Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt (Leseprobe)
Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie Ein Fantasy-Roman von Harriet R. Burrell Ausführliche Leseprobe aus der Taschenbuchausgabe Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter! Liliana gestaltet als Duchess of Everweard das Dukedom nach ihren Vorstellungen neu. Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer frei und selbstbestimmt in der männerdominierten, feudalistischen viktorianischen Gesellschaft leben können. Salvatore, der sich von Liliana verstoßen fühlt, schließt sich dem Circo Fantasmagoria an – doch diese Entscheidung erweist sich als Fehler. Sein Irrweg durch Europa endet schließlich in der Toskana, wo er als Nero Bordens Erbe den Versuchungen von Reichtum und Macht erliegt. Als Liliana Salvatores selbstzerstörerischem Verhalten nicht länger weiter tatenlos zusehen reist sie Gemeinsam mit Gina nach Italien, um ihn zu retten und um ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern. Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine Rechnung offen. Erhältlich als Taschenbuch, Hardcover & E-Book Paperback Ausgabe: Everweard Publishing, 2025, 628 Seiten,13,5 × 21,0 cm, Kartoniert Euro (D) 19.99, ISBN 978-3-911352-23-9 Hardcover Ausgabe: Everweard Publishing, 2025, 726 Seiten,14,0 × 21,5 cm, Hardcover Euro (D) 32.00, ISBN 978-3-911352-25-3 E-Book Ausgabe: Everweard Publishing, 2025 Euro (D) 8,99, ISBN 978-3-911352-24-6
Everweard Castle - Wirst du wieder geweckt
Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie
Ein Fantasy-Roman von Harriet R. Burrell
Ausführliche Leseprobe aus der Taschenbuchausgabe
Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter!
Liliana gestaltet als Duchess of Everweard das Dukedom nach ihren Vorstellungen neu. Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer frei und selbstbestimmt in der männerdominierten, feudalistischen viktorianischen Gesellschaft leben können.
Salvatore, der sich von Liliana verstoßen fühlt, schließt sich dem Circo Fantasmagoria an – doch diese Entscheidung erweist sich als Fehler. Sein Irrweg durch Europa endet schließlich in der Toskana, wo er als Nero Bordens Erbe den Versuchungen von Reichtum und Macht erliegt.
Als Liliana Salvatores selbstzerstörerischem Verhalten nicht länger weiter tatenlos zusehen reist sie Gemeinsam mit Gina nach Italien, um ihn zu retten und um ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern. Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine Rechnung offen.
Erhältlich als Taschenbuch, Hardcover & E-Book
Paperback Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025, 628 Seiten,13,5 × 21,0 cm, Kartoniert
Euro (D) 19.99, ISBN 978-3-911352-23-9
Hardcover Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025, 726 Seiten,14,0 × 21,5 cm, Hardcover
Euro (D) 32.00, ISBN 978-3-911352-25-3
E-Book Ausgabe:
Everweard Publishing, 2025
Euro (D) 8,99, ISBN 978-3-911352-24-6
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Harriet R. Burrell
Everweard Castle
Wirst du wieder geweckt
Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie
EVERWEARD PUBLISHING
Harriet R. Burrell
Everweard Castle
–
Wirst du wieder geweckt
Zweites Buch der Everweard Castle Trilogie
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Copyright by Harriet R. Burrell
Copyright © 2025 by:
Everweard Media & Publishing
Frédéric R. Bürthel
Friedrich-Naumann-Allee 29, 19288 Ludwigslust
www.everweard-publishing.com
kontakt@everweard.com
Everweard Publishing ist ein Imprint
von Everweard Media & Publishing
Satz, Layout, Umschlaggestaltung: FRB
Abbildungen und Elemente auf dem Umschlag:
iStock by Getty Images (Jessica Hyde, Chris Gorgio)
Printed in Europe
ISBN: 978-3-911352-23-9
1. Auflage
Teil I
Unterwegs mit Circo Fantasmagoria
Kapitel 1
England
»Sie sind nicht sehr gesprächig, junger Mann.«
»Verzeihen Sie, Herr Konsul! Ich bin noch müde von der
Abschiedsfeier gestern Abend.«
Console Visconte Arsenio Mercurio hatte Maître Salvatore Brava
eingeladen, ihn in seiner Kutsche nach London zu begleiten. Er hatte
gehofft, in ihm einen Gesprächspartner zu finden, der die langweilige
Fahrt angenehmer mache. Bisher hatte der Konsul nur Monologe geführt.
Das störte ihn normalerweise nicht, aber sein Mitreisender
schien nicht einmal zuzuhören.
Sie fuhren durch reizvolle Landschaften. Klare Bäche, idyllische
Bauernhöfe, sanfte Hügel, grüne Wälder und lichte Haine, das alles
war an den Konsul verschwendet. Er nahm das nicht wahr. Natur war
die Tapete im Hintergrund, im Vordergrund stand Console Visconte
Arsenio Mercurio, seine geistreichen Bemerkungen und Analysen,
seine gepflegte Erscheinung und der für die gesamte Zivilisation so
außerordentlich erfreuliche Umstand, dass es ihn gab und er bereit
war, ihr seine Aufmerksamkeit zu schenken.
»Schade, dass uns Dottore Emiliano Scaltroni nicht begleiten
kann«, fuhr der Konsul fort. »Er musste ja schon vor Tagen abreisen.
Vielleicht treffen wir ihn in London. Schließlich ist er mein Sekretär.
Das sollte für ihn eine Ehre sein, auch wenn ich ihn unregelmäßig
bezahle. Allein die Tatsache, dass ich ihn in die feine Gesellschaft einführe,
müsste ihm Verdienst genug sein. Die wahren Werte weiß Ihre
Generation wahrlich nicht zu schätzen, Maître. Ich spreche nicht von
Undank, ich spreche von emotionaler Blindheit. Es ist müßig darüber
zu sprechen, Sie verstehen es doch nicht.«
»Haben Sie die Hochzeitsfeierlichkeiten miterlebt, Herr Konsul?«
»Sie haben nichts versäumt. Es war schrecklich langweilig. Sogar
die Braut war nach dem Jawort eingeschlafen!«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, sie ist in Ohnmacht gefallen, einfach umgekippt. Es war kein
schöner Anblick. Dem Duke sah man an, dass er nicht begeistert war.
Die Gäste nahmen es gefasst, als hätten sie so etwas erwartet. Emiliano
war entsetzt aufgesprungen. Ich konnte ihn gerade noch davon
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zurückhalten, sich lächerlich zu machen. Er ist doch manchmal noch
ein richtiger Kindskopf. Mein Verdacht wurde aber bestätigt: Er ist
für die Contessina, Pardon, die Duchess, entflammt.«
»Sie ist jetzt verheiratet.«
»Das war der Sinn der Zeremonie.«
»Wird das Brautpaar eine Hochzeitsreise machen?«
»In seinem Alter? Der Duke wird froh sein, wenn er in der Lage ist,
seine ehelichen Pflichten zu erfüllen. Extratouren schafft er bestimmt
nicht mehr!«
»Es scheint Sie zu amüsieren?«
Der Konsul warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Es begann zu
regnen. Hoffentlich behinderte das nicht ihr zügiges Fortkommen.
»Amüsieren? Ich habe das schon so oft erlebt. Ein alter Narr freit
eine junge Maid, weil er vor seinem Ableben noch einen Erben in die
Welt setzen will und damit sein hehrer Name der Nachwelt erhalten
bleibt. Es würde mich amüsieren, wenn es nicht peinlich wäre. Nein,
ich kann darüber nicht lachen. Ich nehme es zur Kenntnis. Wenn ich
gut bewirtet werde, ist es eine angenehme Abwechslung. Der Meisterkoch,
den der Duke engagiert hatte, war eine Enttäuschung. Ich
kannte LeDuc schon von London. Er konnte mich nicht mehr überraschen.
Die große Überraschung fand ich an völlig unerwarteter Stelle.
Auf Monleirdon …«
»Sie sprechen von Floriana?«
»Richtig! Floriana Pritchett, den Namen habe ich mir gemerkt. Sie
wird Martin Fitzgerald heiraten. Schade! Ich hätte sie gerne mitgenommen.
Sie wollte aber nicht. Ich habe ihr sogar einen Heiratsantrag
gemacht. Stellen Sie sich das vor! So etwas hatte ich noch nie
gemacht. Aber in diesem Fall hätte es sich gelohnt. Sie ist eine wirkliche
Meisterköchin, was sage ich, sie ist die Göttin der Kochkunst! Es
macht mich wirklich traurig, sie als Ehefrau versauern zu sehen.«
»Die Duchess war nicht ernstlich krank?«
»Was? An der Festtafel war sie wieder quicklebendig. Diese jungen
Dinger verstehen es gut, sich in den Vordergrund zu spielen. Alles
Theater! Einem eingefleischten Junggesellen wie mir kann man
nichts vormachen. Die Marchesa hatte ihr das sicher ins Ohr geflüstert.
Das ist vielleicht ein raffiniertes, bösartiges Weib, diese Marchesa!
Der habe ich ganz schön Paroli geboten. Hält sich für eine
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Philosophin! Diese Illusion musste ich ihr rauben. Wo kämen wir da
hin, wenn sich Frauen für intelligent halten! Finden Sie nicht auch,
Maître?«
»Darüber erlaube ich mir kein Urteil. Ich kenne die Marchesa nur
flüchtig. Sie kümmert sich aber fürsorglich um ihre Enkelin.«
»Ja, ja, Weiber halten zusammen. Da können wir Männer noch etwas
lernen. Es ist ihr animalischer Herdentrieb. Darüber habe ich mir
bereits meine Gedanken gemacht, Maître. Sie halten mich wahrscheinlich
für einen oberflächlichen Lebemann. Das ist meine Fassade,
dahinter verbirgt sich aber ein reger Geist, dem nichts entgeht.
Ich schreibe gerade an einem profunden Werk über die metaphysische
Ontogenese der menschlichen Gesellschaft. Das wird ein Magnum
Opus der Philosophie!«
»Meinen Glückwunsch, Herr Konsul!«
»Danke, junger Mann! Was nun die Frauen betrifft, kann ich Ihnen
versichern, sie besitzen keine Seele. Im Grunde ist dieses Theater um
die höhere Erziehung höherer Töchter … Sie merken etwas? Hier
wird etwas erhöht. Das bedeutet, dass es niedrig ist und erst angehoben
werden muss … Was ich sagen wollte, diese Erziehung ist völlig
zwecklos. Das ist hinausgeworfenes Geld. Man sollte ehrlicherweise
sagen, um was es wirklich geht. Es geht darum, die Mädchen zu beschäftigen,
damit sie auf keine dummen Gedanken kommen und intelligent
nicken können, wenn sie ein Wort wiedererkennen, das ihr
Gatte im gesellschaftlichen Kreis äußert. Man tut den armen Wesen
keinen Gefallen, werden sie doch bald schmerzlich erkennen müssen,
dass sie zu echten geistigen Gesprächen nicht in der Lage sind. Kochen
sollen sie lernen! Es war direkt rührend, wie stolz Floriana war,
als mir ihr Essen schmeckte. Ja, darin kann eine Frau ihre Erfüllung
finden. Was die Welt wirklich nicht braucht, ist eine Philosophin!«
»Vielleicht bringen Frauen eine andere Sicht auf die Dinge?«
»Sollte man meinen, Maître! Schauen Sie sich aber diese Sicht einmal
näher an. Aus welcher Perspektive sehen die Frauen denn unsere
Welt? Fragen Sie sich das einmal! Ich möchte das einmal überpointieren
… das ist ein erlaubtes Stilmittel, um etwas in aller Deutlichkeit
hervorzuheben. Frauen sehen die Welt aus der Froschperspektive. Ihr
Blick kommt von unten. Sie sehen nur das eine Blatt, auf dem sie sitzen
und lauern auf Fliegen, um sie einzufangen und zu verschlingen.
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Ansonsten interessiert sie nur das Laichen. Wir Männer spielen da
nur eine transitäre Rolle. Unsere Aufgabe ist es, ihnen Kinder zu machen,
damit sie ihrem Instinkt, der Aufzucht der Brut, nachkommen
können. Ja, das hat die Schöpfung sehr weise eingerichtet. Wir Männer
sind frei zum Denken, Handeln und Welt gestalten. Das ist die
natürliche Ordnung. Daran sollte man nicht rütteln!«
»Sie setzen mich immer mehr in Erstaunen. Ist das nicht der Zirkus
da vorne?«
Der Konsul sah aus dem Fenster. Wirklich, vor ihnen blockierten
Zirkuswagen den Weg. Ein Wagen war im Schlamm stecken geblieben.
Circo Fantasmagoria stand auf den Planen. Es war der Zirkus,
den der Duke zu seiner Hochzeit engagiert hatte. Welch ein Ärgernis!
Die Kutsche blieb stehen. Salvatore stieg aus und lief vor zu dem
Wagen. Er unterhielt sich mit einem der Zirkusleute, dann kam er zurück.
»Herr Konsul, ich danke Ihnen, dass Sie mich mitgenommen haben.
Ich werde Sie jetzt verlassen. Es hat mich schon immer gereizt,
Zirkusluft zu schnuppern. Der Direktor hat sich freundlicherweise
bereit erklärt, mich mitzunehmen.«
»Wissen Sie, was Sie da tun, Maître? Ich will Sie nicht davon abhalten,
gebe Ihnen aber einen guten Rat mit auf den Weg. Nehmen Sie
sich in Acht vor diesen Leuten! Mehr sage ich nicht.«
»Ich danke Ihnen, Herr Konsul. Eine gute Reise!«
»Ich wünsche Ihnen, dass sie heil am Ziel ankommen.«
Die Kutsche des Konsuls fuhr um den festgefahrenen Wagen
herum und verschwand bald im Regen.
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* * *
Die Plane war verrutscht. Dahinter kamen die schweren Eisenstäbe
eines Käfigs zum Vorschein.
»Gibt es dazu einen Insassen, Domenico?«, fragte Salvatore.
»Im Augenblick nicht.«
»Wollt ihr ein Ungeheuer einfangen?«
»Was denken Sie nur, Maître! Honk war die Attraktion unseres Zirkus.
Die Leute kamen vor allem, um ihn zu sehen.«
Dino mit den Bärenkräften hatte inzwischen den Wagen aus dem
Schlamm gezogen. Es regnete in Strömen. Lorenzo entschied, heute
nicht mehr weiterzufahren. Die Zirkuswagen wurden unter die
Bäume eines Wäldchens gestellt.
Alle versammelten sich in Fernandas Wagen. Die Frauen kochten
Kaffee und bereiteten einen Imbiss vor. Bald roch es verführerisch.
Antonella legte eine Damastdecke über den Tisch. Sie stellte eine Blumenvase
darauf mit einer einzigen blutroten Rose, davor Teller und
Tassen. Im Nu war wieder die vertraute Behaglichkeit der Familie
Fantasmagoria hergestellt.
»Ich bin so froh, euch getroffen zu haben«, sagte Salvatore. »Das
Geschwätz dieses eitlen Gecken hätte ich nicht mehr länger ertragen
können.«
»Das Schicksal hat uns zusammengeführt, Maître.«
Lorenzo nickte bedeutungsvoll.
»Solche Sätze bin ich von jemand anderem gewohnt. Ist die Alte
nicht mehr bei euch?«
»Sie ist auf der Suche nach einer Verwandten. Greifen Sie zu,
Maître! Was sind denn Ihre Pläne?«
Salvatore überlegte. Die Alte hatte ihn vor der Familie Fantasmagoria
gewarnt, sie sei gefährlich. Das widersprach seinen Erfahrungen.
Im Gegenteil, er hatte sich immer wohlgefühlt bei ihnen. Jetzt, nachdem
Liliana ihn verstoßen hatte, war sein Leben ohne Richtung. Vielleicht
sollte er sich einfach treiben lassen.
»Ich könnte an die Sorbonne zurückkehren. Man hat mir eine Lehrstelle
angeboten. Vielleicht ist sie noch frei. Aber ehrlich gesagt, steht
mir zurzeit nicht der Sinn nach alten Gemäuern und rätselhaften
Artefakten. Nach den Ereignissen auf Everweard Castle muss ich erst
wieder zu mir selbst finden. Habt ihr noch einen Platz für mich? Gibt
es etwas, was ich tun kann? Ich bin recht geschickt mit meinen
Händen.«
»Der Einzige, der uns fehlt, ist Honk«, sagte Lorenzo.
»Wer ist das?«
»Honk war ein Riesenaffe. Er hatte gewaltige Kräfte und einen
Blick, der alle Frauenherzen schmelzen ließ. Nicht wahr, Antonella?«
»Ja, er war süß und brachte uns viel Geld ein.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Er starb wohl aus Heimweh oder Liebeskummer. Wer weiß schon,
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was in dem Schädel eines Tieres vor sich geht? Wir hatten ihn einem
Großwildjäger abgekauft. Honk stammte aus Afrika.«
»Einen Gorilla kann ich nicht ersetzen, Herr Zirkusdirektor.«
»Wieso nicht?«
Salvatore erschrak. Behutsam stellte er die Tasse zurück und stand
auf. Er war aschfahl.
»Ich danke für den Kaffee. Leben Sie wohl!«
Antonella nahm seinen Arm.
»Salvatore, bleiben Sie! Papa ist immer so fürchterlich direkt. Die
Qualität seiner Scherze hat auch im Laufe der Jahre nachgelassen.
Entschuldige dich, Papa!«
»Es war nur so eine Idee … Entschuldigen Sie, Maître! Bleiben Sie
bei uns. Wir werden schon Beschäftigung für Sie finden. Genug zu
tun gibt es ja.«
Antonella drückte Salvatore wieder auf den Stuhl zurück.
»Papa und Mama schlafen in diesem Wagen, Dino und Domenico in
dem anderen. Ich schlafe in dem Wagen der Alten. Da sie nicht da ist,
bin ich dort mutterseelenallein. Das bedeutet, Sie müssen mit Dino
und Domenico einen Wagen teilen. Haben Sie eigentlich Gepäck?«
Salvatore griff sich an den Kopf.
»Ich war so erfreut, dem Konsul zu entkommen, dass ich mein Gepäck
völlig vergaß. Viel war es sowieso nicht, Kleidungsstücke eben
und ein paar Bücher, das war alles.«
»Geld, Papiere?«
»Trage ich immer bei mir.«
»Gut! Sie wissen, wir sind etwas mehr als ein gewöhnlicher Zirkus,
von daher dürfte es keine Probleme geben.«
»Fernanda, sind Sie einverstanden, wenn ich bleibe?«
So wie Fernanda stellte sich Salvatore die ideale Mutter vor. Sie war
immer freundlich und nicht aus der Ruhe zu bringen. Eine Wärme
ging von ihr aus, die ihn die Welt draußen vergessen ließ.
»Sie sind uns herzlich willkommen, Maître.«
»Wenn es nicht zu anmaßend ist, bitte ich Sie, mich Salvatore zu
nennen. Einverstanden?«
»Darauf müssen wir anstoßen!« sagte Dino. Der Hüne stand auf
und holte eine Flasche Rotwein. Antonella stellte Gläser auf den
Tisch.
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»Sei uns willkommen, Salvatore!« Lorenzo stieß als erster mit ihm
an. Die anderen folgten. Von Antonella bekam er einen Kuss auf die
Wange.
»Ich habe den Affen gar nicht gesehen«, sagte Salvatore.
»Und du möchtest mit ihm anstoßen! Il Mano ist drüben im anderen
Wagen. Wenn wir unterwegs sind, zieht er sich immer zurück. Er
bevorzugt eine statische Welt. Garibaldi leistet ihm Gesellschaft.«
»Garibaldi ist dein Hund, Lorenzo?«
»Oder umgekehrt …«
»An deinen Humor werde ich mich erst noch gewöhnen müssen«,
sagte Salvatore.
»Das ist kein Problem. Ich habe keinen Humor.«
»Wie geht es der Duchess?«, fragte Fernanda. »Sie gefiel mir gar
nicht, so schmal und blass sah sie aus auf ihrer Hochzeit.«
»Dazu kann ich nichts sagen. Ich sah sie nur kurz vor meiner Abreise.
Sie hat ja jetzt ihr Glück gemacht.«
»Ja, sie gehört zur obersten Gesellschaftsschicht, der wir leider
nicht angehören, Salvatore. Das braucht gerade uns nicht zu kümmern,
sind wir doch so viel mehr als diese Leute.«
»Du sagst das so unbekümmert, Fernanda. Ich möchte nichts anderes
sein als ein ganz gewöhnlicher Mensch.«
»Wir sind Zirkusleute, junger Mann.« Lorenzo kramte Pfeife und
Tabaksbeutel aus der Hausjacke hervor. »Ganz gewöhnliche Menschen
interessieren niemanden. Nur das Ausgefallene bringt die
Leute dazu, die Münzen springen zu lassen.« Er stopfte die Pfeife mit
dem Daumen. »Und du, Salvatore, bist noch um etliches ausgefallener
als wir!«
»Wie kommst du zu dieser Ansicht?«
»Wir sind Zirkusleute, wie ich schon sagte. Unser Geschäft ist es,
das Publikum zu täuschen, ihm etwas vorzugaukeln. Das funktioniert
aber nur, weil wir untereinander schonungslos ehrlich sind. Davon
hängt unser Überleben ab.« Er zündete die Pfeife an. Süßlicher
Qualm stieg auf. Fernanda hustete. »Der Fürst war dein Vater. Du
hast ihn getötet, einen Unsterblichen. Wenn das nichts Außergewöhnliches
ist!«
»Leopoldo Brava ist mein Vater! Woher willst du wissen, dass ich
den Fürsten umgebracht habe?«
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Salvatore hatte gehofft, dem allen entkommen zu können, dass weit
weg von Everweard Castle die Ereignisse hinter ihm liegen würden
wie ein Traum, an den man sich nach dem Aufwachen nur noch vage
erinnern kann. Liliana hatte er verloren. War der Makel seiner
Abstammung das Einzige, was ihm blieb?«
»Du willst nicht darüber sprechen. Wir drängen dich nicht. Du
musst nur wissen, wir sind deine Freunde.« Lorenzo stand auf und
ging zur Tür. »Ich werde draußen rauchen und nach den Pferden
sehen. Kümmert euch um unseren Gast. Er soll sich bei uns wohlfühlen.«
Domenico holte das Akkordeon. Er legte es auf den Schoß und begann
zu spielen. Eine wehmütige Melodie erfüllte den Raum. Antonella
räumte den Tisch ab. Fernanda betrachtete Salvatore nachdenklich.
Welch ein hübscher, naiver Junge! Mehrmals setzte sie zum
Sprechen an, dann lächelte sie und strich über Salvatores Hand.
»Wie alt bist du, Salvatore?«
»Vierundzwanzig.«
»Es ist, als hätte ich einen Sohn bekommen.«
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* * *
Salvatore warf sich eine warme Decke um die Schultern und ging
hinaus in die Nacht. Die schmale Sichel des Mondes blinkte immer
wieder zwischen den Wolken hervor, die ein kalter Wind wie eine
Herde Büffel vor sich hertrieb. Die Pferde standen unter den Bäumen.
