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Baumeister 5/2025

Design

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B5

BAU

Mai 2025

122. JAHRGANG

Das Architektur-

Magazin

MEISTER

Design

4 194673 018502

05

D 18,50 €

A,L 20,95 €

CH 2 4 , 9 0 S F R


Design hat

ein Imageproblem.

TITELBILD Design zum Anfassen,

zum Benutzen und Aneignen.

Materialien mit einer Botschaft

prägen die Atmosphäre und Art,

wie wir Räume erleben.

Zu oft wird es mit Styling,

dekorativem Schnickschnack

oder – schlimmer

noch – mit Sofakissen

verwechselt. Dabei ist

Design alles andere als oberflächlich. Es kann irritieren,

provozieren, transformieren. Es kann Räume öffnen, Dinge

ordnen, unser Verhalten lenken. Design ist nicht das Sahnehäubchen

am Ende, sondern oft der Anfang von allem – das

unsichtbare Rückgrat guter Architektur.

macht – und aus Unfertigkeit Haltung. Da wird mit

Textilien zoniert, mit Beton poetisiert und mit der gesamten

Komposition eines Raums fast schon erotisiert.

Ja, Sie haben richtig gelesen. Architektur darf wieder verführen

– nicht laut, nicht schrill, sondern durch Substanz.

Diese Ausgabe ist also kein Katalog schöner Oberflächen.

Sie ist ein Plädoyer für das Denken mit der Hand. Für

das Erleben durch Berührung. Und für Design, das nicht

nur gefällt, sondern verändert.

COVERFOTO: THIAGO MATOS/PEXELS

In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Design in seiner

sinnlichsten und reinsten Form. Es geht um Materialität

und Textur. Projekte, die nicht glänzen wollen, sondern

glühen. Räume, die sich nicht in Renderings erklären,

sondern in Bewegung, Licht – und vor allem: Berührung.

Denn gutes Design will angefasst werden. Es lebt vom Kontakt.

Unser Cover spielt genau damit: eine tastende

Hand, die, aus dem Schatten kommend, eine Oberf läche

erkundet. Fast archaisch. Fast romantisch. Und doch:

hochaktuell.

Warum? Weil wir in einer Zeit leben, in der das Digitale

oft glatter ist als unsere Tischplatte. In der sich Raum

immer öfter auf Bildschirmformate reduziert. Und in der

Materialien wieder an Bedeutung gewinnen – weil sie

Widerstand bieten, Reibung erzeugen, Charakter haben.

Die Projekte in dieser Ausgabe zeigen, wie durch Umnutzung,

Reduktion und radikalen Materialeinsatz neue

Atmosphären entstehen. Wie man aus Altem Sinnlichkeit

Denn letztlich stellt sich nicht nur die Frage, wie etwas

aussieht oder sich anfühlt, sondern auch, was es auslöst. Ein

gutes Designobjekt, ein klug gestalteter Raum oder ein

mutiger Materialeinsatz kann mehr verändern als viele

Worte. So können Gespräche angestoßen, Erinnerungen

geweckt und Haltungen geprägt werden. Vielleicht ist

Design also gar nicht die schönere Schwester der Funktion,

sondern deren verschwiegene Philosophin – sinnlich,

schlau und manchmal ein bisschen unbequem. Und genau

deshalb brauchen wir sie – dringender denn je.

Viel Freude beim Lesen. Ich freue mich, wie immer,

über Ihre Rückmeldung zu dieser Ausgabe.

Herzlichst,

Tobias Hager

Chefredakteur

t.hager@georg-media.de

03


II

Ideen

Innenarchitektur lebt vor allem vom ausge-

wählten Material, das die Atmosphäre und Art,

wie wir Räume erleben und nutzen, stark prägt.

