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G+L 4/2025

Sicherheit

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20|04

25

STÄDTE FÜR

MORGEN

MAGAZIN FÜR LANDSCHAFTSARCHITEKTUR

UND STADTPLANUNG

SICHERHEIT


EDITORIAL

Kakteen können ganz schön weh tun.

Alle, die schon mal mit einem Kaktus auf

Tuch fühlung gegangen sind, wissen das.

Unser Heftthema kann, je nach Blickwinkel,

auch etwas weh tun. Nicht nur, dass

man sich in öffentlichen Räumen unsicher

fühlen kann – auch manche Fragen nach

urbaner Sicherheit sind unbequem. In

dieser Ausgabe fragen wir, wie sicher

unsere Städte eigentlich sind. Denn eines

ist klar: Berührungsängste mit dem

Thema urbaner Sicherheit sollten wir

im Gegensatz zu Kakteen nicht haben.

Die Gewaltkriminalität in Deutschland hat laut dem Bundeskriminalamt

im Jahr 2023 einen Höchststand erreicht. Alarmierend

ist vor allem der Anstieg der Übergriffe im öffentlichen Raum –

dort, wo wir uns frei bewegen, begegnen, entfalten sollten. Nur

56 Prozent der Menschen geben laut einer Erhebung von Infratest

Dimap an, sich im öffentlichen Raum sicher zu fühlen. Das

sind keine Zahlen, die wir ignorieren können, wenn es um die

Gestaltung urbaner Räume geht.

Doch während viele Bürger*innen sich mehr Schutzmaßnahmen

wünschen, sehen Aktivist*innen eine andere Gefahr aufziehen:

die Kontrolle und Überwachung, die unsichtbare Linien zieht,

vor denen man sich kaum wehren kann. Wie können wir eine

Balance schaffen, die das Recht auf Freiheit im öffentlichen Raum

wahrt, aber gleichzeitig die Sicherheit aller stärkt? Wie viel

Überwachung erträgt eine lebendige, offene Stadt, und wo

ziehen wir als Planer*innen die Grenze?

In dieser Ausgabe der G+L fragen wir, wie urbane Freiräume

gestaltet werden müssen, um Sicherheit zu fördern, ohne das

Wesen einer freien Gesellschaft zu ersticken. Vertreter*innen der

Vielleicht haben Sie das kleine „Stadt-Spezial“-Logo auf dem

Cover entdeckt? Diese G+L ist die erste Ausgabe des diesjährigen

Stadt-Spezials. Das machen wir inzwischen seit mehreren Jahren.

In drei Ausgaben beschäftigen wir uns mit drei besonders akuten

Themen, denen sich unsere Städte aktuell stellen müssen. Dieses

Jahr im Fokus: Sicherheit, Bürokratie und Integration.

STÄDTE FÜR

MORGEN

Stadtplanung und der Polizei, Expert*innen aus den Bereichen

Soziologie und Rechtswissenschaft kommen zu Wort und zeigen

auf, welche Möglichkeiten Städte haben, um diese Herausforderungen

zu bewältigen. Dabei wird klar, dass Sicherheit nicht

allein durch Kameras und Polizeipräsenz erreicht wird, sondern

auch durch eine Stadtgestaltung, die Begegnung, Dialog und

Rücksichtnahme fördert.

Wir werfen einen gesonderten Blick auf Hauptbahnhofsareale

als Brennpunkte und urbane Konfliktorte wie den Görlitzer Park

in Berlin, den Alten Botanischen Garten in München oder auch

den Ebertplatz in Köln. Das Beispiel Trier wiederum zeigt, welche

Maßnahmen Städte bereits umsetzen. Aber wir fragen auch, ob

die zunehmende Migration in Deutschland mit der zunehmenden

Kriminalität zusammenhängt und was beim Thema urbane

Sicherheit eigentlich abseits von Kriminalität zu bedenken ist.

Coverfoto: Dulcey Lima auf Unsplash

Es ist an der Zeit, diese schwierigen Fragen zu stellen und den

Dialog zu wagen, bevor wir in unseren Städten nur noch mit

Argwohn unterwegs sind. Lassen Sie uns nach vorne schauen

und Stadtentwicklung als Chance nutzen, um öffentliche Räume

zurückzuerobern – für eine Stadt, die Sicherheit und Freiheit

zugleich in sich trägt.

THERESA RAMISCH

CHEFREDAKTION

t.ramisch@georg-media.de

ANNA MARTIN

REDAKTION

a.martin@georg-media.de

G+L 3


INHALT

AKTUELLES

06 SNAPSHOTS

09 MOMENTAUFNAHME

Digitales Eis

10 SPEZIAL

Neues EU-Renaturierungsgesetz gilt auch für

städtisches Grün

SICHERHEIT

14 SICHERHEIT IM DISKURS UND IM RAUM

Was Daten und Fakten zu urbaner Sicherheit sagen

18 „FRIEDLICHES MITEINANDER STATT DEFENSIVE ARCHITEKTUR“

Anna Mantel und Daniela Dorn von der Polizei Berlin im Interview

22 KRIMINALITÄT UND PROJEKTION

Ein Kommentar von Joachim Häfele

24 SICHER AM BAHNHOF

Ein Blick auf die Hauptbahnhöfe in München, Frankfurt am Main und Hamburg

28 VORREITER IN SACHEN SICHERHEIT

Wie Hochsicherheitspoller in Trier für mehr Sicherheit sorgen

32 MIGRATION ALS GEFAHR FÜR DIE SICHERHEIT?

Ein Kommentar von Gina Rosa Wollinger

34 „ES REICHT NICHT AUS, EINEN PLATZ SCHÖN ZU GESTALTEN“

Rita Haverkamp im Interview zu Sicherheit im öffentlichen Raum

38 MITEINANDER GESTALTEN: TREFFPUNKT REUMANNPLATZ

Ein Kommentar von Eva Schmolmüller

40 WENN PARKS UND PLÄTZE ZU BRENNPUNKTEN WERDEN

Ein Blick auf Kriminalitätsbrennpunkte in München, Köln und Berlin

44 GEZIELTE INTERVENTIONEN SIND GEFRAGT

Ein Kommentar von Herbert Schubert

46 „ES GEHT VOR ALLEM DARUM, ZU ERMÖGLICHEN“

Holger Floeting im Interview zu urbaner Sicherheit

50 MIT GERECHTIGKEIT, BILDUNG UND KULTUR ZU SICHERHEIT

Über die Transformation der kolumbianischen Metropole Medellín

PRODUKTE

Herausgeber:

