Baumeister 4/2025
Sicherheit
Sicherheit
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B4
BAU
April 2025
122. JAHRGANG
Das Architektur-
Magazin
MEISTER
Sicherheit
4 194673 018502
04
D 18,50 €
A,L 20,95 €
CH 2 4 , 9 0 S F R
Absolute
Sicherheit gibt
es nicht.
COVERFOTO: RONA BAR & OFEK AVSHALOM / CONNECTED ARCHIVES
TITELBILD Ob diese behelfsmäßige
Absperrung der Bronzestatue bei
Nacht tatsächlich hilft? Ist nicht
sicher ...
Sicherheit – ein Wort, das
beruhigen soll und doch
oft das Gegenteil bewirkt.
Wir alle sehnen uns nach ihr, aber wir wissen auch: Absolute
Sicherheit gibt es nicht. Ein Gebäude kann vor Regen und
Kälte schützen, eine Stadt kann durchdacht geplant sein –
aber kann Architektur wirklich garantieren, dass wir uns
sicher fühlen? Oder schafft sie nur eine Illusion davon?
Und ist das Gefühl von Sicherheit am Ende nicht genauso
wichtig wie die Sicherheit selbst?
Allein das letzte Jahr hat uns wieder vor Augen geführt, wie
fragil unsere gebaute und gelebte Umgebung ist. Einstürzende
Brücken, schlecht gewartete Hochhäuser und Naturkatastrophen,
die ganze Stadtviertel zerstören. Gleichzeitig
wächst die Angst vor Angriffen in öffentlichen Räumen,
und in vielen Städten entstehen Maßnahmen, die urbane
Plätze und Gebäude in Hochsicherheitszonen verwandeln.
Doch müssen wir unsere gebaute Realität wirklich zu Bollwerken
aus Beton und Kameras umbauen, um uns sicher zu
fühlen? Oder gibt es eine intelligentere Antwort auf die
Frage nach Schutz?
Architektur kann keine absolute Sicherheit garantieren, aber
sie kann Vertrauen schaffen. Sie kann Räume formen, die
Geborgenheit vermitteln, ohne Freiheit einzuschränken. So
hat Architektur dieses einmalige Potenzial, genau diesen
Balanceakt zu meistern. Vom feuer- und erdbebensicheren
Schulbau bis zum wohlüberlegten Entwurf öffentlicher
Plätze: Sicherheitsarchitektur darf nicht nur auf Kontrolle und
Barrieren setzen, sondern muss Vertrauen und Freiheit
ermöglichen. Eine kluge Materialwahl kann beispielsweise
ein Gefühl von Offenheit bewahren, ohne auf Schutz zu verzichten.
Es darf schließlich nicht um Abschottung, sondern
muss um proaktive Gestaltung gehen.
Dabei darf Sicherheit nicht zur Ästhetik des Misstrauens
werden. Mauern, Gitter, Barrieren und enge Räume mögen
Risiken minimieren, doch sie trennen uns auch voneinander.
Sie ersticken nur allzu oft das Leben. Der beliebteste Ort
ist innen wie außen oft dort, wo Menschen sich begegnen,
wo Licht und Transparenz dominieren, wo Architektur
als soziales Bindemittel wirkt und damit einem größeren
Ziel dient.
Diese Ausgabe ist eine Einladung, Sicherheit neu zu denken.
Wir zeigen Projekte, die beweisen, dass Schutz nicht Kontrolle
bedeuten muss, sondern Vertrauen. Dass Architektur
nicht nur Mauern errichtet, sondern auch Brücken baut –
zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Kontrolle und
Offenheit. Denn wahre Sicherheit entsteht nicht durch
Angst, sondern durch kluge (Um-)Planung, durch mutige
Gestaltung und durch eine Gesellschaft, die sich nicht
abschottet, sondern proaktiv das Ruder in die Hand nimmt.
Viel Freude beim Lesen!
