Baumeister 3/2025
Bestand und Umbau
Bestand und Umbau
Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!
Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.
B3
BAU
März 2025
122. JAHRGANG
Das Architektur-
Magazin
MEISTER
Weiterbauen
4 194673 018502
03
D 18,50 €
A,L 20,95 €
CH 2 4 , 9 0 S F R
Mutig bauen,
stapeln,
weiterdenken
COVER: ALI DASHTI ON PEXELS
TITELBILD Keine Sorge, beim
Thema Weiterbauen achten wir
mehr auf Nachhaltigkeit als der
Burger auf unserem Cover auf
seine Nährwerte. So sind alle
vorgestellten Projekte im Heft
nicht nur eleganter anzusehen,
sondern auch deutlich besser
für unsere Welt.
Liebe Leserinnen und liebe
Leser, „Weiterbauen“ – das
klingt nach Pragmatismus,
nach Improvisation, nach
Fortschritt ohne Umwege.
Und vielleicht genau
danach, was wir in diesen Zeiten am meisten brauchen.
Denn unsere Welt verändert sich rasant: Klimakrise, Materialknappheit,
neue Technologien – und dazwischen wir,
die Architekturschaffenden, die aus dem Vorhandenen
etwas Neues formen müssen.
Doch steckt im Weiterbauen nicht viel mehr als bloß eine
Notwendigkeit? Vielleicht ist es sogar unsere größte
Chance. Eine Chance, die Vergangenheit mit der Zukunft
zu verweben, Bestehendes zu bewahren und es gleichzeitig
weiterzudenken. Eine Chance, nicht abzureißen,
sondern umzunutzen, nicht zu verschwenden, sondern
zu transformieren.
Und genau hier kommt unsere Bauindustrie ins Spiel. Nie
waren unsere Werkzeuge präziser, unsere Daten intelligenter,
unsere Möglichkeiten grenzenloser. Digitale Zwillinge
geben uns einen nie dagewesenen Blick in die Potenziale
von Bestandsbauten. Künstliche Intelligenz berechnet in
Sekunden, wo wir besser sanieren statt abreißen könnten.
Zirkuläre Bauweisen machen aus dem Rückbau wertvolle
Ressourcen für die Zukunft. Der Bestand ist keine Last –
er ist unsere größte Ressource. Deshalb werfen wir in dieser
Ausgabe einen Blick auf all jene, die genau das bereits heute
umsetzen. Wir zeigen, wie KI-gesteuerte Gebäudemodelle
Sanierungsprojekte revolutionieren, warum Städte zu
Rohstofflagern werden und wie Architekten weltweit den
Bestand als kreative Spielwiese entdecken. Vom Upcycling
historischer Bauten über modulare Holzsysteme bis hin zu
smogfressenden Fassaden – die Innovationen sind da, wir
müssen sie nur nutzen.
Diese Ausgabe ist ein Plädoyer für den Mut, den Wandel
nicht als Hindernis, sondern als Einladung zu verstehen.
Denn wir haben die Werkzeuge, wir haben das Wissen –
jetzt brauchen wir die Entschlossenheit, unsere gebaute
Welt zukunftsfähig zu machen. Lassen Sie uns also nicht auf
das Weiterbauen blicken wie auf eine Kompromisslösung.
Sondern wie auf das, was es wirklich ist: die intelligenteste,
nachhaltigste und schönste Form der Architektur.
Ich freue mich schon sehr auf Ihre Rückmeldungen zu dieser
Ausgabe. Viel Freude beim Lesen!
Herzlichst,
Tobias Hager
Chefredakteur
t.hager@georg-media.de
03
II
Ideen
Teil III: Inspiration
ab
Seite 73
Wie können ältere und alte Gebäude durch klugen
Umbau nicht nur erhalten, sondern auch neu
interpretiert werden? Denkmalpflege und zeitgemäße
Ansprüche treffen aufeinander.
12 Kaffeespeicher
wird Fotomuseum
in Rotterdam
24 Neue Ortsmitte
in Niederwerrn
36 Wohn- und
Geschäftshaus
in Wien
46 Mehrzweckhalle
in Ingerkingen
54 Sanierung der
Ausstellungshalle auf
der Mathildenhöhe
in Darmstadt
Positionen
Seite 68
Was wird aus dem
Tuberkulosesanatorium
von Alvar und Aino
Aalto in Paimio?