Es waren kräftige Tiere, die es gewohnt waren, schwere Lasten zu
ziehen. Ein Blitz erhellte für eine Sekunde das Lager. Die Pferde ließen
sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Habe ich doch richtig gesehen!«
Antonella trat aus einem der Wagen. Sie lief barfuß auf Salvatore zu
und hakte sich bei ihm unter. Unter dem dünnen Nachthemd schimmerte
ihre Haut wie Marmor. Sie schmiegte sich fest an ihn.
»Antonella, du musst frieren!«
»Lernst du denn niemals etwas dazu? Wenn wir nicht frieren wollen,
dann frieren wir nicht!«
»Ach!«
»Jawohl, ach!«
»Warum drückst du dich dann an mich? Du machst mir nichts vor.
Du bist kalt!«
»Dann wird es wohl am besten sein, du trägst mich zurück in mein
Bett.« Ihr ganzes Gewicht lag jetzt in seinen Armen. Er musste sie
festhalten, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Sie flüsterte: »Warum
schläfst du nicht? Ist es dir nicht vornehm genug bei uns?«
»An Schlafen ist gar nicht zu denken.« Regen prasselte hernieder.
Salvatore hob Antonella auf seine Arme und trug sie in den Wagen.
»An Domenico könnte ich mich ja noch gewöhnen. Sein Schnarchen
klingt genauso melancholisch und langatmig wie sein Akkordeonspiel.
Dieser Dino aber, der rodet die Nacht über ganze Wälder.«
Salvatore setzte Antonella behutsam auf dem Bett ab. Es roch nach
Rosen. Die Nachttischlampe warf einen sanften Schimmer über die
Bettdecke. Schüchtern stand er vor dem Bett, die Hände schob er in
die Hosentaschen. Antonella machte keinerlei Anstalten, unter die
Decke zu schlüpfen.
»Ich gehe dann mal wieder …«
Sie war so schön. Nein, er konnte nicht gehen. Ihr üppiger Busen
drückte sich gegen das Nachthemd. Die Beine hatte sie übereinandergeschlagen.
Die Knie glänzten golden. Die langen, schwarzen Haare
waren ihr in das Gesicht gefallen. Die schwarzen Augen schauten dahinter
hervor wie aus einem Perlenvorhang … einem Vorhang aus
schwarzen Perlen … einem Wasserfall aus Nachtregen. Mit dem Zeigefinger
fuhr sie über ihre dunkelroten Lippen, die feucht waren und
voller Versprechen. Die Wärme ihres Körpers spürte er immer noch.
Ihr Blick verwirrte ihn. Lag darin eine Einladung oder Spott? Begehren
strömte durch seinen Körper wie Fieber. Er war nicht mehr Herr
seiner Empfindungen. Verzweifelt schloss er die Augen.
»Eine Nacht an der frischen Luft wird dir guttun, Jüngling!«
Antonella schob ihn zur Tür hinaus. Er hörte, wie sie hinter ihm die
Tür verschloss.
Es regnete in Strömen. Salvatore setzte sich. Den Rücken lehnte er
gegen die Tür, den Kopf legte er in die Hände. Sie zitterten.
Was ist aus mir geworden? Triebe steuern meinen Körper und mein Denken.
Ich habe keinen eigenen Willen mehr, weil ich nicht weiß, was ich
will – und wer ich bin. Wo ist der Mann, den Liliana liebte? Kann ich
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wieder der werden, der ich einmal war? Nein, damals schon wusste ich
nicht, wer ich bin. Ich war schon immer eine Lüge. Mein Vater ist nicht
der, den ich dafür hielt. Mein wirklicher Vater war ein Monster. Und ich
bin es auch! Vielleicht liegt die Antwort darin, dass meine wahre Natur
die eines Ungeheuers ist und ich meine Bestimmung und mein Glück
erst dann finde, wenn ich dieses Monster in mir ganz und gar anerkenne
und es lebe. Das würde bedeuten, ich werde Liliana endgültig verlieren.
Nein! Das kann ich nicht zulassen! So wie ich meinen leiblichen Vater
tötete, muss ich das in mir töten, was er mir vererbt hat.
Die Decke lag auf der Treppe. Salvatore hob sie auf und hüllte sich in
sie ein. So legte er sich vor Antonellas Tür.
Irgendwann schlief er ein.
28
Kapitel 2
»Hopp … hopp … hopp!«
Lorenzo warf ihm Keulen zu. Salvatore fing alle auf und
warf sie wieder zurück. Seine Hände waren geschickt
und reagierten, bevor er nachdenken konnte. Er trug ein Clownskostüm
und lange Schuhe mit Glöckchen an der Spitze. Domenico saß
auf einem Baumstumpf und klopfte in regelmäßigem Takt auf die
Trommel.
»Hopp … hopp … hopp!«
Der Rhythmus der Trommel wurde schneller, die Keulen flogen
jetzt in Sekundenschnelle auf ihn zu. Er fing alle auf und warf sie
ebenso schnell zurück.
»Du bist ein Naturtalent, Salvatore! Weiter!«
Lorenzo legte die Keulen zur Seite und holte einen Satz scharfer
Wurfmesser.
»Es wäre mir lieb, wenn du sie nur am Griff auffängst. Das Publikum
lechzt zwar nach Blut. Diesen Kitzel wollen wir ihnen auch nicht
nehmen. Sie wollen Blut sehen und damit den Beweis, dass wir doch
nicht unfehlbar sind. Aber darin täuschen sie sich, wir machen niemals
Fehler.«
Das erste Messer kam gemächlich angeflogen. Salvatore konnte
seine Flugbahn verfolgen. Es war ein Leichtes, es am Griff aufzufangen.
Dann folgte Messer auf Messer.
»Gut! Du weißt jetzt, um was es geht. Fangen wir an!«
Domenico klopfte den Takt. Schlag auf Schlag flogen die Messer,
Schlag auf Schlag warf Salvatore sie zurück.
»Stufe Zwei!«
Der Takt wurde schneller.
»Stufe Drei!«
Die Messer flogen jetzt so schnell, dass Salvatore nur noch seinem
Instinkt folgen konnte.
»Stufe Vier!«
»Stufe Fünf!«
Salvatore dachte überhaupt nicht mehr. Er sah nur, wie seine
Hände Messer auffingen und zurückwarfen. Das geschah alles unbewusst.
29
»Schluss für heute!«
Lorenzo kam zu Salvatore herüber. Er klopfte ihm auf die Schulter.
»Du hast Zirkusblut in den Adern.«
Sie gingen die Wiese hinunter. Eine Steinbrücke führte über einen
kleinen Fluss. Sie setzten sich auf die Mauer und schauten hinunter ins
Wasser. Oben auf dem Hügel standen die Zirkuswagen. Die Pferde
grasten auf der Wiese. Zwischen den Wagen hingen Wäscheleinen.
Fernanda und Antonella hatten den heutigen Tag zum Waschtag erklärt.
Die Herren der Schöpfung störten da nur. Nur Dino musste in
der Nähe bleiben. Seine Funktion war es, mit seinen kräftigen Händen
die nasse Wäsche auszuwringen, bevor sie aufgehängt wurde.
»Du wunderst dich über dich selbst?«, sagte Lorenzo.
»Es ist nicht meine Gewohnheit, mit Messern zu werfen.«
Salvatore betrachtete die lächerlichen Clownsschuhe. Er bewegte
die Zehen hin und her und ließ die Glöckchen klingen. Ein Fisch
steckte den Kopf aus dem Wasser.
»Wie erklärst du dir dann dein Talent?«
»Als Restaurator braucht man ein gutes Auge, um mit den Händen
präzise arbeiten zu können.«
»Diese Fähigkeiten reichen, um instinktiv, in Sekundenschnelle ein
gefährlich scharfes Messer nach dem andern aufzufangen und es genauso
schnell wieder zurückwerfen zu können?«
»Es scheint so zu sein.«
Weiter unten, hinter der Flusskrümmung, lag ein größeres Dorf.
Dort wollten sie morgen eine kleine improvisierte Vorstellung geben,
eine Benefizvorstellung, wie Lorenzo es nannte, denn er verlangte
keinen Eintritt. Es ging darum zu testen, ob Salvatore auch vor Publikum
bestehen konnte.
»Das Wort Maître bedeutet Meister?«
»Ja!«
»Du bist Meister im Selbstbetrug, Maître.«
»Können wir es nicht bei meiner Erklärung bewenden lassen?«
»Was wir eben geübt haben, ist reiner Kinderkram. Damit kannst
du auf einer Dorfkirmes auftreten. Wer den Circo Fantasmagoria
kennt, erwartet von uns atemberaubende, unglaubliche und nie zuvor
gezeigte Sensationen. Wir haben noch niemals unser Publikum
enttäuscht. Weißt du auch, warum?«
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»Ich habe eine Vermutung.«
»Du vermutest richtig, Maître. Und deshalb passt du zu uns. Ich
werde dich berühmt machen. Die Frauen werden dir zu Füßen
liegen.«
»Ob ich das will?«
»Du willst es!«
»Wirklich? Ich bin bei euch, weil ich nicht weiß, was ich will.«
»Dann sage ich dir, was du tun sollst. Ich bin der Direktor. Alles
tanzt nach meiner Pfeife, so sagt man für gewöhnlich. Bei mir aber
heißt es: Alles tanzt nach meiner Peitsche! Du bist jetzt ein Teil des
Circo Fantasmagoria – und ich bin der Chef. Du tust, was ich dir
sage – oder du gehst, und zwar sofort auf der Stelle. Ich schließe jetzt
die Augen und zähle bis hundert. Wenn ich sie aufmache und dich
immer noch sehe, dann gehörst du mir und musst mir gehorchen, bis
ich dich eines Tages wieder gehen lasse. Das ist mein voller Ernst. Du
hast das verstanden? Ich schließe die Augen. Eins, zwei …«
Salvatore sprang von der Mauer. Panische Angst trieb ihn den Hügel
hinauf. Oben angekommen stolperte er über seine grotesken
Schuhe und fiel wie ein echter Clown in den Wäschebottich. Wasser
schwappte heraus und durchnässte Fernanda und Antonella.
Dino klatschte in die Hände.
Als sich Salvatore von den nassen Wäschestücken befreit hatte und
aus dem Bottich stieg, stand Lorenzo vor ihm und zählte:
»Hundert!«
* * *
Das Zirkuszelt war bis auf den letzten Platz besetzt. Das große Eingangstor
stand offen, damit die Besucher, die keinen Platz bekommen
hatten, wenigstens ein wenig sehen und hören konnten. Salvatore
wartete auf seinen Einsatz. Er trug das bunte Clownskostüm. An den
Füßen trug er keine Schuhe, er war barfuß. Sein Gesicht war weiß
geschminkt. An die rote Pappnase hatte er sich noch nicht gewöhnt.
Seine Nase schwitzte und juckte. Der Affe betrachtete ihn kritisch.
Immer wieder schüttelte er den Kopf und legte die breiten Hände
über den Kopf.
Das Akkordeon quietschte erbärmlich. Der Akkordeonspieler ver-
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suchte immer wieder, eine Melodie korrekt zu spielen. Aber es gelang
ihm nicht. Es war nicht zum Aushalten!
Der Clown rannte hinaus in die Manege. Mit einem Gummihammer
schlug er dem Musiker auf den Kopf. Dieser schüttelte sich und
spielte auf einmal fehlerfrei. Der Clown streckte ihm die Zunge heraus,
dann drehte er sich um. Sogleich rutschte die Melodie ab in
quietschende Missklänge. Der Clown schlug wieder mit dem Gummihammer
zu, diesmal kräftiger. Der Musiker rieb sich den Kopf, Tränen
spritzten aus seinen Augen wie aus zwei Fontänen. Das Akkordeon
klang wieder ergreifend schön. Der Clown drohte mit dem
Gummihammer. Prompt war die Melodie nicht mehr wiederzuerkennen.
Der Clown nahm einen Anlauf und schlug mit aller Gewalt auf
den Kopf des Musikers. Der Hammer sprang zurück und landete auf
seinem eigenen Kopf. Aus dem Mund des Clowns ertönten nun die
Klänge des Akkordeons. Das Publikum klatschte begeistert.
Ein Pferd kam schnaubend auf den Clown zugestürmt. Auf seinem
Rücken stand eine leichtbekleidete Amazone mit dem Helm der Pallas
Athene auf dem Kopf. In der einen Hand hielt sie die Zügel, in der
anderen einen Speer. Sie hob ihn hoch über die Schulter und schleuderte
ihn mit aller Kraft. Der Clown sprang zur Seite. Dort wo der
Speer sich in den Sand bohrte, entsprang ein Geysir. Blutrote Flüssigkeit
spritzte in die Höhe und durchnässte sein Kostüm. Aber die Reiterin
hatte noch nicht genug. Sie ritt einmal in weitem Kreis um ihn
herum, spornte das Pferd an und raste in vollem Galopp auf ihn zu.
Mit beiden Armen weit ausholend warf sie gleichzeitig zwei Tomahawks.
Der Clown konnte ihnen nur entkommen, weil er einen
gewaltigen Sprung in die Höhe machte. Ein Raunen ging durch das
Publikum. Einen solchen Sprung hatte es noch nie gesehen. Der
Clown sprang hoch hinauf. Ein kräftiger Mann in einem fleischfarbenen
Kostüm saß auf einem Trapez in der Zirkuskuppel. Der packte
ihn an den Armen und stieß ihn auf das Hochseil. Jetzt hielt das Publikum
den Atem an. Der Clown schwankte nach links, schwankte
nach rechts, immer wild mit den Armen fuchtelnd. Er konnte das
Gleichgewicht nicht finden, er strauchelte und fiel. In letzter Sekunde
umklammerten seine Zehen das Seil. Er kam zum Halt. Mit dem Kopf
hing er nach unten. Wie ein Schwimmer warf er die Arme nach vorn.
Oben rutschten die Füße das Seil entlang. So gelangte er an das
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andere Ende des Hochseils. Aber er hatte zu viel Tempo erreicht, er
prallte krachend gegen den Mast und glitt an ihm nach unten. Dort
wartete der Affe auf ihn mit einem Eimer Wasser. Den stülpte er ihm
über den Kopf. Der Clown stand auf und schüttelte sich wie ein begossener
Hund. Dann kroch er auf allen vieren durch die Manege, um
seine rote Nase zu suchen. Das Publikum raste.
Der Affe holte eine Schubkarre. Er packte den Clown an den Füßen
und schob ihn auf die Karre. Unter den Klängen des Akkordeons und
dem Klatschen der Zuschauer verließen sie die Manege.
* * *
»Den dummen Bauern hast du ja mächtig Eindruck gemacht.«
Lorenzo sah Salvatore zu, wie er die Pferde striegelte. Garibaldi lag
zu seinen Füßen und beobachtete jede Bewegung.
»War dir das immer noch nicht gut genug?«, sagte Salvatore.
»Nicht schlecht! Ich sagte dir ja bereits, du bist zu Großem berufen.
Jetzt erkläre mir, wieso du in der Lage warst, so hoch zu springen und
wie du dich an dem Hochseil festhalten konntest.«
»Ich habe nicht darüber nachgedacht.«
»Zu welchem Ergebnis würdest du kommen, wenn du darüber
nachdächtest?«
»Ich will es nicht wissen.«
»In London will ich eine Antwort!«, sagte Lorenz.
»Was ist in London?«
»Dort werden wir die Sensation des Jahrhunderts sein. Wir werden
zeigen, dass nichts unmöglich ist. Dabei muss ich mich auf dich verlassen
können.«
»Dann seid ihr sicher besser dran ohne mich.«
»Du gehörst mir, Salvatore!«
»Wenn ich jetzt einfach gehe?«
»Dann gehe!«
Salvatore legte die Bürste zur Seite. Er schlenderte nonchalant den
Hügel hinunter in Richtung Dorf. Garibaldi begleitete ihn. Sie erreichten
die Brücke. Es war ein warmer, freundlicher Tag. Bienen
summten. Kinder ließen Schiffchen auf dem Wasser treiben. Salvatore
kam bis zur Mitte der Brücke. Die Kinder hatten ihn entdeckt. Sie
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winkten ihm fröhlich zu. Für sie war er eine Berühmtheit. Gerade
jetzt war er wieder unwiderstehlich komisch, wie er so tat, als gäbe
es eine unsichtbare Wand, die ihn daran hinderte, die Brücke zu überqueren.
Das Entsetzen in seinen Augen sah aus wie echt. Hoffentlich
reist der Zirkus nicht sobald ab! Ein Mädchen mit einem roten Band
im Haar pflückte ein paar gelbe Blumen und rannte hinauf auf die
Brücke. Sie überreichte ihm den Strauß mit einem kleinen Knicks wie
eine richtige Dame. Tränen standen in seinen Augen. Welch ein
Clown!
34
* * *
Salvatore striegelte die Pferde.
»Wenn du so weitermachst, haben sie bald kein Fell mehr. Lasst uns
lieber ausreiten!«
Antonella trug ein Reitkostüm. Sie schwang sich auf den Rücken
ihres Pferdes. Salvatore stieg auf den Gescheckten.
»Wo reiten wir hin?«
»Ins Dorf! Ich möchte etwas einkaufen.«
Sie ritten den Hügel hinunter. Nachdem sie die Brücke überquert
hatten, folgte ihnen die Schar Kinder. Antonella hob das kleine Mädchen
mit dem roten Haarband vor sich auf den Sattel. Im Dorf kamen
von überallher Kinder herbeigeeilt. Mit erwartungsvollen Augen bestaunten
sie die beiden Künstler aus dem Zirkus, der in ihrer Welt
aufgetaucht war wie aus Tausendundeiner Nacht. Antonella löste das
rote Band aus dem Haar des Mädchens. Sie zog es durch die Hand und
hervorkam … ein funkelndes Perlenband. Das befestigte sie feierlich
im Haar des Mädchens. Dann reichte sie das Kind in die Hände ihrer
Mutter.
»Ich brauche ein paar Schuhe, gute Frau. Gibt es bei euch einen
Schuster?«
Die Frau nickte und zeigte wortlos auf ein Haus am Ende der
Straße. Das Messingschild über der Tür hatte die Form eines Stiefels.
Sie ritten dorthin, gefolgt von einer in Ehrfurcht verstummten Kinderschar.
Der Schuster trat vor das Haus. Er war noch ein junger Mann. Er
trug eine Arbeitsschürze aus dunklem Leder. Er konnte Antonella
nicht direkt anschauen. Sie war so exotisch schön und weckte in ihm
gewisse Gefühle. Er hatte Angst, rot zu werden.
»Meister, habt ihr Damenstiefel aus weichem Leder? Seht nur
meine armen Füße! Sie sind ganz wund vom Laufen über staubige
Straßen und spitze Steine.«
Jetzt musste der Meister ihre Füße betrachten, die kein bisschen
wund waren, sondern so schön und anmutig wie die einer Prinzessin.
Eine junge Frau trat an seine Seite. Sie lächelte mild, als sie sah, wie
verlegen ihr Mann war. Er war für sie ihr ältestes Kind. Gut, dass er
sie hatte, um auf ihn aufzupassen!
»Bitte, treten Sie ein!«, sagte sie. »Ich werde sofort nachsehen.
Gideon, stehe nicht herum! Hilf der Dame vom Pferd!«
»Nicht nötig, Frau Meisterin!« Antonella sprang vom Pferd und
stolperte ungeschickt direkt in die Arme des überrumpelten Meisters.
»Danke, dass Sie mich aufgefangen haben. Ich glaube, ich habe mir
den Fuß verdreht. Jetzt müssen Sie mich hineintragen. Das tun Sie
doch für mich, Gideon?«
Gideon warf einen hilfesuchenden Blick zu seiner Frau. Sie zuckte
mit den Schultern.
»Du hast die Dame gehört.«
Der junge Schustermeister trug Antonella in die Werkstatt. Er
schwitzte. Die Last war schwerer, als er gedacht hatte, und sie roch so
wunderbar nach Rosen. Wenn seine Frau ihm nicht einen Stuhl für
die Dame hingeschoben hätte, hätte er sie wohl für immer in den Armen
gehalten.
Salvatore kam herein. Die Werkstatt war nicht groß. Es roch nach Leder
und Leim. Regale standen an den Wänden, gefüllt mit Schuhen in
allen Größen und Farben. Vor dem schmalen Fenster stand ein kleiner
Tisch. An ihm saß ein Junge mit ernstem Gesicht. Vor ihm lag ein Bogen
Papier. Die Augen zusammengekniffen versuchte er angestrengt,
mit dem Zirkel einen Kreis zu ziehen. Salvatore setzte sich neben ihn.
»Hallo, junger Mann!«
Der Junge sah auf. Erschrocken sah er, welche Berühmtheit sich zu
ihm gesetzt hatte. Prompt rutschte der Zirkel aus. Eine krumme Linie
zog sich über das Blatt Papier.
»Oh!«
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»Radiergummi?«
Der Junge gab ihm einen Radiergummi. Salvatore radierte sorgfältig
die misslungene Zeichnung weg.
»Was ist das Wichtigste an einem Kreis?«, fragte Salvatore.
»Ich weiß nicht. Dass er rund ist?«
»Wir brauchen noch ein Lineal oder ein Geodreieck und einen feingespitzten
Bleistift.«
Der Junge holte die Sachen und gab sie Salvatore.
»Das Wichtigste an jedem geometrischen Objekt, also auch an einem
Kreis, ist der Mittelpunkt. Den müssen wir als Erstes festlegen.«
Salvatore zeichnete mit Lineal und Bleistift zwei Geraden, die sich
im rechten Winkel in der Mitte des Papiers schnitten.
»Das ist das Zentrum.«
Salvatore setzte die Spitze des Zirkels genau auf diesen Punkt.
Dann zog er mit einer einzigen Bewegung den Kreis.
»Jetzt haben wir einen Kreis. Wenn du genau hinschaust, wirst du
noch mehr erkennen. Hier ist das Fadenkreuz. Von diesem gehen vier
Kreisabschnitte aus wie vier Teile eines Kuchens. Wenn ich jetzt die
Punkte verbinde, in denen die Querlinien den Kreis durchschneiden,
erhalte ich ein auf die Spitze gestelltes Quadrat. Siehst du?«
Der Junge blickte fasziniert auf das Papier.
»Aber warum sollten wir uns damit begnügen? Schau her! Wenn
ich an diese Schnittstellen Geraden im rechten Winkel zeichne und
sie miteinander verbinde, erhalten wir ein weiteres großes Quadrat,
das den Kreis umfasst.«
Bewundernd sah der Junge auf Salvatores Hände. Sie hatten gewiss
magische Kräfte.