Herzlichst,
Tobias Hager
Chefredakteur
t.hager@georg-media.de
03
II
Ideen
Sicherheit in der Architektur bedeutet mehr als
Barrieren und Alarmanlagen. Wie Planerinnen und
Planer sicherheitsrelevante Gestaltungspotenziale
in der Bauform finden
10 Zentrales Skulpturendepot
in Potsdam
18 Gefahrenabwehrzentrum
in Gießen
30 Stasi-Unterlagen-Archiv
in Chemnitz
40 Stadtbahntunnel
in Karlsruhe
50 Werkrealschule
wird Grundschule
in Ostfildern
58 Bayerische
Landespolizei
in Passau
Positionen
Seite 26
„Mit einem Restrisiko
müssen wir leben“
Seite 47
„Wer nicht hören will,
muss fühlen“
Seite 66
Vorschau
und
Impressum
09
STANDORT
Friedrich-Engels-Straße 78/79,
Potsdam
BAUHERR
Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten Berlin-Brandenburg
TEAM
Ann-Katrin Lepke,
Jennifer Schulz,
Jacob Steinfelder, Constanze
Knoll, Manuela Jochheim,
Dirk Richter (Projektkoordination
Bauleitung), Fabian Weber
(Oberbauleitung)
PLANUNG VERKEHRSANLAGEN
Merkel Ingenieur Consult,
Potsdam
HAUSTECHNIK
IPROconsult GmbH,
Dresden
DEPOTPLANUNG
Prevart GmbH,
Winterthur
F E R T I GS TE LLU N G Z E N TR ALDE POT
FÜR KUNSTGUT
Februar 2018
ARCHITEKTUR
Staab Architekten GmbH,
Berlin
PL AN U N G U N D R E ALISIER U N G
TRAGWERKSPLANUNG
Mathes Beratende
Ingenieure GmbH,
Dresden
BRANDSCHUTZ
Dr. Zauft Ingenieurgesellschaft
für Bauwesen mbH,
Potsdam
FERTIGSTELLUNG SKULPTURENDEPOT
Oktober 2024
SKULPTURENDEPOT
Angelika Egner (Projektkoordination),
Wiebke Henning (Projektleitung)
FREIRAUMPLANUNG
Beusch Landschaftsarchitekten,
Potsdam
BAUPHYSIK/BAUAKUSTIK
Müller-BBM GmbH, Berlin;
Arup Deutschland GmbH,
Berlin
Sicher
aufbewahren
A R C H I T E K T U R
Staab Architekten
FOTOS
Marcus Ebener
TEXT
Oliver G. Hamm
Nahe dem Potsdamer Hauptbahnhof wurden
zwei Depotgebäude der Stiftung Preußische Schlösser
und Gärten errichtet. Das erste ist bereits 2018
fertiggestellt worden, das zweite folgte Ende letzten
Jahres; beide stammen von Staab Architekten. Das
jüngste Gebäude, das zentrale Skulpturendepot,
kommt mit bemerkenswert wenig Anlagentechnik aus.
11
Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-
Brandenburg (SPSG) mit Sitz in Potsdam verfügt über ein
Wissenschafts- und Restaurierungszentrum am Rand
des Parks Sanssouci und dazu über ein Zentrales Kunstgutdepot
(seit 2018) sowie ein im September 2024 vollendetes
Zentrales Skulpturendepot auf dem Areal des ehemaligen
Reichsbahn-Ausbesserungswerks nahe dem Hauptbahnhof.
Das jüngste Bauwerk, wie die anderen Gebäude
vom Berliner Büro Volker Staab Architekten geplant,
dient der Einlagerung von Skulpturen und Objekten der
Keramischen Sammlungen unter optimalen klimatischen,
konservatorischen und sicherheitstechnischen Bedingungen.
Bisher hatte man sie auf verschiedene Standorte
verteilt, die dafür dauerhaft oft ungeeignet waren.
