XPLR Beileger 2024
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FAKT FAKE
JOURNALISMUS VS.
DESINFORMATION
VOR WELCHEN HERAUSFORDERUNGEN
MEDIEN STEHEN UND WIE SIE GEZIELTEN
FALSCHINFORMATIONEN ENTGEGENWIRKEN
MARKETTE
EDITORIAL
Q & A
Servus wir sind:
Wir zeigen dir Menschen, die die Medienwelt von morgen
gestalten, informieren über relevante Trends und entdecken für dich
innovative Medienunternehmen aus Bayern.
Im Superwahljahr 2024 könnten sich Falschinformationen so drastisch
wie noch nie auf Politik und Gesellschaft auswirken. Desinformation, befeuert
durch die rasche Entwicklung von künstlicher Intelligenz, häuft sich und
beeinflusst den öffentlichen Diskurs. Nutzer:innen fragen sich immer öfter:
Was ist Fakt und was ist Fake?
Wenn der Zugang zu gesicherten Informationen schwieriger wird, wächst
die Verantwortung von Medienschaffenden. Woran erkennen sie verfälschtes
Bild- und Tonmaterial, wie bewältigen Faktencheck-Teams die
Masse an Fakes und welchen Stellenwert haben Investigativ-Ressorts?
Finde heraus, wie bayerische Medienunternehmen ihre Glaubwürdigkeit
sichern und Desinformationskampagnen bekämpfen.
HERAUSGEBER
XPLR: MEDIA in Bavaria
Medien.Bayern GmbH
Balanstraße 73 / Haus 11
81541 München
Tel.: +49 (0)89 68 999 - 0
Fax: +49 (0)89 68 999 - 199
E-Mail: info@xplr-media.de
Gefördert durch
Geschäftsführer
(verantwortlich)
Stefan Sutor (Vorsitzender)
Lina Timm
Handelsregisternummer
Amtsgericht München;
HRB 134726
USt.-IdNr.: DE 173127048
Medien.Bayern GmbH,
April 2024
REDAKTION
Nina Brandtner,
Florentina Czerny,
XPLR: MEDIA in Bavaria
Storyboard GmbH,
Wiltrudenstraße 5,
80805 München
GESTALTUNG
Storyboard GmbH
DRUCK
Peschke Solutions GmbH,
Humboldtstraße 6,
85609 Aschheim
FOTO: FOTOS: NEURAFORGE
Q&A
WIE GEHT DIE BRANCHE
MIT FAKES UND
DESINFORMATION UM?
MEDIENSCHAFFENDE
GEBEN ANTWORTEN.
WIE ERKENNT EIN TOOL
DIE SPUREN VON KI?
Anika Gruner ist Mitgründerin von Neuraforge AI.
Das Startup aus Irschenberg im oberbayerischen Landkreis Miesbach
arbeitet an einem Detektor, der Spuren von
künstlicher Intelligenz in Bildern und Videos erkennt.
Wie schwierig ist es aktuell, KI-
manipulierte Inhalte zu erkennen?
Wir befinden uns in einer Übergangsphase.
Für Laien sind
Merkmale wie zum Beispiel sechs
Finger an einer Hand schnell zu
sehen. Wo Unregelmäßigkeiten
bei Schattenwürfen oder Farben
stattfinden, wird es schon schwieriger,
ein:e Berufszeichner:in kann
das aber mit geschultem Auge
schnell erkennen. Nach einer
Nachbearbeitung per Hand – wie
es zum Beispiel bei virtuellen
Influencer:innen schon passiert –
ist es schon jetzt kaum möglich,
KI-generierte Inhalte mit bloßem
Auge zu erkennen. Deswegen ist
unserer Ansicht nach jetzt das
Momentum für eine technologische
Lösung gegeben, die bei der
Prüfung hilft.
Wie erkennt eure Software, ob
Inhalte mit KI erstellt wurden?
Wir analysieren, ob ein Inhalt KIgeneriert
oder verändert wurde
und aus welchem Modell – also
zum Beispiel Dall-E oder Midjourney
– er entstanden ist. Dazu
schauen wir nicht auf den Inhalt
des Bildes, sondern suchen nach
Artefakten, die in allen Bildern
und Videos eingeschrieben sind.
Diese Artefakte sind vergleichbar
mit einem Fingerabdruck, den KI
hinterlässt. Unsere Software erkennt
diesen Fingerabdruck und
erklärt, wie und warum er entstanden
ist.
