25.03.2025 Aufrufe

978-3-422-06880-3_CARLGustavCarusNaturundIdee

978-3-422-06880-3

978-3-422-06880-3

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!

Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.



CARL

GUSTAV

CARUS

Natur und Idee



CARL

GUSTAV

CARUS

Natur und Idee

Katalog

Deutscher Kunstverlag


Inhalt

7 Vorwort

8 Grussworte

10 Dank

15 Autorinnen

und Autoren

16 Einführung

PETRA KUHLMANN-HODICK,

GERD SPITZER, BERNHARD MAAZ

18 Lebensdaten

Carl Gustav Carus (1789 −1869)

Carl Gustav Carus

Kunst

24 Künstlerische Anfänge

DIRK GEDLICH

Kat. - Nr. 1 – 27

46 Rügen

GERD SPITZER

Kat. - Nr. 28 – 52

70 Dresden und Pillnitz

GERD SPITZER

Kat. - Nr. 53 – 79

96 Italien

PETRA KUHLMANN-HODICK

Kat. - Nr. 80 –107w

120 Poesie und Geschichte

BERNHARD MAAZ

Kat. - Nr. 108 –144

156 Geognostische Landschaften

DIRK GEDLICH

Kat. - Nr. 145 –176

186 Naturstudien

PETRA KUHLMANN-HODICK

Kat. - Nr. 177 – 221

220 Späte Kohlezeichnungen

PETRA KUHLMANN-HODICK

Kat. - Nr. 222 – 238

4


Carl Gustav Carus

Schriften

238 Medizin und Heilkunde

ALBRECHT SCHOLZ UND PETER SCHNECK

Kat. - Nr. 239 – 250

Carl Gustav Carus

Dialoge

326 Carus und

Johann Wolfgang von Goethe

STEFAN GROSCHE

250 Zootomie, vergleichende

Anatomie und Physiologie

OLAF BREIDBACH

332 Carus und

Alexander von Humboldt

INGO SCHWARZ

Kat. - Nr. 251 – 268

272 Cranioskopie

und Konstitutionslehre

KATHLEEN MELZER

Kat. - Nr. 269 – 278

286 Philosophie, Ästhetik und

Biographie

DIETRICH VON ENGELHARDT

Kat. - Nr. 279 – 295

338 Carus und Lorenz Oken

OLAF BREIDBACH

344 Carus und

Caspar David Friedrich

GERD SPITZER UND

PETRA KUHLMANN-HODICK

352 Carus und Ludwig Tieck

STEFAN GROSCHE

Carl Gustav Carus

Sammlungen

356 Carus und

Johann von Sachsen

ANNIKA JOHANNSEN

304 Carus’ Kunstsammlungen

PETRA KUHLMANN-HODICK UND

ALBRECHT SCHOLZ

Anhang

312 Das Carus-Album

der Städtischen Galerie Dresden

ANGELA BÖHM

314 Carus’ naturwissenschaftliche

Sammlungen

364 Übersicht der außer

Katalog gezeigten Werke

374 Literatur

387 Personenregister

390 Fotonachweis

392 Impressum

PETRA KUHLMANN-HODICK UND

ALBRECHT SCHOLZ

317 Die Schädel- und Abguss-Sammlung

des Carl Gustav Carus

KATHLEEN MELZER

INHALT 5


Einführung

Erst mit 78 Jahren, nur zwei Jahre vor seinem Tode, zog sich

Carl Gustav Carus von seiner 56 Jahre lang ausgeübten ärztlichen

Tätigkeit zurück; ein halbes Jahrhundert lang und mit

größter Resonanz hatte er sich seinem Beruf in Dresden gewidmet.

Carus’ Wirken als Mediziner war begleitet von einer

weitläufigen naturwissenschaftlichen, kulturtheoretischen und

philosophischen Publikationstätigkeit – er legte Dutzende

selbständige Schriften vor, verfasste zahlreiche Aufsätze, hielt

Vorlesungen an den medizinisch-anatomischen, naturwissenschaftlichen

und philosophischen Fakultäten von Leipzig und

Dresden und erbaute mit Vorträgen und in Gesprächsrunden

die Angehörigen des sächsischen Hofes, dem er als Leibarzt

40 Jahre lang zu Diensten war. Er bewegte sich ebenso selbstverständlich

auf dem Parkett der Dresdener Kunst-, Musik-,

Theater- und Literaturwelt. Neben seinem Wirken in mehreren

ärztlichen und naturwissenschaftlichen Gesellschaften leitete

er von 1833 bis 1842 auch den Sächsischen Kunstverein.

Carus war ein glühender Bewunderer Johann Wolfgang von

Goethes. Er stand im Gedankenaustausch mit Wissenschaftlern

wie Alexander von Humboldt und Lorenz Oken. Zudem

gehörte er zum Dante-Kreis des Prinzen und späteren

Königs Johann von Sachsen. Er war mit vielen Künstlern

befreundet, in der Wahlheimatstadt Dresden vor allem mit

Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl, ebenso

wie mit dem Dichter Ludwig Tieck, später mit den Malern

Julius Hübner und Eduard Bendemann, aber auch in Berlin,

etwa mit dem damals führenden deutschen Bildhauer Christian

Daniel Rauch. Nicht zuletzt als ausübender – allerdings

nebenberuflicher – Künstler hinterließ er ein beeindruckendes

Œuvre: Über 400 Gemälde von seiner Hand verzeichnet

Marianne Prause 1968 in ihrem Werkverzeichnis; etwa 900

Zeichnungen befinden sich in Museumsbesitz, überwiegend

in Dresden und Oslo. In den Romantiker-Sälen und -Ausstellungen

firmieren Werke von Carus seit langem unangefochten

unter den Hauptattraktionen – inzwischen werden sie

auch von Museen im Ausland gekauft.

Ein Zielpunkt der Ausstellung ist es, Carus’ vielschichtiges

Wirken in seiner Gesamtheit vor Augen zu führen, weil die

eigentliche Bedeutung dieses Universalisten in seiner Zeit –

diese Überzeugung eint die Autoren und Kuratoren – tatsächlich

erst in der Ganzheit seiner Bemühungen zu finden ist. Vor

diesem Hintergrund kann auch das künstlerische Werk von

Carus gesehen werden, das in unserer Ausstellung so umfangreich

wie niemals bisher kennenzulernen ist. Carus war Arzt

und Naturwissenschaftler, Schriftsteller und Philosoph, und

die Vielseitigkeit seiner Tätigkeitsbereiche wird – in ihrer

engen Wechselwirkung – zum Gegenstand der Ausstellung.

Künstler war Carl Gustav Carus eigentlich nur im Nebenberuf,

und doch gehört er auch auf diesem Gebiet zu den bemerkenswertesten

Kräften seiner Zeit. Die Lebensleistung von

Carus ist in ihrem ganzen Umfang schwer erfassbar. Bereits

1858 schrieb der Weimarer Maler Friedrich Preller d. Ä. in

einem Brief über ihn: »Wer, wie ich, so glücklich war oder ist,

in seinem Hause genauer bekannt zu sein, überzeugt sich von

vielem, was man im gewöhnlichen Leben für unmöglich hält.

Wie man u.a. die Zeit ausnützen kann, muß man von ihm lernen.

Denken Sie, daß er als Dilettant vielleicht mehr ausgeführte

große und kleine Bilder gemalt hat, als ich, Hunderte

großer Zeichnungen in Kohle gefertigt hat, und alles dies weit

über den gewöhnlichen Dilettantismus weg geht.«

Carl Gustav Carus und sein Lebenswerk – das ist nicht nur ein

Dresdener Thema, obwohl der Name in der Stadt seines jahrzehntelangen

Wirkens sicherlich bekannter sein dürfte als andernorts.

