Esther Ruth Suter: Das Existenzverständnis bei Fritz Buri (Leseprobe)
Esther R. Suter analysiert die Ursprünge liberaler Theologie in der Schweiz, insbesondere die Ausprägung der Berner Schule unter dem Einfluss von Albert Schweitzer, bei Martin Werner und Fritz Buri. Buris Einfluss wirkte bis in die USA, nach Südkorea, Japan und mit dem ökumenischen Aufbruch auch auf progressive Katholiken. Seine theologisch-philosophischen und interreligiösen Überlegungen wurzeln in der Sichtweise Schweitzers, zu dem er eine persönliche Nähe pflegt und mittels einer eigenständigen Deutung von Jaspers’ Existenzphilosophie theologisch eine kritische Distanz einnimmt. Buris Recherchen sind anschlussfähig für grundlegend neue Ansätze in ökologischer Theologie in einer Nähe zur feministischen Theologie, in ethischer Theologie verstanden als Verantwortung für Menschenrechte und für den interreligiösen Dialog, insbesondere den Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus.
Esther R. Suter analysiert die Ursprünge liberaler Theologie in der Schweiz, insbesondere die Ausprägung der Berner Schule unter dem Einfluss von Albert Schweitzer, bei Martin Werner und Fritz Buri. Buris Einfluss wirkte bis in die USA, nach Südkorea, Japan und mit dem ökumenischen Aufbruch auch auf progressive Katholiken. Seine theologisch-philosophischen und interreligiösen Überlegungen wurzeln in der Sichtweise Schweitzers, zu dem er eine persönliche Nähe pflegt und mittels einer eigenständigen Deutung von Jaspers’ Existenzphilosophie theologisch eine kritische Distanz einnimmt. Buris Recherchen sind anschlussfähig für grundlegend neue Ansätze in ökologischer Theologie in einer Nähe zur feministischen Theologie, in ethischer Theologie verstanden als Verantwortung für Menschenrechte und für den interreligiösen Dialog, insbesondere den Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus.
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Esther Ruth Suter
Das Existenzverständnis
bei Fritz Buri
Vorwort
Die vorliegende Untersuchung wurde im Herbstsemester 2019 der Theologischen
Fakultät der Universität Basel als Dissertation eingereicht und das Doktoratskolloquium
fand am 22. Juni 2020 statt, unter Anwesenheit von: Prof. Dr.
Georg Pfleiderer, Prof. Dr. Reinhold Bernhardt, Prof. Dr. Martin Kessler und
Professorin Dr. Andrea Bieler sowie fünf persönlich eingeladenen Gästen (Prof.
Dr. Anton Hügli,Dr. Imelda Abbt, Samuel Buri, Dr. Werner Bucher, Dr. Elisabeth
C. Miescher).
Im Laufe der selten langen Erarbeitung dieser Dissertation, die erst kurz vor
dem Abschluss durch einen kleinen Zuschuss des Dora Sylvia Voegelin-Fonds
finanziell unterstützt wurde,kam es früh zu einem Wechsel des Betreuers. Zuerst
war Prof. Dr. Heinrich Ott (1929–2013) bereit, in Absprache mit Prof. Dr. Fritz
Buri (1907–1995) kurz vor dessen Ableben, die Betreuung zu übernehmen. Nach
der Emeritierung von Prof. Dr. Heinrich Ott übernahm Prof. Dr. Georg Pfleiderer
verdienstvollerweise die Betreuung.
Der erste Arbeitstitel lautete »Selbst und Symbol« und mein ursprüngliches
Vorhaben war, die sich immer deutlicher abzeichnende Orientierung Buris am
interreligiösen Dialog zu berücksichtigen. Davon sind einzelne, gezielte Hinweise
in der Studie weiterhin enthalten. Eine Herausforderung blieb dabei mein eigener
Zugang mit einer überwiegendintuitivenund kreativ-künstlerischen Intelligenz,
deren Eindrücke oftschwer zu verbalisieren sind. Sie hatte sich in der Begegnung
mit Fritz Buri und in der Darstellung und Analyse seiner Werke als hilfreich
erwiesen.
Mein Dank geht als erstes an die Theologische Fakultät in Basel für die
Annahme des Manuskripts als theologische Dissertation. Nach meinen Studien
als Werkstudentininden 1970er Jahren in Basel,München (Ludwig-Maximilians-
Universität undTheologische Hochschule fürPhilosophie SJ), am Ökumenischen
Institut Bossey (Zertifikat der Universität Genf) und vorangehenden Sprachstudien
an der Alliance Française, Paris (Sprachdiplom) und in England (University
of Cambridge, Certificate of Proficiency in English) war es eine Herausforderung,
eine relativ beruhigte und veränderte (theologische) Lage an der Theologischen
Fakultät in Basel vorzufinden. Nur ganz wenige (männliche) Studierende aus der
damaligen bewegten 68er-Generation mit Schweizer Nationalität haben an der
Theologischen Fakultät in Basel promoviert. Ihnen war die damals einflussreiche
Existenzphilosophie vertraut.
Mein aufrichtiger Dank geht daher an Prof. Dr. Georg Pfleiderer, der die
Betreuung von Prof. Dr. Heinrich Ott in spontaner und grosszügiger Weise
übernahm und in der Folge auch eine leicht geänderte thematische Ausrichtung
meiner Studie vorschlug und begleitete, die nun auch im neuen Titel meiner
6 Vorwort
Dissertation zum Ausdruck kommt. Für seine zahlreichen wertvollen Vor- und
Ratschläge sowohl vor der Einreichung der vorliegenden Arbeit als auch nach
dem Kolloquium für die Vornahme einzelner Ergänzungen und Präzisierungen
bin ich ihm ausserordentlich dankbar. Des Weiteren gehtmein Dank an Prof. Dr.
Reinhold Bernhardt, dessen theologische Ausrichtung für mich eine gewisse
Nähe zur liberalen Ausrichtung von Fritz Buridarstellt, indem sie dieÖffnung für
den religiösen Dialog anbietet. Danken möchteich ferner den folgenden früheren
Professor*innen, die während dieses langen, durch Reisen und journalistische
Tätigkeit an internationalen Kongressen unterbrochenen Prozesses der Entstehung,
ihr Wohlwollen ausdrückten: Prof. Dr. RichardFriedli, der Fritz Buridurch
seine frühe und dauernde interkonfessionelle und interreligiöse Zusammenarbeit
im Vorhaben zur Gründung der Schweizerischen Gesellschaft für Religionswissenschaft
(SGR) unterstützte, wie auch Prof. Dr. Rudolf Brändle, Prof. Dr.
Klaus Otte (1935–2020), Prof. Dr. Alfred Jäger (1941–2015), Prof. Dr. Christine
Lienemann, Prof. Dr. Uwe Gerber, Prof. Dr. Werner Zager, sowie Kolleg*innen der
Fritz Buri-Gesellschaft: Pfr. Peter Schulz (1929–2025), Pfr. Günther Hauff (1929–
2020), Dr. Imelda Abbt, Dr. Florian Schuller, Odilo Kaiser OP (1930–2023), Prof.
Dr. Andreas Urs Sommer, Dr. Elisabeth C.Miescher, Prof. Xian-Yong (Richard)
Zhang (China), Prof. Dr. Olivier Millet (Frankreich), Prof. Dr. Unsun Lee und Prof.
Dr. Jong-Bae Lee (Südkorea), sowieallen, die durch ihre hilfreicheDurchsicht und
Korrekturvorschläge zum erfolgreichen Abschluss der Dissertation beigetragen
haben: Prof. Dr. Anton Hügli, Dr. Dr. Heiner Schwenke, Pfr. Dr. Beat Büchi und Dr.
Sibylle von Heydebrand.
Vorder Drucklegung wurde die Dissertation entsprechend den Vorschlägen
und Auflagen der beiden Gutachter Prof. Dr. Georg Pfleiderer und Prof. Dr.
Reinhold Bernhardt nochmals gründlich überarbeitet. Für diese Chance, sowohl
einzelne Textkürzungen vorzunehmen als auch Zitate mit präzisierenden Fussnoten
zu erweitern, bin ich ebenfalls sehr dankbar, weil dadurch die Arbeit
konzentriert und fundiert werden konnte.Denninzwischen ist die systematische
Katalogisierung des Buri-Nachlasses weitgehend abgeschlossen, weshalb diesbezügliche
Signaturen eingefügt werden konnten. Diese überarbeitete Fassung
wurde im März 2024 von der Prüfungs- und Unterrichtskommission (PUK) der
Theologischen Fakultät Basel angenommen. Die nun vorliegende Fassung enthält
wenige sprachliche Korrekturen.
Ein besonderer Dank geht an den Dora Sylvia Voegelin-Fonds für seinen
wertvollen Unterstützungsbeitrag für die Fertigstellung der Dissertation, an den
Verband Schweizer Fachjournalisten SFJ für den grosszügigen Beitrag zum
Druck der Pflichtexemplare für die Universitätsbibliothek, sowie andie Reformierte
Kirche Baselland und anSamuel Buri, deren finanzielle Beiträge die
Veröffentlichung bei der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig ermöglichten.