Wie können Medienschaffende das
Tool praktisch anwenden?
Einerseits sprechen wir mit Herstellern
jeglicher Art von Archiv-
oder Redaktionssoftware, um diese
Systeme mit unserer Lösung zu
ergänzen. Die Daten durchlaufen
einen Scan und erhalten automatisch
ein Schlagwort, zum Beispiel
„KI-generiert“. Andererseits arbeiten
wir an einer Web-Solution, mit
deren Hilfe Journalist:innen einzelne
Bilder analysieren können. Man
loggt sich online ein, lädt ein Bild
hoch und erhält einen Prüfbericht.
2
Dies ist eine von XPLR: MEDIA in Bavaria bezahlte Magazin-Beilage.
Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A
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Q & A
Q & A
WIE GEHEN MEDIEN MIT HETZE
GEGEN DIE BRANCHE UM?
Akteur:innen, die Desinformation verbreiten, greifen etablierte Medien
an und stellen ihre Unabhängigkeit infrage. Harald Stocker, Vorsitzender
des Bayerischen Journalisten-Verbands, zeigt Perspektiven.
WIE STÄRKT MAN DIE
MEDIENKOMPETENZ
VON JUGENDLICHEN?
Die vom Media Lab Bayern geförderte App „Buzzard“ hilft
Jugendlichen, Fake News, Verschwörungsmythen und Extremismus
leichter zu erkennen. Der bayerische Landkreis Aschaffenburg
finanziert die App bereits als offizielles Lehrmittel an Schulen.
Mitgründer und Geschäftsführer Dario Nassal erklärt, wie Medien die
Meinungsbildung bei Jugendlichen unterstützen können.
Warum ist es wichtig, Kindern und
Jugendlichen frühzeitig zu erklären,
wie Medien funktionieren?
Wir leben in Zeiten, in denen
Rechtsextremismus immer salonfähiger
und extremistische Stimmen
immer lauter werden, vor allem
in sozialen Medien. Das prägt
stark, wie Jugendliche über Politik
und gesellschaftliche Fragen
nachdenken. Leider befeuern die
Algorithmen vor allem Themen,
die emotional aufgeladen sind,
wütend machen und schockieren
– das verleiht extremen Stimmen
eine große Reichweite. Jugendliche
hinterfragen diese Themen
häufig nicht, sondern akzeptieren
sie als Fakten. Deshalb ist es
enorm wichtig, dass sich bereits
sehr junge Menschen wappnen,
indem sie lernen, Informationsquellen
richtig einzuschätzen.
Sind Jugendliche anfälliger
als Erwachsene für Fakes und
Verschwörungstheorien?
Das glaube ich nicht. Aber die Art,
wie Jüngere Nachrichten konsumieren,
ist im Kontext Fakes und
Verschwörungen
problematisch.
Unsere Erhebungen zeigen, dass
Jugendliche durchschnittlich vier
bis fünf Stunden am Tag auf TikTok
und anderen sozialen Netzwerken
verbringen. Größtenteils sind diese
Netzwerke ihre einzige Nachrichtenquelle.
Das heißt, sie befinden
sich in einer Medienwirklichkeit,
die ihnen ein verzerrtes Bild dessen
spiegelt, was auf der Welt los
ist. Die professionelle Einordnung
der Nachrichtenlage – als Korrektiv
dieses einseitigen Nachrichtenkonsums
– fehlt ihnen.
Wie können Medienunternehmen
und Journalist:innen Jugendliche
bei einer fundierten Meinungsbildung
unterstützen? Und wie hilft
„Buzzard“ dabei?
Transparenz ist das A und O. Medien
sollten transparenter machen,
wer hinter einem Medium
steht, wie Informationen gewonnen
werden und wie sie sich finanzieren.
Auch ein transparentes
Statement zur politischen Einstellung
von Redaktionen kann
Jugend lichen helfen, Medien
einzuordnen und zu vergleichen.
Das schafft Vertrauen. Zusätzlich
sollten Medien- und Nachrichtenformate
deutlicher gekennzeichnet
sein: Handelt es sich um einen
objektiven Nachrichtentext oder
die Meinung eines Journalisten?
Nicht zuletzt ist es wichtig – und
das verfolgen wir mit Buzzard –,
dass Medien ein Thema in seiner
Vielfalt abbilden und aus verschiedenen
Perspektiven beleuchten.