Die überregionale Bedeutung der Persönlichkeit, der

unbestritten hohe Rang dieses Wissenschaftlers und Künstlers

im Umfeld seiner Zeit wird bei einer näheren Beschäftigung

vollkommen anschaulich. So erklärt es sich, dass nicht nur die

Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sondern auch die

Staatlichen Museen zu Berlin seit längerem ein Ausstellungsprojekt

zu diesem Künstler planten, das jetzt von beiden Institutionen

gemeinsam realisiert werden konnte. Die Nationalgalerie

gehört zu den führenden Museen für Malerei der deut-

16


schen Romantik mit zahlreichen herausragenden Werken.

Darunter befinden sich auch fünf Gemälde von Carl Gustav

Carus, und unter ihnen ist wohl das bekannteste jenes kurz

nach seiner zweiten Italienreise entstandene Gemälde Balkon

in Neapel, das 1992 durch den »Verein der Freunde der Nationalgalerie«

für die Sammlung erworben werden konnte.

Carus ist als Künstler seit seiner Wiederentdeckung, zuerst bei

der Jahrhundertausstellung 1906 und dann verstärkt seit den

1920er Jahren, stets zum Romantiker-Kreis um Caspar David

Friedrich in Dresden gerechnet worden. Das ist zweifellos

richtig, doch war dies für die Beschreibung und Beurteilung

der Eigenart von Carus und seiner Kunst lange Zeit wohl eher

hinderlich als förderlich. Carus wurde in den großen Ausstellungen

gerade mit seinen Friedrich nahestehenden Arbeiten

gezeigt, oft als Friedrich-Ergänzung, um nicht zu sagen Friedrich-Ersatz,

wenn Leihgaben von Friedrich nicht zu erreichen

waren. Der Maßstab Friedrich ist aber für die Bewertung der

künstlerischen Eigenart von Carus nur bedingt tauglich. Tatsächlich

ist eben in der möglichsten Annäherung von Carus an

die Vorbilder von Friedrich das Kriterium für die Eigentümlichkeit

seines Werkes aufs Ganze gesehen nicht zu finden.

Vielleicht hilft hier eher eine Bemerkung von Friedrich über

Carus weiter, die letzterer uns selbst übermittelte. Nach dem

Zeugnis von Carus »erfreute ihn übrigens sehr ein gewisser

freier Naturalismus in meinen Bildern, wie er eben nur aus

unzähligen Naturstudien vollkommen hervorzugehen pflegt«.

Wie nahezu jedes Unternehmen dieser Art baut auch unsere

Ausstellung auf den Fundamenten auf, die andere vor uns gelegt

haben, worunter vor allen anderen Marianne Prause zu gedenken

ist, und ein so großes Projekt bedurfte anteilnehmender

kollegialer Hilfe, die uns von vielen Seiten zuteil wurde. Dafür

sei allen sehr herzlich gedankt.

Petra Kuhlmann-Hodick · Gerd Spitzer · Bernhard Maaz

EINFÜHRUNG 17



Lebensdaten

Carl Gustav Carus (1789−1869)

1789

Geboren am 3. Januar in Leipzig.

1799–1804

Nach Privatunterricht im Elternhaus Aufnahme in das Leipziger Thomas-

Gymnasium. Zeichenunterricht bei Julius Athanasius Dietz (um 1770–1843).

1804

Beginn des Studiums in Leipzig. Besuch naturwissenschaftlicher und philosophischer

Lehrveranstaltungen.

1805

Wanderung mit Julius Athanasius Dietz über Meißen nach Dresden, erster

Besuch der Dresdener Gemäldegalerie.

1806 –1809

Medizinstudium in Leipzig. Besuch psychologischer und philosophischer

Vorlesungen sowie der Leipziger Zeichenakademie unter Veit Hans Schnorr

(1764–1841) und Johann August Friedrich Tischbein (1750–1812).

1809

Tätigkeit am St.-Jacobs-Hospital. Famulus in der Praxis des Geburtshelfers

Johann Christian Gottfried Joerg (1779–1856). Beginn der langjährigen

Freundschaft mit dem Philologen Johann Gottlob Regis (1791–1854).

1810

Im April Geburt des ersten Kindes. Carus hat in den folgenden Jahren

mit seiner Frau Karoline fünf Töchter und sechs Söhne (darunter drei

Totgeburten; nur zwei der Kinder überleben den Vater). Sophie Charlotte

(1810–1838), Ernst Albert (1812–1816), Mariane Albertine (1814–1868),

Gustav Albert (1817–1891), Caroline Cäcilie (1819–1895), Oscar Theodor

(1822), August Wolfgang (1824–1859), Johanna Eugenia, genannt Jenny

(1827–1852).

1811

Magister liberalium artium. Philophische und Medizinische Dissertation.

Dozentur zur vergleichenden Anatomie an der Leipziger Universität.

Heirat mit Karoline Carus geb. Carus.

1811–1814

Assistenzarzt am Entbindungsinstitut der Trier’schen Stiftung unter Christian

Gottfried Joerg. Tätigkeit als Armenarzt. Erstes bedeutendes Frühwerk:

Frühlingslandschaft im Rosenthal, 1814.

1813

Tätigkeit im französischen Militärhospital in Leipzig-Pfaffendorf.

1814

Berufung nach Dresden als Professor für Geburtshilfe und als Leiter des

Entbindungsinstitutes der provisorischen Lehranstalt für Medizin und

Chirurgie. Am 2. November Umzug der Familie und der Eltern nach Dresden

in die Dienstwohnung der Entbindungsanstalt im Oberzeugwärterhaus

neben dem Kurländer-Palais.

1815

Am 17. Oktober offizielle Bestätigung der Professur für Geburtshilfe und

Umwandlung der provisorischen Lehranstalt in die Königlich-Sächsische

Chirurgisch-Medicinische Akademie (1815–1864).

1816

Erste Teilnahme an der Dresdener Akademie-Ausstellung mit vier Werken.

Bis 1843 nahm Carus regelmäßig an den Akademie-Ausstellungen teil.

1817

Reise über Halle nach Berlin.

1818

Am 2. Februar erste briefliche Erwähnung der Bekanntschaft mit Caspar

David Friedrich (1774–1840). Erste Auflage des Lehrbuchs der Zootomie.

Beginn des über zehnjährigen Briefwechsels mit Johann Wolfgang von Goethe

(1749–1832). Gründungssekretär der Dresdener Gesellschaft für Natur- und

Heilkunde. Aufnahme in die Leopoldinisch-Carolinische Akademie der

Naturforscher (Leopoldina). Reise mit Caspar David Friedrich und Friedrich

Gotthelf Kummer (1782–1854) in die Sächsische Schweiz. Bekanntschaft mit

dem Landschaftsmaler Johan Christian Dahl (1788–1857).

1819

Reise nach Rügen gemeinsam mit Julius Athanasius Dietz und Friedrich

Gotthelf Kummer.

1820

Sendung von zwei Gemälden an Goethe. Im August Reise nach Karlsbad,

Marienbad und Prag mit Heinrich David August Ficinus sowie ins Riesengebirge

und ins Zittauer Gebirge. Erste Auflage des Lehrbuchs der Gynäkologie.

Das Gemälde Hünengrab bei Mondschein auf der Dresdener Akademie-

Ausstellung.

