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Jens Herzer: Die Briefe des Paulus an Timotheus und Titus (Leseprobe)

Die pastoralen Schreiben des Paulus an seine Mitarbeiter gehören zwar nicht zu den zentralen Texten der Paulusüberlieferung, aber genau das macht sie so interessant. Ihre literarische Gestalt, ihr Verhältnis zueinander und immer wieder die Frage nach der Verfasserschaft lassen die Auslegung zu einer Herausforderung werden. Der Kommentar bietet eine bislang einzigartige Perspektive auf die sog. »Pastoralbriefe«. Jenseits der klassischen Positionen, die sie entweder als pseudonymes Corpus pastorale oder alle drei Briefe als authentisch ansehen, werden allein der Titus- und der zweite Timotheusbrief als Schreiben des Apostels im Kontext seiner Biographie verortet und interpretiert, während der erste Timotheusbrief als ein gemeindeleitendes Dokument der Paulustradition des 2. Jahrhunderts ausgelegt wird.

Die pastoralen Schreiben des Paulus an seine Mitarbeiter gehören zwar nicht zu den zentralen Texten der Paulusüberlieferung, aber genau das macht sie so interessant. Ihre literarische Gestalt, ihr Verhältnis zueinander und immer wieder die Frage nach der Verfasserschaft lassen die Auslegung zu einer Herausforderung werden. Der Kommentar bietet eine bislang einzigartige Perspektive auf die sog. »Pastoralbriefe«. Jenseits der klassischen Positionen, die sie entweder als pseudonymes Corpus pastorale oder alle drei Briefe als authentisch ansehen, werden allein der Titus- und der zweite Timotheusbrief als Schreiben des Apostels im Kontext seiner Biographie verortet und interpretiert, während der erste Timotheusbrief als ein gemeindeleitendes Dokument der Paulustradition des 2. Jahrhunderts ausgelegt wird.

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Jens

Herzer

Die Briefe

des Paulus

an Timotheus

und Titus

13

Theologischer

Handkommentar

zum

Neuen Testament



Vorwort

»Das Rätsel, das über diesen Briefen schwebt, hat noch

niemand wirklich gelöst und ist auch mit unseren geschichtlichen

Hilfsmitteln unlösbar.«

(Adolf von Harnack) 1

Dieser Kommentar ist das Ergebnis einer langen Auseinandersetzung mit jenem

Rätsel, von dem Adolf von Harnack spricht, konkret mit den Problemen, welche die

sogenannten Pastoralbriefe seit der neuzeitlichen Bestreitung der paulinischen Autorschaft

der Forschung bereitet haben. Er ist zugleich die Dokumentation eines Prozesses,

in dessen Verlauf der klassisch gewordene Konsens über die Pastoralbriefe

in der Sicht des Autors brüchig geworden ist und neue Zugänge gefunden werden

mussten. Im Verlauf der Jahre waren nicht nur viele Einzelfragen, sondern auch sehr

grundsätzliche Perspektiven neu zu bedenken. Neben den spezifisch wissenschaftlichen

Diskursen wurden die Ergebnisse immer auch in praktisch-theologischen Zusammenhängen,

in Pfarrkonventen, Kirchgemeinden und vor Religionslehrern und

-lehrerinnen vorgetragen und diskutiert. Immer wieder ist deutlich geworden, dass

die Pastoralbriefe aufgrund ihrer Wahrnehmung und Interpretation durch die Forschung

auch in der Praxis als problematisch erscheinen. Dabei spielen etwa Fragen

nach der Pseudepigraphie und ihrer Legitimation im Kontext frühchristlicher Überlieferung

mit ihrem hohen ethischen Anspruch ebenso eine Rolle wie feministischtheologische

Fragestellungen und Aspekte von Gemeindeleitung, Amtsverständnis

und Ämterhierarchien. 2

Zu dem Rätsel, das von Harnack beschreibt, hat die Forschung selbst maßgeblich

beigetragen, indem sie die drei Briefe an Timotheus und Titus von einer Theorie

her interpretiert hat, die ihren Ursprung im Idealismus des 19. Jahrhunderts hat

und nicht von den Texten selbst her begründet wurde. Neben der parallel zu diesem

Interpretationsparadigma verlaufenden und ebenso ideologisch geprägten Verteidigung

ihrer Echtheit hat die sich als kritisch verstehende Forschung den Fehler gemacht,

die von großen Gelehrten wie Ferdinand Christian Baur gesetzte und Heinrich

Julius Holtzmann etablierte Theorie zu übernehmen und anhand der von ihr vorgegebenen

Deutungsperspektive die Texte bloß auf sehr unterschiedliche und zum Teil

gegensätzliche Weise zu erklären, anstatt die Theorie hinsichtlich ihrer Begründung

zu hinterfragen.