FOTOS: BUZZARD (2), THOMAS GEIGER/BJV, THOMAS MÖCKL, ALISA SONNTAG
FOTOS:
Was bedroht die Glaubwürdigkeit
der Medien?
Wir erleben derzeit einen bei-
spiellosen Trend zur Demokratie-
zersetzung. Dabei arbeiten sich
politische und religiöse Extremisten
an den journalistischen
Medien genauso ab wie die Verschwörungsindustrie.
Jour nalismus ist eine wichtige
Infrastruktur der Demokratie.
Wer die Demokratie
bekämpfen will, attackiert zuerst
die unabhängigen journalistischen
Medien.
Wie können Medien mit Fake
News, Deepfakes und Verschwörungstheorien
umgehen?
Das Problem sind die sozialen
Netzwerke, die diesen demokratiezersetzenden
Maßnahmen
eine neue Reichweite
verleihen. Ich empfehle tradi-
tionellen
Medienhäusern,
mehr in gut moderierte Kommentarspalten
zu investieren
als in ihre Social Accounts.
Darüber hinaus sollten wir
journalistischen Talenten, die
in sozialen Netzwerken groß
geworden sind, oder journalistisch
orientierten Blogger:innen
verstärkt seriöse Verbreitungswege
in traditionellen
Medienhäusern anbieten.
WIE ARBEITEN FACT-CHECKING-TEAMS?
Der BR24 #Faktenfuchs prüft Behauptungen und geht Gerüchten auf den Grund. Janina Lückoff,
Leiterin des Teams beim Bayerischen Rundfunk, erklärt die Vorgehensweise.
Der BR24 #Faktenfuchs wurde im Jahr 2017 entwickelt.
Was war der Anlass und wie hat sich seine
Arbeit seitdem verändert?
Anlass war der US-Wahlkampf zwischen Donald Trump
und Hillary Clinton: Es kursierten sehr viele Falschbehauptungen,
die sich auch in Deutschland verbreiteten.
Frisch gewählt, bezeichnete Trump etablierte Medien
als „Fake News“. Auch in Deutschland ist der Diskurs
rauer geworden. In den letzten Jahren
waren es vor allem Behauptungen
zu Coronapandemie, Klimawandel
und den Kriegen in Gaza und der
Ukraine. Heute spielen auch KI-generierte
Inhalte eine große Rolle.
Wer ist eure Zielgruppe und
wie erreicht ihr sie?
Wir wissen, dass wir jene, die tief
im Verschwörungsglauben verstrickt
sind, nicht mit Faktenchecks
erreichen. Dafür aber Menschen,
die stutzig werden, wenn ihnen eine Falschbehauptung
begegnet. Suchen sie nach Informationen, sollen
sie nicht weitere Fakes finden, sondern Fakten und
Antworten: Stimmt das wirklich oder warum stimmt es
nicht? Die Checks teilen wir auf der BR24-Webseite und
in der BR24-App. Als Hörfunkbeitrag, im BR24-TV, als
Thread auf dem BR24-Account bei X, als Video auf BR24-
Kanälen bei Facebook, TikTok und anderen sozialen
Plattformen.
Wie entscheidet das Team, auf welche Fake News es
reagiert?
Zu Beginn wissen wir nicht, ob eine Behauptung tatsächlich
„fake“ ist, wir gehen unvoreingenommen an die
Themen heran. Erst der Faktencheck zeigt, ob eine Behauptung
wahr oder falsch ist – und warum. Die Kriterien,
nach denen wir ein Thema aufgreifen, sind Verbreitung,
Relevanz und Überprüfbarkeit. Wir selbst meiden den
Begriff „Fake News“, seit er zum politischen Kampfbegriff
wurde. Wir sagen schlicht „Fakes“, „Falschbehauptungen“
oder „Desinformation“.
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Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A Q & A / Q & A / Q & A / Q & A / Q & A
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HERO STORY
HERO STORY
KEINE
MACHT
„DER VOLKSVERPETZER“ AUS AUGSBURG WILL
VOLKSVERHETZER ENTLARVEN. GRÜNDER
UND AUTOR THOMAS LASCHYK RIEF DEN ANTI-FAKE-NEWS-
BLOG 2014 INS LEBEN, HEUTE ARBEITET EIN
ZEHNKÖPFIGES TEAM GEGEN DESINFORMATION. WICHTIGER
TEIL SEINER ARBEIT IST EINE STARKE SOCIAL-MEDIA-
PRÄSENZ. FÜR TIKTOK-VIDEOS UND INSTAGRAM-REELS STEHT
CHARLOTTE THEIS VOR UND HINTER DER KAMERA.