Deutsche Gesellschaft

für Gartenkunst und

Landschaftskultur e.V.

(DGGL)

Pariser Platz 6

Allianz Forum

10117 Berlin-Mitte

www.dggl.org

54 LÖSUNGEN

Licht im Außenraum

RUBRIKEN

62 Impressum

62 Lieferquellen

64 DGGL

66 Sichtachse

66 Vorschau

G+L 5


SPEZIAL

NEUES EU-RENATU-

RIERUNGSGESETZ

GILT AUCH FÜR

STÄDTISCHES GRÜN

Vergangenes Jahr beschlossen die EU-Umweltminister*innen das EU-Renaturierungsgesetz.

Die darin geforderten Ziele betreffen auch die Stadtnatur: Bis

2030 soll kein Nettoverlust an städtischen Grünflächen und Baumüberschirmung

eintreten. Wir werfen einen Blick darauf, welche Daten dafür die Grundlage

liefern, was das für städtische Baumbestände bedeutet und welche Bäume

sich für die ebenfalls geforderten Neupflanzungen eignen können.

IRENE GRONEGGER

AUTORIN

Irene Gronegger ist

Diplom-Geografin und

freie Journalistin in

München. Sie studierte

Geographie, Bodenkunde,

Landschaftsökologie

und -planung in

München und Wien.

Heute schreibt sie vor

allem über Stadtplanung,

Naturschutz

und Wissenschaft.

Im Juni 2024 stimmte eine knappe Mehrheit im Rat für Umwelt überraschend für das EU-

Renaturierungsgesetz, oder wie es ausführlich heißt: die EU-Verordnung über die Wiederherstellung

der Natur. Sie bringt neue Aufgaben für die Kommunen mit sich.

In Deutschland trat die Verordnung Mitte August in Kraft. Sie definiert Ziele für verschiedene

Lebensraumtypen, darunter sind Wälder, landwirtschaftliche Ökosysteme, Flüsse

und Auen sowie Meere und Küsten. Nun sind die EU-Staaten verpflichtet, nationale

Wiederherstellungspläne auszuarbeiten, deren Umsetzung zu überwachen und sich um

eine begleitende Forschung zu kümmern.

Der mehrstufige EU-Zeitplan ist für alle Ökosysteme ähnlich und reicht bis zum Jahr

2050. Das Vorhaben ist ambitioniert, weil schon bis zum Jahr 2030 erste Maßnahmen

auf 20 Prozent der Landflächen eingeleitet werden sollen, um diese zu renaturieren

oder öko logisch aufzuwerten. Das soll Städte und Landschaften auch resilienter gegen

den Klima wandel machen.

STADTNATUR ALS KOMMUNALE AUFGABE

Der Artikel 8 der Verordnung gilt der Wiederherstellung städtischer Ökosysteme. Sie

sind definiert als „Gesamtfläche von Bäumen, Büschen, Sträuchern, dauerhafter krautiger

Vegetation, Flechten und Moosen sowie Teichen und Wasserläufen in Städten oder

in kleineren Städten und Vororten“ (Artikel 3 Absatz 20).

Für viele Ökosysteme gibt es passende Ämter von der Landesebene bis zur Bezirksoder

Kreisebene, etwa für Forsten, Naturschutz oder Wasserwirtschaft, die bereits

Erfahrungen mit Renaturierungen haben. Bei der Stadtnatur wird es vor allem die Aufgabe

der Kommunen sein, die Verordnung direkt in ihren Siedlungsgebieten umzusetzen,

soweit es um Vegetation und Stadtbäche geht.

10 G+L


SPEZIAL

EU-RENATURIERUNGSGESETZ

Das EU­Renaturierungsgesetz

betrifft auch die

Stadtnatur: So sollen

bis 2030 keine

Nettoverluste an

Grünflächen und

Baumüberschirmung

gegenüber dem

Bestand von 2024

eintreten. Hier zu

sehen: der Eggarten,

eine verwilderte

Gartensiedlung im

Münchner Norden.

KEIN VERLUST AN BÄUMEN UND GRÜNFLÄCHEN

Das erste Ziel für die Stadtnatur ist, dass auf nationaler Ebene bis 2030 kein Nettoverlust

an städtischen Grünflächen und Baumüberschirmung eintritt. Die Verordnung gibt

das Jahr 2024 als Bezugspunkt vor, und das Monitoring hat bereits begonnen: Der

„Copernicus-Landüberwachungsdienst“ aus dem Weltraumprogramm der EU zeichnet

die Verände rungen auf.

Für die nationale Bilanz zählen also nur tatsächliche Zustände und messbare Veränderungen

auf den erfassten Flächen. „Kommunale Zuweisungen, wie aus der Bauleitplanung,

spielen dabei keine Rolle“, erklärt eine Sprecherin des Bundesamtes für

Naturschutz (BfN). Auch verwilderte Bahn- oder Gewerbeflächen, Brachflächen und

dergleichen können zur Stadtnatur zählen, wenn ihr Bewuchs die Kriterien erfüllt. Eine

spätere Überbauung würde die Grünflächen-Bilanz wieder verschlechtern.