Die »Hilfsmittel« von Harnacks waren eben die Mittel der Forschung seiner Zeit

des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Seitdem hat sich die Lage

1

V. Harnack, Briefsammlung 14f.

2

Vgl. den Sammelband Herzer, Vermächtnis, dessen Beiträge einzelne Themen ausführlich behandeln.


VIII

Vorwort

deutlich verändert. Vieles wird differenzierter beurteilt, als dies unter den damaligen

Voraussetzungen möglich war. Manches allerdings (noch) nicht differenziert genug,

wie der aktuelle Forschungsdiskurs zu den Pastoralbriefen zeigt. Der hier unternommene

Versuch versteht sich daher als ein Beitrag, angesichts der nach wie vor als Alternativen

sich gegenüberstehenden Deutungen der Pastoralbriefe entweder als authentische

Briefe des Paulus oder als pseudonymes Corpus pastorale eine andere Gesamtperspektive

vorzuschlagen, die aus meiner Sicht den drei Briefen in ihrer je eigenen

Gestalt gerecht wird und die zugleich das Potential hat, die unglückliche Aporie im

Hinblick auf die Diskussion um Pseudepigraphie im Neuen Testament auf der Grundlage

einer von der Gestalt der Texte her entwickelten Perspektive zu lösen.

Meine Beschäftigung mit den Pastoralbriefen verdanke ich meinem Berliner Lehrer

Christian Wolff (1943–2020) der mich seinerzeit gemeinsam mit Udo Schnelle als

Herausgeber der Reihe des Theologischen Handkommentars mit diesem Projekt beauftragt

hatte. Ohne zu ahnen, was daraus werden würde, habe ich mich darauf eingelassen,

und es hat sich zu einem zunehmend spannender werdenden Unternehmen

entwickelt. Christian Wolff hat das Projekt lange Jahre mit ebenso kritischem wie wohlwollendem

Blick begleitet, konnte seinen Abschluss aber leider nicht mehr erleben.

Die Komplexität der Forschung und die vielen anderen Verpflichtungen im akademischen

Betrieb haben die Fertigstellung immer wieder verzögert. Das gab mir allerdings

auch die Gelegenheit, von Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten

sowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern viel zu lernen, insbesondere in der

Leipziger neutestamentlichen Sozietät. Namentlich nennen will ich an dieser Stelle

stellvertretend Dr. Joram Luttenberger und Dr. Michaela Veit-Engelmann, die sich selbst

erfolgreich an ein Dissertationsprojekt zu den Pastoralbriefen gewagt und immer wieder

auch Teile des Kommentars gelesen und kritisch annotiert haben. Dr. Jan Quenstedt

verdanke ich viele Einsichten in das soziale Alltagsleben der frühen Gemeinden,

die in die Kommentierung eingeflossen sind. Meine langjährige Mitarbeiterin Dr. Nicole

Oesterreich hat mit einem frischen Blick von außerhalb der Pastoralbriefeforschung

kritisch »mitgelesen« und kommentiert. Mit einer Lektüre aus praktisch-theologischer

Perspektive hat das Projekt Herr Pfarrer Dr. Reinhard Simon begleitet, wofür ich ausgesprochen

dankbar bin, weil es zu vielen Klärungen geführt hat. Zu danken habe ich

auch vielen studentischen Hilfskräften, die mich über die Jahre hin unterstützt haben

– auch hier kann ich nur stellvertretend Frau Lena Setzer nennen, die in der letzten

Phase der Kommentierung akribisch Stellen und Zitate überprüft hat. Meiner Sekretärin

Frau Sylvia Kolbe danke für die sorgfältige Durchsicht der Literatur, Frau Eva

Maria Viziotis, meiner jetzigen Mitarbeiterin, für die Unterstützung bei den Korrekturen

in der Phase der Drucklegung. Und schließlich gilt mein Dank der Evangelischen

Verlagsanstalt, namentlich Frau Dr. Annette Weidhas für ihre erstaunliche Geduld mit

dem immer wieder säumigen Autor sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des

Verlags für die professionelle Arbeit bei der Drucklegung.