Das Skulpturendepot ergänzt das Kunstgutdepot in stadträumlich-architektonischer
Hinsicht: Es greift dessen
an die umliegenden Gewerbebauten angelehnte Grundstruktur
eines langgestreckten Baukörpers mit einer
bewegten Dachlandschaft auf. Zum gemeinsamen Hof mit
der Anlieferungszone des Skulpturendepots bleibt es
zweigeschossig, während es sich zu den Bahngleisen im
Norden bis zu drei Geschosse aufschwingt. Die helle
Klinkerfassade ähnelt jener des Kunstgutdepots; auch sie
wird vor allem durch schmale Entrauchungspaneele rhythmisiert
und nur an wenigen Stellen durch Fenster und
auf der Südseite durch ein Band vertikaler Metallpaneele
im Erdgeschoss akzentuiert.
Die vermeintliche Sheddach-
Konstruktion entpuppt sich
bei genauerem Hinsehen als
OBEN Gemeinsamer Arbeitshof
und Anlieferung auf der Südseite
des Skulpturendepots
(links im Bild)
Reihung nicht etwa von Oberlichtbändern, sondern schrägen
Dachflächen für die Photovoltaik-Paneele, mit deren
Hilfe beide Depotgebäude mit Strom versorgt werden.
UNTER AUSSCHLUSS DER ÖFFENTLICHKEIT
Im südlichen Kopf bau des Skulpturendepots, hinter der
Lkw-Vorfahrt mit einem grazilen Vordach, befinden
sich ein Verpackungslager, die Haustechnik und ein großzügiges,
aber schlichtes, offenes Treppenhaus für die
Depotmitarbeiter. Beide Depotgebäude sind nicht öffentlich
zugänglich, da dies höhere Anforderungen an die
konservatorische Sicherheit der Kunstgüter und an
die raumlufttechnischen Anlagen sowie höhere Bau- und
Betriebskosten zur Folge gehabt hätte.
Die eigentlichen Depoträume werden durch graue Stahlbetonwände,
-decken und -stützen geprägt; die geschliffenen
Stahlbetonböden messen 45 beziehungsweise 75 Zentimeter
im Erdgeschoss und tragen die metallischen Skulpturenpaletten,
Schwerlastregale und Auf bewahrungsschränke.
Quadratische flache LED-Leuchten im regelmäßigen Raster
und schmale Lichtbänder gewährleisten eine Beleuchtung
12 B4 / 25 – SICHERHEIT IMPULS IDEEN INSPIRATION
„ Mit einem
Restrisiko
müssen wir
leben“
POSITION
René Allonge
INTERVIEW
Julia Maria Korn
Kunstkriminalität gerät wegen spektakulärer Fälle
immer wieder in die Schlagzeilen. René Allonge,
Leiter des Dezernats für Kunstdelikte beim
Berliner Landeskriminalamt, sprach mit uns über die
Sicherheit in Museen, über Ausstattung
und die zunehmende Gefahr von Vandalismus.
26 B4 / 25 – SICHERHEIT IMPULS IDEEN INSPIRATION
BAUMEISTER Herr Allonge, Sie sind Kriminalist
und seit 2009 Chefermittler für Kunstkriminalität
im LKA Berlin. Was war Ihr
spektakulärster Fall in Bezug auf Kulturgüterkriminalität,
der sich im musealen
Bereich abgespielt hat?
RENÉ ALLONGE Für uns als Ermittler steht nicht
die Spektakularität eines Falls im Vordergrund.
Ein besonders schlimmer Fall, an den
ich mich noch erinnere, war die Tat eines
Schweizer Staatsangehörigen, der sich zwischen
2005 bis 2012 als Wissenschaftler
ausgab und so Zugang zu seltenen Tierpräparaten
in musealen Sammlungen erhielt.
In der weiteren Folge gelang es dem Mann
damals, unbeaufsichtigt seltene Tierfedern
ausgestorbener Vogelarten zu stehlen,
um sie weiterzuverkaufen. Die Diebstähle
wurden erst mit einigem Zeitverzug
von den Museen entdeckt. Berlin war
damals auch betroffen. Der Mann konnte
später in der Schweiz dingfest gemacht
werden. In seinem Haus fanden sich große
Museen müssen sich
immer mit der Thematik
Sicherheit auseinandersetzen
– das liegt in
der Natur der Sache.