»Du kannst dir denken, dass wir noch mehr aus den wenigen Linien
und Punkten entwickeln können. Das Grundprinzip bleibt immer
das gleiche. Jedes geometrische Objekt braucht einen Mittelpunkt,
einen Ausgangspunkt, wenn du willst. Genauso ist es mit allen
Dingen in unserem Leben. Wir brauchen einen Mittelpunkt, um existieren
zu können.«
»Verwirre den armen Jungen nicht, Salvatore!«, rief Antonella
herüber. Sie räkelte sich auf einem Stuhl. Der Rocksaum war über
die Knie gerutscht. Vor ihr kniete der Schustermeister und versuchte,
mit schwitzenden Händen ihr ein Paar rotglänzende Stiefel
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anzuziehen. »Nicht jeder ist berufen, ein so großer Philosoph zu
werden wie du.«
»Das hat nichts mit Philosophie zu tun«, sagte Salvator, »das ist
Mathematik. Damit kann man wirklich etwas anfangen.«
»Mathematik war schon immer das Steckenpferd der Philosophen.
Geben Sie mir recht, Meister?«, sagte Antonella.
»Ganz wie Sie meinen, gnädige Frau!«
»Du bist langweilig! Vielleicht sollte mir deine Frau helfen.«
Die Frau des Schustermeisters brachte noch zwei Paar Stiefel.
»Das sind die letzten. Wenn sie auch nicht passen, muss mein
Mann ein Paar für sie herstellen. Werden Sie denn solange noch hier
sein?«
»Wir bleiben eine Woche. Reicht das? Ich zahle auch im Voraus.«
»Gideon?«
Der Schustermeister nickte. Für diese Füße würde er jede andere
Arbeit liegen lassen.
»Dann nehmen Sie Maß, Meister!«
Der Junge hielt fasziniert Salvatores Zeichnung in den Händen. Darin
lag eine neue Welt, eine Welt, die er beherrschen konnte. Der Tisch
war ein Quadrat, die Uhr an der Wand ein Kreis, die Schränke waren
Rechtecke, die ganze Welt ließ sich in geometrische Figuren auflösen,
zeichnen, errechnen und neu zusammensetzen. Das war der Schlüssel
zu allen Rätseln!
»Ernest, bedanke dich bei dem Herrn!«
»Nicht nötig! Es hat mir Spaß gemacht.«
»Danke!« Ernest griff nach der Hand seiner Mutter. »Ich muss das
lernen. Ich muss!«
»Aber, Ernest, so kenne ich dich nicht!«
Salvatore stand auf.
»Wir bleiben noch eine Woche, Frau Meisterin. Mein eigentlicher
Beruf ist Restaurator. Außerdem habe ich Kunstgeschichte und Architektur
studiert und darin einen Doktortitel erworben. Ich will damit
nur sagen, dass ich Geometrie wirklich gelernt habe. Es würde
mir Freude machen, ihrem Sohn noch ein wenig beizubringen, solange
wir hier sind. Wenn es Ihnen recht ist?«
»Wir können Sie nicht bezahlen.«
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»Wenn Ihr Mann sich besonders viel Mühe gibt mit Antonellas
Stiefeln, ist es mir Bezahlung genug.«
»Sie kennen uns doch nicht.«
»Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in Ernests Alter war und
nie genug lernen konnte. Immer war ich unzufrieden, weil es noch so
viel gab, das ich nicht verstand. Wir sind verpflichtet, unser Wissen
und unsere Begeisterung an die junge Generation weiterzugeben.«
»Wenige denken so.«
»Sind Sie einverstanden?«
»Wie heißen Sie, junger Mann?«
»Mein Name ist Salvatore Brava. Wenn Sie noch mehr Kinder haben,
sie können alle kommen – deine Freunde auch, Ernest.«
»Der Herr Pfarrer …«
»Er kann uns einen Raum zur Verfügung stellen«, sagte Salvatore.
»Ich spreche mit ihm«, sagte die Frau des Meisters.
»Wenn nicht, dann werde ich Ernest allein unterrichten.«
»Was meinst du dazu, Gideon?«
»Frau Meisterin, Salvatore ist ein Genie«, rief Antonella. »Lassen
Sie sich diese Chance nicht entgehen! Außerdem kann er bei der
Gelegenheit gleich überprüfen, ob die Arbeit an meinen Stiefeln zügig
voranschreitet.«
»In der Schule drüben in Oldmall wird mit dem Rohrstock unterrichtet.
Denken ist dort unerwünscht.« Gideon hatte das letzte Paar
Stiefel zur Seite gestellt. »Cecily, meine Liebe, man wird es dort nicht
gern sehen, wenn ein Schüler gescheiter ist als die Lehrer.«
»Wenn man dumm ist und nur das tut, was einem die anderen sagen«,
sagte Salvatore zornig, »mag das Leben ja bequemer sein. Es ist
aber auf keinen Fall ein eigenständiges Leben. Das muss man nämlich
erkämpfen!«
»Ernest ist doch nur ein Kind.«
»Wann beginnt der Kampf des Lebens?«
»Ernest, was möchtest du?«
Cecily nahm Ernest die Zeichnung aus der Hand und betrachtete
sie. Sie konnte verstehen, was ihren Sohn daran faszinierte. Wie gern
wäre sie auf eine höhere Schule gegangen oder auf die Universität,
aber ihr Vater war ein einfacher Schneidermeister und sie nur ein
Mädchen.
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»Mutter, ich muss das lernen. Ich muss!«
»Gut, Ernest! Eine Woche ist nicht viel, aber ein Anfang. Maître
Brava, mein Mann und ich danken Ihnen.«
»Bis morgen, Ernest! Ich freue mich darauf.«
»Was ist nur über dich gekommen, Salvatore?«
Sie ritten nicht direkt zum Lager, sondern wollten weiter oben eine
Furt überqueren, auf die man sie aufmerksam gemacht hatte.
»Ich wollte wieder einmal etwas Sinnvolles tun.«
»Ist die Arbeit im Zirkus sinnlos?«
»Ja, sie ist sinnlos.«
»Ist es sinnlos, anderen Menschen Freude zu machen, sie zum Lachen
zu bringen und sie für eine kurze Zeit die Sorgen des Lebens
vergessen zu lassen?«
»Nein! Ich meinte, die Arbeit im Zirkus bringt mich nicht weiter.
Für mich ist es eine sinnlose Zeitverschwendung.«
»Trotzdem tust du sie?«
»Mein Leben hat seinen Mittelpunkt verloren. Ich muss einen
neuen finden. Bis ich ihn gefunden habe, ist es gleichgültig, was ich
mache.«
»Warst du schon immer solch ein schwermütiger, tiefsinniger
Mensch, Maître?«
»Ja!«
»Lorenzo hält große Stücke von dir.«
»Lorenzo hält mich gefangen.«
»Einen Veel’zi kann niemand gefangen halten.«
»Vielleicht bin ich doch kein Gestaltwandler?«
»Das musst du mit dir selbst ausmachen, Salvatore. Eins ist gewiss,
du bist ein unverbesserlicher Dickschädel. Alles, was dir geschieht,
hast du nur dir selbst zuzuschreiben. Sieh mal, da drüben ist eine
Ruine!«
Sie überquerten die Furt. Vor der Ruine stiegen sie ab und ließen die
Pferde grasen. Die Mauern des Klosters standen noch. Durch hohe
Fenster fiel die Sonne auf Bänke aus verwittertem Stein. Alles war
überwachsen mit Moos und Gras.
»Setzen wir uns!«
Antonella nahm Salvatores Hand und führte ihn zu einer Bank. Von
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dort hatten sie einen weiten Blick über das Tal, den Fluss und das
Dorf. Spatzen flogen auf und verschwanden durch die Fensteröffnungen
wie die Seelen Verstorbener. Das Kruzifix lag auf dem Boden. Es
war an mehreren Stellen zerbrochen. Der Kopf des Heilands war
gespalten. Blaue Blumen wuchsen dazwischen hervor.
Sie setzten sich und schauten hinaus. Antonella hielt immer noch
seine Hand. Salvatore fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Es scheint, ich
liebe alle Frauen, dachte er. Kein Wunder, dass mich Liliana verstieß.
»Kann ich meinen Arm um dich legen, Antonella?«
»Aber nur das!«
Er legte den Arm um ihre Taille und rückte an sie heran. Den Kopf
legte er auf ihre Schulter. Er konnte in ihr Dekolleté sehen. Die festen
Brüste bewegten sich sanft mit ihrem Atem.
»Du bist schön!«
»Natürlich! Ich bin so schön, wie ich sein möchte.«
»Wie meinst du das?«
»Salvatore!«
»Ist alles Illusion?«
»Alles ist wirklich. Aber ich bestimme, was wirklich ist, Ungläubiger!
Wir Veel’zi besitzen eine weitere Dimension des Lebens. Warum
sollten wir darauf verzichten?«
»Weil es unnatürlich ist.«
»Ich wurde geboren und bin aufgewachsen, habe geliebt und geweint,
hatte Freude und Schmerz. Was ist daran unnatürlich?«
»Ich bin dem nicht gewachsen.«
»Du musst mit ihm wachsen.«
Salvatore gab ihr einen Kuss auf die Wange. Sie schmeckte nach
wilden Erdbeeren.
Antonella stand auf.
»Mir müssen zurück!«
»Schon? Mir gefällt es sehr gut hier – mit dir.«
»Ich habe Hunger.«
»Dagegen habe ich wohl keine Chance?«
»Gegen Spaghetti Fernanda? Niemals!«
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Kapitel 3
Der Zirkus gab jeden Abend eine Vorstellung. Das sprach
sich schnell herum. Die Besucher kamen aus der gesamten
Region. Händler ließen sich das Geschäft nicht entgehen.
Um das Zirkuszelt stellten sie ihre Buden auf. Bevor man den Zirkus
betreten konnte, musste man dem verführerischen Geruch von
Würstchen und Braten widerstehen. Aus dem Bierzelt erklang Blasmusik.
Eine Orgel mit bunten Pfeifen und mechanischen Äffchen, die
im Rhythmus zwei Bleche aufeinanderschlugen, lockte die Kinder zur
stürmischen Fahrt auf der Schiffsschaukel. Für die Frauen gab es hier
alles, was sie unbedingt zu brauchen glaubten. Ein Stand war beladen
mit Stoffen in allen Farben, Strümpfen, Unterwäsche, Lippenstiften,
Kämmen, Glasperlenketten, Broschen und Liebesromanen. Gleich daneben
gab es Töpfe, Pfannen, Messer, Scheren, Äxte, Schaufeln und
Rechen. Am meisten bestaunt wurde der schlanke Herr im schwarzen
Anzug und dem Zylinder auf dem Kopf. Doktor Mirabilis verkaufte
Salben und Tinkturen für alle Leiden, sogar für Krankheiten, die noch
nicht entdeckt worden waren. Er war ein starker Mann und konnte
in einem Zug jeden kranken Zahn entfernen. Weiter entfernt stand
ein Podest. Darauf übte eine Musikkapelle. Nach der Vorstellung
spielten sie zum Tanz auf. Diese Tänze gingen bis spät in die Nacht.
Die Bauern und ihre Familien hatten sich gewissermaßen Urlaub genommen.
Solange der Zirkus bei ihnen war, wollten sie nichts versäumen.
Der Pfarrer versuchte verzweifelt, auch nur eine Seele zu retten.
Vergeblich! Wer nicht sowieso regelmäßig in den Gottesdienst kam,
ließ nicht davon ab, sich den weltlichen Verlockungen hinzugeben.
Vormittags trainierte Salvatore für die Abendvorstellung. Lorenzo
ließ ihm keine Atempause und trieb ihn von Höchstleistung zu
Höchstleistung.
Nach dem Mittagessen unterrichtete er den Sohn der Schustersleute.
Ernest war sein einziger Schüler. Die Eltern der anderen Kinder
hatten Angst vor dem Herrn Pfarrer und den Lehrern. Ernest war ein
begeisterter Schüler und machte erstaunlich schnell Fortschritte. Er
war sehr intelligent. Kaum hatte er ein Prinzip verstanden, konnte er
neue Anwendungen daraus entwickeln. Salvatore hatte daran große
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Freude. Sie ließ ihn für ein paar Stunden vergessen, dass sein Leben
keinen Sinn hatte und versetzte ihn in die Zeit zurück, als er an eine
Zukunft glaubte.
Mittelpunkt aller Aufführungen des Circo Fantasmagoria war Salvatore.
Jeden Abend konnten die Zuschauer neue unglaubliche Akrobatik
von ihm sehen. Bald sprach man nur noch voller Bewunderung
von Salvatore Brava, Salvatore, dem Wagemutigen, dem Mann, dem
nichts unmöglich war.
Nach den Vorstellungen gingen Salvatore und Antonella Arm in
Arm spazieren oder sie ritten über die Wiesen und Felder. Wenn niemand
in der Nähe war, schwammen sie im Fluss, bis sie Gänsehaut
bekamen. Sie setzten sich danach ans Lagerfeuer und lauschten Fernanda,
die Lieder sang aus der italienischen Heimat. Domenico begleitete
sie auf der Gitarre. Wenn alle zu Bett gegangen waren, saßen sie
eng umschlungen in Antonellas Wagen und erzählten oder schwiegen
zusammen.
Die Nacht aber verbrachte Salvatore in eine Decke gehüllt vor Antonellas
Tür.
So verging die Woche. Der Tag des Abschieds kam.
Antonella stolzierte in der Schusterwerkstatt auf und ab wie eine
Prinzessin auf der Promenade. Die roten Stiefel saßen wie angegossen.
Noch nie hatte sie sich in neuen Schuhen auf Anhieb so wohlgefühlt.
Auch Cecily war zufrieden. Die Frau vom Zirkus war sehr
großzügig gewesen.
»Werdet ihr wiederkommen?«, fragte sie.
»Nein! Cecily, ihr müsst von nun an allein für eure Unterhaltung
sorgen. Ihr wisst ja jetzt, wie es geht.«
»Sie scherzen! Wer sollte den großen Salvatore Brava ersetzen?«
»Das sollte man auch nicht nachmachen. Aber abendlicher Tanz und
fröhliches Beisammensein, das müsst ihr doch jetzt nicht aufgeben.«
»Wir sind Bauern und Handwerker. Wir kennen nur die Arbeit.
Das bisschen Vergnügen, das wir hatten, wird uns bald wie ein
Traum vorkommen oder wie eine Sünde, die uns der Pfarrer bis an
unser Lebensende vorhalten wird.«
Ernest saß steif und teilnahmslos am Tisch. Für den heutigen Tag
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trug er extra den Konfirmandenanzug, der ihm bereits etwas zu eng
war. Er war blass und hätte gern geweint, aber er war ja schon ein
großer Junge. Salvatore saß ihm stumm gegenüber. Auch ihm fiel der
Abschied schwer.
»Wie alt bist du, Ernest?«
»Dreizehn.«
»Gideon, Cecily, ich muss mit euch sprechen!«
Die Schustersleute kamen herüber. Salvatore stand auf, damit sich
Cecily setzen konnte. Es gab nur drei Stühle in der Werkstatt.
Die Uhr tickte laut. Wieso fiel ihm auf einmal das Geräusch der Uhr
auf? Das hatte er doch die ganze Woche nicht wahrgenommen.
»Ich möchte euch bitten, über etwas nachzudenken.«
»Wir werden Sie vermissen, Maître.«
»Ich bitte euch, lasst Ernest gehen!«
»Mit dem Zirkus? Niemals!« Gideon packte Ernest an der Schulter,
als wollte er ihn daran hindern, sofort davonzulaufen.
»Nicht mit dem Zirkus! Was denken Sie nur von mir? Ernest muss auf
eine richtige Schule, auf ein Internat und später, wenn er will, auf die
Universität. Alles andere wäre ein Verbrechen an seiner Begabung.«
Cecily traten Tränen in die Augen.
»Ach Maître, Sie meinen es so gut. Aber wie soll das gehen? Wir
sind arme Leute. Für uns gibt es keine höheren Schulen und keine
akademischen Laufbahnen. Schuster muss er werden wie sein Vater!«
Ernest senkte den Kopf.
»Ich sage das nicht leichtfertig, Cecily«, fuhr Salvatore fort. »Ernest
hat eine große Begabung. Er wird niemals sein Glück finden,
wenn er nicht dieser Begabung folgt. Ich bitte Sie, lassen Sie mich ihm
helfen.«
Überrascht sah Cecily auf.
»Erklären Sie sich näher!«
»Sie haben mich als Zirkusclown kennengelernt. Das bin ich nicht. Ich
habe studiert und bin zu großem Vermögen gekommen. Es wäre mir eine
außerordentliche Freude, Ernest ein Stipendium zu bezahlen, das es ihm
ermöglicht, seinen Weg zu gehen. Sie müssten ihn ziehen lassen, damit
er auf ein Internat in London, Oxford oder Cambridge gehen kann.«
Ernest blickte auf. Seine Augen strahlten. Dann wurde er wieder
traurig. Er stand auf und setzte sich auf den Schoß seiner Mutter.
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»Mama, ich will nicht weg von dir!«
Cecily wusste jetzt, was sie zu tun hatte. Sie strich Ernest übers
Haar und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Mein Ernest, ich habe dich lieb! Wir lassen dich nicht allein.
Wenn du gehen solltest, werden wir mit dir gehen. Wo immer du zur
Schule gehst, sei es auf ein Gymnasium, in ein Internat oder auf eine
Hochschule, wir werden bei dir sein. Gute Schuster werden überall
gebraucht. Wenn du gehst, dann gehen wir alle.«
Salvatore legte Papiere auf den Tisch und einen versiegelten Umschlag.
Das Siegel hatte die Form der Ouroboros-Schlange.
»Es ist mir nicht entgangen, Cecily, wie sehr Sie Ernest lieben und
dass Sie alles opfern würden, damit er seinen Weg gehen kann. Er ist
sehr intelligent. Jede Schule müsste dankbar sein, ein solches Talent
aufnehmen zu dürfen. Aber leider zählt nicht die Begabung, sondern
nur Geld und die Gesellschaftsklasse.«
»Wir sind einfache Handwerker.«
»Gideon ist bestimmt kein einfacher Handwerker!« Antonella
hörte fasziniert zu. Sie hatte keine Ahnung von Salvatores Plänen gehabt.
»Gideon ist ein Künstler, der mit Leder arbeitet.«
»Da hast du recht, Antonella«, sagte Salvatore. »Mein Vater ist der
Baumeister des Florenzer Doms. Er ist wie Sie, Gideon, Künstler und
Handwerker zugleich. Es war ihm mehr als anderen bewusst, wie
wichtig eine höhere Ausbildung ist. Deshalb schickte er mich auf die
besten Universitäten. Ich möchte, dass Sie dasselbe für Ihren Sohn
tun. Was Ihnen fehlt, ist Geld. Das gebe ich Ihnen!«
»Wir können doch von Ihnen kein Geld annehmen, Maître!«
Der junge Schustermeister konnte das alles nicht begreifen. Er
schämte sich, dass er nicht alles für seinen Sohn tun konnte.
»Es ist nicht für Sie, sondern für Ihren Sohn. Sehen Sie mich als
seinen Paten. Ja, so wollen wir es nennen. Ich übernehme die Patenschaft
für Ernests Ausbildung.«
»Und wenn Sie sich in ihm irren?«
»Erziehung, Ausbildung sind niemals nutzlos. Sollte sich Ernests
Begabung in eine andere Richtung entwickeln, dann muss er ihr folgen.
Meine Unterstützung gilt nicht einer mathematischen Begabung,
sondern Ernest. Aber ich irre mich nicht in ihm.«
»Was versprechen Sie sich davon, Maître?«
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»Ich bin zu Vermögen gekommen. Das möchte ich in die Zukunft
investieren. Wenn Ernest seine Ausbildung erfolgreich beendet hat,
wird sein Wissen unsere Gesellschaft bereichern, sei es, er gibt sein
Wissen als Lehrer weiter, sei es, er gewinnt als Wissenschaftler neue
Erkenntnisse. Ich finde, besser kann man Geld nicht anlegen.«
»Erwarten Sie einen Gewinn? Soll er das Geld zurückzahlen – mit
Zinsen?«
»Er wird es zurückzahlen, aber nicht mir, sondern uns allen. Was
ich tu, ist nichts Außergewöhnliches. Wie sind die herrlichen Werke
der Renaissance entstanden, die Gemälde, die Fresken, die Skulpturen
und Gebäude? Ich sage es Ihnen: durch Mäzene, reiche Kaufleute, Kirchenfürsten
und Adlige, denen es nicht darum ging, ein Meisterwerk
in ihrem stillen Kämmerlein aufzuhängen, sondern es allen Bürgern
zu schenken zum Ruhme der Stadt. Das brachte Florenz’ Ansehen
weit über die Grenzen hinaus. Noch heute verdient die Stadt an den
Besuchern, die aus aller Welt anreisen, um die Werke eines Michelangelo,
Raffael, Tizian oder Leonardo da Vinci zu bewundern.«
»Das ist mir alles zu hoch! Verzeihen Sie, Maître, ich muss mir das
gründlich überlegen.«
»Ich will euch erläutern, wie ich mir das Ganze gedacht habe. Hört
euch mein Angebot an, dann besprecht es in aller Ruhe, wie es in einer
Familie üblich ist. In diesem Umschlag befindet sich eine größere
Summe. Das bekommt ihr sofort. Damit könnt ihr alle Kosten decken,
bis Ernest in einer Schule aufgenommen ist und ihr euch niedergelassen
habt.« Salvatore schob den Umschlag in die Mitte des Tisches.
»Wenn ich in London bin, werde ich ein Konto einrichten, von dem
aus monatliche Zahlungen für Schulgebühren, Schulmaterialien, Unterkunft
und Sonstiges erfolgen werden. In diesem Schreiben hier …«
Er legte einen Vertrag auf den Tisch. »… wird die Bank angewiesen,
die entsprechenden Buchungen auszuführen. Gideon, Sie müssen nur
der Bank mitteilen, wie hoch die Summe ist und wohin sie überwiesen
werden soll. Ich werde das alles mit der Bank besprechen. Man
wird also auf Sie vorbereitet sein.« Er legte zwei weitere Blätter dazu.
»Das ist ein von mir verfasstes Empfehlungsschreiben. Und hier ist
eine Liste von Professoren, die ich aus meiner Studienzeit in London
kenne. Sie werden euch auf Grund meines Schreibens helfen, die
richtige Schule für Ernest zu finden. Das hoffe ich wenigstens. Sollte
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es Schwierigkeiten geben, dann lasst ihr mir über die Bank eine
Nachricht zukommen. Ihr seht, die Hauptarbeit liegt bei euch, ihr
müsst das alles organisieren, Ernest unterstützen und Mut machen,
wenn es einmal nicht so läuft. Ich bin fein raus, ich gebe nur das
Geld!«
Cecily drückte Ernest fest an sich. Immer wieder strich sie ihm über
das Haar. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Gideon schwieg.
Er sah auf seine Hände. Sie hatten Schwielen und Schnittwunden.
Wie weit hatten sie ihn gebracht? Er war zufrieden gewesen mit seinen
bescheidenen Einkünften und seiner kleinen Familie. Niemals
hatte er daran gedacht, dass sein Sohn eines Tages darüber hinauswachsen
könnte. Nachdenklich sah er Ernest an. Er war immer ein
heller Kopf gewesen, ohne dass er dabei überheblich geworden wäre.
Cecily hatte ihn zu einem lieben, bescheidenen Jungen erzogen. Nein,
er konnte stolz sein auf das, was er erreicht hatte. Er stand auf. Seine
Haltung zeigte, er war der Herr des Hauses.