Leipzig, am Osterfest 2024

Jens Herzer


Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI

Zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Einleitung in die Pastoralbriefe und ihre Erforschung . . . . . . . . . 7

§ 1 Die Pastoralbriefe als Bestandteil des Corpus Paulinum . . . . . . . . . . . . 7

1.1 Die Bezeichnung »Pastoralbriefe« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1.2 Die direkte Bezeugung der Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1.3 Die indirekte Bezeugung der Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

§ 2 Probleme hinsichtlich der Abfassung der Pastoralbriefe . . . . . . . . . . . 13

2.1 Ein kurzer Blick in die ältere Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2.2 Die Pastoralbriefe als authentische Schreiben des Apostels Paulus . . . . 15

2.3 Die Fragmentenhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.4 Die Pastoralbriefe als pseudepigraphische Briefe . . . . . . . . . . . . . . 21

2.4.1 Sprache, Stil und theologischer Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Exkurs 1: Die Pastoralbriefe im Kontext antiker Pseudepigraphie . . . . . 27

2.4.2 Gab es eine Paulusschule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2.4.3 Das literarische Konzept eines Corpus pastorale . . . . . . . . . . . 36

2.5 Die Pastoralbriefe als Einzelschreiben mit individueller Charakteristik. . 38

2.6 Die sachliche Notwendigkeit einer differenzierten Bewertung

der Pastoralbriefe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

2.6.1 Die Gemeinde, ihre Ämter und ihr Ethos. . . . . . . . . . . . . . . . 40

2.6.2 Die Kennzeichnung der Gegner und das Profil der »Irrlehre« . . . . 43

§ 3 Paulus und seine Mitarbeiter Timotheus und Titus . . . . . . . . . . . . . . 47

3.1 Paulus und Timotheus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

3.2 Paulus und Titus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

§ 4 Die Kommentierung der Pastoralbriefe als Einzelschriften . . . . . . . . . 52

Der Titusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Einleitung zum Titusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

§ 1 Aufbau, Inhalt und Genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

§ 2 Abfassungsverhältnisse und Veranlassung des Briefes . . . . . . . . . . . 58

2.1 Kreta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

2.2 Die vorausgesetzte Situation des Titusbriefes . . . . . . . . . . . . . . 60

Exkurs 2: Die Romreise des Paulus im Spiegel der Apg und des Tit . . . . . 64


X

Inhaltsverzeichnis

2.3 Verfasser, Abfassungszeit und -ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

§ 3 Titus als Mandatsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

§ 4 Theologisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

I. Präskript: Der Absender, seine Autorität und die Legitimation

des Adressaten 1,1–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

Exkurs 3: εὐσέβεια in den Pastoralbriefen im Kontext antiker

Moralphilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

II. Hauptteil: Das Mandat des Titus auf Kreta 1,5–3,8 . . . . . . . . . . . . . 86

1. Die Einsetzung von Ältesten 1,5–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Exkurs 4: Zur Interpretation der Wendung μιᾶς γυναικὸς ἀνήρ . . . . . . . . 95

Exkurs 5: »Gesundmachende Lehre« – »gesundmachende Worte« –

»gesunder Glaube« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

2. Warnung vor der Gefährdung durch jüdische Widersacher 1,10–16 . . 107

Exkurs 6: Der Begriff μύθοι in den Pastoralbriefen . . . . . . . . . . . . . . 113

3. Mahnung zur Verantwortung der Generationen füreinander 2,1–10 . . 119

Exkurs 7: Lehrerinnen des Guten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

4. Die Gnade Gottes und die Hoffnung der Glaubenden 2,11–15 . . . . . .130

Exkurs 8: ἐπιφάνεια und σωτήρ in den Pastoralbriefen . . . . . . . . . . . . 144

5. Leben aus Gottes Gnade und Menschenfreundlichkeit 3,1–8 . . . . . . 148

Exkurs 9: Christusglaube und weltliche Herrschaft. . . . . . . . . . . . . .152

Exkurs 10: χρηστότης und φιλανθρωπία als Eigenschaften Gottes und

Herrschertugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

Exkurs 11: Die Taufe als παλιγγενεσία. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .163

Exkurs 12: »Das zuverlässige Wort« – πιστὸς ὁ λόγος . . . . . . . . . . . . .166

6. Warnung vor vergeblichen Auseinandersetzungen 3,9–11. . . . . . . .168

III. Postskript: Anweisungen und gute Wünsche 3,12–15. . . . . . . . . . . .170

Der 2. Timotheusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Einleitung zum 2. Timotheusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .177

§ 1 Aufbau, Inhalt und Genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

Exkurs 13: Der 2Tim und die Abschiedsrede des Paulus in Milet (Apg 20,17–38) 180

§ 2 Abfassungsverhältnisse und Veranlassung des Briefes . . . . . . . . . . . 182

Exkurs 14: Das Ende des Paulus und die These einer zweiten römischen

Gefangenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

§ 3 Timotheus als Vertrauter des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

§ 4 Theologisches Profil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

I. Präskript und Proömium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

1. Präskript 1,1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

2. Proömium: Danksagung 1,3–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195


Inhaltsverzeichnis

XI

Exkurs 15: συνείδησις in den Pastoralbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Exkurs 16: Paulus und die Familie des Timotheus . . . . . . . . . . . . . . 204