Originelle Entwürfe, die die Grenzen des Mach-

baren ausloten

12 Restaurant

in London

18 Jugendkunstschule

in Dresden

30 Schuhgeschäft

in Paris

38 Fahrradtunnel

in Berlin

46 Forschungslabor

in Zürich

54 Rauchsalon

in Basel

Position

Seite 26

„Design ist auch

etwas Politisches“

11


STANDORT

180 The Strand,

London

BAUHERREN

Jeremy Chan (Chefkoch)

und Iré Hassan-Odukale

(Geschäftsführer)

WEB

www.ikoyilondon.com

ARCHITEKTUR

David Thulstrup,

Kopenhagen

Besänftigter

Brutalismus

A R C H I T E K T U R

David Thulstrup

FOTOS

Irina Boersma César Machado

Das Zwei-Sterne-Restaurant „Ikoyi“ ist in ein

denkmalgeschütztes, ehemaliges Bürohaus aus den

1970er-Jahren nahe der Londoner Fleet Street

umgezogen. Der dänische Architekt David Thulstrup ließ

sich vom neuen Standort sowie von der westafrikanisch

inspirierten Küche leiten und schuf ein minimalistisches

und gleichzeitig sinnliches Ambiente.

13


Im Speiseraum werden die

quer verlaufenden Edelstahlgewebebahnen

bogenförmig

bis hinter die Rückenpolster

der Sitzbänke geführt.

Das Gewebe schillert leicht,

filtert das Licht vor den

Fenstern und sorgt für eine

intime, gedämpfte Raumstimmung.

14 B5 / 25 – DESIGN IMPULS IDEEN INSPIRATION


FOTO RECHTS UNTEN: IAIN AITCHISON

OBEN Die Oberflächen in Küche

und an der Theke bestehen

hauptsächlich aus Edelstahl, um

den Restaurantmitarbeiterinnen

und -mitarbeitern die

Arbeit zu erleichtern.

UNTEN Das Gebäude „180 The

Strand“ zählt zu den wenigen

denkmalgeschützten brutalistischen

Bauten in London. Das

ehemalige Bürohaus beherbegt

heute neben dem Restaurant

im Erdgeschoss auch Niederlassungen

der Kreativwirtschaft.

WEITER

15


BAUMEISTER Wie lautete die

Aufgabe der Bauherren?

RECHTS Die Materialwahl ist reduziert

auf Kupfer, Stein, Edelstahlgewebe,

Leder und Eiche. Die Wände werden

von kupfernen Paneelen gefasst.

RECHTE SEITE Im Sommer wird auch auf

der Terrasse serviert.

DAVID THULSTRUP Jeremy

Chan und Iré Hassan-

Odukale sind außergewöhnliche

Talente, und nachdem ich ihr vorheriges Restaurant

kennengelernt hatte, wollte ich bei ihrem neuen

Standort unbedingt mit ihnen zusammenarbeiten. Sie

erzählten mir von ihren Reisen, ihrem Fokus auf saisonale

Lebensmittel und Gewürze, und das inspirierte mich

sehr. Meine Aufgabe bestand darin, den neuen Ort zu analysieren,

das Potenzial zu verbessern und eine Materialpalette

zu entwickeln, die ihre Vision unterstützt. Ziel war

es, einen Raum zu schaffen, der das kulinarische Erlebnis

steigert und eine sinnliche Atmosphäre für die Gäste

schafft, die sich mit der Intensität und Kühnheit ihrer Gastronomie

verbindet.

BAUMEISTER Wie haben Sie ihre Vorstellungen umgesetzt?

DAVID THULSTRUP In ihrer Arbeit geht es um warme Gewürze, Minimalismus

und rohe Materialität. Ich habe mich darauf konzentriert,

ein Restaurant zu schaffen, das sowohl eine kühne

und reiche Materialität als auch eine ruhige Atmosphäre

aufweist, die die starke Energie ihrer Küche widerspiegelt.

Durch unsere Gespräche und im Prozess der Zusammenarbeit

versuchte ich zu verstehen, wie der Raum genutzt

werden sollte. Das Ergebnis ist eine Gestaltung, die

die Eigenheiten des Orts mit der Vision und den kleinsten,

wesentlichen Details verbindet, die sicherstellen, dass

das Restaurant sowohl für das Personal als auch für die

Gäste effizient funktioniert. Wenn ich mit einem Bauherrn

zusammenarbeite, stelle ich viele Fragen, ich bin neu -

gierig auf ihn und darauf, wo er hinwill, wie er den Raum

nutzen will. Dann zoome ich heraus und denke über die

Beziehung zwischen Ort, Vision und Material nach; ich zoome

in die Wünsche, die eine Bedeutung bekommen sollen –

etwa die Praktikabilität für das Personal, den Grundriss,

die Lagerung von Produkten und so fort.