TEXT
MARTIN HAASE
BILD
DOMINIK ASBACH
DEN FAKES
Charlotte, Thomas, braucht der Kampf gegen
Fakes einen anderen Journalismus?
Thomas: Kurze Antwort: ja. Journalist:innen
machen sehr gute Arbeit. Aber durch Social
Media und Akteur:innen, die Desinformation
verbreiten, ganz besonders die extreme
Rechte, sehen wir im Endergebnis, dass eine
Lücke entstanden ist.
Charlotte: Man rennt den Themen, besonders
den Fakes, oft hinterher – es ist aber
schwer, eine umfassende Einordnung zu
leisten. Das ist diese Lücke, die Thomas anspricht.
Beim „Volksverpetzer“ sind wir ein
kleines Team, wir können uns den Mut erlauben,
mit einem neuen Spirit in diese Leerstelle
reinzugehen, die etablierte Medienhäuser
noch offenlassen. In den vergangenen Jahren
hat der Journalismus eine andere Rolle
bekommen. Früher waren Journalist:innen
vor allem Gatekeeper. Jetzt können aber alle
Menschen ihre Inhalte im Netz verbreiten.
Das bedeutet für Journalist:innen, stärker in
eine Beobachterrolle zu gehen und Themen
einzuordnen, anstatt diese zu platzieren. Dieses
Rollenverständnis muss die Branche akzeptieren
und an die Schnelligkeit von Social
Media anpassen.
Thomas: Der Journalismus heute wird ausgetrickst
und ausgenutzt. Von Menschen,
die sich Journalist:innen nennen und seriöse
Inhalte für gezielte Desinformation missbrauchen.
Wir müssen als Medienlandschaft
lernen, wie wir mit den Inszenierungen von
Fake-Verbreitenden umgehen. Wir als Volksverpetzer
möchten ein Ideengeber sein, wie
diese Lücke gefüllt werden kann.
Inwiefern hat der „Volksverpetzer“ ein anderes
Konzept als übliche Faktenchecks?
Thomas: Beim „Volksverpetzer“ gibt es im
weitesten Sinne Faktenchecks, aber ich benutze
den Begriff „Anti-Fake-News-Blog“.
Bei der Gründung wollte ich mich abgrenzen
von dezidiert journalistischen, klassischen
Faktencheck-Formaten. Wir möchten
bestehende Faktenchecks durch einen
neuen Ansatz ergänzen und so den Inhalten
mehr Reichweite verschaffen. Das bedeutet,
auch die Methoden der Verbreitenden selbst
aufzugreifen, insbesondere auf Social Media,
um Gegendarstellungen zu Fakes viral gehen
zu lassen.
Selbst bei akribischen Quellennachweisen
profitieren Fakes und Verschwörungsmythen
von mehr Reichweite, wenn man sie aufklären
will. Wie geht ihr mit diesem Spannungsfeld
um?
Thomas: Wenn man eine Desinformationskampagne
aufgreift, besteht immer die
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HERO STORY
„Es sollten
die Fakten
im Vordergrund
stehen und
nicht die
Mythen.
Wichtig ist,
mehr
Werbung
für die
Wahrheit zu
machen.“
Thomas
Laschyk
Gefahr, diese durch den Streisand-Effekt bekannt
zu machen oder ihr mehr Reichweite
zu geben. Man muss bedenken, dass viele
Menschen oft nur Teaser und Überschriften
lesen. Wenn die Medien, die den Fake streuen,
und die Medien, die darüber aufklären,
fast nicht zu unterscheidende Überschriften
liefern, richtet das mehr Schaden an.
Ich plädiere dafür, das Framing der Fake-
und Verschwörungsmythen-Erzähler:innen
zu verlassen. Es sollten die Fakten im Vordergrund
stehen und nicht die Mythen.
Wichtig ist, mehr Werbung für die Wahrheit
zu machen. In Artikeln sollten die wahren
Tatsachen an erster Stelle stehen. Zum
Beispiel kann man über die Desinformationskampagne
berichten, anstatt sie
zu zitieren.
Wie kann eine Berichterstattung über Desinformationskampagnen
konkret aussehen?