»Maître, ich bitte Sie, uns allein zu lassen, damit wir Familienrat
halten können.«
»Selbstverständlich, Gideon, lasst euch Zeit!«
Salvatore stand auf.
»Verraten Sie mir aber vorher noch eins, Maître! Was sind Ihre
wahren Gründe?«
»Ich bin zu diesem Geld gekommen, weil ich einen Auftrag ausgeführt
habe, hinter dem jemand stand, der sich mein Vater nannte,
aber niemals mein Vater war. Ich möchte dieses Geld dazu zwingen,
die Verantwortung einer Vaterschaft zu übernehmen.«
Antonella sah Salvatore verschmitzt an.
»Das hat mir besonders gefallen: Ernest hat eine große Begabung.
Er wird niemals sein Glück finden, wenn er nicht dieser Begabung
folgt! Vielleicht solltest du diesen Satz umformulieren: Salvatore hat
eine große Begabung, Er wird niemals sein Glück finden, wenn er
nicht dieser Begabung folgt! Ernest kann dir da nicht helfen. Du
musst dir selbst helfen.«
»Ernests Begabung ist eine positive, gute, nützliche Begabung.
Mein Talent, auf das du anspielst, ist negativ, schlecht und zerstörerisch.«
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»Es ist schon erstaunlich, welcher hirnverbrannte Schwachsinn
aus dem Munde eines ansonsten recht intelligenten Menschen
kommt.«
»Du meinst, ich habe unrecht?«
»Du weißt, dass du unrecht hast.«
»Und der Fürst? Meinst du, ich wollte wirklich so werden wie er?«
»Der Fürst hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Mehr will ich über ihn
nicht sagen. Er war ein Veel’zi. Aber das sind auch Domenico und ich.
Zählst du mich ebenfalls zu den bösartigen Kreaturen?«
»Nein, nein! Der Fürst hat mir aber die Augen geöffnet, wie leicht
sich diese Fähigkeiten missbrauchen lassen. Wie schnell fühlt man
sich überlegen und kennt keine Skrupel mehr.«
»Gilt das nicht für jeden Menschen, für jede Veranlagung? Kann
nicht jeder sogenannte gewöhnliche Mensch dieselben Verbrechen
begehen wie ein Gestaltwandler?«
Ernest strahlte.
»Maître, danke! Ich kann es noch gar nicht glauben … Geometrie
werde ich lernen und Algebra, Physik, Astronomie … Ich werde Ihnen
keine Schande machen.«
»Ganz bestimmt nicht! Wichtig ist vor allem, dass es dir Freude
macht.«
Die Wohnung der Schustersleute lag über der Werkstatt.
Cecily hatte Tränen in den Augen. Sie umarmte Salvatore und gab
ihm einen Kuss auf die Wange.
»Das musste sein, Maître! Ein solches Glück! Wie können wir Ihnen
je dafür danken?«
»Vergessen Sie mich, Cecily! Es gibt Menschen, die kommen reich
zur Welt. Zu euch kommt das Geld eben etwas später. Wichtig ist nur,
was ihr daraus macht.«
Gideon entkorkte eine Flasche Wein und füllte die Gläser.
»Maître Salvatore Brava, der Familienrat hat sie einstimmig zu Ernests
Patenonkel ernannt. Darauf wollen wir anstoßen!«
»Auf Ernests Zukunft – und auf eure, Cecily und Gideon!«
»Wir müssen jetzt aber zurück, Salvatore«, sagte Antonella. »Lorenzo
wartet nicht gern!« Sie hasste Abschiede.
Salvatore nahm einen Umschlag aus der Jackentasche.
47
»Das ist ein Brief an die Duchess of Everweard. Sollte ich wider
Erwarten aufgehalten werden oder mir etwas zustoßen, wendet euch
an sie. Sie wird euch weiterhelfen.«
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Kapitel 4
Der Herbst brachte kalte Nächte und Frost. Salvatore hätte
schon längst nicht mehr draußen vor Antonellas Tür schlafen
können, wenn er nicht unbewusst seinen Körper verändert
hätte. Seine Haut war hart und undurchlässig wie die eines Reptils.
Sein Blut floss langsamer, der Atem ging in gleichmäßigem, ruhigem
Rhythmus. Das alles nahm er nicht wahr, – wollte er nicht wahrnehmen.
Wenn er nicht schlafen konnte und hinauf zu den Sternen
blickte, sehnte er sich nicht nach Antonella, die unerreichbar wenige
Meter entfernt von ihm schlief, er dachte an Liliana. Sie war das glühende
Messer in seiner Brust gewesen. Man hatte es herausgerissen.
Warum war er nicht auf der Stelle gestorben? Oder war er es doch?
Wenn das Leben keinen Sinn mehr hat, ist es dann überhaupt noch
ein Leben, ist es dann nicht schon längst der Tod?
Sein Herz hing noch immer in dem Geflecht einer verdorrten
Rosenhecke.
Der Zirkus hatte sein Lager aufgeschlagen auf einer kleinen Insel.
Der See hielt sie gefangen in dunkelgrauem Schweigen. Die Ufer waren
nur als Nebelstreifen in der Ferne zu sehen. Fernab von neugierigen
Blicken wollte Lorenzo die Saison in London vorbereiten. Es
sollte nichts weniger werden als die Sensation des Jahrhunderts.
Salvatore saß am Küchentisch und sah Fernanda zu, wie sie eingekochtes
Gemüse in Gläser abfüllte. Dabei sang sie mit ihrer herbsüßen
Stimme von den Straßen Neapels, den Weinbergen der Toskana
und den Gondeln Venedigs, als wären diese nicht in dieser
Welt, sondern in einem fernen Himmel, der für immer unerreichbar
blieb. Durch das Fenster konnte er sehen, wie Dino seine Muskeln
spannte und größer und größer wurde. Jetzt war er ein Riese, der
seinen Schatten warf über den See. Eine riesige Flamme loderte
zum Himmel empor, die er aus dem Mund ausstieß und wieder
einsog.
»Bist du auch eine Gestaltwandlerin, Fernanda?«
»Nein, ich bin eine Zauberin wie Dino und Lorenzo.«
»Warum lässt mich Lorenzo nicht gehen?«
»Aber, Salvatore! Ich dachte, du bist gerne bei mir.«
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»Ich fühle mich bei dir zu Hause, Fernanda. Ich dürfte mich nicht
beklagen, weiß aber auch, dass ich nicht zu euch gehöre.«
»Du bist so begabt!«
»Ich weiß nicht, was ich tu. Es ist jemand anders, den du bewunderst.«
»Das soll ich verstehen?«
Domenico trat in den Wagen. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Er findet heute gar kein Ende.«
»Lorenzo will nur euer Bestes.«
»Maître, du sollst sofort zu ihm kommen. Er hat eine neue Idee.
Wenn ich heißen Kaffee getrunken habe, könnt ihr wieder mit mir
rechnen.«
Salvatore stand auf. Er gab Fernanda einen Kuss auf die Wange.
»Ich könnte dir stundenlang zuhören. Niemand singt so schön
wie du.«
In der Mitte der Insel gab es eine unbewachsene Fläche. Sie war rund
und mit weißem Sand gefüllt wie ein Amphitheater. Antonella ritt
den Gescheckten im Kreis herum. Der Affe sprang auf das Hinterteil
des Pferdes, von dort aus auf die Reiterin. Im Kopfstand hielt er sich
mit den Händen auf ihren Schultern fest. Lorenzo saß außerhalb auf
einem Baumstumpf und kraulte Garibaldi hinter den Ohren. Dino
ging an Salvatore vorbei in Fernandas Wagen.
»Wie hoch ist meine Gage?«, fragte Salvatore.
Lorenzo blickte überrascht auf. Er schmunzelte.
»Ich, Fernanda, Antonella, Dino, Domenico, Il Mano und du, das
sind sieben. Deine Gage beträgt ein Siebtel der Einnahmen. Das ist
wesentlich mehr, als dir zusteht, schließlich leisten wir anderen viel
mehr und tragen dazu noch alle Nebenkosten und Risiken.«
»Ich sollte also dankbar sein und mich nicht beschweren, weil du
mich meiner Freiheit beraubst?«
»Richtig!«
»Was hast du dir jetzt wieder ausgedacht?«
»Ein Experiment …«
»Das klingt nicht gut.«
Sie gingen hinunter in die improvisierte Manege. In der Mitte angekommen,
klatschte Lorenzo in die Hände. Sie standen jetzt unter dem
Zirkuszelt. Die langen Reihen von Sitzbänken waren leer.
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»Ich will sehen, was in dir steckt. Antonella, es geht los!« Mit tönender
Stimme rief er: »Dino! Domenico!«
Il Mano sprang von Antonellas Schultern geradewegs auf Salvatore
zu. Salvatore duckte sich. Der Affe flog über ihn hinweg, nicht ohne
ihn an den Haaren zu ziehen. Antonella sprang in die Höhe. Das
Pferd rannte das Zelt hinaus. Antonella landete im Sand und verwandelte
sich in einen schwarzen Panther. Durch den Zelteingang glitt
ein weißer Tiger. Ihm folgte Dino, der eine brennende Fackel hin und
herschwang.
Lorenzo hielt zwei Peitschen in den Händen.
Salvatore setzte sich auf den Boden. Er verschränkte die Arme ineinander.
Darauf legte er den Kopf und schloss die Augen. Was immer
jetzt auch passieren würde, damit wollte er nichts zu tun haben. Er
hörte, wie die Peitschen die Luft zerschnitten. Er hörte die schweren
Schritte eines Riesen, die immer näherkamen. Er hörte das Brüllen
der Raubtiere. Ein Peitschenhieb warf ihn auf den Boden. Ein glühender
Schmerz überzog seine Schultern. Er krümmte sich zu einem Ball
zusammen. Heißer Atem berührte seinen Hals. Eine feuchte Nase
stieß gegen seinen Kopf. Er rollte auf den Rücken und sah in die aufgerissene
Schnauze eines Panthers. Der Tiger hatte seinen linken Fuß
gepackt und versuchte, ihn wegzuziehen.
Wenn das mein Ende ist, dachte Salvatore, dann soll es so sein. Ich
bin nur ein Mensch, ein gewöhnlicher Mensch, – ein Mensch wie Liliana.
Der Schmerz im Fuß wurde unerträglich. Der Panther presste ihm
die Pfoten gegen die Brust und drückte die Zähne gegen die Kehle.
Salvatore rang nach Luft. Er begann, die Besinnung zu verlieren. Wie
von Ferne nahm er wahr, dass er aufsprang, den Panther am Hals
packte und wegschleuderte. Den Tiger umfasste er mit beiden Pranken
und warf ihn in die Fackel des Riesen. Die Peitschenhiebe spürte
er kaum, sie waren nur lästig. Er umklammerte die Peitschen und zog
den Zirkusdirektor zu sich heran, dann umfasste er dessen Kopf, um
ihn zu zerquetschen.
Auf einmal konnte er sich nicht mehr bewegen. Wie eine Statue
nahm er Bewegungen um sich wahr. Lorenzo hob die Peitschen auf.
Antonella half Domenico auf die Beine. Dino hielt Il Mano an der Hand.
Fernanda eilte herbei.
51
»Was hast du Salvatore angetan?«
»Nichts!« Lorenzo schüttelte den Kopf. »Nichts habe ich getan. Das
kommt alles von ihm.«
»Warum ist er jetzt ein Bär? Warum bewegt er sich nicht?«
»Ich musste uns schützen.«
»Bring das wieder in Ordnung!«
Lorenzo legte die Hand auf die Stirn des Bären.
Der Bär fiel zu Boden.
»Was ist mit ihm?«
»Er schläft«, sagte Lorenzo.
»Warum ist er immer noch ein Bär? Was hast du nur angerichtet!«
»Dafür kann ich nichts. Der Bär, das ist er selbst.«
Es war Nacht. Der kalte Mond wachte über einem Netz aus eisigen
Sternen. Der Bär wusste, er war gefangen. Die Falle war zugeschnappt.
Auf seinen vier Pfoten trottete er hinunter zum See. Er
konnte seinen schwarzen Schatten sehen. Er nahm einen weiten Anlauf.
Etwas zwang ihn, sich mit einem gewaltigen Sprung in das kalte
Wasser zu werfen. Aber er ertrank nicht. Er schwamm zurück zum
Ufer, schüttelte das Wasser aus dem Fell und trottete hinauf, wo es
nach Braten roch. Er erhob sich auf die Hinterbeine und rüttelte an
einem Wagen.
Lorenzo kam heraus.
»Sitz!«
Der Bär sank zurück auf seine vier Pfoten. Lorenzo war sein Herr,
er musste ihm gehorchen.
»Dino, gib ihm etwas zu fressen!«
Dino brachte ein großes Stück Fleisch und warf es vor ihm auf
den Boden. Der Bär fraß es begierig auf und schaute ihn erwartungsvoll
an.
»Das reicht für heute! Wenn du mehr willst, musst du es dir verdienen.«
Damit musste er sich zufriedengeben. Der Bär trottete zu Antonellas
Wagen. Vor ihrer Tür rollte er sich zusammen und schloss die Augen.
Ein Traum?
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Er erhob sich und ging hinein in
52
den Wagen. Es war eine Höhle. Die Bärin wartete auf ihn. Er folgte
ihrem süßen Duft und vergaß sich in ihm.
* * *
Auf dem See trieben braune und rote Blätter. Das Blau des Himmels
war kalt. Wolken trieben dahin wie Gletscher im Eismeer. Der Bär
stand regungslos am Ufer. Blitzschnell schlug er zu und fing einen
Fisch. Ungerührt sah er zu, wie er zappelte. Als er ruhiger wurde, fraß
er ihn auf.
Alles war gut! Was brauchte er mehr?
Das Akkordeon rief ihn. Mädchen mit weißen Söckchen, luftigen
Kleidchen und langen Zöpfen tanzten im Kreis, im Haar Hibiscus und
Hortensien … Woher kam dieses Bild in seinem Kopf?
Sie warteten auf ihn. Ihre Blicke verstand er nicht. Vor seinem
Herrn setzte er sich auf den Boden. Es war nicht die Peitsche, vor der
er Angst hatte, es war der Wille, der keinen Widerspruch duldete.
»Salvatore!«
Sie nannten ihn Salvatore. Das war jetzt sein Name.
»Salvatore!« Es war die junge Frau, Antonella. Sie kniete sich neben
ihn und kraulte ihn hinter den Ohren wie einen Hund. »Du hast
jetzt genug Bär gespielt. Verwandele dich zurück!«
Er verstand jedes Wort. Aber was hatte es zu bedeuten? Er leckte
ihre Wange.
»Lass ihn gehen!«, sagte Lorenzo. »Unser Maître ist ein Meister der
Selbsttäuschung. Wenn er ein Bär sein will, dann wollen wir ihn wie
einen Bären behandeln.«
»Wenn er nicht mehr zu sich findet wie Il Mano?«
»Dann müssen wir ihm auf die Sprünge helfen. Schließlich ist der
Sohn des Fürsten.«
Antonella stand auf. Sie sprang auf den Gescheckten und stellte
sich auf seinen Rücken. Der Affe hüpfte auf das Pferd, dann auf die
Schultern Antonellas. So ritten sie über den Sand, der weiß war wie
Schnee. Dino entzündete einen Reifen und hielt ihn in die Höhe seiner
Hüften. Der Tiger sprang, nicht durch den Feuerring, sondern
über ihn hinweg.
Die Peitsche knallte. Der Bär stellte sich auf die Hinterbeine. Anto-
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nella klopfte auf ein Tamburin. Mit seinem Rhythmus drehte er sich
im Kreise.
Die Peitsche knallte. Er sprang durch den Ring.
Die Peitsche knallte. Er sprang zurück. Zur Belohnung gab es ein
Stück rohes Fleisch.
Alles war gut! Was brauchte er mehr?
Fernanda schritt den Hügel hinunter in einem wallenden Kleid aus
rotglänzender Seide. Perlenketten trug sie um den Hals, im Haar eine
weiße Lilie. Sie war barfuß und schritt wie die Königin aller Zigeunerinnen.
Ihre Augen blitzten auf, als die Gitarre erklang.
Malagueña salerosa …
Sie legte dem Bären einen Kranz auf den Kopf, geflochten aus bunten
Herbstblättern und Hagebutten. Mit ihrem Blick hielt sie ihn fest,
während sie sich langsam mit ihm zur Musik drehte.
Que bonitos ojos tienes debajo de esas dos cejas …
Welch schöne Augen du hast unter diesen beiden Brauen …
So sang sie.
Sie tanzten und die Welt trat zurück.
Während er sich im Kreis drehte und dieser magischen Stimme
folgte, die nur für ihn sang, lösten sich Schicht für Schicht die
Schleier, die sich um sein Herz gelegt hatten. Allmählich erwachte er
zu dem tiefen Schmerz in seinem Innern.
Que eres linda y hechicera como el candor de una rosa …
Wie schön du bist und behexend wie die Unschuld einer Rose …
Da sah er sie vor sich, diese Rose: eine junge Frau, ein Mädchen,
eine Fee …
Liliana!
Er sah sich selbst und erkannte, was aus ihm geworden war.
Der Bär sank zu Boden.
»Salvatore!«
Fernanda legte die Arme um seinen Hals und hielt ihn fest. Ein Beben
ging durch den mächtigen Körper. Er stand auf und rannte auf
allen vieren hinunter zum See und sprang hinaus, so weit er konnte.
Große Kreise bildeten sich, wo er eingetaucht war, wurden kleiner
und verschwanden. Die Oberfläche des Sees blieb glatt, als hätte
nichts ihre Grabesruhe gestört.
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* * *
Der Wald war alt. Die Bäume ragten hoch hinauf und ließen nur fahles
Licht herein. Die Luft drückte schwer und feucht. In der Ferne
bellten Hunde. Salvatore saß auf der Erde, den Rücken gegen einen
Baumstamm gestemmt. Er war immer noch der Bär, ein Tier, das viel
mehr war als ein Bär, denn er hatte unter Wasser atmen können. So
war er unbemerkt ans Ufer geschwommen. Wieder hatte dieser Körper
seinen Willen zum Leben durchgesetzt.
Geist, Bewusstsein, Erinnerungen, Schmerz, alles war zurückkehrt.
Er war Salvatore Brava! Trotzdem gelang es ihm nicht, seine menschliche
Gestalt wiederzugewinnen. Was er auch tat, er blieb in dem Körper
des Bären gefangen.
So blieb er sitzen mit geschlossenen Augen. Er machte sich nicht
die Mühe, Fliegen und Mücken zu verscheuchen. Eine armselige Kreatur
war er geworden, gut genug, um im Zirkus vorgeführt zu werden.
Das Gebell der Hunde kam näher. Der Bär stand auf. Das Gestrüpp
teilte sich. Ein Junge kam auf ihn zu gerannt. Die Kleider waren zerfetzt,
Todesangst stand in seinen Augen. Als er den Bären sah, schrie
er auf und fiel zu Boden. Wilde Hunde stürzten sich auf ihn. Der Bär
fletschte die Zähne. Mit lautem Gebrüll stürzte er sich auf die Meute.
Seine mächtigen Pranken schleuderten die Hunde weg von dem Kind.
Ein großer schwarzer Wolfshund mit gelben Augen stellte sich ihm
entgegen. Mit einem einzigen Hieb zerschmetterte der Bär seinen
Schädel. Die anderen Hunde flohen.
Der Junge kam wieder zu sich. Seine Augen waren weit aufgerissen
vor Entsetzen. An Armen und Beinen hatte er lange blutende Wunden.
Er wollte wegrennen, fiel aber sofort wieder hin. Ein Bein war
gebrochen.
Der Bär kam näher. Das Kind rutschte auf dem Boden in ein schützendes
Gestrüpp, um dem sicheren Tod zu entkommen. Vergebens!
Der Bär ragte über ihm, riesig und bedrohlich.
Als der Bär keine Anstalten machte, ihn aufzufressen, wurde der
Junge ruhiger. Er sah den Kadaver des Leithundes. Die Meute, die ihn
verfolgt hatte, war verschwunden. Der Bär hatte ihn gerettet.
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»Bär«, flehte das Kind, »guter Bär, lass mich gehen!«
Aber er konnte nicht gehen. Sobald er versuchte, aufzustehen,
knickte er um. Die Schmerzen im Bein waren unerträglich. Jetzt
wusste er keinen Ausweg mehr und weinte.
Die Pranken des Bären packten ihn. Der Junge ließ es geschehen,
er hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Der Bär nahm ihn in seine
Arme wie einen Säugling.
Bären haben einen hervorragenden Geruchssinn. Er wusste, wo
sich das Dorf befand. Dorthin machte er sich auf den Weg.
Im Dorf vermisste man den Jungen. Die Mutter war in Tränen aufgelöst.
Der Vater hatte einen Suchtrupp zusammengerufen. Sie waren
bewaffnet mit Sensen, Keulen und Dreschflegeln und wollten gerade
aufbrechen, als der Bär aus dem Wald trat. In seinen Armen trug er
den Jungen. Das Kind blutete, Blut war am Fell des Bären. Voller Zorn
stürzten sie sich auf ihn. Der Vater entriss ihm den Jungen. Die anderen
schlugen auf ihn ein.
»Julian, hol das Gewehr!«, rief der Vater. Ein junger Mann rannte
davon.
Der Bär lief zurück in den Wald.
»Lasst ihn nicht entkommen!«
Noch mehr Männer kamen herbei, bewaffnet mit den Werkzeugen,
die gerade zur Hand waren, Beile, Äxte, Knüppel und Schlachtermesser.
Die Mutter umarmte ihren Jungen.
»Mutter, sie sollen dem Bären nichts tun. Er hat mich gerettet!«
»Was redest du nur! Du hast ja Fieber.«
Der Junge fiel ihn Ohnmacht. Frauen kamen herbei, gemeinsam
trugen sie ihn in die Hütte.
Der junge Mann holte das Gewehr und lief den anderen hinterher.
Es war leicht, der Spur des Bären zu folgen. Überall war sein Blut zu
sehen. Sie hatten ihm schon tüchtig zugesetzt! Außerdem war es ein
ziemlich dummer Bär. So einfach ins Dorf zu kommen, mit der Beute
in den Armen!
Der Bär rannte, so gut er konnte. Er brauchte einen ruhigen Platz,
damit er sich um seine Wunden kümmern konnte. Diese Undankbarkeit!
Hass stieg in ihm auf gegen diese Kreatur Mensch. Er sah hinauf
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in die Bäume. Da oben in den Ästen könnte er unbemerkt entkommen.
Dort würden sie ihn nie vermuten.
Er streckte die Arme aus. Sie wurden länger. Er kletterte einen
Baumstamm hoch. Mit seinen breiten Händen zog er sich hinauf in
den Wipfel des Baumes. Tief unten konnte er die Verfolger sehen. Es
war eine blindwütige Menschenmeute, die ein unschuldiges Opfer
suchte. Doch sie konnten ihn nicht sehen. Sie hätten ihn auch nicht
wiedererkannt. Den Bären gab es nicht mehr. Im Laubwerk des Waldes
schwang sich ein Riesenaffe von Baum zu Baum.