11
S TANDORT
Rotterdam
AU F TR AG G E B E R
Stilwerk Hamburg, 2016 bis 2023;
Nederlands Fotomuseum,
Rotterdam, ab 2023
ARCH I TE K TE N -ARBE I T SGE M E I N SCHAF T
Renner Hainke Wirth Zirn
Architekten, Hamburg,
und WDJArchitecten, Rotterdam
TEAM HA M BURG
Karin Renner, Melanie Zirn,
Fabian Schebesta, Sung-Mun An,
Naomi Kadish, Anne Arnbjerg-
Pedersen, Lukas Hähnel
TEAM ROT TE R DA M
Sander Nelissen, Karin Wolf, Ralph
Knufing, Mario Lingga Wisnugraha,
Boris van Hattum, Heleen Pijman-
Rutten, Linde Petit dit de la Roche,
Wessel de Jonge
TR AGW E R KSPL AN U N G
Pieters Bouwtechniek, Delft
HAU S TE CH N I K PL AN U N G
Techniplan, Rotterdam
G U TACHTE R BAU PHYS I K /BR ANDSCH U T Z
Peutz (Mook/
Brandschutzausführung FSE)
BAU U N TE R N E H M U N G
Burgy Bouwbedrijf, Leiden
F E R T I GS TE LLU N G
2024
ERÖFFNUNG FOTOMUSEUM
voraussichtlich Ende 2025
Denkmal mit
Krone
A R C H I T E K T U R 1 9 0 1 / 0 2
J.J. Kanters und J.P. Stok
ARCHITEKTUR SANIERUNG UND AUFSTOCKUNG
Renner Hainke Wirth Zirn Architekten
und WDJArchitecten
FOTOS
Studio Hans Wilschut
Der Kaffeespeicher „Santos“ im Rheinhafen Rotterdam
ist ein bedeutendes Beispiel für die Lagerhausarchitektur
zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zunächst
sollte er für ein Designkaufhaus umgebaut werden, nun
wird dort das niederländische Fotomuseum bis Ende
dieses Jahres einziehen. Renner Hainke Wirth Zirn
Architekten aus Hamburg haben in Kooperation mit
WDJArchitecten aus Rotterdam Entwurf und Ausführung
geplant. Wir befragten dazu die Projektleiterinnen
der Partnerbüros Karin Renner und Karin Wolf.
13
14 B3 / 25 – WEITERBAUEN IMPULS IDEEN INSPIRATION
FOTO UNTEN: ARCHIEF VOPAK KLM AEROCARTO NO 26073/BRON CONTREI
OBEN In der Neubebauung des
Areals bleibt der Kaffeespeicher
als alleinstehendes Denkmal
erhalten. Ziel der Architekten war
der maximal mögliche Erhalt der
historischen Bausubstanz.
UNTEN Luftaufnahme von 1950. Der
Speicher zeugt vom Beginn der
Entwicklung des Rotterdamer
Hafens zu Anfang des 20. Jahrhunderts.
Statt der ursprünglichen
Dachlandschaft mit Windenhäusern,
Aufzugsüberfahrt und Sheddach
krönen ihn heute zwei neue
Geschosse in goldener Hülle.
LINKE SEITE Neu ergänzt wurde der
Luftraum vom Erdgeschoss bis
zum gläsernen Dach im siebten
Geschoss. Er sorgt für Belichtung
und Orientierung im Bestand.
WEITER
15
Niederwerrn hat eine neue
Mitte. Der Projektumfang ist
beeindruckend: Im Zentrum
stehen das Bürgerhaus mit
Bürgercafé (Bildmitte), die
Umnutzung eines ehemaligen
Wohnhauses als Museum, die
sogenannte Energiescheune
als Informations-Hub über
nachhaltige Energiekonzepte,
eine Platzgestaltung
und rundum neue Wege.