Carl Christian Vogel von Vogelstein: Carl Gustav Carus · 1825

Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden · Inv.-Nr. C 2918

19


22 LEBENDER KOLUMNENTITEL


CARL GUSTAV CARUS

KUNST

LEBENDER KOLUMNENTITEL 23



Künstlerische Anfänge

»Erschlossen werden soll also das Auge, daß es das wundervolle,

eigenste Leben der Natur wahrnehme; geübt werden soll die

Hand, daß sie fähig sei, den Willen der Seele schnell, leicht

und schön zu vollziehen; das ist es, was einziger Zweck der

Belehrung in aller bildenden Kunst sein kann [...].« 1

Diesen Gedanken scheinen bereits die hier dem künstlerischen

Frühwerk zugeordneten Arbeiten von Carl Gustav Carus

verpflichtet, die von den ersten zeichnerischen Versuchen

seiner Kindheit bis ins Jahr 1818 reichen, als der Einfluss Caspar

David Friedrichs auf die Bildsprache und Motivwahl des

jungen Arztes und Malerdilettanten spürbar wird. Im Sommer

jenes Jahres, wenige Wochen bevor Carus zum dritten Mal in

Folge einige seiner neu entstandenen Werke zur Akademischen

Kunstausstellung in Dresden gab und daraufhin in den Kritiken

zum wiederholten Male lobend erwähnt wurde, schrieb

er an seinen Freund Johann Gottlob Regis nach Leipzig:

»Mein Marius auf Carthagos Ruinen ist beendigt und wird mit

zur Ausstellung wandern, es ist das grösste, aber auch das beste

Bild, was ich bisher gemacht. […] Ich finde wirklich, dass ich

seit dieses Jahres Anfang beträchtlich im Aussprechen dessen,

was ich freilich vorher ebenso gut gedacht, vorgerückt bin und

ich danke hierin Friedrich recht viel, inwiefern er mir über das

eigentliche Kunstgemässe, (was doch einmal gefordert wird

und geleystet sein soll) manche Andeutung gegeben hat, die

mich finden liess, was ich ohne sie erst nach einer langen Reise

misslungener Versuche gefunden hätte.« 2 In diesen Zeilen

deutet sich der Beginn des intensiven Gedankenaustausches

mit seinem späteren Freund und Mentor Caspar David Friedrich

an, der eine neue Phase in Carus’ künstlerischem Schaffen

einläutete. Das Fundament für die Aneignung der durch

Friedrich vermittelten Kenntnisse und den Erwerb neuer Fertigkeiten

bildeten aber die Fähigkeiten im Zeichnen und Malen,

die Carus bis 1818 bereits entwickelt hatte.

Viele der frühen Arbeiten von Carus offenbaren trotz einzelner

technischer Schwächen eine erstaunliche Auffassungsgabe

und überzeugen durch ihre naturnahe Darstellungsweise.

Die auf Spaziergängen oder kleineren Reisen meist unmittelbar

vor dem Objekt gezeichneten Studien lassen bereits die später

in den Briefen über Landschaftsmalerei (Kat.-Nr. 279 u. 280) geforderte

»Ehrfurcht« und »Andacht« beim Nachbilden der »verschiedenen

Seiten des Erdlebens« sowie die Notwendigkeit

eines »naturwissenschaftlichen Teiles« innerhalb des Zeichenunterrichts

erkennen. 3 So verwundert es nicht, dass die während

der künstlerischen Ausbildung gesammelten praktischen Erfahrungen

in die kunsttheoretischen Reflexionen einflossen,

welche Carus in seinen Landschaftsbriefen seit 1815 schriftlich

niederlegte.

Obgleich seine Landschaftsbriefe weniger als Ratgeber für

den praktizierenden Künstler, sondern vielmehr als universale

Kunsttheorie angelegt waren, kann gerade der achte Landschaftsbrief,

nach 1823 entstanden, durchaus als praktische Anleitung

für den angehenden Landschaftsmaler gelesen werden.

Carus widmete sich hier der Frage, wie der junge Maler an

eine der Naturwissenschaft verpflichtete Art der Landschaftskunst

heranzuführen sei. Indem er das stete Kopieren landschaftlicher

Zeichnungen und Gemälde kritisierte, da diese

Praxis der Fähigkeit, »die Natur ihrem eignen Sinne nach zu

erfassen«, entgegenwirke und statt dessen das »Erlernen einer

gewissen Manier« fördere, stellte er in seinen Ausführungen

ein zentrales Prinzip des klassischen Kunststudiums in Frage. 4

Hilfreicher als das Kopieren ist seiner Meinung nach »das vielfältige

und sorgsame freie Nachbilden und Selbstkonstruieren

geometrischer Grundformen«, da diese doch allen »organischen

Bildungen« zugrunde lägen. 5 Unabdingbare Voraussetzung einer

erfolgreichen Ausbildung sei aber letztlich die Übung von

Auge und Hand an den Naturdingen selbst, wobei der Lernprozess

des visuellen Wahrnehmens und motorischen Erfassens

der natürlichen Umwelt durch den Erwerb naturwissenschaftlicher

Kenntnisse ergänzt werden müsse, wozu Carus dem

angehenden Künstler unter anderem das Studium unterschiedlicher

Gebirgs-, Pflanzen- und Wolkenformen nahelegte. Weiter

heißt es im achten Landschaftsbrief: »Sind ihm aber so die

tiefern Elemente der Erde, des Wassers, der Luft [...] zugänglicher

geworden, so mögen [...] die Gesetze des Sehens, die

verschiedenen Brechungen und Spiegelungen des Lichtes, die

Entstehung der Farbe, die geheimnisvollen Gegensätze und Beziehungen

der Farbe [...] ihm angedeutet werden.« 6 Eine solche,

auf die Erkenntnisse der Geologie, Botanik, Meteorologie

und Optik aufbauende Ausbildung im Zeichnen und Malen,

würde den Künstler letztlich befähigen, »Bilder vom Erdleben

einer neuern, höheren Art« zu schaffen, welche auch die »Beschauer

selbst zu höherer Naturbetrachtung« führen könnten. 7

Kat.-Nr. 8

25


u. 23), eines hiervon auch auf das Jahr 1818

datiert, sind sicher mit den von Carus

erwähnten kleinen Radierungen identisch.

Carus’ neuerliches Interesse an einer künstlerischen

Auseinandersetzung mit der Druckgraphik

könnte durch die Arbeit an seinem

vielbeachteten Handbuch über vergleichende

Anatomie, dem Lehrbuch der Zootomie, angeregt

worden sein, für welches er zu jener Zeit

zwanzig Kupfertafeln anfertigte. Bereits vier

Jahre zuvor war parallel zu den sechs von

Carus selbst radierten Tafeln zu seiner Schrift

Versuch einer Darstellung des Nervensystems

und insbesondere des Gehirns nach ihrer

Bedeutung, Entwickelung und Vollendung im

thierischen Organismus eine künstlerische

Radierung entstanden, die das Innere der in

der Völkerschlacht bei Leipzig zerstörten Kirche

von Probstheida zeigt (vgl. Essay-Band S. 112,

Abb. 18). Wie in jenem Fall, so hat sich auch

für die Gartentür eines Loschwitzer Weinberges

die Vorzeichnung erhalten (Kat.-Nr. 21). DG

23

Bauernhaus in Rathewalde

1818

Radierung · 11,2 ×8,3 cm

Bez. u. l.: SC [ligiert]

Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen

Dresden · Inv.-Nr. A 133880

Erworben 1865.

Siehe Kat.-Nr. 22.

24

24

Der Lilienstein · 1816

Öl auf Leinwand · 15×22 cm

Privatbesitz

Literatur: Prause 1968, Nr. 348

Im Postskriptum eines von Carus an Regis

gerichteten Briefes vom 21. Juli 1816 heißt es:

»Grüssen Sie [Julius Athanasius] Dietz, die

kleine Landschaft vom Lilienstein, von der ich

ihm schrieb, kann ich nun doch nicht nach

Leipzig senden, sie muss noch manche Nachhilfen

erhalten« (Einf. d. Verf.). Mit hoher

Wahrscheinlichkeit bezieht sich die Textstelle

auf das vorliegende Bildchen, das den Lilienstein

aus einiger Entfernung von Norden

gesehen zeigt. Marianne Prause erstellte am

9. September 1990 ein in Privatbesitz befindliches

Gutachten zu dem kleinformatigen

Bild und schrieb darin unter anderem: »Das

Gemaelde faellt durch seine frische Farbigkeit

und naturalistische Malweise auf, es erinnert

ein wenig an den fruehen Naturalismus der

Kuenstler der Schule von Fontainbleau.

Ich halte das Bildchen für ein Werk von Carl

Gustav Carus. In meinem Werkverzeichnis

wird es unter der Nummer 348 gefuehrt […].