II. Hauptteil: Der Auftrag des Timotheus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .209

1. Gottes Gnadengabe und das Evangelium 1,6–14 . . . . . . . . . . . . . 209

Exkurs 17: Das anvertraute Vermächtnis – παραθήκη in

den Pastoralbriefen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .226

2. Treue und Untreue 1,15–2,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .232

2.1 Beispiele von Unzuverlässigkeit und Verlässlichkeit 1,15–18 . . . . 232

2.2 Treue und Leiden nach dem Vorbild des Apostels 2,1–13 . . . . . . 239

3. Streit und Auseinandersetzungen in den Gemeinden 2,14–26 . . . . . 258

3.1 Die Bedeutung der Auferstehungshoffnung 2,14–21 . . . . . . . . .259

Exkurs 18: Zur Genese der Behauptung, »die Auferstehung sei

schon geschehen« (2Tim 2,18) . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

3.2 Die Gefahren der Jugend 2,22–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

4. Warnung vor dem Verfall der Moral in den letzten Zeiten 3,1–17 . . . 282

4.1 Der Widerstand gegen die Wahrheit 3,1–9 . . . . . . . . . . . . . . 282

Exkurs 19: Lasterkataloge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .285

Exkurs 20: Über das Lernen der Frauen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Exkurs 21: Wer sind Jannes und Jambres? . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

4.2 Die Gefahr der Verfolgung 3,10–13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297

4.3 Die Schrift als Grundlage von Glauben und Lehre 3,14–17 . . . . . 301

Exkurs 22: Die Inspiration der Schrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

5. Die Verkündigung des Evangeliums als Schicksal des Paulus 4,1–8 . . 308

5.1 Mahnung zu unerschrockener Verkündigung 4,1–4 . . . . . . . . . 309

5.2 Der gute Kampf des Apostels 4,5–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . .315

III. Postskript: Abschließende Mitteilungen und Grüße 4,9–22 . . . . . . . . 326

1. Persönliche Anweisungen 4,9–15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Exkurs 23: Rollen, Pergamente – und ein Mantel? . . . . . . . . . . . . . .332.

2. Die Erfahrungen des Paulus in der Haft 4,16–18 . . . . . . . . . . . . .339

3. Grüße und gute Wünsche 4,19–22. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .343

Der 1. Timotheusbrief. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .347

Einleitung zum 1. Timotheusbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

§ 1 Aufbau, Inhalt und Genre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .347

§ 2 Abfassungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

2.1 Verfasserfrage und Pseudonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .349

2.2 Die vorausgesetzte Situation, Abfassungszeit und -ort . . . . . . . . . 350

§ 3 Theologisches Profil, Paulusrezeption und intertextuelle Verankerung. .351

Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

I. Präskript 1,1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353

II. Proömium: Die Weisung und das Vorbild des Apostels 1,3–20. . . . . . .356

1. Auftrag und Mahnung I: Die Hausverwaltung Gottes 1,3–11 . . . . . . 357


XII

Inhaltsverzeichnis

2. Danksagung: Der Apostel als »Urbild« des

begnadigten Sünders 1,12–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

3. Auftrag und Mahnung II: Weisung zum konsequenten Einschreiten

anhand eines exemplarischen Problemfalls 1,18–20 . . . . . . . . . . 381

III. Hauptteil: Die Ordnungen der Gemeinde 2,1–6,2. . . . . . . . . . . . . .386

1. Die Fürbitte für alle Menschen und der apostolische Dienst 2,1–7 . . .386

Exkurs 24: Das Ethos »christlicher Bürgerlichkeit« im zeitgenössischen

Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388

2. Männer und Frauen in der Gemeinde 2,8–15 . . . . . . . . . . . . . . 394

2.1 Grundsätzliches zum Verhalten in der Gemeindeöffentlichkeit

2,8–10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

Exkurs 25: Die virtus feminarum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