Die Baumüberschirmung soll ab 2031 einen steigenden Trend verzeichnen. Dieses Ziel

wird nicht nur auf nationaler Ebene gelten, sondern für jede einzelne Stadt oder für

benachbarte Kommunen, die gemeinsam ein „städtisches Ökosystemgebiet“ im Sinn

der Verordnung bilden werden. Inwieweit Kommunen tatsächlich zur Umsetzung der

Ziele verpflichtet werden können, muss laut BfN noch geklärt werden.

Begrünte Dächer in neueren Siedlungen gelten derzeit noch nicht als Stadtgrün, in der

nächsten Stufe ab 2031 soll aber gebäudegebundene Begrünung erfasst werden. Die

Kriterien werden laut BfN noch entwickelt.

BAUMBESTAND ERHALTEN

Foto: Irene Gronegger / biotop-eggarten.de

Um den Anteil der Baumüberschirmung in der Stadt zu bewahren und zu vergrößern,

reichen die gängigen Regeln aus Baumschutzverordnungen vieler Großstädte nicht aus.

Ersatzpflanzungen können einen Großbaum nicht wirklich ersetzen, was seinen ökologischen

und stadtklimatischen Wert angeht. Für die Realisierung der Ziele wird es

auch nötig sein, vorhandene Bäume besser zu schützen – auf öffentlichem wie privatem

Grund. Dicht bebaute Städte sollten das schon in ihrem eigenen Interesse tun, um

Hitzetage besser zu überstehen.

Geeignete Ansätze für besseren Baumschutz auf kommunaler Ebene sind neben den

Baumschutzverordnungen auch rechtlich haltbare Gartenstadt-Satzungen, das Bauliniengefüge

und womöglich qualifizierte Bebauungspläne im Bestand. Private

Grundstückseigner*innen könnten mit Beratung, Fördergeldern und Auszeichnungen

dabei unterstützt werden, Bäume zu pflanzen und zu erhalten. Wird in der Nähe von

Großbäumen gebaut, ist es sinnvoll, deren Schutz mehrfach zu kontrollieren, bis die

Bauarbeiten beendet sind.

G+L 11


„FRIEDLICHES

MITEINANDER

STATT DEFENSIVE

ARCHITEKTUR“

Städtebauliche Kriminalprävention möchte verschiedene Nutzende im öffentlichen

Raum mit ihren Belangen und Bedarfen einbeziehen – und damit ein

friedliches Miteinander ermöglichen. Das stellen Anna Mantel und Daniela

Dorn, beide Beraterinnen für Städtebauliche Kriminalprävention bei der

Polizei Berlin, im Interview heraus. Wie die Polizei Berlin bei städtebaulichen

Fragen berät, warum die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen

wichtig ist und weshalb manche Sicherheitsmaßnahmen auch verunsichernd

wirken können, beantworten sie im Interview.

FRAGEN: REDAKTION G+L

INTERVIEWEE

Anna Mantel

studierte Sozialwissenschaften

(M. A.)

und arbeitete

anschließend in

verschiedenen Projekten

im Bereich

Stadtentwicklung und

Sicherheitsforschung.

Seit 2021 arbeitet sie

bei der Polizei Berlin

als Beraterin für

Städtebauliche

Kriminalprävention.

Lange Unterführungen, wenig ausgeleuchtete

Parks, menschenleere Straßenzüge:

Die städtebauliche und architektonische

Umgebung beeinflusst unser

Sicherheitsempfinden. Um Berlin als Beispiel

zu nehmen: Was ist dort der Status

quo – an welchen Orten finden sich die

größten Baustellen, wenn es um urbane

Sicherheit geht?

Insgesamt bewegt sich die urbane Sicherheit

in Deutschland auf einem hohen

Niveau. Wie in allen großen Städten

gibt es jedoch auch in Berlin Orte, die

vergleichsweise stark kriminalitätsbelastet

sind. Häufig sind das Orte, wo viele

Menschen zusammenkommen und wo

sich deshalb auch zahlreiche Tatgelegenheiten

bieten. Oder aber es sind

Örtlichkeiten, wo sich bestimmte Aktivitäten

im Kontext der Obdachlosen thematik

und Suchtproblematik verfestigt

haben und städtebauliche Aspekte dafür

begünstigend sind. Medial rücken zur

Zeit der Görlitzer Park und der Leopoldplatz

besonders in den Mittelpunkt des

Interesses. Die sichtbare Szene, aber

auch die Berichtserstattung im Zusammenhang

mit diesen Örtlichkeiten kann

durchaus auch das Sicherheitsempfinden

beeinflussen. Im Rahmen des Berliner

Sicherheitsgipfels im September 2023

wurde auf diese Situation reagiert und

verschiedene Maßnahmen beschlossen:

sowohl im Bereich der gesundheitlichen

und sozialen Prävention als auch

der Städtebaulichen Kriminalprävention

und Grünflächenpflege, ebenso wie

Maß nahmen, die Polizei und Staatsanwaltschaft

betreffen.

Weiterhin gibt es Örtlichkeiten, wo die

Sicherheitslage, objektiv betrachtet, nicht

auffällig ist, das Sicherheitsempfinden

jedoch beeinträchtigt ist. Solche Örtlichkeiten

gibt es in allen Berliner Bezirken.

Die Gründe dafür sind ganz vielfältig

und reichen von mangelnder Beleuchtung,

Unordnungs- und Verwahrlosungserscheinungen,

Leerstand in Einkaufsstraßen

bis hin zu der Ansammlung von Personen

oder Gruppen, deren Präsenz das

Sicherheitsempfinden bestimmter Menschen

beeinträchtigt.

