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Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt (Leseprobe)

Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie Ein Fantasy-Roman von Harriet R. Burrell Ausführliche Leseprobe aus der Taschenbuchausgabe Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter! Liliana gestaltet als Duchess of Everweard das Dukedom nach ihren Vorstellungen neu. Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer frei und selbstbestimmt in der männerdominierten, feudalistischen viktorianischen Gesellschaft leben können. Salvatore, der sich von Liliana verstoßen fühlt, schließt sich dem Circo Fantasmagoria an – doch diese Entscheidung erweist sich als Fehler. Sein Irrweg durch Europa endet schließlich in der Toskana, wo er als Nero Bordens Erbe den Versuchungen von Reichtum und Macht erliegt. Als Liliana Salvatores selbstzerstörerischem Verhalten nicht länger weiter tatenlos zusehen reist sie Gemeinsam mit Gina nach Italien, um ihn zu retten und um ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern. Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine Rechnung offen. Erhältlich als Taschenbuch, Hardcover & E-Book Paperback Ausgabe: Everweard Publishing, 2025, 628 Seiten,13,5 × 21,0 cm, Kartoniert Euro (D) 19.99, ISBN 978-3-911352-23-9 Hardcover Ausgabe: Everweard Publishing, 2025, 726 Seiten,14,0 × 21,5 cm, Hardcover Euro (D) 32.00, ISBN 978-3-911352-25-3 E-Book Ausgabe: Everweard Publishing, 2025 Euro (D) 8,99, ISBN 978-3-911352-24-6

Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt
Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie
Ein Fantasy-Roman von Harriet R. Burrell

Ausführliche Leseprobe aus der Taschenbuchausgabe

Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter!
Liliana gestaltet als Duchess of Everweard das Dukedom nach ihren Vorstellungen neu. Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer frei und selbstbestimmt in der männerdominierten, feudalistischen viktorianischen Gesellschaft leben können.
Salvatore, der sich von Liliana verstoßen fühlt, schließt sich dem Circo Fantasmagoria an – doch diese Entscheidung erweist sich als Fehler. Sein Irrweg durch Europa endet schließlich in der Toskana, wo er als Nero Bordens Erbe den Versuchungen von Reichtum und Macht erliegt.
Als Liliana Salvatores selbstzerstörerischem Verhalten nicht länger weiter tatenlos zusehen reist sie Gemeinsam mit Gina nach Italien, um ihn zu retten und um ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern. Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine Rechnung offen.

Erhältlich als Taschenbuch, Hardcover & E-Book

Paperback Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025, 628 Seiten,13,5 × 21,0 cm, Kartoniert
Euro (D) 19.99, ISBN 978-3-911352-23-9

Hardcover Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025, 726 Seiten,14,0 × 21,5 cm, Hardcover
Euro (D) 32.00, ISBN 978-3-911352-25-3

E-Book Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025
Euro (D) 8,99, ISBN 978-3-911352-24-6

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Harriet R. Burrell

Everweard Castle

Wirst du wieder geweckt

Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie

EVERWEARD PUBLISHING



Harriet R. Burrell

Everweard Castle

Wirst du wieder geweckt

Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie


Dieses Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.

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des Vortrags, des Nachdrucks, der Wiedergabe auf fotomechanischem

oder ähnlichem Wege und der Speicherung in elektronischen Medien.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten

Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings

nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor.

Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright by Harriet R. Burrell

Copyright © 2025 by:

Everweard Media & Publishing

Frédéric R. Bürthel

Friedrich-Naumann-Allee 29, 19288 Ludwigslust

www.everweard-publishing.com

kontakt@everweard.com

Everweard Publishing ist ein Imprint

von Everweard Media & Publishing

Satz, Layout, Umschlaggestaltung: FRB

Abbildungen und Elemente auf dem Umschlag:

iStock by Getty Images (Jessica Hyde, Chris Gorgio)

Printed in Europe

ISBN: 978-3-911352-23-9

1. Auflage


Teil I

Unterwegs mit Circo Fantasmagoria



Kapitel 1

England

»Sie sind nicht sehr gesprächig, junger Mann.«

»Verzeihen Sie, Herr Konsul! Ich bin noch müde von der

Abschiedsfeier gestern Abend.«

Console Visconte Arsenio Mercurio hatte Maître Salvatore Brava

eingeladen, ihn in seiner Kutsche nach London zu begleiten. Er hatte

gehofft, in ihm einen Gesprächspartner zu finden, der die langweilige

Fahrt angenehmer mache. Bisher hatte der Konsul nur Monologe geführt.

Das störte ihn normalerweise nicht, aber sein Mitreisender

schien nicht einmal zuzuhören.

Sie fuhren durch reizvolle Landschaften. Klare Bäche, idyllische

Bauernhöfe, sanfte Hügel, grüne Wälder und lichte Haine, das alles

war an den Konsul verschwendet. Er nahm das nicht wahr. Natur war

die Tapete im Hintergrund, im Vordergrund stand Console Visconte

Arsenio Mercurio, seine geistreichen Bemerkungen und Analysen,

seine gepflegte Erscheinung und der für die gesamte Zivilisation so

außerordentlich erfreuliche Umstand, dass es ihn gab und er bereit

war, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken.

»Schade, dass uns Dottore Emiliano Scaltroni nicht begleiten

kann«, fuhr der Konsul fort. »Er musste ja schon vor Tagen abreisen.

Vielleicht treffen wir ihn in London. Schließlich ist er mein Sekretär.

Das sollte für ihn eine Ehre sein, auch wenn ich ihn unregelmäßig

bezahle. Allein die Tatsache, dass ich ihn in die feine Gesellschaft einführe,

müsste ihm Verdienst genug sein. Die wahren Werte weiß Ihre

Generation wahrlich nicht zu schätzen, Maître. Ich spreche nicht von

Undank, ich spreche von emotionaler Blindheit. Es ist müßig darüber

zu sprechen, Sie verstehen es doch nicht.«

»Haben Sie die Hochzeitsfeierlichkeiten miterlebt, Herr Konsul?«

»Sie haben nichts versäumt. Es war schrecklich langweilig. Sogar

die Braut war nach dem Jawort eingeschlafen!«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, sie ist in Ohnmacht gefallen, einfach umgekippt. Es war kein

schöner Anblick. Dem Duke sah man an, dass er nicht begeistert war.

Die Gäste nahmen es gefasst, als hätten sie so etwas erwartet. Emiliano

war entsetzt aufgesprungen. Ich konnte ihn gerade noch davon

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zurückhalten, sich lächerlich zu machen. Er ist doch manchmal noch

ein richtiger Kindskopf. Mein Verdacht wurde aber bestätigt: Er ist

für die Contessina, Pardon, die Duchess, entflammt.«

»Sie ist jetzt verheiratet.«

»Das war der Sinn der Zeremonie.«

»Wird das Brautpaar eine Hochzeitsreise machen?«

»In seinem Alter? Der Duke wird froh sein, wenn er in der Lage ist,

seine ehelichen Pflichten zu erfüllen. Extratouren schafft er bestimmt

nicht mehr!«

»Es scheint Sie zu amüsieren?«

Der Konsul warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Es begann zu

regnen. Hoffentlich behinderte das nicht ihr zügiges Fortkommen.

»Amüsieren? Ich habe das schon so oft erlebt. Ein alter Narr freit

eine junge Maid, weil er vor seinem Ableben noch einen Erben in die

Welt setzen will und damit sein hehrer Name der Nachwelt erhalten

bleibt. Es würde mich amüsieren, wenn es nicht peinlich wäre. Nein,

ich kann darüber nicht lachen. Ich nehme es zur Kenntnis. Wenn ich

gut bewirtet werde, ist es eine angenehme Abwechslung. Der Meisterkoch,

den der Duke engagiert hatte, war eine Enttäuschung. Ich

kannte LeDuc schon von London. Er konnte mich nicht mehr überraschen.

Die große Überraschung fand ich an völlig unerwarteter Stelle.

Auf Monleirdon …«

»Sie sprechen von Floriana?«

»Richtig! Floriana Pritchett, den Namen habe ich mir gemerkt. Sie

wird Martin Fitzgerald heiraten. Schade! Ich hätte sie gerne mitgenommen.

Sie wollte aber nicht. Ich habe ihr sogar einen Heiratsantrag

gemacht. Stellen Sie sich das vor! So etwas hatte ich noch nie

gemacht. Aber in diesem Fall hätte es sich gelohnt. Sie ist eine wirkliche

Meisterköchin, was sage ich, sie ist die Göttin der Kochkunst! Es

macht mich wirklich traurig, sie als Ehefrau versauern zu sehen.«

»Die Duchess war nicht ernstlich krank?«

»Was? An der Festtafel war sie wieder quicklebendig. Diese jungen

Dinger verstehen es gut, sich in den Vordergrund zu spielen. Alles

Theater! Einem eingefleischten Junggesellen wie mir kann man

nichts vormachen. Die Marchesa hatte ihr das sicher ins Ohr geflüstert.

Das ist vielleicht ein raffiniertes, bösartiges Weib, diese Marchesa!

Der habe ich ganz schön Paroli geboten. Hält sich für eine

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Philosophin! Diese Illusion musste ich ihr rauben. Wo kämen wir da

hin, wenn sich Frauen für intelligent halten! Finden Sie nicht auch,

Maître?«

»Darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ich kenne die Marchesa nur

flüchtig. Sie kümmert sich aber fürsorglich um ihre Enkelin.«

»Ja, ja, Weiber halten zusammen. Da können wir Männer noch etwas

lernen. Es ist ihr animalischer Herdentrieb. Darüber habe ich mir

bereits meine Gedanken gemacht, Maître. Sie halten mich wahrscheinlich

für einen oberflächlichen Lebemann. Das ist meine Fassade,

dahinter verbirgt sich aber ein reger Geist, dem nichts entgeht.

Ich schreibe gerade an einem profunden Werk über die metaphysische

Ontogenese der menschlichen Gesellschaft. Das wird ein Magnum

Opus der Philosophie!«

»Meinen Glückwunsch, Herr Konsul!«

»Danke, junger Mann! Was nun die Frauen betrifft, kann ich Ihnen

versichern, sie besitzen keine Seele. Im Grunde ist dieses Theater um

die höhere Erziehung höherer Töchter … Sie merken etwas? Hier

wird etwas erhöht. Das bedeutet, dass es niedrig ist und erst angehoben

werden muss … Was ich sagen wollte, diese Erziehung ist völlig

zwecklos. Das ist hinausgeworfenes Geld. Man sollte ehrlicherweise

sagen, um was es wirklich geht. Es geht darum, die Mädchen zu beschäftigen,

damit sie auf keine dummen Gedanken kommen und intelligent

nicken können, wenn sie ein Wort wiedererkennen, das ihr

Gatte im gesellschaftlichen Kreis äußert. Man tut den armen Wesen

keinen Gefallen, werden sie doch bald schmerzlich erkennen müssen,

dass sie zu echten geistigen Gesprächen nicht in der Lage sind. Kochen

sollen sie lernen! Es war direkt rührend, wie stolz Floriana war,

als mir ihr Essen schmeckte. Ja, darin kann eine Frau ihre Erfüllung

finden. Was die Welt wirklich nicht braucht, ist eine Philosophin!«

»Vielleicht bringen Frauen eine andere Sicht auf die Dinge?«

»Sollte man meinen, Maître! Schauen Sie sich aber diese Sicht einmal

näher an. Aus welcher Perspektive sehen die Frauen denn unsere

Welt? Fragen Sie sich das einmal! Ich möchte das einmal überpointieren

… das ist ein erlaubtes Stilmittel, um etwas in aller Deutlichkeit

hervorzuheben. Frauen sehen die Welt aus der Froschperspektive. Ihr

Blick kommt von unten. Sie sehen nur das eine Blatt, auf dem sie sitzen

und lauern auf Fliegen, um sie einzufangen und zu verschlingen.

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Ansonsten interessiert sie nur das Laichen. Wir Männer spielen da

nur eine transitäre Rolle. Unsere Aufgabe ist es, ihnen Kinder zu machen,

damit sie ihrem Instinkt, der Aufzucht der Brut, nachkommen

können. Ja, das hat die Schöpfung sehr weise eingerichtet. Wir Männer

sind frei zum Denken, Handeln und Welt gestalten. Das ist die

natürliche Ordnung. Daran sollte man nicht rütteln!«

»Sie setzen mich immer mehr in Erstaunen. Ist das nicht der Zirkus

da vorne?«

Der Konsul sah aus dem Fenster. Wirklich, vor ihnen blockierten

Zirkuswagen den Weg. Ein Wagen war im Schlamm stecken geblieben.

Circo Fantasmagoria stand auf den Planen. Es war der Zirkus,

den der Duke zu seiner Hochzeit engagiert hatte. Welch ein Ärgernis!

Die Kutsche blieb stehen. Salvatore stieg aus und lief vor zu dem

Wagen. Er unterhielt sich mit einem der Zirkusleute, dann kam er zurück.

»Herr Konsul, ich danke Ihnen, dass Sie mich mitgenommen haben.

Ich werde Sie jetzt verlassen. Es hat mich schon immer gereizt,

Zirkusluft zu schnuppern. Der Direktor hat sich freundlicherweise

bereit erklärt, mich mitzunehmen.«

»Wissen Sie, was Sie da tun, Maître? Ich will Sie nicht davon abhalten,

gebe Ihnen aber einen guten Rat mit auf den Weg. Nehmen Sie

sich in Acht vor diesen Leuten! Mehr sage ich nicht.«

»Ich danke Ihnen, Herr Konsul. Eine gute Reise!«

»Ich wünsche Ihnen, dass sie heil am Ziel ankommen.«

Die Kutsche des Konsuls fuhr um den festgefahrenen Wagen

herum und verschwand bald im Regen.

22

* * *

Die Plane war verrutscht. Dahinter kamen die schweren Eisenstäbe

eines Käfigs zum Vorschein.

»Gibt es dazu einen Insassen, Domenico?«, fragte Salvatore.

»Im Augenblick nicht.«

»Wollt ihr ein Ungeheuer einfangen?«

»Was denken Sie nur, Maître! Honk war die Attraktion unseres Zirkus.

Die Leute kamen vor allem, um ihn zu sehen.«

Dino mit den Bärenkräften hatte inzwischen den Wagen aus dem


Schlamm gezogen. Es regnete in Strömen. Lorenzo entschied, heute

nicht mehr weiterzufahren. Die Zirkuswagen wurden unter die

Bäume eines Wäldchens gestellt.

Alle versammelten sich in Fernandas Wagen. Die Frauen kochten

Kaffee und bereiteten einen Imbiss vor. Bald roch es verführerisch.

Antonella legte eine Damastdecke über den Tisch. Sie stellte eine Blumenvase

darauf mit einer einzigen blutroten Rose, davor Teller und

Tassen. Im Nu war wieder die vertraute Behaglichkeit der Familie

Fantasmagoria hergestellt.

»Ich bin so froh, euch getroffen zu haben«, sagte Salvatore. »Das

Geschwätz dieses eitlen Gecken hätte ich nicht mehr länger ertragen

können.«

»Das Schicksal hat uns zusammengeführt, Maître.«

Lorenzo nickte bedeutungsvoll.

»Solche Sätze bin ich von jemand anderem gewohnt. Ist die Alte

nicht mehr bei euch?«

»Sie ist auf der Suche nach einer Verwandten. Greifen Sie zu,

Maître! Was sind denn Ihre Pläne?«

Salvatore überlegte. Die Alte hatte ihn vor der Familie Fantasmagoria

gewarnt, sie sei gefährlich. Das widersprach seinen Erfahrungen.

Im Gegenteil, er hatte sich immer wohlgefühlt bei ihnen. Jetzt, nachdem

Liliana ihn verstoßen hatte, war sein Leben ohne Richtung. Vielleicht

sollte er sich einfach treiben lassen.

»Ich könnte an die Sorbonne zurückkehren. Man hat mir eine Lehrstelle

angeboten. Vielleicht ist sie noch frei. Aber ehrlich gesagt, steht

mir zurzeit nicht der Sinn nach alten Gemäuern und rätselhaften

Artefakten. Nach den Ereignissen auf Everweard Castle muss ich erst

wieder zu mir selbst finden. Habt ihr noch einen Platz für mich? Gibt

es etwas, was ich tun kann? Ich bin recht geschickt mit meinen

Händen.«

»Der Einzige, der uns fehlt, ist Honk«, sagte Lorenzo.

»Wer ist das?«

»Honk war ein Riesenaffe. Er hatte gewaltige Kräfte und einen

Blick, der alle Frauenherzen schmelzen ließ. Nicht wahr, Antonella?«

»Ja, er war süß und brachte uns viel Geld ein.«

»Was ist aus ihm geworden?«

»Er starb wohl aus Heimweh oder Liebeskummer. Wer weiß schon,

23


was in dem Schädel eines Tieres vor sich geht? Wir hatten ihn einem

Großwildjäger abgekauft. Honk stammte aus Afrika.«

»Einen Gorilla kann ich nicht ersetzen, Herr Zirkusdirektor.«

»Wieso nicht?«

Salvatore erschrak. Behutsam stellte er die Tasse zurück und stand

auf. Er war aschfahl.

»Ich danke für den Kaffee. Leben Sie wohl!«

Antonella nahm seinen Arm.

»Salvatore, bleiben Sie! Papa ist immer so fürchterlich direkt. Die

Qualität seiner Scherze hat auch im Laufe der Jahre nachgelassen.

Entschuldige dich, Papa!«

»Es war nur so eine Idee … Entschuldigen Sie, Maître! Bleiben Sie

bei uns. Wir werden schon Beschäftigung für Sie finden. Genug zu

tun gibt es ja.«

Antonella drückte Salvatore wieder auf den Stuhl zurück.

»Papa und Mama schlafen in diesem Wagen, Dino und Domenico in

dem anderen. Ich schlafe in dem Wagen der Alten. Da sie nicht da ist,

bin ich dort mutterseelenallein. Das bedeutet, Sie müssen mit Dino

und Domenico einen Wagen teilen. Haben Sie eigentlich Gepäck?«

Salvatore griff sich an den Kopf.

»Ich war so erfreut, dem Konsul zu entkommen, dass ich mein Gepäck

völlig vergaß. Viel war es sowieso nicht, Kleidungsstücke eben

und ein paar Bücher, das war alles.«

»Geld, Papiere?«

»Trage ich immer bei mir.«

»Gut! Sie wissen, wir sind etwas mehr als ein gewöhnlicher Zirkus,

von daher dürfte es keine Probleme geben.«

»Fernanda, sind Sie einverstanden, wenn ich bleibe?«

So wie Fernanda stellte sich Salvatore die ideale Mutter vor. Sie war

immer freundlich und nicht aus der Ruhe zu bringen. Eine Wärme

ging von ihr aus, die ihn die Welt draußen vergessen ließ.

»Sie sind uns herzlich willkommen, Maître.«

»Wenn es nicht zu anmaßend ist, bitte ich Sie, mich Salvatore zu

nennen. Einverstanden?«

»Darauf müssen wir anstoßen!« sagte Dino. Der Hüne stand auf

und holte eine Flasche Rotwein. Antonella stellte Gläser auf den

Tisch.

24


»Sei uns willkommen, Salvatore!« Lorenzo stieß als erster mit ihm

an. Die anderen folgten. Von Antonella bekam er einen Kuss auf die

Wange.

»Ich habe den Affen gar nicht gesehen«, sagte Salvatore.

»Und du möchtest mit ihm anstoßen! Il Mano ist drüben im anderen

Wagen. Wenn wir unterwegs sind, zieht er sich immer zurück. Er

bevorzugt eine statische Welt. Garibaldi leistet ihm Gesellschaft.«

»Garibaldi ist dein Hund, Lorenzo?«

»Oder umgekehrt …«

»An deinen Humor werde ich mich erst noch gewöhnen müssen«,

sagte Salvatore.

»Das ist kein Problem. Ich habe keinen Humor.«

»Wie geht es der Duchess?«, fragte Fernanda. »Sie gefiel mir gar

nicht, so schmal und blass sah sie aus auf ihrer Hochzeit.«

»Dazu kann ich nichts sagen. Ich sah sie nur kurz vor meiner Abreise.

Sie hat ja jetzt ihr Glück gemacht.«

»Ja, sie gehört zur obersten Gesellschaftsschicht, der wir leider

nicht angehören, Salvatore. Das braucht gerade uns nicht zu kümmern,

sind wir doch so viel mehr als diese Leute.«

»Du sagst das so unbekümmert, Fernanda. Ich möchte nichts anderes

sein als ein ganz gewöhnlicher Mensch.«

»Wir sind Zirkusleute, junger Mann.« Lorenzo kramte Pfeife und

Tabaksbeutel aus der Hausjacke hervor. »Ganz gewöhnliche Menschen

interessieren niemanden. Nur das Ausgefallene bringt die

Leute dazu, die Münzen springen zu lassen.« Er stopfte die Pfeife mit

dem Daumen. »Und du, Salvatore, bist noch um etliches ausgefallener

als wir!«

»Wie kommst du zu dieser Ansicht?«

»Wir sind Zirkusleute, wie ich schon sagte. Unser Geschäft ist es,

das Publikum zu täuschen, ihm etwas vorzugaukeln. Das funktioniert

aber nur, weil wir untereinander schonungslos ehrlich sind. Davon

hängt unser Überleben ab.« Er zündete die Pfeife an. Süßlicher

Qualm stieg auf. Fernanda hustete. »Der Fürst war dein Vater. Du

hast ihn getötet, einen Unsterblichen. Wenn das nichts Außergewöhnliches

ist!«

»Leopoldo Brava ist mein Vater! Woher willst du wissen, dass ich

den Fürsten umgebracht habe?«

25


Salvatore hatte gehofft, dem allen entkommen zu können, dass weit

weg von Everweard Castle die Ereignisse hinter ihm liegen würden

wie ein Traum, an den man sich nach dem Aufwachen nur noch vage

erinnern kann. Liliana hatte er verloren. War der Makel seiner

Abstammung das Einzige, was ihm blieb?«

»Du willst nicht darüber sprechen. Wir drängen dich nicht. Du

musst nur wissen, wir sind deine Freunde.« Lorenzo stand auf und

ging zur Tür. »Ich werde draußen rauchen und nach den Pferden

sehen. Kümmert euch um unseren Gast. Er soll sich bei uns wohlfühlen.«

Domenico holte das Akkordeon. Er legte es auf den Schoß und begann

zu spielen. Eine wehmütige Melodie erfüllte den Raum. Antonella

räumte den Tisch ab. Fernanda betrachtete Salvatore nachdenklich.

Welch ein hübscher, naiver Junge! Mehrmals setzte sie zum

Sprechen an, dann lächelte sie und strich über Salvatores Hand.

»Wie alt bist du, Salvatore?«

»Vierundzwanzig.«

»Es ist, als hätte ich einen Sohn bekommen.«

26

* * *

Salvatore warf sich eine warme Decke um die Schultern und ging

hinaus in die Nacht. Die schmale Sichel des Mondes blinkte immer

wieder zwischen den Wolken hervor, die ein kalter Wind wie eine

Herde Büffel vor sich hertrieb. Die Pferde standen unter den Bäumen.