2.2 Die schöpfungsgemäße Unterordnung der Frau 2,11–15 . . . . . . 398

3. Die Anforderungen an die Verantwortungsträger der

Gemeinde 3,1–13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

3.1 Die Anforderungen an den Leiter der Gemeinde 3,1–7 . . . . . . . 407

3.2 Die Anforderungen an die Gemeindehelfer 3,8–13 . . . . . . . . . 410

4. Die Gemeinde Gottes und ihre Gefährdung 3,14–4,11. . . . . . . . . .414

4.1 Das Wesen der Gemeinde als »Haus Gottes« und ihr

Bekenntnis 3,14–16. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .414

Exkurs 26: Der Gotteshymnus als Bekenntnis der Gemeinde . . . . . . 418

4.2 Die Irrlehren in den letzten Zeiten 4,1–5. . . . . . . . . . . . . . .423

4.3 Die Frömmigkeit und die Verheißung des Lebens 4,6–11 . . . . . 427

5. Das Verhältnis der Generationen und gruppenspezifische

Probleme 4,12–6,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

5.1 Die Autorität des Mitarbeiters und das Presbyterium 4,12–16 . . . 431

Exkurs 27: Handauflegung, Charisma und Ordination. . . . . . . . . .436

5.2 Umgang mit den Generationen 5,1–2 . . . . . . . . . . . . . . . . 442

5.3 Die Wertschätzung und Versorgung der Witwen 5,3–16 . . . . . . 444

5.4 Die Würdigung der Ältesten und der Umgang mit

Verfehlungen 5,17–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

Exkurs 28: Die »doppelte Ehre« der Presbyter . . . . . . . . . . . . . . 457

5.5 Drei Nachträge 5,23–6,2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .462

6. Frömmigkeit, Reichtum und das Ringen um den Glauben 6,3–19 . . .466

6.1 Das Wesen der Frömmigkeit und der Reichtum 6,3–10 . . . . . . 467

6.2 Der gute Kampf und das gute Bekenntnis 6,11–16 . . . . . . . . . 473

6.3 Vom rechten Gebrauch des Reichtums 6,17–19 . . . . . . . . . . . 482

IV. Postskript: Ermutigung und letzte Warnung 6,20–21 . . . . . . . . . . . 485


Zur Einführung

Die pastoralen Schreiben des Paulus an seine Mitarbeiter gehören nicht zu den zentralen

Texten der paulinischen Überlieferung. Genau das macht sie so interessant. Theologisch

relevante Aussagen sind nur hier und da zu finden und geben der Auslegung

ebenso Rätsel auf wie die literarische Gestalt der Briefe insgesamt. Das dem Vorwort

vorangestellte Zitat Adolf von Harnacks bringt dies auf den Punkt. Nicht zuletzt aus diesen

Gründen spielen die Pastoralbriefe weder in der theologischen Ausbildung noch in

der kirchlichen oder gar der lehramtlichen Praxis eine nennenswerte Rolle. 1 So bleibt

die Rezeption der mutmaßlich pseudonymen Briefe – wie sie in der Forschung seit

rund 200 Jahren verstanden werden – in der kirchlichen Praxis eine Herausforderung,

zumal sie aus heutiger Sicht problematische Positionen z. B. zur Rolle von Frauen in

der Gemeinde beziehen (vgl. 1Tim 2,9–15), überhaupt eine verstaubte Ämterhierarchie

zu etablieren scheinen und die Höhen paulinischer Theologie nicht annähernd erreichen.

Heinrich Julius Holtzmann hat dies 1880 in seinem großen und einflussreichen

Kommentar anschaulich auf den Punkt gebracht:

»Man trete an unsere Briefe heran, unmittelbar nach einer gründlichen Lectüre der Römer-,

Galater- oder Korintherbriefe, und das plötzlich veränderte, bedeutend niederer

gestellte Niveau der ganzen Denkart wird sich unabweisbar geltend machen. Zwar kennt

man das Horazische Quandoque bonus dormitat Homerus, man weiss auch, dass Göthe

neben Faust zuweilen ›Quark‹ producirt hat. Aber bei einem so stark ausgeprägten originalen

Geiste wie Paulus erwartet man mit Recht in allen grösseren Auslassungen, die er

schriftlich fixirte, ›seines Geistes einen Hauch zu verspüren‹. Ein Mann, welcher von der

Ursprünglichkeit seines inneren Gehaltes selbst ein so bestimmtes Bewusstsein verräth

(Gal. 1,11f. 2,2f. 2 Kor. 4,2. 11,4), wird Allem, was er in irgend einer Weise amtlich oder

beruflich schreibt, auch den unverkennbaren Stempel seines Geistes aufdrücken. Nun

braucht man aber noch keineswegs der Ansicht Schwalbʼs zu sein, dass nur leeres Stroh

in den Pastoralbriefen stecke, um die auch von ihm concedirten ›Glanzstellen‹ doch als

secundären Charakters, als Nachwirkungen paulinischer Lectüre zu recognosciren und

zu finden, dass in Bezug auf Gewicht des Gehaltes, Grossartigkeit und Geschlossenheit

des Gedankenganges selbst die zweifelhaften Paulinen hoch über jenen stehen.« 2

1

Vgl. in der neuen Perikopenordnung: 1Tim 2,1–6a (Rogate, Reihe V); 1Tim 1,12–17 (3. S. n. Trinitatis,

Reihe I); Tit 3,4–7 (Christfest I, Reihe II); Tit 2,11–14 (Christnacht, Reihe IV); 2Tim 1,7–10 (16.