* * *
Salvatore saß am Ufer und schaute hinüber zur Insel, die nur als
Schatten zu sehen war. Es war noch Nacht. Das dicke Fell schützte
ihn vor der Kälte. Die kräftigen Muskeln und Sehnen machten ihn
unbesiegbar.
Wie hatte das geschehen können? Wenn er bewusst versucht hatte,
sich zu verwandeln, war es ihm nie gelungen. Nur wenn er in höchster
Gefahr war, übernahm sein Körper die Kontrolle und führte die
Verwandlung durch. Damals, wie lang ist das schon her! Auf Everweard
Castle hatte er die Kraft dazu. Da war er noch Herr seiner
selbst. Jetzt aber hatte er keine Kraft mehr, kein Ziel, keinen eigenen
Willen, keine Zukunft …
Er schloss die Augen. Da sah er sie vor sich, zwei schwarze Augen,
ein blutroter Mund in dem Gesicht so rein wie Schnee. In diesen Augen
glühte das Feuer der Liebe, der Liebe zu ihm – und liebte ihn jetzt
nicht mehr? Ein Schrei löste sich aus seinem Herzen, brachte den
mächtigen Körper zum Beben und er floh hinaus in die Nacht.
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58
Kapitel 5
London
Da niemand sehen sollte, auf welche Weise das riesige Zirkuszelt
mit seinen ansteigenden Sitzreihen und den luxuriösen
Logen errichtet wurde, nämlich von einer Sekunde zur andern,
befand sich der Circo Fantasmagoria etwas außerhalb von London.
Trotzdem war jede Vorstellung ausverkauft, denn wie ein Lauffeuer
sprach sich herum, welche außergewöhnliche Attraktion dort auf
die Besucher wartete. Da konnten auch Barnum & Bailey nicht konkurrieren,
die zur selben Zeit ihre Greatest Show On Earth darboten.
Nichts beflügelte die Phantasie der Londoner mehr als Honk, das
Monster aus dem Urwald. Sogar Mitglieder des Königshauses reisten
zu einer exklusiven Aufführung an und klatschten genauso begeistert
wie die Straßenjungen aus Soho.
Der Zirkusdirektor betrat die Manege. Er ließ die Peitsche knallen.
Das Publikum verstummte.
»Il Mano, komm doch einmal zu mir! … So ist es recht. Was Sie hier
sehen, meine hochedlen Damen und Herren, ist ein gewöhnlicher
Affe. Sagen wir besser, ein fast gewöhnlicher Affe. Es steckt noch
mehr in ihm, aber darüber muss ich leider schweigen. Ich möchte
seine empfindsame Seele nicht kränken. Er ist schon eine traurige Erscheinung,
finden Sie nicht? Jedes kleinste Geräusch erschreckt ihn,
eine Maus könnte ihn in die Flucht schlagen, wenn die Wolken niedrig
hängen, duckt er sich. Ja, ja, ein trauriger Fall! Als ich hörte, sein
Bruder wolle ihn besuchen, scheute ich keine Kosten, ihn nach England
bringen zu lassen, auf einem Luxusliner, versteht sich, erster
Klasse mit vollem Service. Das war es mir wert, denn ich wollte endlich
das dunkle Geheimnis lüften, das so schwer auf Il Manos Seele
lastet. Eine goldene Kutsche mit feinsten Polstern und weich gefederten
Achsen schickte ich nach Plymouth, seinen Bruder abzuholen
und ihn mit allen Ehren hierher zu geleiten. Wenn mein Freund hier
schon so sensibel ist, wie empfindsam mag erst sein Bruder sein!
Nein, nein, nicht die kleinste Erschütterung, nicht die geringste Unbequemlichkeit
sollte die Reise unseres Gastes stören. Ich sehe gerade,
mein liebreizendes Töchterlein gibt mir das Zeichen, dass er an-
gekommen ist. Hochverehrtes Publikum, ich bitte Sie um absolute
Stille. Kein Flüstern, kein Kichern, kein Husten, am besten, wir halten
jetzt alle den Atem an …«
Der Wagen mit dem gigantischen Käfig aus schweren Eisenstäben
wurde in die Manege gezogen.
Das Publikum hielt den Atem an.
Die Käfigtür wurde geöffnet.
Heraus trat ein Riesenaffe, schwarzes Fell, große unfreundliche Augen
und lange muskulöse Arme. Er richtete sich zur vollen Größe auf,
denn er hatte in dem Käfig nur kauern können, trommelte mit den
Fäusten auf die Brust und stieß ein lautes Brüllen aus, das die Masten
erbeben ließ. Die Zuschauer rückten näher aneinander und versuchten,
sich kleiner zu machen. Viele wären gerne davongerannt, hatten
aber Angst, auf sich aufmerksam zu machen.
Der Zirkusdirektor hielt eine viel zu kleine Peitsche in der Hand.
Hinter seinem Rücken suchte Il Mano Schutz.
»Komm, du Feigling, begrüße deinen Bruder: Honk, das Monster
aus dem Urwald!«
Aber Il Mano rührte sich keinen Zentimeter. Mit beiden Händen
klammerte er sich am Frackzipfel des Direktors fest.
Honk entdeckte die junge Dame auf dem Hochseil. Das Trikot
schmiegte sich eng an ihren Körper und funkelte silbern und golden.
Er griff nach einem Mast und rüttelte heftig. Die Menge schrie entsetzt
auf, als die Artistin abstürzte – direkt in die Arme des Riesenaffen. Er
ging in Richtung Eingang, er wollte offensichtlich mit seiner Beute
entfliehen. Ein schwarzer Panther und ein weißer Tiger betraten die
Manege und verwehrten ihm den Ausgang. Honk warf seine Beute
über die Schulter wie eine Puppe und kletterte einen Mast hinauf. Die
junge Dame legte die Arme um das Ungeheuer und hielt sich verzweifelt
fest. Je höher der Riesenaffe stieg, desto mehr schwankte der Mast
und mit ihm das gesamte Zirkuszelt. Das Publikum war sich unschlüssig,
ob alles wirklich nur Show war. Aber keiner verließ den Zirkus,
alle waren gelähmt vor Schrecken. Honk erreichte die oberste Plattform.
Er betrat das Hochseil. Über der anderen Plattform führte eine
große Öffnung in der Zeltdecke nach draußen. Er trat auf das lächerlich
dünne Seil. Die junge Dame auf seinem Rücken stieß schrille
Schreie aus und klammerte sich noch fester um seinen Hals. Jetzt
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stand er frei auf dem Seil. Er machte einen Schritt … noch einen
Schritt … Hinter ihm kletterte der Panther die Zeltstange empor. Unbeeindruckt
ging Honk weiter. Da betrat am anderen Ende der weiße
Tiger das Hochseil. In der Mitte angekommen sah der Riesenaffe, dass
ihm die Flucht in jeder Richtung verwehrt war. Die Raubkatzen kamen
näher. Sie fauchten und zeigten ihre scharfen Zähne. Honk ging in die
Hocke, dann setzte er sich, indem er das Seil zwischen die Kniekehlen
zwängte. Er saß nun völlig ruhig und gelassen auf dem Seil. Der Panther
kam von der einen Seite immer näher, der Tiger von der anderen.
Der Riesenaffe packte links und rechts das Seil mit seinen breiten Händen.
Erst sacht, dann heftiger werdend rüttelte er das Seil. Es dauerte
nicht lange, zuerst stürzte der Tiger hinunter, dann sprang der Panther
brüllend in die Tiefe. Beide Raubkatzen krochen mit eingezogenem
Schwanz aus der Manege. Honk ließ das Seil los, packte die junge
Dame mit beiden Händen und sprang in die Tiefe. Die Erde bebte. Der
Sand in der Manege stob auf. Die Sitzbänke verloren die Verankerung
und wankten. Die hohen Maste, die das Zelt stützten, brachen zusammen.
Das Zeltdach krachte auf die Besucher hernieder. Ein langanhaltender
Schrei des Entsetzens lief durch die Reihen der Zuschauer, die
unter dem Zelt begraben wurden. Auf einmal ertönte eine Violine. Sie
spielte ein fröhliches Capriccio von Paganini. Die Zeltplane schwebte
auf wundersame Weise nach oben. Die Maste standen wieder fest an
ihrem Platz und stützen das gigantische Zirkuszelt. Die Sitzreihen waren
wieder stabil. Es sah aus, als wäre niemals etwas Außergewöhnliches
passiert. Der Zirkusdirektor stand immer noch in der Mitte der
Manege. Das Äffchen klatschte in die Hände und hüpfte auf und ab.
Alles war normal, nur … der Riesenaffe war verschwunden. Alle
schauten nach oben. Tatsächlich, die junge Dame in dem enganliegenden
Trikot, das golden und silbern funkelte, balancierte auf dem
Hochseil mit einem Lächeln auf den Lippen. Schweigen, dann brach
ein Beifall los, der kein Ende mehr nehmen wollte.
»Hochverehrte Damen, hochverehrte Herren, leider konnten wir
Ihnen Honk, das Monster aus dem Urwald, nur kurz vorstellen, denn
man muss bei ihm auf alles gefasst sein. Für die ganz Mutigen unter
Ihnen bieten wir die Möglichkeit, sich ihn noch näher anzusehen.
Draußen steht ein ausbruchsicherer Käfig. Da drinnen können Sie
Honk bewundern. Und keine Angst, er ist in Ketten!«
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Tosender Beifall …
… tosender Beifall wie jeden Abend.
In dem Käfig kauerte Salvatore in sich zusammengesunken. Er
konnte nur deshalb so überzeugend Honk, das Monster aus dem Urwald,
sein, weil er den Reflexen und Instinkten dieses mächtigen Körpers
die Kontrolle überließ. Von Vorstellung zu Vorstellung fiel es ihm
schwerer, zu sich selbst zurückzufinden. Er hatte Angst, eines Tages
nicht mehr zu wissen, dass er ein Mensch war.
Es war vergeblich, an den Ketten zu zerren, denn die Ketten lagen
nicht nur um seine Arme und Beine, sondern auch um seine Seele.
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Teil II
Die Duchess of Everweard
Kapitel 1
Everweard Castle
Miss Heather führte die Duchess durch Everweard Castle.
Marchesina Gina begleitete sie.
Das Schloss war sehr groß. Es bestand aus einem weitläufigen
Haupttrakt, an den sich ein Ostflügel und ein Westflügel angliederten.
Dem Erdgeschoss folgten zwei Stockwerke und das Dachgeschoß.
An den Westflügel war ein Wintergarten angebaut. Die Stallungen
befanden sich in der Nähe der Mauer, die den gesamten
Schlosskomplex umgab. An den vier Ecken standen Wachtürme. Ein
Tor führte hinunter ins Dorf. Dies war der einzige Zugang zum
Schloss.
Nur wenige Räume wurden benutzt. Wo nicht regelmäßig gelüftet
und geheizt wurde, roch es nach Moder. An einigen Decken bildeten
sich gelbe Flecken. Prächtige Vasen, prunkvolle Tapeten und Teppiche,
erlesene Möbel und wertvolle Gemälde waren einem stillen,
langsamen Verfall geweiht. Durch die dicken Mauern und verschlossenen
Fenster konnten kein Vogelzwitschern und kein Zirpen der
Grillen eindringen. Es war das Mausoleum, das sich der Duke schon
zu seinen Lebenszeiten hatte einrichten lassen. Was sollte eine junge
Frau aus dem lebensfrohen Italien damit anfangen?
Schweigend ließ sich Liliana alles zeigen. Zum Schluss führte Miss
Heather sie in eine Kammer unter dem Dach.
»Das alte Atelier! Warum es so heißt, weiß ich nicht. Das war vor
meiner Zeit. Wir benutzten es als Gästezimmer. Zuletzt wohnte hier
Maître Salvatore Brava.«
Liliana ging zum Fenster und öffnete es. Sie schaute hinauf auf den
Hügel. Dort, wo einst die alte Kapelle war, stand jetzt ihr neues Haus,
das sie und Gina ›LiliaGinas‹ Nest getauft hatten. Die Sonne schien,
aber es ließ sich nicht leugnen, der Herbst war gekommen. Die Luft
war frisch und kühl. Liliana atmete tief ein und aus. Dann setzte sie
sich an den großen massiven Tisch in der Mitte des Raumes.
»Unterhalten wir uns!«
Miss Heather setzte sich ihr gegenüber, Gina neben sie.
»Für mich stellt sich die Frage, Miss Heather, sind Sie meine Feindin
oder können wir zusammenarbeiten?«
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Solche direkten Fragen war Miss Heather nicht gewohnt. Sie umklammerte
das dicke Notizbuch, das sie immer bei sich trug wie eine
Bibel. Was hatte sie erwartet, wenn eine junge Herrin in Everweard
Castle einzieht? Auf keinen Fall hatte sie damit gerechnet, sofort entmachtet
zu werden. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass sie
sich noch nie so getäuscht hatte wie in der neuen Duchess of Everweard.
Sie hatte geglaubt, es mit einem naiven, einfältigen Mädchen
zu tun zu haben, das sie vor sich selbst schützen müsse. Einfältig war
die Duchess auf keinen Fall, das war gewiss. Aber wie sollte sie reagieren?
Sie konnte die Duchess nicht einordnen. Sie war eine Fremde aus
einem fremden Land …
»Miss Heather!«
»Entschuldigen Sie, Duchess! Ich war in Gedanken.«
»Sie überlegten, ob Sie mir ein Messer in den Rücken stoßen sollten?«
»Aber, Duchess!«
»Das war nur ein Scherz! Ich möchte wissen, wo Sie stehen.«
»Welche Rolle haben Sie mir zugedacht, Duchess?«
»Ich habe ein vorzügliches Gedächtnis, Miss Heather. Ich vergesse
nichts. Sie lehnten mich von Anfang an ab und verachteten mich. Es
war Ihnen nicht einmal die Mühe wert, es zu verbergen. Sagen Sie
nichts! Das Einfachste wäre es, Ihnen Ihre Papiere zu geben und Sie
mit einer Abfindung zu entlassen.«
Miss Heather wurde blass.
»Dieselbe Frage stellt sich mir in einem anderen Zusammenhang«,
sagte die Duchess. »Soll ich dieses fürchterliche Gemäuer abreißen
lassen oder sehr viel Arbeit und Zeit hineinstecken, um etwas daraus
zu machen?«
»Der Duke würde niemals zulassen, dass der Familiensitz der Everweards
niedergerissen wird.«
»Welche Familie, Miss Heather? Das Schloss ist bereits tot. Man
sollte ihm den Gnadenschuss geben. Bildlich gesprochen! Ich stelle
meine Frage anders. Sind Sie bereit, ohne wenn und aber mit mir einen
Neuanfang zu wagen?«
»Ja, Duchess!«
»Du hast es gehört, Gina?«
Gina nickte.
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»Das freut mich, Miss Heather.«
»Was erwarten Sie von mir, Duchess?«
»Ich möchte, dass Sie Everweard Castle verwalten.«
»Das war doch schon die ganze Zeit meine Aufgabe.«
»Nur, dass Sie jetzt mir Rechenschaft schuldig sind.«
»Das habe ich schon verstanden.«
»Ich werde Architekten kommen lassen. Everweard Castle bekommt
eine Verjüngungskur. Teile, die nicht mehr zu retten sind,
werden entfernt und neu errichtet. Wie ich es sehe, müssen mehr
Fenster eingebaut werden und überhaupt muss mehr Luft und Licht
herein. In dieser Beziehung hat die Architektur Fortschritte gemacht.
Es gibt neue Baumaterialien und neue Ideen. Man muss dies nur nutzen.
Von der Inneneinrichtung will ich lieber gar nicht reden, denn
ich will das Schloss nicht nur zum Leben erwecken, sondern ihm
auch eine Aufgabe geben.«
»Ein Schloss dient als Wohnsitz und der Repräsentation.«
»Sie meinen, dem Protz und der Einschüchterung niederer
Schichten?«
»Der Tradition!«
»Ich führe eine neue Tradition ein, Miss Heather.«
»Was haben Sie vor?«
»Zunächst soll es wieder einen bewohnbaren Bereich erhalten, einen,
in dem man sich wohlfühlt – ganz untraditionell. Darüber hinaus
gibt es noch sehr viel Platz. Den wollen wir nutzen. Da rechne ich
mit Vorschlägen von Ihnen, Miss Heather. Ich gebe Ihnen ein paar
Stichworte: literarische Zirkel, Teegesellschaften, Matinées und
Soirées, Bälle, Konzerte, Vorträge, Ausstellungen, Seminare, Preisverleihungen
und so weiter und so weiter. Was ich Ihnen anbiete, ist die
Verwaltung des Chaos.«
Miss Heather schmunzelte. War das machbar? Was würde der
Duke dazu sagen? Sie betrachtete die Duchess mit neuen Augen. Auf
einmal wusste sie mit absoluter Sicherheit, dass diese junge Frau alles
erreichen würde, was sie sich vorgenommen hatte.
»Ich werde Sie nicht enttäuschen, Duchess!«
»Darauf geben wir uns die Hand, wie wir es in der Toskana gewohnt
sind!«
Liliana und Miss Heather gaben sich die Hand.
67
»Wann geht es los?«
»Sofort! Ich gebe Ihnen eine Liste mit Architekten, die mir Admiral
Grossuth empfohlen hat. Schicken Sie jemand Zuverlässiges nach
London. Ich brauche als Erstes eine Bestandsaufnahme, was noch zu
retten ist und was gemacht werden muss. In der Zwischenzeit werden
wir entrümpeln. Dann werden wir Zimmerleute brauchen, Maurer,
Fliesenleger, Monteure … Handwerker jeglicher Art. Bis vor wenigen
Minuten hätten Sie noch den Ruhestand wählen können, Miss Heather.
Jetzt ist es zu spät!«
»Bin ich in die Falle gegangen?«
»Ja, aber mit offenen Augen!«
68
* * *
Der Duke saß am Kamin und schlief. Eine Decke lag über seinen Beinen.
Auf ihr lag noch aufgeschlagen die Times. Liliana nahm die Zeitung,
faltete sie zusammen und legte sie auf den kleinen Tisch neben
das Teegedeck. Sie setzte sich auf den Sessel auf der anderen Seite. Daneben
stand ein Korb mit Wollknäueln und Stricknadeln, ein Geschenk
des Duke, damit sich seine junge Frau die Zeit vertreiben
konnte. Sie hatte schon angefangen, etwas zu stricken. Das holte sie
hervor und betrachtete es nachdenklich. Es war schon faszinierend,
was sie da wieder kreiert hatte! Was es wohl werden wird?
»Nerissa!« Der Duke war erwacht.
»Liliana!«
»Ja, ja! Wenn ich dich so plötzlich vor mir sehe, denke ich nicht
daran. Für mich bist und bleibst du meine geliebte Nerissa.«
»Auch mir fällt es nicht leicht, Walter, aber es muss sein. Oder
willst du, dass man dich für geistesgestört hält?«
»Es wird nicht mehr passieren … Liliana!«
»Ich werde Unruhe in dein Leben bringen.«
»Mach nur! Ich habe dich von den Toten zurückgeholt, damit du
lebst. Hast du dich inzwischen daran gewöhnt?«
»Ich muss dir wohl dankbar sein, Walter. Ja, ich habe mich daran
gewöhnt – und kann nicht genug davon bekommen.«
»Wenn ich doch mit dir jung sein könnte!«
»Der Fürst ist nicht mehr da.«
»Der Fürst … Er gab mir Jugend – und dich. Aber was nutzt es mir
letztendlich? Ich bin alt. Mir bleibt nur, in jeder mir verbleibenden
Minute schmerzlich zu empfinden, was mir verwehrt ist.«
»Noch bist du nicht unter der Erde! Siehst du, ich bin auch nicht
weggelaufen, sondern bei dir geblieben.«
»Danke! Vielleicht kannst du mich doch ein wenig gernhaben?«
»Das hängt von dir ab. Wie du weißt, konnte ich den Duke of Everweard
von damals nicht ausstehen.«
»Wie lange ist das schon her! Seit du da bist, bin ich ein anderer
Mensch. Ich bin froh, dass du nicht weißt, welch ein ungehobelter
Klotz ich während der Hochzeit war. Ich denke viel über mein vergangenes
Leben nach. Einen alten Narren nanntest du mich. Zu
Recht! Nur wenn du bei mir bist, habe ich das Gefühl, doch etwas
Sinnvolles getan zu haben.«
»Grüble nicht so viel! Ich sprach gerade mit Miss Heather. Wenn
ich dir erzähle, was ich mir ausgedacht habe, wirst du nicht mehr so
gemütlich in deinem Alt-Opa-Sessel sitzen bleiben.«
* * *
Der Himmel war klar. Selten hatte Liliana die Sterne so deutlich sehen
können wie in dieser Nacht. Sie bedauerte, sich nicht mit Sternkunde
beschäftigt zu haben. Der Himmel sah hier anders aus als in
der Toskana, aber so genau konnte sie das nicht sagen, er war eben
anders.
»Emiliano hat alles erledigt und wird morgen tatsächlich und leibhaftig
bei uns eintreffen«, sagte Liliana.
»Kommt er hierher?«
»Hm … Gina, er weiß nicht, dass wir jetzt hier oben wohnen. Er soll
es selbst herausfinden! Wir müssen ihn irgendwo unterbringen. Hast
du eine Idee?«
»Für wie lange?«
»Sehr lange!«
»Was hast du mit ihm vor?«
»Was hast du mit ihm vor?«
»Liliana, ich habe dir doch schon mehrfach gesagt, der Dottore und
ich, wir können niemals Freunde werden.«
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»Er könnte in das Atelier, in dem Salvatore wohnte.«
»Wird es demnächst nicht zu unruhig auf dem Schloss?«, fragte
Gina.
»Bei Lady Barton?«
»Nein!« Gina richtete sich heftig auf. »Dann schon lieber auf Everweard
Castle.«
»Monleirdon? Dorthin kommen demnächst viele junge, hübsche
Mädchen. Das würde ihm bestimmt gefallen.«
»Everweard Castle!«
»Gut, das ist auch nicht so weit weg. Außerdem werde ich ihn öfter
wegschicken müssen. Vorausgesetzt, er tritt – wie man so schön
sagt – in meine Dienste.«
»Liliana …«
»Was ist, meine Liebe?«
»Ich bin sicher, er möchte sein eigener Herr bleiben.«
»So gut kennst du ihn?«
»Es ist eine Vermutung«, sagte Gina.
»Dann tritt er eben als sein eigener Herr in meine Dienste.«
»Das ist doch ein Widerspruch.«
»Wir müssen die Sache so verpacken, dass er sie dankbar annimmt«,
sagte Liliana.