Es waren kräftige Tiere, die es gewohnt waren, schwere Lasten zu

ziehen. Ein Blitz erhellte für eine Sekunde das Lager. Die Pferde ließen

sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Habe ich doch richtig gesehen!«

Antonella trat aus einem der Wagen. Sie lief barfuß auf Salvatore zu

und hakte sich bei ihm unter. Unter dem dünnen Nachthemd schimmerte

ihre Haut wie Marmor. Sie schmiegte sich fest an ihn.

»Antonella, du musst frieren!«

»Lernst du denn niemals etwas dazu? Wenn wir nicht frieren wollen,

dann frieren wir nicht!«

»Ach!«

»Jawohl, ach!«


»Warum drückst du dich dann an mich? Du machst mir nichts vor.

Du bist kalt!«

»Dann wird es wohl am besten sein, du trägst mich zurück in mein

Bett.« Ihr ganzes Gewicht lag jetzt in seinen Armen. Er musste sie

festhalten, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Sie flüsterte: »Warum

schläfst du nicht? Ist es dir nicht vornehm genug bei uns?«

»An Schlafen ist gar nicht zu denken.« Regen prasselte hernieder.

Salvatore hob Antonella auf seine Arme und trug sie in den Wagen.

»An Domenico könnte ich mich ja noch gewöhnen. Sein Schnarchen

klingt genauso melancholisch und langatmig wie sein Akkordeonspiel.

Dieser Dino aber, der rodet die Nacht über ganze Wälder.«

Salvatore setzte Antonella behutsam auf dem Bett ab. Es roch nach

Rosen. Die Nachttischlampe warf einen sanften Schimmer über die

Bettdecke. Schüchtern stand er vor dem Bett, die Hände schob er in

die Hosentaschen. Antonella machte keinerlei Anstalten, unter die

Decke zu schlüpfen.

»Ich gehe dann mal wieder …«

Sie war so schön. Nein, er konnte nicht gehen. Ihr üppiger Busen

drückte sich gegen das Nachthemd. Die Beine hatte sie übereinandergeschlagen.

Die Knie glänzten golden. Die langen, schwarzen Haare

waren ihr in das Gesicht gefallen. Die schwarzen Augen schauten dahinter

hervor wie aus einem Perlenvorhang … einem Vorhang aus

schwarzen Perlen … einem Wasserfall aus Nachtregen. Mit dem Zeigefinger

fuhr sie über ihre dunkelroten Lippen, die feucht waren und

voller Versprechen. Die Wärme ihres Körpers spürte er immer noch.

Ihr Blick verwirrte ihn. Lag darin eine Einladung oder Spott? Begehren

strömte durch seinen Körper wie Fieber. Er war nicht mehr Herr

seiner Empfindungen. Verzweifelt schloss er die Augen.

»Eine Nacht an der frischen Luft wird dir guttun, Jüngling!«

Antonella schob ihn zur Tür hinaus. Er hörte, wie sie hinter ihm die

Tür verschloss.

Es regnete in Strömen. Salvatore setzte sich. Den Rücken lehnte er

gegen die Tür, den Kopf legte er in die Hände. Sie zitterten.

Was ist aus mir geworden? Triebe steuern meinen Körper und mein Denken.

Ich habe keinen eigenen Willen mehr, weil ich nicht weiß, was ich

will – und wer ich bin. Wo ist der Mann, den Liliana liebte? Kann ich

27


wieder der werden, der ich einmal war? Nein, damals schon wusste ich

nicht, wer ich bin. Ich war schon immer eine Lüge. Mein Vater ist nicht

der, den ich dafür hielt. Mein wirklicher Vater war ein Monster. Und ich

bin es auch! Vielleicht liegt die Antwort darin, dass meine wahre Natur

die eines Ungeheuers ist und ich meine Bestimmung und mein Glück

erst dann finde, wenn ich dieses Monster in mir ganz und gar anerkenne

und es lebe. Das würde bedeuten, ich werde Liliana endgültig verlieren.

Nein! Das kann ich nicht zulassen! So wie ich meinen leiblichen Vater

tötete, muss ich das in mir töten, was er mir vererbt hat.

Die Decke lag auf der Treppe. Salvatore hob sie auf und hüllte sich in

sie ein. So legte er sich vor Antonellas Tür.

Irgendwann schlief er ein.

28


Kapitel 2

»Hopp … hopp … hopp!«

Lorenzo warf ihm Keulen zu. Salvatore fing alle auf und

warf sie wieder zurück. Seine Hände waren geschickt

und reagierten, bevor er nachdenken konnte. Er trug ein Clownskostüm

und lange Schuhe mit Glöckchen an der Spitze. Domenico saß

auf einem Baumstumpf und klopfte in regelmäßigem Takt auf die

Trommel.

»Hopp … hopp … hopp!«

Der Rhythmus der Trommel wurde schneller, die Keulen flogen

jetzt in Sekundenschnelle auf ihn zu. Er fing alle auf und warf sie

ebenso schnell zurück.

»Du bist ein Naturtalent, Salvatore! Weiter!«

Lorenzo legte die Keulen zur Seite und holte einen Satz scharfer

Wurfmesser.

»Es wäre mir lieb, wenn du sie nur am Griff auffängst. Das Publikum

lechzt zwar nach Blut. Diesen Kitzel wollen wir ihnen auch nicht

nehmen. Sie wollen Blut sehen und damit den Beweis, dass wir doch

nicht unfehlbar sind. Aber darin täuschen sie sich, wir machen niemals

Fehler.«

Das erste Messer kam gemächlich angeflogen. Salvatore konnte

seine Flugbahn verfolgen. Es war ein Leichtes, es am Griff aufzufangen.

Dann folgte Messer auf Messer.

»Gut! Du weißt jetzt, um was es geht. Fangen wir an!«

Domenico klopfte den Takt. Schlag auf Schlag flogen die Messer,

Schlag auf Schlag warf Salvatore sie zurück.

»Stufe Zwei!«

Der Takt wurde schneller.

»Stufe Drei!«

Die Messer flogen jetzt so schnell, dass Salvatore nur noch seinem

Instinkt folgen konnte.

»Stufe Vier!«

»Stufe Fünf!«

Salvatore dachte überhaupt nicht mehr. Er sah nur, wie seine

Hände Messer auffingen und zurückwarfen. Das geschah alles unbewusst.

29


»Schluss für heute!«

Lorenzo kam zu Salvatore herüber. Er klopfte ihm auf die Schulter.

»Du hast Zirkusblut in den Adern.«

Sie gingen die Wiese hinunter. Eine Steinbrücke führte über einen

kleinen Fluss. Sie setzten sich auf die Mauer und schauten hinunter ins

Wasser. Oben auf dem Hügel standen die Zirkuswagen. Die Pferde

grasten auf der Wiese. Zwischen den Wagen hingen Wäscheleinen.

Fernanda und Antonella hatten den heutigen Tag zum Waschtag erklärt.

Die Herren der Schöpfung störten da nur. Nur Dino musste in

der Nähe bleiben. Seine Funktion war es, mit seinen kräftigen Händen

die nasse Wäsche auszuwringen, bevor sie aufgehängt wurde.

»Du wunderst dich über dich selbst?«, sagte Lorenzo.

»Es ist nicht meine Gewohnheit, mit Messern zu werfen.«

Salvatore betrachtete die lächerlichen Clownsschuhe. Er bewegte

die Zehen hin und her und ließ die Glöckchen klingen. Ein Fisch

steckte den Kopf aus dem Wasser.

»Wie erklärst du dir dann dein Talent?«

»Als Restaurator braucht man ein gutes Auge, um mit den Händen

präzise arbeiten zu können.«

»Diese Fähigkeiten reichen, um instinktiv, in Sekundenschnelle ein

gefährlich scharfes Messer nach dem andern aufzufangen und es genauso

schnell wieder zurückwerfen zu können?«

»Es scheint so zu sein.«

Weiter unten, hinter der Flusskrümmung, lag ein größeres Dorf.

Dort wollten sie morgen eine kleine improvisierte Vorstellung geben,

eine Benefizvorstellung, wie Lorenzo es nannte, denn er verlangte

keinen Eintritt. Es ging darum zu testen, ob Salvatore auch vor Publikum

bestehen konnte.

»Das Wort Maître bedeutet Meister?«

»Ja!«

»Du bist Meister im Selbstbetrug, Maître.«

»Können wir es nicht bei meiner Erklärung bewenden lassen?«

»Was wir eben geübt haben, ist reiner Kinderkram. Damit kannst

du auf einer Dorfkirmes auftreten. Wer den Circo Fantasmagoria

kennt, erwartet von uns atemberaubende, unglaubliche und nie zuvor

gezeigte Sensationen. Wir haben noch niemals unser Publikum

enttäuscht. Weißt du auch, warum?«

30


»Ich habe eine Vermutung.«

»Du vermutest richtig, Maître. Und deshalb passt du zu uns. Ich

werde dich berühmt machen. Die Frauen werden dir zu Füßen

liegen.«

»Ob ich das will?«

»Du willst es!«

»Wirklich? Ich bin bei euch, weil ich nicht weiß, was ich will.«

»Dann sage ich dir, was du tun sollst. Ich bin der Direktor. Alles

tanzt nach meiner Pfeife, so sagt man für gewöhnlich. Bei mir aber

heißt es: Alles tanzt nach meiner Peitsche! Du bist jetzt ein Teil des

Circo Fantasmagoria – und ich bin der Chef. Du tust, was ich dir

sage – oder du gehst, und zwar sofort auf der Stelle. Ich schließe jetzt

die Augen und zähle bis hundert. Wenn ich sie aufmache und dich

immer noch sehe, dann gehörst du mir und musst mir gehorchen, bis

ich dich eines Tages wieder gehen lasse. Das ist mein voller Ernst. Du

hast das verstanden? Ich schließe die Augen. Eins, zwei …«

Salvatore sprang von der Mauer. Panische Angst trieb ihn den Hügel

hinauf. Oben angekommen stolperte er über seine grotesken

Schuhe und fiel wie ein echter Clown in den Wäschebottich. Wasser

schwappte heraus und durchnässte Fernanda und Antonella.

Dino klatschte in die Hände.

Als sich Salvatore von den nassen Wäschestücken befreit hatte und

aus dem Bottich stieg, stand Lorenzo vor ihm und zählte:

»Hundert!«

* * *

Das Zirkuszelt war bis auf den letzten Platz besetzt. Das große Eingangstor

stand offen, damit die Besucher, die keinen Platz bekommen

hatten, wenigstens ein wenig sehen und hören konnten. Salvatore

wartete auf seinen Einsatz. Er trug das bunte Clownskostüm. An den

Füßen trug er keine Schuhe, er war barfuß. Sein Gesicht war weiß

geschminkt. An die rote Pappnase hatte er sich noch nicht gewöhnt.

Seine Nase schwitzte und juckte. Der Affe betrachtete ihn kritisch.

Immer wieder schüttelte er den Kopf und legte die breiten Hände

über den Kopf.

Das Akkordeon quietschte erbärmlich. Der Akkordeonspieler ver-

31


suchte immer wieder, eine Melodie korrekt zu spielen. Aber es gelang

ihm nicht. Es war nicht zum Aushalten!

Der Clown rannte hinaus in die Manege. Mit einem Gummihammer

schlug er dem Musiker auf den Kopf. Dieser schüttelte sich und

spielte auf einmal fehlerfrei. Der Clown streckte ihm die Zunge heraus,

dann drehte er sich um. Sogleich rutschte die Melodie ab in

quietschende Missklänge. Der Clown schlug wieder mit dem Gummihammer

zu, diesmal kräftiger. Der Musiker rieb sich den Kopf, Tränen

spritzten aus seinen Augen wie aus zwei Fontänen. Das Akkordeon

klang wieder ergreifend schön. Der Clown drohte mit dem

Gummihammer. Prompt war die Melodie nicht mehr wiederzuerkennen.

Der Clown nahm einen Anlauf und schlug mit aller Gewalt auf

den Kopf des Musikers. Der Hammer sprang zurück und landete auf

seinem eigenen Kopf. Aus dem Mund des Clowns ertönten nun die

Klänge des Akkordeons. Das Publikum klatschte begeistert.

Ein Pferd kam schnaubend auf den Clown zugestürmt. Auf seinem

Rücken stand eine leichtbekleidete Amazone mit dem Helm der Pallas

Athene auf dem Kopf. In der einen Hand hielt sie die Zügel, in der

anderen einen Speer. Sie hob ihn hoch über die Schulter und schleuderte

ihn mit aller Kraft. Der Clown sprang zur Seite. Dort wo der

Speer sich in den Sand bohrte, entsprang ein Geysir. Blutrote Flüssigkeit

spritzte in die Höhe und durchnässte sein Kostüm. Aber die Reiterin

hatte noch nicht genug. Sie ritt einmal in weitem Kreis um ihn

herum, spornte das Pferd an und raste in vollem Galopp auf ihn zu.

Mit beiden Armen weit ausholend warf sie gleichzeitig zwei Tomahawks.

Der Clown konnte ihnen nur entkommen, weil er einen

gewaltigen Sprung in die Höhe machte. Ein Raunen ging durch das

Publikum. Einen solchen Sprung hatte es noch nie gesehen. Der

Clown sprang hoch hinauf. Ein kräftiger Mann in einem fleischfarbenen

Kostüm saß auf einem Trapez in der Zirkuskuppel. Der packte

ihn an den Armen und stieß ihn auf das Hochseil. Jetzt hielt das Publikum

den Atem an. Der Clown schwankte nach links, schwankte

nach rechts, immer wild mit den Armen fuchtelnd. Er konnte das

Gleichgewicht nicht finden, er strauchelte und fiel. In letzter Sekunde

umklammerten seine Zehen das Seil. Er kam zum Halt. Mit dem Kopf

hing er nach unten. Wie ein Schwimmer warf er die Arme nach vorn.

Oben rutschten die Füße das Seil entlang. So gelangte er an das

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andere Ende des Hochseils. Aber er hatte zu viel Tempo erreicht, er

prallte krachend gegen den Mast und glitt an ihm nach unten. Dort

wartete der Affe auf ihn mit einem Eimer Wasser. Den stülpte er ihm

über den Kopf. Der Clown stand auf und schüttelte sich wie ein begossener

Hund. Dann kroch er auf allen vieren durch die Manege, um

seine rote Nase zu suchen. Das Publikum raste.

Der Affe holte eine Schubkarre. Er packte den Clown an den Füßen

und schob ihn auf die Karre. Unter den Klängen des Akkordeons und

dem Klatschen der Zuschauer verließen sie die Manege.

* * *

»Den dummen Bauern hast du ja mächtig Eindruck gemacht.«

Lorenzo sah Salvatore zu, wie er die Pferde striegelte. Garibaldi lag

zu seinen Füßen und beobachtete jede Bewegung.

»War dir das immer noch nicht gut genug?«, sagte Salvatore.

»Nicht schlecht! Ich sagte dir ja bereits, du bist zu Großem berufen.

Jetzt erkläre mir, wieso du in der Lage warst, so hoch zu springen und

wie du dich an dem Hochseil festhalten konntest.«

»Ich habe nicht darüber nachgedacht.«

»Zu welchem Ergebnis würdest du kommen, wenn du darüber

nachdächtest?«

»Ich will es nicht wissen.«

»In London will ich eine Antwort!«, sagte Lorenz.

»Was ist in London?«

»Dort werden wir die Sensation des Jahrhunderts sein. Wir werden

zeigen, dass nichts unmöglich ist. Dabei muss ich mich auf dich verlassen

können.«

»Dann seid ihr sicher besser dran ohne mich.«

»Du gehörst mir, Salvatore!«

»Wenn ich jetzt einfach gehe?«

»Dann gehe!«

Salvatore legte die Bürste zur Seite. Er schlenderte nonchalant den

Hügel hinunter in Richtung Dorf. Garibaldi begleitete ihn. Sie erreichten

die Brücke. Es war ein warmer, freundlicher Tag. Bienen

summten. Kinder ließen Schiffchen auf dem Wasser treiben. Salvatore

kam bis zur Mitte der Brücke. Die Kinder hatten ihn entdeckt. Sie

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winkten ihm fröhlich zu. Für sie war er eine Berühmtheit. Gerade

jetzt war er wieder unwiderstehlich komisch, wie er so tat, als gäbe

es eine unsichtbare Wand, die ihn daran hinderte, die Brücke zu überqueren.

Das Entsetzen in seinen Augen sah aus wie echt. Hoffentlich

reist der Zirkus nicht sobald ab! Ein Mädchen mit einem roten Band

im Haar pflückte ein paar gelbe Blumen und rannte hinauf auf die

Brücke. Sie überreichte ihm den Strauß mit einem kleinen Knicks wie

eine richtige Dame. Tränen standen in seinen Augen. Welch ein

Clown!

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* * *

Salvatore striegelte die Pferde.

»Wenn du so weitermachst, haben sie bald kein Fell mehr. Lasst uns

lieber ausreiten!«

Antonella trug ein Reitkostüm. Sie schwang sich auf den Rücken

ihres Pferdes. Salvatore stieg auf den Gescheckten.

»Wo reiten wir hin?«

»Ins Dorf! Ich möchte etwas einkaufen.«

Sie ritten den Hügel hinunter. Nachdem sie die Brücke überquert

hatten, folgte ihnen die Schar Kinder. Antonella hob das kleine Mädchen

mit dem roten Haarband vor sich auf den Sattel. Im Dorf kamen

von überallher Kinder herbeigeeilt. Mit erwartungsvollen Augen bestaunten

sie die beiden Künstler aus dem Zirkus, der in ihrer Welt

aufgetaucht war wie aus Tausendundeiner Nacht. Antonella löste das

rote Band aus dem Haar des Mädchens. Sie zog es durch die Hand und

hervorkam … ein funkelndes Perlenband. Das befestigte sie feierlich

im Haar des Mädchens. Dann reichte sie das Kind in die Hände ihrer

Mutter.

»Ich brauche ein paar Schuhe, gute Frau. Gibt es bei euch einen

Schuster?«

Die Frau nickte und zeigte wortlos auf ein Haus am Ende der

Straße. Das Messingschild über der Tür hatte die Form eines Stiefels.

Sie ritten dorthin, gefolgt von einer in Ehrfurcht verstummten Kinderschar.

Der Schuster trat vor das Haus. Er war noch ein junger Mann. Er

trug eine Arbeitsschürze aus dunklem Leder. Er konnte Antonella


nicht direkt anschauen. Sie war so exotisch schön und weckte in ihm

gewisse Gefühle. Er hatte Angst, rot zu werden.

»Meister, habt ihr Damenstiefel aus weichem Leder? Seht nur

meine armen Füße! Sie sind ganz wund vom Laufen über staubige

Straßen und spitze Steine.«

Jetzt musste der Meister ihre Füße betrachten, die kein bisschen

wund waren, sondern so schön und anmutig wie die einer Prinzessin.

Eine junge Frau trat an seine Seite. Sie lächelte mild, als sie sah, wie

verlegen ihr Mann war. Er war für sie ihr ältestes Kind. Gut, dass er

sie hatte, um auf ihn aufzupassen!

»Bitte, treten Sie ein!«, sagte sie. »Ich werde sofort nachsehen.

Gideon, stehe nicht herum! Hilf der Dame vom Pferd!«

»Nicht nötig, Frau Meisterin!« Antonella sprang vom Pferd und

stolperte ungeschickt direkt in die Arme des überrumpelten Meisters.

»Danke, dass Sie mich aufgefangen haben. Ich glaube, ich habe mir

den Fuß verdreht. Jetzt müssen Sie mich hineintragen. Das tun Sie

doch für mich, Gideon?«

Gideon warf einen hilfesuchenden Blick zu seiner Frau. Sie zuckte

mit den Schultern.

»Du hast die Dame gehört.«

Der junge Schustermeister trug Antonella in die Werkstatt. Er

schwitzte. Die Last war schwerer, als er gedacht hatte, und sie roch so

wunderbar nach Rosen. Wenn seine Frau ihm nicht einen Stuhl für

die Dame hingeschoben hätte, hätte er sie wohl für immer in den Armen

gehalten.

Salvatore kam herein. Die Werkstatt war nicht groß. Es roch nach Leder

und Leim. Regale standen an den Wänden, gefüllt mit Schuhen in

allen Größen und Farben. Vor dem schmalen Fenster stand ein kleiner

Tisch. An ihm saß ein Junge mit ernstem Gesicht. Vor ihm lag ein Bogen

Papier. Die Augen zusammengekniffen versuchte er angestrengt,

mit dem Zirkel einen Kreis zu ziehen. Salvatore setzte sich neben ihn.

»Hallo, junger Mann!«

Der Junge sah auf. Erschrocken sah er, welche Berühmtheit sich zu

ihm gesetzt hatte. Prompt rutschte der Zirkel aus. Eine krumme Linie

zog sich über das Blatt Papier.

»Oh!«

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»Radiergummi?«

Der Junge gab ihm einen Radiergummi. Salvatore radierte sorgfältig

die misslungene Zeichnung weg.

»Was ist das Wichtigste an einem Kreis?«, fragte Salvatore.

»Ich weiß nicht. Dass er rund ist?«

»Wir brauchen noch ein Lineal oder ein Geodreieck und einen feingespitzten

Bleistift.«

Der Junge holte die Sachen und gab sie Salvatore.

»Das Wichtigste an jedem geometrischen Objekt, also auch an einem

Kreis, ist der Mittelpunkt. Den müssen wir als Erstes festlegen.«

Salvatore zeichnete mit Lineal und Bleistift zwei Geraden, die sich

im rechten Winkel in der Mitte des Papiers schnitten.

»Das ist das Zentrum.«

Salvatore setzte die Spitze des Zirkels genau auf diesen Punkt.

Dann zog er mit einer einzigen Bewegung den Kreis.

»Jetzt haben wir einen Kreis. Wenn du genau hinschaust, wirst du

noch mehr erkennen. Hier ist das Fadenkreuz. Von diesem gehen vier

Kreisabschnitte aus wie vier Teile eines Kuchens. Wenn ich jetzt die

Punkte verbinde, in denen die Querlinien den Kreis durchschneiden,

erhalte ich ein auf die Spitze gestelltes Quadrat. Siehst du?«

Der Junge blickte fasziniert auf das Papier.

»Aber warum sollten wir uns damit begnügen? Schau her! Wenn

ich an diese Schnittstellen Geraden im rechten Winkel zeichne und

sie miteinander verbinde, erhalten wir ein weiteres großes Quadrat,

das den Kreis umfasst.«

Bewundernd sah der Junge auf Salvatores Hände. Sie hatten gewiss

magische Kräfte.