Bestände gestohlener Federn aus Diebstählen
in mehreren europäischen Museen. Den
betroffenen Häusern und der Wissenschaft
war ein Millionenschaden entstanden.
Ich fand diese Tat besonders verwerflich,
weil der Mann aus reiner Gewinnsucht
einzigartige Präparate ausgestorbener Tierarten
unwiederbringlich zerstört hatte.
BAUMEISTER In den letzten Jahren gab es einige
Museumseinbrüche, in Berlin, Dresden,
Manching und auch in Köln. Müssen sich
Museen stärker mit der Thematik auseinandersetzen
und zukünftig damit rechnen,
dass Einbrüche vermehrt vorkommen
können?
RENÉ ALLONGE Museen müssen sich immer mit
der Thematik Sicherheit auseinandersetzen
– das liegt in der Natur der Sache,
denn eine zentrale Aufgabe von Museen ist
der Schutz der ihnen anvertrauten Exponate.
Im Wesentlichen geht es darum, dass
man bestehende Sicherungseinrichtungen
ständig auf ihre Funktionalität und Wirksamkeit
kontrolliert sowie vernünftig
wartet. Jedes Museum, das vor einer Investition
in neue Sicherungseinrichtungen
steht, sollte sich auch mit innovativen Techniken
auseinandersetzen. Auf dem Gebiet
der Einbruchsprävention hat sich in den
zurückliegenden Jahren viel getan.
Die spektakulären Einbrüche der letzten
Zeit in Museen könnten in der Öffentlichkeit
vermitteln, dass solche Taten zahlenmäßig
stark zunehmen. Diesen Trend können
wir als Ermittler so nicht bestätigen. Trotzdem
müssen alle Akteure im Bereich der
Museumssicherheit ständig wachsam sein.
Routine und eine damit verbundene Blindheit
in den Betriebsabläufen können sich im
Schadensfall als großer Fehler herausstellen.
BAUMEISTER In den Fällen von Berlin und
Dresden wurden die Täter bereits verurteilt.
Gab es bei den Gerichtsverhandlungen
Hinweise auf den Verbleib der gestohlenen
Objekte aus Dresden, besteht noch Hoffnung
etwas zu finden? Die Goldmünze „Big
Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum wurde
ja wahrscheinlich eingeschmolzen.
RENÉ ALLONGE Als Ermittler geben wir die
Hoffnung nie auf, gestohlene Objekte aus
Straftaten eines Tages wiederzufinden.
Allerdings müssen auch wir uns den Realitäten
stellen. Im Fall des Einbruchs in
das Bode-Museum im März 2017 war uns
schon bei der Sicherung des Tatorts
aufgrund der Spurenlage schnell klar, dass
wir die gestohlene 100-Kilogramm-Goldmünze
Big Maple Leaf nicht mehr in
dem Zustand wiederfinden, wie sie wegkam.
Während der damaligen Ermittlungen
erhielten wir mitunter sehr abenteuerlich
klingende Hinweise auf den Verbleib
der Münze. Am Ende haben
wir die Goldmünze nie
gefunden – nur einige
Mikrospuren des einmaligen
Golds in Fahrzeugen
der damaligen Verdächtigen
sowie Kleidung, die
ihnen zugerechnet wurde.
BAUMEISTER Neben Einbrüchen spielen
auch aktivistische Tätigkeiten, die die
Kunstwerke mehr und mehr zu bedrohen
scheinen, beim Thema Sicherheit
Als Ermittler geben wir
die Hoffnung nie auf,
gestohlene Objekte aus
Straftaten eines Tages
wiederzufinden.
WEITER
27
Zum Bestand des Stasi-
Unterlagen-Archivs Chemnitz
gehören rund sieben Kilometer
Material: 2,3 Millionen
Karteikarten, über 71.000
Fotodokumente und 200
Tonträger. Es gibt eine Dauerausstellung,
und man
kann sich für einen Rundgang
anmelden.
