitz bewirken sollen
14 INDUSTRIELLES ERBE ALS ZUKUNFTSVISION
Wie in Chemnitz einstige Industrie- und Gewerbestandorte transformiert wurden
20 CHEMNITZ AM FLUSS
Welche Projekte die Stadt am Fluss umsetzte
26 „DIE KULTURHAUPTSTADT RUHT AUF ZEHNTAUSENDEN SCHULTERN“
Stefan Schmidtke im Interview
32 AUF DEM PURPLE PATH
Kunstwerke auf dem neuen Skulpturenpfad in und um Chemnitz
36 ZUSAMMEN PFLANZEN
Wie in Chemnitz nachhaltige Begrünung mit kulturellem Austausch verknüpft wird
38 STADTPLÄTZE MIT PARKCHARAKTER
Wie sich Schillerplatz und Lessingplatz in Chemnitz-Sonnenberg wandelten
42 CHEMNITZ' BAUKULTUR IM FOKUS
Welche Projekte die Architektenkammer Sachsen zur Kulturhauptstadt beiträgt
44 CHEMNITZ IM PARK
Beispiele für die Umgestaltung von Parks im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres
48 EINE STADT LIEBENSWÜRDIGER ÜBERRASCHUNGEN
Ein Blick auf die Kunst- und Kulturszene von Chemnitz
PRODUKTE
Herausgeber:
Deutsche Gesellschaft
für Gartenkunst und
Landschaftskultur e.V.
(DGGL)
Pariser Platz 6
Allianz Forum
10117 Berlin-Mitte
www.dggl.org
52 LÖSUNGEN
Stadtmobiliar
RUBRIKEN
62 Impressum
62 Lieferquellen
63 Stellenmarkt
64 DGGL
66 Sichtachse
66 Vorschau
G+L 5
MEHR
ALS
GLITZERNDE
HIGHLIGHTS
Der vom Künstler
Daniel Buren bunt
angestrichene Schornstein
des inzwischen
stillgelegten Heizkraftwerks
Chemnitz
Nord ragt mit über
300 Metern hoch über
der Stadt auf. Im Zuge
der Kulturhauptstadt
wird im Juli und
August in dem ehemaligen
Braunkohlekraftwerk
das Kunstfestival
Begehungen
stattfinden.
10 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
MEHR ALS GLITZERNDE HIGHLIGHTS
Der Freude über den Gewinn des Titels Europäische Kulturhauptstadt
2025 gegenüber Konkurrenten wie Nürnberg oder
Hannover folgte Ernüchterung. Wieso Chemnitz? Wie soll
das zu schaffen sein? Blamieren wir uns vor den Augen der
Welt? Das Tal der Tränen wurde 2023 durchschritten. Seitdem
wächst die Zuversicht, dass die Möglichkeit, einen gewaltigen
Schritt nach vorn zu machen, gelingen kann. Die Stadt, die
den Wandel nach 1990 schlechter verkraftete als Leipzig und
Dresden, hat es so nötig wie verdient.
JENS KASSNER
Foto: Ernesto Uhlmann
AUTOR
Jens Kassner ist
Kunsthistoriker und
verfasste mehrere
Bücher zu Architektur,
Stadtentwicklung und
Geschichte von
Chemnitz. Seit 2021 ist
er als Redakteur bei
der Chemnitzer
Tageszeitung Freie
Presse tätig.
Ab Ende April werden im Sächsischen
Industriemuseum „Tales of Transformation“
erzählt. Schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts
galt Chemnitz als das „sächsische
Manchester“. In der Ausstellung wird es
mit anderen „europäischen Manchesters“
in Relation gesetzt. Dazu gehört natürlich
die britische Mutterstadt der Metapher,
außerdem das polnische Łódź, Mulhouse
in Frankreich, Tampere in Finnland und
Gabrovo in Bulgarien.
Sind solche Vergleiche sinnvoll? In der
Ankündigung der Ausstellung heißt es:
„Entdecken Sie Geschichten von Menschen,
die die Industriebauten des
19. Jahrhunderts mit neuem Leben füllen.
Hier werden Gießereien zu Universitäten,
Spinnmühlen zu Luxus-Lofts und Fabrikhallen
zu Atelierhäusern.“ Das mag für
Manchester gelten. Gabrovo hingegen ist
ein Städtchen im Niedergang mit etwas
mehr als 40 000 verbliebenen Einwohner*innen.