»Du kannst dir denken, dass wir noch mehr aus den wenigen Linien

und Punkten entwickeln können. Das Grundprinzip bleibt immer

das gleiche. Jedes geometrische Objekt braucht einen Mittelpunkt,

einen Ausgangspunkt, wenn du willst. Genauso ist es mit allen

Dingen in unserem Leben. Wir brauchen einen Mittelpunkt, um existieren

zu können.«

»Verwirre den armen Jungen nicht, Salvatore!«, rief Antonella

herüber. Sie räkelte sich auf einem Stuhl. Der Rocksaum war über

die Knie gerutscht. Vor ihr kniete der Schustermeister und versuchte,

mit schwitzenden Händen ihr ein Paar rotglänzende Stiefel

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anzuziehen. »Nicht jeder ist berufen, ein so großer Philosoph zu

werden wie du.«

»Das hat nichts mit Philosophie zu tun«, sagte Salvator, »das ist

Mathematik. Damit kann man wirklich etwas anfangen.«

»Mathematik war schon immer das Steckenpferd der Philosophen.

Geben Sie mir recht, Meister?«, sagte Antonella.

»Ganz wie Sie meinen, gnädige Frau!«

»Du bist langweilig! Vielleicht sollte mir deine Frau helfen.«

Die Frau des Schustermeisters brachte noch zwei Paar Stiefel.

»Das sind die letzten. Wenn sie auch nicht passen, muss mein

Mann ein Paar für sie herstellen. Werden Sie denn solange noch hier

sein?«

»Wir bleiben eine Woche. Reicht das? Ich zahle auch im Voraus.«

»Gideon?«

Der Schustermeister nickte. Für diese Füße würde er jede andere

Arbeit liegen lassen.

»Dann nehmen Sie Maß, Meister!«

Der Junge hielt fasziniert Salvatores Zeichnung in den Händen. Darin

lag eine neue Welt, eine Welt, die er beherrschen konnte. Der Tisch

war ein Quadrat, die Uhr an der Wand ein Kreis, die Schränke waren

Rechtecke, die ganze Welt ließ sich in geometrische Figuren auflösen,

zeichnen, errechnen und neu zusammensetzen. Das war der Schlüssel

zu allen Rätseln!

»Ernest, bedanke dich bei dem Herrn!«

»Nicht nötig! Es hat mir Spaß gemacht.«

»Danke!« Ernest griff nach der Hand seiner Mutter. »Ich muss das

lernen. Ich muss!«

»Aber, Ernest, so kenne ich dich nicht!«

Salvatore stand auf.

»Wir bleiben noch eine Woche, Frau Meisterin. Mein eigentlicher

Beruf ist Restaurator. Außerdem habe ich Kunstgeschichte und Architektur

studiert und darin einen Doktortitel erworben. Ich will damit

nur sagen, dass ich Geometrie wirklich gelernt habe. Es würde

mir Freude machen, ihrem Sohn noch ein wenig beizubringen, solange

wir hier sind. Wenn es Ihnen recht ist?«

»Wir können Sie nicht bezahlen.«

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»Wenn Ihr Mann sich besonders viel Mühe gibt mit Antonellas

Stiefeln, ist es mir Bezahlung genug.«

»Sie kennen uns doch nicht.«

»Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in Ernests Alter war und

nie genug lernen konnte. Immer war ich unzufrieden, weil es noch so

viel gab, das ich nicht verstand. Wir sind verpflichtet, unser Wissen

und unsere Begeisterung an die junge Generation weiterzugeben.«

»Wenige denken so.«

»Sind Sie einverstanden?«

»Wie heißen Sie, junger Mann?«

»Mein Name ist Salvatore Brava. Wenn Sie noch mehr Kinder haben,

sie können alle kommen – deine Freunde auch, Ernest.«

»Der Herr Pfarrer …«

»Er kann uns einen Raum zur Verfügung stellen«, sagte Salvatore.

»Ich spreche mit ihm«, sagte die Frau des Meisters.

»Wenn nicht, dann werde ich Ernest allein unterrichten.«

»Was meinst du dazu, Gideon?«

»Frau Meisterin, Salvatore ist ein Genie«, rief Antonella. »Lassen

Sie sich diese Chance nicht entgehen! Außerdem kann er bei der

Gelegenheit gleich überprüfen, ob die Arbeit an meinen Stiefeln zügig

voranschreitet.«

»In der Schule drüben in Oldmall wird mit dem Rohrstock unterrichtet.

Denken ist dort unerwünscht.« Gideon hatte das letzte Paar

Stiefel zur Seite gestellt. »Cecily, meine Liebe, man wird es dort nicht

gern sehen, wenn ein Schüler gescheiter ist als die Lehrer.«

»Wenn man dumm ist und nur das tut, was einem die anderen sagen«,

sagte Salvatore zornig, »mag das Leben ja bequemer sein. Es ist

aber auf keinen Fall ein eigenständiges Leben. Das muss man nämlich

erkämpfen!«

»Ernest ist doch nur ein Kind.«

»Wann beginnt der Kampf des Lebens?«

»Ernest, was möchtest du?«

Cecily nahm Ernest die Zeichnung aus der Hand und betrachtete

sie. Sie konnte verstehen, was ihren Sohn daran faszinierte. Wie gern

wäre sie auf eine höhere Schule gegangen oder auf die Universität,

aber ihr Vater war ein einfacher Schneidermeister und sie nur ein

Mädchen.

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»Mutter, ich muss das lernen. Ich muss!«

»Gut, Ernest! Eine Woche ist nicht viel, aber ein Anfang. Maître

Brava, mein Mann und ich danken Ihnen.«

»Bis morgen, Ernest! Ich freue mich darauf.«

»Was ist nur über dich gekommen, Salvatore?«

Sie ritten nicht direkt zum Lager, sondern wollten weiter oben eine

Furt überqueren, auf die man sie aufmerksam gemacht hatte.

»Ich wollte wieder einmal etwas Sinnvolles tun.«

»Ist die Arbeit im Zirkus sinnlos?«

»Ja, sie ist sinnlos.«

»Ist es sinnlos, anderen Menschen Freude zu machen, sie zum Lachen

zu bringen und sie für eine kurze Zeit die Sorgen des Lebens

vergessen zu lassen?«

»Nein! Ich meinte, die Arbeit im Zirkus bringt mich nicht weiter.

Für mich ist es eine sinnlose Zeitverschwendung.«

»Trotzdem tust du sie?«

»Mein Leben hat seinen Mittelpunkt verloren. Ich muss einen

neuen finden. Bis ich ihn gefunden habe, ist es gleichgültig, was ich

mache.«

»Warst du schon immer solch ein schwermütiger, tiefsinniger

Mensch, Maître?«

»Ja!«

»Lorenzo hält große Stücke von dir.«

»Lorenzo hält mich gefangen.«

»Einen Veel’zi kann niemand gefangen halten.«

»Vielleicht bin ich doch kein Gestaltwandler?«

»Das musst du mit dir selbst ausmachen, Salvatore. Eins ist gewiss,

du bist ein unverbesserlicher Dickschädel. Alles, was dir geschieht,

hast du nur dir selbst zuzuschreiben. Sieh mal, da drüben ist eine

Ruine!«

Sie überquerten die Furt. Vor der Ruine stiegen sie ab und ließen die

Pferde grasen. Die Mauern des Klosters standen noch. Durch hohe

Fenster fiel die Sonne auf Bänke aus verwittertem Stein. Alles war

überwachsen mit Moos und Gras.

»Setzen wir uns!«

Antonella nahm Salvatores Hand und führte ihn zu einer Bank. Von

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dort hatten sie einen weiten Blick über das Tal, den Fluss und das

Dorf. Spatzen flogen auf und verschwanden durch die Fensteröffnungen

wie die Seelen Verstorbener. Das Kruzifix lag auf dem Boden. Es

war an mehreren Stellen zerbrochen. Der Kopf des Heilands war

gespalten. Blaue Blumen wuchsen dazwischen hervor.

Sie setzten sich und schauten hinaus. Antonella hielt immer noch

seine Hand. Salvatore fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Es scheint, ich

liebe alle Frauen, dachte er. Kein Wunder, dass mich Liliana verstieß.

»Kann ich meinen Arm um dich legen, Antonella?«

»Aber nur das!«

Er legte den Arm um ihre Taille und rückte an sie heran. Den Kopf

legte er auf ihre Schulter. Er konnte in ihr Dekolleté sehen. Die festen

Brüste bewegten sich sanft mit ihrem Atem.

»Du bist schön!«

»Natürlich! Ich bin so schön, wie ich sein möchte.«

»Wie meinst du das?«

»Salvatore!«

»Ist alles Illusion?«

»Alles ist wirklich. Aber ich bestimme, was wirklich ist, Ungläubiger!

Wir Veel’zi besitzen eine weitere Dimension des Lebens. Warum

sollten wir darauf verzichten?«

»Weil es unnatürlich ist.«

»Ich wurde geboren und bin aufgewachsen, habe geliebt und geweint,

hatte Freude und Schmerz. Was ist daran unnatürlich?«

»Ich bin dem nicht gewachsen.«

»Du musst mit ihm wachsen.«

Salvatore gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie schmeckte nach

wilden Erdbeeren.

Antonella stand auf.

»Mir müssen zurück!«

»Schon? Mir gefällt es sehr gut hier – mit dir.«

»Ich habe Hunger.«

»Dagegen habe ich wohl keine Chance?«

»Gegen Spaghetti Fernanda? Niemals!«

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Kapitel 3

Der Zirkus gab jeden Abend eine Vorstellung. Das sprach

sich schnell herum. Die Besucher kamen aus der gesamten

Region. Händler ließen sich das Geschäft nicht entgehen.

Um das Zirkuszelt stellten sie ihre Buden auf. Bevor man den Zirkus

betreten konnte, musste man dem verführerischen Geruch von

Würstchen und Braten widerstehen. Aus dem Bierzelt erklang Blasmusik.

Eine Orgel mit bunten Pfeifen und mechanischen Äffchen, die

im Rhythmus zwei Bleche aufeinanderschlugen, lockte die Kinder zur

stürmischen Fahrt auf der Schiffsschaukel. Für die Frauen gab es hier

alles, was sie unbedingt zu brauchen glaubten. Ein Stand war beladen

mit Stoffen in allen Farben, Strümpfen, Unterwäsche, Lippenstiften,

Kämmen, Glasperlenketten, Broschen und Liebesromanen. Gleich daneben

gab es Töpfe, Pfannen, Messer, Scheren, Äxte, Schaufeln und

Rechen. Am meisten bestaunt wurde der schlanke Herr im schwarzen

Anzug und dem Zylinder auf dem Kopf. Doktor Mirabilis verkaufte

Salben und Tinkturen für alle Leiden, sogar für Krankheiten, die noch

nicht entdeckt worden waren. Er war ein starker Mann und konnte

in einem Zug jeden kranken Zahn entfernen. Weiter entfernt stand

ein Podest. Darauf übte eine Musikkapelle. Nach der Vorstellung

spielten sie zum Tanz auf. Diese Tänze gingen bis spät in die Nacht.

Die Bauern und ihre Familien hatten sich gewissermaßen Urlaub genommen.

Solange der Zirkus bei ihnen war, wollten sie nichts versäumen.

Der Pfarrer versuchte verzweifelt, auch nur eine Seele zu retten.

Vergeblich! Wer nicht sowieso regelmäßig in den Gottesdienst kam,

ließ nicht davon ab, sich den weltlichen Verlockungen hinzugeben.

Vormittags trainierte Salvatore für die Abendvorstellung. Lorenzo

ließ ihm keine Atempause und trieb ihn von Höchstleistung zu

Höchstleistung.

Nach dem Mittagessen unterrichtete er den Sohn der Schustersleute.

Ernest war sein einziger Schüler. Die Eltern der anderen Kinder

hatten Angst vor dem Herrn Pfarrer und den Lehrern. Ernest war ein

begeisterter Schüler und machte erstaunlich schnell Fortschritte. Er

war sehr intelligent. Kaum hatte er ein Prinzip verstanden, konnte er

neue Anwendungen daraus entwickeln. Salvatore hatte daran große

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Freude. Sie ließ ihn für ein paar Stunden vergessen, dass sein Leben

keinen Sinn hatte und versetzte ihn in die Zeit zurück, als er an eine

Zukunft glaubte.

Mittelpunkt aller Aufführungen des Circo Fantasmagoria war Salvatore.

Jeden Abend konnten die Zuschauer neue unglaubliche Akrobatik

von ihm sehen. Bald sprach man nur noch voller Bewunderung

von Salvatore Brava, Salvatore, dem Wagemutigen, dem Mann, dem

nichts unmöglich war.

Nach den Vorstellungen gingen Salvatore und Antonella Arm in

Arm spazieren oder sie ritten über die Wiesen und Felder. Wenn niemand

in der Nähe war, schwammen sie im Fluss, bis sie Gänsehaut

bekamen. Sie setzten sich danach ans Lagerfeuer und lauschten Fernanda,

die Lieder sang aus der italienischen Heimat. Domenico begleitete

sie auf der Gitarre. Wenn alle zu Bett gegangen waren, saßen sie

eng umschlungen in Antonellas Wagen und erzählten oder schwiegen

zusammen.

Die Nacht aber verbrachte Salvatore in eine Decke gehüllt vor Antonellas

Tür.

So verging die Woche. Der Tag des Abschieds kam.

Antonella stolzierte in der Schusterwerkstatt auf und ab wie eine

Prinzessin auf der Promenade. Die roten Stiefel saßen wie angegossen.

Noch nie hatte sie sich in neuen Schuhen auf Anhieb so wohlgefühlt.

Auch Cecily war zufrieden. Die Frau vom Zirkus war sehr

großzügig gewesen.

»Werdet ihr wiederkommen?«, fragte sie.

»Nein! Cecily, ihr müsst von nun an allein für eure Unterhaltung

sorgen. Ihr wisst ja jetzt, wie es geht.«

»Sie scherzen! Wer sollte den großen Salvatore Brava ersetzen?«

»Das sollte man auch nicht nachmachen. Aber abendlicher Tanz und

fröhliches Beisammensein, das müsst ihr doch jetzt nicht aufgeben.«

»Wir sind Bauern und Handwerker. Wir kennen nur die Arbeit.

Das bisschen Vergnügen, das wir hatten, wird uns bald wie ein

Traum vorkommen oder wie eine Sünde, die uns der Pfarrer bis an

unser Lebensende vorhalten wird.«

Ernest saß steif und teilnahmslos am Tisch. Für den heutigen Tag

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trug er extra den Konfirmandenanzug, der ihm bereits etwas zu eng

war. Er war blass und hätte gern geweint, aber er war ja schon ein

großer Junge. Salvatore saß ihm stumm gegenüber. Auch ihm fiel der

Abschied schwer.

»Wie alt bist du, Ernest?«

»Dreizehn.«

»Gideon, Cecily, ich muss mit euch sprechen!«

Die Schustersleute kamen herüber. Salvatore stand auf, damit sich

Cecily setzen konnte. Es gab nur drei Stühle in der Werkstatt.

Die Uhr tickte laut. Wieso fiel ihm auf einmal das Geräusch der Uhr

auf? Das hatte er doch die ganze Woche nicht wahrgenommen.

»Ich möchte euch bitten, über etwas nachzudenken.«

»Wir werden Sie vermissen, Maître.«

»Ich bitte euch, lasst Ernest gehen!«

»Mit dem Zirkus? Niemals!« Gideon packte Ernest an der Schulter,

als wollte er ihn daran hindern, sofort davonzulaufen.

»Nicht mit dem Zirkus! Was denken Sie nur von mir? Ernest muss auf

eine richtige Schule, auf ein Internat und später, wenn er will, auf die

Universität. Alles andere wäre ein Verbrechen an seiner Begabung.«

Cecily traten Tränen in die Augen.

»Ach Maître, Sie meinen es so gut. Aber wie soll das gehen? Wir

sind arme Leute. Für uns gibt es keine höheren Schulen und keine

akademischen Laufbahnen. Schuster muss er werden wie sein Vater!«

Ernest senkte den Kopf.

»Ich sage das nicht leichtfertig, Cecily«, fuhr Salvatore fort. »Ernest

hat eine große Begabung. Er wird niemals sein Glück finden,

wenn er nicht dieser Begabung folgt. Ich bitte Sie, lassen Sie mich ihm

helfen.«

Überrascht sah Cecily auf.

»Erklären Sie sich näher!«

»Sie haben mich als Zirkusclown kennengelernt. Das bin ich nicht. Ich

habe studiert und bin zu großem Vermögen gekommen. Es wäre mir eine

außerordentliche Freude, Ernest ein Stipendium zu bezahlen, das es ihm

ermöglicht, seinen Weg zu gehen. Sie müssten ihn ziehen lassen, damit

er auf ein Internat in London, Oxford oder Cambridge gehen kann.«

Ernest blickte auf. Seine Augen strahlten. Dann wurde er wieder

traurig. Er stand auf und setzte sich auf den Schoß seiner Mutter.

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»Mama, ich will nicht weg von dir!«

Cecily wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Sie strich Ernest übers

Haar und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Mein Ernest, ich habe dich lieb! Wir lassen dich nicht allein.

Wenn du gehen solltest, werden wir mit dir gehen. Wo immer du zur

Schule gehst, sei es auf ein Gymnasium, in ein Internat oder auf eine

Hochschule, wir werden bei dir sein. Gute Schuster werden überall

gebraucht. Wenn du gehst, dann gehen wir alle.«

Salvatore legte Papiere auf den Tisch und einen versiegelten Umschlag.

Das Siegel hatte die Form der Ouroboros-Schlange.

»Es ist mir nicht entgangen, Cecily, wie sehr Sie Ernest lieben und

dass Sie alles opfern würden, damit er seinen Weg gehen kann. Er ist

sehr intelligent. Jede Schule müsste dankbar sein, ein solches Talent

aufnehmen zu dürfen. Aber leider zählt nicht die Begabung, sondern

nur Geld und die Gesellschaftsklasse.«

»Wir sind einfache Handwerker.«

»Gideon ist bestimmt kein einfacher Handwerker!« Antonella

hörte fasziniert zu. Sie hatte keine Ahnung von Salvatores Plänen gehabt.

»Gideon ist ein Künstler, der mit Leder arbeitet.«

»Da hast du recht, Antonella«, sagte Salvatore. »Mein Vater ist der

Baumeister des Florenzer Doms. Er ist wie Sie, Gideon, Künstler und

Handwerker zugleich. Es war ihm mehr als anderen bewusst, wie

wichtig eine höhere Ausbildung ist. Deshalb schickte er mich auf die

besten Universitäten. Ich möchte, dass Sie dasselbe für Ihren Sohn

tun. Was Ihnen fehlt, ist Geld. Das gebe ich Ihnen!«

»Wir können doch von Ihnen kein Geld annehmen, Maître!«

Der junge Schustermeister konnte das alles nicht begreifen. Er

schämte sich, dass er nicht alles für seinen Sohn tun konnte.

»Es ist nicht für Sie, sondern für Ihren Sohn. Sehen Sie mich als

seinen Paten. Ja, so wollen wir es nennen. Ich übernehme die Patenschaft

für Ernests Ausbildung.«

»Und wenn Sie sich in ihm irren?«

»Erziehung, Ausbildung sind niemals nutzlos. Sollte sich Ernests

Begabung in eine andere Richtung entwickeln, dann muss er ihr folgen.

Meine Unterstützung gilt nicht einer mathematischen Begabung,

sondern Ernest. Aber ich irre mich nicht in ihm.«

»Was versprechen Sie sich davon, Maître?«

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»Ich bin zu Vermögen gekommen. Das möchte ich in die Zukunft

investieren. Wenn Ernest seine Ausbildung erfolgreich beendet hat,

wird sein Wissen unsere Gesellschaft bereichern, sei es, er gibt sein

Wissen als Lehrer weiter, sei es, er gewinnt als Wissenschaftler neue

Erkenntnisse. Ich finde, besser kann man Geld nicht anlegen.«

»Erwarten Sie einen Gewinn? Soll er das Geld zurückzahlen – mit

Zinsen?«

»Er wird es zurückzahlen, aber nicht mir, sondern uns allen. Was

ich tu, ist nichts Außergewöhnliches. Wie sind die herrlichen Werke

der Renaissance entstanden, die Gemälde, die Fresken, die Skulpturen

und Gebäude? Ich sage es Ihnen: durch Mäzene, reiche Kaufleute, Kirchenfürsten

und Adlige, denen es nicht darum ging, ein Meisterwerk

in ihrem stillen Kämmerlein aufzuhängen, sondern es allen Bürgern

zu schenken zum Ruhme der Stadt. Das brachte Florenz’ Ansehen

weit über die Grenzen hinaus. Noch heute verdient die Stadt an den

Besuchern, die aus aller Welt anreisen, um die Werke eines Michelangelo,

Raffael, Tizian oder Leonardo da Vinci zu bewundern.«

»Das ist mir alles zu hoch! Verzeihen Sie, Maître, ich muss mir das

gründlich überlegen.«

»Ich will euch erläutern, wie ich mir das Ganze gedacht habe. Hört

euch mein Angebot an, dann besprecht es in aller Ruhe, wie es in einer

Familie üblich ist. In diesem Umschlag befindet sich eine größere

Summe. Das bekommt ihr sofort. Damit könnt ihr alle Kosten decken,

bis Ernest in einer Schule aufgenommen ist und ihr euch niedergelassen

habt.« Salvatore schob den Umschlag in die Mitte des Tisches.

»Wenn ich in London bin, werde ich ein Konto einrichten, von dem

aus monatliche Zahlungen für Schulgebühren, Schulmaterialien, Unterkunft

und Sonstiges erfolgen werden. In diesem Schreiben hier …«

Er legte einen Vertrag auf den Tisch. »… wird die Bank angewiesen,

die entsprechenden Buchungen auszuführen. Gideon, Sie müssen nur

der Bank mitteilen, wie hoch die Summe ist und wohin sie überwiesen

werden soll. Ich werde das alles mit der Bank besprechen. Man

wird also auf Sie vorbereitet sein.« Er legte zwei weitere Blätter dazu.

»Das ist ein von mir verfasstes Empfehlungsschreiben. Und hier ist

eine Liste von Professoren, die ich aus meiner Studienzeit in London

kenne. Sie werden euch auf Grund meines Schreibens helfen, die

richtige Schule für Ernest zu finden. Das hoffe ich wenigstens. Sollte

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es Schwierigkeiten geben, dann lasst ihr mir über die Bank eine

Nachricht zukommen. Ihr seht, die Hauptarbeit liegt bei euch, ihr

müsst das alles organisieren, Ernest unterstützen und Mut machen,

wenn es einmal nicht so läuft. Ich bin fein raus, ich gebe nur das

Geld!«

Cecily drückte Ernest fest an sich. Immer wieder strich sie ihm über

das Haar. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Gideon schwieg.

Er sah auf seine Hände. Sie hatten Schwielen und Schnittwunden.

Wie weit hatten sie ihn gebracht? Er war zufrieden gewesen mit seinen

bescheidenen Einkünften und seiner kleinen Familie. Niemals

hatte er daran gedacht, dass sein Sohn eines Tages darüber hinauswachsen

könnte. Nachdenklich sah er Ernest an. Er war immer ein

heller Kopf gewesen, ohne dass er dabei überheblich geworden wäre.