BAUMEISTER Welche Materialien schienen Ihnen dafür geeignet?

DAVID THULSTRUP Die Materialpalette wurde sorgfältig ausgewählt,

um Wärme und Intensität hervorzurufen, in Harmonie

mit dem kühnen Charakter der Küche: oxidiertes Kupfer,

veredelt mit Bienenwachs, für die Wände, katalanischer

Kalkstein „Gris“, geflammt und gebürstet, am Boden. Edelstahlgewebe,

das von hinten beleuchtet wird, um das

Geflecht hervorzuheben, stellt eine Verbindung zu den

Küchenwerkzeugen her. Leder in einem satten Ingwer-Ton

und britische braune Eiche verleihen dem Raum Weichheit

und Raffinesse und vermitteln ein Gefühl von Luxus und

Handwerkskunst, was die sensorische Erfahrung des Raums

verbessert – die taktile Wahrnehmung ist immer wichtig!

16 B5 / 25 – DESIGN IMPULS IDEEN INSPIRATION


„Design

ist auch etwas

Politisches“

I N T E R V I E W

Julia Maria Korn

Bis vor Kurzem fand in der Kunsthalle München die

Ausstellung „Jugendstil. Made in Munich“ statt.

Die Ausstellungsgestaltung stammte vom Designer

Bodo Sperlein. In einem gemeinsamen Gespräch

mit Tulga Beyerle, Direktorin des Museums

für Kunst und Gewerbe Hamburg, sprachen wir

über den heutigen Einfluss des Jugendstils.

26 B5 / 25 – DESIGN IMPULS IDEEN INSPIRATION


BAUMEISTER Was macht den Jugendstil für

Sie so besonders, Frau Beyerle und Herr

Sperlein?

BODO SPERLEIN Ganz klar die verschiedenen

Einflüsse, insbesondere die außereuropäischen,

und hier natürlich in erster Linie

die asiatischen Einf lüsse, vor allem

Japan, das sich ja zu dem Zeitpunkt gerade

wieder öffnete. Die Objekte von dort, die

dann in den Sammlungen zu sehen waren,

erregten Aufsehen. Dies hat man in das

Design einfließen lassen. Zwar gab es auch

schon vorher im Barock die Chinoiserien,

aber im Jugendstil kommt nun auch die

Abstraktion der Natur hinzu.

Was ich interessant finde, ist, dass sich verschiedenste

Berufsbereiche in dieser Zeit

kreativ ausprobiert haben. Zuvor gab es

eine strenge Abgrenzung zwischen Handwerkern

oder Künstlern. Das löste sich im

Jugendstil auf. Auch Frauen bekamen

einen neuen Status. Das

änderte sich danach zwar

leider wieder, dennoch

finde ich das

einen sehr spannenden

Aspekt des Jugendstils.

Freiheit wurde aber auch ganz schnell

wieder eingeengt.

BAUMEISTER Es entsteht ja auch ein neuer Typ

Frau ...

TULGA BEYERLE Konservativ war diese Zeit

trotzdem noch. Wenn wir auf die Münchner

Ausstellung blicken und uns Margarete

von Brauchitsch anschauen, die Designer

innen der Deutschen Werkstätten, zu

denen ich eine Ausstellung in Dresden

gemacht habe, die sind nicht alle im korsettfreien

Kleid unterwegs

gewesen. Aber sie haben

Unternehmen geführt oder

haben als selbstständige

Designer innen gearbeitet.

Sie haben also ihr eigenes

Geld verdient. Sie sind freie

unabhängige Designerinnen

gewesen, und das ist

schon bemerkenswert.

Dieser Aufbruch ins Neue,

der auch den Frauen in

der Zeit – und nur in dieser

Zeit – die Möglichkeit gegeben

hat, selbst tätig zu

werden, ist eine unglaubliche

Phase der Freiheit.

TULGA BEYERLE Ich finde den

Auf bruch ins Neue in

verschiedenster Form das

Spannendste am Jugendstil

und dieser Zeit. Dieses

Sich-Befreien von der

Vergangenheit kreiert einen

neuen Stil, den es zuvor

nicht gegeben hat. Damit

entstand eine neue Gestaltungswelt,

aber auch

eine neue Lebensform für

viele Menschen. Der

Jugendstil ist ja auch eng mit

der Lebensreformbewegung

verknüpft. Es hat aber

auch etwas grenzenlos

Naives, weil man geglaubt

hat, die Industrialisierung sozusagen lenken

zu können. Das war letztlich nicht der Fall.