Thomas: Die Verbreitenden setzen darauf,
dass man ihr Gesagtes übernimmt. Wenn
man bei der ersten Meldung direkt deren
Framing einordnet, lässt sich die Verbreitung
von Falschbehauptungen oder irreführenden
Mutmaßungen vermeiden. Umgekehrt:
Richtigstellungen oder Faktenchecks
reagieren auf eine sehr emotionale Botschaft
sehr nüchtern. Das kommt bei den
Menschen nicht mehr an.
Wir sind der Meinung, dass auch die Richtigstellung
sehr emotional sein muss, damit
es für die Leute interessant ist. So erhalten
die Faktenchecks besonders auf Social Media
eine höhere Reichweite.
Charlotte: Zusätzlich zu den klassischen
Faktenchecks braucht es einen viel stärkeren
und präsenteren Medienjournalismus,
der Diskussionen und Diskurse analysiert
und dann in den jeweiligen Kontext setzen
kann. Im Sinne von: Was sind die Motive der
Desinformationsverbreitenden? Zum Beispiel
werden immer die gleichen alten rassistischen
Narrative bedient. Aber wo haben die
ihren Ursprung? Es wäre sinnvoll, in der Berichterstattung
diesen Kontext mitzugeben,
anstatt nur auf Desinformationen zu reagieren.
Dann wird es einfacher, die Narrative der
Fakes zu erkennen.
Gibt es ein Beispiel für einen sehr erfolgreichen
Beitrag von euch?
Charlotte: TikTok-Videos oder Instagram-
Reels funktionieren am besten mit Emotionen.
Das fördert die Interaktion auf den
Plattformen, das führt zu mehr Reichweite.
Die Verpackung muss stimmen, aber inhaltlich
braucht es auch Qualität und Relevanz.
Gut funktioniert hat das zum Beispiel, als der
AfD-Politiker Josef Burkart 2023 gesagt hat,
die kostenlose Ausgabe von Menstruationsartikeln
an Frauen sei gleichzusetzen mit
der kostenlosen Ausgabe von Alkohol und
Zigaretten. Ich habe dann ein humorvolles
Video gepostet, in dem ich meine Menstruation
als Sucht dargestellt habe. Das fängt
sehr emotional an, mit trauriger Musik im
Hintergrund. Das Video ging viral und viele
Frauen haben in Kommentaren mein Framing
übernommen.
Wie haben sich Fakes in den letzten zehn
Jahren entwickelt?
Thomas: Da sehen wir drei Dinge. Erstens
hat sich die Qualität verändert, es gibt kaum
noch komplett frei erfundene Geschichten.
Auch, weil sie besonders leicht zu widerlegen
sind. Heute bewegen sich die Meldungen
in Grauzonen, die Verfassenden spielen
mit Doppeldeutigkeit. Sie setzen Framing
gezielter ein und reißen Sätze aus dem Kontext.
Zweitens haben sich die Verbreitenden
professionalisiert. Zusammen mit dem Erstarken
der AfD hat sich eine parallele Medienwelt
entwickelt, mit Verlagen, TV-Sendern,
Zeitungen oder Gruppierungen, die
sich dezidiert außerhalb der traditionellen
Medien bewegen und versuchen, diese zu
ersetzen. Drittens ist man erfolgreich damit.
Diese Parallel-Medienwelt bringt sich in den
öffentlichen und medialen Diskurs ein und
schafft es, Debatten mitzubestimmen. Sie
verschiebt die Grenze des Sagbaren.
Auch Social-Media-Portale haben sich verändert.
Welche Stellung haben Fake-Verbreitende
heute in der Kanallandschaft?
Charlotte: Rechte Gruppierungen haben
es sehr schnell geschafft, Instagram und
vor allem TikTok für sich einzunehmen.
8
MARKETTE
Was können Medienschaffende tun, um eine
gemeinsame Basis aufzubauen, auf deren
Grundlage konstruktive Diskussionen wieder
möglich sind?
Thomas: Wir müssen es schaffen, die extremen
Narrative aus dem öffentlichen Diskurs
zu drängen. Unsere Strategie ist, Menschen
nicht nur aufklären zu wollen, sondern
gleichzeitig lauter zu sein als die Fake-Erzeugenden.
Die Stärke der extremen Rechten
ist zum Beispiel, dass sie ihre Narrative stärker
vermittelt und dadurch attraktiv wirkt.