Cecily hatte ihn zu einem lieben, bescheidenen Jungen erzogen. Nein,

er konnte stolz sein auf das, was er erreicht hatte. Er stand auf. Seine

Haltung zeigte, er war der Herr des Hauses.

»Maître, ich bitte Sie, uns allein zu lassen, damit wir Familienrat

halten können.«

»Selbstverständlich, Gideon, lasst euch Zeit!«

Salvatore stand auf.

»Verraten Sie mir aber vorher noch eins, Maître! Was sind Ihre

wahren Gründe?«

»Ich bin zu diesem Geld gekommen, weil ich einen Auftrag ausgeführt

habe, hinter dem jemand stand, der sich mein Vater nannte,

aber niemals mein Vater war. Ich möchte dieses Geld dazu zwingen,

die Verantwortung einer Vaterschaft zu übernehmen.«

Antonella sah Salvatore verschmitzt an.

»Das hat mir besonders gefallen: Ernest hat eine große Begabung.

Er wird niemals sein Glück finden, wenn er nicht dieser Begabung

folgt! Vielleicht solltest du diesen Satz umformulieren: Salvatore hat

eine große Begabung, Er wird niemals sein Glück finden, wenn er

nicht dieser Begabung folgt! Ernest kann dir da nicht helfen. Du

musst dir selbst helfen.«

»Ernests Begabung ist eine positive, gute, nützliche Begabung.

Mein Talent, auf das du anspielst, ist negativ, schlecht und zerstörerisch.«

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»Es ist schon erstaunlich, welcher hirnverbrannte Schwachsinn

aus dem Munde eines ansonsten recht intelligenten Menschen

kommt.«

»Du meinst, ich habe unrecht?«

»Du weißt, dass du unrecht hast.«

»Und der Fürst? Meinst du, ich wollte wirklich so werden wie er?«

»Der Fürst hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Mehr will ich über ihn

nicht sagen. Er war ein Veel’zi. Aber das sind auch Domenico und ich.

Zählst du mich ebenfalls zu den bösartigen Kreaturen?«

»Nein, nein! Der Fürst hat mir aber die Augen geöffnet, wie leicht

sich diese Fähigkeiten missbrauchen lassen. Wie schnell fühlt man

sich überlegen und kennt keine Skrupel mehr.«

»Gilt das nicht für jeden Menschen, für jede Veranlagung? Kann

nicht jeder sogenannte gewöhnliche Mensch dieselben Verbrechen

begehen wie ein Gestaltwandler?«

Ernest strahlte.

»Maître, danke! Ich kann es noch gar nicht glauben … Geometrie

werde ich lernen und Algebra, Physik, Astronomie … Ich werde Ihnen

keine Schande machen.«

»Ganz bestimmt nicht! Wichtig ist vor allem, dass es dir Freude

macht.«

Die Wohnung der Schustersleute lag über der Werkstatt.

Cecily hatte Tränen in den Augen. Sie umarmte Salvatore und gab

ihm einen Kuss auf die Wange.

»Das musste sein, Maître! Ein solches Glück! Wie können wir Ihnen

je dafür danken?«

»Vergessen Sie mich, Cecily! Es gibt Menschen, die kommen reich

zur Welt. Zu euch kommt das Geld eben etwas später. Wichtig ist nur,

was ihr daraus macht.«

Gideon entkorkte eine Flasche Wein und füllte die Gläser.

»Maître Salvatore Brava, der Familienrat hat sie einstimmig zu Ernests

Patenonkel ernannt. Darauf wollen wir anstoßen!«

»Auf Ernests Zukunft – und auf eure, Cecily und Gideon!«

»Wir müssen jetzt aber zurück, Salvatore«, sagte Antonella. »Lorenzo

wartet nicht gern!« Sie hasste Abschiede.

Salvatore nahm einen Umschlag aus der Jackentasche.

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»Das ist ein Brief an die Duchess of Everweard. Sollte ich wider

Erwarten aufgehalten werden oder mir etwas zustoßen, wendet euch

an sie. Sie wird euch weiterhelfen.«

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Kapitel 4

Der Herbst brachte kalte Nächte und Frost. Salvatore hätte

schon längst nicht mehr draußen vor Antonellas Tür schlafen

können, wenn er nicht unbewusst seinen Körper verändert

hätte. Seine Haut war hart und undurchlässig wie die eines Reptils.

Sein Blut floss langsamer, der Atem ging in gleichmäßigem, ruhigem

Rhythmus. Das alles nahm er nicht wahr, – wollte er nicht wahrnehmen.

Wenn er nicht schlafen konnte und hinauf zu den Sternen

blickte, sehnte er sich nicht nach Antonella, die unerreichbar wenige

Meter entfernt von ihm schlief, er dachte an Liliana. Sie war das glühende

Messer in seiner Brust gewesen. Man hatte es herausgerissen.

Warum war er nicht auf der Stelle gestorben? Oder war er es doch?

Wenn das Leben keinen Sinn mehr hat, ist es dann überhaupt noch

ein Leben, ist es dann nicht schon längst der Tod?

Sein Herz hing noch immer in dem Geflecht einer verdorrten

Rosenhecke.

Der Zirkus hatte sein Lager aufgeschlagen auf einer kleinen Insel.

Der See hielt sie gefangen in dunkelgrauem Schweigen. Die Ufer waren

nur als Nebelstreifen in der Ferne zu sehen. Fernab von neugierigen

Blicken wollte Lorenzo die Saison in London vorbereiten. Es

sollte nichts weniger werden als die Sensation des Jahrhunderts.

Salvatore saß am Küchentisch und sah Fernanda zu, wie sie eingekochtes

Gemüse in Gläser abfüllte. Dabei sang sie mit ihrer herbsüßen

Stimme von den Straßen Neapels, den Weinbergen der Toskana

und den Gondeln Venedigs, als wären diese nicht in dieser

Welt, sondern in einem fernen Himmel, der für immer unerreichbar

blieb. Durch das Fenster konnte er sehen, wie Dino seine Muskeln

spannte und größer und größer wurde. Jetzt war er ein Riese, der

seinen Schatten warf über den See. Eine riesige Flamme loderte

zum Himmel empor, die er aus dem Mund ausstieß und wieder

einsog.

»Bist du auch eine Gestaltwandlerin, Fernanda?«

»Nein, ich bin eine Zauberin wie Dino und Lorenzo.«

»Warum lässt mich Lorenzo nicht gehen?«

»Aber, Salvatore! Ich dachte, du bist gerne bei mir.«

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»Ich fühle mich bei dir zu Hause, Fernanda. Ich dürfte mich nicht

beklagen, weiß aber auch, dass ich nicht zu euch gehöre.«

»Du bist so begabt!«

»Ich weiß nicht, was ich tu. Es ist jemand anders, den du bewunderst.«

»Das soll ich verstehen?«

Domenico trat in den Wagen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen.

»Er findet heute gar kein Ende.«

»Lorenzo will nur euer Bestes.«

»Maître, du sollst sofort zu ihm kommen. Er hat eine neue Idee.

Wenn ich heißen Kaffee getrunken habe, könnt ihr wieder mit mir

rechnen.«

Salvatore stand auf. Er gab Fernanda einen Kuss auf die Wange.

»Ich könnte dir stundenlang zuhören. Niemand singt so schön

wie du.«

In der Mitte der Insel gab es eine unbewachsene Fläche. Sie war rund

und mit weißem Sand gefüllt wie ein Amphitheater. Antonella ritt

den Gescheckten im Kreis herum. Der Affe sprang auf das Hinterteil

des Pferdes, von dort aus auf die Reiterin. Im Kopfstand hielt er sich

mit den Händen auf ihren Schultern fest. Lorenzo saß außerhalb auf

einem Baumstumpf und kraulte Garibaldi hinter den Ohren. Dino

ging an Salvatore vorbei in Fernandas Wagen.

»Wie hoch ist meine Gage?«, fragte Salvatore.

Lorenzo blickte überrascht auf. Er schmunzelte.

»Ich, Fernanda, Antonella, Dino, Domenico, Il Mano und du, das

sind sieben. Deine Gage beträgt ein Siebtel der Einnahmen. Das ist

wesentlich mehr, als dir zusteht, schließlich leisten wir anderen viel

mehr und tragen dazu noch alle Nebenkosten und Risiken.«

»Ich sollte also dankbar sein und mich nicht beschweren, weil du

mich meiner Freiheit beraubst?«

»Richtig!«

»Was hast du dir jetzt wieder ausgedacht?«

»Ein Experiment …«

»Das klingt nicht gut.«

Sie gingen hinunter in die improvisierte Manege. In der Mitte angekommen,

klatschte Lorenzo in die Hände. Sie standen jetzt unter dem

Zirkuszelt. Die langen Reihen von Sitzbänken waren leer.

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»Ich will sehen, was in dir steckt. Antonella, es geht los!« Mit tönender

Stimme rief er: »Dino! Domenico!«

Il Mano sprang von Antonellas Schultern geradewegs auf Salvatore

zu. Salvatore duckte sich. Der Affe flog über ihn hinweg, nicht ohne

ihn an den Haaren zu ziehen. Antonella sprang in die Höhe. Das

Pferd rannte das Zelt hinaus. Antonella landete im Sand und verwandelte

sich in einen schwarzen Panther. Durch den Zelteingang glitt

ein weißer Tiger. Ihm folgte Dino, der eine brennende Fackel hin und

herschwang.

Lorenzo hielt zwei Peitschen in den Händen.

Salvatore setzte sich auf den Boden. Er verschränkte die Arme ineinander.

Darauf legte er den Kopf und schloss die Augen. Was immer

jetzt auch passieren würde, damit wollte er nichts zu tun haben. Er

hörte, wie die Peitschen die Luft zerschnitten. Er hörte die schweren

Schritte eines Riesen, die immer näherkamen. Er hörte das Brüllen

der Raubtiere. Ein Peitschenhieb warf ihn auf den Boden. Ein glühender

Schmerz überzog seine Schultern. Er krümmte sich zu einem Ball

zusammen. Heißer Atem berührte seinen Hals. Eine feuchte Nase

stieß gegen seinen Kopf. Er rollte auf den Rücken und sah in die aufgerissene

Schnauze eines Panthers. Der Tiger hatte seinen linken Fuß

gepackt und versuchte, ihn wegzuziehen.

Wenn das mein Ende ist, dachte Salvatore, dann soll es so sein. Ich

bin nur ein Mensch, ein gewöhnlicher Mensch, – ein Mensch wie Liliana.

Der Schmerz im Fuß wurde unerträglich. Der Panther presste ihm

die Pfoten gegen die Brust und drückte die Zähne gegen die Kehle.

Salvatore rang nach Luft. Er begann, die Besinnung zu verlieren. Wie

von Ferne nahm er wahr, dass er aufsprang, den Panther am Hals

packte und wegschleuderte. Den Tiger umfasste er mit beiden Pranken

und warf ihn in die Fackel des Riesen. Die Peitschenhiebe spürte

er kaum, sie waren nur lästig. Er umklammerte die Peitschen und zog

den Zirkusdirektor zu sich heran, dann umfasste er dessen Kopf, um

ihn zu zerquetschen.

Auf einmal konnte er sich nicht mehr bewegen. Wie eine Statue

nahm er Bewegungen um sich wahr. Lorenzo hob die Peitschen auf.

Antonella half Domenico auf die Beine. Dino hielt Il Mano an der Hand.

Fernanda eilte herbei.

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»Was hast du Salvatore angetan?«

»Nichts!« Lorenzo schüttelte den Kopf. »Nichts habe ich getan. Das

kommt alles von ihm.«

»Warum ist er jetzt ein Bär? Warum bewegt er sich nicht?«

»Ich musste uns schützen.«

»Bring das wieder in Ordnung!«

Lorenzo legte die Hand auf die Stirn des Bären.

Der Bär fiel zu Boden.

»Was ist mit ihm?«

»Er schläft«, sagte Lorenzo.

»Warum ist er immer noch ein Bär? Was hast du nur angerichtet!«

»Dafür kann ich nichts. Der Bär, das ist er selbst.«

Es war Nacht. Der kalte Mond wachte über einem Netz aus eisigen

Sternen. Der Bär wusste, er war gefangen. Die Falle war zugeschnappt.

Auf seinen vier Pfoten trottete er hinunter zum See. Er

konnte seinen schwarzen Schatten sehen. Er nahm einen weiten Anlauf.

Etwas zwang ihn, sich mit einem gewaltigen Sprung in das kalte

Wasser zu werfen. Aber er ertrank nicht. Er schwamm zurück zum

Ufer, schüttelte das Wasser aus dem Fell und trottete hinauf, wo es

nach Braten roch. Er erhob sich auf die Hinterbeine und rüttelte an

einem Wagen.

Lorenzo kam heraus.

»Sitz!«

Der Bär sank zurück auf seine vier Pfoten. Lorenzo war sein Herr,

er musste ihm gehorchen.

»Dino, gib ihm etwas zu fressen!«

Dino brachte ein großes Stück Fleisch und warf es vor ihm auf

den Boden. Der Bär fraß es begierig auf und schaute ihn erwartungsvoll

an.

»Das reicht für heute! Wenn du mehr willst, musst du es dir verdienen.«

Damit musste er sich zufriedengeben. Der Bär trottete zu Antonellas

Wagen. Vor ihrer Tür rollte er sich zusammen und schloss die Augen.

Ein Traum?

Die Tür öffnete sich einen Spalt. Er erhob sich und ging hinein in

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den Wagen. Es war eine Höhle. Die Bärin wartete auf ihn. Er folgte

ihrem süßen Duft und vergaß sich in ihm.

* * *

Auf dem See trieben braune und rote Blätter. Das Blau des Himmels

war kalt. Wolken trieben dahin wie Gletscher im Eismeer. Der Bär

stand regungslos am Ufer. Blitzschnell schlug er zu und fing einen

Fisch. Ungerührt sah er zu, wie er zappelte. Als er ruhiger wurde, fraß

er ihn auf.

Alles war gut! Was brauchte er mehr?

Das Akkordeon rief ihn. Mädchen mit weißen Söckchen, luftigen

Kleidchen und langen Zöpfen tanzten im Kreis, im Haar Hibiscus und

Hortensien … Woher kam dieses Bild in seinem Kopf?

Sie warteten auf ihn. Ihre Blicke verstand er nicht. Vor seinem

Herrn setzte er sich auf den Boden. Es war nicht die Peitsche, vor der

er Angst hatte, es war der Wille, der keinen Widerspruch duldete.

»Salvatore!«

Sie nannten ihn Salvatore. Das war jetzt sein Name.

»Salvatore!« Es war die junge Frau, Antonella. Sie kniete sich neben

ihn und kraulte ihn hinter den Ohren wie einen Hund. »Du hast

jetzt genug Bär gespielt. Verwandele dich zurück!«

Er verstand jedes Wort. Aber was hatte es zu bedeuten? Er leckte

ihre Wange.

»Lass ihn gehen!«, sagte Lorenzo. »Unser Maître ist ein Meister der

Selbsttäuschung. Wenn er ein Bär sein will, dann wollen wir ihn wie

einen Bären behandeln.«

»Wenn er nicht mehr zu sich findet wie Il Mano?«

»Dann müssen wir ihm auf die Sprünge helfen. Schließlich ist der

Sohn des Fürsten.«

Antonella stand auf. Sie sprang auf den Gescheckten und stellte

sich auf seinen Rücken. Der Affe hüpfte auf das Pferd, dann auf die

Schultern Antonellas. So ritten sie über den Sand, der weiß war wie

Schnee. Dino entzündete einen Reifen und hielt ihn in die Höhe seiner

Hüften. Der Tiger sprang, nicht durch den Feuerring, sondern

über ihn hinweg.

Die Peitsche knallte. Der Bär stellte sich auf die Hinterbeine. Anto-

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nella klopfte auf ein Tamburin. Mit seinem Rhythmus drehte er sich

im Kreise.

Die Peitsche knallte. Er sprang durch den Ring.

Die Peitsche knallte. Er sprang zurück. Zur Belohnung gab es ein

Stück rohes Fleisch.

Alles war gut! Was brauchte er mehr?

Fernanda schritt den Hügel hinunter in einem wallenden Kleid aus

rotglänzender Seide. Perlenketten trug sie um den Hals, im Haar eine

weiße Lilie. Sie war barfuß und schritt wie die Königin aller Zigeunerinnen.

Ihre Augen blitzten auf, als die Gitarre erklang.

Malagueña salerosa …

Sie legte dem Bären einen Kranz auf den Kopf, geflochten aus bunten

Herbstblättern und Hagebutten. Mit ihrem Blick hielt sie ihn fest,

während sie sich langsam mit ihm zur Musik drehte.

Que bonitos ojos tienes debajo de esas dos cejas …

Welch schöne Augen du hast unter diesen beiden Brauen …

So sang sie.

Sie tanzten und die Welt trat zurück.

Während er sich im Kreis drehte und dieser magischen Stimme

folgte, die nur für ihn sang, lösten sich Schicht für Schicht die

Schleier, die sich um sein Herz gelegt hatten. Allmählich erwachte er

zu dem tiefen Schmerz in seinem Innern.

Que eres linda y hechicera como el candor de una rosa …

Wie schön du bist und behexend wie die Unschuld einer Rose …

Da sah er sie vor sich, diese Rose: eine junge Frau, ein Mädchen,

eine Fee …

Liliana!

Er sah sich selbst und erkannte, was aus ihm geworden war.

Der Bär sank zu Boden.

»Salvatore!«

Fernanda legte die Arme um seinen Hals und hielt ihn fest. Ein Beben

ging durch den mächtigen Körper. Er stand auf und rannte auf

allen vieren hinunter zum See und sprang hinaus, so weit er konnte.

Große Kreise bildeten sich, wo er eingetaucht war, wurden kleiner

und verschwanden. Die Oberfläche des Sees blieb glatt, als hätte

nichts ihre Grabesruhe gestört.

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* * *

Der Wald war alt. Die Bäume ragten hoch hinauf und ließen nur fahles

Licht herein. Die Luft drückte schwer und feucht. In der Ferne

bellten Hunde. Salvatore saß auf der Erde, den Rücken gegen einen

Baumstamm gestemmt. Er war immer noch der Bär, ein Tier, das viel

mehr war als ein Bär, denn er hatte unter Wasser atmen können. So

war er unbemerkt ans Ufer geschwommen. Wieder hatte dieser Körper

seinen Willen zum Leben durchgesetzt.

Geist, Bewusstsein, Erinnerungen, Schmerz, alles war zurückkehrt.

Er war Salvatore Brava! Trotzdem gelang es ihm nicht, seine menschliche

Gestalt wiederzugewinnen. Was er auch tat, er blieb in dem Körper

des Bären gefangen.

So blieb er sitzen mit geschlossenen Augen. Er machte sich nicht

die Mühe, Fliegen und Mücken zu verscheuchen. Eine armselige Kreatur

war er geworden, gut genug, um im Zirkus vorgeführt zu werden.

Das Gebell der Hunde kam näher. Der Bär stand auf. Das Gestrüpp

teilte sich. Ein Junge kam auf ihn zu gerannt. Die Kleider waren zerfetzt,

Todesangst stand in seinen Augen. Als er den Bären sah, schrie

er auf und fiel zu Boden. Wilde Hunde stürzten sich auf ihn. Der Bär

fletschte die Zähne. Mit lautem Gebrüll stürzte er sich auf die Meute.

Seine mächtigen Pranken schleuderten die Hunde weg von dem Kind.

Ein großer schwarzer Wolfshund mit gelben Augen stellte sich ihm

entgegen. Mit einem einzigen Hieb zerschmetterte der Bär seinen

Schädel. Die anderen Hunde flohen.

Der Junge kam wieder zu sich. Seine Augen waren weit aufgerissen

vor Entsetzen. An Armen und Beinen hatte er lange blutende Wunden.

Er wollte wegrennen, fiel aber sofort wieder hin. Ein Bein war

gebrochen.

Der Bär kam näher. Das Kind rutschte auf dem Boden in ein schützendes

Gestrüpp, um dem sicheren Tod zu entkommen. Vergebens!

Der Bär ragte über ihm, riesig und bedrohlich.

Als der Bär keine Anstalten machte, ihn aufzufressen, wurde der

Junge ruhiger. Er sah den Kadaver des Leithundes. Die Meute, die ihn

verfolgt hatte, war verschwunden. Der Bär hatte ihn gerettet.

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»Bär«, flehte das Kind, »guter Bär, lass mich gehen!«

Aber er konnte nicht gehen. Sobald er versuchte, aufzustehen,

knickte er um. Die Schmerzen im Bein waren unerträglich. Jetzt

wusste er keinen Ausweg mehr und weinte.

Die Pranken des Bären packten ihn. Der Junge ließ es geschehen,

er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Der Bär nahm ihn in seine

Arme wie einen Säugling.

Bären haben einen hervorragenden Geruchssinn. Er wusste, wo

sich das Dorf befand. Dorthin machte er sich auf den Weg.

Im Dorf vermisste man den Jungen. Die Mutter war in Tränen aufgelöst.

Der Vater hatte einen Suchtrupp zusammengerufen. Sie waren

bewaffnet mit Sensen, Keulen und Dreschflegeln und wollten gerade

aufbrechen, als der Bär aus dem Wald trat. In seinen Armen trug er

den Jungen. Das Kind blutete, Blut war am Fell des Bären. Voller Zorn

stürzten sie sich auf ihn. Der Vater entriss ihm den Jungen. Die anderen

schlugen auf ihn ein.

»Julian, hol das Gewehr!«, rief der Vater. Ein junger Mann rannte

davon.

Der Bär lief zurück in den Wald.

»Lasst ihn nicht entkommen!«

Noch mehr Männer kamen herbei, bewaffnet mit den Werkzeugen,

die gerade zur Hand waren, Beile, Äxte, Knüppel und Schlachtermesser.

Die Mutter umarmte ihren Jungen.

»Mutter, sie sollen dem Bären nichts tun. Er hat mich gerettet!«

»Was redest du nur! Du hast ja Fieber.«

Der Junge fiel ihn Ohnmacht. Frauen kamen herbei, gemeinsam

trugen sie ihn in die Hütte.

Der junge Mann holte das Gewehr und lief den anderen hinterher.

Es war leicht, der Spur des Bären zu folgen. Überall war sein Blut zu

sehen. Sie hatten ihm schon tüchtig zugesetzt! Außerdem war es ein

ziemlich dummer Bär. So einfach ins Dorf zu kommen, mit der Beute

in den Armen!

Der Bär rannte, so gut er konnte. Er brauchte einen ruhigen Platz,

damit er sich um seine Wunden kümmern konnte. Diese Undankbarkeit!

Hass stieg in ihm auf gegen diese Kreatur Mensch. Er sah hinauf

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in die Bäume. Da oben in den Ästen könnte er unbemerkt entkommen.

Dort würden sie ihn nie vermuten.

Er streckte die Arme aus. Sie wurden länger. Er kletterte einen

Baumstamm hoch. Mit seinen breiten Händen zog er sich hinauf in

den Wipfel des Baumes. Tief unten konnte er die Verfolger sehen. Es

war eine blindwütige Menschenmeute, die ein unschuldiges Opfer

suchte. Doch sie konnten ihn nicht sehen. Sie hätten ihn auch nicht

wiedererkannt. Den Bären gab es nicht mehr. Im Laubwerk des Waldes

schwang sich ein Riesenaffe von Baum zu Baum.