Inhalt
Siglen – Abkürzungen ....................................... 9
1. Einleitung: Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung .. 13
2. Biografische und theologische Entwicklung bis 1931 im historischen
Umfeld ............................................... 35
2.1 Kinder- und Jugendzeit ................................ 35
2.2 Studienzeit (1926–1931) .............................. 41
2.2.1 Ausgangslage .................................. 43
2.2.2 Studienzeit in Basel und Bern (1926–1929) ........... 54
2.2.2.1 Liberale oder dialektische Theologie? .......... 61
2.2.2.2 Begegnung mit dem freien Protestantismus ..... 69
2.2.2.3 Ausprägung des freien Protestantismus in der
Schweiz ................................. 74
2.2.3 Studienzeit in Marburg (1929) ..................... 80
2.2.4 Apologetisches Seminar in Göttingen und Vikariat in
Wieçbork (Vandsburg) ............................ 82
2.2.5 Studiensemester in Berlin (1929–1930) im
aufkommenden Nationalsozialismus ................. 85
2.2.6 Abschluss in Bern 1930–1931 /Entscheidung für die
liberale Theologie ............................... 87
2.3 »Das Verhältnis von Glaube und Geschichte bei Wilhelm
Herrmann« ......................................... 92
3. VonSchweitzers konsequenter Eschatologie zu Jaspers’
Existenzphilosophie (1931–1952) ........................... 105
3.1 Dissertation (1931–1934) zur Bedeutung der
neuprotestantischen Eschatologie ........................ 115
3.2 Eschatologie, Eschaton und Kairos ....................... 143
3.3 Antrittsvorlesung zu Sein, Sinn und Eschaton/Jakob Wilhelm
Hauer ............................................. 160
3.4 Theologie und Literatur ............................... 172
3.4.1 Clemens Alexandrinus und das altkirchliche Dogma ..... 172
3.4.2 Dichtung, Kunst und Wirklichkeit ................... 183
3.4.3 Zur Kontroverse Barth – Feldmann, 1951 ............. 190
3.4.4 Theologie im Schatten der Diktatur .................. 194
3.5 Albert Schweitzer und Karl Jaspers ...................... 196
3.6 Fritz Buri zu Heinrich Ott und Rudolf Bultmann (Martin
Heidegger) ......................................... 203
3.7 »Theologie zwischen – oder mit Jaspers und Heidegger« ...... 206
8 Inhalt
4. Existenz und Selbstverständnis (1952–1978) .................. 225
4.1 Existenztheologie – ein Vergleich mit Paul Tillich ........... 234
4.2 Theologie der Existenz als Theologie der Gnade ............. 238
4.3 Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens
(Band I) ........................................... 250
4.3.1 Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Offenbarung für
Glauben ...................................... 261
4.3.2 Selbstverständnis ............................... 264
4.3.3 Selbst und Symbol .............................. 266
4.3.3.1 Symbol – Glaube – Transzendenz ............. 267
4.3.3.2 Intoleranz durch Missverstehen des Wesens des
Symbols ................................ 278
4.3.3.3 Echte Toleranz durch rechten Symbolgebrauch ... 279
4.4 Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens
(Band II): Der Mensch und die Gnade (1962) ............... 280
4.4.1 Die Menschwerdung Gottes und die Menschwerdung des
Menschen ..................................... 288
4.4.2 Die Menschheit des Gottmenschen und die Wirklichkeit
menschlichen Personseins ........................ 289
4.4.3 Die Verkehrung der Gottebenbildlichkeit in der Sünde ... 290
4.5 Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens
(Band III): Die Transzendenz der Verantwortung inder
dreifachen Schöpfung des Dreieinigen Gottes ............... 320
4.6 Verantwortung für Erde und Umwelt ..................... 325
4.7 Abschied von der Universität (1978) ..................... 329
5. Interreligiöser Dialog (1978–1989) .......................... 333
6. Ausblick .............................................. 337
7. Bibliographie .......................................... 341
8. Biographische Angaben ................................... 361
1. Einleitung: Forschungsstand und
Fragestellung der Untersuchung
Fritz Buris umfangreiches theologisches Werk ist im deutschen Sprachraum
selten von Fachtheologen rezipiert worden, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit seiner Theologie fand mehrheitlich in Amerika und Fernost sowie
von römisch-katholischer Seite her statt. Dennoch hat Buris Theologie Wirkung
entfaltet, Menschen angesprochen und zum Nachdenken gebracht ineiner Zeit,
in der andere theologische Autoritäten imMittelpunkt des Interesses standen.
Buri erhielt als liberaler Theologe im Jahr 1952 in Basel eine ausserordentliche
Professur. Erst 1968, in seinem 61.Lebensjahr, gestand ihm die Universität und
die Regierung von Basel eine ordentliche Professur – ad personam – zu.
Gründe für Buris mangelnde Akzeptanz in Theologenkreisen können in den
ersten Jahrzehnten seiner gradlinig beginnenden akademischen Laufbahn zusammenhängen
mit der national und international spannungsgeladenen Vor-,
Zwischen- und Nachkriegszeit (1935–1950), in der das Aufwerfen von Grundsatzfragen,
wie es die Theologie der konsequenten Eschatologie mit der These der
ausgebliebenen Parusie darstellt, als Verunsicherung, als Infragestellung wichtiger
christlicherFundamente und als Störunggelten musste. Es war jedoch Buris
Vorhaben, mit einer Neuinterpretation der These Schweitzers von der ausgebliebenen
Parusie eine dauerhafte zukünftige Grundlegung für Christentum und
Religionzuschaffen undeine liberale Theologie als »Theologie der Spannung auf
das Eschaton« 1 zu entwerfen. Ein Anliegen, das er trotz aller Widerstände bis in
seine letzten Jahre verfolgte.
Buri hat sich immer explizit als liberalen Theologen verstanden. Sein
»gläubiger Liberalismus« weise, so Florian Schuller,
1
Buri, Fritz: »Erneuerung der liberalen Theologie als Theologie der Spannung«. Zur
Konferenz freigesinnter Theologen in Arnheim vom 27.7.–2. 8.1936, in: STU 6/1936, 44–
50, 47, vgl. 44.
14 1. Einleitung
»beispielhaft[…]auf Chancen wie Gefahren der theologischen Denkrichtung hin, als
deren Exponent er gilt, und deren Wirkungen und Spuren inzwischen weit über die
klassischerweise als liberal bezeichnete Theologie hinaus anzutreffen sind.« 2
Liberale Theologie ist kein festgelegter Begriff für ein theologisches Programm.
Es lassen sich allerdings grundsätzlicheAnliegen und Selbstdeutungenliberaler
Theologie benennen, so wie ihre Vertreter sie, der Aufklärung verpflichtet,
verstanden haben: Ausgehend von der eigenen Erfahrung sollen Vernunft und
Glaube versöhnt und die Autonomie des Einzelnen der Gemeinschaft vorgeordnet
werden. »Liberale Theologie« stiess spätestens in der Nachkriegszeit der beginnenden
1920er-Jahre in Deutschland durch eine neue dominant werdende
Theologengeneration zunehmend auf Ablehnung 3 .Erst in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts kam es wieder zu Versuchen, liberale Theologie neu zu bestimmen
und den problematischen Begriff »liberal«, der durch jene – sich abgrenzenden
– Theologen erstmals als Paradigma verkehrter Theologie umgedeutet
worden war, positiv zu besetzen.
Eine Neubewertung liberaler Theologie nach 1918 unternahm Matthias
Wolfes (1961–2023) 4 .Erbegründet in seiner umfassenden Studie die Erforschung
der liberalen Theologie nach 1918 als »dringendes Erfordernis der
Theologiegeschichtsschreibung« 5 .Sein Anliegen ist, eine durchgehende Kontinuität
der Geschichte der liberalen Theologie vor und nach dem Ersten Weltkrieg
aufzuzeigen, um den Nachweis zu erbringen,dass einerseits nicht ohne weiteres
von einem Ende der liberalen Theologie gesprochen werden kann und ebenso
wenig von einer epochalen Wende infolge der Erschütterungen, die der Erste
Weltkrieg ausgelöst habe. Wolfes konzentriert sich in seinem Werk auf einzelne
Repräsentanten der »bewegten liberal-theologischen Szenerie der zwei Jahrzehnte
nach 1918« 6 (wie Horst Stephan, Hermann Mulert, Georg Wehrung, Georg
Wobbermin)und deren Fragestellungen. Buri ist in dieser Zeitspanne noch nicht
präsent. Aus diesem Grund kann die vorliegende Untersuchung über das Existenzverständnis
bei Fritz Buri, gerade auch was das erste Drittel des 20. Jahrhundert
angeht, einen weiteren Beitrag leisten zur Aufhellung liberal-theologi-
2
3
4
5
6
Schuller, Florian: Die Gnade der Verantwortung. Wert und Problematik der Theologie
Fritz Buris; unveröffentlichte Dissertationsschrift, eingereicht bei der Pont. Universitas
Gregoriana, Rom 1983, Vorwort, 3.
Vgl. Wolfes, Matthias: Protestantische Theologie und moderne Welt. Studien zur Geschichte
der liberalen Theologie nach 1918, Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York
1999, 13, Anm. 3; vgl. a. a. O., 32; vgl. Nigg, Walter: Geschichte des religiösen Liberalismus.
Entstehung – Blütezeit – Ausklang, Niehans, Zürich 1937, 394f.
Wolfes: Protestantische Theologie, 1.
Ebd.
Ebd.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 15
schen Denkens insbesondere auf einer Linie, die ebenfalls ohne radikalen Bruch,
in Kontinuität mit der grossen neuprotestantischen Tradition der Aufklärung und
des 19. Jahrhunderts, an ihren Wurzeln festhält und kaum Beachtung gefunden
hat.
Frühere Beiträge zu dieser Forschungslücke veröffentlichten folgende Autoren:
Wolfgang Bienert hielt 1983fest, dass »die Erforschung der Geschichteder
evangelischen Kirchen in der Weimarer Republik erst vor wenigen Jahren in ein
neues, entscheidendes Stadium eingetreten« 7 sei. Weiter deutet Wolfgang Sommer
den Zusammenschluss der deutschen Landeskirchen 1922 im»Deutschen
Evangelischen Kirchenbund« – in der Schweiz fand der Zusammenschluss der
Kantonalkirchen zum »Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund« (SEK) 8
1920 statt – als eine Konsolidierungdes kirchlichen Protestantismus und er hebt
die protestantische Gesinnung als eine kulturprägende, durch die Katastrophe
des Ersten Weltkriegs ungebrochene Kraft hervor. Daher stelle der Erste Weltkrieg
keine Zäsur dar 9 .Sommer verweist dabei auf Joachim Mehlhausens »Kirchenkampf
als Identitätssurrogat? Die Verkirchlichung des deutschen Protestantismus
nach 1933« 10 .Ineiner neueren Untersuchung macht Brent A. R. Hege
ebenfalls ein neues Interesse an liberaler Theologie insbesondere in der Zwischenkriegszeit
aus. Die Rede von »radical ›discontinuity‹« 11 ,vorgebracht von
7
8
9
10
11
Bienert, Wolfgang/Strecker, Georg (Hg.): Theologie im 20. Jahrhundert. Stand und
Aufgaben, J.C.B. Mohr UTB 1238, Tübingen 1983.
Als dessen erster Sekretär amtete der ökumenisch ausgerichtete Pfr. Adolf Keller von
1920–1941 in Genf.
Sommer, Wolfgang: »Kontinuität und Diskontinuität im Verhältnis des deutschen Protestantismus
zur säkularen Kultur seit Schleiermacher«, in: Religion und Kultur, Stegemann,
Wolfgang (Hg.), (Theologische Ansätze 4), W. Kohlhammer Stuttgart 2003, 117.