Chemnitz schwebt irgendwo
dazwischen. Die Luxus-Lofts und Ateliers
gibt es tatsächlich. Daneben aber eine
Menge an Problemen.
VOM LANGEN AUFSTIEG ZUM SCHNEL-
LEN ABSTURZ
Um die Story vom Aufstieg zum sächsischen
Manchester zu erzählen, muss man
historisch weit ausholen. Eine Grundlage
war das Bleichprivileg von 1357, das es
vier Bürgern gestattete, Leinen in erheblicher
Menge bleichen zu dürfen. Der wirtschaftliche
Aufschwung war von einem
geistigen begleitet. Georgius Agricola,
der mit seinem Hauptwerk „De re metallica“
die Montanwissenschaft begründete,
ist nur der bekannteste unter mehreren
bedeutenden Intellektuellen.
Selbstverständlich war Entwicklung nicht
frei von schweren Krisen. Doch sogar
die Demütigung Sachsens durch Preußen
im Siebenjährigen Krieg führte zu einer
Rationalisierung des Manufakturwesens
mit Kattundruckereien und Strumpfwirkereien.
Als dann die Gebrüder Bernhard
1800 im heutigen Vorort Harthau die
erste Fabrik Sachsens gründeten, eine
Baumwollspinnerei, kam sogar Geheimrat
Goethe nach Chemnitz. Seine Eindrücke
schwankten zwischen Faszination
und Abscheu.
Früh schon wurde aber auch die Schattenseite
der Industrialisierung zum Thema.
Der auf Burg Rabenstein geborene Hans
Carl von Carlowitz benutzte 1713 in
seiner Tätigkeit als sächsischer Oberberghauptmann
erstmals den Begriff Nachhaltigkeit.
Es dürfe nur so viel Holz in
den Stollen verbaut werden, wie in den
Wäldern des Erzgebirges nachwachsen
kann. Und dem prestigeträchtigen Begriff
des sächsischen Manchesters seitens der
Profiteure wurde von den Benachteiligten
der des Rußchamtz von den Benachteiligten
entgegengesetzt. Bis zu 400 Schonsteine
sollen um 1900 bis ins unmittelbare
Stadtzentrum hinein Dreck in die Luft
geblasen haben.
So dramatisch die Zerstörung vor allem
der Innenstadt im März 1945 durch
Bombenangriffe der Alliierten auch war,
das „alte Chemnitz“ war schon vor mehr
als einem halben Jahrhundert untergegangen.
Von Gründerzeit bis Erstem Weltkrieg
wurden das Zentrum und angrenzende
Bereiche rücksichtslos überbaut.
Dass sich nach dem Krieg die staatlich
gelenkten Debatten über den Wiederbeziehungsweise
Neuaufbau in die Länge
zogen, hatte den Effekt, dass eine
G+L 11
INDUSTRIELLES
ERBE ALS
ZUKUNFTSVISION
Von der Maschinenfabrik zum Ort des Dialogs, vom Straßenbahndepot
zum Kulturstandort, vom städtischen Betriebshof
zum Raum für Kreativwirtschaft: Zahlreiche Orte in Chemnitz
wandeln sich. Beispiele dafür sind auch die Interventionsflächen
der Kulturhauptstadt Europas 2025. Wie für drei dieser
Flächen einstige Industrie- und Gewerbestandorte transformiert
wurden und wie diese zukünftig genutzt werden sollen.
LAURA LOEWEL
AUTORIN
Laura Loewel
arbeitete vor dem
Studium der
Landschaftsarchitektur
(TUM) als
(Bild)Redakteurin für
Tageszeitungen und
Magazine. Nach
Mitarbeit an der
TU München sowie in
Planungsbüros für
Landschaftsarchitektur
und Stadtentwicklung
ist sie heute
als Fachjournalistin
und Fotografin tätig.
Die Transformation industriell geprägter,
urbaner Räume steht im Mittelpunkt der
30 Interventionsflächen, die zur Kulturhauptstadt
Chemnitz 2025 beitragen. Sie
verdeutlichen den Wandel einer Stadt,
die einst von der industriellen Revolution
geprägt war. Die Hartmannfabrik, der
Garagen-Campus und die Stadtwirtschaft
sind drei dieser Interventionsflächen.
Sie sollen allen voran eine nachhaltige
Wirkung auf die Stadtentwicklung
entfalten und im Rahmen des Wandels
Denkanstöße geben.