* * *

Salvatore saß am Ufer und schaute hinüber zur Insel, die nur als

Schatten zu sehen war. Es war noch Nacht. Das dicke Fell schützte

ihn vor der Kälte. Die kräftigen Muskeln und Sehnen machten ihn

unbesiegbar.

Wie hatte das geschehen können? Wenn er bewusst versucht hatte,

sich zu verwandeln, war es ihm nie gelungen. Nur wenn er in höchster

Gefahr war, übernahm sein Körper die Kontrolle und führte die

Verwandlung durch. Damals, wie lang ist das schon her! Auf Everweard

Castle hatte er die Kraft dazu. Da war er noch Herr seiner

selbst. Jetzt aber hatte er keine Kraft mehr, kein Ziel, keinen eigenen

Willen, keine Zukunft …

Er schloss die Augen. Da sah er sie vor sich, zwei schwarze Augen,

ein blutroter Mund in dem Gesicht so rein wie Schnee. In diesen Augen

glühte das Feuer der Liebe, der Liebe zu ihm – und liebte ihn jetzt

nicht mehr? Ein Schrei löste sich aus seinem Herzen, brachte den

mächtigen Körper zum Beben und er floh hinaus in die Nacht.

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Kapitel 5

London

Da niemand sehen sollte, auf welche Weise das riesige Zirkuszelt

mit seinen ansteigenden Sitzreihen und den luxuriösen

Logen errichtet wurde, nämlich von einer Sekunde zur andern,

befand sich der Circo Fantasmagoria etwas außerhalb von London.

Trotzdem war jede Vorstellung ausverkauft, denn wie ein Lauffeuer

sprach sich herum, welche außergewöhnliche Attraktion dort auf

die Besucher wartete. Da konnten auch Barnum & Bailey nicht konkurrieren,

die zur selben Zeit ihre Greatest Show On Earth darboten.

Nichts beflügelte die Phantasie der Londoner mehr als Honk, das

Monster aus dem Urwald. Sogar Mitglieder des Königshauses reisten

zu einer exklusiven Aufführung an und klatschten genauso begeistert

wie die Straßenjungen aus Soho.

Der Zirkusdirektor betrat die Manege. Er ließ die Peitsche knallen.

Das Publikum verstummte.

»Il Mano, komm doch einmal zu mir! … So ist es recht. Was Sie hier

sehen, meine hochedlen Damen und Herren, ist ein gewöhnlicher

Affe. Sagen wir besser, ein fast gewöhnlicher Affe. Es steckt noch

mehr in ihm, aber darüber muss ich leider schweigen. Ich möchte

seine empfindsame Seele nicht kränken. Er ist schon eine traurige Erscheinung,

finden Sie nicht? Jedes kleinste Geräusch erschreckt ihn,

eine Maus könnte ihn in die Flucht schlagen, wenn die Wolken niedrig

hängen, duckt er sich. Ja, ja, ein trauriger Fall! Als ich hörte, sein

Bruder wolle ihn besuchen, scheute ich keine Kosten, ihn nach England

bringen zu lassen, auf einem Luxusliner, versteht sich, erster

Klasse mit vollem Service. Das war es mir wert, denn ich wollte endlich

das dunkle Geheimnis lüften, das so schwer auf Il Manos Seele

lastet. Eine goldene Kutsche mit feinsten Polstern und weich gefederten

Achsen schickte ich nach Plymouth, seinen Bruder abzuholen

und ihn mit allen Ehren hierher zu geleiten. Wenn mein Freund hier

schon so sensibel ist, wie empfindsam mag erst sein Bruder sein!

Nein, nein, nicht die kleinste Erschütterung, nicht die geringste Unbequemlichkeit

sollte die Reise unseres Gastes stören. Ich sehe gerade,

mein liebreizendes Töchterlein gibt mir das Zeichen, dass er an-


gekommen ist. Hochverehrtes Publikum, ich bitte Sie um absolute

Stille. Kein Flüstern, kein Kichern, kein Husten, am besten, wir halten

jetzt alle den Atem an …«

Der Wagen mit dem gigantischen Käfig aus schweren Eisenstäben

wurde in die Manege gezogen.

Das Publikum hielt den Atem an.

Die Käfigtür wurde geöffnet.

Heraus trat ein Riesenaffe, schwarzes Fell, große unfreundliche Augen

und lange muskulöse Arme. Er richtete sich zur vollen Größe auf,

denn er hatte in dem Käfig nur kauern können, trommelte mit den

Fäusten auf die Brust und stieß ein lautes Brüllen aus, das die Masten

erbeben ließ. Die Zuschauer rückten näher aneinander und versuchten,

sich kleiner zu machen. Viele wären gerne davongerannt, hatten

aber Angst, auf sich aufmerksam zu machen.

Der Zirkusdirektor hielt eine viel zu kleine Peitsche in der Hand.

Hinter seinem Rücken suchte Il Mano Schutz.

»Komm, du Feigling, begrüße deinen Bruder: Honk, das Monster

aus dem Urwald!«

Aber Il Mano rührte sich keinen Zentimeter. Mit beiden Händen

klammerte er sich am Frackzipfel des Direktors fest.

Honk entdeckte die junge Dame auf dem Hochseil. Das Trikot

schmiegte sich eng an ihren Körper und funkelte silbern und golden.

Er griff nach einem Mast und rüttelte heftig. Die Menge schrie entsetzt

auf, als die Artistin abstürzte – direkt in die Arme des Riesenaffen. Er

ging in Richtung Eingang, er wollte offensichtlich mit seiner Beute

entfliehen. Ein schwarzer Panther und ein weißer Tiger betraten die

Manege und verwehrten ihm den Ausgang. Honk warf seine Beute

über die Schulter wie eine Puppe und kletterte einen Mast hinauf. Die

junge Dame legte die Arme um das Ungeheuer und hielt sich verzweifelt

fest. Je höher der Riesenaffe stieg, desto mehr schwankte der Mast

und mit ihm das gesamte Zirkuszelt. Das Publikum war sich unschlüssig,

ob alles wirklich nur Show war. Aber keiner verließ den Zirkus,

alle waren gelähmt vor Schrecken. Honk erreichte die oberste Plattform.

Er betrat das Hochseil. Über der anderen Plattform führte eine

große Öffnung in der Zeltdecke nach draußen. Er trat auf das lächerlich

dünne Seil. Die junge Dame auf seinem Rücken stieß schrille

Schreie aus und klammerte sich noch fester um seinen Hals. Jetzt

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stand er frei auf dem Seil. Er machte einen Schritt … noch einen

Schritt … Hinter ihm kletterte der Panther die Zeltstange empor. Unbeeindruckt

ging Honk weiter. Da betrat am anderen Ende der weiße

Tiger das Hochseil. In der Mitte angekommen sah der Riesenaffe, dass

ihm die Flucht in jeder Richtung verwehrt war. Die Raubkatzen kamen

näher. Sie fauchten und zeigten ihre scharfen Zähne. Honk ging in die

Hocke, dann setzte er sich, indem er das Seil zwischen die Kniekehlen

zwängte. Er saß nun völlig ruhig und gelassen auf dem Seil. Der Panther

kam von der einen Seite immer näher, der Tiger von der anderen.

Der Riesenaffe packte links und rechts das Seil mit seinen breiten Händen.

Erst sacht, dann heftiger werdend rüttelte er das Seil. Es dauerte

nicht lange, zuerst stürzte der Tiger hinunter, dann sprang der Panther

brüllend in die Tiefe. Beide Raubkatzen krochen mit eingezogenem

Schwanz aus der Manege. Honk ließ das Seil los, packte die junge

Dame mit beiden Händen und sprang in die Tiefe. Die Erde bebte. Der

Sand in der Manege stob auf. Die Sitzbänke verloren die Verankerung

und wankten. Die hohen Maste, die das Zelt stützten, brachen zusammen.

Das Zeltdach krachte auf die Besucher hernieder. Ein langanhaltender

Schrei des Entsetzens lief durch die Reihen der Zuschauer, die

unter dem Zelt begraben wurden. Auf einmal ertönte eine Violine. Sie

spielte ein fröhliches Capriccio von Paganini. Die Zeltplane schwebte

auf wundersame Weise nach oben. Die Maste standen wieder fest an

ihrem Platz und stützen das gigantische Zirkuszelt. Die Sitzreihen waren

wieder stabil. Es sah aus, als wäre niemals etwas Außergewöhnliches

passiert. Der Zirkusdirektor stand immer noch in der Mitte der

Manege. Das Äffchen klatschte in die Hände und hüpfte auf und ab.

Alles war normal, nur … der Riesenaffe war verschwunden. Alle

schauten nach oben. Tatsächlich, die junge Dame in dem enganliegenden

Trikot, das golden und silbern funkelte, balancierte auf dem

Hochseil mit einem Lächeln auf den Lippen. Schweigen, dann brach

ein Beifall los, der kein Ende mehr nehmen wollte.

»Hochverehrte Damen, hochverehrte Herren, leider konnten wir

Ihnen Honk, das Monster aus dem Urwald, nur kurz vorstellen, denn

man muss bei ihm auf alles gefasst sein. Für die ganz Mutigen unter

Ihnen bieten wir die Möglichkeit, sich ihn noch näher anzusehen.

Draußen steht ein ausbruchsicherer Käfig. Da drinnen können Sie

Honk bewundern. Und keine Angst, er ist in Ketten!«

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Tosender Beifall …

… tosender Beifall wie jeden Abend.

In dem Käfig kauerte Salvatore in sich zusammengesunken. Er

konnte nur deshalb so überzeugend Honk, das Monster aus dem Urwald,

sein, weil er den Reflexen und Instinkten dieses mächtigen Körpers

die Kontrolle überließ. Von Vorstellung zu Vorstellung fiel es ihm

schwerer, zu sich selbst zurückzufinden. Er hatte Angst, eines Tages

nicht mehr zu wissen, dass er ein Mensch war.

Es war vergeblich, an den Ketten zu zerren, denn die Ketten lagen

nicht nur um seine Arme und Beine, sondern auch um seine Seele.

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Teil II

Die Duchess of Everweard



Kapitel 1

Everweard Castle

Miss Heather führte die Duchess durch Everweard Castle.

Marchesina Gina begleitete sie.

Das Schloss war sehr groß. Es bestand aus einem weitläufigen

Haupttrakt, an den sich ein Ostflügel und ein Westflügel angliederten.

Dem Erdgeschoss folgten zwei Stockwerke und das Dachgeschoß.

An den Westflügel war ein Wintergarten angebaut. Die Stallungen

befanden sich in der Nähe der Mauer, die den gesamten

Schlosskomplex umgab. An den vier Ecken standen Wachtürme. Ein

Tor führte hinunter ins Dorf. Dies war der einzige Zugang zum

Schloss.

Nur wenige Räume wurden benutzt. Wo nicht regelmäßig gelüftet

und geheizt wurde, roch es nach Moder. An einigen Decken bildeten

sich gelbe Flecken. Prächtige Vasen, prunkvolle Tapeten und Teppiche,

erlesene Möbel und wertvolle Gemälde waren einem stillen,

langsamen Verfall geweiht. Durch die dicken Mauern und verschlossenen

Fenster konnten kein Vogelzwitschern und kein Zirpen der

Grillen eindringen. Es war das Mausoleum, das sich der Duke schon

zu seinen Lebenszeiten hatte einrichten lassen. Was sollte eine junge

Frau aus dem lebensfrohen Italien damit anfangen?

Schweigend ließ sich Liliana alles zeigen. Zum Schluss führte Miss

Heather sie in eine Kammer unter dem Dach.

»Das alte Atelier! Warum es so heißt, weiß ich nicht. Das war vor

meiner Zeit. Wir benutzten es als Gästezimmer. Zuletzt wohnte hier

Maître Salvatore Brava.«

Liliana ging zum Fenster und öffnete es. Sie schaute hinauf auf den

Hügel. Dort, wo einst die alte Kapelle war, stand jetzt ihr neues Haus,

das sie und Gina ›LiliaGinas‹ Nest getauft hatten. Die Sonne schien,

aber es ließ sich nicht leugnen, der Herbst war gekommen. Die Luft

war frisch und kühl. Liliana atmete tief ein und aus. Dann setzte sie

sich an den großen massiven Tisch in der Mitte des Raumes.

»Unterhalten wir uns!«

Miss Heather setzte sich ihr gegenüber, Gina neben sie.

»Für mich stellt sich die Frage, Miss Heather, sind Sie meine Feindin

oder können wir zusammenarbeiten?«

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Solche direkten Fragen war Miss Heather nicht gewohnt. Sie umklammerte

das dicke Notizbuch, das sie immer bei sich trug wie eine

Bibel. Was hatte sie erwartet, wenn eine junge Herrin in Everweard

Castle einzieht? Auf keinen Fall hatte sie damit gerechnet, sofort entmachtet

zu werden. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass sie

sich noch nie so getäuscht hatte wie in der neuen Duchess of Everweard.

Sie hatte geglaubt, es mit einem naiven, einfältigen Mädchen

zu tun zu haben, das sie vor sich selbst schützen müsse. Einfältig war

die Duchess auf keinen Fall, das war gewiss. Aber wie sollte sie reagieren?

Sie konnte die Duchess nicht einordnen. Sie war eine Fremde aus

einem fremden Land …

»Miss Heather!«

»Entschuldigen Sie, Duchess! Ich war in Gedanken.«

»Sie überlegten, ob Sie mir ein Messer in den Rücken stoßen sollten?«

»Aber, Duchess!«

»Das war nur ein Scherz! Ich möchte wissen, wo Sie stehen.«

»Welche Rolle haben Sie mir zugedacht, Duchess?«

»Ich habe ein vorzügliches Gedächtnis, Miss Heather. Ich vergesse

nichts. Sie lehnten mich von Anfang an ab und verachteten mich. Es

war Ihnen nicht einmal die Mühe wert, es zu verbergen. Sagen Sie

nichts! Das Einfachste wäre es, Ihnen Ihre Papiere zu geben und Sie

mit einer Abfindung zu entlassen.«

Miss Heather wurde blass.

»Dieselbe Frage stellt sich mir in einem anderen Zusammenhang«,

sagte die Duchess. »Soll ich dieses fürchterliche Gemäuer abreißen

lassen oder sehr viel Arbeit und Zeit hineinstecken, um etwas daraus

zu machen?«

»Der Duke würde niemals zulassen, dass der Familiensitz der Everweards

niedergerissen wird.«

»Welche Familie, Miss Heather? Das Schloss ist bereits tot. Man

sollte ihm den Gnadenschuss geben. Bildlich gesprochen! Ich stelle

meine Frage anders. Sind Sie bereit, ohne wenn und aber mit mir einen

Neuanfang zu wagen?«

»Ja, Duchess!«

»Du hast es gehört, Gina?«

Gina nickte.

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»Das freut mich, Miss Heather.«

»Was erwarten Sie von mir, Duchess?«

»Ich möchte, dass Sie Everweard Castle verwalten.«

»Das war doch schon die ganze Zeit meine Aufgabe.«

»Nur, dass Sie jetzt mir Rechenschaft schuldig sind.«

»Das habe ich schon verstanden.«

»Ich werde Architekten kommen lassen. Everweard Castle bekommt

eine Verjüngungskur. Teile, die nicht mehr zu retten sind,

werden entfernt und neu errichtet. Wie ich es sehe, müssen mehr

Fenster eingebaut werden und überhaupt muss mehr Luft und Licht

herein. In dieser Beziehung hat die Architektur Fortschritte gemacht.

Es gibt neue Baumaterialien und neue Ideen. Man muss dies nur nutzen.

Von der Inneneinrichtung will ich lieber gar nicht reden, denn

ich will das Schloss nicht nur zum Leben erwecken, sondern ihm

auch eine Aufgabe geben.«

»Ein Schloss dient als Wohnsitz und der Repräsentation.«

»Sie meinen, dem Protz und der Einschüchterung niederer

Schichten?«

»Der Tradition!«

»Ich führe eine neue Tradition ein, Miss Heather.«

»Was haben Sie vor?«

»Zunächst soll es wieder einen bewohnbaren Bereich erhalten, einen,

in dem man sich wohlfühlt – ganz untraditionell. Darüber hinaus

gibt es noch sehr viel Platz. Den wollen wir nutzen. Da rechne ich

mit Vorschlägen von Ihnen, Miss Heather. Ich gebe Ihnen ein paar

Stichworte: literarische Zirkel, Teegesellschaften, Matinées und

Soirées, Bälle, Konzerte, Vorträge, Ausstellungen, Seminare, Preisverleihungen

und so weiter und so weiter. Was ich Ihnen anbiete, ist die

Verwaltung des Chaos.«

Miss Heather schmunzelte. War das machbar? Was würde der

Duke dazu sagen? Sie betrachtete die Duchess mit neuen Augen. Auf

einmal wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass diese junge Frau alles

erreichen würde, was sie sich vorgenommen hatte.

»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Duchess!«

»Darauf geben wir uns die Hand, wie wir es in der Toskana gewohnt

sind!«

Liliana und Miss Heather gaben sich die Hand.

67


»Wann geht es los?«

»Sofort! Ich gebe Ihnen eine Liste mit Architekten, die mir Admiral

Grossuth empfohlen hat. Schicken Sie jemand Zuverlässiges nach

London. Ich brauche als Erstes eine Bestandsaufnahme, was noch zu

retten ist und was gemacht werden muss. In der Zwischenzeit werden

wir entrümpeln. Dann werden wir Zimmerleute brauchen, Maurer,

Fliesenleger, Monteure … Handwerker jeglicher Art. Bis vor wenigen

Minuten hätten Sie noch den Ruhestand wählen können, Miss Heather.

Jetzt ist es zu spät!«

»Bin ich in die Falle gegangen?«

»Ja, aber mit offenen Augen!«

68

* * *

Der Duke saß am Kamin und schlief. Eine Decke lag über seinen Beinen.

Auf ihr lag noch aufgeschlagen die Times. Liliana nahm die Zeitung,

faltete sie zusammen und legte sie auf den kleinen Tisch neben

das Teegedeck. Sie setzte sich auf den Sessel auf der anderen Seite. Daneben

stand ein Korb mit Wollknäueln und Stricknadeln, ein Geschenk

des Duke, damit sich seine junge Frau die Zeit vertreiben

konnte. Sie hatte schon angefangen, etwas zu stricken. Das holte sie

hervor und betrachtete es nachdenklich. Es war schon faszinierend,

was sie da wieder kreiert hatte! Was es wohl werden wird?

»Nerissa!« Der Duke war erwacht.

»Liliana!«

»Ja, ja! Wenn ich dich so plötzlich vor mir sehe, denke ich nicht

daran. Für mich bist und bleibst du meine geliebte Nerissa.«

»Auch mir fällt es nicht leicht, Walter, aber es muss sein. Oder

willst du, dass man dich für geistesgestört hält?«

»Es wird nicht mehr passieren … Liliana!«

»Ich werde Unruhe in dein Leben bringen.«

»Mach nur! Ich habe dich von den Toten zurückgeholt, damit du

lebst. Hast du dich inzwischen daran gewöhnt?«

»Ich muss dir wohl dankbar sein, Walter. Ja, ich habe mich daran

gewöhnt – und kann nicht genug davon bekommen.«

»Wenn ich doch mit dir jung sein könnte!«

»Der Fürst ist nicht mehr da.«


»Der Fürst … Er gab mir Jugend – und dich. Aber was nutzt es mir

letztendlich? Ich bin alt. Mir bleibt nur, in jeder mir verbleibenden

Minute schmerzlich zu empfinden, was mir verwehrt ist.«

»Noch bist du nicht unter der Erde! Siehst du, ich bin auch nicht

weggelaufen, sondern bei dir geblieben.«

»Danke! Vielleicht kannst du mich doch ein wenig gernhaben?«

»Das hängt von dir ab. Wie du weißt, konnte ich den Duke of Everweard

von damals nicht ausstehen.«

»Wie lange ist das schon her! Seit du da bist, bin ich ein anderer

Mensch. Ich bin froh, dass du nicht weißt, welch ein ungehobelter

Klotz ich während der Hochzeit war. Ich denke viel über mein vergangenes

Leben nach. Einen alten Narren nanntest du mich. Zu

Recht! Nur wenn du bei mir bist, habe ich das Gefühl, doch etwas

Sinnvolles getan zu haben.«

»Grüble nicht so viel! Ich sprach gerade mit Miss Heather. Wenn

ich dir erzähle, was ich mir ausgedacht habe, wirst du nicht mehr so

gemütlich in deinem Alt-Opa-Sessel sitzen bleiben.«

* * *

Der Himmel war klar. Selten hatte Liliana die Sterne so deutlich sehen

können wie in dieser Nacht. Sie bedauerte, sich nicht mit Sternkunde

beschäftigt zu haben. Der Himmel sah hier anders aus als in

der Toskana, aber so genau konnte sie das nicht sagen, er war eben

anders.

»Emiliano hat alles erledigt und wird morgen tatsächlich und leibhaftig

bei uns eintreffen«, sagte Liliana.

»Kommt er hierher?«

»Hm … Gina, er weiß nicht, dass wir jetzt hier oben wohnen. Er soll

es selbst herausfinden! Wir müssen ihn irgendwo unterbringen. Hast

du eine Idee?«

»Für wie lange?«

»Sehr lange!«

»Was hast du mit ihm vor?«

»Was hast du mit ihm vor?«

»Liliana, ich habe dir doch schon mehrfach gesagt, der Dottore und

ich, wir können niemals Freunde werden.«

69


»Er könnte in das Atelier, in dem Salvatore wohnte.«

»Wird es demnächst nicht zu unruhig auf dem Schloss?«, fragte

Gina.

»Bei Lady Barton?«

»Nein!« Gina richtete sich heftig auf. »Dann schon lieber auf Everweard

Castle.«

»Monleirdon? Dorthin kommen demnächst viele junge, hübsche

Mädchen. Das würde ihm bestimmt gefallen.«

»Everweard Castle!«

»Gut, das ist auch nicht so weit weg. Außerdem werde ich ihn öfter

wegschicken müssen. Vorausgesetzt, er tritt – wie man so schön

sagt – in meine Dienste.«

»Liliana …«

»Was ist, meine Liebe?«

»Ich bin sicher, er möchte sein eigener Herr bleiben.«

»So gut kennst du ihn?«

»Es ist eine Vermutung«, sagte Gina.

»Dann tritt er eben als sein eigener Herr in meine Dienste.«

»Das ist doch ein Widerspruch.«

»Wir müssen die Sache so verpacken, dass er sie dankbar annimmt«,

sagte Liliana.