INTERVIEWEE

Daniela Dorn ist

Dipl.­Ing. Stadt­ und

Regionalplanung.

Nach der mehrjährigen

Tätigkeit als

Gebietsbeauftragte in

der Städtebauförderung

in unterschiedlichen

Fördergebieten

und als Angestellte

im Bezirksamt Reinickendorf

ist sie seit

2018 bei der Polizei

Berlin als Beraterin

für Städtebauliche

Kriminalprävention

tätig.

18 G+L


SICHERHEIT

INTERVIEW MIT ANNA MANTEL UND DANIELA DORN

Damit Kriminalprävention

gelingen

kann, braucht es

Netzwerkarbeit und

eine interprofessionelle

Zusammenarbeit

– das betonen

Anna Mantel (rechts)

und Daniela Dorn

(links) von der Polizei

Berlin im Interview.

Fotos: Polizei Berlin

Lässt sich eine Stadt überhaupt so

planen, dass sich alle sicher fühlen? Wie

lässt es sich gleichzeitig vermeiden, dass

Sicherheitsmaßnahmen als zu restriktiv

wahrgenommen werden?

Sichere und attraktive Räume für ein

konfliktfreies Miteinander sind das Leitbild

der Städtebaulichen Kriminalprävention

bei der Polizei Berlin. Ein gewisses Maß

an Konflikten und auch an Kriminalität ist

kennzeichnend für das urbane Zusammenleben.

Insofern ist das ein Ziel, das

sicherlich nicht in Gänze zu erreichen ist.

Aus Furcht vor Kriminalität werden jedoch

oftmals beispielsweise unbeleuchtete

Parks, dunkle und verwahrloste Ecken

oder Unterführungen gemieden. Nicht

immer spielt an diesen Orten Kriminalität

tatsächlich eine Rolle. Ist die subjektive

Sicherheit beeinträchtigt und kommt es

infolgedessen zu Meidungsverhalten,

beeinflusst dies jedoch die Lebensqualität

und die Teilhabe am öffentlichen Leben

ganz entscheidend.

Die subjektive Sicherheit wird nicht von

räumlichen Faktoren allein beeinflusst,

und sie geht auch weit über Kriminalitätsfurcht

hinaus. Persönliche Erfahrungen,

die eigene wirtschaftliche oder körperliche

Lage, das Weltgeschehen oder

aktuelle Medienschwerpunkte haben

einen Einfluss auf das Empfinden und die

Wahrnehmung. Insofern kann eine

Stärkung der subjektiven Sicherheit auch

nicht nur durch die Stadtplanung und die

Polizei erfolgen.

Was im Zuge der Städtebaulichen Kriminalprävention

jedoch geleistet werden

kann, ist die Berücksichtigung von

Sicherheitsaspekten und von Belangen

unterschiedlicher Nutzenden in der

Planung und Gestaltung. Tatgelegenheiten

und Rückzugsräume in Form von dunklen

Ecken, Nischen oder zugewucherten

Bereichen können durch bauliche Interventionen

reduziert werden. Schaffung

G+L 19


KOMMENTAR

KRIMINALITÄT

UND

PROJEKTION

JOACHIM HÄFELE

AUTOR

Prof. Dr. Joachim

Häfele, Stadtsoziologe

und Kriminologe,

studierte Soziologie,

Psychologie, Rechtswissenschaften

sowie Sozial­ und

Wirtschaftsgeschichte

in Wuppertal und

Hamburg. Seit 2015

ist er Professor für

Kriminalwissenschaften

an der

Polizeiakademie

Niedersachsen in

Oldenburg. Zu

seinen Forschungsschwerpunkten

zählen unter anderem

urbane Räume

in der Sicherheitsgesellschaft,

Kriminalitätsfurcht

und

städtebauliche

Kriminalprävention.

Vieles spricht dafür – und

entsprechende Dunkelfeldstudien

konnten das längst

belegen –, dass wir es im

Langzeitvergleich sogar

mit einem deutlichen Rückgang

von Gewalttaten zu

tun haben.

Die aktuellen Zahlen der polizeilichen

Kriminalstatistik suggerieren einen starken

Anstieg der Gewaltkriminalität in der

Gesellschaft. Allerdings sind diese

sogenannten Hellfeldzahlen nur wenig

aussagekräftig und erlauben kaum

Rückschlüsse auf die tatsächliche Gewaltentwicklung.

Insbesondere eine

deutlich gestiegene Gewaltsensibilität in

unserer Gesellschaft hat die Anzeigebereitschaft

in der Bevölkerung über die

Jahrzehnte deutlich erhöht, was der

Hauptfaktor für die gestiegenen Zahlen

im Hellfeld darstellen dürfte, sodass wir

eher von einer Aufhellung des sogenannten

Dunkelfeldes als von einem tatsächlichen

Anstieg von Gewalttaten ausgehen

können. Im Gegenteil: Vieles spricht

dafür – und entsprechende Dunkelfeldstudien

konnten das längst belegen –,

dass wir es im Langzeitvergleich sogar mit

einem deutlichen Rückgang von Gewalttaten

zu tun haben.