VON DER MASCHINENFABRIK ZUR
BESUCHERZENTRALE
Wo einst das Herz der industriellen Revolution
in Chemnitz schlug, ist nun ein Ort
des Dialogs, der Innovation und der Kreativität
entstanden: die Hartmannfabrik, das
zentrale Besuchs- und Informationszentrum
der Kulturhauptstadt Europas 2025.
Das historische Gebäude wurde vor dem
Verfall bewahrt und erstrahlt nun als Symbol
für Transformation und Fortschritt.
Richard Hartmann prägte ab Mitte des
19. Jahrhunderts die Industriegeschichte
von Chemnitz. Der aus dem Elsass
stammende Unternehmer gründete die
„Maschinenfabrik Richard Hartmann“, in
der ab 1864 Lokomotiven, Werkzeugmaschinen
und Turbinen gefertigt wurden. Als
„Sächsischer Lokomotivenkönig“ wurde er
zum erfolgreichsten Unternehmer Sachsens
der industriellen Revolution.
Nach Jahren des Leerstands erwarb
Udo Pfeifer 2018 die Hartmannfabrik.
Gemeinsam mit der damaligen Oberbürgermeisterin
Barbara Ludwig entstand
die Idee, das Gebäude in die Bewerbung
zur Kulturhauptstadt 2025 einzubinden.
Für über zehn Millionen Euro wurde es
in Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz
saniert, gefördert von Stadt, Land
und Bund.
Heute bietet die Hartmannfabrik auf
2 000 Quadratmeter einen vielfältigen
Raum mit Büros entlang einer Galerie
sowie mit einer großzügigen Veranstaltungshalle.
Die Halle erzählt die Geschichte
eines Wandels: von der Blütezeit
14 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
INDUSTRIELLES ERBE ALS ZUKUNFTSVISION
Foto: Peter Rossner
der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert
hin zu einem modernen Ort für
Begegnung, Kreativität und Innovation in
einem städtebaulichen Wandel.
Auch über das Kulturhauptstadtjahr hinaus
soll die Hartmannfabrik ein lebendiger,
internationaler und inspirierender Treffpunkt
für die Chemnitzer bleiben. Bis
2029 wird das Gebäude von der Stadt
Chemnitz gemietet. Danach, so Pfeifer in
einem Interview mit der „Freien Presse“
vom 3. Mai 2024, wäre ein städtischer
Kontext sinnvoll. Die nachhaltige und
modulare Innenraumgestaltung, entwickelt
vom Büro „Atelier No.4“, ermöglicht eine
breite Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten.
Im Januar 2025 wurde in der Hartmannfabrik,
dem Besuchs- und Informationszentrum
von Chemnitz 2025, das Jahr der
Kulturhauptstadt eröffnet.
EXPERIMENTIERRÄUME FÜR KREATIVI-
TÄT UND KULTUR
Ebenfalls industriell geprägt, denkmalgeschützt
und sanierungsbedürftig ist der
sogenannte „Garagen-Campus“ im
Stadtteil Kappel, ein weiteres Projekt der
30 Interventionsflächen. Einst war hier
der Betriebshof der CVAG (Chemnitzer
Verkehrs-AG) ansässig, die Fläche diente
als Straßenbahndepot. Nun wird das
Die ehemalige Hartmannfabrik,
in der
Lokomotiven, Werkzeugmaschinen
und
Turbinen gefertigt
wurden, ist 2025 das
zentrale Besuchs und
Informationszentrum
der Kulturhauptstadt.
G+L 15
CHEMNITZ
AM FLUSS
Die Stadt Chemnitz verdankt ihren Namen dem Fluss Chemnitz.
Das Stadtgebiet ist durch Gewässerstrukturen deutlich geprägt.
Es ist demnach nicht verwunderlich, dass Wasser auch
in der Konzeption der Kulturhauptstadt 2025 eine wesentliche
Rolle spielt. Drei besonders wichtige Projekte am Fluss stellen
wir hier vor.
JULIA TREICHEL
AUTORIN
Julia Treichel
absolvierte an der
TU München den
Bachelor und Master
in Landschaftsarchitektur
und arbeitete
danach in diversen
Büros im Raum
München und in
Mailand. Derzeit ist
sie bei michellerundschalk
in München
tätig. Daneben
engagiert sie sich
auch freiberuflich in
Theorie und Praxis zu
sozialen und
gestalterischen
Fragen der Umwelt.