STANDORT
Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-
Archiv Chemnitz,
Lothringer Straße 10, Chemnitz
BAUHERR
FME Verwaltungs GmbH & Co. GG
Adorfer Straße KG,
Oelsnitz/Erzgebirge
NUTZER
Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-
Archiv Chemnitz
ARCHITEKTUR
Heine Mildner Architekten BDA,
Dresden
PROJEKTVERANTWORTLICHE
Lydia Heine, Diana Lindenau,
Thorsten Mildner, Stefan Schmidt
PROJEKTSTEUERUNG/BAULEITUNG
Kaiser Baucontrol Ingenieurgesellschaft
mbH, Dresden
TRAGWERKSPLANUNG
Kröning und Schröter Ingenieurpartnerschaft
mbB, Dresden
TECHNISCHE GEBÄUDEAUSRÜSTUNG
Innius GTD GmbH, Dresden
BRANDSCHUTZ
Planungsbüro Bullmann,
Chemnitz
BAUPHYSIK/WÄRMESCHUTZ
Ingenieurbüro Bauklimatik,
Dresden
BAUAKUSTIK/SCHALLSCHUTZ
Akustik Bureau Dresden
Ingenieurgesellschaft mbH,
Dresden
BAUBEGINN
Januar 2020
FERTIGSTELLUNG
August 2022
AUSZEICHNUNG
Sächsischer Staatspreis
für Baukultur 2024
Repräsentativer
Tresor
ARCHITEKTUR UMBAU
Heine Mildner Architekten
FOTOS
Till Schuster
In Chemnitz wurde ein DDR-Industriebau
für die Aufnahme eines Stasi-Unterlagen-Archivs (BSTU)
umgebaut. Das Bestandsgebäude stellte sich
als nahezu ideal für die neue Nutzung heraus. Es galten
höchste Sicherheitsanforderungen an Brand-,
Sach- und Datenschutz.
31
WEITER
33
Für das ehemalige, inzwischen leerstehende Robotron-
Gebäude „VEB-Datenverarbeitungszentrum Karl-Marx-
Stadt“ an der Lothringer Straße/Bruno-Salzer-Straße
in Chemnitz wurde 2019 im Auftrag eines privaten Bauherrn
eine Machbarkeitsstudie erstellt, um zu untersuchen,
ob das Gebäude für die Unterbringung des Stasi-Unterlagen-
Archivs der Außenstelle Chemnitz geeignet ist. Es stellte
sich heraus, dass das Gebäude die Auf bewahrung von rund
7,5 Kilometer Unterlagen der ehemaligen Bezirksverwaltung
für die Staatssicherheit Karl-Marx-Stadt sehr gut
ermöglicht.
Das zweigeschossige Gebäude aus den 1960er-Jahren befindet
sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum 2015 fertiggestellten
Sächsischen Staatsarchiv Chemnitz und nimmt
heute neben einer sachgerechten Unterbringung der
Archivbestände auch die dazugehörigen Verwaltungsflächen
auf. Der DDR-Systembau besteht konstruktiv aus einer
inneren zweigeschossigen, hochbelastbaren Halle und einer
umlaufenden separaten Konstruktion, welche seinerzeit
für die Büronutzung konzipiert wurde. Dieses grundlegende
Prinzip ließ sich ideal für die gewünschten Anforderungen
nutzen und wurde deshalb beibehalten.
Von der Bruno-Salzer-Straße kommend, wird der Besucher
über die Rampe zum Eingang geführt. Das repräsenative
Entrée liegt an der internen Erschließungsstraße vis-à-vis
zum Zugang des Staatsarchivs. Ein großzügiges, überhöhtes
Foyer begrüßt den Besucher und bietet neben dem
Empfang Möglichkeiten, wechselnde Ausstellungen zu
präsentieren. Im dunklen, von äußeren Einflüssen geschützten
inneren Gebäudebereich dagegen sind die klimatisierten
Magazinräume und entlang der belichteten Außenfassade
die Büroräume verortet. Obwohl sich das Gebäude
durchaus selbstbewusst präsentiert, nimmt die Außengestaltung
Bezug auf die anderen beiden Gebäude des
Robotron-Komplexes. Das benachbarte Peretz-Haus etwa
ist als Kulturdenkmal eingetragen, daher musste der
Umgebungsschutz durch die Ausformulierung eines sensiblen
Übergangs zwischen Staatsarchiv und BStU beachtet
werden. Dazu gab die Nutzung des Gebäudes als Archiv
für Stasi-Unterlagen Anlass genug, einen Dialog zwischen
Alt und Neu herzustellen.