»Wie willst du das anstellen?«

»Es kommt darauf an, wie man etwas benennt. Wenn ich jemandem

dafür Geld gebe, dass er für mich etwas tut, kann ich ihn meinen

Diener nennen, meinen Auftragnehmer, Beauftragten oder meinen

Geschäftspartner. Im Grunde bleibt es dasselbe. In diesem speziellen

Fall muss ich mir etwas Besonderes ausdenken. Denn, meine liebe

Gina, Emiliano ist mein Freund!«

70


Kapitel 2

Liliana hatte beschlossen, Emiliano entgegenzureiten. Kaum

war sie mit Blizzard über der Brücke verschwunden, hielt eine

Gig vor LiliaGinas Nest. Marchesa Montecorno di Capirosso

stieg aus der zweirädrigen Kutsche. Sie band die Zügel des Pferdes

um einen Pfosten und bahnte sich einen Weg durch die Schafherde.

»Die sind ja immer noch da!«

»Es sind unsere treuesten Verehrer«, sagte Gina.

Die Marchesa ging geradewegs durch in die Bibliothek. Dort ließ

sie sich in den bequemen Sessel fallen und legte die Füße auf den kleinen

Tisch.

Gina brachte ihr ein Glas Wasser.

»Liliana ist nicht da.«

»Ich weiß! Ich wollte mit dir allein reden.«

Gina setzte sich auf die Armlehne und legte die Arme um den Hals

der Marchesa. Sie gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Schön, dass du mich besuchst, Mama!«

»Ich sage es nicht gern, aber ich muss wieder zurück nach Capirosso.

Seit Tagen bin ich ganz kribbelig. Ich kann mich kaum konzentrieren

und mir fällt ständig etwas hin. Immerzu muss ich an Felicia

denken. Es lässt mir keine Ruhe.«

»Wenn es so ist, dann musst du abreisen. Schade, dass wir nicht

mitkommen können.«

Die Marchesa drückte Gina an sich.

»Es geht nicht nur um Capirosso, ich habe auch kein gutes Gefühl,

was Salamandra betrifft. Mein sauberer Schwiegersohn wird wieder

zurück sein. Jemand sollte auf ihn aufpassen.«

»Du willst dich also verabschieden?«

Die Marchesa fühlte, wie sie sich allmählich entspannte. Sie war im

alten Haus in Monleirdon bequem untergebracht. Daran gab es nichts

auszusetzen. Elizabeth und Martha waren sehr um ihr Wohl bemüht.

Das war aber gelegentlich recht nervig, denn sie kam sehr gut mit

sich allein zurecht. Die Gesellschaft anderer Menschen war ihr kein

dringendes Bedürfnis.

Sie sah sich um, denn sie war lange nicht mehr hier gewesen. Es

ließ sich nicht leugnen, der Raum hatte eine Seele. Lilianas Ord-

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nungsgeist und Ginas romantischer Schönheitssinn waren harmonisch

vereint und hatten ein behagliches Heim geschaffen, das innere

Ruhe gab und zugleich Lust, etwas Neues zu schaffen.

»Schön habt ihr es hier. Es ist hell und freundlich, richtig gemütlich.

Jetzt habt ihr ein Heim nur für euch. Das wolltet ihr doch immer.

Es ist wirklich ein Nest. Fragt sich nur, was ihr hier ausbrüten wollt.«

»Es ist ein Heim, aber auch, du kennst ja Liliana, eine geistige

Werkstatt. Die Bücher, die hier stehen, die stammen alle aus der großen

Bibliothek des Schlosses. Und ich kann dir versichern, sie dienen

nicht zur Dekoration.«

»Ich wollte mit dir über Liliana sprechen«, sagte die Marchesa.

»Warum fragst du sie nicht selbst?«

»Ich frage lieber dich. Du kennst sie besser, als sie sich selbst.«

»In letzter Zeit habe ich daran meine Zweifel«, sagte Gina.

»So?«

»Sie plant etwas, weiß aber nicht genau, was sie will. Stell dir vor,

sie lässt sich von ihrer Inspiration treiben und folgt ihren Gefühlen!«

»Ich kann verstehen, dass dich das beunruhigt.«

Die Marchesa stand auf. Zum Nachdenken brauchte sie Bewegung.

Sie lief zum Fenster und schaute hinaus, kam aber gleich wieder zurück

und setzte sich.

»Geht es mir denn nicht genauso? Es gibt Zeiten, da muss man eben

seiner Intuition folgen. Du wirst schon aufpassen, dass es nicht aus dem

Ruder läuft. Ihr seid jetzt erwachsen. Mich braucht ihr nicht mehr.«

»Wir sollten zusammenbleiben.«

»Ja, Gina, das sollten wir – und das werden wir auch wieder. Aber

jetzt ist es notwendig, dass wir uns trennen. Elizabeth lasse ich auch

nicht gern zurück … Egal, ihr müsst ohne mich auskommen. Niemand

ist unentbehrlich.«

»Du hast Heimweh.«

»Wenn es nur das wäre! Ich muss mich mit meinen eigenen Augen

davon überzeugen, dass es allen in Capirosso gutgeht. Kommt ihr beiden

allein zurecht?«

»Ja, Mama! Fahr ruhig nach Hause. Wir besuchen dich im Frühjahr.

Dann feiern wir ein großes Fest.«

»Sprechen wir über Liliana«, sagte die Marchesa. »Todesängste

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haben wir ausgestanden und jetzt auf einmal ist alles eitel Sonnenschein,

als hätten wir uns alles nur eingebildet. Wie oft sehe ich in

meinen Albträumen Liliana leichenblass vor dem Altar zu Boden sinken

und … Was mir in den Gliedern steckt, in den Därmen, in meiner

Seele und nicht verschwinden will, das ist meine Hilflosigkeit. Dabei

war ich fest überzeugt, ich hätte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen.

Ist der böse Spuk vorbei? Das möchte ich von dir wissen, Gina.«

»Ach, Mama!« Gina brach in Tränen aus. »Wenn Liliana bei mir ist,

sage ich mir, was bist du nur für eine Närrin und machst dir unnötig

Sorgen. Sobald sie aber fort ist, packt mich die Angst.«

Die Marchesa legte den Arm um sie.

»Setzen wir uns.«

Sie setzte sich in einen Sessel. Gina setzte sich auf ihren Schoß.

»Angst hast du?«

»Seit wir Capirosso verlassen haben«, sagte Gina, »eigentlich, seit

Liliana einwilligte, den Duke zu heiraten.«

Die Marchesa nickte.

»Felicia bemühte sich damals, es mir schonend beizubringen. Doch

sie konnte mich gerade noch auffangen, als mir die Knie versagten.

Es war aber nicht Angst, sondern unbändige Wut auf meinen Schwiegersohn.

Die ganze Sache war äußerst fragwürdig und unlogisch.

Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, noch

wie ich es verhindern könnte. Dazu fehlten mir die Fakten. Wie du

weißt, ist Nichtwissen das Schlimmste für mich.«

»Wie für Liliana«, sagte Gina.

»Ja, trotzdem hat sie …«

»Ach!« seufzte Gina und wieder kamen die Tränen.

Die Marchesa hatte Gina adoptiert, Liliana zuliebe und um sie vor

ihrem Schwiegersohn zu retten. Damals hätte sie sich nicht vorstellen

können, dass sie dieses Kind eines Tages wie eine eigene Tochter

lieben würde.

»Trotzdem habe ich euch nicht einfach ins Ungewisse ziehen lassen.

Darüber möchte ich dich jetzt aufklären und dir ein wenig über meine

Familie erzählen. Bist du so nett und machst uns einen starken Kaffee?«

Gina ging in die Küche und machte Kaffee. Seltsam, dachte sie, über

die Vergangenheit der Marchesa wusste sie nichts und Liliana offensichtlich

auch nichts.

73


Sie brachte den Kaffee und stellte ihn auf den kleinen Tisch. Dann

setzte sie sich in den anderen Sessel.

»Also, Gina, was ich dir jetzt erzähle, wissen nur wenige. Ich pflege

nicht durch die Weltgeschichte zu laufen und meine Lebensgeschichte

hinauszuposaunen.«

»Liliana weiß alles?«

»Nicht von mir. Für mich zählt die Gegenwart. Ich möchte so gesehen

werden, wie ich in diesem Augenblick bin. Nicht, dass ich der

Vergangenheit keine Bedeutung beimesse oder sie verleugne, die Vergangenheit

ist Bestandteil der Gegenwart, sie ist sozusagen der Humus,

aus dem ich hervorgewachsen bin wie aus dem Samen die

Blume, der Baum …«

»Mutter!«

»Ist ja gut, mein Kind. Ich werde mich kurzfassen.«

»Darum geht es nicht«, sagte Gina. »Wenn du ins Philosophieren

kommst, dann kann ich dir schwer folgen. Ich bin nicht Liliana.«

»Nein, du bist nicht Liliana. Das ist gut so. Du holst uns auf den

Boden zurück, bevor wir für immer in den Wolken verschwinden.«

»Ich fühle mich dann ausgeschlossen. Dabei möchte ich so gern die

beiden Menschen verstehe, die ich liebe.«

Die Marchesa lächelte gerührt.

»Du verstehst uns sehr gut, Gina. Du verstehst uns auf einer Ebene,

die keiner Worte bedarf.«

»Was ist, wenn ich meine eigenen Gefühle nicht in Worte fassen

kann?«

Vergeblich hatte sie versucht, die Angst ihrem Tagebuch anzuvertrauen

und in Worte zu bannen.

»Vor dem Verstand, vor allen Worten, da sind die Gefühle. Unser

Körper muss bei Gefahr sofort reagieren, noch bevor der Verstand

eine Situation analysiert hat. Der Bauch, nennen wir es mal so, der

Bauch ist die wichtigste Instanz in unserem Leben.«

»Nennt man das nicht primitiv?«, sagte Gina.

»Das sagen nur Dummköpfe. Darüber wollen wir uns nicht weiter

unterhalten. Ich erzähle dir, aus welcher Familie ich stamme und wie

ich aufgewachsen bin. Du gehörst jetzt auch zu meiner Familie, Marchesina

Gina Montecorno di Capirosso.«

»Das klingt nach Operette.«

74


Die Marchesa lachte.

»Damit hast du gar nicht so unrecht. Leider ist die Operette, die

nicht auf der Bühne gespielt wird, alles andere als harmlos. Ich nenne

zwar eine sonore Altstimme mein eigen, dennoch werde ich dir

nichts vorsingen, sondern in traditioneller Weise erzählen. Einverstanden?«

»Es wird also eine Märchenstunde.«

»Freche Göre! Ich werde dir Tatsachen mitteilen. Wenn man etwas

berichtet, wird immer eine Geschichte daraus. Sonst wäre es ja langweilig.

Was ist öder als das bloße Aufzählen von sogenannten Tatsachen?«

»Ich höre dir immer gern zu«, sagte Gina diplomatisch.

Die Marchesa erzählte:

»Ich kam in Florenz zur Welt. Emily Atwood war meine Mutter, Umberto

Montecorno mein Vater. Mein Vater besaß eine Privatbank mit

Filialen und Geschäftsverbindungen europaweit. Sein Geld hatte er

gewinnbringend und sicher angelegt. Meine Mutter war Engländerin

und Erbin eines großen Vermögens in England, Irland und den britischen

Kolonien. Sie stammte aus einer der einflussreichsten Familien

des Königreichs. Ihr Vater war Reeder der britischen Krone. Ich war

ihr einziges Kind, erzogen wurde ich von wechselnden Gouvernanten

verschiedener Nationalitäten. So wuchs ich mehrsprachig auf. Da ich

nicht wie gewöhnliche Kinder in den Gassen herumtollen konnte, war

ich auf mich gestellt. Das machte mir nichts aus, denn schon früh entdeckte

ich die große Bibliothek meines Vaters, die Bücher zu allen

Fachgebieten enthielt. Ich konnte lesen, was ich wollte, niemand

machte mir Vorschriften. Da mich alles interessierte und ich nicht genug

davon haben konnte, war ich das pflegeleichteste Kind, das man

sich vorstellen kann. Wenn ich nicht in ein Buch vertieft war, unterhielt

ich mich mit dem Personal und nahm Anteil an ihrem Leben. Sie

waren alle sehr freundlich und gaben mir Auskunft, so gut sie konnten.

Irgendwann begann ich meine Kenntnisse zu sortieren und

forschte nach Gesetzmäßigkeiten, Parallelen und Widersprüchen. Das

waren alles Dinge, die einem Mädchen nicht zustanden. Ein Mädchen

aus meinen Kreisen wurde dazu erzogen, einen einflussreichen Mann

zu heiraten und in den höchsten Kreisen mit Charme und Esprit zu

75


glänzen. Nebenbei sollte sie in der Lage sein, ein Wirtschaftsunternehmen

namens Familie zu führen. Nicht so im Hause Montecorno! Mein

Vater hielt sich streng an die Etikette und die Gepflogenheiten seiner

Klasse, hielt sie aber für lächerlich. Deshalb lernte ich alles mit kritischer

Distanz. Ich merkte nämlich recht schnell, je mehr ich mich anpasste,

desto mehr Freiheit hatte ich, meinen eigenen Interessen nachzugehen.

Ich hatte von meinem Vater den kritischen Verstand geerbt

und ein gesundes Misstrauen vor Konventionen. Wir beide verstanden

uns prächtig. Er nahm Anteil an meiner Entwicklung und förderte sie.

Mit wohlwollendem Humor hielt er Streitgespräche mit mir und nahm

mich sehr oft mit auf Geschäftsreisen. Ich kam also früh herum, war

unter anderem in Rom, Paris, Wien, Madrid, Berlin und London. Überall

war ich ein gern gesehener Gast, denn ich war eine wahre Musterschülerin,

was Etikette betraf und gepflegte Konversation. Wenn der

offizielle Kram erledigt war, konnte mich nichts davon zurückhalten,

mich in Büchereien, Museen, Theater, Ausstellungen und Märkte zu

stürzen. Mich interessierten aber weniger die Bücher, die Gemälde, die

Theaterstücke und Zirkusvorstellungen, mich interessierten die Menschen.

Ich unterhielt mich mit jedem, ob es der Droschkenfahrer war,

der Polizist, die Schneiderin, der Museumsdirektor, Graf Sowieso oder

die Schuhverkäuferin. Begleitet wurde ich von meiner jeweiligen

Gouvernante und einem Diener. Dieser Diener, das habe ich erst viel

später erfahren, war mein Leibwächter. Wenn wir nach England,

Schottland oder Irland fuhren, kam meine Mutter immer mit. Einmal

wurde ich der Queen vorgestellt. Davon erzähle ich dir ein anderes

Mal. Mein Vater bedauerte, dass mir als Frau ein Studium an der Universität

verwehrt blieb. Er sorgte aber dafür, dass ich einzelne Vorlesungen

und Seminare als Gast besuchen durfte. Darüber hinaus lud er

Professoren, Akademiker und Schriftsteller zu Soirées ein. Da ging es

ganz schön heiß her, denn ich ließ keinen so leicht vom Haken. Weitschweifiges

Gefasel und abgedroschene Phrasen duldete ich nicht. Da

gab es so manchen renommierten Wissenschaftler oder Denker, der

ins Schwitzen kam. So schön, so gut.

Kommen wir zu meiner Mutter. Sie verehrte ihren Mann über alles

und war mit allem einverstanden, was er tat, selbst wenn sie es nicht

richtig fand. Ich wusste, dass sie es nicht mochte, wenn ich kritisch

über Religion sprach. Nach einer heftigen Diskussion, die ich mit

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einem hohen Geistlichen führte, beschloss sie, mich zu verheiraten.

Es wurden also in Frage kommende Kandidaten zu uns eingeladen.

Ich unterhielt mich mit jedem. Das war schon ein interessantes

Thema, der Mann. Aber nach einem Gespräch war jeder junge Mann

uninteressant für mich. Sie kamen auch nicht wieder. Trotz Ermahnungen

wollte mein Vater nicht einsehen, dass mein Verhalten unmöglich

war. So nahm meine Mutter das selbst in die Hand. Sie

kannte mich aber gut genug, um meinen Freiheitsdrang und mein

Unabhängigkeitsbedürfnis einzukalkulieren. Sie ließ ihre Fäden spinnen.

Ihr Vater, der Reeder, empfahl einen nicht mehr ganz so jungen

Mann, wohl betucht und eigentlich ein eingefleischter Junggeselle. So

stellte sich eines Tages der Marchese Emilio Roberto di Capirosso im

Hause Montecorno vor. Er war zehn Jahre älter als ich und sollte in

naher Zukunft Admiral der italienischen Marine werden. Er war

nicht ganz so verblödet wie die jungen Männer, die ich kennengelernt

hatte. Ausschlaggebend war aber für mich, dass er die meiste Zeit des

Jahres auf See, in Häfen oder Kadettenschulen verbrachte. Wenn ich

ihn heiratete, konnte mich niemand mehr daran hindern, meinen

Weg zu gehen. Da Mutter immer unausstehlicher wurde, heiratete ich

den Marchese. Wir zogen auf das große Landgut in der Toskana. Ich

brachte nach gebührender Frist eine Tochter zur Welt. Wir nannten

sie Mina nach der verstorbenen Mutter meines Mannes. Mina war

von Geburt an ein typisches Weibchen. Ich konnte nichts mit ihr anfangen

und sie nichts mit mir. Sie interessierte sich für nichts Geistiges

und wollte nur bewundert werden. Im Grunde war sie ein herzloses

Biest. Als sie zwanzig wurde, arrangierte mein Mann eine Heirat

mit dem Conte Adriano di Salamandra. Das war unsere direkte Nachbarschaft.

Ich war froh, meine Tochter loszuwerden und schaute mir

den Conte nicht näher an. Mina bekam nacheinander sechs Töchter.

Damit nicht genug, drei Jahre später kam ein Nachzügler, wieder eine

Tochter, Liliana. Alles weitere kannst du dir selbst erzählen.

Jetzt komme ich zu meinem eigentlichen Thema. Das war nämlich

nur die Vorrede. Ich hatte und habe weitverzweigte Verbindungen zu

Adelshäusern und sonstigen Häusern und zu Organisationen, offizieller

und nicht offizieller Natur. Als Liliana sagte, sie werde den Duke

of Everweard heiraten, habe ich sofort meine Verbindungen spielen

lassen. Die gesamte Fahrt von Florenz bis Everweard waren wir nie-

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mals allein. Wir wurden unbemerkt begleitet von geschulten Sicherheitskräften.

Darunter gab es auch ein paar zwielichtige Gestalten.

Aber die verstehen ihr Handwerk am besten. Diese Leute werden von

gewissen Organisationen geschickt, deshalb sind es nicht immer dieselben

Personen. Um es kurz zu fassen, dieses Netzwerk besteht immer

noch. Das heißt, meine liebe Gina, du brauchst keine Angst zu

haben. Ich habe dafür gesorgt, dass euch nichts passiert.«

Gina fiel der Marchesa um den Hals und gab ihr einen Kuss auf die

Wange.

»Und Liliana weiß nichts davon?«

»Sie wird etwas ahnen, denke ich.«

»Der Mann mit dem Moustache?«, fragte Gina.

»Ja, er war einer von ihnen. Irgendwann wird sie von selbst dahinterkommen.

Dann kann sie entscheiden, was sie mit ihnen anfangen will.«

»Wie ich sie kenne, wird sie die Leute für die Sache einsetzen, von

der sie noch keine Ahnung hat, wie sie aussehen soll.« Gina stand

auf. »Es kommt jemand.«

Lady Barton stieg vom Pferd. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen

Hut mit schwarzem Schleier.

»Gina, ist deine Herrin da?«

»Ich erwarte Sie bald zurück. Marchesa Montecorno ist da!«

»Sophia? Das ist gut. Führe mich zu ihr!« Jetzt fiel ihr Ginas elegante

Kleidung auf. »Hast du den Kleiderschrank der Duchess geplündert?«

Die Marchesa umarmte Lady Barton.

»Schön, dich zu sehen, Maureen! Du weißt ja nichts von unserer

kleinen Komödie. Gina ist keine Zofe, sie ist meine Tochter. Gina ist

die Marchesina Montecorno di Capirosso.«

Lady Barton trat ans Fenster. Sie blickte auf die Dächer von Everweard

Castle. Tauben saßen auf den Dachrinnen. Über die Brücke

fuhr eine Kutsche. Ein herrenloser Schimmel folgte ihm. Ohne sich

umzudrehen, sagte sie:

»George ist tot.«

»Wie ist das geschehen? Ist eure Flucht misslungen?«

Lady Barton drehte sich um. Sie sah verloren aus.

»Wir waren in Sicherheit. Ich musste all die Jahre mit dem Gedan-

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ken leben, dass George vor mir stirbt. Er war viel älter als ich. In den

letzten Jahren war er ständig krank. Der Gedanke an Rache hatte ihn

am Leben erhalten. Nachdem er, wie er glaubte, den Fürsten ermordet

hatte, war seine Kraft erschöpft. Dazu kam das Bewusstsein, eine

Todsünde begangen zu haben, denn nur Gott darf richten, nicht der

Mensch. Es gelang mir nicht, ihn wieder aufzurichten. Er war am

Ende angekommen. Ich musste ihn gehenlassen.«

»Es tut mir leid für dich, Maureen«, sagte die Marchesa. »Leider

konnte ich ihn nicht mehr kennenlernen. Was fängst du jetzt an?

Weißt du was? Ich fahre zurück in meine Heimat. Du begleitest mich!

Die Winter sind zwar kalt in der Toskana, aber nicht so eisig wie hier.

Bei mir gibt es immer viel zu tun, dann hast du keine Zeit, Trübsal zu

blasen.«

»Sophia, ich danke dir für das Angebot. Ich habe keine Ahnung,

was ich mit meinem Leben anfangen soll. Es klingt verrückt, aber ich

dachte, es hilft mir, wenn ich mit deiner Enkelin spreche.«

»Das ist ganz und gar nicht verrückt, Maureen. Wo ist sie jetzt,

Gina?«

»Sie ist drüben im Schloss. Dottore Scaltroni ist gekommen und

macht dem Duke seine Aufwartung.«

Gina wusste immer, wo Liliana war.

»Neuer Besuch!«, sagte Gina.

Sie öffnete die Tür.

Miss Fitzgerald kam mit ihrer Zofe Ann.

»Hallo, Gina! Ist Liliana da?«

»Kommt herein! Sie wird bald hier sein.«

»Rosemary, meine Liebe!« Lady Barton umarmte Rosemary. »George

ist gestorben. Du weißt, er hatte dich sehr gern.«

»Wie schrecklich!« Rosemary kamen die Tränen. »Kann ich ihn

noch einmal sehen?«

»Es ist schon alles vorbei. Die Beerdigung fand in aller Stille statt.

Nur ich und der treue Edward begleiteten ihn auf seinem letzten Weg.

Das hatte er so verfügt. George war alt und krank, liebe Rosemary.