Ein Ansatz ist, ihr diesen Schein zu nehmen,
dann verliert sie auch einen Großteil ihrer
Anhängerschaft. Menschen schämen sich
dann dafür, auf deren Kampagnen hereingefallen
zu sein. Dafür sollten Medien zum
Beispiel kritischer und vorsichtiger mit extremistischen
Politker:innen umgehen, die
bekanntermaßen Desinformation verbreiten.
Ich plädiere dafür, keine AfD-Politiker:innen
in Talkshows einzuladen. Eine Alternative
wäre, in einer Expert:innen-Runde über
deren Aussagen zu sprechen, so lassen sich
auch in Ruhe Fakten checken.
ENTDECKE DIE WICHTIGSTEN TRENDS DER
MEDIENBRANCHE IN DEN XPLR: REPORTS
Mit Best Cases, Interviews und Tipps von Expert:innen.
Radio
„Auch
Inhalte in
schlechter
Qualität
funktionieren,
weil
bei TikTok
Authentizität
zählt.“
Charlotte
Theis
Sie erobern mit einer Masse an Accounts
den Diskursraum, weil sie sehr koordiniert
vorgehen. Auf TikTok gibt es ein ganzes Netzwerk
an Kanälen der AfD, keine andere Fraktion
im Bundestag hat so viele aktive Accounts
von Abgeordneten und keine andere
Partei ist so erfolgreich auf dieser Plattform.
Sie war sehr schnell darin, dieses Netzwerk
aufzubauen, in dem alle Accounts ähnliche
Inhalte streuen und zum Beispiel AfD-Reden
reposten – auch in schlechter Qualität.
Das funktioniert, weil bei TikTok Authentizität
zählt. Diese Accounts wollen ihrer Zielgruppe
damit vermitteln: „Wir sind nahe bei euch.“
Dieses Netzwerk wurde zu spät entdeckt und
die Plattformen machen nicht genug, um
fragwürdige Inhalte zu unterbinden.
Seht ihr aktuell Auswirkungen von künstlicher
Intelligenz auf die Fake-Produktion?
Thomas: Vereinzelt. KI-Bilder gibt es immer
wieder. Aber ich teile nicht die Meinung
der Warnenden, die meinen, dass mit KI
eine „Post Truth“-Gesellschaft entsteht und
nichts mehr wahr sein wird. Ich sehe, dass
Menschen schon ohne KI auf Fakes hereingefallen
sind, und zwar nicht, weil diese Inhalte
auf Hochglanz poliert waren. Sondern
weil sie Emotionen ansprechen und ein
ganz bestimmtes Weltbild bestätigen.
Technologie kann uns auch helfen. Schon
während der Coronapandemie hatten wir
einen Bot entwickelt, der einschlägige
Telegram-Gruppen durchsucht hat und die
Storys mit den meisten Shares ausgespuckt
hat. Wir können KI auch fürs Fact-Checking
nutzen und arbeiten aktuell an Lösungen,
wie diese Entwicklung unsere Arbeit erleichtern
kann.
Podcast
Zu den
kostenlosen Reports
Nachhaltigkeit
Streaming
XPLR-MEDIA.COM
10
RECHERCHE
RECHERCHE
INVESTIGATIV
TEXT
LISA PRILLER
WIE WERTVOLL IST
ENTHÜLLUNGS-
JOURNALISMUS FÜR
MEDIENHÄUSER?
LAURA HERTREITER,
CO-LEITERIN DES
RESSORTS KULTUR UND
MEDIEN BEI DER
SÜDDEUTSCHEN
ZEITUNG, HAT MEHRERE
INVESTIGATIV-RECHER-
CHEN UMGESETZT.
Frau Hertreiter, welche Rolle können
gründlich recherchierte Investigativ-Storys
dabei spielen, das Vertrauen in die Medien
zu stärken?
Den Wert einer erstklassig recherchierten
und gut aufgeschriebenen Investigativ-
Geschichte kann man nicht hoch genug
schätzen. Missstände unangreifbar aufzudecken,
zählt zu den journalistischen Königsdisziplinen.
Die Panama Papers etwa,
an denen auch die SZ beteiligt war, wurden
nicht nur mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet,
sondern die Medien sind bis heute auch
international assoziiert mit den Enthüllungen
zu gigantischen Steuerschlupflöchern.