Die gestiegene Gewaltsensibilität hat also

nicht nur dazu geführt, dass weniger

Gewalttaten begangen werden, sondern

dass diese auch häufiger angezeigt und

thematisiert werden. Trotz dieser verbesserten

objektiven Sicherheitslage berichten

Umfragen zufolge circa ein Drittel

der Befragten über kriminalitätsbezogene

Unsicherheitsgefühle, etwa, wenn sie

sich bei Dunkelheit im öffentlichen Raum

ihres Stadtteils oder ihrer Wohnumgebung

aufhalten. Dabei sind die Kriminalitätsängste

der Deutschen seit Anfang

der 90er-Jahre deutlich und kontinuierlich

gesunken, während ökonomische

Ängste (zum Beispiel vor steigenden

Lebenshaltungskosten) im selben Zeitraum

deutlich zugenommen haben

(Studie: Die Ängste der Deutschen, R+V-

Versicherung). Und so mag es im ersten

Moment paradox erscheinen, dass

mache Menschen sich im öffentlichen

22 G+L


SICHERHEIT

KOMMENTAR JOACHIM HÄFELE

Stadtluft mache nicht

nur frei, sondern

verunsichere

auch – durch die

Begegnung mit sozial,

kulturell und/oder

biografisch

Fremdem, erläutert

Joachim Häfele.

Foto: privat

Raum zunehmend unsicherer fühlen

in Zeiten, die, objektiv betrachtet, nie

sicherer waren.

Erklären lässt sich dieser Widerspruch

unter anderem damit, dass die Furcht vor

Kriminalität im Großen und Ganzen gar

nichts mit Kriminalität zu tun hat, sondern

vielmehr ein Amalgam aus ganz unterschiedlichen

– insbesondere sozialen

und ökonomischen – Verunsicherungen

darstellt. Diese sogenannte Generalisierungsthese,

wonach das Feld der Kriminalität

als Projektionsfläche für ganz

unterschiedliche Ängste dient, konnte

inzwischen vielfach bestätigt werden.

Ausgedehnte politisch-mediale Unsicherheitsdiskurse

liefern dafür reichlich Angebote.

Längst wissen wir auch, dass sich

Ängste, sind sie erst einmal erzeugt, sehr

gut kapitalisieren lassen, sei es in Wähler*innenstimmen,

Einschaltquoten,

Auflagenzahlen oder der Nachfrage

nach Sicherheitsprodukten. Nicht umsonst

zählt die Sicherheitsindustrie schon lange

zu den weltweit am stärksten expandierenden

Märkten.

In dem Maße allerdings, wie sich sicherheitspolitische

Diskurse zuspitzen –

insbesondere vor dem Hintergrund eines

Erstarkens rechtsradikaler und rechtsextremer

politischer Strömungen –,

ist ein Anstieg vor allem der mit migrationsbezogenen

Ängsten und Xenophobie

verknüpften Kriminalitätsfurcht

und entsprechender Intoleranzen zu

erwarten. Und das ist das wirklich

gefährliche für unsere Städte und unsere

Gesellschaft. Dabei bleibt festzuhalten,

dass Stadtluft nicht nur frei macht,

sondern prinzipiell durch die Begegnung

mit sozial, kulturell und/oder

biografisch Fremdem auch immer verunsichert.

Dies lässt sich als genuin

urbane Erfahrung weder verhindern,

noch erscheinen die zahlreichen sicherheits-

und ordnungs politischen Versuche,

die in diese Richtung weisen, geeignet,

das Sicherheitsgefühl der Bürger*innen

zu verbessern. Mit Unsicherheit zu

leben beziehungsweise ein bestimmtes

Maß an Unsicherheit auszuhalten ist

und bleibt jedoch Teil des urbanen

Lebens und stellt gleichzeitig eine zentrale

urbane Kompetenz dar. Und noch

wichtiger: Wer seine Freiheits rechte

opfert, um mehr Sicherheit zu gewinnen,

wird am Ende beides verlieren. (Benjamin

Franklin)

G+L 23


VORREITER IN

SACHEN

SICHERHEIT

Diskussionen um Sicherheit im öffentlichen Raum gewinnen immer wieder an

Aktualität. Meistens sind es schreckliche Ereignisse, die eine Stadt dazu bringen,

das Thema aufzugreifen. So auch in Trier: Eine Amokfahrt erschütterte bereits

2020 die Stadt. Seit Frühjahr 2024 sind Hochsicherheitspoller in Betrieb, die die

Zufahrt in die Fußgängerzonen der Innenstadt begrenzen. Was für ein Konzept

die Stadt entwickelte, welche Akteure dafür zusammenarbeiteten und wie

Rettungsdienste, Polizei und Müllabfuhr weiterhin in die Stadt fahren können.

JULIANE VON HAGEN

AUTORIN

Dr. Juliane von

Hagen setzt sich mit

Veränderungen in

Stadt und Landschaft

auseinander, als

Dozentin, Journalistin

und im eigenen Büro

stadtforschen.de.

Vor vielen Jahren veränderte sich das

Stadtbild von New York City massiv.

Nach den Anschlägen auf das World

Trade Center waren die Zugänge zu

öffentlichen Stadträumen mit sandbeladenen

Kippladern blockiert. Damals mutete

das extrem ängstlich an. Zwanzig Jahre

später gehören solche temporären Sperren

auch zum Stadtbild unserer Städte.

So blockieren nicht selten Betonklötze

den Zugang zu Weihnachtsmärkten, oder

Polizeifahrzeuge versperren den Zugang

zu Straßenfesten.

Dennoch passieren immer wieder verheerende

Unglücke, die Diskussionen um die

Sicherheit im öffentlichen Raum anheizen.

Das Attentat von Magdeburg haben viele

noch vor Augen, da passiert das nächste

in Mannheim; die Amokfahrt in Trier

scheint schon fast vergessen. Nicht in der

Stadt. Im Dezember 2020 raste ein Auto

durch die Fußgängerzone, und insgesamt

starben sieben Menschen. Seitdem

arbeitet Trier an der Verbesserung der

Sicherheit in der Innenstadt. Aus der Idee,

mit Pollern den Verkehr in der Innenstadt

zu lenken, wuchs ein „Urbanes Sicherheitskonzept

mit Hochsicherheitspollern,

das für den Schutz der Menschen und

Veranstaltungen sorgen soll. Es ist eine

direkte Folge dieses für die Stadtgesellschaft

traumatischen Ereignisses“, erklärt

die Stadt. Seit Frühjahr 2024 sind erste

Poller dauerhaft in Betrieb und weitere

im Bau.