Seine Zeit war abgelaufen.«

Nachdem Rosemary die Marchesa begrüßt hatte, sagte Lady Barton:

»Hast du auch gewusst, dass Gina keine Zofe ist?«

79


Rosemary lachte. »Wir sind alle darauf hereingefallen. Aber dass

sie so ganz anders war als alle anderen Zofen, das habe ich schon viel

früher bemerkt. Jetzt ist sie sogar eine Marchesina. Dass sie überhaupt

noch mit mehr spricht, wundert mich sehr.«

»Ich rede nicht mit Ihnen, Miss Fitzgerald,« sagte Gina, »wir machen

Konversation. Das ist etwas völlig Anderes. Sollten wir nicht in

den Salon gehen? Dort ist mehr Platz.«

»Nein, Gina! Hier sitze ich bequem.« Die Marchesa räkelte sich demonstrativ

im Sessel. »Ann kann ja Stühle holen, wenn sich jemand

setzen will.«

Es gab zwei bequeme Sessel in der Bibliothek, die nur zum Lesen

und Arbeiten vorgesehen war. Gäste sollten in dem geräumigeren Salon

empfangen werden.

»Lass es gut sein, Ann!« Lady Barton ging zurück zum Fenster.

Von hier oben hatte man einen herrlichen Ausblick auf Everweard

Castle.

Rosemary trat neben sie.

»Ich habe immer noch Angst, ich könnte plötzlich aufwachen und

feststellen, dass all das Herrliche, das uns geschehen ist, nur ein

Traum war. Mit Mutter kann ich nicht darüber sprechen. Ich vermute,

es geht ihr wie mir.«

Lady Barton legte den Arm um ihre Schulter.

»Rosemary, wir haben ein Recht auf Glück. Wenn man es dir nicht

gibt, nimm es dir!«

Liliana und Emiliano spazierten den Hügel hinauf. Schafe und Ziegen

begleiteten sie. Der Dottore trug einen dunklen Anzug. Er war hochgewachsen,

neben ihm wirkte Liliana wie ein junges Mädchen. Sie

unterhielten sich angeregt und blieben immer wieder stehen. Der

Wind fuhr in Lilianas Haare und wirbelte sie auf. Emiliano hielt den

Hut in der Hand.

Gina ging hinaus und winkte ihnen zu.

»Gina, ist das nicht ein herrliches Wetter, ein Wetter für Papierdrachen

mit langen, bunten Schwänzen?«, rief Liliana.

»Dottore Scaltroni, seien Sie uns willkommen!«, sagte Gina.

»Schön, Sie wiederzusehen, Marchesina! Ich dachte, wir hätten uns

schon zu Emiliano und Gina emporgearbeitet?«

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»Das war unter besonderen Umständen, auf einem Hochzeitsball …

Gilt das immer noch?«

»Selbstverständlich! Sonst müsste man ja bei jeder Begegnung wieder

von vorn anfangen. Stimmen Sie mir zu, Duchess?«

»Auch wir waren schon bei Emiliano und Liliana, mein Freund!«

»Ich dachte, das gilt nur, wenn wir unter uns sind?«

»Solche Spielchen mag ich nicht. Wenn wir Freunde sind, dann

sind wir es immer und überall. Ich jedenfalls schäme mich nicht, dich

zum Freund zu haben.«

»Liliana!« Emiliano gab ihr einen Handkuss. »Das macht mich sehr

glücklich.«

»Wir haben Besuch«, sagte Gina.

»Wenn das Schloss umgebaut ist, werden wir dort Sprechstunden

halten. Hier soll uns niemand stören.«

»Das Personal wird sich doch um ihre Gäste kümmern«, sagte

Emiliano.

»Welches Personal?«

»Nun… Sag bloß?«

»Genau! Gina und ich wollen allein sein. Kaffee kochen und Aufräumen

können wir bequem selbst erledigen. Gehen wir! Wenn die

Leute schon einmal hier sind, sollten wir sie nicht länger warten

lassen.«

Als Liliana die Bibliothek betrat, fiel ihr Lady Barton um den Hals und

weinte.

»Ach, Lady Barton! Es tut mir so leid. Er war ein herzensguter

Mann. Ich werde ihn nie vergessen.«

Die Bibliothek war wirklich zu klein. Trotzdem wollten alle bleiben.

Außer der Marchesa standen alle. Ann machte sich in der Küche

nützlich und kochte Tee und Kaffee. Sie richtete zwei Tabletts.

»Ich darf euch meinen Freund Emiliano vorstellen«, sagte Liliana.

»Er wird unser Gast zu sein. Meine Gastfreundschaft besteht vor allem

darin, ihn schamlos auszunutzen.«

»Marchesa Montecorno, Ihre Enkelin weiß, dass sie mit mir rechnen

kann. Erfreut, Sie wiederzusehen!« Emiliano gab der Marchesa

einen Handkuss.

»Dottore Scaltroni, schön, Sie zu sehen! Ich darf Ihnen Lady Barton

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vorstellen. Miss Rosemary Fitzgerald kennen Sie bereits. Sie waren in

London. Was können Sie uns berichten?«

Emiliano gab Lady Barton einen Handkuss. Sie hatte sich doch entschlossen,

in dem zweiten Sessel Platz zu nehmen. Miss Fitzgerald

war sehr verlegen, als der gutaussehende, junge Mann sich vor ihr

verbeugte.

»Dann will ich gleich berichten«, sagte Emiliano. »Erstens: In Salamandra

ist wieder alles beim Alten. Sie brauchen sich darüber keinen

Kummer mehr zu machen. Zweitens: Maître Salvatore Brava ist jetzt

ein reicher Mann. Was war noch? Zeit für Theater oder Gesellschaften

hatte ich nicht, wollte ich doch sofort zurück nach Everweard

Castle. Zufälligerweise bin ich einem jungen Mann begegnet,

der aus dieser Gegend stammt, Simon Fraggles. Er hatte einen

Auftrag von Lady Monleirdon. Damit kam er nicht zurecht. Da ich die

Bekanntschaft Ihrer Mutter hatte machen dürfen, Miss Fitzgerald,

fühlte ich mich verpflichtet, ihm zu helfen. Nachdem das erledigt war,

reiste ich sofort ab.«

Liliana beugte sich zu Lady Barton.

»Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen.«

Lady Barton stand auf. Liliana nahm sie am Arm und führte sie hinaus.

Der Wind hatte nachgelassen. Es war fast frühlingshaft warm. Die

Tauben waren vom Dach des Schlosses vertrieben worden. Ein Falke

kreiste am Himmel.

»Duchess, was fange ich nur an? Mein Leben hat keinen Sinn

mehr«, sagte Lady Barton.

»Der Fürst ist tot«, sagte Liliana.

»Hat George doch …?«

»Nein, er hat ihn nicht getötet. Seine Tat hatte den Fürsten aber so

geschwächt, dass es möglich war, ihn zu besiegen.«

»Wie ist das geschehen?«

»Ich möchte Sie nicht damit belasten. Nur so viel: Der Fürst hatte

dem Duke Jugend geschenkt und ihm versprochen, Nerissa wieder

zum Leben zu erwecken.«

»Was? Das ist unmöglich!«

»Der Fürst besaß, wie Sie wissen, besondere Fähigkeiten. Der Duke

war davon überzeugt, der Fürst sei in der Lage, sein Versprechen zu

82


erfüllen. Um Nerissa zum Leben zu erwecken, war es notwendig, eine

gewisse Contessina Liliana di Salamandra zu beseitigen. Während eines

Ritualopfers in der Hochzeitsnacht sollte Nerissa den Körper der

Contessina übernehmen. Die eigentliche Besitzerin des Körpers

würde natürlich nicht mehr gebraucht.«

»Das ist doch krank!«

»Ich bekam unerwartete Hilfe. Der Fürst wurde besiegt und ich

blieb verschont.«

»Wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie der Fürst

nach zwölf tödlichen Schüssen aus nächster Nähe, mit zerfetztem Gesicht

und zertrümmertem Körper sich wieder selbst herstellte, dann

würde ich kein Wort von dem glauben, was Sie mir erzählen.«

Liliana nahm beide Hände Lady Bartons und sah ihr direkt in die

Augen.

»Der Duke ist fest davon überzeugt, dass ich Ihre geliebte Nerissa

bin.«

Lady Bartons Hände begannen zu zittern.

»Dafür wurde unser Leben zerstört?«

»Nein! Es sollte nur der Anfang sein für ein gewaltiges Verbrechen.

Lady Barton, wir haben gesiegt. Der Fürst ist tot. Alle seine teuflischen

Pläne sind zunichte.«

»Ich kann das alles nicht verstehen.«

»Wir alle wurden manipuliert, Leben wurde zerstört, unsere Ehre

missachtet und mit Füßen getreten.« Lilianas Hände waren eiskalt.

Sie blickte hinauf zu dem Falken. »Wir waren Marionetten. Ich habe

die Schnüre durchschnitten. Jetzt werde ICH das Stück schreiben!«

Lilianas Stimme war immer schneidender und kälter geworden.

»Duchess, Duchess! Fassen Sie sich! Was haben Sie vor?«

»Ich kann Ihnen nicht alle Hintergründe erzählen. Soviel ist aber

gewiss, das alles konnte geschehen – und gab es keine Skrupel, – weil

wir Frauen sind, dumme, rechtlose Frauen!«

»Übertreiben Sie nicht, Duchess?«

»Ein Beispiel: Mein Vater hatte das Recht, Recht in großen Buchstaben!,

mich zu verkaufen, weil ich eine Tochter bin, eine unmündige

Frau.«

»Das ist nicht neu. Das ist das Schicksal fast aller Frauen unserer

Gesellschaftsschicht. Man spricht aber nicht von Verkaufen.«

83


»Mit Worten lässt sich alles verschleiern und verdrehen. Doch ich

bin kein Opferlamm.«

»Jetzt ist ja alles überstanden«, sagte Lady Barton besänftigend.

»Ich habe die Leichen gezählt und bin nicht bereit zu vergessen und

nicht bereit zu verzeihen.«

»Duchess, ich erkenne Sie nicht wieder. Sie waren solch eine sanfte

Person.«

»Um wieder diese sanfte Person sein zu können, müssen die Verhältnisse

so geändert werden, dass es keine Schwäche ist, sanft zu

sein.«

Liliana war zierlich, wirkte zerbrechlich und hilfsbedürftig, ein

Mädchen noch. Jetzt erkannte Lady Barton, dass dahinter eine Frau

steckte, die unbeirrbar ihren Weg gehen würde.

»Sie machen mich neugierig. Wäre es nicht an der Zeit, dass wir

uns duzen? Wir haben so viel gemeinsam durchlitten … Nenn mich

Maureen!«

»Maureen, das freut mich!« Liliana gab ihr einen Kuss auf die

rechte Wange und auf die linke Wange.

»Die Ähnlichkeit zwischen dir und Nerissa. Ist das Zufall?«

»Sie war meine Halbschwester. Ihre Mutter starb sofort nach der

Geburt. Niemand hätte für sie sorgen können wie du und dein

Mann.«

»Liliana, du bist nicht meine Tochter und doch empfinde ich eine

Verwandtschaft zu dir, eine Seelenverwandtschaft.«

»Du wärst die ideale Mutter für mich gewesen, Maureen. Aber ich

brauche keine Mutter. Ich bin erwachsen. Was ich brauche, ist eine

Freundin.«

»Marchesina Gina ist doch ihre Freundin.«

»Maureen, ich habe eine Tochter für dich!«

»Meine Tochter ist tot, ich brauche keine andere. An wen hast du

gedacht?«

»Aurelia!«

»Die junge Dame, die Admiral Grossuth heiraten wird?«, fragte

Maureen.

»Sie ist ein Waisenkind. Lord Joseph, der Earl of Brandor-Highston,

der sie als seine Tochter ausgab, hatte sie nicht als solche eintragen

lassen. Der Earl ist spurlos verschwunden, sein Vermögen ging an

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seine Gläubiger. Von einer Tochter ist in keinem der amtlichen Dokumente

die Rede. Aurelia gibt es nicht, sie ist niemand.«

»Ich soll sie adoptieren, damit sie jemand ist?«

»Sie ist sehr intelligent – und eine außergewöhnliche Schönheit.

Nach dem, was Emiliano herausgefunden hat, ist es für sie unmöglich,

eine Person von Stand zu heiraten, ganz zu schweigen einen Admiral

der Krone.«

»Sie ist kein Einzelfall.«

»Wir können uns nur um die Personen kümmern, die wir kennen.

Ich weiß, ich kann die Welt nicht ändern, aber vielleicht die winzig

kleine Welt, in der ich lebe.«

»Liliana, verzeih! Du bist dieselbe geblieben. Das sehe ich jetzt.

Gut, ich werde Aurelia adoptieren, wenn sie es will. Dann kann sie

den Admiral heiraten. Du hast aber noch etwas anderes im Sinn.

Habe ich recht?«

»Danke! Ja, du hast recht und du sollst auch alles erfahren … Noch

habe ich keine konkreten Pläne, nur ein Gefühl, in welche Richtung

ich gehen muss. Zum jetzigen Zeitpunkt sammele ich Verbündete.«

Maureen lachte. »Das klingt nach einer Verschwörung. Willst du

Tyrannen stürzen?«

»Und das ist unmöglich?«

»Das ist unmöglich! Wir Frauen sind nun einmal das schwache Geschlecht.

Die Natur hat es so vorgesehen.«

Liliana ging darauf nicht ein und fragte:

»Hast du von den armen Menschen aus Schottland gehört?«

»Das ist ein wirklicher Umsturz, Liliana, noch eine industrielle Revolution!

Kohle ist die Zukunft, Erze, Mineralien und Öl. Wer braucht

da noch Schäfer und Bauern?«

»Darüber möchte ich ein anderes Mal mit dir sprechen. Ich habe

eine Aufgabe für dich.«

»Liliana, ich habe gerade meinen Ehemann beerdigt. Hast du denn

kein Erbarmen mit mir?«

»Im Dukedom Everweard leben Hunderte von Menschen. Ich weiß

nicht, wie und von was sie leben. Man hat mir Schlimmes berichtet.«

»Das hast du doch nicht zu verantworten«, sagte Maureen.

»Ich bin die Duchess of Everweard. Dazu wurde ich gezwungen,

aber ich werde die Verantwortung auf mich nehmen.«

85


86

»Was erwartest du von mir?«

»Hilf mir, diesen Menschen zu helfen!«

»Ach, Liliana, man muss dich einfach lieben!«

Lady Barton ging zurück in LiliaGinas Nest. Liliana blieb noch draußen.

Wir werden einen Drachen bauen, dachte sie. Das wäre doch eine

schöne Aufgabe für einen Mann des Rechts. Auf leichtem, zerbrechlichem

Holz wird dünnes Papier befestigt. Das Ganze übergibt man

dem Wind. Oben am Himmel sieht das Gebilde aus, als wäre es

reinste Poesie. So ist es mit allem, was der menschliche Geist hervorbringt,

man darf es nicht aus der Nähe betrachten.

»Träumst du?«

Rosemary umarmte Liliana. Ihre roten Haare glühten in der Sonne.

»Cara Rosa Maria, schön, dass du mich nicht vergessen hast. Geht

es dir gut? Ich hatte noch keine Zeit, nach Monleirdon zu kommen.

Ihr müsst mich eben einladen, dann muss ich kommen. Du weißt, ich

kann dir nichts abschlagen.«

»Du hast mir versprochen, eine gute Nachbarin zu sein.«

»Das ist wahr. Was macht Monleirdon College? Geht es voran?«

»Im Frühjahr werden wir soweit sein. Der Admiral möchte nach

Ostern das College eröffnen. Auf der Liste der Schülerinnen steht bisher

nur mein Name. Warst du auf einem College oder wie immer das

in Italien heißt?«

»Ich hatte Privatunterricht wie du. Außerdem hatte ich die besten

Lehrerinnen, die man sich wünschen kann, Großmutter und Felicia.

Aber ich hatte irgendwann keine Lust mehr zu lernen und habe lieber

geheiratet.«

»Wie kannst du darüber Scherze machen? Ich könnte das nicht, einen

alten Mann heiraten, den ich nicht kenne.«

»Das sollst du auch nicht. Was macht der irische Wirrkopf?«

»Dylan geht mir aus dem Weg. Er wohnt in Monleirdon, den Weg

zum alten Haus kennt er nicht mehr. Wenn das College eröffnet ist,

werde ich ihn wiedersehen. Dann steht er vorn am Pult und ist wieder

der herablassende Lehrer, der alles besser weiß. Mich wird er besonders

streng beurteilen, damit es nicht heißt, er behandele mich bevorzugt.

Ich freue mich schon darauf.«


Liliana wischte Rosemary eine Träne von der Wange.

»Er ist noch ein dummer Junge, Rosa Maria. Er liebt dich. Irgendwann

wird er es nicht mehr verheimlichen können. Oder du gehst

zum Angriff über … Ich glaube, dir wird nichts anderes übrigbleiben.«

»Und mein Stolz?«, sagte Rosemary.

»Du musst es so anstellen, dass du die Überlegenere bist. Wir lassen

uns etwas einfallen. Es sollte aber vor Ostern geschehen.«

»Du meinst, mit den hochwohlgeborenen Töchtern kann ich nicht

konkurrieren?«

»Ich meine, dann ist Hochbetrieb im College.«

»Wenn er mich gar nicht will?«

»Dann wirst du es erfahren und dir einen anderen Mann suchen.«

»Ich will keinen anderen.«

Ann kam zu ihnen.

»Duchess, Lady Barton möchte sich verabschieden.«

»Ann, ich muss deinen Vater sprechen, nicht hier, sondern im

Schloss. Lass mich überlegen … Der Duke und ich laden ihn am Freitag

zum Mittagessen ein. Kannst du ihm das ausrichten?«

»Jawohl, Euer Gnaden!«

»Danke!«

Lady Barton setzte den Hut mit dem Schleier auf.

»Liliana, wann wollen wir miteinander reden?«

»Gleich morgen früh, Maureen. Es ist Eile geboten.«

»Wir treffen uns hier oben?«

»Ja, wir müssen eine große Strecke reiten.«

»Sophia, sehen wir uns noch einmal vor deiner Abreise?«, fragte

Maureen.

»Darauf kannst du wetten. Elizabeth muss eine große Feier geben.

Wenn ich mich schon verabschiede, dann mit Pauken und Trompeten!«

Lady Barton verließ die Bibliothek.

»So, so, Großmutter, du willst mich im Stich lassen«, sagte Liliana.

»Du hast ja jetzt den Dottore!«

»Er ist auch viel schöner als du – und jünger.«

»Nichts gegen Dottore Scaltroni, aber wahre Schönheit kennt kein

Alter. Du brauchst mich doch nicht wirklich?«

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»Du wirst mir fehlen.«

»Darauf lege ich auch wert. Kommt mich besuchen … schreibt

mir … Liliana, Gina, es fällt mir nicht leicht, euch allein in diesem kalten

Land zurückzulassen. Bevor ich sentimental werde«, die Marchesa

stand mit einem Ruck auf, »gehe ich lieber. Rosemary, begleitest du

mich?«

»Ich wollte auch gehen«, sagte Rosemary. »Ich werde dir eine

offizielle Einladung schicken, Duchess of Everweard, wenn du nicht

freiwillig nach Monleirdon kommst.«

»Gina und ich werden kommen, sobald wir hier ein paar Sachen

erledigt haben. Bis bald, Rosemary! Großmutter, du musst nach Capirosso

zurück. Warte nicht zu lange!«

»Wenn du es sagst … Das muss noch organisiert werden.«

»Der Admiral ist doch ein alter Freund von dir. Er soll dir seine

Kutsche einschließlich Kutscher zur Verfügung stellen.«

»Das ist eine treffliche Idee. Schön, zu wissen, dass einen die eigene

Enkelin so schnell wie möglich loswerden will.«

»Ich will nur dein Bestes.«

»Auf der Abschiedsfeier bestehe ich trotzdem.«

»Bis bald, Großmutter!«

Es war jetzt wieder Platz zum Beine ausstrecken. Gina und Emiliano

hatten einen Sessel aus dem Salon geholt. Alle drei saßen nun in den

weichen Sesseln, die Füße ruhten auf dem kleinen Tisch in der Mitte.

Keiner sprach, was auch nicht nötig war, denn jeder hatte Wohlgefallen

an dem andern.

»Ich vermisse einen kleinen, gelben Vogel«, sagte Emiliano.

»Emiliano, mein Freund, dafür haben wir jetzt dich. Lass hören, ob

du auch so schön singen kannst – und so laut!«

»Mit trockener Kehle?«

»Früher hätte dir meine Zofe einen Napf mit Wasser gebracht.

Doch jetzt habe ich keine Zofe mehr. Deshalb müssen wir alle verdursten.«

»Die Zofe hatte mir schon gefallen.«

»Ja, sie war tüchtig! Das weiß man immer erst hinterher zu schätzen,

wenn es zu spät ist. Nicht wahr, Marchesina Gina?«

»Sie sagen es, Duchess of Everweard! Nur schade, dass wir jetzt

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darauf verzichten müssen, den Gesang eines männlichen Dottorevogels

zu hören.«

»Ja, schade!«

Sie schwiegen wieder. Allmählich wurde es dunkel im Raum.

Schließlich war die Sonne gänzlich verschwunden.

»Es wird Zeit für das gemeinsame Abendessen«, sagte Liliana.

»Der Duke möchte auf diese Tradition nicht verzichten, besonders

weil sie neu für ihn ist.«

»Welche Unterkunft habt ihr für mich vorgesehen?«

»Vorläufig auf Everweard Castle. Dort gibt es ein ehemaliges Atelier

mit viel Platz.« Liliana nahm Ginas Hand und drückte sie fest.

»Emiliano, ich möchte ohne Umschweife ein paar Dinge grundsätzlich

klären. Ich stelle dir Fragen, du gibst kurze präzise Antworten.

Wenn mir die Antworten gefallen, mache ich dir ein Angebot. Einverstanden?«

»Ein Kreuzverhör? Einverstanden!«

»Der Konsul …«

»Ich bin nicht mehr in seinen Diensten. Ich bin ungebunden.«

»Wie sind deine finanziellen Verhältnisse?«

»Ich besitze eine kleine Summe, die ausreicht für die Rückreise

nach Italien.«

»Verfügst du in Italien über Vermögen?«

»Das einzige Vermögen, das ich besitze, trage ich immer mit mir

herum.« Er klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn.

»Es ist aber nicht so, dass du den materiellen Dingen dieser Welt

den Rücken zukehrst, um dein Leben in Askese zu verbringen?«,

fragte Liliana.

»Um es geradeheraus zu sagen, ich habe Jura studiert, um Geld zu

verdienen.«

»Wenn das kein hinreichender Grund ist! Das beruhigt mich ungemein,

Emiliano. Jetzt kommen wir zu einem heiklen Thema. Ah, da

fällt mir eine deiner Formulierungen ein. Wir kommen zu einem delikaten

Thema.«

»Nur zu! Inzwischen bin ich Experte in delikaten Angelegenheiten.«

»Ja, das stimmt! Nicht wahr, Gina? Sag doch auch einmal etwas!«

»Ich sage lieber nichts«, sagte Gina.

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»Hm! Na gut! Emiliano, du bist mein Freund, ich bin deine Freundin.