Der Fluss Chemnitz entsteht aus dem
Zusammenfluss von Zwönitz und Würschnitz
im Süden der nach dem Fluss
benannten Stadt. Zahlreiche Bäche und
Gräben durchziehen Chemnitz und leiten
ihr Wasser in die drei Flüsse ein. „Diese
Lebensadern sind ein wahrer Schatz für
das Stadtklima und die Lebensqualität“,
heißt es in einer Broschüre des Umweltamtes
der Stadt Chemnitz zum Leben
am Gewässer aus dem Jahre 2018. Für
das Kulturhauptstadtjahr 2025 wurde
dem Infrastrukturprojekt „Stadt am Fluss“
deshalb auch besondere Priorität
eingeräumt. In diversen Workshops, die
bereits im November 2018 begannen,
wurden ausgewählte Orte am Wasser
als Interventionsflächen der Kulturhauptstadt
bestimmt. Ziel des Konzeptes ist
es, Stadtareale entlang des Flusses zu
beleben. Dabei liegt der Fokus gleich auf
mehreren Projekten.
BACH IN NEUEM STADTTEILPARK
RENATURIERT
Mit elf Hektar Fläche wird der Stadtteilpark
am Pleißenbach in Chemnitz-
Schönau eines der zentralen Projekte im
Rahmen der Kulturhauptstadt Europas
2025. Bereits 2016 wurde ein städtebaulicher
Rahmenplan beschlossen, der
nun schrittweise auf dem Gelände des
ehemaligen Güterbahnhofs Altendorf
umgesetzt wird. Zwischen Beyerstraße
und Rudolf-Krahl-Straße entsteht nicht
nur ein neues Wohn- und Gewerbegebiet,
sondern auch eine großzügige
Parklandschaft als Herzstück des Stadtteilparks,
ergänzt durch Flächen für den
Hochwasserschutz.
Der historische Güterbahnhof verlor über
die letzten Jahrzehnte an Bedeutung und
wurde 2018 endgültig stillgelegt. Zurück
blieb eine brachliegende, von der Natur
teilweise zurückeroberte Fläche, die
jedoch stark verbaut war. Nun wird der
Pleißenbach, der bislang begradigt war,
im Rahmen der neuen Parkgestaltung
renaturiert. Neben ökologischen Verbesserungen
sind auch attraktive Aufenthaltsund
Spielbereiche geplant. Darunter die
sogenannte Ladepromenade, die ihren
Namen wohl dem ehemaligen Ladehof
verdankt. Dieser gehört typischerweise zur
Güterverkehrsinfrastruktur eines Bahnhofs
und dient der effizienten Be- und Entladung
von Waren. Auch die sogenannten
Gleisgärten erinnern an die ehemalige
Nutzung. Das Leipziger Planungsbüro
Station C23, das bereits 2016 eine vertiefende
Studie zum Grünzug Pleißenbach
erarbeitete, zeichnet für die Planung
verantwortlich. „Der neue Stadtteilpark
soll als Verbindung zwischen Natur und
städtischem Leben fungieren und dabei
20 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
CHEMNITZ AM FLUSS
Foto: Franziska Wöllner
Menschen wie der Umwelt gleichermaßen
Raum geben“, erläutern die Planer*innen
auf ihrer Webseite. Ein Premiumradweg
und zwei Brücken – die „Brücke Am
Stadtgut“ sowie die „Talbrücke“ – sorgen
für eine optimale Anbindung an die umliegenden
Stadtteile.
Die Umsetzung schreitet zügig voran: Im
Frühsommer 2023 wurde der erste Bauabschnitt
abgeschlossen, darunter die
Renaturierung des Pleißenbachs und die
Gestaltung der angrenzenden Freiflächen
bis zum neuen Radweg westlich der
Rudolf-Krahl-Straße. Die Gewässerbauarbeiten
sollten bis Ende 2024 beendet
sein, während abschließende Arbeiten
und Pflegeleistungen bis Mai 2025 erfolgen.
„Sofern keine unerwarteten Unterbrechungen
aufkommen, kann ab dann
der Grünzug vollumfänglich genutzt
werden“, heißt es vonseiten der Stadt.