»Wie willst du das anstellen?«
»Es kommt darauf an, wie man etwas benennt. Wenn ich jemandem
dafür Geld gebe, dass er für mich etwas tut, kann ich ihn meinen
Diener nennen, meinen Auftragnehmer, Beauftragten oder meinen
Geschäftspartner. Im Grunde bleibt es dasselbe. In diesem speziellen
Fall muss ich mir etwas Besonderes ausdenken. Denn, meine liebe
Gina, Emiliano ist mein Freund!«
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Kapitel 2
Liliana hatte beschlossen, Emiliano entgegenzureiten. Kaum
war sie mit Blizzard über der Brücke verschwunden, hielt eine
Gig vor LiliaGinas Nest. Marchesa Montecorno di Capirosso
stieg aus der zweirädrigen Kutsche. Sie band die Zügel des Pferdes
um einen Pfosten und bahnte sich einen Weg durch die Schafherde.
»Die sind ja immer noch da!«
»Es sind unsere treuesten Verehrer«, sagte Gina.
Die Marchesa ging geradewegs durch in die Bibliothek. Dort ließ
sie sich in den bequemen Sessel fallen und legte die Füße auf den kleinen
Tisch.
Gina brachte ihr ein Glas Wasser.
»Liliana ist nicht da.«
»Ich weiß! Ich wollte mit dir allein reden.«
Gina setzte sich auf die Armlehne und legte die Arme um den Hals
der Marchesa. Sie gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Schön, dass du mich besuchst, Mama!«
»Ich sage es nicht gern, aber ich muss wieder zurück nach Capirosso.
Seit Tagen bin ich ganz kribbelig. Ich kann mich kaum konzentrieren
und mir fällt ständig etwas hin. Immerzu muss ich an Felicia
denken. Es lässt mir keine Ruhe.«
»Wenn es so ist, dann musst du abreisen. Schade, dass wir nicht
mitkommen können.«
Die Marchesa drückte Gina an sich.
»Es geht nicht nur um Capirosso, ich habe auch kein gutes Gefühl,
was Salamandra betrifft. Mein sauberer Schwiegersohn wird wieder
zurück sein. Jemand sollte auf ihn aufpassen.«
»Du willst dich also verabschieden?«
Die Marchesa fühlte, wie sie sich allmählich entspannte. Sie war im
alten Haus in Monleirdon bequem untergebracht. Daran gab es nichts
auszusetzen. Elizabeth und Martha waren sehr um ihr Wohl bemüht.
Das war aber gelegentlich recht nervig, denn sie kam sehr gut mit
sich allein zurecht. Die Gesellschaft anderer Menschen war ihr kein
dringendes Bedürfnis.
Sie sah sich um, denn sie war lange nicht mehr hier gewesen. Es
ließ sich nicht leugnen, der Raum hatte eine Seele. Lilianas Ord-
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nungsgeist und Ginas romantischer Schönheitssinn waren harmonisch
vereint und hatten ein behagliches Heim geschaffen, das innere
Ruhe gab und zugleich Lust, etwas Neues zu schaffen.
»Schön habt ihr es hier. Es ist hell und freundlich, richtig gemütlich.
Jetzt habt ihr ein Heim nur für euch. Das wolltet ihr doch immer.
Es ist wirklich ein Nest. Fragt sich nur, was ihr hier ausbrüten wollt.«
»Es ist ein Heim, aber auch, du kennst ja Liliana, eine geistige
Werkstatt. Die Bücher, die hier stehen, die stammen alle aus der großen
Bibliothek des Schlosses. Und ich kann dir versichern, sie dienen
nicht zur Dekoration.«
»Ich wollte mit dir über Liliana sprechen«, sagte die Marchesa.
»Warum fragst du sie nicht selbst?«
»Ich frage lieber dich. Du kennst sie besser, als sie sich selbst.«
»In letzter Zeit habe ich daran meine Zweifel«, sagte Gina.
»So?«
»Sie plant etwas, weiß aber nicht genau, was sie will. Stell dir vor,
sie lässt sich von ihrer Inspiration treiben und folgt ihren Gefühlen!«
»Ich kann verstehen, dass dich das beunruhigt.«
Die Marchesa stand auf. Zum Nachdenken brauchte sie Bewegung.
Sie lief zum Fenster und schaute hinaus, kam aber gleich wieder zurück
und setzte sich.
»Geht es mir denn nicht genauso? Es gibt Zeiten, da muss man eben
seiner Intuition folgen. Du wirst schon aufpassen, dass es nicht aus dem
Ruder läuft. Ihr seid jetzt erwachsen. Mich braucht ihr nicht mehr.«
»Wir sollten zusammenbleiben.«
»Ja, Gina, das sollten wir – und das werden wir auch wieder. Aber
jetzt ist es notwendig, dass wir uns trennen. Elizabeth lasse ich auch
nicht gern zurück … Egal, ihr müsst ohne mich auskommen. Niemand
ist unentbehrlich.«
»Du hast Heimweh.«
»Wenn es nur das wäre! Ich muss mich mit meinen eigenen Augen
davon überzeugen, dass es allen in Capirosso gutgeht. Kommt ihr beiden
allein zurecht?«
»Ja, Mama! Fahr ruhig nach Hause. Wir besuchen dich im Frühjahr.
Dann feiern wir ein großes Fest.«
»Sprechen wir über Liliana«, sagte die Marchesa. »Todesängste
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haben wir ausgestanden und jetzt auf einmal ist alles eitel Sonnenschein,
als hätten wir uns alles nur eingebildet. Wie oft sehe ich in
meinen Albträumen Liliana leichenblass vor dem Altar zu Boden sinken
und … Was mir in den Gliedern steckt, in den Därmen, in meiner
Seele und nicht verschwinden will, das ist meine Hilflosigkeit. Dabei
war ich fest überzeugt, ich hätte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Ist der böse Spuk vorbei? Das möchte ich von dir wissen, Gina.«
»Ach, Mama!« Gina brach in Tränen aus. »Wenn Liliana bei mir ist,
sage ich mir, was bist du nur für eine Närrin und machst dir unnötig
Sorgen. Sobald sie aber fort ist, packt mich die Angst.«
Die Marchesa legte den Arm um sie.
»Setzen wir uns.«
Sie setzte sich in einen Sessel. Gina setzte sich auf ihren Schoß.
»Angst hast du?«
»Seit wir Capirosso verlassen haben«, sagte Gina, »eigentlich, seit
Liliana einwilligte, den Duke zu heiraten.«
Die Marchesa nickte.
»Felicia bemühte sich damals, es mir schonend beizubringen. Doch
sie konnte mich gerade noch auffangen, als mir die Knie versagten.
Es war aber nicht Angst, sondern unbändige Wut auf meinen Schwiegersohn.
Die ganze Sache war äußerst fragwürdig und unlogisch.
Ehrlich gesagt, ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, noch
wie ich es verhindern könnte. Dazu fehlten mir die Fakten. Wie du
weißt, ist Nichtwissen das Schlimmste für mich.«
»Wie für Liliana«, sagte Gina.
»Ja, trotzdem hat sie …«
»Ach!« seufzte Gina und wieder kamen die Tränen.
Die Marchesa hatte Gina adoptiert, Liliana zuliebe und um sie vor
ihrem Schwiegersohn zu retten. Damals hätte sie sich nicht vorstellen
können, dass sie dieses Kind eines Tages wie eine eigene Tochter
lieben würde.
»Trotzdem habe ich euch nicht einfach ins Ungewisse ziehen lassen.
Darüber möchte ich dich jetzt aufklären und dir ein wenig über meine
Familie erzählen. Bist du so nett und machst uns einen starken Kaffee?«
Gina ging in die Küche und machte Kaffee. Seltsam, dachte sie, über
die Vergangenheit der Marchesa wusste sie nichts und Liliana offensichtlich
auch nichts.
73
Sie brachte den Kaffee und stellte ihn auf den kleinen Tisch. Dann
setzte sie sich in den anderen Sessel.
»Also, Gina, was ich dir jetzt erzähle, wissen nur wenige. Ich pflege
nicht durch die Weltgeschichte zu laufen und meine Lebensgeschichte
hinauszuposaunen.«
»Liliana weiß alles?«
»Nicht von mir. Für mich zählt die Gegenwart. Ich möchte so gesehen
werden, wie ich in diesem Augenblick bin. Nicht, dass ich der
Vergangenheit keine Bedeutung beimesse oder sie verleugne, die Vergangenheit
ist Bestandteil der Gegenwart, sie ist sozusagen der Humus,
aus dem ich hervorgewachsen bin wie aus dem Samen die
Blume, der Baum …«
»Mutter!«
»Ist ja gut, mein Kind. Ich werde mich kurzfassen.«
»Darum geht es nicht«, sagte Gina. »Wenn du ins Philosophieren
kommst, dann kann ich dir schwer folgen. Ich bin nicht Liliana.«
»Nein, du bist nicht Liliana. Das ist gut so. Du holst uns auf den
Boden zurück, bevor wir für immer in den Wolken verschwinden.«
»Ich fühle mich dann ausgeschlossen. Dabei möchte ich so gern die
beiden Menschen verstehe, die ich liebe.«
Die Marchesa lächelte gerührt.
»Du verstehst uns sehr gut, Gina. Du verstehst uns auf einer Ebene,
die keiner Worte bedarf.«
»Was ist, wenn ich meine eigenen Gefühle nicht in Worte fassen
kann?«
Vergeblich hatte sie versucht, die Angst ihrem Tagebuch anzuvertrauen
und in Worte zu bannen.
»Vor dem Verstand, vor allen Worten, da sind die Gefühle. Unser
Körper muss bei Gefahr sofort reagieren, noch bevor der Verstand
eine Situation analysiert hat. Der Bauch, nennen wir es mal so, der
Bauch ist die wichtigste Instanz in unserem Leben.«
»Nennt man das nicht primitiv?«, sagte Gina.
»Das sagen nur Dummköpfe. Darüber wollen wir uns nicht weiter
unterhalten. Ich erzähle dir, aus welcher Familie ich stamme und wie
ich aufgewachsen bin. Du gehörst jetzt auch zu meiner Familie, Marchesina
Gina Montecorno di Capirosso.«
»Das klingt nach Operette.«
74
Die Marchesa lachte.
»Damit hast du gar nicht so unrecht. Leider ist die Operette, die
nicht auf der Bühne gespielt wird, alles andere als harmlos. Ich nenne
zwar eine sonore Altstimme mein eigen, dennoch werde ich dir
nichts vorsingen, sondern in traditioneller Weise erzählen. Einverstanden?«
»Es wird also eine Märchenstunde.«
»Freche Göre! Ich werde dir Tatsachen mitteilen. Wenn man etwas
berichtet, wird immer eine Geschichte daraus. Sonst wäre es ja langweilig.
Was ist öder als das bloße Aufzählen von sogenannten Tatsachen?«
»Ich höre dir immer gern zu«, sagte Gina diplomatisch.
Die Marchesa erzählte:
»Ich kam in Florenz zur Welt. Emily Atwood war meine Mutter, Umberto
Montecorno mein Vater. Mein Vater besaß eine Privatbank mit
Filialen und Geschäftsverbindungen europaweit. Sein Geld hatte er
gewinnbringend und sicher angelegt. Meine Mutter war Engländerin
und Erbin eines großen Vermögens in England, Irland und den britischen
Kolonien. Sie stammte aus einer der einflussreichsten Familien
des Königreichs. Ihr Vater war Reeder der britischen Krone. Ich war
ihr einziges Kind, erzogen wurde ich von wechselnden Gouvernanten
verschiedener Nationalitäten. So wuchs ich mehrsprachig auf. Da ich
nicht wie gewöhnliche Kinder in den Gassen herumtollen konnte, war
ich auf mich gestellt. Das machte mir nichts aus, denn schon früh entdeckte
ich die große Bibliothek meines Vaters, die Bücher zu allen
Fachgebieten enthielt. Ich konnte lesen, was ich wollte, niemand
machte mir Vorschriften. Da mich alles interessierte und ich nicht genug
davon haben konnte, war ich das pflegeleichteste Kind, das man
sich vorstellen kann. Wenn ich nicht in ein Buch vertieft war, unterhielt
ich mich mit dem Personal und nahm Anteil an ihrem Leben. Sie
waren alle sehr freundlich und gaben mir Auskunft, so gut sie konnten.
Irgendwann begann ich meine Kenntnisse zu sortieren und
forschte nach Gesetzmäßigkeiten, Parallelen und Widersprüchen. Das
waren alles Dinge, die einem Mädchen nicht zustanden. Ein Mädchen
aus meinen Kreisen wurde dazu erzogen, einen einflussreichen Mann
zu heiraten und in den höchsten Kreisen mit Charme und Esprit zu
75
glänzen. Nebenbei sollte sie in der Lage sein, ein Wirtschaftsunternehmen
namens Familie zu führen. Nicht so im Hause Montecorno! Mein
Vater hielt sich streng an die Etikette und die Gepflogenheiten seiner
Klasse, hielt sie aber für lächerlich. Deshalb lernte ich alles mit kritischer
Distanz. Ich merkte nämlich recht schnell, je mehr ich mich anpasste,
desto mehr Freiheit hatte ich, meinen eigenen Interessen nachzugehen.
Ich hatte von meinem Vater den kritischen Verstand geerbt
und ein gesundes Misstrauen vor Konventionen. Wir beide verstanden
uns prächtig. Er nahm Anteil an meiner Entwicklung und förderte sie.
Mit wohlwollendem Humor hielt er Streitgespräche mit mir und nahm
mich sehr oft mit auf Geschäftsreisen. Ich kam also früh herum, war
unter anderem in Rom, Paris, Wien, Madrid, Berlin und London. Überall
war ich ein gern gesehener Gast, denn ich war eine wahre Musterschülerin,
was Etikette betraf und gepflegte Konversation. Wenn der
offizielle Kram erledigt war, konnte mich nichts davon zurückhalten,
mich in Büchereien, Museen, Theater, Ausstellungen und Märkte zu
stürzen. Mich interessierten aber weniger die Bücher, die Gemälde, die
Theaterstücke und Zirkusvorstellungen, mich interessierten die Menschen.
Ich unterhielt mich mit jedem, ob es der Droschkenfahrer war,
der Polizist, die Schneiderin, der Museumsdirektor, Graf Sowieso oder
die Schuhverkäuferin. Begleitet wurde ich von meiner jeweiligen
Gouvernante und einem Diener. Dieser Diener, das habe ich erst viel
später erfahren, war mein Leibwächter. Wenn wir nach England,
Schottland oder Irland fuhren, kam meine Mutter immer mit. Einmal
wurde ich der Queen vorgestellt. Davon erzähle ich dir ein anderes
Mal. Mein Vater bedauerte, dass mir als Frau ein Studium an der Universität
verwehrt blieb. Er sorgte aber dafür, dass ich einzelne Vorlesungen
und Seminare als Gast besuchen durfte. Darüber hinaus lud er
Professoren, Akademiker und Schriftsteller zu Soirées ein. Da ging es
ganz schön heiß her, denn ich ließ keinen so leicht vom Haken. Weitschweifiges
Gefasel und abgedroschene Phrasen duldete ich nicht. Da
gab es so manchen renommierten Wissenschaftler oder Denker, der
ins Schwitzen kam. So schön, so gut.
Kommen wir zu meiner Mutter. Sie verehrte ihren Mann über alles
und war mit allem einverstanden, was er tat, selbst wenn sie es nicht
richtig fand. Ich wusste, dass sie es nicht mochte, wenn ich kritisch
über Religion sprach. Nach einer heftigen Diskussion, die ich mit
76
einem hohen Geistlichen führte, beschloss sie, mich zu verheiraten.
Es wurden also in Frage kommende Kandidaten zu uns eingeladen.
Ich unterhielt mich mit jedem. Das war schon ein interessantes
Thema, der Mann. Aber nach einem Gespräch war jeder junge Mann
uninteressant für mich. Sie kamen auch nicht wieder. Trotz Ermahnungen
wollte mein Vater nicht einsehen, dass mein Verhalten unmöglich
war. So nahm meine Mutter das selbst in die Hand. Sie
kannte mich aber gut genug, um meinen Freiheitsdrang und mein
Unabhängigkeitsbedürfnis einzukalkulieren. Sie ließ ihre Fäden spinnen.
Ihr Vater, der Reeder, empfahl einen nicht mehr ganz so jungen
Mann, wohl betucht und eigentlich ein eingefleischter Junggeselle. So
stellte sich eines Tages der Marchese Emilio Roberto di Capirosso im
Hause Montecorno vor. Er war zehn Jahre älter als ich und sollte in
naher Zukunft Admiral der italienischen Marine werden. Er war
nicht ganz so verblödet wie die jungen Männer, die ich kennengelernt
hatte. Ausschlaggebend war aber für mich, dass er die meiste Zeit des
Jahres auf See, in Häfen oder Kadettenschulen verbrachte. Wenn ich
ihn heiratete, konnte mich niemand mehr daran hindern, meinen
Weg zu gehen. Da Mutter immer unausstehlicher wurde, heiratete ich
den Marchese. Wir zogen auf das große Landgut in der Toskana. Ich
brachte nach gebührender Frist eine Tochter zur Welt. Wir nannten
sie Mina nach der verstorbenen Mutter meines Mannes. Mina war
von Geburt an ein typisches Weibchen. Ich konnte nichts mit ihr anfangen
und sie nichts mit mir. Sie interessierte sich für nichts Geistiges
und wollte nur bewundert werden. Im Grunde war sie ein herzloses
Biest. Als sie zwanzig wurde, arrangierte mein Mann eine Heirat
mit dem Conte Adriano di Salamandra. Das war unsere direkte Nachbarschaft.
Ich war froh, meine Tochter loszuwerden und schaute mir
den Conte nicht näher an. Mina bekam nacheinander sechs Töchter.
Damit nicht genug, drei Jahre später kam ein Nachzügler, wieder eine
Tochter, Liliana. Alles weitere kannst du dir selbst erzählen.
Jetzt komme ich zu meinem eigentlichen Thema. Das war nämlich
nur die Vorrede. Ich hatte und habe weitverzweigte Verbindungen zu
Adelshäusern und sonstigen Häusern und zu Organisationen, offizieller
und nicht offizieller Natur. Als Liliana sagte, sie werde den Duke
of Everweard heiraten, habe ich sofort meine Verbindungen spielen
lassen. Die gesamte Fahrt von Florenz bis Everweard waren wir nie-
77
mals allein. Wir wurden unbemerkt begleitet von geschulten Sicherheitskräften.
Darunter gab es auch ein paar zwielichtige Gestalten.
Aber die verstehen ihr Handwerk am besten. Diese Leute werden von
gewissen Organisationen geschickt, deshalb sind es nicht immer dieselben
Personen. Um es kurz zu fassen, dieses Netzwerk besteht immer
noch. Das heißt, meine liebe Gina, du brauchst keine Angst zu
haben. Ich habe dafür gesorgt, dass euch nichts passiert.«
Gina fiel der Marchesa um den Hals und gab ihr einen Kuss auf die
Wange.
»Und Liliana weiß nichts davon?«
»Sie wird etwas ahnen, denke ich.«
»Der Mann mit dem Moustache?«, fragte Gina.
»Ja, er war einer von ihnen. Irgendwann wird sie von selbst dahinterkommen.
Dann kann sie entscheiden, was sie mit ihnen anfangen will.«
»Wie ich sie kenne, wird sie die Leute für die Sache einsetzen, von
der sie noch keine Ahnung hat, wie sie aussehen soll.« Gina stand
auf. »Es kommt jemand.«
Lady Barton stieg vom Pferd. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen
Hut mit schwarzem Schleier.
»Gina, ist deine Herrin da?«
»Ich erwarte Sie bald zurück. Marchesa Montecorno ist da!«
»Sophia? Das ist gut. Führe mich zu ihr!« Jetzt fiel ihr Ginas elegante
Kleidung auf. »Hast du den Kleiderschrank der Duchess geplündert?«
Die Marchesa umarmte Lady Barton.
»Schön, dich zu sehen, Maureen! Du weißt ja nichts von unserer
kleinen Komödie. Gina ist keine Zofe, sie ist meine Tochter. Gina ist
die Marchesina Montecorno di Capirosso.«
Lady Barton trat ans Fenster. Sie blickte auf die Dächer von Everweard
Castle. Tauben saßen auf den Dachrinnen. Über die Brücke
fuhr eine Kutsche. Ein herrenloser Schimmel folgte ihm. Ohne sich
umzudrehen, sagte sie:
»George ist tot.«
»Wie ist das geschehen? Ist eure Flucht misslungen?«
Lady Barton drehte sich um. Sie sah verloren aus.
»Wir waren in Sicherheit. Ich musste all die Jahre mit dem Gedan-
78
ken leben, dass George vor mir stirbt. Er war viel älter als ich. In den
letzten Jahren war er ständig krank. Der Gedanke an Rache hatte ihn
am Leben erhalten. Nachdem er, wie er glaubte, den Fürsten ermordet
hatte, war seine Kraft erschöpft. Dazu kam das Bewusstsein, eine
Todsünde begangen zu haben, denn nur Gott darf richten, nicht der
Mensch. Es gelang mir nicht, ihn wieder aufzurichten. Er war am
Ende angekommen. Ich musste ihn gehenlassen.«
»Es tut mir leid für dich, Maureen«, sagte die Marchesa. »Leider
konnte ich ihn nicht mehr kennenlernen. Was fängst du jetzt an?
Weißt du was? Ich fahre zurück in meine Heimat. Du begleitest mich!
Die Winter sind zwar kalt in der Toskana, aber nicht so eisig wie hier.
Bei mir gibt es immer viel zu tun, dann hast du keine Zeit, Trübsal zu
blasen.«
»Sophia, ich danke dir für das Angebot. Ich habe keine Ahnung,
was ich mit meinem Leben anfangen soll. Es klingt verrückt, aber ich
dachte, es hilft mir, wenn ich mit deiner Enkelin spreche.«
»Das ist ganz und gar nicht verrückt, Maureen. Wo ist sie jetzt,
Gina?«
»Sie ist drüben im Schloss. Dottore Scaltroni ist gekommen und
macht dem Duke seine Aufwartung.«
Gina wusste immer, wo Liliana war.
»Neuer Besuch!«, sagte Gina.
Sie öffnete die Tür.
Miss Fitzgerald kam mit ihrer Zofe Ann.
»Hallo, Gina! Ist Liliana da?«
»Kommt herein! Sie wird bald hier sein.«
»Rosemary, meine Liebe!« Lady Barton umarmte Rosemary. »George
ist gestorben. Du weißt, er hatte dich sehr gern.«
»Wie schrecklich!« Rosemary kamen die Tränen. »Kann ich ihn
noch einmal sehen?«
»Es ist schon alles vorbei. Die Beerdigung fand in aller Stille statt.
Nur ich und der treue Edward begleiteten ihn auf seinem letzten Weg.
Das hatte er so verfügt. George war alt und krank, liebe Rosemary.