S TANDORT
Schulstraße 7, Niederwerrn,
Landkreis Schweinfurt
ARCH I TE K TE N
Schlicht Lamprecht Kern
Architekten, Schweinfurt
E LE K TRO PL AN U N G
IB Bopp, Schweinfurt
PL AN U N G
2019 bis 2024
BAU H E RRIN
Gemeinde Niederwerrn
M I TARBE I T
Franziska Klein, Dominik Malucha
L I CHTPL AN U N G
Day & Light, München
AU S F Ü H R U N G
2022 bis 2024
FÖRDERUNG
Regierung von Unterfranken,
Würzburg
TRAGWERKSPLANUNG
IB Joachim, Schweinfurt
E N E RG I E B E R AT U N G
Mai Bauphysik,
Gerolzhofen
PROJEKTTEAM GEMEINDE NIEDERWERRN
Bettina Bärmann
(erste Bürgermeisterin),
Thomas Brand, Sarina Schurlik,
Andreas Harth
LANDSCHAFTSARCHITEKTEN
Dietz und Partner Landschaftsarchitekten,
Elfershausen
H L S
IB Kiesel, Gerolzhofen
ENTWICKLUNG GESAMTENERGIEKONZEPT
IfE – Institut für Energietechnik,
Amberg
GRUNDERWERB DER GEMEINDE
2016 bis 2022
Kreislauffähig und
urenkeltauglich
A R C H I T E K T U R
Schlicht Lamprecht Kern Architekten
TEXT
Franziska Leeb
FOTOS
Stefan Meyer
Eine alte Scheune, eine Autobahnbrücke und eine
kluge kommunale Liegenschaftspolitik sind Zutaten
dieser bemerkenswerten Zentrumsentwicklung
in einer unterfränkischen Gemeinde.
25
Wo früher Kirche, Wirtshaus und Krämerladen die Menschen
zusammengebracht haben, macht sich heute oft gähnende
Leere breit. In unzähligen ländlichen Gemeinden,
nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa schwächeln
die Zentren. Das Zentrum stärken, eine neue Ortsmitte
schaffen – das ist schnell gesagt. Auch wenn Leerstand
vorhanden ist, scheitern die Vorhaben oft an Besitzverhältnissen
und mangelndem Kooperationswillen der
Eigentümer. Ein langer Atem und eine gute Strategie sind
jedenfalls Grundvoraussetzung. Aber was sind überhaupt
notwendige Inhalte und Eigenschaften einer Ortsmitte des
21. Jahrhunderts? Im unterfränkischen Niederwerrn findet
sich eine Antwort. Dort hat das im benachbarten Schweinfurt
ansässige Büro Schlicht Lamprecht Kern im Zusammenspiel
mit der engagierten Bürgermeisterin ein Ensemble
geschaffen, das architektonisch und programmatisch
vorbildlich ist.
Niederwerrn ist alles andere als ein verschlafenes Nest, das
sei vorausgeschickt. Es gibt Schule und Kindergärten,
Arztpraxen, Einzelhandel, Bankfilialen und ein Seniorenheim.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wuchs der
für die Beschäftigten der Schweinfurter Industriebetriebe
attraktive Wohnort schnell. Das Wachstum entwickelte
sich weg vom historischen Zentrum rund um den Kirchplatz
in Richtung Osten, wo das Siedlungsgebiet mittlerweile bis
an die Stadtgrenze von Schweinfurt reicht. Dazu kommt,
dass die Gemeinde vom Abzug der US-Streifkräfte stark
betroffen war. Die „Conn Baracks“, das Kasernengelände
der US-Heeresgarnison Schweinfurt, befand sich zu etwa
einem Drittel auf Niederwerrner Boden. Was seit Jahrzehnten
fehlte, war ein Ort zum Zusammenkommen und zum
Feiern, eine Ortsmitte. Eine solche neu zu schaffen war eine
der Maßnahmen, die im ab 2014 erstellten „Integrierten
städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK)“ unter
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger festgelegt wurden.
VORAUSSCHAUENDE LIEGENSCHAFTSPOLITIK
Am Übergang vom Altort zu den östlichen Siedlungsgebieten
sollte die neue Mitte liegen, im Nahbereich des Rathauses,
zwischen der Gemeindebibliothek in der ehemaligen
Synagoge und dem Seniorenzentrum. Ehe es an die Umsetzung
gehen konnte, mussten die dazu nötigen Liegenschaften
seitens der Gemeinde erworben werden. Bürgermeisterin
Bettina Bärmann sicherte der Kommune über Jahre
Vorkaufsrechte, leistete Überzeugungsarbeit und kaufte
und tauschte eine Reihe an Immobilien, bis in der künftigen
Ortsmitte das Puzzle an Gebäuden und Plätzen komplett
war, um für die notwendigen Bedarfe adaptiert zu werden.
OBEN Den Architekten gelingt es,
die kleinteilige Ortsstruktur und
lokale Bautradition aufzunehmen
und dennoch zeitgemäß zu
interpretieren. Der einzige Neubau
ist das in zwei giebelständige,
gegeneinander versetzte
Hälften gegliederte Bürgerhaus.