SONNENBADEN IN NEUER PARK-
ANLAGE
Das ehemalige Flussbad Altchemnitz, eine
weitere Interventionsfläche im Rahmen der
Kulturhauptstadt Europas 2025, knüpft an
eine traditionsreiche Chemnitzer Praxis an:
das Flussbaden. Bereits 1922 eröffnete
hier das städtische „Fluss-, Luft-, Sonnenund
Schwimmbad“, das über Jahrzehnte
hinweg Badefreudige anzog. Nach einer
Hochwasserkatastrophe im Jahr 2002,
Im südlichen Teil des
Chemnitzer Stadtparks
gestaltete die Stadt
das ehemalige
Flussbad Altchemnitz
in eine moderne
Parkanlage um.
G+L 21
AUF DEM
PURPLE
PATH
In Ehrenfriedersdorf
warten drei Wildschweine
von Künstler
Carl Emanuel Wolff auf
die Besucher*innen des
Purple Path.
AUTORIN
Julia Maria Korn
studierte Kunstgeschichte,
Archäologie
und Geschichte in
Bonn. Seit Anfang
2024 arbeitet sie als
Redakteurin im Team
von Georg Media und
ist Editorial Manager
unserer Zeitschrift
Restauro.
Der Purple Path der Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025
zeigt Kunstwerke von internationalen, deutschen und sächsischen
Künstler*innen. Das Narrativ des Kunst- und Skulpturenwegs
lautet „Alles kommt vom Berg“ und nimmt Bezug auf die
Geschichte von Chemnitz, aber auch des Erzgebirges, Mittelsachsens
und des Zwicker Landes und ist zugleich Ausgangspunkt
für viele weitere Geschichten rund um Kunst und Kultur
der Region. Konsequenterweise wurden dann auch Chemnitz‘
38 Partnerkommunen im Umland miteinbezogen und an
der Präsentation der Kunstwerke beteiligt. Eine Auswahl von
drei Arbeiten stellen wir hier vor.
JULIA MARIA KORN
32 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
AUF DEM PURPLE PATH
CARL
EMANUEL
WOLFF –
WILD-
SCHWEINE
Wer in Ehrenfriedersdorf nahe des
Besucherbergwerks spazieren geht, mag
zunächst erschrecken, wenn er aus der
Ferne drei Wildschweine erblickt. Sie
liegen, stehen und sitzen dort – nach
näherer Betrachtung stellt man jedoch
fest, dass es sich bei den Wildschweinen
um Bronzefiguren handelt. Die drei
lebensgroßen Wildschweine wurden von
Carl Emanuel Wolff (*1957 in Essen)
geschaffen. Der Künstler, der von 1999
bis 2024 an der Hochschule für Bildende
Kunst in Dresden als Professor
für Dreidimensio nales Arbeiten und
Bild hauerei lehrte, studierte von 1978 bis
1984 an der Düsseldorfer Kunstakademie
und war Meisterschüler bei Gotthard
Graubner. Zu Wolffs Arbeiten zählen
vorrangig Skulpturen und Installationen.
Das Motiv des Wildschweins kommt
in seinem Œuvre wiederkehrend vor.
Mit den drei Wildschweinen wird auf
eine Legende Bezug genommen, laut
der vor rund 800 Jahren mithilfe von
Wildschweinen Zinnstein entdeckt
wurde. Bewoh ner*innen beobachteten,
dass das Fell der Wildschweine schimmerte,
nachdem sie sich im Schlamm
gesuhlt hatten. Sie gruben daraufhin am
heutigen Sauberg nach Erz, wurden
fündig und begründeten so den Bergbau
in der Region.
links: Foto: Daniel Dost; rechts: Foto: Ronny Küttner
G+L 33
STADTPLÄTZE MIT
PARKCHARAKTER
Chemnitz zeigt, wie Stadtplätze neu gedacht werden können:
Historische Parkanlagen werden zu modernen Treffpunkten
mit Erholungscharakter. An Schillerplatz und Lessingplatz im
Stadtteil Sonnenberg verbinden sich Denkmalschutz, Bürgerbeteiligung
und zeitgemäße Planung zu lebendigen Stadträumen,
die für das Kulturhauptstadtjahr 2025 eine neue Bühne
erhalten. Einblicke in die Herausforderungen und Chancen
dieser Freiraumgestaltung.
LAURA LOEWEL
Zwei prägende Freiräume des Chemnitzer
Stadtteils Sonnenberg haben sich im
Zuge des Kulturhauptstadtjahrs gewandelt.