Das Gelände zwischen Lothringer Straße und Bruno-Salzer-
Straße ist geprägt von seinem industriellen Charakter.
Diese Atmosphäre wird durch die neue grüne Fassadenbekleidung
aufgenommen. Das Gebäude erhielt neue Fenster
und Außentüren aus eloxierter Aluminium-Metall-Glas-
Konstruktion mit außenliegendem Sonnenschutz sowie
farbige Aluminium-Wellplatten mit Wärmedämmung.
Zusammen mit gelben Markisen entsteht eine lebhafte Collage,
die das heterogene Umfeld ergänzt. Der der Nutzung angemessene
kontemplative Charakter wird durch eine stimmiges
Farbkonzept aus Rot-, Blau- und Gelbtönen abgerundet.
Die Haupttragelemente des Bestands sind Stahlbetonstützen,
die durch Wände und Schächte aus Stahlbeton ausgesteift
werden. Besonders eindrucksvoll wird der innenliegende
Hauptraum durch Pultdachbinder überspannt,
auf denen Dachkassettenfertigteile das Dach bilden. Diese
typisierten Bauteile sind nur mit minimalen statischen
Toleranzen versehen, sodass eine intensive Auseinandersetzung
mit dem Bestand kritisch für den Planungserfolg
war. Und doch konnten fast alle statischen Elemente weiterverwendet
werden. Im Magazin-/Archivbereich wurden
zudem neue mechanische Rollregalanlagen montiert.
Dieses Projekt zeigt beispielhaft, wie vergleichsweise minimalintensiv
ein vorgefundenes Bestandsgebäude für eine
gänzlich neue Nutzung ertüchtigt und wie die bestehende
Struktur mit den neuen Elementen zu einer gestalterischen
Einheit zusammengebracht werden kann. So zeugt der
Erhalt der bestehenden Tragstruktur von einem durchgehenden
und gesamtplanerischen Nachhaltigkeitsgedanken.
Nicht zuletzt wird durch den Erhalt des Gebäudes auch
ein Stück Geschichte bewahrt – Geschichte, die nicht unproblematisch
ist.
Text: Heine Mildner Architekten
34 B4 / 25 – SICHERHEIT IMPULS IDEEN INSPIRATION
STANDORT
Gerhard-Koch-Straße 6,
Ostfildern bei Stuttgart
BRANDSCHUTZGUTACHTER
Halfkann + Kirchner,
Stuttgart
HAUSTECHNIK
Ingenieursgesellschaft
für Ausrüstung MBH, Pforzheim
BAUHERR
Stadt Ostfildern, i.V. Technisches
Gebäudemanagement FB,
Ostfildern
ARCHITEKTUR
LRO GmbH & Co. KG, Stuttgart
Marc Oei, Katja Pütter,
Klaus Hildenbrand, Heiko Müller
BAUPHYSIK
GN Bauphysik Finkenberger +
Kollegen Ingenieurgesellschaft
mbH, Stuttgart
PRÜFSTATIK
Bürogemeinschaft Nellingen/
Kuhlmann Gerold Zipperlen,
Ostfildern
VERMESSUNGSTECHNIK
metricplus GmbH, Ostfildern
SIGEKO
Wiesler Zwirlein Architekten
Partnerschaft mbB, Ostfildern
FERTIGSTELLUNG
bis 12/24
Brandschutztechnisch
aufgerüstet
ARCHITEKTUR
LRO GmbH & Co. KG
FOTOS
Roland Halbe
Nur wenige Architekturbüros erhalten die Chance,
ein eigenes älteres Projekt sicherheitstechnisch
nachzurüsten. Genau damit wurde jedoch
das Stuttgarter Büro LRO beauftragt, das vor knapp
25 Jahren – 1999 bis 2002 – eine Werkrealschule
in Ostfildern realisiert hatte. Nun sollte sie
zur Grundschule mit Ganztagsbetreuung umgebaut
und vor allem mit möglichst minimalen Eingriffen
an die veränderten baurechtlichen Brandschutzvorgaben
angepasst werden.