Mehlhausen, Joachim: »Kirchenkampf als Identitätssurrogat? Die Verkirchlichung des
deutschen Protestantismus nach 1933«, in: Graf, Friedrich Wilhelm/Tanner, Klaus (Hg.):
Protestantische Identität heute, Gütersloh 1992, 192–203. Mehlhausen erwähnt als
Erster den Aufsatz von Herbert Marcuse aus dem Jahr 1934 »Die Erhebung der Christen«
(in: Exilzeitschrift »Die Sammlung« Mann, Klaus, Hg.). Marcuse wirft rückblickend in
seiner Autobiographie »Mein zwanzigstes Jahrhundert« von 1960 die Frage auf, »ob und
wie der sogenannte Kirchenkampf der Jahre 1933 und 1934 als Widerstand gegen die
nationalsozialistische Unrechtsherrschaft gedeutet werden dürfe«, 192 (Anm.3). Er
verbindet damit die Anfrage, weshalb es nicht von kirchlicher Seite zu einer Besinnung
auf die elementaren (christlichen) Wahrheiten wie »du sollst nicht töten« oder »liebe
deinen Nächsten wie dich selbst« gekommen sei.
Vgl. Hege, Brent A.R.: »Liberal Theology in the Weimar Era. Schleiermacher and the
Question of Religious Subjectivity in the Methodenstreit between Georg Wobbermin and
Karl Barth«, ThZ 2008, 33–48, 33: »Liberal theology was pronounced dead, slain on the
fields of slaughter in France and Belgium«, 34: »Where once historians of this period
preferred to speak in terms of radical ›discontinuity‹, anew generation of historians is
16 1. Einleitung
Kritikernder liberalen Theologie, werde abgelöst durch eine neue Generation von
Historikern, welche die Epoche der Zwischenkriegszeit auf Hinweise nach
theologischer Kontinuität untersuchen. So erlaube gerade Wolfes’ Werk, für diese
Zeit von einer legitimen theologischen Bewegung zu sprechen anstelle einer
sterbenden Ära.
Weitere Untersuchungen liegen von Georg Pfleiderer 12 und Friedrich Wilhelm
Graf vor. In »Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen
Theologie in der Weimarer Zeit« 13 geht Graf mit seinem Beitrag
»Liberaler Protestantismus und ›Judenfrage‹ nach 1933« 14 auf das Verhältnis liberaler
Theologen zur Bevölkerungsgruppe christlich-jüdischer Herkunft 15 und
ihre Ausgrenzung ein. In»Die Aufgabe des Freien Protestantismus« 16 ,einer
früheren Schrift, hält er fest, dass »die diversen ›liberalen Theologien‹ der
zwanziger, dreissiger und vierziger Jahre keinen Ort« 17 finden ineinem Geschichtsbild,
das die »Theologie des 20. Jahrhunderts« mit dem Protest der
»Frontgeneration« gegen die liberalen Kulturtheologen der Vorkriegszeit einsetzen
lässt. So kommen auch Martin Werner und Fritz Buriunter den genannten
liberalen Universitätstheologen nicht vor. Hingegen werden die Jahrgänge von
Werners Generation – mit Kurt Leese, Theodor Siegfried, Georg Wünsch u. a. – in
der zweiten Ausgabe der RGG (noch) aufgeführt, was eine Fokussierung auf die
Entwicklung in Deutschland bedeuten könnte. Allerdings kommt Theodor
Siegfried inder dritten und vierten Ausgabe der RGG nicht mehr vor.
Lässt sich nun Buris theologische Ausrichtung in der alten liberalen Vorkriegstheologie
verorten? Stellt sie eine Kontinuität und Weiterentwicklung von
12
13
14
15
16
17
investigating the theology of the Weimar era for signs of ›continuity‹ across the chasm of
the First World War«.
Pfleiderer, Georg: Theologie als Wirklichkeitswissenschaft. Studien zum Religionsbegriff
bei Georg Wobbermin, Rudolf Otto, Heinrich Scholz und Max Scheler. Beiträge zur
historischen Theologie 82, J.C.B. Mohr, Tübingen 1992.
Graf, Friedrich Wilhelm: Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen
Theologie in der Weimarer Zeit, Mohr Siebeck, Tübingen 2011.
Graf, Friedrich Wilhelm: »›Wirkonnten dem Rad nicht in die Speichen fallen‹. Liberaler
Protestantismus und ›Judenfrage‹ nach 1933«, in: Ders.: Der heilige Zeitgeist, 483–507;
s. auch in: Kaiser, Jochen-Christoph et al.: Der Holocaust und die Protestanten. Analysen
einer Verstrickung. Konfession und Gesellschaft. Beiträge zur kirchlichen Zeitgeschichte,
Bd. 1, Frankfurt a.M. 1988, 151–185.
Graf: Zeitgeist, 489.
Graf, Friedrich Wilhelm: »Die Aufgabe des Freien Protestantismus«. Ein unbekanntes
Memorandum Theodor Siegfrieds aus dem Jahre 1946, in: Mehlhausen, Joachim (Hg.): …
und über Barmen hinaus. Festschrift für Carsten Nicolaisen. Studien zur kirchlichen
Zeitgeschichte«, Göttingen 1995, 499–529, 500.
Graf, ebd.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 17
liberaler Theologie oder einen neuen Ansatz dar? Könnte die Nichterwähnung
von Buri und der selteneBezug auf Schweitzereventuell auf eineandere, weniger
beachtete Weiterentwicklung liberaler Theologie verweisen? Den in der wissenschaftlichen
Forschung liberaler Theologie selten rezipierten Ansatz
Schweitzers versuchtBuri weiter zu verfolgen und somit liberale Theologie weiter
zu denken. Er sieht es als seine Aufgabe, Schweitzers Ansätze weiterzuführen
und damit dessen These als einen Neuansatz liberaler Theologie, unbeirrt von
einem sich wendenden Zeitgeist, aufzuzeigen 18 .
Dies führt zur ersten Fragestellung: Welches Problem möchte Buri lösen,
inwieweit gelingt ihm das und wohin führt es ihn? Wie wandelt sich dabei sein
eigener ursprünglicher Ansatz?
Zur Phasierung
Verschiedene Phasen von Buris theologischer Entwicklung und Auseinandersetzung
haben in der Forschung Beachtung gefunden und sind auch als biografische
Abschnitte wahrgenommenworden, wie folgendeBeispieleillustrieren.
Harold H. Oliver (1931–2011) skizziert Buris theologische Entwicklung in
seinem Beitrag »Fritz Buri: AChronology of his Theologizing« 19 .Erstellt darin
Buris Theologie als eine »liberale christliche Theologie« vor und unterscheidet
zwei Phasen seiner intellektuellen Biographie: die erste Phase um 1934 mit
seiner Dissertation, die Oliver mit »From Lebensvollendung and Sinnverwirklichung
to Existenz«oder »The Search for aLiberal Dogmatic Principle« bezeichnet,
und die zweite ab 1954, im Hinblick auf den entstehenden dritten Band von Buris
»Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens«: »From Existenz
through Selbstverständnis to Sein«, oder, »The Implementation of the Liberal
Dogmatic Principle« 20 .
Der katholische Ordensangehörige Franz Konrad (1934–2005) teilt die geschichtlichen
Entwicklungsphasen von Buris Theologie anhand seines Offenbarungsverständnisses
in vier Phasen ein im Zeitraum von 1935 bis 1970, und
bezieht sich dabei auf Aussagen Buris, der sein Leben selbst in verschiedene
Stadien seiner theologischen Entwicklung eingeteilt hat wie: Enteschatologisie-
18
19
20
Vgl. Buri, Fritz: »Old and New Liberalism in Swiss Theology«, in: Crozer Quarterly, July
1951 Vol. XXVIII No 3, 227–231; Buri, Fritz: Christlicher Glaube in dieser Zeit, Bern/
Stuttgart 1952; Buri, Fritz: Christian Faith in Our Time, übers. Kent, Edward Allen, The
Macmillan Company, New York 1966.
Oliver, Harold H.: »Fritz Buri: AChronology of his Theologizing«, in: Journal of Bible and
Religion, October 1966, Bd 34, No 4, 346–357.
A.a. O., 346 f.
18 1. Einleitung
rung, Entkerygmatisierung, Theologie der Existenz 21 bis zur Dogmatik als
Selbstverständnis des christlichen Glaubens. Doch entschliesst sich Konrad zu
einer anderen Einteilung mit der Begründung, damit dem positiven Anliegen von
Buris Theologie besser gerechtzuwerden:»Im Banne Albert Schweitzers und der
›konsequenten Eschatologie‹« 22 ;»Auf der Suche nach dem wahren Selbst- und
Weltverständnis« 23 ;»Der neue erkenntnistheoretische Ansatz« 24 und »Dogmatik
als Selbstverständnis des christlichen Glaubens« 25 .
Der katholische Theologe Florian Schuller (1946) stellt in »Die Gnade der
Verantwortung. Wert und Problematik der Theologie Fritz Buris« Buris Lebenswerk
von 1935 bis 1978 dar (bis und mit Erscheinen des dritten und letzten
Bands der Dogmatik).
Die katholische Theologin und Philosophin Imelda Abbt (1937) hingegen teilt
Buris Werdegang in die Phasen »Tradition – Christus – Existenz« ein, wobei sie,
um sein Christus-Verständnis hervorzuheben,seine wissenschaftliche Herkunft
und seine theologischen und denkerischenVoraussetzungen einbezieht. Sie stellt
Buri als systematischen Theologen dar, der mit seinem ganzen theologischen
Schaffen von Existenz ausgeht und alle Fragen von Existenz her löst als konsequent
durchgehaltenen individuell-existenziellen Ansatz 26 .
Die nachstehende Einteilung der intellektuellen Vita Buris für diese Studie
zum »Existenzverständnis« ist vor allem themenorientiert und gliedert sich in
vier Lebensphasen. Sie können als theologische Entscheidungs- und Entwicklungsphasen
verstanden werden.
I1907–1931:
II 1931–1952:
III 1952–1978:
IV 1978–1989:
Kinder-, Jugend- und Studienzeit
VonSchweitzers konsequenter Eschatologie zu Jaspers’
Existenzphilosophie
Existenz und Selbstverständnis
Interreligiöser Dialog
I. Die erste Phase der Jugendzeit, die Buri in seiner Autobiographie »Mein Weg«
(1990) recht eingehend beschrieben hat, ist von jenen früheren Beurteiler*Innen
21
22
23
24
25
26
Konrad, Franz: »Das Offenbarungsverständnis Fritz Buris« in: Das Offenbarungsverständnis
in der evangelischen Theologie, Fries, Heinrich (Hg.), Beiträge zur ökumenischen
Theologie, Band 6, Verlag Hueber, München 1971, 143–276, 145; Buri, Fritz:
Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens, Bd. I, 1956, 3.