Carus hat dieses Bildchen noch vor seiner

Bekanntschaft mit den Landschaften Caspar

David Friedrichs gemalt, unter dessen

Einfluss aenderte sich die naturalistisch

gefaerbte Bildauffassung zugunsten

romantischer Ausdrucksformen im Sinne

Friedrichs.«

Eine um 1815|16 zu datierende Bleistiftzeichnung

von Carus, die den imposanten Tafelberg

im Herzen der Sächsischen Schweiz in einer

ähnlichen Ansicht zeigt und welche mit »Lilienstein

v. d. Nordseite« bezeichnet ist, wird im

Kupferstich-Kabinett Dresden verwahrt

(Inv.-Nr. C 1963-272). Weitere, später entstandene

Ansichten vom Lilienstein belegen Carus’

anhaltendes Interesse an diesem Motiv

(Kat.-Nr. 166 bis 168). DG

25

Heimkehr der Mönche ins

Kloster · um 1816/18

Öl auf Karton auf Leinwand · 50 ×63 cm

Museum Folkwang, Essen · Inv.-Nr. G 22

1942 durch das »Reichsministerium für

Volksaufklärung« überwiesen im Austausch

gegen beschlagnahmte Werke.

Literatur: Prause 1968, Nr. 333 ·

Kat. Essen 1971, Nr. 22

42 KUNST


25

Dieses unbezeichnete Gemälde aus dem

Museum Folkwang in Essen nahm Marianne

Prause unter der Rubrik »Ruinen« in ihren 1968

veröffentlichten Katalog der Werke von Carl

Gustav Carus auf und datierte es um 1816 –

1818 (Prause 1968, Nr. 333). Ohne dies näher

zu kommentieren, merkte sie an, dass es sich

bei der dargestellten Szene vielleicht um »eine

Reminiszenz zu Dante« (ebd.) handeln könne.

Die von ihr vorgenommene Datierung des

Bildes rekurriert sicher auf diese Überlegung,

denn Carus’ beginnende künstlerische Auseinandersetzung

mit Dantes Göttlicher Komödie

ist für diesen Zeitraum nachweisbar.

Unter den vier Werken, die er bei seiner ersten

Teilnahme an der Akademischen Kunstaustellung

in Dresden zeigte, war auch ein »Eingang

zur Unterwelt. Phantasie nach Dante, Hölle

1. Gesang« (zit. n. ebd., S. 95, Nr. 39) – so der

Eintrag im Katalog des Jahres 1816. Acht Jahre

später wurde eben jenes Gemälde in der Ausstellung

des Großherzoglichen Zeicheninstitutes

zu Weimar gezeigt und daraufhin in Kunst und

Altertum wie folgt besprochen: »Der Eingang

zur Hölle nach Dante. In hoher steiler Felswand

erblickt man eine weite Öffnung einer Höhle

oder vielmehr eines ungeheuren in die Tiefe

gehenden Schlundes. Über der Felswand erheben

sich auf der Höhe dampfende und zum Teil

Flammen auswerfende Berggipfel, im Vordergrunde

an der Seite stehen karg belaubte

Bäume, im Sturm sich beugend. Durch die aus

dem Dichter bekannte Aufschrift über dem

Höllentor und zwei mit Lorbeer bekränzte

Figuren in langen weißen Gewändern, welche

in den Schlund hinuntersteigen wollen, erfährt

der Beschauer des Gemäldes nähere Bedeutung,

welches geistreich gedacht und von Seiten der

Anordnung befriedigend ist.« (zit. n. ebd.).

Die in dieser, wie auch in anderen Besprechungen

beschriebene düstere Atmosphäre

des verschollenen Dante-Bildes lässt sich sicher

auf das vorliegende Gemälde übertragen, doch

gibt es darüber hinaus kaum Hinweise darauf,

dass es sich hier um eine künstlerische Bearbeitung

des mittelalterlichen Textes handelt.

Anstelle von Dante und Vergil, die im Begriff

sind in die Hölle hinabzusteigen, ist hier eine

Gruppe von Mönchen dargestellt, die, so dürfen

wir vermuten, sich in Form eines Prozessionszuges

von einem Gebäude im Hintergrund

kommend zum morgendlichen Gebet in einer

Kapelle einfinden. Insofern ist auch der

bislang gebräuchliche Titel Heimkehr der

Mönche ins Kloster etwas irreführend. DG

KÜNSTLERISCHE ANFÄNGE 43


26

27

44 KUNST


26

Winterlandschaft mit

verfallenem Tor · 1816/18

Öl auf Leinwand · 22×28,5 cm

Bez. u. M.: GC [ligiert] 1816|18

Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen

Dresden · Inv.-Nr. 83|02

Erworben 1983 aus Privatbesitz in Dresden.

Literatur: Neidhardt 1985, S. 8–9 ·

Ausst.-Kat. Krems 1999, S. 312, Nr. 92

Das mit einem gotischen Spitzbogen versehene

Tor eines weitgehend verfallenen Bauwerkes

überragt die bei Mondlicht fahl erleuchtete

Ebene, welche unter dem winterlich kalten

Schnee erstarrt zu sein scheint. Das Tor kann

als Eingang zu einem jenseitigen Bereich des

Todes aufgefasst werden, wenn man die Bilddarstellung

im Sinne der Symbolsprache

Caspar David Friedrichs versteht. Auch die

kahlen Äste im Vordergrund vor dem bröckelnden

Gemäuer und die angelehnte Grabplatte

in der Bildmitte legen den Gedanken an die

Vergänglichkeit nahe.

Hans Joachim Neidhardt hat das Gemälde

einer Gruppe von »Trauerbildern« im Œuvre von

Carus aus jener Zeit zugeordnet und auf den

Zusammenhang mit dem frühen Tod des erstgeborenen

Sohnes Ernst Albert hingewiesen,

der am 11. Mai 1816, erst vierjährig, in Dresden

starb. Die erste Jahreszahl auf der Grabplatte

mit Kreuz im Vordergrund, welche auch die

Künstlersignatur trägt, kann diese Bezugnahme

wohl unterstreichen. Ein nahe vergleichbares,

jedoch etwas größeres und mit der Jahreszahl

1817 bezeichnetes Ölbild von Carus Winterlicher

Friedhof mit steinernem Torbogen im

Mondschein (Prause 1968, Nr. 101, Abb. S. 14),

das die beschneite Ebene jenseits des Tores

mit zahlreichen Grabkreuzen deutlicher als

Bereich des Todes kennzeichnet, ist seit langem

verschollen. Unser Bild wird im Werkkatalog

von Marianne Prause nicht aufgeführt, doch

ist es bereits 1934 von Karl-Wilhelm Jähnig,

dem langjährigen Friedrich-Forscher und

Kustos der Dresdener Gemäldegalerie, Carus

zugewiesen worden. Es befand sich bis 1983

in Dresdener Privatbesitz. GS

27

Klosterruine mit Leichensteinen

im Mondlicht · 1818

Öl auf Leinwand · 22,5×28,5 cm

Bez. u. r.: GC [ligiert]|1818

Lindenau-Museum Altenburg · Inv.-Nr. 1186

Erworben 1959 über die Kunsthandlung

Franke, Leipzig.

Literatur: Gabelentz 1959 · Prause 1968, Nr. 102

Obgleich sich Carl Gustav Carus und Bernhard

August von Lindenau persönlich kannten und

über das Arzt-Patient-Verhältnis hinaus offenbar

auch eine freundschaftliche Beziehung

zwischen beiden bestand, stammt dieses kleine

Gemälde nicht aus dem Besitz des ehemaligen

sächsischen Staatsministers und bedeutenden

Kunstsammlers, sondern wurde erst 1959 für

das Altenburger Lindenau-Museum erworben.

Das Gemälde reiht sich in eine Folge von

Ruinen- und Mondscheinlandschaften ein,

die Carus wohl noch weitgehend unbeeinflusst

von den Bildideen seines späteren Freundes

und Mentors Caspar David Friedrich schuf.