Seine Zeit war abgelaufen.«
Nachdem Rosemary die Marchesa begrüßt hatte, sagte Lady Barton:
»Hast du auch gewusst, dass Gina keine Zofe ist?«
79
Rosemary lachte. »Wir sind alle darauf hereingefallen. Aber dass
sie so ganz anders war als alle anderen Zofen, das habe ich schon viel
früher bemerkt. Jetzt ist sie sogar eine Marchesina. Dass sie überhaupt
noch mit mehr spricht, wundert mich sehr.«
»Ich rede nicht mit Ihnen, Miss Fitzgerald,« sagte Gina, »wir machen
Konversation. Das ist etwas völlig Anderes. Sollten wir nicht in
den Salon gehen? Dort ist mehr Platz.«
»Nein, Gina! Hier sitze ich bequem.« Die Marchesa räkelte sich demonstrativ
im Sessel. »Ann kann ja Stühle holen, wenn sich jemand
setzen will.«
Es gab zwei bequeme Sessel in der Bibliothek, die nur zum Lesen
und Arbeiten vorgesehen war. Gäste sollten in dem geräumigeren Salon
empfangen werden.
»Lass es gut sein, Ann!« Lady Barton ging zurück zum Fenster.
Von hier oben hatte man einen herrlichen Ausblick auf Everweard
Castle.
Rosemary trat neben sie.
»Ich habe immer noch Angst, ich könnte plötzlich aufwachen und
feststellen, dass all das Herrliche, das uns geschehen ist, nur ein
Traum war. Mit Mutter kann ich nicht darüber sprechen. Ich vermute,
es geht ihr wie mir.«
Lady Barton legte den Arm um ihre Schulter.
»Rosemary, wir haben ein Recht auf Glück. Wenn man es dir nicht
gibt, nimm es dir!«
Liliana und Emiliano spazierten den Hügel hinauf. Schafe und Ziegen
begleiteten sie. Der Dottore trug einen dunklen Anzug. Er war hochgewachsen,
neben ihm wirkte Liliana wie ein junges Mädchen. Sie
unterhielten sich angeregt und blieben immer wieder stehen. Der
Wind fuhr in Lilianas Haare und wirbelte sie auf. Emiliano hielt den
Hut in der Hand.
Gina ging hinaus und winkte ihnen zu.
»Gina, ist das nicht ein herrliches Wetter, ein Wetter für Papierdrachen
mit langen, bunten Schwänzen?«, rief Liliana.
»Dottore Scaltroni, seien Sie uns willkommen!«, sagte Gina.
»Schön, Sie wiederzusehen, Marchesina! Ich dachte, wir hätten uns
schon zu Emiliano und Gina emporgearbeitet?«
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»Das war unter besonderen Umständen, auf einem Hochzeitsball …
Gilt das immer noch?«
»Selbstverständlich! Sonst müsste man ja bei jeder Begegnung wieder
von vorn anfangen. Stimmen Sie mir zu, Duchess?«
»Auch wir waren schon bei Emiliano und Liliana, mein Freund!«
»Ich dachte, das gilt nur, wenn wir unter uns sind?«
»Solche Spielchen mag ich nicht. Wenn wir Freunde sind, dann
sind wir es immer und überall. Ich jedenfalls schäme mich nicht, dich
zum Freund zu haben.«
»Liliana!« Emiliano gab ihr einen Handkuss. »Das macht mich sehr
glücklich.«
»Wir haben Besuch«, sagte Gina.
»Wenn das Schloss umgebaut ist, werden wir dort Sprechstunden
halten. Hier soll uns niemand stören.«
»Das Personal wird sich doch um ihre Gäste kümmern«, sagte
Emiliano.
»Welches Personal?«
»Nun… Sag bloß?«
»Genau! Gina und ich wollen allein sein. Kaffee kochen und Aufräumen
können wir bequem selbst erledigen. Gehen wir! Wenn die
Leute schon einmal hier sind, sollten wir sie nicht länger warten
lassen.«
Als Liliana die Bibliothek betrat, fiel ihr Lady Barton um den Hals und
weinte.
»Ach, Lady Barton! Es tut mir so leid. Er war ein herzensguter
Mann. Ich werde ihn nie vergessen.«
Die Bibliothek war wirklich zu klein. Trotzdem wollten alle bleiben.
Außer der Marchesa standen alle. Ann machte sich in der Küche
nützlich und kochte Tee und Kaffee. Sie richtete zwei Tabletts.
»Ich darf euch meinen Freund Emiliano vorstellen«, sagte Liliana.
»Er wird unser Gast zu sein. Meine Gastfreundschaft besteht vor allem
darin, ihn schamlos auszunutzen.«
»Marchesa Montecorno, Ihre Enkelin weiß, dass sie mit mir rechnen
kann. Erfreut, Sie wiederzusehen!« Emiliano gab der Marchesa
einen Handkuss.
»Dottore Scaltroni, schön, Sie zu sehen! Ich darf Ihnen Lady Barton
81
vorstellen. Miss Rosemary Fitzgerald kennen Sie bereits. Sie waren in
London. Was können Sie uns berichten?«
Emiliano gab Lady Barton einen Handkuss. Sie hatte sich doch entschlossen,
in dem zweiten Sessel Platz zu nehmen. Miss Fitzgerald
war sehr verlegen, als der gutaussehende, junge Mann sich vor ihr
verbeugte.
»Dann will ich gleich berichten«, sagte Emiliano. »Erstens: In Salamandra
ist wieder alles beim Alten. Sie brauchen sich darüber keinen
Kummer mehr zu machen. Zweitens: Maître Salvatore Brava ist jetzt
ein reicher Mann. Was war noch? Zeit für Theater oder Gesellschaften
hatte ich nicht, wollte ich doch sofort zurück nach Everweard
Castle. Zufälligerweise bin ich einem jungen Mann begegnet,
der aus dieser Gegend stammt, Simon Fraggles. Er hatte einen
Auftrag von Lady Monleirdon. Damit kam er nicht zurecht. Da ich die
Bekanntschaft Ihrer Mutter hatte machen dürfen, Miss Fitzgerald,
fühlte ich mich verpflichtet, ihm zu helfen. Nachdem das erledigt war,
reiste ich sofort ab.«
Liliana beugte sich zu Lady Barton.
»Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen.«
Lady Barton stand auf. Liliana nahm sie am Arm und führte sie hinaus.
Der Wind hatte nachgelassen. Es war fast frühlingshaft warm. Die
Tauben waren vom Dach des Schlosses vertrieben worden. Ein Falke
kreiste am Himmel.
»Duchess, was fange ich nur an? Mein Leben hat keinen Sinn
mehr«, sagte Lady Barton.
»Der Fürst ist tot«, sagte Liliana.
»Hat George doch …?«
»Nein, er hat ihn nicht getötet. Seine Tat hatte den Fürsten aber so
geschwächt, dass es möglich war, ihn zu besiegen.«
»Wie ist das geschehen?«
»Ich möchte Sie nicht damit belasten. Nur so viel: Der Fürst hatte
dem Duke Jugend geschenkt und ihm versprochen, Nerissa wieder
zum Leben zu erwecken.«
»Was? Das ist unmöglich!«
»Der Fürst besaß, wie Sie wissen, besondere Fähigkeiten. Der Duke
war davon überzeugt, der Fürst sei in der Lage, sein Versprechen zu
82
erfüllen. Um Nerissa zum Leben zu erwecken, war es notwendig, eine
gewisse Contessina Liliana di Salamandra zu beseitigen. Während eines
Ritualopfers in der Hochzeitsnacht sollte Nerissa den Körper der
Contessina übernehmen. Die eigentliche Besitzerin des Körpers
würde natürlich nicht mehr gebraucht.«
»Das ist doch krank!«
»Ich bekam unerwartete Hilfe. Der Fürst wurde besiegt und ich
blieb verschont.«
»Wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie der Fürst
nach zwölf tödlichen Schüssen aus nächster Nähe, mit zerfetztem Gesicht
und zertrümmertem Körper sich wieder selbst herstellte, dann
würde ich kein Wort von dem glauben, was Sie mir erzählen.«
Liliana nahm beide Hände Lady Bartons und sah ihr direkt in die
Augen.
»Der Duke ist fest davon überzeugt, dass ich Ihre geliebte Nerissa
bin.«
Lady Bartons Hände begannen zu zittern.
»Dafür wurde unser Leben zerstört?«
»Nein! Es sollte nur der Anfang sein für ein gewaltiges Verbrechen.
Lady Barton, wir haben gesiegt. Der Fürst ist tot. Alle seine teuflischen
Pläne sind zunichte.«
»Ich kann das alles nicht verstehen.«
»Wir alle wurden manipuliert, Leben wurde zerstört, unsere Ehre
missachtet und mit Füßen getreten.« Lilianas Hände waren eiskalt.
Sie blickte hinauf zu dem Falken. »Wir waren Marionetten. Ich habe
die Schnüre durchschnitten. Jetzt werde ICH das Stück schreiben!«
Lilianas Stimme war immer schneidender und kälter geworden.
»Duchess, Duchess! Fassen Sie sich! Was haben Sie vor?«
»Ich kann Ihnen nicht alle Hintergründe erzählen. Soviel ist aber
gewiss, das alles konnte geschehen – und gab es keine Skrupel, – weil
wir Frauen sind, dumme, rechtlose Frauen!«
»Übertreiben Sie nicht, Duchess?«
»Ein Beispiel: Mein Vater hatte das Recht, Recht in großen Buchstaben!,
mich zu verkaufen, weil ich eine Tochter bin, eine unmündige
Frau.«
»Das ist nicht neu. Das ist das Schicksal fast aller Frauen unserer
Gesellschaftsschicht. Man spricht aber nicht von Verkaufen.«
83
»Mit Worten lässt sich alles verschleiern und verdrehen. Doch ich
bin kein Opferlamm.«
»Jetzt ist ja alles überstanden«, sagte Lady Barton besänftigend.
»Ich habe die Leichen gezählt und bin nicht bereit zu vergessen und
nicht bereit zu verzeihen.«
»Duchess, ich erkenne Sie nicht wieder. Sie waren solch eine sanfte
Person.«
»Um wieder diese sanfte Person sein zu können, müssen die Verhältnisse
so geändert werden, dass es keine Schwäche ist, sanft zu
sein.«
Liliana war zierlich, wirkte zerbrechlich und hilfsbedürftig, ein
Mädchen noch. Jetzt erkannte Lady Barton, dass dahinter eine Frau
steckte, die unbeirrbar ihren Weg gehen würde.
»Sie machen mich neugierig. Wäre es nicht an der Zeit, dass wir
uns duzen? Wir haben so viel gemeinsam durchlitten … Nenn mich
Maureen!«
»Maureen, das freut mich!« Liliana gab ihr einen Kuss auf die
rechte Wange und auf die linke Wange.
»Die Ähnlichkeit zwischen dir und Nerissa. Ist das Zufall?«
»Sie war meine Halbschwester. Ihre Mutter starb sofort nach der
Geburt. Niemand hätte für sie sorgen können wie du und dein
Mann.«
»Liliana, du bist nicht meine Tochter und doch empfinde ich eine
Verwandtschaft zu dir, eine Seelenverwandtschaft.«
»Du wärst die ideale Mutter für mich gewesen, Maureen. Aber ich
brauche keine Mutter. Ich bin erwachsen. Was ich brauche, ist eine
Freundin.«
»Marchesina Gina ist doch ihre Freundin.«
»Maureen, ich habe eine Tochter für dich!«
»Meine Tochter ist tot, ich brauche keine andere. An wen hast du
gedacht?«
»Aurelia!«
»Die junge Dame, die Admiral Grossuth heiraten wird?«, fragte
Maureen.
»Sie ist ein Waisenkind. Lord Joseph, der Earl of Brandor-Highston,
der sie als seine Tochter ausgab, hatte sie nicht als solche eintragen
lassen. Der Earl ist spurlos verschwunden, sein Vermögen ging an
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seine Gläubiger. Von einer Tochter ist in keinem der amtlichen Dokumente
die Rede. Aurelia gibt es nicht, sie ist niemand.«
»Ich soll sie adoptieren, damit sie jemand ist?«
»Sie ist sehr intelligent – und eine außergewöhnliche Schönheit.
Nach dem, was Emiliano herausgefunden hat, ist es für sie unmöglich,
eine Person von Stand zu heiraten, ganz zu schweigen einen Admiral
der Krone.«
»Sie ist kein Einzelfall.«
»Wir können uns nur um die Personen kümmern, die wir kennen.
Ich weiß, ich kann die Welt nicht ändern, aber vielleicht die winzig
kleine Welt, in der ich lebe.«
»Liliana, verzeih! Du bist dieselbe geblieben. Das sehe ich jetzt.
Gut, ich werde Aurelia adoptieren, wenn sie es will. Dann kann sie
den Admiral heiraten. Du hast aber noch etwas anderes im Sinn.
Habe ich recht?«
»Danke! Ja, du hast recht und du sollst auch alles erfahren … Noch
habe ich keine konkreten Pläne, nur ein Gefühl, in welche Richtung
ich gehen muss. Zum jetzigen Zeitpunkt sammele ich Verbündete.«
Maureen lachte. »Das klingt nach einer Verschwörung. Willst du
Tyrannen stürzen?«
»Und das ist unmöglich?«
»Das ist unmöglich! Wir Frauen sind nun einmal das schwache Geschlecht.
Die Natur hat es so vorgesehen.«
Liliana ging darauf nicht ein und fragte:
»Hast du von den armen Menschen aus Schottland gehört?«
»Das ist ein wirklicher Umsturz, Liliana, noch eine industrielle Revolution!
Kohle ist die Zukunft, Erze, Mineralien und Öl. Wer braucht
da noch Schäfer und Bauern?«
»Darüber möchte ich ein anderes Mal mit dir sprechen. Ich habe
eine Aufgabe für dich.«
»Liliana, ich habe gerade meinen Ehemann beerdigt. Hast du denn
kein Erbarmen mit mir?«
»Im Dukedom Everweard leben Hunderte von Menschen. Ich weiß
nicht, wie und von was sie leben. Man hat mir Schlimmes berichtet.«
»Das hast du doch nicht zu verantworten«, sagte Maureen.
»Ich bin die Duchess of Everweard. Dazu wurde ich gezwungen,
aber ich werde die Verantwortung auf mich nehmen.«
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86
»Was erwartest du von mir?«
»Hilf mir, diesen Menschen zu helfen!«
»Ach, Liliana, man muss dich einfach lieben!«
Lady Barton ging zurück in LiliaGinas Nest. Liliana blieb noch draußen.
Wir werden einen Drachen bauen, dachte sie. Das wäre doch eine
schöne Aufgabe für einen Mann des Rechts. Auf leichtem, zerbrechlichem
Holz wird dünnes Papier befestigt. Das Ganze übergibt man
dem Wind. Oben am Himmel sieht das Gebilde aus, als wäre es
reinste Poesie. So ist es mit allem, was der menschliche Geist hervorbringt,
man darf es nicht aus der Nähe betrachten.
»Träumst du?«
Rosemary umarmte Liliana. Ihre roten Haare glühten in der Sonne.
»Cara Rosa Maria, schön, dass du mich nicht vergessen hast. Geht
es dir gut? Ich hatte noch keine Zeit, nach Monleirdon zu kommen.
Ihr müsst mich eben einladen, dann muss ich kommen. Du weißt, ich
kann dir nichts abschlagen.«
»Du hast mir versprochen, eine gute Nachbarin zu sein.«
»Das ist wahr. Was macht Monleirdon College? Geht es voran?«
»Im Frühjahr werden wir soweit sein. Der Admiral möchte nach
Ostern das College eröffnen. Auf der Liste der Schülerinnen steht bisher
nur mein Name. Warst du auf einem College oder wie immer das
in Italien heißt?«
»Ich hatte Privatunterricht wie du. Außerdem hatte ich die besten
Lehrerinnen, die man sich wünschen kann, Großmutter und Felicia.
Aber ich hatte irgendwann keine Lust mehr zu lernen und habe lieber
geheiratet.«
»Wie kannst du darüber Scherze machen? Ich könnte das nicht, einen
alten Mann heiraten, den ich nicht kenne.«
»Das sollst du auch nicht. Was macht der irische Wirrkopf?«
»Dylan geht mir aus dem Weg. Er wohnt in Monleirdon, den Weg
zum alten Haus kennt er nicht mehr. Wenn das College eröffnet ist,
werde ich ihn wiedersehen. Dann steht er vorn am Pult und ist wieder
der herablassende Lehrer, der alles besser weiß. Mich wird er besonders
streng beurteilen, damit es nicht heißt, er behandele mich bevorzugt.
Ich freue mich schon darauf.«
Liliana wischte Rosemary eine Träne von der Wange.
»Er ist noch ein dummer Junge, Rosa Maria. Er liebt dich. Irgendwann
wird er es nicht mehr verheimlichen können. Oder du gehst
zum Angriff über … Ich glaube, dir wird nichts anderes übrigbleiben.«
»Und mein Stolz?«, sagte Rosemary.
»Du musst es so anstellen, dass du die Überlegenere bist. Wir lassen
uns etwas einfallen. Es sollte aber vor Ostern geschehen.«
»Du meinst, mit den hochwohlgeborenen Töchtern kann ich nicht
konkurrieren?«
»Ich meine, dann ist Hochbetrieb im College.«
»Wenn er mich gar nicht will?«
»Dann wirst du es erfahren und dir einen anderen Mann suchen.«
»Ich will keinen anderen.«
Ann kam zu ihnen.
»Duchess, Lady Barton möchte sich verabschieden.«
»Ann, ich muss deinen Vater sprechen, nicht hier, sondern im
Schloss. Lass mich überlegen … Der Duke und ich laden ihn am Freitag
zum Mittagessen ein. Kannst du ihm das ausrichten?«
»Jawohl, Euer Gnaden!«
»Danke!«
Lady Barton setzte den Hut mit dem Schleier auf.
»Liliana, wann wollen wir miteinander reden?«
»Gleich morgen früh, Maureen. Es ist Eile geboten.«
»Wir treffen uns hier oben?«
»Ja, wir müssen eine große Strecke reiten.«
»Sophia, sehen wir uns noch einmal vor deiner Abreise?«, fragte
Maureen.
»Darauf kannst du wetten. Elizabeth muss eine große Feier geben.
Wenn ich mich schon verabschiede, dann mit Pauken und Trompeten!«
Lady Barton verließ die Bibliothek.
»So, so, Großmutter, du willst mich im Stich lassen«, sagte Liliana.
»Du hast ja jetzt den Dottore!«
»Er ist auch viel schöner als du – und jünger.«
»Nichts gegen Dottore Scaltroni, aber wahre Schönheit kennt kein
Alter. Du brauchst mich doch nicht wirklich?«
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»Du wirst mir fehlen.«
»Darauf lege ich auch wert. Kommt mich besuchen … schreibt
mir … Liliana, Gina, es fällt mir nicht leicht, euch allein in diesem kalten
Land zurückzulassen. Bevor ich sentimental werde«, die Marchesa
stand mit einem Ruck auf, »gehe ich lieber. Rosemary, begleitest du
mich?«
»Ich wollte auch gehen«, sagte Rosemary. »Ich werde dir eine
offizielle Einladung schicken, Duchess of Everweard, wenn du nicht
freiwillig nach Monleirdon kommst.«
»Gina und ich werden kommen, sobald wir hier ein paar Sachen
erledigt haben. Bis bald, Rosemary! Großmutter, du musst nach Capirosso
zurück. Warte nicht zu lange!«
»Wenn du es sagst … Das muss noch organisiert werden.«
»Der Admiral ist doch ein alter Freund von dir. Er soll dir seine
Kutsche einschließlich Kutscher zur Verfügung stellen.«
»Das ist eine treffliche Idee. Schön, zu wissen, dass einen die eigene
Enkelin so schnell wie möglich loswerden will.«
»Ich will nur dein Bestes.«
»Auf der Abschiedsfeier bestehe ich trotzdem.«
»Bis bald, Großmutter!«
Es war jetzt wieder Platz zum Beine ausstrecken. Gina und Emiliano
hatten einen Sessel aus dem Salon geholt. Alle drei saßen nun in den
weichen Sesseln, die Füße ruhten auf dem kleinen Tisch in der Mitte.
Keiner sprach, was auch nicht nötig war, denn jeder hatte Wohlgefallen
an dem andern.
»Ich vermisse einen kleinen, gelben Vogel«, sagte Emiliano.
»Emiliano, mein Freund, dafür haben wir jetzt dich. Lass hören, ob
du auch so schön singen kannst – und so laut!«
»Mit trockener Kehle?«
»Früher hätte dir meine Zofe einen Napf mit Wasser gebracht.
Doch jetzt habe ich keine Zofe mehr. Deshalb müssen wir alle verdursten.«
»Die Zofe hatte mir schon gefallen.«
»Ja, sie war tüchtig! Das weiß man immer erst hinterher zu schätzen,
wenn es zu spät ist. Nicht wahr, Marchesina Gina?«
»Sie sagen es, Duchess of Everweard! Nur schade, dass wir jetzt
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darauf verzichten müssen, den Gesang eines männlichen Dottorevogels
zu hören.«
»Ja, schade!«
Sie schwiegen wieder. Allmählich wurde es dunkel im Raum.
Schließlich war die Sonne gänzlich verschwunden.
»Es wird Zeit für das gemeinsame Abendessen«, sagte Liliana.
»Der Duke möchte auf diese Tradition nicht verzichten, besonders
weil sie neu für ihn ist.«
»Welche Unterkunft habt ihr für mich vorgesehen?«
»Vorläufig auf Everweard Castle. Dort gibt es ein ehemaliges Atelier
mit viel Platz.« Liliana nahm Ginas Hand und drückte sie fest.
»Emiliano, ich möchte ohne Umschweife ein paar Dinge grundsätzlich
klären. Ich stelle dir Fragen, du gibst kurze präzise Antworten.
Wenn mir die Antworten gefallen, mache ich dir ein Angebot. Einverstanden?«
»Ein Kreuzverhör? Einverstanden!«
»Der Konsul …«
»Ich bin nicht mehr in seinen Diensten. Ich bin ungebunden.«
»Wie sind deine finanziellen Verhältnisse?«
»Ich besitze eine kleine Summe, die ausreicht für die Rückreise
nach Italien.«
»Verfügst du in Italien über Vermögen?«
»Das einzige Vermögen, das ich besitze, trage ich immer mit mir
herum.« Er klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn.
»Es ist aber nicht so, dass du den materiellen Dingen dieser Welt
den Rücken zukehrst, um dein Leben in Askese zu verbringen?«,
fragte Liliana.
»Um es geradeheraus zu sagen, ich habe Jura studiert, um Geld zu
verdienen.«
»Wenn das kein hinreichender Grund ist! Das beruhigt mich ungemein,
Emiliano. Jetzt kommen wir zu einem heiklen Thema. Ah, da
fällt mir eine deiner Formulierungen ein. Wir kommen zu einem delikaten
Thema.«
»Nur zu! Inzwischen bin ich Experte in delikaten Angelegenheiten.«
»Ja, das stimmt! Nicht wahr, Gina? Sag doch auch einmal etwas!«
»Ich sage lieber nichts«, sagte Gina.
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»Hm! Na gut! Emiliano, du bist mein Freund, ich bin deine Freundin.