Konrad: Offenbarungsverständnis, 146.
A.a. O., 151.
A.a. O., 158.
A.a. O., 162.
Vgl. Abbt, Imelda: Das Christusverständnis bei Fritz Buri: Tradition – Christus – Existenz,
Herbert Reich Evangelischer Verlag GmbH, Hamburg-Bergstedt 1977, 17.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 19
ausser Acht gelassen worden (weil diese Autobiographie noch nicht existierte).
Sie erhält hier genügend Raum, um die Einflüsse, denen Buri ausgesetzt war,
besser zu kennen und seinen Werdegang zu verstehen. Verschiedene Manuskripte
und biographische Texte Buris aus dem Nachlass dienten dazu als Unterlagen.
II. Die zweite Phase beinhaltet Buris theologische Grundlegung in zunehmender
Abgrenzung zur dialektischen Theologie und zu deutsch-völkischen
Einflüssen.Die Verfolgung einer liberalen Linie bringt Buris Haltung deutlich ans
Licht: Abgrenzung geschieht in der gründlichen (wissenschaftlichen) Auseinandersetzung
und im »Gespräch«. Diese Art von Auseinandersetzung kann
teilweise als »Vorform« von interreligiösem Gespräch gesehen werden. Ausgehend
von protestantischer Tradition ist seine liberale Suchbewegung nicht an
dogmatische Vorgaben gebunden – ohne dass er diese ablehnt oder ausschliesst –
sondern er räumt ihnen wie Schweitzer und Werner einen eigenen Stellenwert
ein.
Diese zweite Phase erhält neben der theologischen Ausrichtung an
Schweitzer (Dissertation) eine Vertiefung in die Philosophie von Karl Jaspers, in
dessen Existenz- und Chiffernverständnis. So hat die Arbeit am Nachlass mit
unveröffentlichten Dokumenten (Vorlesungen u. a.) ergeben, dass Buris Lektüre
von Jaspers’ Werken bedeutend früher anzusetzen ist, vermutlich angeregt durch
das Beispiel seines Lehrers Martin Werner. Es kann davon ausgegangen werden
(entgegen Konrad, Schuller u. a.), dass BuriJaspers’ Werk »Die geistige Situation
der Zeit« (1931) bald nach Erscheinen der fünften Auflage (1933) gelesen hat.
Dasselbe gilt für andere Werke Jaspers’. Diese Vermutung wird bestätigt durch
Buris eigenen Verweis in »Dogmatik im Dialog« Band I(1973):
»Schon gleich nach ihrem Erscheinen behandelte ich Karl Jaspers’ ›Philosophie‹
(1932) in einer Vorlesung und konfrontierte sie mit derjenigen Schweitzers.« 27
Während dem Zweiten Weltkrieg und bedingt durch zunehmende Isolierung liberaler
Theologie wendet er sich vor allem zeitkritischer deutschsprachiger Literatur
und Belletristik zu, um deren religiösen Gehalt, selbst noch unter dem
Einfluss von Schweitzers Theologie stehend, hervorzuheben 28 .Für sein Werk
27
28
Buri, Fritz/Lochman, Jan Milic/Ott, Heinrich (Hg.): Dogmatik im Dialog, Band I: Die
Kirche und die Letzten Dinge, Mohn, Gütersloh 1973, 8; ein erstes Vorlesungsdokument,
in dem Jaspers erwähnt wird, datiert in die beginnende Lehrtätigkeit Buris als Privatdozent
(ab 1935) an der Volkshochschule in Bern, s. das Vorlesungsmanuskript zu
»Existenzphilosophie und Theologie« vom SS 1937, UBH NL 348 L5:605.
Die Lektüre von Büchern spielten für Buri eine grosse Rolle, er versetzte sich jeweils auf
den neusten Forschungsstand, verfasste nicht nur »unzählige Artikel und Rezensionen
und zahlreiche kleinere Veröffentlichungen« (MW77) zu theologischen und philoso-
20 1. Einleitung
»Prometheus und Christus. Grösse und Grenzen von Carl Spittelers Weltanschauung«
29 (1945) erhielt Buri als Auszeichnung die Haller-Medaille der Universität
Bern 30 .
Im Jahr 1952 ernennt ihn die Theologische Fakultät in Basel zum ausserordentlichen
Professor für Systematische Theologie, obwohl Karl Barth dies zu
verhindern versucht hatte. Inseiner Antrittsvorlesung über das Verhältnis von
»Theologie und Philosophie« 31 stellt er eine Verbindung zwischen den zwei
Disziplinen Theologie und Philosophie her, die ihn zu Kritik an Bultmanns
existentialen Ansatz veranlasst. Buri ist bestrebt, mit Jaspers über Bultmann
hinauszugelangen und eine eigentliche innere Nähe der Theologie zur Philosophie
herzustellen. Als logische Folge führt er in seinem Artikel »Entmythologisierung
oder Entkerygmatisierung der Theologie?« 32 desselben Jahres die Entmythologisierung
Bultmanns weiter bis zur Entkerygmatisierung als für ihn
konsequenten Schritt im Sinne der Enteschatologisierung: Die neutestamentliche
Botschaft wird durch den tatsächlichen uneschatologischen Geschichtsverlauf
immer weiter umgedeutet. Beide Veröffentlichungen machen Buri sowohl auf
katholischer Seite als auch später,nach ihrer Übersetzung ins Englische, in den
USA bekannt. Entkerygmatisierung wurde jedoch zuerst fälschlicherweise oftals
Radikalisierung von Bultmanns Entmythologisierungsprogramm verstanden im
Sinne einer Selbstpreisgabe des Christentums. Buri wollte hingegen, anders als
Bultmann, nicht auf den Mythos verzichten, sondern ihn neu zur Geltungbringen
als »symbolkräftigen Ausdruck des Selbstverständnisses eigentlicher Existenz«
33 .
Die Ambivalenz zur dialektischen Theologie bleibt bestehen. Buris fortlaufende
Rezensionen der Bände der Kirchlichen Dogmatik Barths in der National
29
30
31
32
33
phischen Themen für Tageszeitungen und Zeitschriften, sondern ging gelegentlich
darüber hinaus in Bereiche der (Welt)Literatur und Kunst. Einige Male nahm er Stellung
zu umstrittenen zeitkritischen Werken, Theaterstücken (Rolf Hochhuth »Der Stellvertreter,
Harold Pinter »Die Heimkehr«, oder zu Friedrich Dürrenmatts Werk »Die Physiker«
u. a.) sowie kulturellen Anlässen.
Buri, Fritz: Prometheus und Christus. Grösse und Grenzen von Carl Spittelers religiöser
Weltanschauung, A. Francke AG, Bern 1945.
Haller Medaille der Universität Bern, wird seit 1809 an Persönlichkeiten verliehen,
welche in Durchgehung der bernischen Schulen und Akademien sich durch Aufführung,
Fleiss und Talente am meisten ausgezeichnet und ihre hiesigen Studien vollendet haben.
Buri, Fritz: »Theologie und Philosophie«, Antrittsvorlesung an der Universität Basel vom
8. 2. 1952, ThZ 8, 1952, 116–134.
Buri, Fritz: »Entmythologisierung oder Entkerygmatisierung der Theologie?«, in: Bartsch,
H.W. (Hg.), Kerygma und Mythos II, Diskussionen und Stimmen zum Problem der
Entmythologisierung, Hamburg 1952, 85–101.
Ebd.; auch in: ThV: »Entmythologisierung oder Entkerygmatisierung?«, 39–56, 54.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 21
Zeitung und die Auseinandersetzung mit der dialektischen Theologie 34 jedoch
»blieben […] auch nicht ohne positive Einflüsse der Kritisierten« 35 auf seine
Theologie, wie er später festhielt. Günther Hauff hielt im Vorwort »Zur Theologie
der Verantwortung« 36 (1971) diesen Wandel fest: Burihabe mit der Theologie der
Existenz in den folgenden Jahren eine existentielle Christozentrik verbunden,in
der die Barthschen Anliegen in neuer Form aufgenommen wurden.
III. Die weitere Phasierung ist hier nicht soeindeutig: Einerseits erhält Buri
im 1952 einen Lehrauftrag in Basel als ausserordentlicher Professor, ein einschneidendes
biografisches und berufliches Moment. Anderseits markiert das
Datum 1954 die Publikation eines weiteren Hauptwerks, das auf einen neuen
inhaltlichen Schwerpunkt verweist: »Theologie der Existenz«. In der Verfolgung
seines eigenen Weges bedeutet diese Publikation zugleich einen Höhepunkt
seines theologischen Schaffens, dem schon 1956, darauf aufbauend, der erste
Band der »Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens« 37 zu Vernunft
und Offenbarung folgt. Der zweite Band von Dogmatik als Selbstverständnis
des christlichen Glaubens trägt den Titel »Der Mensch und die Gnade«.
Das Werk erscheint 1962. Zwischen Vortragsreisen 38 während eines siebenmonatigen
Aufenthalts in den USA ander Drew University (1966/67) und den
Danforth Lectures 1969/1970 an der International ChristianUniversity in Tokio
entwirftBuri (1968) den dritten Band der Dogmatik. Er veröffentlichtdazu für die
geplante Japanreise als provisorische Zwischenlösung einige zusammengefasste
Vorlesungen mit dem Titel »Der Pantokrator. Ontologie und Eschatologie als
Grundlage der Lehre von Gott« 39 .
34
35
36
37
38
39
Vorallem äusserte er sich zu Werken von Vertretern der dialektischen Theologie, rezensierte
mit Schärfe insbesondere Neuerscheinungen von Karl Barths »Kirchlichen
Dogmatik«. Das Einnehmen einer kontroversen Sichtweise und Stellungnahme dazu
zeichnet seine Haltung aus. Buri führte in allem Respekt vor seinen Gegnern kontroverse
Auseinandersetzungen mit klaren, theologisch fundierten Argumenten.
DD Bd. I, 8.
Vgl. ThV: Vorwort, 5.
Buri, Fritz: Dogmatik als Selbstverständnis des christlichen Glaubens. Band I: Vernunft
und Offenbarung, Verlag Paul Haupt, Bern 1956.