Ob Carus in diesem Bild eine reale Klosterruine

oder eine imaginierte Architektur wiedergab,

muss ebenso offenbleiben wie die Frage, ob es

sich bei den ungleichen rechteckigen Steinblöcken

tatsächlich um Leichensteine oder um

Fragmente eines weiteren Gebäudes handelt.

Der gebräuchliche, auch von Marianne Prause

in ihrem Werkverzeichnis verwendete Titel

Klosterruine mit Leichensteinen im Mondlicht

dürfte auf eine Beschreibung des Gemäldes

durch Hanns-Conon von der Gabelentz zurückgehen,

die anlässlich der Neuerwerbung des

Bildes für das Lindenau-Museum erschien.

Darin heißt es: »In verschwimmender Atmosphäre

unter einem von Mondlicht übergossenem

Himmel, bewegt von ineinanderfließenden

zarten Wolken sind Leichensteine neben

den verfallenen Mauern einer Klosterruine

der Inhalt des in düsteren, nur von wenigen

Lichtern erhellten, in graublauen, olivgrünen

und braunen Tönen gemalten Bildes, das die

Worte des Malers bestätigt: ›Leichensteine und

Abendröte, eingestürzte Abteien und Mondscheine,

die Nebel- und Winterbilder, sowie

Waldesdunkel mit sparsam durchbrechendem

Himmelsblau sind solche Klagelaute einer

unbefriedigten Existenz‹, Worte, in denen der

Gegensatz des Malers zu seiner Zeit zum Ausdruck

kommt und die wie auf das Altenburger

Bild bezogen erscheinen.« (Gabelentz 1959,

S. 155). DG

KÜNSTLERISCHE ANFÄNGE 45


Kat.-Nr. 52


Rügen

»...ich habe kaum jemals wieder dies Gefühl so reinen,

schönen und einsamen Naturlebens gehabt, ...« 1

Auf Anregung von Caspar David Friedrich, der ihm in den

Jahren nach der Übersiedlung von Leipzig nach Dresden bald

zum engen Künstlerfreund geworden war, reiste Carl Gustav

Carus im August 1819 nach der Insel Rügen, um die norddeutsche

Heimat Friedrichs besser kennenlernen zu können, was

ihm als eine wichtige Grundlage für das Verständnis von dessen

Kunstäußerungen aufgegangen war.

Als Carus in seinen Lebenserinnerungen auf jene Sommerreisen

zu sprechen kam, die er zu unternehmen begann, um sich

nach den ersten Jahren anstrengender ärztlicher Tätigkeit in

Dresden von drohenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen

zu erholen, bemerkte er dort: »Es war infolge meiner geschlossenen

Freundschaft mit Friedrich, und einer dadurch vielfach

geweckten Sehnsucht nach der von ihm in Zeichnungen so schön

aufgefaßten Ostsee und der rügenschen Insel, daß das Meer

zum ersten Zielpunkt eines solchen Ausflugs gewählt wurde.« 2

Tatsächlich erwartete sich Carus von solchen, der Erholung dienenden

Reisen auch, dass sie »zu neuen größern Naturscenen

mich brächten, und dadurch geistig und leiblich zu erfrischen,

ja zu erneuen im Stande wären«. 3 So ist für den Binnenländer

Carus vor allem das Erlebnis des Meeres zu einem nachhaltig

bestimmenden Eindruck jener Reise an die Ostsee im August

1819 geworden. Nur wenige Wochen nach der Rückkehr von

der Küstenlandschaft in die sächsische Heimat teilte Carus dem

Freund Regis mit: »[...] zuerst drängte es mich nach dem Meere,

nach dieser Riesenschlange, welche den Erdkern wie eine Beute

umfaßt hält. In dieser geheimnisvollen salzigen Fluth, in dem

wahren Blute der Erde, welches mit Titanenkraft in ewigem

rastlosen Leben fluthet, war mir, als müßte ich wie in einem

ungeheuren Zauberspiegel manchen Gedanken über das Geheimnis

des Lebens verkörpert erblicken, und die Erwartung

trog mich nicht, ja, manches fasse ich nun erst recht, wenn ich

mir in stillen Stunden diese Seenatur mit voller Lebendigkeit,

wobey Übung und Zeichnungen mich unterstützen, hervorrufe.

– Wahrhaftig! eben rauscht in der finstern Nacht der Wind

wieder so auf, wie ich ihn auf den Kreidefelsen von Stubbenkammer

vernahm.« 4

Wenn Carus in der Empfindungsbereitschaft gegenüber der

nordischen Landschaft ebenso wie bei der künstlerischen Formulierung

seiner Erlebnisse dem Vorbild Friedrich (Abb.1)

weitgehend folgte, so ist er bei der unmittelbaren Schilderung

solch kraftvoller Naturgewalten bisweilen sogar über diesen hinausgegangen.

Der überwältigende Eindruck des Meeres führte

ihn noch im Jahr der Reise 1819 zu einer Bildformulierung wie

der Brandung bei Rügen (Kat.-Nr. 33), deren elementarische Auffassung

sich von Friedrichs Seestücken deutlich unterscheidet.

Über den Verlauf der Rügen-Reise sind wir durch tagebuchartige

Notizen unterrichtet, die Carus dann in seine Lebenserinnerungen

aufnahm, 5 sowie durch eine größere Anzahl von

gezeichneten Reiseskizzen, die teils mit Ortsangaben und taggenauen

Datierungen versehen sind. 6 Marianne Prause hat in

ihrer Monographie von 1968 nach diesen Angaben eine Rekonstruktion

der Reiseroute über die Insel versucht. 7 Deutlich wird

dabei, dass Carus – die Anreise von Dresden und die Rückreise

ausgenommen – gerade eine Woche zur Verfügung stand, um

die Insel näher kennenlernen zu können. Die Überfahrt nach

Rügen von Greifswald aus begann am Morgen des 14. August;

bereits in der Frühe des 21. August wurde die Rückfahrt zum

Festland angetreten. In den dazwischenliegenden Tagen hatte

Carus bei langen Tagestouren Gelegenheit, die Landschaften

Rügens und die »reiche, kräftige Urnatur des Nordens« 8 dort

näher zu erkunden: zunächst von Putbus über den Vilm und

Mönchgut an der Ostseite der Insel entlang wandernd, um das

Nordperd herum bis nach Sellin und Bergen hinauf. Dann waren

Stubbenkammer mit dem Königsstuhl und Arkona eindrucksvolle

Höhepunkte der Reise. Altenkirchen und Wiek

standen am Abschluss des Aufenthaltes.

Carus unternahm die Reise gemeinsam mit dem Dresdener

Münzmeister Dr. Friedrich Gotthelf Kummer, der früher bereits

mit Caspar David Friedrich auf der Ostseeinsel gewesen

war und dem Carus – seinen eigenen Worten zufolge – überhaupt

die Bekanntschaft mit dem norddeutschen Wahldresdener

zu verdanken gehabt hatte. 9 Der zweite Begleiter war sein

alter Freund Julius Athanasius Dietz, erster Zeichenlehrer der

Frühzeit in Leipzig. Aber diese Reisebegleitung, von der Carus

in seinen Lebenserinnerungen sonst wenig zu berichten weiß, 10

scheint die Erlebnisfähigkeit auf der Insel und die Aufnahmebereitschaft

gegenüber der Natur nicht unbedingt gesteigert zu

47



Dresden und Pillnitz

Anfang November 1814 übersiedelte der Arzt Carl Gustav Carus

infolge einer Berufung von seinem Geburts- und Studienort

Leipzig in die Haupt- und Residenzstadt Dresden, die ihm

schließlich zur lebenslangen Wahlheimatstadt werden sollte.