51
OBEN Eine einfache, klare Raumanordnung
in Reihe haben der
Schule zu einem klaren, langgestreckten
Baukörper verholfen.
Die zusätzlich notwendigen Treppenhäuser
rückten die Architekten
mit etwas Abstand davor
als skulpturale Ergänzung. Die beiden
neuen Treppen auf der Ostseite
sind durch eine überdachte
Passarelle miteinander
verbunden.
RECHTS MITTE UND UNTEN Der Schulbau
von 2002 zeichnet sich durch
eine zweischalige Ziegelkonstruktion
aus, die ursprünglich
geringere Kosten verursachte,
höhere Speicherkapazität, einen
weitaus höheren Dämmwert und
längere Haltbarkeit versprach –
zu Recht, wie sich herausstellte.
Die neuen Betonbrücken bilden
das Pendant zu den ebenfalls
skulptural gestalteten Entlüftungskaminen
der Sporthalle.
52 B4 / 25 – SICHERHEIT IMPULS IDEEN INSPIRATION
Der Entwurf von 1999 war von Anfang an auf Dauerhaftigkeit
ausgelegt. So war es gut möglich, ohne großen Aufwand
eine Anpassung des Raumprogramms vorzunehmen,
da sich das Konzept mit seinen beiden klar gegliederten
Klassenzimmertrakten baulich wie auch in der Raumaufteilung
für unterschiedliche Schulkonzepte eignet. Nun
wurden etwa Werkräume in Musik- und Kunsträume umgewidmet
sowie die Sanitärräume auf Grundschülerhöhe
angepasst. Ein größerer Eingriff bestand in der Verfünffachung
der Küchenkapazität und der Erweiterung der Mensa
von 80 auf bis zu 400 Essen. Dies erforderte eine bauliche
Umstrukturierung und den Ausbau der technischen Ausstattung
– vorwiegend der Lüftung.
Höchste Priorität bei der Umbauplanung hatte dabei der
Erhalt der Typologie sowie der prägenden Raumidee mit der
großzügigen, offenen „inneren Straße“. Die Umwidmung
war allerdings auch eine Gelegenheit, einen der Kritikpunkte
der Nutzerinnen und Nutzer anzunehmen: die Überhitzung
des Gebäudes im Sommer. Denn die bestehende Nachtauskühlung
war nicht so genutzt worden wie ursprünglich
gedacht – die Handhabung und das Wissen darüber waren
verlorengegangen. Inzwischen ist die Nachtauskühlung
automatisiert, in beiden Bauteilen wurde die Frischluftzufuhr
optimiert, damit die kühlere Nachtluft von unten
besser nachströmen kann und die warme Luft am Oberlichtband
entweicht.
Außerdem konnten jetzt einzelne Bauteile einfach durch
neue, höherwertige Produkte ausgetauscht werden – etwa
die Markisen mit einem höheren Reflexionsgrad und geringerer
Transmission. Die bestehende, durchlaufende und
geschickt versteckte Leitungsführung über den Einbauschränken
an den Flurseiten der Klassenzimmer erleichterte
die erforderlichen Nachinstallationen der Haupttrassen
für Strom und elektronische Medien enorm.