Buri, Fritz: »Das Problem des ungegenständlichen Denkens und Redens in der heutigen
Theologie«, Vortrag an der 2 nd Drew Consultation, 9.–11. April 1964, anschliessend an
der Perkins School of Theology, Southern Methodist University (Dallas/Texas), Divinity
School der Yale University (New Haven/Conn,), in: ZThK 61.Jg. 1964 Heft3,Nov. 1964,
353–371.
Buri, Fritz: Der Pantokrator. Ontologie und Eschatologie als Grundlage der Lehre von
Gott, Theologische Forschung. Wissenschaftliche Beiträge zur kirchlich-evangelischen
Lehre, Herbert Reich – Evangelischer Verlag GmbH, Hamburg-Bergstedt 1969.
22 1. Einleitung
Buri erhält einen dreisemestrigen (wegen Studentenunruhen verlängerten)
Lehrauftrag (1969–1971) im Haus der Begegnung in Kyoto. Durch seine periodische
Vortragstätigkeit in den USA von Anfang sechziger bis Mitte achtziger
Jahre und zwei Gastprofessuren (M2 – Drew University, Syracuse University) 40
kommt es zur kritischen Auseinandersetzung und Rezeption seiner Theologie
durch Charley D. Hardwick, Schubert M. Ogden, VanA.Harvey, John Macquarrie
und Harold H. Oliver u. a. Seine zahlreichen Vortragsreisen und Aufenthalte
schlagen sich nieder in zwei Publikationen zur liberalen Theologie in den USA:
Gott in Amerika I: Amerikanische Theologie seit 1960 (1970) und Gott in Amerika
II: Religion, Theologie und Philosophie seit 1969 (1972). Buri beginnt erstmals
auf die Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs hinzuweisen. In dieser Zeit
gewinnt für ihn ebenfalls der Verantwortungsbegriff an Bedeutung im Hinblick
auf die aufkommende ökologische Frage und Problematik. So wird »[d]ie
Transzendenz der Verantwortung inder dreifachen Schöpfung des dreieinigen
Gottes« zum Schwerpunkt des dritten Bandes seiner Dogmatik als Selbstverständnis
des christlichen Glaubens (1978).
Eine neue Ära an Zusammenarbeit an der Fakultät beginnt für ihn mit den
gemeinsam gestaltetenDogmatikvorlesungen mit den beiden Kollegen Jan Milic
Lochman und Heinrich Ott und der gemeinsamen Herausgabe der drei Bände
»Dogmatik imDialog« 41 (M1).
Die Abschiedsvorlesung 1978 zu»Theologische Ethik und ethische Theologie«
42 (1978) bedeutet den Abschied vom Lehramt, das Buri bis zum siebzigsten
Lebensjahr – damals üblich an der Theologischen Fakultät – ausübte.
IV. Die vierte Lebensphase ist thematisch geprägt durch den interreligiösen
Dialog und weitereAuslandreisen. Durch die Einladung der Japan Foundation als
Fellow 1978–79 nach Kyoto erhielt Buri die Gelegenheit, sich mit der buddhistischen
Geisteswelt in Japan, Korea, Taiwan und Indien zu befassen und dies mit
Vorlesungen in Korea zu verbinden und nach Indien zu reisen. Er erwähnt eine
40
41
42
Erster Amerikaaufenthalt (s. Tagebuch Amerikareise 29.6.–2. 8. 1951, UBH NL 348 W
5:1001); Buri, Fritz: »Mit dem Weltbund in Amerika«, SRV 13.10. 1951; »Avec l‘I.A.R.I. en
Amérique«; Le Protestant 15. 10.1951; Old and New Liberalism in Swiss Theology,
Crozer Quartery, July 1951, Vol. XXVIII No.3, 227–231; Weitere Aufenthalte: 1964 2 nd
Drew Consultation on Hermeneutics (M1); 1966/67 Gastprofessur an der Drew University,
Madison, N.J.; (M1); 1971 Gastprofessur am Religious Department der Syracuse
University, N.Y.; 1980 Vorlesungen auf Hawaii und in Winnipeg; 1982 Gastprofessur an
der Iliff School of Theology in Denver, Colorado;1984 und 1985 Vorlesungen an Kongressen
in Chicago und Anaheim, CA.
Buri, Fritz/Ott, Heinrich/Lochman, Jan Milic (Hg.): Dogmatik im Dialog, Band I – III, Gerd
Mohn, Gütersloh 1973, 1974, 1976.
Buri, Fritz: Theologische Ethik und ethische Theologie. Abschiedsvorlesung vom 22.2.
1978 Universität Basel, in: ZEE 22 (1978), 262–274.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 23
reiche Förderung in diesem Dialog der Religionen in Kongressen auf Hawaii
(1980 und 1984) sowie an der Philosophisch-theologischen Hochschule in
Mödling bei Wien.
»Tatsächlich halte ich die Ausweitung der Theologie zu einer Religionswissenschaft
und Religionsphilosophie universalen Ausmasses für eine Notwendigkeit ihres
Weiterbestandes.« (M3) 43
1980 hielt er VorlesungeninWinnipeg (Canada)und 1981 folgte eine Reise nach
China.
Aus diesen Erfahrungen und Gesprächen entsteht das letzte Hauptwerk»Der
Buddha-Christus als der Herr des wahren Selbst. Die Religionsphilosophie der
Kyoto-Schule und das Christentum (1982) 44 .Buri betreut Doktorandinnen und
Doktoranden, die aus Südkorea und Japan in die Schweiz kamen, regt sie zum
interreligiösen Dialog an und vertieft selbst seine Kenntnisse asiatischer Kultur
und Philosophie.
Eine weitere Gastprofessur übernimmt Buri an der Iliff School of Theology in
Denver,Colorado (1982) mit zwei Vorlesungsreihen (M3) 45 .Darauf folgt 1983 ein
dritter Korea- und Japanaufenthalt. 1984 und 1985 hält er Vorlesungen an
Kongressen in Chicago und in Anaheim, CA 46 .1986 bietet erinBasel an der
Volkshochschule Kurse zu »Chinesische(r) Philosophie« an. Eine geplante Vortragsreise
an die Generalversammlung des Reformierten Weltbundes 1989 in
Seoul (Südkorea) hat Buri aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr angetreten.
Bis heute ist die letzte Phase seines Lebens mit dem Schwerpunkt des interreligiösen
Dialogs noch nicht eingehend ausgewertet worden. Günther Hauff
hielt 1987 in»Verantwortung übernehmen« 47 deren Bedeutung im Zusammenhang
mit der Veröffentlichungvon »Der Buddha-Christus als der Herr des wahren
Selbst« fest:
43
44
45
46
47
Buri, Fritz: »The Significance of the Problem of Being and Meaning for Cross-cultural
Religious Understanding«, in: International Christian University Mitaka Tokyo Publication
IV-B Humanities Christianity and Culture, February 14, 1980, 1–21.
Buri, Fritz: Der Buddha-Christus als der Herr des wahren Selbst. Die Religionsphilosophie
der Kyoto-Schule und das Christentum, Paul Haupt, Bern 1982.
Buri, Fritz: »Trinity and Personality«, in: Iliff Review, Vol. XXXX, No. 1, Winter 1983, 15–
24; ders.: »Theological Ethics and Ethical Theology«, a. a. O., 25–36.
Buri, Fritz: »Das Sinn-Sein-Problem in heutiger amerikanischer Imaginations- und
Prozess-Theologie«, in: ThZ Jg. 42, Basel 1986, 46–65.
Hauff, Günther: Verantwortung übernehmen. Ein Lesebuch – Fritz Buri, Bern/Tübingen
1987.
24 1. Einleitung
»… [D]a wurde deutlich, wie eine solche Bemühung um echtes Gespräch und auch um
Verständigung in einem gemeinsamen Grundanliegen überhaupt nur möglich ist auf
dem Boden einer »Theologie des Selbstverständnisses«, die nicht an den unterschiedlichen
religiösen Ausdrucksformen scheitert, sondern sie durchsichtig macht
für das Verbindende. Spätestens jetzt musste einem aufgehen, wie bedeutsam Buris
Denken für die Zukunft des interreligiösen Gesprächs in einer kleiner werdenden
Welt sein könnte.« 48
Eine mögliche Studie zum interreligiösen Dialog (1978–1989) könnte folgende
Themen umfassen in chronologischer Reihenfolge: – Erste Japanreise; – Der
Begriff der Gnade bei Paulus, Shinran undLuther; – Das Selbst und das Nichts; –
Zen-Buddhismus und die Kyoto-Schule; – Der Buddha-Christus als der Herr des
wahren Selbst; – Konfuzianismus und chinesisches Denken; – Gotthelf und
Konfuzius; – Interreligiöser Dialog in Südkorea heute/Der Wert von Buris Existenzverständnis:
Lee Jongbae und Lee Unsunn; – Interreligiöser Dialog mit
Buddhismus/Quantenphysik – Harold H. Oliver; – Ethik im Zeichen von Taound
Kreuz.
Es gibt wenig Sekundärliteratur über die theologische Forschungsarbeit von
Buri. Bisherige Arbeiten von Doktorandinnen und Doktoranden im In- und
Ausland enthalten jedoch wertvolle(weiterführende) Hinweise. Buri äussert sich
selbst in »Mein Weg« über die, »allerdings nicht sehr zahlreichen, dafür aber
anspruchsvollen und qualitativ hochstehenden Dissertationen« (MW104). Spätestens
nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist ein Interesse auf katholischer
Seite an Buris Theologie zu verzeichnen.Als einer der ersten Katholiken befasste
sich Franz Konrad in seiner Dissertation: »Das Offenbarungsverständnis in der
evangelischen Theologie« 49 ,eingehend mit Buris Offenbarungsverständnis und
hebt die »Offenbarungsfrage« 50 als roten Faden hervor, an der »eineerstaunliche
Kontinuität und Folgerichtigkeit seines theologischen Bemühens sichtbar« 51
werde. Er begründet seine von Heinrich Fries angeregte Studie über Buri damit,
dass dessen Beitrag zur Entmythologisierungsdebatte mit »Entmythologisierung
oder Entkerygmatisierung der Theologie?« das zeitlicherste Beispiel sei »dafür, in
48
49
50
51
Ebd., 151.