Aber dieser Auf bruch ins Neue, der eben

auch den Frauen in der Zeit – und nur in dieser

Zeit – die Möglichkeit gegeben hat,

selbst tätig zu werden, sowohl in der Ausbildung

als auch in der Tätigkeit, das ist

eine unglaubliche Phase der Freiheit. Diese

FOTO: KUNSTHALLE MÜNCHEN

Übrigens sind sie alle miteinander dann in

der Kunstgeschichte verschwunden. Die

Männer ihrer Zeit haben dann eben über die

Männer geschrieben.

BAUMEISTER Was macht denn für Sie als

Designer den Jugendstil heute so spannend,

Herr Sperlein?

Der Designer Bodo Sperlein ist

bekannt für seine Arbeiten

in verschiedenen Disziplinen.

Für die Münchner Kunsthalle hat

er die Ausstellungsgestaltung

„Jugendstil. Made in Munich“

mitsamt dem Entwurf der Sitzbänke

übernommen.

WEITER

27


Eine leuchtende unterirdische

Welt in Rottönen: Hier gibt

es 200 Stellplätze für Fahrräder

jeder Art – seien es Citybikes,

Rennräder, Mountainbikes,

BMX, E-Bikes, Lastenräder

oder auch E-Scooter,

Segways und Skateboards.


STANDORT

Bike Parking,

Das Center am Potsdamer Platz,

Berlin

BAUHERR

Oxford Properties Group;

Norges Bank Investment

Management

ARCHITEKTUR

Kinzo, Berlin

AUSBAU

MWWM Ausbau GmbH,

Dresden

AUSFÜHRUNGSPLANUNG UND BAULEITUNG

Aukett + Heese, Berlin

MOBILITÄTSKONZEPT

Buro Happold

PROJEKTSTEUERUNG

SMV

FERTIGSTELLUNG

Oktober

2024

Räder gegen

den Leerstand

A R C H I T E K T U R

Kinzo

TEXT

Florian Heilmeyer

FOTOS

Schnepp Renou

Der Potsdamer Platz sollte einst glanzvolle Mitte

des neuen Nach-Mauerfall-Berlins werden, doch heute

breiten sich dort Leerstand und Tristesse aus.

Seit 2022 stemmt sich das Architekturbüro Kinzo mit

kleineren Interventionen und viel Erfindungsreichtum

dagegen. Jetzt haben sie eine leerstehende,

unterirdische Einkaufspassage in einen heiteren

Stellplatz für Fahrräder verwandelt.

39


Der Potsdamer Platz ist noch nicht einmal 25 Jahre alt und

steckt bereits in einer handfesten Krise. Die schlecht

besuchte Shopping Mall ist zum Food Court umgebaut, das

Multiplexkino und das Imax im ehemaligen Sony-Center

sind geschlossen, die Deutsche Kinemathek geflohen, der

Mietvertrag der Berlinale für den sogenannten „Berlinale-

Palast“ läuft aus. Auch Büros und Wohnungen finden immer

schwerer neue Abnehmer. Immerhin ist das Legoland

noch da. Sony selbst hatte sein deutsches Hauptquartier im

immer noch strahlend schönen Glaspalast von Helmut Jahn

bereits 2008 an ein schwer durchschaubares Geflecht

internationaler Investmentkonzerne verkauft. Der Verkaufspreis

soll niedriger gewesen sein als das, was Sony 2000 für

die Neubauten ausgegeben hatte. Bloß weg hier. Die Süddeutsche

Zeitung sah 2023 „Verfallszustände von leerstehenden

Läden unter Zweitwohnungen, in denen man nie

Licht sieht.“ Das Magazin Cicero empfand den Potsdamer

Platz 2024 sogar als „Prototyp einer urbanen Wüste“ –

was wirklich lustig ist, denn genau das war der Potsdamer

Platz ja zu Mauerzeiten wirklich. Jetzt also schon wieder?