S. n. Trinitatis, Reihe II); 2Tim 2,8–13 (Osternacht, Reihe II). Hinzu kommen Texte zu Heiligenund

Gedenktagen: 1Tim 6,11–16 (25. Juni, Gedenktag der Augsburger Konfession, Reihe II u. V);

1Tim 3,16 (2. Juli, Tag des Besuchs Marias bei Elisabeth, Reihe I und IV); 1Tim 4,4–5 (Erntedankfest,

Reihe VI); 2Tim 2,8–13 (29. August, Tag der Enthauptung Johannes des Täufers, Reihe III u.

VI); 2Tim 4,5–11 (28. Oktober, Tag des Evangelisten Lukas, Reihe I u. IV).

2

Holtzmann 60f.


2 Zur Einführung

Diese Perspektive hat die Forschung nachhaltig geprägt. Doch ist in den vergangenen

rund drei Jahrzehnten die Auslegung der Pastoralbriefe (im Folgenden: Past) zu einer

neuen und in vieler Hinsicht spannenden Herausforderung geworden. Die im 19. und

frühen 20. Jh. im Anschluss an Ferdinand Christian Baur und Heinrich Julius Holtzmann

entwickelte und seither weithin selbstverständlich gewordene Auffassung, die

drei an die Paulusmitarbeiter Timotheus und Titus adressierten Briefe seien ein pseudepigraphisch

konzipiertes Corpus pastorale, ein literarisches »Triptychon« 3 gleichsam,

verfasst von einem Autor der zweiten oder dritten frühchristlichen Generation, ist auf

unterschiedliche Weisen zu begründen versucht worden. Daneben gab und gibt es

stets Bemühungen, die »Echtheit« der Past, d. h. ihre Abfassung durch den Apostel

Paulus, gegen den starken Konsens über deren Pseudonymität zu verteidigen.

Inzwischen gibt es jedoch Ansätze, die jenseits dieser auf die Echtheitsfrage fokussierten

Alternative eine differenziertere Sicht einfordern. Insbesondere der literarische

Charakter des sog. Corpus pastorale steht auf dem Prüfstand, eine Theorie, die bis in

die Gegenwart weithin zu den selbstverständlichen Voraussetzungen der Past-Exegese

gehört. Schon der vermeintliche Konsens der neuzeitlichen Forschung war und ist keineswegs

homogen, gab (und gibt) es doch stets sowohl in konzeptioneller Hinsicht als

auch in Detailfragen immer wieder unterschiedliche Positionen, die jeweils die Gesamtperspektive

prägen. Deshalb ruft nicht nur die »Beschäftigung mit den Pastoralbriefen

[…] bis heute zwiespältige Gefühle hervor«, 4 sondern auch die Beschäftigung mit der

nicht mehr überschaubaren Sekundärliteratur. 5 So sehr sie sich in ihrem brieflichen

Charakter ähneln – nicht zuletzt durch die Adressierung jeweils an einen einzelnen

Paulusmitarbeiter –, so deutlich unterscheiden sie sich auch voneinander in vielerlei

Hinsicht. Kontroverse Urteile der Forschung finden sich daher nicht nur hinsichtlich

der epistolographischen Gesamteinschätzung sowie der Darstellung und Beurteilung

einzelner Themenfelder, sondern etwa auch im Blick auf den charakteristischen Stil

der Briefe.

Angesichts der disparaten Interpretationsperspektiven stellt sich umso mehr die

Frage nach der Lösung des »Rätsels«: Was sind die Past? Sind sie in ihrer schwer auf einen

Nenner zu bringenden Vielfältigkeit ein »apologetisches Vademecum für alle möglichen

antignostischen Kämpfe« (Dibelius 6 ) oder schlicht »an odd mix of the personal

and the public, of church order and personal exhortation, of instruction and command,

of the particular and the general« (Mitchell 7 )? Oder entfalten sie als literarisch-fiktives

Konstrukt etwa doch – wie manche dagegenhalten – ein durchaus anspruchsvolles,

kohärentes und theologisch begründetes Gesamtkonzept, das auf ein ethisch und ekklesiologisch

profiliertes Programm hin ausgerichtet ist? Oder sind es »nur« drei Mitarbeiterschreiben

des Apostels, verankert in konkreten Situationen, die daher nicht an

den theologischen Höhenflügen eines Röm zu messen sind?

3

Trummer, Paulustradition 74; s. Einleitung Past § 2.4.3.

4

Oberlinner I, VII.

5

Zur Forschungsgeschichte vgl. Engelmann, Untersuchungen 10–117.

6

Dibelius/Conzelmann 54.

7

Mitchell, Genre 344.