Dieser Ortswechsel bedeutete jedoch nicht nur beruflichen Aufstieg,

sondern das neue Umfeld hat auch dem Künstler Carus

entscheidende Orientierungen gegeben. Erst in Dresden, der

Kunst- und Kulturstadt an der Elbe, gelegen in landschaftlich

reizvoller Umgebung, hat Carus jene bestimmenden Anregungen

erhalten, die ihn – obgleich Dilettant – bald zu einem

der bis heute bekanntesten Maler seiner Zeit werden ließen.

1816 nahm Carus mit vier inzwischen verschollenen Gemälden

erstmals an der alljährlichen Dresdener Akademie-Ausstellung

teil, und bis in die 1840er Jahre hinein war er dann nahezu

regelmäßig bei diesen großen Präsentationen aktueller Kunst

in der Elbestadt vertreten. Gegen 1818 befreundete er sich mit

Caspar David Friedrich, dem er neben einiger Anleitung in der

Ölmalerei vor allem die Motivik zahlreicher seiner Bilder verdankte,

wobei der zunächst sehr enge künstlerische Anschluss

sich mit der wachsenden Entfremdung zwischen beiden Männern

in den späten 1820er Jahren wieder löste. 1

Bereits wenige Wochen nach seiner Ankunft in der Elbestadt

1814 berichtete Carus in Briefen an seinen Leipziger Freund

Regis, welchen verändernden Einfluss die intensive Wahrnehmung

der neuen Umgebung auf sein Wirken als Künstler

nahm. Im Anschluss an die Beschreibung eines »wunderbaren

und großen Naturschauspiels«, das Carus sich bei einem abendlichen

Spaziergang auf der Brühlschen Terrasse an der Elbe

geboten hatte, stellte er fest: »Es geht mir wunderlich hier mit

meinen Malereien, sie sind mir zum Theil, und zwar zum

grössten Theil recht fatal geworden, bei der grössern Natur von

hier, und den reinern Farbentönen, die bey der weitern Ferne

hier sich deutlicher darstellen, fühle ich das Enge, das Unreine

meiner frühern Bilder nur zu lebhaft.« 2 In den Lebenserinnerungen

unterstrich Carus dann, als er jenen Brief zitierte, dass

ihn damals schon »die Witterungs- und Lichteffekte« stark

bewegt hätten und dass er sich im Beschreiben des »poetischen

Reflexes« übte, »welchen dergleichen größere und mir so neue

Scenerien auf mein inneres Leben warfen«. 3 Mehr und mehr

fühlte Carus, »wie sehr meine neue Heimat nach allen Richtungen

mir zusagte. Der eigene poetische Schimmer, der über

Dresdens Terrassen und Kirchen und Brücke gebreitet war

[...], er war ganz für mein Wesen geeignet.« 4 (Abb. 1).

Hans Joachim Neidhardt hat 2005 in seinem Aufsatz Zur

Ambivalenz des Atmosphärischen bei Carl Gustav Carus darauf hingewiesen,

dass die Jahre 1821/23 als eine »Zeit der Neubesinnung

und Wandlung« für Carus »in der Entwicklung seiner

ästhetischen Rezeption der Natur« gelten können und dass

der Künstler in den Fragmenten eines malerischen Tagebuchs von

1822/24, welche er als Resultat von Beobachtungen meist abendlicher

Spaziergänge später seinen Landschaftsbriefen beigab,

»ungemalte Bilder« von einer derartigen »Kühnheit und Progressivität«

entworfen hat, dass diese, wären sie gemalt worden,

zum Modernsten ihrer Zeit gezählt hätten. 5 Schon 1814 geht aus

einem Brief an Regis hervor, dass Carus gerade seine »Spaziergänge«

ganz bewusst der eigenen künstlerischen Beschäftigung

zurechnete. 6 Diese intensive Wahrnehmung von Naturbildern

und Naturstimmungen hat Carus auch späterhin beizubehalten

gesucht. Es waren dabei eine Reihe von eher rasch anzufertigenden

zeichnerischen Skizzen, und weniger Ölstudien oder

größere Gemälde, bei denen solche Beobachtungen – über die

Beschreibung in Worten hinaus – unmittelbar ihren künstlerischen

Niederschlag fanden. So heißt es in den Lebenserinnerungen

bei Gelegenheit der Schilderung von großartigen »Scenen

des Eisganges auf der Elbe« im Jahre 1830, die Carus in mehreren

Zeichnungen festgehalten hatte, zur malerischen Bewältigung

solch glänzend beschriebener Dresden-Eindrücke: »[...]

als Hintergrund streckte sich entweder die Stadt mit der immer

groß und elegant sich ausnehmenden Elbbrücke dahin, oder

die feinen, langen Linien der sogenannten Hoflösnitz stuften

im zart violetten, winterlichen Duft reizend sich ab, kurz, es

gab Bilder, die sehr verdient hätten, in größern Oelgemälden

würdig dargestellt zu werden, wozu jedoch mir weder Zeit

noch Kunst ausreichen wollten.« 7

In seinem autobiographischen Lebensrückblick hat der zeitlebens

vielbeschäftige Carus mehrfach darauf verwiesen, wie

wichtig ihm zur Erhaltung seiner physischen und psychischen

Gesundheit neben den größeren Reisen, die er wiederholt unternahm,

stets auch die »Umgegend Dresdens« gewesen ist,

indem diese »so heilsam auf mich gewirkt, daß vielleicht nur

hier es möglich werden konnte, Arbeit, wie ich bisher sie übernommen

hatte, gewachsen zu bleiben«. 8 Dabei hat der Ort

Pillnitz, südöstlich von Dresden an der Elbe gelegen (Abb. 2),

nicht nur für den beruflichen Werdegang von Carus, sondern

wiederum auch für den Künstler Carus und dessen intensivere

Wahrnehmung der Natur eine besondere Rolle gespielt. Carus

Kat.-Nr. 67

71



Italien

1821 – Nur dem, was dem eigenen Inneren schon zugehört,

wird sich die Wahrnehmung öffnen. So empfand es Carus; so

hatte er auf seiner Rügenreise 1819 das Erlebnis des Meeres aufgenommen.

Und, so eröffnete er das Tagebuch seiner vom

17. Juli bis zum 7. Oktober 1821 unternommenen Reise, »gehe

ich nun den Alpen mit großer innerer Spannung, so gehe ich der

südlichen Natur Oberitaliens und des Mittelländischen Meeres

entgegen«. 1 Die durch ein Regierungsstipendium ermöglichte

»wissenschaftliche Reise« 2 führte ihn über die Schweizer Alpen

bis nach Genua. Auf vielen Stationen der Hin- und Rückreise

durch Deutschland und die Schweiz traf man Carus vor der Natur

zeichnend an, teils gemeinschaftlich mit Julius Dietz, der ihn

als wissenschaftlicher Zeichner begleitete. 3 In Genua angekommen

widmete Carus sich vornehmlich der wissenschaftlichen

Aufgabe, die er sich gestellt hatte: Auf dem Fischmarkt wurden

Meerestiere erworben, seziert und von Dietz gezeichnet; der

Gestank aus dem Pensionszimmer belästigte die anderen Gäste

und zwang gar zum Umzug innerhalb des Hauses. 4 Doch in seiner

Kunstübung hemmte den reisenden Forscher – für ihn selbst

überraschend – ein Gefühl der Fremdheit. In seinem Tagebucheintrag

vom 24. August bemerkte er: »Diese ganze Natur wirkt

eigen auf mich! Ich erkenne die Schönheit dieser Gegenden,

aber ich fühle mich ihr fremd und die künstlerische Anregung

fehlt mir noch ganz. Sie würde übrigens unter diesem Himmel

gewiß nicht lange schweigen.« 5 Die verbleibende Zeit reichte

nicht mehr; schon am 31. August rüstete man sich zur Abreise.