RING-KONZEPT FÜR MEHR SICHERHEIT

Das Urbane Sicherheitskonzept zielt

darauf ab, Gefahren durch Fahrzeuge

abzuwehren. Von weniger Verkehr geht

weniger Gefahr aus, was zum Ziel der

Stadt passt: „Der Autoverkehr in der

Fußgängerzone soll verringert und illegales

Parken verhindert werden“, heißt es

in Trier. Die Poller sorgen dafür, dass nur

28 G+L


SICHERHEIT

SICHERHEITSKONZEPT TRIER

Fotos: Presseamt Stadt Trier

In Trier sollen Poller

Gefahren durch

Fahrzeuge abwehren,

aber auch den

Autoverkehr in der

Fußgängerzone

verringern und

illegales Parken

verhindern.

noch berechtigte Fahrzeuge mit einer

Ausnahmegenehmigung in die Fußgängerzone

fahren dürfen. Die festen und

versenkbaren Poller sind so massiv und

tief im Boden verankert, dass selbst Fahrzeuge

mit sehr hoher Geschwindigkeit

sie nicht durchbrechen können. Neben

dieser baulichen Absicherung reduziert

Trier den Gesamtverkehr in der City

weiter, indem sie eine zusätzliche Fußgängerzone

ausweist.

Das erste Konzept zur Erhöhung der

Sicherheit sah vor, die Fußgängerbereiche

der Altstadt in zehn Zonen aufzuteilen.

Dieses wurde vom Prinzip der „äußeren“

und „inneren Ringe“ abgelöst, „nachdem

deutlich geworden war, dass die Umsetzung

des Konzepts mit zehn Zonen langwieriger

und kostspieliger sein würde

als zunächst angenommen. Daher konzentriert

sich die Stadt Trier jetzt auf die

Umsetzung des inneren Rings, um den

Hauptmarkt und den Domfreihof möglichst

schnell zu schützen.“ So erläutert die

Stadt die veränderte Herangehensweise.

Der äußere Schutzring besteht aus Linien

fester und versenkbarer Poller, die am

Rand der City die Eingänge in die Fußgängerzone

sichern. Der innere Ring

hingegen schützt besonders zentrale

Plätze und ihre angrenzenden Gassen,

wozu der Hauptmarkt und der Domfreihof

zählen. Hier finden der Weihnachtsmarkt

und das Altstadtfest statt. Mit

deren besonderer Absicherung verhindert

Trier auch, dass „bei hochgefahrenen

Pollern die Fußgängerzone von einem

Ende zum anderen ohne Stopp durchfahren

werden kann“, wie es dem Amokfahrer

2020 gelang.

RHEINLAND-PFALZ ERFORSCHT UND

TESTET

Bei aller Stabilität, die die Hochsicherheitspoller

bieten, sind sie so gestaltet,

G+L 29


„ES REICHT NICHT

AUS, EINEN

PLATZ SCHÖN ZU

GESTALTEN“

Grünschnitt, Reinigungsintervalle, Beleuchtung – die Gestaltung von öffentlichen

Räumen, wie zum Beispiel Parks, kann zur Kriminalprävention beitragen.

Dass es mit der Gestaltung allein aber noch nicht getan ist, sondern

auch spätere Entwicklungen im Auge behalten werden müssen, erklärt Rita

Haverkamp, Professorin für Kriminalprävention und Risikomanagement an

der Universität Tübingen. Wie die Belebung von öffentlichen Räumen für

mehr Sicherheit sorgen kann, wann stark belebte Orte aber auch ein Gefühl

der Unsicherheit auslösen können und an wen sich Planer*innen bei Fragen

zu räumlicher Kriminalprävention wenden können, beantwortet Rita Haverkamp

im Interivew.

FRAGEN: ANNA MARTIN

INTERVIEWEE

Prof. Dr. Rita Haverkamp

studierte

Rechtswissenschaften

in Freiburg und

Passau. Sie promovierte

an der Albert­

Ludwigs­Universität

Freiburg und habilitierte

an der LMU

München. Seit 2013

hat sie an der

Eberhard Karls

Universität Tübingen

die Stiftungsprofessur

für Kriminalprävention

und Risikomanagement

inne.

Frau Haverkamp, Ihre Professur für

Kriminalprävention und Risikomanagement

an der Universität Tübingen ist an

der Juristischen Fakultät angesiedelt, Sie

selbst sind Volljuristin. Was gibt es für

gesetzliche Regelungen, um Krimi nalität

zu ahnden oder auch zu verhindern?

Das Strafrecht ist die Ultima Ratio der

Androhung für die als am schlimmsten

angesehenen Störungen. Diese werden

mit dem Strafrecht als Straftaten bedroht

und mit Sanktionen belegt. Das ist der

Korpus der – in Anführungsstrichen –

bösesten Übertretungen. Daneben darf

man das Nebenstrafrecht nicht vergessen,

das über sehr viele Gesetze verteilt ist.

Denken Sie an das Straßenverkehrsgesetz,

das Betäubungsmittelgesetz, aber

auch die Abgabenordnung.

Neben den Straftaten gibt es die Ordnungswidrigkeiten,

ebenfalls in ganz

unterschiedlichen Gesetzen verstreut.

Dabei geht es um minder schwere

Störungen, die geahndet und zum Beispiel

mit einem Bußgeld belegt werden.