Zur Einführung

3

Das Zwiespältige an der Beschäftigung mit der Forschung zu den Past liegt nicht

nur in deren Widerständigkeit gegenüber literarischen Theorien, sondern auch in der

Art und Weise begründet, wie deren Untersuchung im Einzelnen angelegt ist. In zahlreichen

neueren Kommentaren und Monographien z. B. wird die Frage nach der Authentizität

nicht mehr argumentativ aufgenommen, sondern als erledigt – und das bedeutet:

erwiesenermaßen negativ beantwortet – angesehen. Das hat selbstverständlich

ebenso große Auswirkungen auf die Gesamteinschätzung der Past wie deren faktische

Interpretation als ein literarisches Werk. Je nach Perspektive erscheinen die Briefe und

ihre Inhalte in einem ganz unterschiedlichen Licht.

Plädoyers für die Notwendigkeit einer differenzierten Bewertung von Pseudepigraphie

werden jedoch leider oft als apologetisch beurteilt; zumindest geraten derartige

Infragestellungen des Konsenses unter einen gewissen Rechtfertigungsdruck. 8 Im

19. Jh. war der Streit um die »Echtheit« der Past ein Streit der kritischen akademischen

Forschung mit einer vom kirchlichen Dogma geprägten Wissenschaft, für die – etwas

verkürzt formuliert – die Autorität der Schrift maßgeblich an deren »Echtheit« bzw.

»Authentizität« gebunden war. 9 Dieser Streit, der zugleich ein Streit um die Freiheit der

theologischen Forschung war und den auf beiden Seiten ein apologetischer Ton prägte,

ist heute obsolet geworden. 10 Denn dass es pseudepigraphische Schriften nicht nur im

hellen.-jüd. und paganen Umfeld des NT, sondern auch im NT selbst gibt, daran kann

kein Zweifel bestehen. Man darf daraus keine Bekenntnisfrage machen. Ebenso wenig

darf man eine pseudepigraphische Zuschreibung in den Rang eines nicht mehr hinterfragbaren

wissenschaftlichen »Dogmas« 11 erheben, zumal wenn sich neue Aspekte

und differenziertere Perspektiven auf das Phänomen der Pseudepigraphie ergeben, die

bislang nicht oder zu wenig berücksichtigt wurden. 12 Demgegenüber ist zu fragen, ob

das, was von anderen neutestamentlichen 13 und frühchristlichen Schriften im Hinblick

auf deren pseudepigraphischen Charakter sachgemäß gesagt werden kann, für die Past

in derselben Weise gelten kann, zumal für alle drei Briefe gleichermaßen.

Bei diesen Überlegungen setzen die Perspektive und die Anlage des vorliegenden

Kommentars an. Ausgehend vom je eigenen Charakter der drei Past einerseits und den

Aporien der Forschung andererseits soll ein neuer Zugang eröffnet werden. Es wird

versucht, den einzelnen Briefen in ihrer Struktur und ihrem Aussagegehalt, ihrem

antiken sozial- und literaturgeschichtlichen Umfeld sowie den damit gestellten Fragen

gerecht zu werden. Die Auslegung setzt nicht die Theorie eines Corpus pastorale

8

Vgl. Herzer, Abschied.

9

Vgl. exemplarisch Baur, Abgenöthigte Erklärung; ders., Kritiker. Zur Diskussion im 19. und 20. Jh.

vgl. Johnson 42–54; Engelmann, Untersuchungen 10–32; Herzer, Kommentierung.

10

Vgl. Häfner, Schrift 2: »Wer die Past für Paulus reklamiert, erkennt auch sonst im NT keine Pseudepigraphie.«

11

Vgl. Johnson 55: »For many contemporary scholars, indeed, the inauthenticity of the Pastorals is

one of those scholarly dogmas first learned in college and in no need of further examination.«

12

Vgl. Herzer, Fiktion; s. Exkurs 1.

13

Vgl. Eph, 1/2Petr, Jud. Umstritten sind Kol, 2Thess, Jak. Anonyme Schriften sind anders zu bewerten.