Carus erwähnt unter diesem Datum noch einen Ausflug vom

26. August zum »Palazzo Durazo«, der »außerhalb der Stadt

liegt und eine leidliche Naturaliensammlung enthält«. 6 Dieser

Ausflug ist »zum einzigen recht echt südlichen Bilde geworden,

das ich von diesem Genua mit nach unserm Norden bringen

werde. Der Blick vom Meere aus auf die Stadt, mit ihren

Palästen und den dahinter aufsteigenden mit Festungswerken

gekrönten Bergen, wird mir unvergeßlich bleiben.« 7

Das Erlebnis des Mittelmeeres und einer südlichen Hafenstadt

fügte dem tiefen Eindruck, den die Reise an die Ostsee

bei Carus hinterlassen hatte, eine neue Dimension hinzu, die

zugleich seinen Sinn für die Wahrnehmung zeitgenössischer

Italienbilder mit Küstenlandschaften geweckt haben wird und

ihm noch vor seiner zweiten Italienreise 1828 zur Erfindung

von südlich geprägten Küstenlandschaften Anregung gab (Kat.-

Nr. 82 bis 84).

1828 – Der Besuch bei Goethe in Weimar am 21. Juli 1821

hatte den Auftakt zu Carus’ erster Reise nach Genua gebildet

und so führte er die Anregungen der einzigen mit dem verehrten

Dichter verbrachten Stunden damals gleichsam im Reisegepäck. 8

Einen ähnlichen Impuls mag Carus der Ausruf des in Dresden

zurückbleibenden Prinzen Johann mit auf den Weg gegeben haben,

als er »am 1. April 1828 früh gegen 4 Uhr« für vier Monate

zu seiner zweiten großen Italienfahrt aufbrach: »Gedenken Sie

mein, wenn Sie den Sassi di Dante erblicken!« 9 Der frischgebackene

Leibarzt unternahm diese Reise im Gefolge des Prinzen

Friedrich August, und sie führte ihn über Florenz und Rom bis in

den Süden des Landes, nach Neapel, Pompeji und Paestum: Das

zwei Bände mit insgesamt fast 700 Seiten umfassende Tagebuch

zu dieser Reise gab Carus 1835 im Druck heraus (Kat.-Nr. 291).

In kleinen Landschaftsskizzen sind mehrere Stationen der

Fahrt in der Toskana und der Emiglia Romana dokumentiert,

sodann der Rückweg über Livorno 10 und Mailand (Kat.-Nr. 85

bis 92). 11 Vielfach ist das Zeichnen vor der Natur auch in seinem

Reisetagebuch erwähnt. Dort berichtet er am 23. Juni

auch von seinen Zeichnungen nach Kunstwerken wie »Figuren

und Köpfe von des Fiesole wundersamer Kreuzabnahme«, die

er sich »auf Carta lucida« – sprich auf starkes Pauspapier –

durchzeichnete, und weiter über seine malerischen Studien:

»Heute aber beendete ich zuvörderst ein Studium in Oelfarben,

welches ich nach der Aussicht von Hartmanns Fenster in

Poggio imperiale bei Morgenbeleuchtung angefangen hatte zu

malen.« 12 Der südliche Teil der Reise hat dann vor allem in

solchen zum Teil vor Ort angelegten, zumeist jedoch später

ausgeführten kleinen Ölstudien Ausdruck gefunden. Nach der

Rückkehr arbeitete Carus in Dresden Gemäldekompositionen

aus, von denen man annehmen kann, das sie in der malerischen

Wiedergabe des Atmosphärischen auf diesen Studien gründen

und zudem durch (heute nicht mehr erhaltene) weitere Zeichnungen

vorbereitet worden sind. In ihnen stellte Carus das

Faszinosum Süditalien dar: Neapolitanische Fischerszenen, Ausblicke

auf den Hafen Neapels vor der Kulisse des Vesuv bei

azurblauem Himmel und das Meer bei Capri bestimmen die

romantische Szenerie (Kat.-Nr. 97 bis 103).

1841 – Ein drittes und letztes Mal reiste Carus 1841 nach

Italien und auch auf dieser Reise führte er ein Tagebuch, das

1848 zusammen mit einer umfangreichen Aufsatzsammlung

unter dem Titel Mnemosyne erschien (Kat.-Nr. 293). 13 Das Ta-

Kat.-Nr. 80

97


111

Phantasie über die Musik · 1827

(Kopie eines unbekannten russischen [?] Künstlers

nach Carl Gustav Carus’ Gemälde von 1823)

Gouache, gezeichnete Umrandung mit Feder

in Braun · 48,3×38,7 cm

Klassik Stiftung Weimar, Museen, Graphische

Sammlung · Inv.-Nr. GHz (alte Inv.: AK Nr. 1862

Schuchardt) · Erworben 1924 von der Galerie

Stern, Düsseldorf.

Literatur: Prause 1968, Nr. 1 (Kopie) · Sumowski

1970, S. 86 · Grosche 2001, S. 149–150

110

Ein verlassener Stuhl steht auf dem mit einer

schlichten Brüstung abgeschlossenen Söller

und daneben eine Harfe. Hinter ihr geht der

Vollmond auf und wird die turmreiche Silhouette

einer altertümlichen Stadt sichtbar. Seitlich

wächst das Laub herein, als fordere die

Natur ihren Tribut. Dies alles ist einbeschrieben

in den Dreipass eines Laubengangs und

beschwört die kontemplative Stille eines Danach

oder Davor – denn der Musiker ist abwesend.

Carus verlieh dieser poetischen Schöpfung den

Titel Phantasie über die Musik und brachte mit

»Phantasie« einen Zentralbegriff der romantischen

Dichtung mit einem musikalischen

Gattungsbegriff in Einklang. Für die Dichter

der Romantik war das freie Spiel der Phantasie

Ausdruck freier, ganz ungebundener Schöpferkraft.

Für die romantische Musik hingegen war

die Phantasie, das Phantasiestück (etwa bei

Robert Schumann) ein Klanggebilde ohne

festgelegtes Formschema, dessen wichtigstes

Ziel darin bestand, eine Stimmung musikalisch

zum Ausdruck zu bringen.

111

Das Gemälde, das dieser mit Deckfarben ausgeführten

Kopie zugrundelag, ist verschollen. Es

war nach St. Petersburg verkauft worden, wurde

dort von unbekannter Hand kopiert und gelangte

in Gestalt dieser Kopie als Geschenk des

germanophilen Russen Wassili Andrejewitsch

Shukowski an Goethe. Dieser Umstand verrät

die Wertschätzung, die der Schöpfung zuteil

wurde. Der in Kunstdingen enthusiastische,

etwas konservative Quandt allerdings missbilligte

die romantische Vermischung der Gattungen:

Musik müsse man hören und dürfe man nicht

zu malen versuchen, deshalb sei dieses Bild

eine »Verirrung« (zit. n. Prause 1968, S. 86).

126 KUNST


112

POESIE UND GESCHICHTE 127


174

174

Insel Staffa · vor 1846

Öl auf Leinwand · 93 ×120 cm

Privatbesitz.

Literatur: Prause 1968, S. 103–104, Nr. 70

Das großformatige Gemälde zeigt eine von

der See her aufgenommene Teilansicht der

Hebrideninsel Staffa mit dem Eingang in die

Fingalshöhle und dem sogenannten Hirten,

einer pyramidal geformten Basaltklippe,

die der Insel vorgelagert ist.

Carus hatte Staffa am 25. Juli 1844 als Mitglied

einer Reisegesellschaft des sächsischen

Königs Friedrich August II. besucht und

berichtete in seinem auf Tagebuchnotizen

basierenden Bericht der mehrwöchigen Rundreise

durch England und Schottland ausführlich

darüber. In seinen Darlegungen schreibt

er über die wohl »bedeutendste, großartigste

und schönste Excursion dieser Reise« (Carus

C. G. 1845, Bd. 2, S. 209) unter anderem: »Es

war gegen 10 Uhr (d. h. also nach einer Fahrt

[mit dem Dampfschiff] von etwa 5 1 | 2 Stunden

von Oban aus), als wir die Felsen von Staffa

deutlicher mit bloßen Augen erkennen konnten

[…] Immer näher kam uns nun die Prachterscheinung

dieser in undenklicher Zeit einst

aus dem Boden des Meeres aufgestiegenen

Basaltmasse! – Wir fuhren an der Südseite

derselben vorüber und alsbald eröffneten sich

die Wunder der Basaltcolonnaden und ihrer

beiden großen mit Recht weltberühmten Höhlen.