Der westliche Bauteil besteht
aus recyceltem Beton.
RECHTE SEITE Ein Geländeunterschied
von neun Metern sorgt
unter anderem für ein abwechslungsreiches
Umfeld für Bestand
und Neubau.
Ganz ohne Markenbildung kommt man auch im Dorf nicht
mehr aus. „MittenIm“ heißt das neue Bürgerhaus im Herzen
der neuen Ortsmitte. Dieselbe ist auch ohne dieses Branding
als solche leicht identifizierbar, verfügt sie doch (abgesehen
vom Kirchturm) über sämtliche Attribute eines zen-
28 B3 / 25 – WEITERBAUEN IMPULS IDEEN INSPIRATION
WEITER
29
Durch die Auskragung des
Daches entlang der Südfassade
entsteht eine wettergeschützte
Terrasse, die
einen gelungenen Übergang
zum Innenraum bildet.
PROJ E K T
Mehrzweckhalle Ingerkingen
ARCHITEKTUR
Atelier Kaiser Shen, Stuttgart
LANDSCHAFTSPLANUNG
Jedamzik + Partner, Stuttgart
HOLZBAUARBEITEN
Prinz Holzbau KG,
Schemmerhofen-Ingerkingen
STANDORT
Schlägweidestraße 2,
Schemmerhofen
BAUZEIT
November 2021 bis Juli 2024
AUFTRAGGEBERIN
Gemeinde Schemmerhofen
TRAGWERK
Str.ucture GmbH, Stuttgart
BAUPHYSIK UND RAUMAKUSTIK
GN Bauphysik, Stuttgart
BRANDSCHUTZ
Wurm Gesamtplanung,
Ravensburg
RÜCKBAU
Roland Späth
Abbruch- und Straßenbau,
Langenenslingen
ROHBAU
Matthäus Schmid
Bauunternehmen
GmbH & Co. KG, Baltringen
Hallenwandel
in Holz
A R C H I T E K T U R
Atelier Kaiser Shen
FOTOS
Brigida González
TEXT
Helke Kölschbach
Die Mehrzweckhalle in Ingerkingen hat eine
hölzerne Umarmung erhalten, die dem Bestand neues
Leben einhaucht. Das Atelier Kaiser Shen aus Stuttgart
hat Bestand und Geschichte vor dem Abriss bewahrt
und mit Neuem gefüllt.
47
Die Mehrzweckhalle in Ingerkingen
dient als Veranstaltungs-
und Sporthalle und ist
Mittelpunkt des gesellschaftlichen
Lebens im Dorf.
WEITER
49
Die Mehrzweckhalle im oberschwäbischen Ingerkingen,
einem Ortsteil von Schemmerhofen bei Biberach an der Riß,
wurde vom Stuttgarter Atelier Kaiser Shen behutsam
saniert und erweitert. Statt Abriss entschied man sich für
den Erhalt des Bestands und bewahrte so die Geschichte
des Bauwerks. Mit einem innovativen Hallentragwerk aus
Holz, einem nachhaltigen Energiekonzept und einer harmonischen
Verbindung von Alt und Neu setzt die Mehrzweckhalle
neue Maßstäbe für zukunftsweisende Architektur.
Sie bleibt Mittelpunkt des Dorflebens und vereint
Tradition mit modernen Anforderungen.
Im oberschwäbischen Ingerkingen bildet die Mehrzweckhalle
neben der Grundschule, dem Musikerheim und der
Feuerwehr den Mittelpunkt des Dorflebens. Sie ist ein zentraler
Ort, an dem die Menschen zusammenkommen, um
kulturelle, sportliche und gesellschaftliche Veranstaltungen
zu erleben. 2020 hat die Gemeinde Schemmerhofen
einen Wettbewerb ausgerufen, um die Halle wiederzubeleben
und an die Anforderungen der heutigen Zeit anzupassen.
Ob es hierbei um Abriss oder Umbau ging, war nicht
explizit festgelegt. Das Atelier Kaiser Shen gewann den
Wettbewerb mit ihrem innovativen Konzept, das darauf
abzielte, so viel wie möglich vom Bestand zu erhalten und
gleichzeitig eine moderne, funktionale Architektur zu
schaffen.
verleiht der Halle einen modernen und einladenden Charakter.