Konrad, Franz: »Das Offenbarungsverständnis Fritz Buris«, in: Das Offenbarungsverständnis
in der evangelischen Theologie, 1971.Diese Öffnung von katholischer Seite geht
u. a. auf Heinrich Fries (1911–1998) zurück, der 1964 in München das Institut für
ökumenische Theologie aufbaute und nach der Einrichtung einer evangelisch-theologischen
Fakultät 1967 in Wolfhart Pannenberg den geeigneten Kollegen und Gesprächspartner
für die wissenschaftliche Diskussion und die Ausbildung der Studierenden
in ökumenischen Fragen fand.
Konrad: Offenbarungsverständnis, 145.
Ebd.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 25
welchem Masse die durch Bultmann aufgeworfene bzw. durch ihn neu ins Bewusstsein
gehobene Problematik schon bald zu Lösungen drängte, die in ihrer
Radikalität erheblich über Bultmann hinausführten« 52 .Allerdings dürfte nicht
zutreffen, dass »die radikalste Fortführung« 53 von Bultmanns Standpunkt von
Herbert Braun geleistet werde, dessenTheologie letztlich stärker als Buris in der
Kontinuität von Bultmann stehe. Konrad greift inseiner Studie bewusst auf
gegensätzliche Positionen zurück und stellt weitere Vergleiche – neben Buri – mit
Rudolf Bultmann, Wolfhart Pannenberg und Paul Althaus an: Die »Theologie
Buris [kann] auf die Situationder evangelischen Theologie der Gegenwart und auf
die Fragen nach dem Wesen der christlichen Offenbarung das schärfere Licht
werfen« 54 .Ausserdem ist Konrad von der inneren Geschlossenheit und systematischen
Einheit der Konzeption Buris überzeugt, »die im umgekehrten Verhältnis
zu der ihr bisher gewidmeten Aufmerksamkeit steht und dass hier eine
ebenso systematische wie behutsame Begründung von theologischen Positionen
versucht wird, die heute zwar weit verbreitet, aber viel weniger gut begründet
sind, als es in der Theologie Buris der Fall ist« 55 .Buri hebt diese Würdigung von
Konrad, in einer Linie mit Bultmann und Pannenberg zu stehen, in einem Brief
hervor und kommentiert: »… und dass Sie dabei […] die grosse Entscheidung
zwischen Pannenberg und mir […] sehen, das hat mich mit grosser Genugtuung
erfreut« 56 .
Imelda Abbt schrieb eine monographische Studie über: »Tradition – Christus
– Existenz. Das Christusverständnis Fritz Buris« 57 .Darin hob sie den »programmatischen«
Ansatz von Buris Theologie, die Theologie der Existenzals »sui
generis« 58 ,als dem Existenzdenken verpflichtet, hervor. Dieser liegt die Frage
zugrunde: Wie soll auf Grund der These von der ausgebliebenen Parusie eine
christologische Theologie möglich sein? Laut Abbt gibt Buri »nicht nur existenzielle
Antworten auf einzelne Fragen, sein existenzieller Ansatz ist in allen seinen
Veröffentlichungen bruchlos durchgehalten, ob es sich um systematische Werke,
Aufsätze, Rezensionen, Vorträge oder Predigten handelt.« 59 […]Ergeht »in seinem
52
53
54
55
56
57
58
59
A.a. O., 34.
Vgl. a. a. O., 34.
Ebd.
A.a. O., 35.
Brief Buri an Konrad vom 3.12.71, ebd.: »Auf der Gesprächsebene, die Sie mit Ihrer
Darstellung zubereitet haben, scheint mir eine wirkliche Begegnung der Traditionen
nicht nur möglich, sondern auch fruchtbar und zukunftsverheissend zu sein«, UBH NL
348 V3:983.
Abbt: Christusverständnis, 1977.
A.a. O., 17.
A.a. O., 9.
26 1. Einleitung
ganzen theologischen Schaffen von Existenz« 60 aus undlöst »alle Fragen im Lichte
von ›Existenz‹« 61 .Ihre Untersuchung belegt, dass Buri ein eigenes Christusverständnis
entwickelt hat. Für Imelda Abbt wie für Andreas Urs Sommerbedeutet
Buris existenziell-kritisches Theologisieren, »alles Vordergründige, auch das
theologische – auf den dahinterstehenden Sinn hin« 62 zu befragen, den Zeitgeist
kritisch beobachtend, ohne von diesem bestimmt zu sein.
Florian Schuller bezieht sich in seiner umfangreichen und ausführlichen
Dissertation: »Die Gnade der Verantwortung. Wert und Problematik der Theologie
Fritz Buris« (1983) vor allem auf die Entwicklungdes Verantwortungsbegriffs bei
Buri, wie er ihn im dritten und letzten Band seiner »Dogmatik als Selbstverständnis
des Glaubens« (1978) entfaltete. Mit Schullers Arbeit hat Buris Verständnis
von Verantwortung Würdigung und Beachtung gefunden. Gleichzeitig
gelang es Schuller, Missverständnisse, die Buris Schrift »Entmythologisierung
oder Entkerygmatisierung der Theologie?« 63 (1952) ausgelöst hatte, und welche
durch die Übersetzung auch im englischen Sprachraum verbreitet wurden, zu
überprüfen, richtigzustellen und somit als unhaltbar zubegründen.
Als eine Weiterführung von Buris Theologie kann die Dissertation des lutherischen
Theologen Gert Hummel (1933–2004): »Die Begegnungen zwischen
Philosophie und evangelischer Theologie im 20. Jahrhundert« (1989) 64 angesehen
werden. Für Hummel wird Buris theologisches Lebenswerk seine »ganze
Fruchtbarkeitwohl erst in der Zukunfterweisen«. 65 Da Hummels Werk zu einem
späteren Zeitpunkt erschien, haben weder Schuller noch Abbt sich darauf beziehen
können.
Die (unveröffentlichte) Lizentiatsarbeit des katholischen Philosophen Dominik
Schmidig (Pont. Universitas Gregoriana) zu »Motivum fidei bei Fritz Buri«
ist ein weiteres Beispiel der Auseinandersetzung auf katholischer Seite mit reformierter
Theologie in den siebziger Jahren. Für dieses katholische Interesse an
Buris Theologie stand vor allem Pater Wilhelm Klein SJ (1890–1996) Pate,der als
Studentenseelsorger nicht nur Schmidig, sondern laut Peter Lengsfeld auch
60
61
62
63
64
65
Ebd.
Ebd.
A.a. O., 9; Schulz, Peter/Sommer, Andreas Urs: Fritz Buri: Sein Weg. Leben – Denken –
Glauben, V&R unipress, Academic Press, Fribourg 2007, 9.
Buri, Fritz: »Entmythologisierung oder Entkerygmatisierung der Theologie?«, in: Bartsch,
H. W. (Hg.): Kerygma und Mythos, Herbert Reich. Evangelischer Verlag, Hamburg 1952,
85–101.
Hummel, Gert: Die Begegnungen zwischen Philosophie und evangelischer Theologie im
20. Jahrhundert, (Die philosophischen Bemühungen des 20. Jahrhunderts): §9Existenz-
Theologie, 3. Glaube als Selbstverständnis, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt
1989, 297–332.
A.a. O., 297.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 27
weiteren Studenten riet, zu Buri zu gehen als einem originellen Denker, der noch
radikaler sei als Bultmann (nach dessen eigenen Aussagen, 1996) 66 .
In den USA verfolgte Schubert M. Ogden Buris Linie weiter in seiner Dissertation
über Bultmann »Christ Without Myth.AStudy Based on the Theologyof
Rudolf Bultmann« 67 (1961). Charley D. Hardwick erwähnt in seiner Dissertation:
»Faith and Objectivity. Fritz Buri and the Hermeneutical Foundation of Radical
Theology« 68 (Den Hag 1971, 1972) zwei seiner Arbeitzugrundeliegende Artikel:
von E. A. Allen »A New Liberal Theology; Fritz Buri of Basel« 69 und Harold H.
Oliver »Fritz Buri. AChronology of his Theologizing« 70 ,sowie zwei Bücher, in
denen einige Seiten der Theologie Buris gewidmet sind: von John Macquarrie
»The Scope of Demythologizing« 71 ,und von Schubert M. Ogden »Christ without
Myth« 72 .Hardwick stellt die Entwicklung von Buris Theologie dar, indem er
immanente Kritik ander Existenztheologie übt, für die ihm Buri der einzige
Repräsentant zu sein scheint. Donald F. Dreisbach greift diese Debatte Jahre
später auf und versucht eineKlärung der offenen Fragen zwischen Hardwick und
Buri zu bringenmit seiner Stellungnahme »On the Hermeneutic of Symbols. The
Buri-Hardwick Debate«, enthalten in der Festschrift für Hans Joachim Stoebe
1979 73 .
Harold H. Oliver studierte Theologie u. a. in Deutschland undinder Schweiz.
Buri verdankt diesem Schüler einige Übersetzungen vom Deutschen ins Englische,
zum Beispiel die Werke »Theology of Existence« 74 (Theologie der Existenz)
und »The BuddhaChrist as the Lord of the True Self. The Religious Philosophy of
66
67
68
69
70
71
72
73
74
Lengsfeld, Peter: Interview in: Bulletin No. 2der Internationalen Fritz Buri-Gesellschaft
für Denken und Glauben im Welthorizont, 1999, 70–78; Briefwechsel Klein-Buri, von
1967–1989, s. UBH NL 348 V3:982–986.
Ogden, Schubert M.: Christ Without Myth. AStudy Based on the Theology of Rudolf
Bultmann, Southern Methodist University Press, 1961 and Harper &Brothers Publishers,
New York 1961.
Hardwick, Charley D.: Faith and Objectivity. Fritz Buri and the Hermeneutical Foundation
of Radical Theology, Den Haag 1971, 1972.
Allen, E. A.: »A New Liberal Theology; Fritz Buri of Basel«, in: Religion in Life, XXX, No 2,
Spring 1961, 209–218.
Oliver, Harold H.: »Fritz Buri. AChronology of his Theologizing«, in: Journal of Bible and
Religion, XXXIV No 4October 1966, 346–357.
Macquarrie, John: The Scope of Demythologizing. Bultmann and his critics, SCM Press,
London 1960, 128–153ff.
Ogden, Schubert M.: Christ without Myth.
Dreisbach, Donald F.: »On the Hermeneutic of Symbols. The Buri-Hardwick Debate«, in:
Festgabe für Hans Joachim Stoebe zum 70. Geburtstag, ThZ Jg. 35, 1979, Reinhardt, Basel
1979, 290–299.
Buri, Fritz: Theology of Existence, übers. Harold H. Oliver/G. Onder, The Attic Press,
Greenwood, S.C. 1965.