4 Zur Einführung

voraus, die sich als nicht tragfähig erwiesen hat. 14 In der Einzelwahrnehmung der

drei Briefe hat sich gezeigt, dass auch die Frage nach der Verfasserschaft unterschiedlich

zu beantworten ist. Für den Titusbrief und den 2. Timotheusbrief lässt sich eine

authentische Verfasserschaft durch Paulus plausibel machen; die Briefe werden daher

im Kontext der Paulusbiographie ausgelegt. Der 1. Timotheusbrief hingegen repräsentiert

das, was die Forschung dem Corpus pastorale zugeschrieben hat: Er ist nach Form

und Inhalt ein pseudepigraphisches Schreiben, das im Kontext einer Paulusgruppe

in der ersten Hälfte des 2. Jh. entstanden ist und auf die Gefährdungen durch die

aufkommende Gnosis reagiert. Dass die hier vorgeschlagene Lösung zur Verhältnisbestimmung

der drei Briefe sowie zur unterschiedlichen Bewertung der Autorschaft

manche insofern erstaunen wird, als sie nicht eine der klassischen »Frontstellungen«

(»alle drei Briefe sind authentisch« versus »alle drei Briefe sind pseudonym bzw. bilden

eine literarische Einheit«) einnimmt, entspricht der Erfahrung des Kommentators

während der Beschäftigung mit den Past. Dem trägt die Behandlung der einleitenden

Fragen Rechnung. Die spezifischen Aspekte von Autorschaft, Abfassungszeit und -ort

etc. sind daher für jeden Brief separat zu erörtern und nicht in der allgemeinen Einleitung.

Anmerkung: Die Fußnoten werden für jeden Hauptabschnitt separat gezählt.

In der Darstellung hat es sich als methodisch schwierig erwiesen, innerhalb der

Gattung »Kommentar« der komplexen Forschungslage gerecht zu werden, ohne in

eine enzyklopädische Erörterung ihrer vielschichtigen Probleme zu geraten. Bei

Kommentaren, die primär für die Wissenschaft geschrieben werden, wäre dies gerechtfertigt,

mit dem Ergebnis eines entsprechenden Umfangs. Doch sind nicht jedes

Detail und jedes Problem – um nicht zu sagen: jeder Holzweg – der wissenschaftlichen

Debatte für die intendierte Leserschaft gleichermaßen interessant und

weiterführend. Der Theologische Handkommentar spricht in erster Linie diejenigen

an, die in kirchlicher oder lehramtlicher Praxis tätig sind bzw. sich im Studium der

Theologie oder anderen kirchlichen Ausbildungswegen auf einen solchen Dienst

vorbereiten. Zu diesem Zweck soll ein konzentrierter wissenschaftlicher Kommentar

zur Hand gegeben werden, der sprachliche und inhaltliche Probleme darstellt,

den Text schwerpunktmäßig unter historischen und theologischen Gesichtspunkten

kommentiert sowie zu eigener exegetisch-theologischer Arbeit anregt, die letztlich in

die kirchliche Verkündigung oder schulische Religionslehre mündet. Deshalb wird

die akademische Diskussion vorwiegend in den Anmerkungen, bei inhaltlich stärker

relevanten Problemen in kleingedruckten Absätzen bzw. Exkursen geboten. Die

Kommentierung wie auch die einleitenden Kapitel sind so gestaltet, dass sie auch

ohne diese Details gelesen werden können. Viele Fragen werden offenbleiben, zumal

auch eine ausführliche Rezeption und Diskussion der Sekundärliteratur in einem

Handkommentar nicht mehr sinnvoll möglich ist. Es muss daher eine Auswahl getroffen

werden, die mitunter zufällig erscheinen mag (es aber durchaus nicht ist) und

ebenso strittig wie unvollständig bleibt. 15 Dennoch wird darauf verzichtet, stets mög-

14

Vgl. im Ganzen Engelmann, Untersuchungen; Herzer, Vermächtnis.

15

Exemplarisch seien zwei größere neue Arbeiten genannt, die nach Abschluss des Manuskriptes

nicht mehr berücksichtigt werden konnten: M. Janßen, Corpus Pastorale Catholicum. Studien zu


Zur Einführung

5

lichst viel Literatur zu einzelnen Aspekten anzuführen, sondern es werden nur dort

wichtige bzw. exemplarische Referenzen aufgenommen, wo sich eine weiterführende

Diskussion bzw. eine Kenntnisnahme lohnt.

Intention und Komposition der Pastoralbriefe (Habil. Göttingen 2019, unveröffentlicht); D. W.

Pao, 1–2 Timothy, Titus, BECS 1, Leiden u. a. 2023. Janßen folgt der verbreiteten Lesart der Past

als Corpus pastorale; Pao interpretiert die drei Briefe als authentische Schreiben des Paulus aus

seiner letzten Lebensphase.


Jens Herzer, Dr. theol., Jahrgang 1963, studierte Theologie

an der Kirchlichen Hochschule Sprachenkonvikt in Berlin

und ist seit 1999 Professor für Neues Testament an der Theologischen

Fakultät der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte

sind Paulus und paulinische Briefliteratur,

insbes. die Pastoralbriefe, sowie die Geschichte und

Literatur des Frühjudentums.

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Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

ISBN 978-3-374-07590-4 // eISBN (PDF) 978-3-374-07591-1

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