Das Tragwerk, das sowohl funktional als auch ästhetisch
überzeugt, prägt den Hallenraum und unterstützt die
multifunktionale Nutzung der Halle. Ob Sportveranstaltungen,
Konzerte oder Gemeindeversammlungen – die
Halle bietet für jede Nutzung den passenden Rahmen.
Die Differenzierung zwischen Alt und Neu wurde durch
eine bewusste Materialwahl und Konstruktion betont.
Während der Bestand gedämmt und in Anlehnung an den
Originalputz neu gestaltet wurde, erhielt der Erweiterungsbau
eine hinterlüftete Holzfassade. Diese Fassade, aus
unbehandeltem Holz gefertigt, erzeugt ein lebendiges Lichtund
Schattenspiel, das je nach Tageszeit und Wetter wechselnde
Stimmungen schafft. Im Laufe der Zeit wird die Fassade
eine natürliche Patina entwickeln und das Gebäude
noch stärker mit der umgebenden Landschaft verschmelzen
lassen. Dieses Zusammenspiel aus Bestand und Erweiterung
betont die Vielschichtigkeit der Halle und unterstreicht
ihre Bedeutung als Ort der Begegnung und des
Austauschs.
Auch im Inneren wurde großer Wert auf eine einheitliche
Gestaltung gelegt. Die Hallenwände sind mit Birkensperrholzplatten
verkleidet, was nicht nur eine warme und
Die Halle hat in den vergangenen 60 Jahren viele Umbauten
und unterschiedliche Nutzungen erlebt. Von einer Veranstaltungshalle
entwickelte sie sich zu einer Schulsporthalle,
was ihre typologischen und ästhetischen Qualitäten nach
und nach verloren gehen ließ. Die Herausforderung bestand
darin, den ursprünglichen Charakter der Halle wieder
sichtbar zu machen und gleichzeitig den Anforderungen an
ein modernes Gebäude gerecht zu werden.
Das Ziel des Stuttgarter Architekturbüros, so wenig wie
möglich abzubrechen, wurde mit dem gezielten Erhalt der
Fundamente, Bodenplatten, Decken und Massivwände aus
den 1960er-Jahren umgesetzt. Durch diese Maßnahme
konnten rund 60 Prozent der Baumasse bewahrt werden,
was nicht nur Ressourcen schont, sondern auch einen Beitrag
zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks leistet. Der
Ansatz zeigt, dass Nachhaltigkeit und Ästhetik sich nicht
ausschließen, sondern vielmehr gegenseitig ergänzen
können.
Herzstück der Sanierung ist das innovative Hallentragwerk,
das in Zusammenarbeit mit den Tragwerksplanern von
Str.ucture entwickelt wurde. Ein einhüftiger Doppelgelenkrahmen
aus Brettschichtholz wurde speziell entworfen, um
die Lasten effizient auf den Bestand und die neuen Fundamente
zu verteilen. Diese Konstruktion ermöglichte es, die
vorhandenen Fundamente zu nutzen, und fügte gleichzeitig
eine neue Dimension von Eleganz und Funktionalität hinzu.
Die geschwungene Unterseite der neuen Dachkonstruktion
50 B3 / 25 – WEITERBAUEN IMPULS IDEEN INSPIRATION
STANDORT
Olbrichweg 15, Darmstadt
PROJEKTARCHITEKTIN
Astrid Wuttke
HAUSTECHNIK
ingplan GmbH,
Marburg
SICHERHEITSKONZEPT
exitecture, Frankfurt
(Ergänzung IP, 20.2.23)
BAUHERR
Wissenschaftsstadt Darmstadt,
Eigenbetrieb Kulturinstitute,
vertreten durch Kulturreferent
Ludger Hünnekens
MITARBEIT
Miriam Huesgen, Felicitas Adler,
Christina Nehls, Katharina
Specht, Dieter Hittler, Jörg Hillmann,
Sherif Tony, Kerstin Högel,
Florian Mieden, Jan Plomer u. a.
BRANDSCHUTZ UND
ENERGIEBERATUNG
TSB Ingenieurgesellschaft mbH,
Darmstadt
FERTIGSTELLUNG
September 2024
ARCHITEKTUR
schneider+schumacher,
Frankfurt am Main
TRAGWERKSPLANUNG
Schlier und Partner, Darmstadt
BAUPHYSIK
Schlier und Partner,
Darmstadt
Weiterbauen auf der
Mathildenhöhe
ARCHITEKTUR (EINWEIHUNG 1908)
Joseph Maria Olbrich
SANIERUNG
schneider+schumacher
TEXT
Chuck Winter
FOTOS
Jörg Hempel
Joseph Maria Olbrich zählt zu den wichtigsten Architekten
des Wiener Jugendstils. Doch auch mitten in
Deutschland sind Spuren des Architekten zu finden.