28 1. Einleitung
the Kyoto School and Christianity by Fritz Buri« 75 (Der Buddha-Christus als der
Herr des wahren Selbst), das 1997 erschien. Damit trug Oliver ebenfalls bewusst
zur Korrektur einer einseitigen Rezeption bei, die Buris Beitrag »Entmythologisierung
oder Entkerygmatisierung der Theologie?« (auch) in den USA ausgelöst
hatte, indem Oliver auf Buris theologische Weiterentwicklung hinwies 76 .Erfolgt
Buris Rat, sich für den (beginnenden) interreligiösen Dialog zu öffnen und verweist
in einer späteren Schaffensphase auf Buri, um zu begründen, wie er selbst
über den interreligiösen Dialog zur weiterführenden Auseinandersetzung mit
Quantenphysik gelangt sei 77 .
Weiter ist Alfred Jäger (1941–2015) zu erwähnen, Doktorand und Habilitand
von Buri, der an seine Dissertation »Reich ohne Gott. Zur Eschatologie Ernst
Blochs« 78 (1969) die Habilitationsschrift »Gott: nochmals Martin Heidegger« 79
(1978) anschloss.
Werner Sommer (1946), Doktorand von Buri, verfasste eine Dissertation zu
»Der menschliche Gott JohannPeterHebels. Die Theologie Johann PeterHebels« 80
(1972).
Günther Hauff, Vikar bei Buri inden fünfziger Jahren, veröffentlichte eine
Textsammlung mit Schriften Buris im Sammelband »Zur Theologie der Verantwortung«
81 (1971). Eine thematisch angeordnete kurze Fassung einiger Schriften
stellt sein Lesebuch »Fritz Buri. Verantwortung übernehmen« 82 (1987) dar. Imelda
Abbt und Alfred Jäger gaben zum 80. Geburtstag Buris eine Festschrift
heraus: »Weltoffenheit des christlichen Glaubens. Fritz Buri zu ehren« 83 (1987),
deren Beiträge die theologischen Auseinandersetzungen widerspiegeln und
75
76
77
78
79
80
81
82
83
Buri, Fritz: The Buddha Christ as the Lord of the True Self. The Religious Philosophy of the
Kyoto School and Christianity by Fritz Buri, übers. Harold H. Oliver, Mercer University
Press, Macon, Georgia 1997.
Oliver, Harold H.: »Fritz Buri. AChronology of his Theologizing«, in: Journal of Bible and
Religion, XXXIV No 4October 1966, 346–357, 350.
Oliver, Harold H.: ARelational Metaphysic, Studies in Philosophy and Religion, Volume
4, Martinus Nijhoff Publishers, Boston 1981; ders.: Relatedness. Essays in Metaphysics
and Theology, Mercer University Press, Macon, Georgia 1984.
Jäger, Alfred: Reich ohne Gott. Zur Eschatologie Ernst Blochs, tvz-Verlag Zürich 1969.
Jäger, Alfred: Gott: nochmals Martin Heidegger, J.C.B. Mohr, Tübingen 1978.
Sommer, Werner: Der menschliche Gott Johann Peter Hebels. Die Theologie Johann Peter
Hebels, Herbert Lang Verlag, Bern 1972.
Hauff, Günther (Hg.): Fritz Buri – Zur Theologie der Verantwortung, Verlag Paul Haupt,
Bern/Stuttgart 1971.
Hauff, Günther (Hg.): Verantwortung übernehmen. Ein Lesebuch – Fritz Buri, Verlag Paul
Haupt, Bern 1987.
Abbt/Jäger (Hg.): Weltoffenheit des christlichen Glaubens. Fritz Buri zu ehren, (Festschrift
zum 80. Geburtstag), Verlag Paul Haupt, Bern 1987.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 29
welche eine nahezu vollständige Bibliographie der Schriften Buris bis zum Jahr
1987 enthält.
Für den interreligiösen Dialog sind vor allem Buris erste koreanische Doktoranden,
das Ehepaar Pyun Sun Hwan und Pyun-Shin Ock-Hee zu erwähnen, die
1976 an der theologischen Fakultät in Basel ihre Dissertationen abschlossen:
Pyun-Shin Ock-Hee über »The Understanding of Faith in Wonhyo and Karl Jaspers
and its Significance for the Christian FaithinKorea« 84 und Pyun Sun Hwan über:
»The Problem of the Finality of Christ in the Perspective of Christian-Encounter:
Carl Michalson and Sei-Ichi Yagi« 85 .Seine letzten koreanischen Doktoranden in
den achtziger Jahren, das Ehepaar Lee Jung Bae und Lee Un-Sunn, forschten über
»Strukturenund Problemedes Neukonfuzianismus und des Neuprotestantismus
im Blick auf die Indigenisation des Christentums in Korea« 86 und »Die religiöse
Grundlage der Menschenbildung bei H. Pestalozzi und Wang Yang-Ming« 87 .Un-
Sunn Lee hat nach Buris TodinSüdkorea eine zweite Dissertation zu asiatischer
und feministischer asiatischer Philosophie verfasst. Dazu verwendete sie u. a.
Materialien aus Buris Bibliothek zu chinesischer Philosophie. Zu erwähnen sind
zum interreligiösen Dialog noch die Dissertation von Max Burkolter-Trachsel
über »Der Drache: Das Symbol und der Mensch« 88 (1981), sowie die Lizentiatsarbeit
in Vergleichenden Religionswissenschaften von Elsbeth Steiner: »Auseinandersetzung
mit Religion amBeispiel von Fritz Buri und Keiji Nishitani« 89 ,
eingereicht 2006 an der Philosophischen Fakultät Fribourg bei Richard Friedli.
Bezug auf Buris Arbeiten nahmen an der Theologischen Fakultät in Basel in
ihrer Dissertation der Koreaner Lee WonJae »Transzendenzerfahrung bei Karl
Jaspers und Gotteserfahrung bei Choe Su Un im Hinblick auf die Religionstheologie
in Korea« 90 ,(Ohsungverlag, Seoul, Korea, 2001) und der Japaner Kasai
84
85
86
87
88
89
90
Pyun-Shin, Ock-Hee: The Understanding of Faith in Wonhyo and Karl Jaspers and its
Significance for the Christian Faith in Korea, Hochschulschrift, Basel 1976.
Pyun, Sun Hwan: The Problem of the Finality of Christ in the Perspective of Christian-
Encounter: Carl Michalson and Sei-Ichi Yagi, Hochschulschrift, Basel 1976.
Lee, Jung Bae: Strukturen und Probleme des Neukonfuzianismus und des Neuprotestantismus
im Blick auf die Indigenisation des Christentums in Korea, Hochschulschrift,
Basel 1986.
Lee, Un-Sunn: Die religiöse Grundlage der Menschenbildung bei H. Pestalozzi und Wang
Yang-Ming. Ein Bemühen um eine Grundlegung der Ethik anhand ihrer Lehre vom
Menschen und dessen Bildung, Hochschulschrift, Basel 1987.
Burkolter-Trachsel, Max: Der Drache, das Symbol und der Mensch, Paul Haupt, Bern
1981.
Steiner, Elsbeth: Auseinandersetzung mit Religion am Beispiel von Fritz Buri und Keiji
Nishitani, Hochschulschrift, Fribourg 2006.
Lee, WonJae: Transzendenzerfahrung bei Karl Jaspers und Gotteserfahrung bei Choe Su
Un im Hinblick auf die Religionstheologie in Korea, Ohsungverlag, Seoul (Korea) 2001.
30 1. Einleitung
Keiji zu »Die Bedeutung des Christentums in der heutigen Welt bei Albert
Schweitzer und Paul Tillich« 91 (1980). Klaus Otte (1935–2020), ehemaliger
Doktorand von Heinrich Ott, bezieht sich in seinen späteren Studien und Forschungen
zum interreligiösen Dialog auf Buri.
Als eines der letzten, noch zu Lebzeiten Buris entstandenes Werk, ist Ulrich
Körtners Habilitationsschrift »Weltangst und Weltende« 92 zu Apokalyptik und
Eschatologie zu nennen, die unter Alfred Jägers Obhut entstand. Körtner verstand
sein Werk in sachlicher Hinsicht als weiterführende Auseinandersetzung mit
Overbeck und Schweitzer, unter Bezug auf Buris Dissertation zum Verständnis
von Eschatologie.
Ehemalige Schülerinnen und Schüler gingen davon aus, dass Buris theologische
Ansätze und Arbeiten (auch) in Zukunftvon Relevanz sein könnten. Noch
zu Lebzeiten Buris kam unter ehemaligen Studierenden (Peter Schulz, Günther
Hauff) die Idee für die Gründung einer Organisation auf und die »Fritz Buri-
Gesellschaftfür Denken und GlaubenimWelthorizont« wurde ins Leben gerufen
(1995–2008). Heinrich Ott war deren erster Präsident. Im Rahmen ihrer jährlichen
Tagungen hat die Gesellschaft die thematischen Bulletins 1–10 herausgegeben.
An der ersten Tagung von 1996begründete HeinrichOtt das Anliegen so:
»Es gilt nicht nur das zu sehen, was ein Denker in seinem Werk faktisch gesagt
oder nichtgesagt hat, sondern auch über das nachzudenken, was er aus der Kraft
und Fülle seines Ansatzes in einer neuen Fragestellung hätte sagen können. Es
müssen in jedem Fall auch die noch verborgenen Potentiale eines Denkens und
Denkweges bedacht werden« 93 .Ein Vorstandsmitglied der Gesellschaft, Andreas
Urs Sommer, gab den Briefwechsel Schweitzer – Buri heraus 94 .Eine gekürzte,
kommentierte und auf den Punkt gebrachte Ausgabe von Buris unveröffentlichten
Autobiographie »Mein Weg« liegt seit 2007 mit dem gemeinsamen Werk
»Fritz Buri: Sein Weg« der Autoren Peter Schulz (zweiter Präsident der Fritz Buri-
Gesellschaft) und Andreas Urs Sommer vor 95 .
91
92
93
94
95
Kasai, Keiji: Die Bedeutung des Christentums in der heutigen Welt bei Albert Schweitzer
und Paul Tillich, Dissertation Basel, 1977, P.Haupt, Bern 1980.
Körtner, Ulrich H.J.: Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der
Apokalyptik, V&R, Göttingen 1988; Brief U. Körtner an Fritz Buri v. 16.5. 1988, UBH NL
348 V3:986.
Ott, Heinrich: »Was heisst verantwortlich vom Glauben reden?« in: Internationale Fritz
Buri-Gesellschaft für Denken und Glauben im Welthorizont, Bulletin 1, 1998, 13–22.