REVITALISIERUNG IN KLEINEN SCHRITTEN

Nein, sagt ein kanadisches Immobilienunternehmen, das

zwar in Toronto sitzt, sich aber dennoch „Oxford Properties“

nennt. Seit 2017 ist es Eigentümer des Centers am

Potsdamer Platz, wie das Sony-Center heute heißt. Jetzt

wird umgebaut. Von 200 Millionen Euro ist die Rede, die in

eine umfassende Revitalisierung investiert werden sollen.

Die Gebäude sollen nachhaltiger und effizienter werden,

die Nutzungsmischung besser austariert. New Work soll

Platz finden, das bedeutet Räume für Co-Working, Lounges

und allerlei Angebote für Mitarbeitende, die der Potsdamer

Platz bislang glaubte, nicht nötig zu haben.

Erschließung

Fahrradparkplätze

Werkstatt

Schließfächer

Nebenräume (Technikfläche, Stauraum)

WEITER

43


Seit 2022 ist das Berliner Architekturbüro Kinzo mit einem

Teil der Umbauten beauftragt. Dabei sind vor allem die

Schnittf lächen zur Umgebung in den Fokus gerückt. Der

Glaspalast soll sich besser zur Umgebung öffnen. So wurden

zum Beispiel in drei der hohen Zwischenräume, die sich

zwischen äußerer Glasfassade und der Stahlbetonkonstruktion

der Gebäude ergeben, begrünte Arbeits- und

Pausenräume mit Bänken, Treppen, Balkonen und Arbeitsnischen

eingerichtet. Als dritte Maßnahme wurde jetzt

ein unterirdischer, gebogener Verbindungstunnel zwischen

dem Center und dem Bahnhof Potsdamer Platz in einen

Abstellraum für über 200 Fahrräder verwandelt.

Es ist beeindruckend, mit welcher gestalterischen Freude

Kinzo diesem Un-Ort zu Leibe rückte. Sie haben aus dem

gebogenen Tunnel-Stummel, der vorne und hinten von

automatischen Glasschiebetüren und halben Treppen

begrenzt wird, alle Einbauten entfernt. Dann haben sie den

leeren Raum in zwei Farben gestrichen, die eine Hälfte in

einem fröhlichen Blaubeer-Lila, die andere in einem kräftigen

Rot. Mit Metallrosten in den gleichen Farben haben sie

Schotten geschaffen, in denen die Fahrräder an verschiedenen

Wandbefestigungen angeschlossen werden können.

Für wertvollere Drahtesel gibt es kostenpflichtige Schließfächer,

alle anderen Stellplätze sind kostenfrei. Auf die

halben Treppen am Tunnelanfang und -ende wurden hilfreiche

Fahrradschienen aufgeschraubt: Abwärts bremsen

Bürsten den Schwung der Fahrräder, aufwärts helfen

schmale Laufbänder – es sind Produkte aus den Niederlanden,

wo man sich mit kluger Infrastruktur für Fahrräder immer

noch drastisch besser auskennt als hierzulande. Allein

die Tatsache, dass man beim Bau des Potsdamer Platzes vor

25 Jahren kaum einen Gedanken an eine umfangreichere

Infrastruktur für Nicht-Autofahrer dachte, spricht hier Bände.

ROTVIOLETTE RÖHRE

In die Metallgitter sind Leuchtstoffröhren eingelassen. Das

ergibt in der gebogenen Reihe den Eindruck eines ziemlich

futuristischen, gekrümmten Raums, dessen Ende erst

in Sicht kommt, wenn man sich hindurchbewegt wie in einer

Filmsequenz, wahlweise vielleicht aus Stanley Kubricks

2001 oder dem Maschinenraum des Raumschiffs Enterprise.

Man habe die Krümmung des Tunnels als gestalterisches

Thema aufgegriffen, sagen Kinzo. Dazu wollte man

das Gefühl schaffen, dass die Passanten und Nutzer hier in

eine fremde, fröhliche Welt eintauchen können, so wie

Alice im Wunderland beim Fall durch den Kaninchenbau.

Das ist gelungen, und mit erfreulich wenig Mitteln sogar,

was beweist, dass die große Mobilitätswende vielleicht mit

vielen kleinen Schritten vorangebracht werden kann. Das

wird umso klarer, wenn man nur wenige Meter weiter wieder

in die graue Tristesse des Potsdamer Platzes eintauchen

muss.