Das Architekturbüro schneider+schumacher hatte nun
die heikle Aufgabe, das von Olbrich entworfene
Ausstellungsgebäude auf der Darmstädter
Mathildenhöhe zu sanieren.
57
Technische Gebäudeausrüstung: Um
internationale Leihgaben entgegennehmen
zu können, musste das Ausstellungsgebäude
für ein konstantes Raumklima
nicht zuletzt mit modernster
Anlagentechnik ausgestattet werden.
Zwischen dem Wiener Getreidemarkt und Karlsplatz funkelt
das berühmte goldene Blätterdach der Secession. Man
könnte den Schriftzug „VER SACRUM“, der an der linken
Hauswand des ansonsten recht schlicht in Weiß gehaltenen
Kubus prangert, wörtlich nehmen: heiliger Frühling. Allerdings
bezogen sich die Künstlerväter der Wiener Secession
rund um Gustav Klimt hier auf den neuen Frühling, den ihre
Kunst für die Gesellschaft bringen sollte. Denn mit der Fertigstellung
des Baus 1898 gaben die Künstler auch eine
gleichnamige Kunst- und Literaturzeitschrift heraus, die
bis zu ihrer Einstellung 1903 die Philosophie der Art nouveau
in jeden Haushalt tragen sollte. Weiß und Gold, das
sind die Farben dieses Prachtexemplars des Wiener Jugendstils,
es stammt von Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908).
EIN GANZES FELD FÜR OLBRICHS KUNST
Die Wiener Werkstätte Josef Hoffmanns und die Architektur
Wagners und Adolf Loos‘ setzen sich deutlich von der
floralen Ornamentik des deutschen Jugendstils ab. Doch
gibt es eine kleine Kolonie – fast schon eine Wiener Insel –
mitten in Deutschland. Mit der Planung des Ausstellungshauses
der Wiener Secession begann Olbrich mit gerade
einmal 29 Jahren. Ziel war es, eine eigene Ausstellungsstätte
für Künstler wie Gustav Klimt, Koloman Moser, Josef
Hoffmann, Josef Engelhart, Adolf Hölzel oder Anton
Nowak zu erbauen, die sich von dem im Wiener Künstlerhaus
vorherrschenden Konservatismus abspalten wollten.
Nach langem Kampf um einen Bauplatz – so die Legende –
überließ der Bürgermeister den Künstlern einen freien
Platz in der Nähe des Wiener Kunsthauses. Vielleicht in
Anspielung auf das Überlassen der kleinen Freistelle an der
Wienzeile äußerte sich Joseph Maria Olbrich bei der Eröffnung
der ersten Ausstellung im Frühjahr 1898 wie folgt seinen
versammelten Künstlerkollegen gegenüber: „Eine Stadt
müssen wir erbauen, eine ganze Stadt! Alles Andere ist
nichts! Die Regierung soll uns […] ein Feld geben, und da
wollen wir dann eine Welt schaffen. Das heist doch nichts,
wenn einer bloß ein Haus baut. Wie kann das schön sein,
wenn daneben ein häßliches ist? Was nutzen drei, fünf,
zehn schöne Häuser, wenn die Anlage der Straße keine
schöne ist? Was nützt die schönste Straße mit den schönen
Häusern, wenn darin die Sessel nicht schön sind, oder die
Teile nicht schön sind? Nein – ein Feld; und da wollen wir
dann zeigen, was wir können; in der ganzen Anlage und bis
ins letzte Detail, alles von demselben Geiste beherrscht, die
Straßen und die Gärten und die Paläste und die Hütten und
die Tische und die Sessel und die Leuchter und die Löffel
Ausdruck derselben Empfindung, in der Mitte aber, wie ein
Tempel in einem heiligen Haine, ein Haus der Arbeit,
zugleich Atelier der Künstler und Werkstätte der Handwerker,
wo nun der Künstler immer das beruhigende und ord-
ZEICHNUNG: INGPLAN GMBH
60 B3 / 25 – WEITERBAUEN IMPULS IDEEN INSPIRATION