Sommer, Andreas Urs (Hg.): Albert Schweitzer – Fritz Buri: Existenzphilosophie und
Christentum. Briefe 1935–1964. Eingeleitet und kommentiert von A.U. Sommer, C.H.
Beck Verlag, München 2000.
Schulz, Peter/Sommer, Andreas Urs (Hg.): Fritz Buri: Sein Weg. Leben – Denken –
Glauben, V&R unipress, Göttingen; Academic Press, Fribourg 2007.
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 31
Die vorliegende Studie zum Existenzverständnis bei Fritz Buri stellt die
neuste (und hoffentlich nicht letzte) Auseinandersetzung mit seiner Theologie
dar. Es geht darin um das Aufzeigen möglicher weiterführender Ansätze anhand
des von Buri vorgezeichneten theologischen Weges. Ebenfalls werden der liberaltheologische
Kontext sowie die Relevanz seiner eigenen, auch in Wolfes’
umfassendem Werk nicht erwähnten, Ausrichtung überprüft. Dabei soll Buris
eigener (unabhängiger) Weg als Beispiel hervorgehoben werden, der sich in
seinen ersten Anfängen anAlbert Schweitzer und Martin Werner, bald an Karl
Jaspers orientiert hat und von Rudolf Bultmann und Karl Barth, vor allem in
kritisch abgrenzender Weise, beeinflusst wurde. Die Distanznahme zur dialektischen
Theologie, insbesondere wie sie von Karl Barth und seinen Anhängern
vertreten wurde, setzte bei Buri gegen Ende seines Theologiestudiums ein als
eine zukünftige Weichenstellung. Dennoch kommt es später zu einer gewissen
theologischen Annäherung, die Schuller mit »les extrêmes se touchent« 96 beschreibt.
Ebenfallslässt sich Buri wiederholtdurchPaul Tillich anregen,umseine
eigene Position zuschärfen.
Die Sein-Sinn-Problematik (M3) 97 durchzieht Buris ganzes Denken. Die
vielleicht letzte, undatierte und unveröffentlichte Eigenbewertung von Buri (nach
1982), konzentriert sich auf die wichtigsten Schritte und Einsichten seiner
Theologie und Philosophie als eine Art Vermächtnis. Sie bezieht die in den frühen
1960er Jahren beginnende Thematisierung des interreligiösen Dialogs bzw. der
interkulturellen Begegnung ein:
»Dieses Schema von Sinn und Sein bildet für mich den Einsatzpunkt für das Verständnis
der biblischen, insonderheit der urchristlichen Eschatologie und deren
Geschichte im Christentum, aber auch die Grundlage einer kritischen Verwendung
ihrer Mythologien und Spekulationen als Symbole eigentlichen Selbstverständnisses
und dessen in der Konfrontation mit anderen philosophischen und religiösen Lebensund
Weltanschauungen – einschliesslich der daraus resultierenden Ethik – stets von
neuem zu erweisenden Wahrheit.« (M3, S. 5)
Ebenfalls wird aus diesem unveröffentlichten Dokument ersichtlich, dass Buri
zeitlebens das Verständnis der konsequenten Eschatologie und der Parusieverzögerung
in sein Denken einbezieht, wenn auch nicht als einziges Prinzip:
96
97
Schuller: Gnade, 76–91, 90; vgl. Hauff: »Nachwort«, in: ThV, 381.
Die Anregung zur Sein-Sinn-Frage kam von Martin Werner (Thesen zum Christusproblem,
Bern, 1934; Die Bedeutung der Theologie Albert Schweitzers, in: Martin Werner –
Glaube und Aberglaube, 107) und indirekt von Karl Jaspers; A.U. Sommer: Existenzphilosophie
und Christentum, 42, Anm. 87; Schulz/Sommer: Sein Weg, 38, Anm. 66.
32 1. Einleitung
»Aber wie für das Gelingen des innerchristlichen Gesprächs, so ist auch für das
Zustandekommen einer wirklichen Ökumene von menschheitlichen Ausmassen
unerlässlich die Anerkennung des im Urchristentum nicht vorgesehenen und von
den Kirchen stets in irgendeiner Weise umgedeuteten Faktums der ausgebliebenen
Parusie, das das eigentliche Skandalon des christlichen Glaubens bildet. Wie das
Nichtwahrhabenwollen dieses echten Skandalons des Christentums zu einem Ärgernis
für die Nichtchristen macht, so könnte dessen Anerkennung Menschen verschiedener
Herkunftund Prägung verbinden, weil es darin um das zum Menschsein
schlechthin gehörige Sein-Sinnproblem geht und darin um die wahre Menschwerdung.«
98
Für Buri erhielt schoninseiner Jugendzeitdie Frage grosse Bedeutung: »Warum
ist etwas und nicht nichts?« »Warum ist überhauptSchöpfung?« 99 als Seinsfrage;
oder gelegentlich als Sinnfrage: »Wozu lebe ich überhaupt«? Sie taucht immer
wieder auf, auch in veränderter Form wie – im Hinblick auf »Existenz« – als
religiöse Frage »Wer bin ich«? Was ist »Personwerdung«? Was ist menschliche
Existenz? 100 ;wie baut sie sich auf, konstituiert sie sich, wie versteht sie sich?
Anhand dieser Fragestellungen um »Existenz« wird sich Buris Theologie erschliessen.
Erhat sein theologisches Denken und seinen Werdegang wiederholt
reflektiert und biografisch festgehalten. Besonders ausgeprägt ist dies der Fall in
seiner unveröffentlichten, nach der Emeritierung (1990) entstandenen Autobiographie
»Mein Weg« (MW). Diese Schrift begründete er u. a. als Verstehenshilfe
für
»[d]as Werden meiner theologischen Ansichten, in dem sich ein nicht unbedeutendes
Stück Kirchen- und Theologiegeschichte unseres Jahrhunderts und einige damit
verbundene weltpolitische Ereignisse widerspiegeln.« (MW2)
Diese ausführliche Autobiographie gibt erhellende Hintergründe für gesellschaftliche,historische
und kulturelle Zustände, Entwicklungen und Ereignisse.
Sie schliesst ebenfalls die Ära der dialektischen Theologie aus der Sicht eines
Andersdenkenden und Kritikers ein und erschöpft sich nicht in der chronologischen
Auflistung von Ereignissen und Erfahrungen (wie z.B.einzelne Tageund
Notizbücher Buris 101 ). Buri bezieht sich mit ein mit seinen (auch kritischen)
98
99
100
101
Dieses Zitat ist auch enthalten in: M3, S.6 – Zum Werdegang und Wesen meiner Theologie,
unveröff. o.D., vor 1978, UBH NL 348: C10: 328.
Abbt: Christusverständnis, 59.
Vgl. ebd.
1948 o. Titel, Tagebuch zur dreimonatigen Gastprofessur an der Unitarian International
Summer School, Manchester College, Oxford (23.4.–2.7. 1948), im Besitz von Samuel
Forschungsstand und Fragestellung der Untersuchung 33
Erfahrungen und teils persönlichen Überlegungen, so wie er sich selbst versteht,
als einer, der einer inneren Berufung folgt und auf einen Ruf antwortet: Das zu
werden, wozu er berufen ist, zu werden,was man selbstist. So hat in den Augen
Buris Albert Schweitzer gelebt seine Wahrheit lag in der Bewährung der Existenz:
»Schweitzer hat nicht die Wahrheit für uns – aber in seiner Person ist für uns
Wahrheit« 102 .Sofolgt Buri einem inneren Weg, dem er sich mit seiner Existenz
verpflichtet weiss, sowie er sich selbst versteht. Aus diesem Grunde ist es
sinnvoll, die biografischen Daten in Verbindung mit seinem theologischen
Werdegang zu berücksichtigen. Buri hat einen solchen Zusammenhang selbst
mehrfach ausgesprochenund hergestellt u. a. am Beispiel von Sören Kierkegaard
und der Deutung von Existentialismus (s. Radiosendung 1950) 103 .Durch die
zeitweise Bearbeitung des Nachlasses im Handschriftenarchiv der Universitätsbibliothek
Basel sowie das Sichten eines grossen Bestandes von Büchern aus
dem Besitz Buris, die oftmit Markierungen und Bemerkungen versehensind, war
es möglich, einen privilegierten Einblick in sein Denken und Theologisieren zu
erhalten. Solche Markierungen (in fremden Werken) können oft eine weitere,
wegweisende Spur sein. Persönliche Eindrücke von Person und Mensch Buri
erhielt die Verfasserin noch zur Studienzeit und danach während der restlichen
Jahre seines Lebens und durch ihre Mitarbeit im Vorstand der Fritz Buri-Gesellschaft.
102
103
Buri; 1951 Tagebuch der ersten Amerikareise (29.6.–2. 8. 1951, und Winnipeg-Reise
(15.–24. 8. 1980), UBH NL 348 W5:1001.
Buri, Fritz: Albert Schweitzers Wahrheit in Anfechtung und Bewährung. Festansprache
vom 15. und 18. Januar 1960 in der Technischen Universität Berlin aus Anlass der vom
Senat der Stadt Berlin und von der Deutschen KulturgemeinschaftUrania veranstalteten
Feier zum 85. Geburtstag Albert Schweitzers, in: Ders.: Albert Schweitzers Wahrheit in
Anfechtung und Bewährung. Schriften zur Zeit Nr. 23, Kulturschriftenreihe des Artemis
Verlags, Zürich/Stuttgart 1960.
Buri, Fritz: »Kierkegaard und die heutige Existentialphilosophie«, in: ThZ 7(1951), 55–
65.
Esther R. Suter wuchs in Basel auf, arbeitete als Sekretärin
in Paris, studierte Theologie und Sprachen an den
Universitäten von Basel, München und Genf (Ökumenisches
Institut Bossey). Als Pfarrerin machte sie Erfahrungen
in Krankenhausseelsorge und Gemeindearbeit.
Längere Aufenthalte und Reisen in 30 Ländern mit journalistischen
und fotografischen Aufträgen. Hauptthemen:
Frauen- und Menschenrechte, Religionsfreiheit,
Gerechtigkeit und nukleare Abrüstung. Vertreterin der
International Association for Religious Freedom an der
UNO. Doktorat in Theologie zu »Das Existenzverständnis
bei Fritz Buri«.
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