In den Polizeigesetzen geht es hingegen

um die Abwehr von Störungen der

Sicherheit und Ordnung. Diese Gesetze

legen eine ganze Reihe von Maßnahmen

fest, die die Polizei ergreifen kann. Die

Kriminalprävention wiederum möchte

Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder

Störungen verhindern – oder, wenn sie

nicht zu verhindern sind, sie zumindest

abmildern. Dafür setzt die Kriminalprävention

schon relativ früh und in verschiedenen

Bereichen an.

Was kann Kriminalprävention im öffentlichen

Raum leisten?

Die räumliche Kriminalprävention nahm

in den 1970er-Jahren ihren Anfang und

hat in den vergangenen Jahrzehnten

sehr viel mehr Aufmerksamkeit erhalten.

34 G+L


SICHERHEIT

INTERVIEW MIT RITA HAVERKAMP

Dichtes Gedränge mag

dazu führen, dass wir

uns unsicher fühlen. Die

Belebung von Orten

könne unter anderen

Umständen aber

genauso ein kriminalpräventiv

wirkender

Faktor sein, hält Rita

Haverkamp im

Interview fest.

Foto: Stiftungsprofessur für Kriminalprävention und Risikomanagement, Eberhard Karls Universität Tübingen

Zum einen geht es darum, wie wir

beispielsweise sichere Wohnsiedlungen

bauen – von abgeschotteten Gated

Communities bis hin zu integrativen

Wohnmodellen. Öffentlicher Raum wie

Plätze und Straßen werden bei solchen

Wohnsiedlungen natürlich auch mitgedacht.

Aber wie geht man abseits davon

mit dem öffentlichen und auch dem

halböffentlichen Raum um?

Der öffentliche Raum steht gemeinhin

allen Personen zur Verfügung – und das

ist auch wichtig. Ein Kollege hat es einmal

so formuliert: „Der öffentliche Raum

ist ein Raum der Zumutung.“ Wir müssen

damit leben, dass wir Menschen begegnen,

denen wir gar nicht begegnen

wollen, die sich auf eine Art und Weise

verhalten, die uns nicht gefällt. Die Frage

ist, wo die Grenzen liegen. Da kommen

dann Strafrecht, Ordnungswidrigkeiten

oder Rechtsstörungen der öffentlichen

Sicherheit und Ordnung wieder ins Spiel.

Sie setzen der Freiheit, den öffentlichen

Raum zu benutzen, Grenzen.

Dass mehr Überwachungskameras auch

zu weniger Kriminalität führen, wird

angezweifelt. Was für andere Faktoren

abseits von technischen Lösungen können

denn effektiv sein? Wie wichtig ist es

mit Blick auf Kriminalitätsprävention zum

Beispiel, dass Orte belebt sind?

Belebtheit ist beides: Sie können sich an

belebten Orten sicher fühlen, aber auch

unsicherer. Nehmen wir Bahnhofsumgebungen

als Beispiel. Tagsüber zeichnen

sich Bahnhöfe und ihre Viertel durch

Fluktuation, durch große Menschenmengen

aus. Das bedeutet Anonymität, unter

Umständen Gedränge, und das erzeugt

Unsicherheit. Natürlich kann in so einem

Gedränge mehr passieren. So sind beispielsweise

auch Innenstadtlagen Brennpunkte

der Kriminalität.

Andererseits fühlen sich Menschen sicher,

wenn auch andere Personen auf der

Straße sind. Man denke an ein Bahnhofsviertel

bei Nacht, wenn beispielsweise

nur Männer unterwegs sind. Dann fühlen

sich insbesondere Frauen sehr unsicher.

Forschungsergebnisse zeigen, dass Frauen

sich allgemein unsicherer fühlen als

Männer. Daher stellt sich immer die Frage:

Wie gestaltet man öffentliche Räume für

wen? Dabei gibt es sehr viel zu beachten.

Man muss sich ansehen, wer den

öffentlichen Raum nutzt, wie er gestaltet

ist, welche Interessen mit hineinspielen.

Dadurch, dass der öffentliche Raum an

und für sich jedem zusteht, prallen hier

auch mannigfache Interessen aufeinander.

In den vergangenen Jahren ließ sich

beobachten, dass der öffentliche Raum

weniger wird. Das bedeutet auch, dass

es enger und für alle Beteiligten anstrengender

wird.

Für die Stadt Ludwigsburg führten Sie

von 2021 bis 2022 das Forschungsprojekt

SiLBer – Sicherheit am Ludwigs-

G+L 35


WENN PARKS UND

PLÄTZE ZU BRENN-

PUNKTEN WERDEN

Drogenmissbrauch, Vandalismus, Gewalttaten – an sogenannten Kriminalitätsbrennpunkten

treten Straftaten wie diese vermehrt auf. Solche Räume stellen

Städte vor die Herausforderung, sie sicherer und lebenswerter zu gestalten.

Welche Konzepte die Städte München, Köln und Berlin dabei verfolgen, ob diese

nachhaltige Lösungen bieten und welche Schwierigkeiten weiterhin bestehen.

ANNE HEINKELMANN

AUTORIN

Anne Heinkelmann

studierte Landschaftsarchitektur

an der

TU München und der

Sveriges lantbruksuniversitet

in Alnarp,

Schweden. Sie

arbeitete mitunter für

Skorka Stadtplanung

und ist seit 2020 bei

adlerolesch München

GmbH angestellt.