44 B5 / 25 – DESIGN IMPULS IDEEN INSPIRATION


STANDORT

The Council

(Salon du Cigare),

INNENRARCHITEKTUR

Herzog & de Meuron, Basel

Z U SA M M E NARBE I T M I T

Esther Lattner, Keramikerin, Basel,

und Herzog & de Meuron

HOLZPANEELE

Karl Bucher AG,

Goldau, Schweiz

Hotel „Les Trois Rois“,

Basel

KERAMIKELEMENTE

Kunstbetrieb AG

Münchenstein, Schweiz

ENTWICKLUNG

Jacques Herzog

FERTIGSTELLUNG

Oktober 2024

Kaminzimmer

I N N E N A R C H I T E K T U R

Herzog & de Meuron

Mehrere Räume im Annex des Nobelhotels

„Les Trois Rois“ in Basel direkt am Rheinufer werden

derzeit vom Büro Herzog & de Meuron renoviert.

Vorab ist schon einmal der Rauchsalon fertiggestellt

worden. „The Council“, wie sich die Zigarrenlounge

nennt, ist nur 40 Quadratmeter groß, doch

durch die Materialwahl entsteht eine besondere,

intime Atmosphäre.

55


Der 40 Quadratmeter kleine Raum wird an zwei gegenüberliegenden

Seiten dominiert von gewaltigen,

sieben Meter hohen Kaminschürzen. Verkleidet sind sie

mit 570 eigens gestalteten Keramikkacheln. Diese Keramikelemente

haben eine Größe etwa 30 x 30 Zentimeter,

wurden individuell geformt und teilweise mit roter und

orangefarbener Glasur überzogen. Die anderen beiden

Wandverkleidungen bestehen aus maßgefertigten, gefrästen

und geflammten Eichenholzplatten; zusätzlich vervollständigen

diese Flächen gegossene, patinierte Bronzeplatten.

Auch auf dem Boden wurden geöltes Eichenparkett

und patinierte Bronzeplatten verlegt.

Der Entwurf der Keramikkacheln stammt von Jacques

Herzog: Jede einzelne Kachel wurde von ihm und dem

Architektenteam handgefertigt und in enger Zusammenarbeit

mit der Keramikerin Esther Lattner und einem

lokalen Kunstbetrieb hergestellt. Rote Samtsofas entlang

der Längswände sowie maßgefertigte Tische und

Hocker aus dunkelbraunem Nussbaumholz wurden von

Herzog & de Meuron entworfen und zusammen mit einem

Mailänder Möbelhersteller umgesetzt. Der Entwurf

für die Tischbeleuchtung stammt ebenfalls von Herzog &

de Meuron. Jacques Herzog beschreibt das Projekt so:

„,The Council‘ ist ein Raum,

in dem geraucht werden

darf – ein eher kleiner,

intimer Raum mit zwei

Cheminées und ringsum

laufendem Sofa. In Form,

Proportionen und Aus-

Stimmiges Ambiente: Die Verkleidung

der Kamine aus

570 individuell geformten Keramikelementen

stammt ebenso

wie Entwürfe für Tische,

Hocker und Leuchten aus dem

Architekturbüro.

stattung unterscheidet er sich von den vertrauten Räumen

im Les Trois Rois. Der Raum besteht aus ungewohnten

und kontrastierenden Materialien, mit Oberflächen,

die man berühren möchte. Alle Elemente wurden eigens

für diesen neuen Ort konzipiert und teilweise sogar von

Hand gefertigt. Ebenso wie die Möblierung mit Tischchen,

Sofas, Hockern und Lämpchen, welche dem Gast Platz

und Raum bieten für eine ganz neue Erfahrung im

Les Trois Rois.“

Die Architekten renovieren mehrere Räume im Hotelanbau

des Les Trois Rois. The Council ist der erste Raum,

der fertiggestellt wurde. Er ist täglich von 12 bis 24 Uhr

für Hotelgäste sowie je nach Verfügbarkeit auch für

Restaurant- und Bargäste geöffnet. Die Erneuerung aller

anderen Räumlichkeiten im Annex ist bis zum Sommer

2025 vorgesehen.

56 B5 / 25 – DESIGN IMPULS IDEEN INSPIRATION

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