– Breit hin streckt sich die Insel über den

prachtvoll grünlichen Wogen, graulich dunkel

heben sich über dem wüsten Schaume der

Brandung die Säulen, und über diese hin

dehnt sich das hohe Lager eines gelblich

schwärzlichen Trapp, der den Rasen auf der

Höhe der Insel trägt. Das Schiff lehnte sich

182 KUNST


ruhig in einer Büchsenschuß-Weite davor und

gab nur einige Minuten (!) Zeit um einen

flüchtigen Contur dieser ungeheuren Erscheinung

zu nehmen! – Hier, wo man hätte Tage

lang weilen mögen, um jede Einzelheit festzuhalten,

sollte in solcher Kürze des Überwältigende

selbst überwältigt werden! – Es galt

die Organe zu spannen! – und gewiß! – man

kann viel erfassen und festhalten, wenn

solche begeisternde Aufgaben gegeben sind!«

(ebd., S. 214 – 215; Einf. d. Verf.). Die von Carus

hier erwähnte Zeichnung, die ihm später

sicher als Vorlage für das Gemälde diente,

scheint nicht erhalten zu sein.

Der Briefwechsel zwischen Carus und Johann

Gottlob Regis bietet einen Anhaltspunkt zur

Datierung des Gemäldes. Über die Weihnachtstage

des Jahres 1845 hatte Regis den

zweiten Band des Berichtes der England- und

Schottland-Reise gelesen und war in diesem

Zuge auf ein Blatt von Wilhelm Gottlieb

Tilesius von Tilenau gestoßen, das Staffa

ebenfalls von Süden und vom Meer aufgenommen

zeigt (Regis an Carus, 30. Dezember

1845; Sächsische Landesbibliothek – Staatsund

Universitätsbibliothek Dresden, Mscr.

dresd. h 25,3). Der kolorierte Stich ist mit

»WasserrabenHöhle auf der Insel Staffa«

bezeichnet (Rosenmüller|Tilesius 1799|1805,

Taf. III). In seiner Antwort vom 5. Januar 1846

nannte Carus die ihm bekannte Abbildung

von Tilesius »zu abscheulich, als dass sie einen

Begriff [von der Insel] gäbe!«, und schrieb

weiter: »Kommen sie, einmal mein Bild davon

zu sehen, welches Ihnen besser gefallen

wird.« (Carus an Regis, 5. Januar 1846;

Einf. d. Verf.). Hiermit kann Carus wohl nur

sein Gemälde von der Insel Staffa gemeint

haben, welches folglich 1845 vollendet

gewesen sein muss.

Carus’ Reisebericht enthält auch eine

Beschreibung der Fingalshöhle, welche die

Gesellschaft um Friedrich August II. sowohl

aus einem Ruderboot vom Wasser her, als auch

von den »obern Bruchflächen […] dicht an

der Säulenwand« besichtigten konnte (Carus

C. G. 1845, Bd. 2, S. 216). DG

175

Basalthöhle

(bisher: Inneres der Fingalshöhle

auf der Insel Staffa)

Aquarell, Feder in Grau und Schwarz,

Einfassungslinie mit Feder in Dunkelgrau

27,8 ×31,1 cm

Sammlungsstempel: Xaver Maria Cäsar von

Schönberg-Rothschönberg (Lugt 2266);

Prinz Johann Georg von Sachsen (Lugt 1466);

unbekannter Stempel · Kunstmuseum Basel,

Kupferstichkabinett, Depositum der Freunde

des Kunstmuseums und des Museums für

Gegenwart · Inv.-Nr. 1949.79

Erworben 1949 vom Stuttgarter

Kunstkabinett Ketterer.

Literatur: Aukt.-Kat. Stuttgart 1949, Nr. 1155 ·

Jahresberichte. Öffentliche Kunstsammlung

Basel. 1946–1950, S. 140, Nr. 149 · Prause

1968, S. 11, 57, Anm. 236, 237 · Ausst.-Kat. Basel

1982|83, S. 19–21, Nr. 3 · Ausst.-Kat. Edinburgh

u.a. 1994|95, Nr. 35 · Busch 2003, S. 135 ··

Ausst.-Kat. Basel 2007, Nr. 29

Siehe Kat.-Nr. 176.

176

In der Fingalshöhle auf

der Insel Staffa

Feder in Schwarz und Aquarell über

Bleistift · 27,7 ×32 cm (Einfassungslinie

mit Feder in Schwarz)

Sammlungsstempel: Xaver Maria Cäsar

von Schönberg-Rothschönberg (Lugt 2266);

Prinz Johann Georg von Sachsen (Lugt 1466);

unbekannter Stempel

Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen

Dresden · Inv.-Nr. C 1963-1532

Aus der Sammlung Prinz Johann Georg

von Sachsen.

Literatur: Aukt.-Kat. Leipzig 1858, S. 119, Nr.

2105 · Aukt.-Kat. Leipzig 1940, S. 16, Nr. 133 ·

Ausst.-Kat. Frankfurt a. M.|Weimar 1994, S. 513,

Nr. 340 · Ausst.-Kat. Dresden 2004, S. 150

Die Aquarelle Basalthöhle (bisher: Inneres der

Fingalshöhle auf der Insel Staffa) (Kat.-Nr. 175)

und In der Fingalshöhle auf der Insel Staffa

(Kat.-Nr. 176) geben beide Höhlenansichten

wieder, die durch basaltische Säulenbildungen

charakterisiert sind. Bislang ging man davon

aus, dass sowohl auf dem Blatt aus Basel wie

auch auf der Dresdener Zeichnung die sogenannte

Fingalshöhle der Hebrideninsel Staffa

dargestellt sei, welche Carus während seiner

Reise nach England und Schottland am 25. Juli

1844 gesehen hatte. Neuere Überlegungen

führten jedoch zu der Erkenntnis, dass auf dem

Baseler Blatt (Kat.-Nr. 175) unmöglich die

Fingalshöhle dargestellt sein kann und dass es

sich bei den beiden Zeichnungen um Bühnenbildentwürfe

handeln dürfte, die nicht nach

der Natur, sondern nach zeitgenössischen

Illustrationen entworfen wurden (vgl. den

Beitrag von Werner Busch im Essay-Band).

Darüber hinaus lassen einige Indizien auch die

Zuschreibung an Carl Gustav Carus zweifelhaft

erscheinen. Zum einen sind die Aquarelle über

sorgfältig mit Bleistift und Lineal ausgeführten

Konstruktionslinien angelegt, was in seinem

zeichnerischen Œuvre nach gegenwärtiger

Kenntnis singulär wäre, zum anderen befanden

sich die beiden Blätter bereits zu Carus’

Lebzeiten in der Sammlung von Xaver Maria

Cäsar von Schönberg-Rothschönberg (1768–

1853) und wurden 1858 nach dem Tod des

Sammlers ohne Angabe eines Künstlernamens

versteigert. Bislang ließ sich weder eine Beziehung

von Carus zu dem Sammler nachweisen,

noch findet sich in Carus’ Schriften eine

Erwähnung der Zeichnungen. Wann die Blätter

Carus zugeschrieben und rückseitig mit seinem

Namen versehen wurden, hat sich bisher nicht

klären lassen.

Trotz aller Bedenken gelten die beiden Aquarelle,

die offenkundig von der Hand eines

Künstlers stammen, weiterhin als Werke von

Carl Gustav Carus. Die neu gewonnene

Erkenntnis, dass die Werke höchstwahrscheinlich

auf graphischen Vorlagen basieren, stützt

frühere Vermutungen, nach welchen die Zeichnungen

auch unabhängig von Carus’ Besuch

GEOGNOSTISCHE LANDSCHAFTEN 183

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!