Ist das so richtig ausgedrückt?«

»Das hast du vortrefflich formuliert.«

»Eine echte Freundschaft ist nicht leicht zu erschüttern. Nicht wahr?«

»Eine echte Freundschaft hält ein ganzes Leben.«

»Eine echte Freundschaft dürfte eigentlich nicht an einer unbedeutenden

Winzigkeit scheitern?«

»Auf keinen Fall! An welche Winzigkeit denkst du?«

»An Geld!«

»Ah, das ist tatsächlich ein wunder Punkt.«

»Das Thema ist also echt delikat?«

»Es ist der Inbegriff von Delikatheit!«

»Gibt es dieses Wort?«

»Ab jetzt!«

»Ich sehe, mit Delikatesse komme ich nicht weiter. Siehst du, Gina,

ich tauge nicht zur Diplomatin. Dazu muss man mehr Fingerspitzengefühl

haben und einen verschwommenen Wortschatz.«

Emiliano wendete sich Gina zu.

»Gina, vielleicht kannst du mir sagen, auf was Liliana hinauswill? Ich

kann es mir denken. Aber wir tun natürlich so, als wüsste ich es nicht.«

»Ich sage lieber nichts«, antwortete Gina.

»Emiliano, in Anbetracht dessen, dass mein Herr und Gebieter auf

uns wartet, bin ich gezwungen, brutal ehrlich zu werden«, sagte Liliana.

»Ich möchte, dass du für mich Dinge erledigst und dafür Geld

nimmst. In welcher juristischen Form das geschehen soll, überlasse

ich dir.«

»Das ist doch ein Wort! Ich werde es mir überlegen.«

»Emiliano, möchtest du lieber singen?«

»Ich werde mir überlegen, in welcher Form die Geldübergabe

stattfinden soll. Selbstverständlich helfe ich dir – euch!«

»Hand drauf?«

Sie gaben sich einen Handschlag. Danach hielt Emiliano Gina die

Hand entgegen. Sie drückte seine Hand, dann sagte sie:

»Für was soll das sein? Ich habe mit dem allem nichts zu tun.«

»Du scherzt, Gina!«, sagte Emiliano. »Die Bedeutung des Handschlags

werde ich dir demnächst erklären. Können wir jetzt essen

gehen? Ich bin am Verhungern!«

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Kapitel 3

Ruth servierte das Abendessen. Wie immer machte sie ein

mürrisches Gesicht. Sie vermied es aber, die Tür hinter sich

zuzuschlagen, was sonst ihre Gewohnheit war. Offensichtlich

hatte sie vor dem Duke Respekt.

»Über die müssen wir uns noch unterhalten, Gemahl.«

»Über wen?«

»Ruth!«

»Was ist mit ihr?«

»Die Art und Weise, wie du sie anschaust, gefällt mir in keinster

Weise.«

»Von was redest du? Bist du etwa eifersüchtig?«, sagte der Duke

amüsiert.

»Sie ist jetzt in dem gewissen Alter. Wir müssen sie verheiraten.«

»Was du nur für Ideen hast! Sie ist schon lange bei mir. Es täte mir

leid, wenn sie geht.«

»Eben!«

»Sie ist ein Dienstmädchen, nicht mehr. Du bist jetzt die Herrin

über Everweard, ich werde dir da nicht hineinreden.«

»In diesem speziellen Fall möchte ich, dass du etwas unternimmst.

Aber genug darüber! Dieses Thema interessiert unsere Gäste sicher

nicht.«

Dottore Emiliano Scaltroni und Marchesina Gina Montecorno di

Capirosso saßen dem Duke und Liliana gegenüber. Es gab ein warmes

und reichhaltiges Abendessen, denn die neue Duchess wollte

nicht auf die südländische Tradition verzichten, die Hauptmahlzeit

des Tages am Abend einzunehmen. Der Duke fügte sich.

Liliana wandte sich an Emiliano.

»Dottore Scaltroni«, in Gegenwart des Duke wollte sie das Sie beibehalten,

es sollte die einzige Ausnahme bleiben. »Ich bin erfreut zu

hören, Sie wollen sich in unserem Dukedom niederlassen. Wir werden

Sie in der Suche nach einem angemessenen Domizil unterstützen.

Hast du eine Idee, Walter?«

»Im Augenblick nicht, aber er ist ja vorläufig gut untergebracht auf

Everweard Castle. Was hat Sie denn nach Everweard verschlagen,

junger Mann? Viel Geld können Sie hier gewiss nicht verdienen.«

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»Ich bin hier, weil Ihre Gattin mich darum bat.«

Der Duke schaute Liliana prüfend an.

»Du brauchst juristische Hilfe, Liliana? Willst du dich scheiden

lassen?«

»Ich bin Italienerin und katholisch. Da gibt es Scheidungen nur mit

Gift oder einem langen, scharfen Küchenmesser. Du siehst, du kannst

ganz beruhigt sein.«

Der Duke lachte.

»Du hast mich überzeugt! Also, was sind die Gründe?«

»Es geht darum«, sagte Liliana,

»was ein gewisser Nero Borden, der sich Fürst nennt, uns eingebrockt

hat.«

»Von was redest du? Ich verstehe kein Wort.«

»Lord Barton ist gestorben.«

»Ach, das tut mir leid!«

»Ich habe Lady Barton gebeten, mir ein wenig zur Seite zu stehen.

Manchmal denke ich, sie könnte meine Mutter sein. Verrückt, nicht

wahr?«

Der Duke lächelte und nickte.

»Das kann ich verstehen. Sie ist eine gute und tüchtige Frau. Leider

verlor sie ihre einzige Tochter durch einen tragischen Unfall. Jetzt,

nachdem auch ihr Gatte verstorben ist, wird es nicht einfach werden

für sie. Ja, kümmere dich um sie!«

»Wir werden morgen einen langen Ausritt machen. Das wird kein

Vergnügungsausflug. Außerdem will ich mir die Menschen ansehen,

die dank Nero Borden ihre Heimat verloren haben.«

»Du sprichst von dem Personal, das Miss Heather angestellt hat?«

»Unser Personal auf Everweard Castle wurde gekauft, wie du

weißt. So etwas nennt man Menschenhandel. Was das Dukedom

Everweard betrifft, da habe ich nichts Gutes gehört über die Verhältnisse,

in denen die Menschen leben. Davon will ich mich persönlich

überzeugen.«

»Davon weiß ich nichts«, sagte der Duke uninteressiert.

»Wo ist Peter?«, fragte Liliana.

»In Glasgow!«

»Kann es sein, dass du gute Geschäfte machst in Schottland, zum

Beispiel mit Kohlebergbau, Eisen- und Stahlhütten?«

92


»Liliana, um Geschäfte kümmere ich mich schon lange mich mehr,

das macht Peter. Er ist darin viel geschickter als ich.«

»Jetzt bist du kein Junggeselle mehr, Walter. Du hast eine Frau. Was

immer du tust, – oder in deinem Namen getan wird, – wirft seinen

Schatten auf mich. Kümmere dich wieder selbst um deine Angelegenheiten!

Du bist der Duke, sei der Duke!«

Der Duke wurde blass. Emiliano und Gina sahen betreten auf ihre

Teller. Es war eine Zeit totenstill im Raum.

»Deshalb brauchst du einen Rechtsanwalt?«

»Damit du es weißt, Dottore Scaltroni ist mein Freund. Ich nenne

ihn Emiliano und habe großes Vertrauen in seine Fähigkeiten und

seine Diskretion. Ich möchte, dass er uns beisteht, ohne Aufsehen zu

erregen und ehrenhaft aus dieser scheußlichen Geschichte herauszukommen.

Das kann dir doch nicht gleichgültig sein?«

»Natürlich nicht … Ich hätte nie gedacht, dass du dich so sehr um

Everweard kümmern würdest.«

»Aber, Walter!« Liliana fasste seinen Arm. »Du bist wie alle Männer,

ihr habt keine Ahnung von uns Frauen. Wenn du einmal von dem Turm

deines Schlosses heruntersteigen würdest und in die Dörfer gingest,

hinein in die Wohnungen der einfachen Leute, dann würdest du schnell

erkennen, wer die Familien zusammenhält – und die ganze Nation.«

»Du bist doch keine einfache Bäuerin oder Frau eines Handwerkers,

du warst die Contessina di Salamandra und bist jetzt die Duchess

of Everweard. Mit all den niederen Tätigkeiten hast du doch

nichts zu tun. Du bist von Adel!«, sagte der Duke.

»Adel verpflichtet, Duke of Everweard! Denke einmal darüber

nach, was es bedeutet, vom Schicksal in eine solche privilegierte Stellung

hineingeboren zu sein. Meinst du, das wäre uns in den Schoß

gelegt worden, damit wir es sinnlos verschwenden? Noblesse oblige

bedeutet, wir haben eine Verpflichtung.« Liliana stand auf. »Ich muss

mit Miss Heather sprechen. Wo kann ich sie finden?«

Der Duke stand ebenfalls auf. Emiliano und Gina erhoben sich.

»Miss Heather zog sich heute früher zurück. Ruth soll dich zu ihr

führen. Wäre es nicht besser, wir lassen sie kommen?«

»Nein, ich muss mich bewegen.«

Der Duke läutete mit dem Glöckchen, das neben seinem Weinglas

stand. Sofort kam Ruth herein.

93


»Duke?«

»Geleiten Sie die Duchess zu Miss Heather!«

Ruth rührte sich nicht.

»Haben Sie mich gehört?«

»Ja, ja … aber …«

Liliana packte Ruth am Arm.

»Führe mich sofort zu Miss Heather oder ich breche dir sämtliche

Knochen im Leib!«, zischte sie.

Unter dem Dach roch es nicht angenehm. Die Flure waren kaum

beleuchtet. Tür reihte sich an Tür. Hier wohnte das Personal des

Schlosses. Ruth klopfte an eine der vielen Türen, die alle gleich heruntergekommen

aussahen.

»Miss Heather, die Duchess möchte Sie sprechen.«

Ein Husten, Schritte kamen zur Tür.

»Sagen Sie der Duchess, ich komme sofort. Wo will Sie mich denn

sprechen?«

»Die Duchess ist hier.«

»Hier? Das geht doch nicht!«

Liliana schob Ruth zur Seite und öffnete die Tür.

»Ich brauche dich nicht mehr, Ruth.«

Ruth schlurfte davon.

Liliana betrat einen Raum im Halbdunkel. Nach und nach konnte

sie das Mobiliar erkennen. Ein schmales Bett füllte fast das gesamte

Zimmer. Ein hoher Schrank stand dicht daneben, auf ihm lagen zwei

alte Koffer. Es gab einen Stuhl und eine Waschkommode, keine Blumen,

die wären hier sofort eingegangen, keine Bücher, keine Bilder,

nur eine vergilbte Tapete mit einem Muster, das einmal Orchideen

dargestellt haben könnte. Auf dem Kopfkissen lag eine schon ziemlich

ramponierte Puppe, der man ansah, dass sie mit der Zeit den

Liebkosungen ihrer Besitzerin nicht hatte standhalten können.

Liliana setzte sich auf den Stuhl. Ihr war schlecht. Es war ihr, als

habe sie einen Schlag in die Magengrube erhalten.

Miss Heather zitterte. Sie schämte sich.

»Sie hätten nicht hierherkommen sollen, Euer Gnaden!«

Liliana schwieg. Sie machte eine Handbewegung. Miss Heather

setzte sich aufs Bett.

94


Es gab kein Fenster.

»Wie lange sind Sie schon in Diensten des Duke?«

»Ich weiß es nicht mehr. Der Fürst hatte mir diese Stellung vermittelt.

Ich musste ihm sehr dankbar sein dafür.«

»Warum?«

»Ich beging ein Verbrechen. Die Gesellschaft stieß mich aus.«

»Ihr Verbrechen geschah, weil Sie sich nicht unterordnen wollten?«

»Ja, Duchess! Sie sind eine gute Menschenkennerin.«

»Sie wurden bestraft?«

»Ich wurde verurteilt und war im Gefängnis. Mein Verbrechen

war …«

»Ich will es nicht wissen!«

Miss Heather sackte in sich zusammen.

»Wer weiß hier von Ihrem früheren Leben?«

»Der Fürst wusste es, sonst niemand. Ich habe meinen Namen geändert.

Warum ich es Ihnen erzähle, weiß ich nicht.«

»Sie haben ein Verbrechen begangen. Sie wurden verurteilt. Sie

waren im Gefängnis. Sie haben Ihre Strafe verbüßt. Ist das richtig?«

»Ja, aber meine Familie hat mich verstoßen. Ich bekam keine Arbeit

mehr, keine Wohnung …«

»Sie haben Ihre Strafe verbüßt!«

Sie stand auf. Miss Heather legte die Hände vors Gesicht.

»Gestern gaben wir uns einen Handschlag. Wissen Sie, was das bedeutet?«

»Dass ich Ihre Dienerin bin«, sagte Miss Heather mit schwacher

Stimme.

»Sie sind nicht meine Dienerin, so etwas brauche ich nicht. Sie sind

die Verwalterin von Everweard Castle, die Herrin über das Schloss

und sein Personal. Der Handschlag bedeutet noch etwas anderes. Er

bedeutet, dass ich für Sie verantwortlich bin, für Ihr Wohlergehen –

und Ihr Ansehen!«

Überrascht sah Miss Heather auf.

»Miss Heather, haben Sie auch einen Vornamen?«

»Sybil!«

Liliana öffnete die Tür. Sie klatschte in die Hände.

»Alle heraustreten!«

Die Türen öffneten sich. Überraschte Frauen und Männer traten in

95


den Flur – und Kinder. Alle waren schäbig gekleidet. In dem fahlen

Licht sahen sie abgemagert aus.

»Falls ihr mich nicht kennt, ich bin die Duchess of Everweard.«

»Duchess!« Sie verneigten sich, einige gingen sogar in die Knie.

»Miss Heather zieht um. Ich brauche freiwillige Helfer. Viel scheint

sie nicht zu besitzen. Du da und du und du, kommt herein! Sybil, pack

deine Sachen!«

»Bin ich entlassen?«

»Ich kündige dir die Wohnung!«

»Ach!«

»Die Verwalterin von Everweard Castle ist eine wichtige Person,

meine Liebe. Sie muss etwas darstellen, muss repräsentieren und

Macht und Ansehen besitzen. Dazu gehören eine angemessene Wohnung

und ein fürstliches Gehalt. Und das werden wir jetzt, sofort, auf

der Stelle in Ordnung bringen. Gehen wir!«

»Wohin?«

»Folge mir!«

»Aber …«

»Ja, du hast recht. Du brauchst Kleider, ich werde mit Miss Wedgeworth

sprechen. Du musst vollständig neu eingekleidet werden. Außerdem

brauchst du mindestens ein Dienstmädchen und vor allem

Assistentinnen. Das überlasse ich dir. Dein Gehalt lege ich morgen

fest. Du bekommst zuerst eine nicht unerhebliche Summe, damit du

dir anständige Sachen zulegen kannst – und als Sühnegeld für das

Unrecht, das dir vom Hause Everweard in den vergangenen Jahren

angetan wurde. Ich will es so!«

»Danke!«

»Was hat sich der Duke nur dabei gedacht? Es will mir nicht in den

Kopf hinein«, sagte Liliana.

»Der Duke interessierte sich nicht dafür. Peter kümmerte sich um

alles.«

»Peter hat Ihnen nichts mehr zu sagen! Die einzige Person, die Ihnen

etwas zu sagen hat, bin ich – und das auch nur in Dingen, die mit

Ihrer Stellung zu tun haben. Ihr Privatleben geht mich nichts an.«

Sie kamen im Westflügel an. Liliana betrat die Suite, die sie nach

der Ankunft in Everweard Castle bewohnt hatte. Die Räume bestanden

aus einem großen Salon, einem Schlafzimmer, einem Studierzim-

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mer und einem Badezimmer. Neben dem Schlafzimmer gab es noch

ein kleineres Zimmer für eine Zofe. Eine Glastür führte vom Salon

auf einen breiten Balkon. Liliana öffnete alle Fenster. Frische Luft

strömte herein.

»Das ist jetzt dein Reich, Verwalterin von Everweard Castle!«

Miss Heather setzte sich auf den Stuhl neben der Tür zum Schlafzimmer

und weinte.

Liliana trat auf den Balkon. Sie konnte auf dem Hügel LiliaGinas

Nest sehen mit seinem achteckigen Turm. In den Fensterscheiben

spiegelte sich der Mond. Sie wartete, bis Miss Heather zu ihr kam.

»Ein neues Leben, Sybil!«

»Eine Fata Morgana!«

»Die Gefängnistür steht offen. Du musst es nur wagen, hinauszugehen

in die Freiheit. Du wolltest dich nicht unterordnen, das war dein

Verbrechen. Ich fordere dich auf, dich auch weiterhin nicht unterzuordnen.

Nur deinen Körper konnte man einkerkern, nicht deinen Geist!«

Miss Heather richtete sich auf. In ihren Augen war wieder der

Wille zum Leben.

»Duchess, wie soll ich es sagen … Verzeihen Sie … die Gefühle

überwältigen mich … Ich liebe Sie!«

Liliana umarmte Miss Heather und küsste sie auf die Wange.

»Sybil! An diese Liebe wollen wir uns halten und mit ihr im Herzen

Everweard Castle unter die Lupe nehmen. Wo Liebe ist, kann es keine

Ungerechtigkeit geben und kein Elend.«

»Ich werde mich morgen sofort um die Menschen kümmern, die

unter dem Dach leben«, sagte Miss Heather.

»Morgen früh wird mich Lady Barton besuchen. Wähle eine Frau

und einen Mann aus, am besten ein Ehepaar, das ein Englisch spricht,

das auch ich verstehen kann. Wir werden mit ihnen reden. Ich will

wissen, woher sie kommen, was sie gelernt haben und wie sie sich

ihre Zukunft vorstellen.«

»Der Duke hat sie gekauft.«

»Niemand kann einen Menschen kaufen. Mag sein, dass sich das

der Fürst oder Peter einbilden, aber ein solches Geschäft ist nichtig.

Alle Menschen sind freie Wesen.«

Liliana betrat das Herrenzimmer des Duke. Emiliano saß am Klavier

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und spielte Scarlatti. Gina kniete neben ihm auf dem Boden und sah

ihm verzückt zu. Der Duke schlief in dem Sessel vor dem Kamin.

Die Musik verstummte.

»Spiel weiter, mein Freund!«

»Liliana, was hast du?«

Gina sprang auf und umarmte sie.

»Halt mich fest!«, sagte Liliana.

Die Sonate war zu Ende. Emiliano begann, einen Ländler zu spielen.

»Ah, das kenne ich auch!«

Liliana ging zum Klavier und setzte sich neben Emiliano. Mit beiden

Händen hieb sie in die Tasten. Es wurde plötzlich sehr laut in

dem kleinen Raum. Der Ländler war jetzt nicht mehr wiederzuerkennen,

er klang jetzt eher nach einem blutigen Schlachtgemetzel.

Der Duke schreckte aus dem Schlaf auf. Er stand auf und kam herüber

zum Klavier.

»Ich wusste nicht, dass du Klavier spielst.«

»Jede Frau hat ihr kleines Geheimnis, Walter. Außerdem spiele ich

kein Klavier. Ich führe schon, solange ich denken kann, einen unerbittlichen

Krieg gegen dieses Instrument. Weil es nicht die Töne hervorbringt,

die ich mir wünsche, bestrafe ich es durch kräftige Schläge

und Fußtritte auf die Vorrichtung hier unten, die offensichtlich dafür

vorgesehen ist.«

»Es gibt eben Menschen, die unmusikalisch sind.«

»Ich bin nicht unmusikalisch. Ich kann sehr wohl hören, was gute

Musik ist. Nur, um sie selbst zu produzieren, dazu habe ich wohl zwei

linke Hände.«

Liliana stand auf und gab dem Duke einen Kuss auf die Wange.

»Schlaf weiter! Gina und ich werden deine Ruhe nicht weiter stören.

Wir sehen uns morgen!«

»Gute Nacht, Liliana!«

98

* * *

Liliana und Gina lagen im Bett. Durch das offene Fenster hörten sie

dem Wind zu und dem Ruf einer Eule.

»Der Dottore hat sich sehr gewundert heute Abend.«

»Über was denn, Gina mia?«


»Wie du mit dem Duke umgegangen bist. So, als wärst du seine

Ehefrau.«

»Das bin ich doch.«

»Das meine ich nicht so. Ich meine, als wäre er dein Ehemann.«

»Das ist er doch. Gina, das sind Tatsachen.«

»Es sah aus, als läge dir etwas an ihm und du wärst gern seine Frau.

Jedenfalls hatte der Dottore diesen Eindruck. Er weiß nicht, was er

davon halten soll.«

»Wenn er diesen Eindruck hat, dann bin zufrieden. Ich bin Duchess

of Everweard. Das Schicksal schreckte nicht vor den vertracktesten

Winkelzügen zurück, um mich in diese Position zu bringen. Das muss

ich ausnutzen.«

»Und deine Rache?«

»Rache kann viele Formen annehmen. Die raffinierteste Rache ist

die, die nicht nach Rache aussieht.«

– Ende der Leseprobe –

99


Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter.

Als Duchess of Everweard setzt Liliana ihre Rachepläne in die Tat um und

gestaltet Dukedom Everweard nach ihren Vorstellungen neu. Sie beseitigt

alte Ungerechtigkeiten und schmiedet neue Allianzen, um gegen ihre

Widersacher vorzugehen.

Dukedom Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer

frei und selbstbestimmt in der ansonsten männerdominierten, feudalistischen

viktorianischen Gesellschaft leben können.

Salvatore, der glaubt, von Liliana verstoßen worden zu sein, ist unzufrieden

mit sich und der ganzen Situation. Er fühlt sich ungeliebt und versteht

nicht, warum Liliana mit dem uralten Duke of Everweard verheiratet

bleibt.

Als Gestaltwandler hält Salvatore sich für ein Monster, das kein Recht auf

ein normales Leben hat. So schließt er sich dem Circo Fantasmagoria an.

Doch diese Entscheidung stellt sich schon bald als ein schwerer Fehler

heraus. Auch die Rettung durch seine Schwester Blanche bringt Salvatore

in neue Schwierigkeiten.

So führt Salvatores Irrweg quer durch Europa. Als er schließlich in der

Toskana ankommt – erliegt er als Nero Bordens Erbe und Nachfolger den

Versuchungen maßlosen Reichtums und grenzenloser Macht.

Liliana, die als Zauberin immer weiß, wie es Salvatore geht, kann diesem

selbstzerstörerischen Treiben nicht mehr länger tatenlos zuschauen.

Zusammen mit Gina reist sie nach Italien, um Salvatore vor sich selbst zu

retten und um so ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern.

Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine längst überfällige

Rechnung offen..

Und letztendlich benötigt das Dukedom Everweard noch einen Erben –

oder könnte es vielleicht eine Erbin sein?

»Tauchen Sie erneut ein in die magische Welt von Liliana,

Gina, Marchesa und Salvatore, denn ihre Geschichte ist

noch lange nicht zu Ende.«

ISBN 978-3-911352-23-9

€ 19,99 [D]

EVERWEARD PUBLISHING

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