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Leseprobe - Albert Knorr

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Qian nickte und wandte seinen Blick wieder dem offenen Meer zu. „Wie kommen Sie mit<br />

den Arbeiten an der Stromversorgung voran?“<br />

„Wir arbeiten daran, Dr. Qian.“<br />

Qian holte deutlich hörbar Luft.<br />

Sein Gegenüber folgte der versteckten Aufforderung und setzte fort: „Die Verkabelung an<br />

Bord ist für unsere sensible Laborausrüstung in vielen Räumen unterdimensioniert. Einige<br />

der Analysegeräte ziehen weit mehr Strom, als der bestehende Kabelquerschnitt zulässt. Für<br />

die Notsysteme müssen wir außerdem komplett neue Leitungen verlegen.“<br />

Der Doktor schwieg, als hätte er gar nicht zugehört. Aber wer Qian kannte, wusste, dass<br />

Meldungen über weitere Verzögerungen ihn nicht kalt ließen. Sein Mitarbeiter tat gut daran,<br />

eine Erfolgsmeldung anzuhängen: „Wir haben aber große Fortschritte bei den<br />

Lüftungsanlagen gemacht. Die Montageteams der unteren Decks haben aufgeholt und<br />

liegen wieder voll im Zeitplan.“<br />

„Noch was?“<br />

Ein eingehender Funkruf ersparte dem Mann, weiter über den Verlauf der Arbeiten zu<br />

berichten – vorläufig.<br />

„Ja? Ja, er steht neben mir. Für Sie.“ Er hielt Qian das Funkgerät hin. Dieser griff gereizt<br />

danach. „Qian hier. Reden Sie.“<br />

Das Gespräch war kurz und verlief sehr einseitig, wenn man von einem zustimmenden<br />

Brummlaut des Doktors absah. Man musste kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass es<br />

keine guten Neuigkeiten waren, nahm der Asiat sie doch ohne den geringsten Ausdruck der<br />

Freude auf.<br />

„Begleiten Sie mich auf Ebene 4!“ Er gab das Funkgerät zurück.<br />

Ebene 4? Die Säureduschen, schoss es seinem Gegenüber durch den Kopf. Sein Gesicht<br />

verlor ein wenig von der Bräune, die es den vergangenen Tagen auf See zu verdanken hatte.<br />

„Klingelt da was bei Ihnen?“, ging Qian auf die sichtbare Reaktion seines Untergebenen ein.<br />

„Wir hatten vorige Woche kleinere Probleme mit den Einstellungen der automatischen<br />

Säureduschen auf Ebene 4. Die Säurekonzentration reichte nicht aus, um alle<br />

Anforderungen der Dekontaminationsprotokolle zu erfüllen.“<br />

Qian setzte sich in Bewegung. „Darüber haben Sie mich gar nicht informiert.“<br />

„Nur ein Programmfehler – wir haben umgehend ein Update eingespielt“, versuchte er den<br />

Doktor zu beruhigen.<br />

„Mussten Sie dazu nicht vorübergehend die Sicherheitsprotokolle außer Kraft setzen?“<br />

„Ja, mussten wir. Aber die Anlage ist noch nicht in Betrieb. Außerdem wurde sie nur mit<br />

der vorgeschriebenen Testmenge des Herstellers befüllt.“<br />

„Für den Elektriker hat diese Testmenge offensichtlich ausgereicht“, stellte Qian fest.<br />

„Wie meinen Sie das?“<br />

„Er soll es Ihnen selbst erklären – falls er noch reden kann, bis wir bei ihm sind.“<br />

Fassungslos schüttelte der Mann den Kopf. „Aber wir hatten die Anlage nach dem Test<br />

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wieder vom Strom genommen. Sie sollte erst nächste Woche mit der neuen Verkabelung<br />

ans Netz gehen.“<br />

„Nun, es sieht so aus, als hätte der Elektriker dies zuerst erledigt.“<br />

***<br />

„Natascha...“, murmelte David Wilder und stellte das Foto seiner Frau zurück auf den<br />

Holztisch. Obwohl einige Zeit vergangen war, fiel es ihm noch immer schwer, seine<br />

Gedanken zu ordnen. Langsam strich er mit der Hand durch sein kurzes dunkelblondes<br />

Haar, das vor allem im Stirnbereich nicht mehr ganz so dicht war wie seine buschigen<br />

Augenbrauen. David stand auf und ging zum Fenster. Er konnte seinen Vorgarten gut<br />

einsehen, ohne den Vorhang bewegen zu müssen. Vorbei an dem herbstlich gefärbten<br />

Nussbaum wanderte sein Blick durch den grobmaschigen Zaun, über die wenig<br />

frequentierte Straße, bis hin zum gegenüberliegenden Gehweg. Ein dunkel gekleideter<br />

Motorradfahrer stellte gerade seine Maschine ab. Er erweckte nicht den Anschein, als hätte<br />

er es eilig, das abgedunkelte Visier zu öffnen oder gar den Helm abzunehmen.<br />

David fühlte sich unwohl. Es war dieses schwer zu beschreibende Gefühl, das einen<br />

beschleicht, wenn man, allen guten Vorbereitungen zum Trotz, letztlich doch auf dem<br />

falschen Fuß erwischt wird. Davids fast verheilte Wunde am Bein schmerzte noch<br />

ausreichend, um ihn den Moment seines Versagens nicht vergessen zu lassen. Er senkte den<br />

Blick und wollte gerade einen Schritt zurücktreten, da erinnerte ihn ein Zupfen an seinem<br />

Hosenbein an eine andere, viel erfreulichere Sache, die er tunlichst nicht vergessen sollte.<br />

Davids Gesichtszüge erhellten sich. „Goliath, wer hat dich denn rausgelassen?“<br />

„Das war ich.“ Hiob betrat, gefolgt von Alon, den Raum. „Ich bin zwar kein Experte für<br />

Kaninchen, aber ich vermute, Ihr weißer Riese hat Hunger.“<br />

Alon Kollek schob sich an dem zwei Meter großen Hiob vorbei in Richtung Kühlschrank.<br />

„Experten sind wir vielleicht nicht, aber wir wissen zumindest schon, dass er lieber frische<br />

Äpfel als eingelegte Zwiebeln mag.“ Seine Hand suchte in den Küchenschubladen nach<br />

einem Obstmesser. David hob Goliath hoch und nahm auf einem der Stühle Platz. „Ich hab’<br />

euch gar nicht kommen gehört.“<br />

„Warst wohl wieder in Gedanken versunken“, deutete Alon mit einer Kopfbewegung auf<br />

Nataschas Foto. David antwortete mit einem Achselzucken.<br />

„Wie lange willst du dir denn noch etwas vormachen, David?“<br />

„Bis ich Gewissheit habe... bis ich...“ Der Rest des Satzes war ein unverständliches<br />

Gemurmel, das im aufgestellten Kragen seines beigefarbenen Trainingsanzugs verstummte.<br />

Alon nickte seufzend, als hätte er keine andere Antwort erwartet. Für ihn stand fest, dass<br />

David sich sein Leben unnötig schwerer machte, als es ohnehin schon war. Wenn ich nur<br />

wüsste, wie ich dir helfen kann, alter Freund. Alon hatte bereits Stunden damit zugebracht<br />

auf David einzureden, um ihm die Sinnlosigkeit seiner Selbstvorwürfe vor Augen zu führen.

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