Ist das so richtig ausgedrückt?«
»Das hast du vortrefflich formuliert.«
»Eine echte Freundschaft ist nicht leicht zu erschüttern. Nicht wahr?«
»Eine echte Freundschaft hält ein ganzes Leben.«
»Eine echte Freundschaft dürfte eigentlich nicht an einer unbedeutenden
Winzigkeit scheitern?«
»Auf keinen Fall! An welche Winzigkeit denkst du?«
»An Geld!«
»Ah, das ist tatsächlich ein wunder Punkt.«
»Das Thema ist also echt delikat?«
»Es ist der Inbegriff von Delikatheit!«
»Gibt es dieses Wort?«
»Ab jetzt!«
»Ich sehe, mit Delikatesse komme ich nicht weiter. Siehst du, Gina,
ich tauge nicht zur Diplomatin. Dazu muss man mehr Fingerspitzengefühl
haben und einen verschwommenen Wortschatz.«
Emiliano wendete sich Gina zu.
»Gina, vielleicht kannst du mir sagen, auf was Liliana hinauswill? Ich
kann es mir denken. Aber wir tun natürlich so, als wüsste ich es nicht.«
»Ich sage lieber nichts«, antwortete Gina.
»Emiliano, in Anbetracht dessen, dass mein Herr und Gebieter auf
uns wartet, bin ich gezwungen, brutal ehrlich zu werden«, sagte Liliana.
»Ich möchte, dass du für mich Dinge erledigst und dafür Geld
nimmst. In welcher juristischen Form das geschehen soll, überlasse
ich dir.«
»Das ist doch ein Wort! Ich werde es mir überlegen.«
»Emiliano, möchtest du lieber singen?«
»Ich werde mir überlegen, in welcher Form die Geldübergabe
stattfinden soll. Selbstverständlich helfe ich dir – euch!«
»Hand drauf?«
Sie gaben sich einen Handschlag. Danach hielt Emiliano Gina die
Hand entgegen. Sie drückte seine Hand, dann sagte sie:
»Für was soll das sein? Ich habe mit dem allem nichts zu tun.«
»Du scherzt, Gina!«, sagte Emiliano. »Die Bedeutung des Handschlags
werde ich dir demnächst erklären. Können wir jetzt essen
gehen? Ich bin am Verhungern!«
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Kapitel 3
Ruth servierte das Abendessen. Wie immer machte sie ein
mürrisches Gesicht. Sie vermied es aber, die Tür hinter sich
zuzuschlagen, was sonst ihre Gewohnheit war. Offensichtlich
hatte sie vor dem Duke Respekt.
»Über die müssen wir uns noch unterhalten, Gemahl.«
»Über wen?«
»Ruth!«
»Was ist mit ihr?«
»Die Art und Weise, wie du sie anschaust, gefällt mir in keinster
Weise.«
»Von was redest du? Bist du etwa eifersüchtig?«, sagte der Duke
amüsiert.
»Sie ist jetzt in dem gewissen Alter. Wir müssen sie verheiraten.«
»Was du nur für Ideen hast! Sie ist schon lange bei mir. Es täte mir
leid, wenn sie geht.«
»Eben!«
»Sie ist ein Dienstmädchen, nicht mehr. Du bist jetzt die Herrin
über Everweard, ich werde dir da nicht hineinreden.«
»In diesem speziellen Fall möchte ich, dass du etwas unternimmst.
Aber genug darüber! Dieses Thema interessiert unsere Gäste sicher
nicht.«
Dottore Emiliano Scaltroni und Marchesina Gina Montecorno di
Capirosso saßen dem Duke und Liliana gegenüber. Es gab ein warmes
und reichhaltiges Abendessen, denn die neue Duchess wollte
nicht auf die südländische Tradition verzichten, die Hauptmahlzeit
des Tages am Abend einzunehmen. Der Duke fügte sich.
Liliana wandte sich an Emiliano.
»Dottore Scaltroni«, in Gegenwart des Duke wollte sie das Sie beibehalten,
es sollte die einzige Ausnahme bleiben. »Ich bin erfreut zu
hören, Sie wollen sich in unserem Dukedom niederlassen. Wir werden
Sie in der Suche nach einem angemessenen Domizil unterstützen.
Hast du eine Idee, Walter?«
»Im Augenblick nicht, aber er ist ja vorläufig gut untergebracht auf
Everweard Castle. Was hat Sie denn nach Everweard verschlagen,
junger Mann? Viel Geld können Sie hier gewiss nicht verdienen.«
91
»Ich bin hier, weil Ihre Gattin mich darum bat.«
Der Duke schaute Liliana prüfend an.
»Du brauchst juristische Hilfe, Liliana? Willst du dich scheiden
lassen?«
»Ich bin Italienerin und katholisch. Da gibt es Scheidungen nur mit
Gift oder einem langen, scharfen Küchenmesser. Du siehst, du kannst
ganz beruhigt sein.«
Der Duke lachte.
»Du hast mich überzeugt! Also, was sind die Gründe?«
»Es geht darum«, sagte Liliana,
»was ein gewisser Nero Borden, der sich Fürst nennt, uns eingebrockt
hat.«
»Von was redest du? Ich verstehe kein Wort.«
»Lord Barton ist gestorben.«
»Ach, das tut mir leid!«
»Ich habe Lady Barton gebeten, mir ein wenig zur Seite zu stehen.
Manchmal denke ich, sie könnte meine Mutter sein. Verrückt, nicht
wahr?«
Der Duke lächelte und nickte.
»Das kann ich verstehen. Sie ist eine gute und tüchtige Frau. Leider
verlor sie ihre einzige Tochter durch einen tragischen Unfall. Jetzt,
nachdem auch ihr Gatte verstorben ist, wird es nicht einfach werden
für sie. Ja, kümmere dich um sie!«
»Wir werden morgen einen langen Ausritt machen. Das wird kein
Vergnügungsausflug. Außerdem will ich mir die Menschen ansehen,
die dank Nero Borden ihre Heimat verloren haben.«
»Du sprichst von dem Personal, das Miss Heather angestellt hat?«
»Unser Personal auf Everweard Castle wurde gekauft, wie du
weißt. So etwas nennt man Menschenhandel. Was das Dukedom
Everweard betrifft, da habe ich nichts Gutes gehört über die Verhältnisse,
in denen die Menschen leben. Davon will ich mich persönlich
überzeugen.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte der Duke uninteressiert.
»Wo ist Peter?«, fragte Liliana.
»In Glasgow!«
»Kann es sein, dass du gute Geschäfte machst in Schottland, zum
Beispiel mit Kohlebergbau, Eisen- und Stahlhütten?«
92
»Liliana, um Geschäfte kümmere ich mich schon lange mich mehr,
das macht Peter. Er ist darin viel geschickter als ich.«
»Jetzt bist du kein Junggeselle mehr, Walter. Du hast eine Frau. Was
immer du tust, – oder in deinem Namen getan wird, – wirft seinen
Schatten auf mich. Kümmere dich wieder selbst um deine Angelegenheiten!
Du bist der Duke, sei der Duke!«
Der Duke wurde blass. Emiliano und Gina sahen betreten auf ihre
Teller. Es war eine Zeit totenstill im Raum.
»Deshalb brauchst du einen Rechtsanwalt?«
»Damit du es weißt, Dottore Scaltroni ist mein Freund. Ich nenne
ihn Emiliano und habe großes Vertrauen in seine Fähigkeiten und
seine Diskretion. Ich möchte, dass er uns beisteht, ohne Aufsehen zu
erregen und ehrenhaft aus dieser scheußlichen Geschichte herauszukommen.
Das kann dir doch nicht gleichgültig sein?«
»Natürlich nicht … Ich hätte nie gedacht, dass du dich so sehr um
Everweard kümmern würdest.«
»Aber, Walter!« Liliana fasste seinen Arm. »Du bist wie alle Männer,
ihr habt keine Ahnung von uns Frauen. Wenn du einmal von dem Turm
deines Schlosses heruntersteigen würdest und in die Dörfer gingest,
hinein in die Wohnungen der einfachen Leute, dann würdest du schnell
erkennen, wer die Familien zusammenhält – und die ganze Nation.«
»Du bist doch keine einfache Bäuerin oder Frau eines Handwerkers,
du warst die Contessina di Salamandra und bist jetzt die Duchess
of Everweard. Mit all den niederen Tätigkeiten hast du doch
nichts zu tun. Du bist von Adel!«, sagte der Duke.
»Adel verpflichtet, Duke of Everweard! Denke einmal darüber
nach, was es bedeutet, vom Schicksal in eine solche privilegierte Stellung
hineingeboren zu sein. Meinst du, das wäre uns in den Schoß
gelegt worden, damit wir es sinnlos verschwenden? Noblesse oblige
bedeutet, wir haben eine Verpflichtung.« Liliana stand auf. »Ich muss
mit Miss Heather sprechen. Wo kann ich sie finden?«
Der Duke stand ebenfalls auf. Emiliano und Gina erhoben sich.
»Miss Heather zog sich heute früher zurück. Ruth soll dich zu ihr
führen. Wäre es nicht besser, wir lassen sie kommen?«
»Nein, ich muss mich bewegen.«
Der Duke läutete mit dem Glöckchen, das neben seinem Weinglas
stand. Sofort kam Ruth herein.
93
»Duke?«
»Geleiten Sie die Duchess zu Miss Heather!«
Ruth rührte sich nicht.
»Haben Sie mich gehört?«
»Ja, ja … aber …«
Liliana packte Ruth am Arm.
»Führe mich sofort zu Miss Heather oder ich breche dir sämtliche
Knochen im Leib!«, zischte sie.
Unter dem Dach roch es nicht angenehm. Die Flure waren kaum
beleuchtet. Tür reihte sich an Tür. Hier wohnte das Personal des
Schlosses. Ruth klopfte an eine der vielen Türen, die alle gleich heruntergekommen
aussahen.
»Miss Heather, die Duchess möchte Sie sprechen.«
Ein Husten, Schritte kamen zur Tür.
»Sagen Sie der Duchess, ich komme sofort. Wo will Sie mich denn
sprechen?«
»Die Duchess ist hier.«
»Hier? Das geht doch nicht!«
Liliana schob Ruth zur Seite und öffnete die Tür.
»Ich brauche dich nicht mehr, Ruth.«
Ruth schlurfte davon.
Liliana betrat einen Raum im Halbdunkel. Nach und nach konnte
sie das Mobiliar erkennen. Ein schmales Bett füllte fast das gesamte
Zimmer. Ein hoher Schrank stand dicht daneben, auf ihm lagen zwei
alte Koffer. Es gab einen Stuhl und eine Waschkommode, keine Blumen,
die wären hier sofort eingegangen, keine Bücher, keine Bilder,
nur eine vergilbte Tapete mit einem Muster, das einmal Orchideen
dargestellt haben könnte. Auf dem Kopfkissen lag eine schon ziemlich
ramponierte Puppe, der man ansah, dass sie mit der Zeit den
Liebkosungen ihrer Besitzerin nicht hatte standhalten können.
Liliana setzte sich auf den Stuhl. Ihr war schlecht. Es war ihr, als
habe sie einen Schlag in die Magengrube erhalten.
Miss Heather zitterte. Sie schämte sich.
»Sie hätten nicht hierherkommen sollen, Euer Gnaden!«
Liliana schwieg. Sie machte eine Handbewegung. Miss Heather
setzte sich aufs Bett.
94
Es gab kein Fenster.
»Wie lange sind Sie schon in Diensten des Duke?«
»Ich weiß es nicht mehr. Der Fürst hatte mir diese Stellung vermittelt.
Ich musste ihm sehr dankbar sein dafür.«
»Warum?«
»Ich beging ein Verbrechen. Die Gesellschaft stieß mich aus.«
»Ihr Verbrechen geschah, weil Sie sich nicht unterordnen wollten?«
»Ja, Duchess! Sie sind eine gute Menschenkennerin.«
»Sie wurden bestraft?«
»Ich wurde verurteilt und war im Gefängnis. Mein Verbrechen
war …«
»Ich will es nicht wissen!«
Miss Heather sackte in sich zusammen.
»Wer weiß hier von Ihrem früheren Leben?«
»Der Fürst wusste es, sonst niemand. Ich habe meinen Namen geändert.
Warum ich es Ihnen erzähle, weiß ich nicht.«
»Sie haben ein Verbrechen begangen. Sie wurden verurteilt. Sie
waren im Gefängnis. Sie haben Ihre Strafe verbüßt. Ist das richtig?«
»Ja, aber meine Familie hat mich verstoßen. Ich bekam keine Arbeit
mehr, keine Wohnung …«
»Sie haben Ihre Strafe verbüßt!«
Sie stand auf. Miss Heather legte die Hände vors Gesicht.
»Gestern gaben wir uns einen Handschlag. Wissen Sie, was das bedeutet?«
»Dass ich Ihre Dienerin bin«, sagte Miss Heather mit schwacher
Stimme.
»Sie sind nicht meine Dienerin, so etwas brauche ich nicht. Sie sind
die Verwalterin von Everweard Castle, die Herrin über das Schloss
und sein Personal. Der Handschlag bedeutet noch etwas anderes. Er
bedeutet, dass ich für Sie verantwortlich bin, für Ihr Wohlergehen –
und Ihr Ansehen!«
Überrascht sah Miss Heather auf.
»Miss Heather, haben Sie auch einen Vornamen?«
»Sybil!«
Liliana öffnete die Tür. Sie klatschte in die Hände.
»Alle heraustreten!«
Die Türen öffneten sich. Überraschte Frauen und Männer traten in
95
den Flur – und Kinder. Alle waren schäbig gekleidet. In dem fahlen
Licht sahen sie abgemagert aus.
»Falls ihr mich nicht kennt, ich bin die Duchess of Everweard.«
»Duchess!« Sie verneigten sich, einige gingen sogar in die Knie.
»Miss Heather zieht um. Ich brauche freiwillige Helfer. Viel scheint
sie nicht zu besitzen. Du da und du und du, kommt herein! Sybil, pack
deine Sachen!«
»Bin ich entlassen?«
»Ich kündige dir die Wohnung!«
»Ach!«
»Die Verwalterin von Everweard Castle ist eine wichtige Person,
meine Liebe. Sie muss etwas darstellen, muss repräsentieren und
Macht und Ansehen besitzen. Dazu gehören eine angemessene Wohnung
und ein fürstliches Gehalt. Und das werden wir jetzt, sofort, auf
der Stelle in Ordnung bringen. Gehen wir!«
»Wohin?«
»Folge mir!«
»Aber …«
»Ja, du hast recht. Du brauchst Kleider, ich werde mit Miss Wedgeworth
sprechen. Du musst vollständig neu eingekleidet werden. Außerdem
brauchst du mindestens ein Dienstmädchen und vor allem
Assistentinnen. Das überlasse ich dir. Dein Gehalt lege ich morgen
fest. Du bekommst zuerst eine nicht unerhebliche Summe, damit du
dir anständige Sachen zulegen kannst – und als Sühnegeld für das
Unrecht, das dir vom Hause Everweard in den vergangenen Jahren
angetan wurde. Ich will es so!«
»Danke!«
»Was hat sich der Duke nur dabei gedacht? Es will mir nicht in den
Kopf hinein«, sagte Liliana.
»Der Duke interessierte sich nicht dafür. Peter kümmerte sich um
alles.«
»Peter hat Ihnen nichts mehr zu sagen! Die einzige Person, die Ihnen
etwas zu sagen hat, bin ich – und das auch nur in Dingen, die mit
Ihrer Stellung zu tun haben. Ihr Privatleben geht mich nichts an.«
Sie kamen im Westflügel an. Liliana betrat die Suite, die sie nach
der Ankunft in Everweard Castle bewohnt hatte. Die Räume bestanden
aus einem großen Salon, einem Schlafzimmer, einem Studierzim-
96
mer und einem Badezimmer. Neben dem Schlafzimmer gab es noch
ein kleineres Zimmer für eine Zofe. Eine Glastür führte vom Salon
auf einen breiten Balkon. Liliana öffnete alle Fenster. Frische Luft
strömte herein.
»Das ist jetzt dein Reich, Verwalterin von Everweard Castle!«
Miss Heather setzte sich auf den Stuhl neben der Tür zum Schlafzimmer
und weinte.
Liliana trat auf den Balkon. Sie konnte auf dem Hügel LiliaGinas
Nest sehen mit seinem achteckigen Turm. In den Fensterscheiben
spiegelte sich der Mond. Sie wartete, bis Miss Heather zu ihr kam.
»Ein neues Leben, Sybil!«
»Eine Fata Morgana!«
»Die Gefängnistür steht offen. Du musst es nur wagen, hinauszugehen
in die Freiheit. Du wolltest dich nicht unterordnen, das war dein
Verbrechen. Ich fordere dich auf, dich auch weiterhin nicht unterzuordnen.
Nur deinen Körper konnte man einkerkern, nicht deinen Geist!«
Miss Heather richtete sich auf. In ihren Augen war wieder der
Wille zum Leben.
»Duchess, wie soll ich es sagen … Verzeihen Sie … die Gefühle
überwältigen mich … Ich liebe Sie!«
Liliana umarmte Miss Heather und küsste sie auf die Wange.
»Sybil! An diese Liebe wollen wir uns halten und mit ihr im Herzen
Everweard Castle unter die Lupe nehmen. Wo Liebe ist, kann es keine
Ungerechtigkeit geben und kein Elend.«
»Ich werde mich morgen sofort um die Menschen kümmern, die
unter dem Dach leben«, sagte Miss Heather.
»Morgen früh wird mich Lady Barton besuchen. Wähle eine Frau
und einen Mann aus, am besten ein Ehepaar, das ein Englisch spricht,
das auch ich verstehen kann. Wir werden mit ihnen reden. Ich will
wissen, woher sie kommen, was sie gelernt haben und wie sie sich
ihre Zukunft vorstellen.«
»Der Duke hat sie gekauft.«
»Niemand kann einen Menschen kaufen. Mag sein, dass sich das
der Fürst oder Peter einbilden, aber ein solches Geschäft ist nichtig.
Alle Menschen sind freie Wesen.«
Liliana betrat das Herrenzimmer des Duke. Emiliano saß am Klavier
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und spielte Scarlatti. Gina kniete neben ihm auf dem Boden und sah
ihm verzückt zu. Der Duke schlief in dem Sessel vor dem Kamin.
Die Musik verstummte.
»Spiel weiter, mein Freund!«
»Liliana, was hast du?«
Gina sprang auf und umarmte sie.
»Halt mich fest!«, sagte Liliana.
Die Sonate war zu Ende. Emiliano begann, einen Ländler zu spielen.
»Ah, das kenne ich auch!«
Liliana ging zum Klavier und setzte sich neben Emiliano. Mit beiden
Händen hieb sie in die Tasten. Es wurde plötzlich sehr laut in
dem kleinen Raum. Der Ländler war jetzt nicht mehr wiederzuerkennen,
er klang jetzt eher nach einem blutigen Schlachtgemetzel.
Der Duke schreckte aus dem Schlaf auf. Er stand auf und kam herüber
zum Klavier.
»Ich wusste nicht, dass du Klavier spielst.«
»Jede Frau hat ihr kleines Geheimnis, Walter. Außerdem spiele ich
kein Klavier. Ich führe schon, solange ich denken kann, einen unerbittlichen
Krieg gegen dieses Instrument. Weil es nicht die Töne hervorbringt,
die ich mir wünsche, bestrafe ich es durch kräftige Schläge
und Fußtritte auf die Vorrichtung hier unten, die offensichtlich dafür
vorgesehen ist.«
»Es gibt eben Menschen, die unmusikalisch sind.«
»Ich bin nicht unmusikalisch. Ich kann sehr wohl hören, was gute
Musik ist. Nur, um sie selbst zu produzieren, dazu habe ich wohl zwei
linke Hände.«
Liliana stand auf und gab dem Duke einen Kuss auf die Wange.
»Schlaf weiter! Gina und ich werden deine Ruhe nicht weiter stören.
Wir sehen uns morgen!«
»Gute Nacht, Liliana!«
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* * *
Liliana und Gina lagen im Bett. Durch das offene Fenster hörten sie
dem Wind zu und dem Ruf einer Eule.
»Der Dottore hat sich sehr gewundert heute Abend.«
»Über was denn, Gina mia?«
»Wie du mit dem Duke umgegangen bist. So, als wärst du seine
Ehefrau.«
»Das bin ich doch.«
»Das meine ich nicht so. Ich meine, als wäre er dein Ehemann.«
»Das ist er doch. Gina, das sind Tatsachen.«
»Es sah aus, als läge dir etwas an ihm und du wärst gern seine Frau.
Jedenfalls hatte der Dottore diesen Eindruck. Er weiß nicht, was er
davon halten soll.«
»Wenn er diesen Eindruck hat, dann bin zufrieden. Ich bin Duchess
of Everweard. Das Schicksal schreckte nicht vor den vertracktesten
Winkelzügen zurück, um mich in diese Position zu bringen. Das muss
ich ausnutzen.«
»Und deine Rache?«
»Rache kann viele Formen annehmen. Die raffinierteste Rache ist
die, die nicht nach Rache aussieht.«
– Ende der Leseprobe –
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Die Geschichte von Liliana, Gina, Marchesa und Salvatore geht weiter.
Als Duchess of Everweard setzt Liliana ihre Rachepläne in die Tat um und
gestaltet Dukedom Everweard nach ihren Vorstellungen neu. Sie beseitigt
alte Ungerechtigkeiten und schmiedet neue Allianzen, um gegen ihre
Widersacher vorzugehen.
Dukedom Everweard soll ein Ort werden, an dem Frauen und Männer
frei und selbstbestimmt in der ansonsten männerdominierten, feudalistischen
viktorianischen Gesellschaft leben können.
Salvatore, der glaubt, von Liliana verstoßen worden zu sein, ist unzufrieden
mit sich und der ganzen Situation. Er fühlt sich ungeliebt und versteht
nicht, warum Liliana mit dem uralten Duke of Everweard verheiratet
bleibt.
Als Gestaltwandler hält Salvatore sich für ein Monster, das kein Recht auf
ein normales Leben hat. So schließt er sich dem Circo Fantasmagoria an.
Doch diese Entscheidung stellt sich schon bald als ein schwerer Fehler
heraus. Auch die Rettung durch seine Schwester Blanche bringt Salvatore
in neue Schwierigkeiten.
So führt Salvatores Irrweg quer durch Europa. Als er schließlich in der
Toskana ankommt – erliegt er als Nero Bordens Erbe und Nachfolger den
Versuchungen maßlosen Reichtums und grenzenloser Macht.
Liliana, die als Zauberin immer weiß, wie es Salvatore geht, kann diesem
selbstzerstörerischen Treiben nicht mehr länger tatenlos zuschauen.
Zusammen mit Gina reist sie nach Italien, um Salvatore vor sich selbst zu
retten und um so ein erneutes Aufbrechen der Weltenbarriere zu verhindern.
Außerdem hat Liliana mit ihrem Vater noch eine längst überfällige
Rechnung offen..
Und letztendlich benötigt das Dukedom Everweard noch einen Erben –
oder könnte es vielleicht eine Erbin sein?
»Tauchen Sie erneut ein in die magische Welt von Liliana,
Gina, Marchesa und Salvatore, denn ihre Geschichte ist
noch lange nicht zu Ende.«
ISBN 978-3-911352-23-9
€ 19,99 [D]
EVERWEARD PUBLISHING