Die Robustheit und die tektonische Ehrlichkeit des Gebäudes
mit seinem Sichtmauerwerk außen und innen, dem
Sichtbeton mit rauer Bretterschalung außen und innen und
kaum Trockenbau oder verputzten Wänden kam zwar
der Dauerhaftigkeit zugute, erschwerte jedoch die Nachinstallation
für nun sicherheitsrelevante Bauteile: Für Rauchmelder,
Sicherheitsbeleuchtung, Fluchtweg-Piktogramme,
Verkabelung zur Steuerung der Offenhaltung von Brandschutztüren
und so fort mussten jeweils individuelle Lösungen
gefunden werden. Im direkten Vorher-Nachher-
Vergleich fallen sie allerdings kaum ins Gewicht.
ZUM BRANDSCHUTZ
Zusammengefasst bestanden die Maßnahmen in der unauffälligen
Bildung getrennter Brandabschnitte, aus einem
zweiten Fluchtweg über Bypass-Türen zu neuen Fluchttreppen
und einer flächendeckenden Brandmeldeanlage. Im
Einzelnen waren das:
1. Zum Pausenhof hin: Anbau zweier Fluchttreppentürme
mit Überdachung (Betontreppen, Pausenunterstand,
Schattenspender, Fassung Außenbereich Mensa)
2. Ergänzung Fluchttreppenhaus straßenseitig (Stahltreppe,
darunter Vergrößerung Anlieferung/Lager Hausmeister)
3. Ergänzung Fluchttreppenhaus Nord mit einer Betontreppe
4. Ergänzung innenliegendes Fluchttreppenhaus in
ehemaliger Hausmeisterwohnung
5. in der oberen Ebene das Herstellen eines direkten Fluchtwegs
nach draußen über Bypass-Türen zwischen den
Klassenzimmern zu den Fluchttreppen. Sie erleichtern
auch die gleichzeitige Aufsicht benachbarter Räume.
6. Rauchabschnittstrennung der Flurhalle in mittlerer
und oberer Ebene im längeren Bauteil per Verglasung
(RS-Türen mit Offenhaltung)
7. brandschutztechnische Trennung von Speisesaal und
Flur mittels großer, offenstehender, verglaster Brandschutztüren
(T30RS-Türen mit Offenhaltung)
8. flächendeckende Installation von Rauchmeldern,
kombiniert mit einer automatischen Brandmeldeanlage
9. Ertüchtigung und Nachrüstung der Klassenzimmertüren
(rauchdicht und selbstschließend)
10. Nachrüstung der Sicherheitsbeleuchtung
Dazu kam die Anpassung an Normen und den Stand der
Technik wie etwa die Ertüchtigung der Geländer- und Brüstungshöhen,
eine erneuerte Blitzschutzanlage und eine
optimierte Trinkwasserhygiene. Bei der Gelegenheit kam
außerdem eine PV-Anlage auf die Dachf lächen (150 kWp);
außerdem wurden der Sonnenschutz optimiert ebenso
wie die Nachtauskühlung durch Automatisierung und Integration
einer neuen Lüftungsanlage im Speisesaal verbessert.
Text: LRO GmbH & Co. KG
Zur Entfluchtung der oberen Ebene in beiden Bauteilen
wurden fünf neue Treppen ergänzt, vier davon außenliegend
– als Kompensation, damit die großzügige, offene und
lichtdurchflutete Treppenhalle lediglich in zwei Rauchabschnitte
unterteilt werden musste. Große Bypass-Türen
zwischen den Klassenzimmern ermöglichen nun zwei
unabhängige Fluchtwege direkt nach draußen.
WEITER
55
M 1:0.000 M 1:1.000
1 Mensa
2 Essensausgabe
3 Küche
4 Lehrküche
5 Technik
6 Lager
7 Klassenzimmer
8 Medienraum
9 Kursraum
10 Gruppenraum
11 Nebenraum
12 Büro
13 Mitarbeiter
14 Bewegungsraum
15 Elektrik-Verteiler
16 Leitung
17 Lehrerzimmer
18 Besprechung
19 Sozialarbeiter
Längsschnitt
Querschnitte
Lageplan
Untere Ebene
56 B4 / 25 – SICHERHEIT IMPULS IDEEN INSPIRATION