Einst durch bauliche Eingriffe und
die Zeit gezeichnet, entwickeln sie sich
jetzt zu Orten der Begegnung und
Erholung. Der Weg zur heutigen Gestalt
war geprägt von der Herausforderung,
die Geschichte der Orte zu respektieren
und moderne Anforderungen zu
berücksichtigen.
VON DER DURCHGANGSFLÄCHE ZUM
AUFENTHALTSORT
Der Schillerplatz im Stadtteil Sonnenberg
ist denkmalgerecht saniert worden und
hat sich vom Durchgangsort zum Aufenthaltsplatz
gewandelt. Der kleine Park soll
den Bürger*innen wieder als Erholungsraum
dienen. Die Planungen blieben nicht
ohne Kritik, dennoch ist die Fläche nun
für die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025
überplant worden.
Von einer vormals großräumigen Fläche
von über sechs Hektar ist nach mehreren
räumlichen Eingriffen im 19. und
20. Jahrhundert nur ein Bruchteil des
historischen Schillerplatzes erhalten
geblieben. Ende des Jahres 2023
beschloss der Chemnitzer Stadtrat die
Sanierung der Anlage gemäß dem
historischen Vorbild. Neumann Gusenburger
Landschaftsarchitekten aus Berlin
erarbeiteten den Entwurf.
Nach einem diskussionsfreudigen und
kritikbehafteten Planungsprozess wurde
der Schillerplatz umgestaltet. Wegeführungen
wurden reduziert und entsiegelt. Untergeordnete
Wege sind in wassergebundener
Wegedecke ausgeführt und gemäß
der historischen Pläne im Stil des Englischen
Landschaftsgartens wieder zu einer
organischen Gestaltsprache zurückgeführt
Der kleine Park am
Schillerplatz, hier noch
vor der Sanierung, soll
Bürger*innen wieder
als Erholungsraum
dienen.
Foto: Florian Etterer
38 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
STADTPLÄTZE MIT PARKCHARAKTER
Oben: In Chemnitz
Sonnenberg sanierte
die Stadt die Anlage
am Schillerplatz nach
historischem Vorbild.
Unten: Dabei wurde
auch der „Klapperbrunnen“
von Bildhauer
Johann Belz
saniert.
Plan: Neumann Gusenburger Landschaftsarchitekten
Berlin; Foto: Harry Härtel
worden. 185 Rhododendren wurden zur
Rahmung der Flächen neu gepflanzt.
Die Pläne für die zentral gelegene Mittelachse
wurden kritisiert. Sie wurde von
sechs auf zwölf Meter erweitert: mit einer
zentralen Wegeführung aus Basaltmosaikpflaster
und einer Erweiterung aus wassergebundener
Wegedecke mit dort situierten
Sitzgelegenheiten. Hierfür wurden zehn
Gehölze entnommen, an anderer Stelle
wurden 13 neue Bäume gepflanzt.
Der seit 2018 inaktive „Klapperbrunnen“
war einst im Rahmen der Errichtung des
Omnibusbahnhofs von Bildhauer Johann
Belz entworfen worden. Belz ließ sich von
der Natur inspirieren: Die Funktionsweise
des Brunnens ahmt das Verhalten von
Pflanzenblättern bei Regen nach, indem
die einzelnen Elemente bei Erreichen eines
bestimmten Füllstands nach unten klappen.
Der Brunnen wurde für rund 490 000 Euro
saniert, schreibt die Stadtverwaltung
Chemnitz auf ihrer Webseite. Zuschüsse
kamen aus der Politik sowie vom Freistaat.
Die Verbreiterung der Mittelachse und
die damit einhergehende, notwendige
Fällung von zehn Gehölzen waren die
maßgeblichen Kritikpunkte aus der Bürgerschaft.
Als „unökologisch“ titulierte
die Initiative von Mitgliedern aus Nabu,
BUND, Stadtforum und Agendabeirat die
Pläne, berichtete die Freie Presse in einem
Artikel vom 28. Februar 2024.
G+L 39
CHEMNITZ
IM PARK
Im Kulturhauptstadtjahr 2025 werden auch Chemnitzer Parks
wie der Frei-Otto-Park und der Park Morgenleite zu Interventionsflächen.
In beiden Fällen beteiligten sich die Menschen
vor Ort wesentlich an deren Umgestaltung. Im Rahmen der
Kulturhauptstadt Europas umgesetzt, sollen die Interventionen
über 2025 hinauswirken.