Ob ein Ort als Kriminalitätsbrennpunkt

gilt, wird meist anhand der Polizeilichen

Kriminalstatistik bewertet. Solche Stadträume

zeichnen sich dadurch aus, dass

dort vermehrt bestimmte Straftaten begangen

werden und sich die Kriminalitätsbelastung

deutlich von anderen Orten

abhebt. Hierzu zählen etwa Drogenmissbrauch,

Vandalismus oder gewalttätige

Auseinandersetzungen. In Sicherheitsdebatten

werden diese Orte häufig

thematisiert, da sie auf Mängel in sozialen

und städtischen Strukturen hinweisen

können. Es herrscht also erhöhter Handlungsbedarf

– den Städte in Deutschland

auch angehen, wie verschiedene Beispiele

zeigen.

WIE MÜNCHENS ALTER BOTANISCHER

GARTEN SICHERER WERDEN SOLL

Eigentlich ist der Alte Botanische Garten

in München ein idyllischer Park mit

historischem Baumbestand und Neptunbrunnen.

Doch seit Jahren prägt eine

starke Dealer*innen- und Obdachlosenszene

den Alten Botanischen Garten. Der

Grund hierfür ist laut Kreisverwaltungsreferat

(KVR) die Nähe zum Hauptbahnhof

und der Wegfall eines Drogenumschlagplatzes

durch den Bahnhofsumbau. Die

meisten Straftaten im Park fänden nach

Polizeiinspektionsleiter Stephan Funk

innerhalb der Szene statt. Dennoch ist

„fest(zu)stellen, dass sowohl die objektive

als auch die subjektive Sicherheitslage im

Alten Botanischen Garten und in deren

unmittelbarer Umgebung erheblich

beeinträchtigt ist“, so ein aktuelles Statement

des Polizeisprechers Christian

Poganski. Im „Sicherheitsreport 2023“

des Polizeipräsidiums München rangiert

der Alte Botanische Garten mit 790

registrierten Fällen auf Platz vier der

Münchner Brennpunkte.

Im Mai 2024 ging daher eine Task-Force

unter Leitung des KVR hervor, die in

kurzer Zeit ein umfangreiches Maßnahmenpaket

umsetzte. Im Vordergrund stand

dabei städtebauliche Kriminalprävention:

Man verstärkte die Präsenz von Kommunalem

Außendienst und Polizei, ab

September 2024 zusätzlich mit polizeiinterner

Arbeitsgruppe. Weitere Sicherheitsstrategien

beinhalteten Videoüberwachung,

tägliche Reinigungseinsätze,

bessere Beleuchtung, mehr Toilettenanlagen,

weniger Sitzbänke und starke

Baum- und Strauchrückschnitte. „Alle

sicherheitsrechtlichen Maßnahmen

werden um soziale Angebote ergänzt.

Das Maßnahmenpaket für den Alten

40 G+L


SICHERHEIT

KRIMINALITÄTSBRENNPUNKTE

Foto: Carsten Steger, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

In München setzt die

Stadt unter anderem

auf Belebungsmaßnahmen,

um die Lage im

Alten Botanischen

Garten nahe dem

Hauptbahnhof zu

verbessern.

Botanischen Garten umfasst auch den

intensiven Einsatz von Streetwork, für

die das Sozialreferat und das Gesundheitsreferat

zuständig sind“, sagt Beate

Winterer vom KVR auf Anfrage. Des

Weiteren gab es letztes Jahr zwei Popup-Biergärten.

Für Sommer 2025 plant

man eine Skateanlage, ein Streetballfeld,

ein Fußballkleinfeld sowie Veranstaltungen.

Denn gerade das angrenzende

Gymnasium könnte von der Belebung des

Parks profitieren.

Laut KVR und Polizei geben die Münchner*innen

positive Rückmeldungen zu den

bereits getroffenen Maßnahmen. „Den

Einsatzkräften wurde oft proaktiv mitgeteilt,

dass der Einsatz zusammen mit den

bereits erfolgten sichtbaren Veränderungen

im Alten Botanischen Garten eine

spürbare Verbesserung des Sicherheitsgefühls

mit sich bringt“, so Poganski. Auch

half die Videoüberwachung bei der

Aufklärung eines Todesfalls, der sich im

September im Park ereignete. Dennoch

blieb die Kriminalitätsrate hoch. Die

Landeshauptstadt legte also mit verschärften

Sicherheitsvorkehrungen nach. Seit

Januar 2025 gilt für zunächst zwei Jahre

ein generelles Verbot von Alkohol,

Cannabis und Waffen. Parallel dazu

intensiviert man das Streetwork-Angebot.

Ob sich das Sicherheitsgefühl und die

Kriminalitätszahlen bessern, bleibt abzuwarten.

Immerhin darf sich München

meistens als Kriminalstatistik-Sieger mit

der Bezeichnung „sicherste Großstadt

Deutschlands“ schmücken.

MIT ZWISCHENNUTZUNG ZU BESSE-

REM IMAGE FÜR KÖLNER EBERTPLATZ

Einladend wirkt der Ebertplatz in Köln

nicht – wohl allein schon durch seine

Brutalismus-Architektur, eine dunkle

Unterführung und viele Zugänge.

Tatsächlich versuchen Polizei und Stadtverwaltung

seit über 20 Jahren, hier für

mehr Sicherheit zu sorgen. Ein Blick auf

aktuelle Maßnahmen.

Wie in München, reagierte man mit verstärkter

Präsenz von Ordnungsamt, Kölner

Verkehrs-Betriebe (KVB) und Polizei sowie

mit Videoüberwachung, regelmäßigen

Großkontrollen und einer Ermittlungsgruppe.

Daneben setzt die Stadt Köln auf

kulturelle Belebung: Seit 2018 koordinieren

Stadtplanungsamt und Kulturamt mit

einem Budget von einer Million Euro eine

Zwischennutzung. So wurde die finstere

Passage im unteren Niveau des Platzes

schon zur Kunstmeile. Projekte, wie ein

Biergarten, Sommerprogramme und

G+L 41

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