Stenografischer Bericht 130. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 17. Wahlperiode – <strong>130.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Donnerstag, den 29. September 2011 15217<br />
(A)<br />
Jürgen Trittin<br />
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]:<br />
Dieses Zaudern und Zögern, diese kleinen Schritte ha- (C)<br />
Ackermann! Nicht die Bürger!)<br />
ben die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler<br />
Das ist das Versagen von Solidarität, und das ist nicht<br />
europäisch; das ist national und klein und borniert.<br />
viel Geld gekostet, weil sie die Krise verlängert und damit<br />
verteuert haben. Das ist das Ergebnis der kleinen<br />
Schritte. Diese Krise ist zu groß für kleine Schritte und<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN offensichtlich zu groß für Sie.<br />
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU –<br />
Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ein Unfug!)<br />
Genau darum geht es. Es geht nicht darum, ob wir die<br />
nächste Tranche für Griechenland zahlen.<br />
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch!)<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />
und bei der SPD)<br />
Ich neige ja manchmal auch zu Lautstärke, lieber Kollege<br />
Brüderle. Aber bei Ihrer Lautstärke habe ich mich<br />
gefragt: Woran mag das wohl liegen? Ich will es Ihnen<br />
Es geht um etwas, das diese Bundesregierung um mehr<br />
als ein Jahr verschleppt hat. Es geht darum, wie dieses<br />
gemeinsame Europa künftig mit solchen Krisen besser<br />
umgehen kann, und zwar bevor man Hunderttausende<br />
Beamte entlassen muss, bevor man die Pensionen kürzen<br />
muss. Um solche Instrumente geht es. Die sollen heute<br />
hier verabschiedet werden. Es geht darum, liebe Freundinnen<br />
und Freunde von der Linken, dass Spekulationen<br />
gegen den Euro und Spekulationen gegen unser gemeinsames<br />
Europa erschwert und verhindert werden.<br />
sagen. Wann hat es so etwas schon einmal gegeben?<br />
Nicht nur Gewerkschaften, sondern auch der Bundesverband<br />
der deutschen Industrie, die Industrie- und Handelskammern<br />
und die deutschen Arbeitgeber mussten öffentlich<br />
einen Brief an die Abgeordneten Ihrer Koalition<br />
schreiben, um sie aufzufordern, der Erweiterung des<br />
Euro-Rettungsschirms zuzustimmen. Man muss sich das<br />
auf der Zunge zergehen lassen. Ausgerechnet diejenigen,<br />
die immer Schwarz-Gelb wollten, die Ihren Wahlkampf<br />
mit Millionen gesponsert haben,<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –<br />
(Unruhe bei der FDP)<br />
Zurufe von der LINKEN)<br />
müssen nun für eine Kanzlermehrheit für den Rettungs-<br />
Diese Aufgabe wird nicht länger einer getriebenen schirm werben. Ich glaube, da haben Sie eine Erklärung<br />
Regierung überlassen. Künftig muss die Bundesregie- für Ihre Lautstärke. Sie wissen, dass Sie sich fürchterlich<br />
rung den <strong>Bundestag</strong> fragen. Wir müssen zustimmen. verrannt haben, meine Damen und Herren.<br />
Künftig gilt Schweigen nicht mehr als Zustimmung. Das<br />
ist ein Gewinn an demokratischer Souveränität. Das hat<br />
dieses Haus gegen diese Regierung durchgesetzt.<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />
und bei der SPD)<br />
(B)<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN<br />
sowie des Abg. Dr. Frank-Walter Steinmeier<br />
[SPD])<br />
Diese Diskussion findet in einem bemerkenswerten<br />
Umfeld statt. Noch nie in der Geschichte der Europäischen<br />
Union war Deutschland so isoliert wie heute.<br />
Ja, es ist wahr. Es gibt keine gemeinsame Währung<br />
ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Es war ein<br />
sehr harter Kampf, lieber Kollege Kauder, den das Europäische<br />
Parlament und die Kommission zu führen hatten,<br />
um diesen neuen Wachstums- und Stabilitätspakt auf<br />
den Weg zu bringen. Interessant ist nur, wenn Sie denen<br />
jetzt auch noch gratulieren. Gegen wen musste dieser<br />
(D)<br />
(Lachen des Abg. Hermann Gröhe [CDU/ Kampf geführt werden? Er musste geführt werden gegen<br />
CSU])<br />
die deutsche Bundesregierung; denn sie war es, die nicht<br />
Sie haben über ein Jahr lang den Ankauf von Staatsanleihen<br />
durch die Stabilisierungsfazilität blockiert, angestiftet<br />
von den Neoliberalen und den Europafeinden aus<br />
Bayern in ihren eigenen Reihen. Sie haben sich öffentlich<br />
gegen einen europäischen Währungsfonds ausgesprochen.<br />
wollte, dass auch die Überschussländer in Ergänzung zu<br />
den Regeln dieses Stabilitäts- und Wachstumspakts<br />
überwacht werden. Da haben Sie eine krachende Niederlage<br />
erlitten, und das ist gut so. Es ist gut so, dass Sie<br />
sich nicht haben durchsetzen können, sondern das Europäische<br />
Parlament.<br />
Als Nächstes geht es um den Europäischen Stabili-<br />
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)<br />
tätsmechanismus. Er stellt die Instrumente für eine Staatsinsolvenz<br />
zur Verfügung. Er ermöglicht einen Schuldenschnitt<br />
mit privater Gläubigerbeteiligung. Und was passiert?<br />
Während die Welt, die USA, China und der Rest<br />
Europas, darauf drängen, dass das möglichst schnell in<br />
Es ist nämlich so, dass die Defizite der einen die<br />
Überschüsse der anderen sind.<br />
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist<br />
Unsinn!)<br />
Kraft gesetzt wird, höre ich heute Morgen von Herrn<br />
Seehofer und zuvor von Herrn Brüderle: Nein, so schnell<br />
geht das nicht; da müssen wir noch ein bisschen nachbessern<br />
und nachdenken. Was passiert mitten in der<br />
Krise? Diese Koalition spielt erneut auf Zeit.<br />
– Lieber Kollege Krichbaum, Sie wissen das als Vorsitzender<br />
des Europaausschusses sehr gut. Es ist an der<br />
Zeit, dass Deutschland seine gravierende Nachfrageschwäche<br />
endlich behebt. Es ist Zeit dafür. Ich sage Ihnen,<br />
es ist deswegen Zeit dafür, weil nur das dazu führen<br />
Liebe Frau Bundeskanzlerin, Sie haben versucht, die- wird, dass diese Krise, die keine Krise der Defizitländer<br />
ses Auf-Zeit-Spielen bei Günther Jauch als Politik der ist, sondern eine Krise des gesamten Euro-Raumes,<br />
kleinen Schritte zu verharmlosen. Aber ich sage Ihnen: überwunden wird. Das ist der Grund, warum das Parla-