JULIA TREICHEL
links: Im revitalisierten
Park Morgenleite
im Süden von Chemnitz
laden Sonnenliegen
auf der Wiese zur
Rast ein.
Chemnitz zählt insgesamt 32 Parkanlagen.
Besonders bekannt sind der weitläufige
Stadtpark, der historische Küchwald und
der idyllische Schloßteichpark, die zu den
beliebtesten Naherholungsgebieten zählen.
Doch im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres
2025 spielen auch andere Grünanlagen
eine wichtige Rolle.
Um herauszufinden, welche Orte für die
Bevölkerung besonderes Potenzial haben,
wurde noch in der Bewerbungsphase
zur Kulturhauptstadt 2025 durch die
Befragung von Bürger*innen nach Orten
im Stadtgebiet gesucht, die im Kulturhauptstadtjahr
als Interventionsflächen
dienen sollten.
GESTALTUNGSIMPULSE FÜR PARK MIT
LANGER GESCHICHTE
Im Gebiet Chemnitz West fiel die Wahl
bei einem öffentlichen Bürger*innenforum
auf den Frei-Otto-Park in Siegmar. Wo
sich heute der Stadtpark erstreckt, war
rechts: Entlang der
Hauptwege des
Parks Morgenleite
wurden mehrere
Bewegungselemente
neu aufgestellt.
44 G+L
CHEMNITZ – KULTURHAUPTSTADT EUROPAS 2025
CHEMNITZ IM PARK
Fotos: Franziska Wöllner
bis zur Grundsteinlegung des Rathauses
der Gemeinde Siegmar im Jahre 1904
eine Auenwiese entlang des Kappelbachs.
Die sogenannte Kappelbachaue
wurde alsbald nach den Plänen des
Kunstgärtners Schwarz aus Einsiedel zu
einem Park umgestaltet. Bereits um
1907 entstand so ein gepflegter, architektonisch-regelmäßiger
Schmuckplatz
vor dem Rathaus, in dem jedoch bereits
Kinderspielbereiche integriert wurden.
Geschwungene Wege mit begleitender
Baum- und Strauchvegetation,
offene Wiesenbereiche sowie ein Parkteich
mit kleinem Bachlauf bestimmten
das Bild. Ein Fußweg mit einer Eisenbrücke
ermöglichte die Querung des
zu jener Zeit bereits begradigten Kappelbaches,
der als südliche Grenze des
Parks fungierte.
Über die nächsten drei Jahrzehnte führten
der Zusammenschluss mit Schönau, die
zunehmende Anzahl an Einwohner*innen,
aber auch die gesteigerte
Wirtschaftskraft und damit einhergehender
Wohlstand zur Erweiterung der Parkanlage.
Gleichsam kam es während des
Ersten und Zweiten Weltkrieges und bis
1948 zu Einschnitten, da auf der Parkanlage
Kartoffeln und anderes Gemüse
angebaut wurden, um das Überleben der
Bevölkerung zu sichern. Nach dem Krieg
wurde außerdem Trümmerschutt auf den
Grünflächen abgeladen. Weiterhin verlegte
die Sowjetisch-Deutsche Wismut AG
– ein Bergbauunternehmen, das sich
zwischen 1946 und 1990 zum weltweit
viertgrößten Produzenten von Uran entwickelt
hatte – ihren Sitz in das ehemalige
Rathaus, wodurch Teile des Parks zeitweise
zum Sperrgebiet wurden. Nachdem
der Park wieder öffentlich zugänglich
war, wurden in den 60er-Jahren
Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen,
darunter etwa die Erneuerung der
Brücken und die Errichtung von zeitgemäßen
Spielgeräten.
Der Stadtpark hatte sich über das vergangene
Jahrhundert hinweg somit stetig mit
den gesellschaftlichen und politischen
Gegebenheiten entwickelt. Im Rahmen
der Kulturhauptstadt 2025 kommt es nun
erneut zu umfassenderen Gestaltungsimpulsen,
um den Erholungswert und die
Aufenthaltsqualität zu steigern. Das
wesentliche Hauptelement stellt dabei
die lange Sitzbank mit Pergola dar, die
sich am Rondell des Verbindungsweges
zwischen Adolf-Weinhold-Straße und
Rosmarinstraße befindet. Sie stellt eine
G+L 45