Diese Recherchen sind zeitund
kostenintensiv – und
manchmal verlaufen sie auch
im Nichts. Welchen Stellenwert
haben sie dennoch für
die SZ?
Einen enormen. Die SZ hat mit
dem von Lena Kampf und Ralf Wiegand
geleiteten Investigativ-Ressort
ein eigenes, hochkarätig besetztes Expert:innen-Team,
das im Zweifelsfall rund
um die Uhr an entsprechenden Projekten
arbeitet, immer wieder auch in Zusammenarbeit
mit den Ressorts, sodass maßgebliche
Recherchen zustande kommen. Zur Sprengung
der Nord-Stream-Pipeline, zur Geschäftemacherei
mit Krebsmedikamenten
oder zu Missbrauchsfällen.
Eine Recherche steht und fällt mit den
Quellen. Wie sichern Sie eine Story ab?
Zuerst einmal möchte ich, wenn es irgendwie
möglich ist, den Menschen selbst gegenübersitzen,
um die Lage bestmöglich einschätzen
zu können. Das ist aufwendiger als
ein Zoom-Call, aber wichtig. Und dann wird
jede Aussage von allen Seiten abgesichert.
Stimmen Orte, Uhrzeiten, Namen überein,
können weitere Personen die Aussagen bestätigen?
Und dann gibt es noch das Instrument
der eidesstattlichen Versicherung, das
besagt, dass die Quelle diese Aussage auch
vor Gericht wiederholen würde.
Inhalte von Investigativ-Recherchen landen
manchmal vor Gericht. Spielen mögliche
rechtliche Folgen während der Produktion
eine Rolle?
Wir arbeiten an solchen Geschichten immer
gemeinsam mit der eigenen Rechtsabteilung
der Süddeutschen Zeitung. Die Juristinnen
und Juristen dort kennen jeden Kniff,
um schon beim Verfassen einen späteren
Rechtsstreit mitzudenken und die Geschichten
auch in Details wasserdicht zu kriegen –
oder sie im Fall des Falles später erfolgreich
verteidigen zu können.
FOTOS: ULRIKE MÜLLER-RENSING, NIKLAS KELLER
LEA WEINMANN IST
OSINT-REDAKTEURIN IM
INVESTIGATIV-RESSORT
DER SZ UND PRÜFT
INFORMATIONEN AUS
KRISENGEBIETEN, ZU
DENEN JOURNALIST:INNEN
KEINEN FREIEN ZUGANG
BEKOMMEN.
Frau Weinmann, Social Media wird häufig für
Propagandazwecke missbraucht. Wie und wo
begegnen Ihnen Desinformationskampagnen?
Meistens da, wo es einen Mangel an gesicherten
Informationen gibt. Das war während der
Coronapandemie so und das sehen wir auch
jetzt im Krieg in der Ukraine und in Nahost. Mit
umfangreicher Propaganda in den sozialen
Medien fällt in den vergangenen Jahren vor
allem Russland immer wieder auf.
WAS IST OSINT?
Open Source Intelligence ist eine
Recherchemethode, um mithilfe von frei
zugänglichen Quellen Informationen zu
gewinnen. Journalist:innen analysieren
zum Beispiel online verfügbare Satellitenbilder,
Social-Media-Posts oder Inhalte
aus dem Dark Web, um Tatsachenbehauptungen
zu prüfen. OSINT-Tools
richten sich nach dem Rechercheziel, für
Satellitenbilder eignen sich etwa Google
Earth Pro oder EO Browser.
Eine OSINT-Datensammlung veröffentlicht
zum Beispiel der Blog
Oryx: Dort dokumentieren die
Autor:innen Materialverluste im
russischen Angriffskrieg auf die
Ukraine und hinterlegen die Aufnahmen,
wie etwa Satellitenbilder
von zerstörten Kriegsfahrzeugen.
Welche Bedeutung nimmt die Kontrolle von
Informationen in einem Medienunternehmen
wie der SZ ein?
Alle, die bei der SZ journalistisch arbeiten,
müssen Fakten und Behauptungen prüfen.
Expert:innen, die sich sehr gut mit Onlinerecherche
und Verifikation auskennen,
arbeiten zum Beispiel in der investigativen
Recherche der SZ. In internen Workshops
geben sie ihr Wissen an andere weiter.
Wie stellen Sie als OSINT-Redakteurin sicher,
dass das Bildmaterial auch wirklich das
zeigt, was es zu zeigen vorgibt?
Wir finden heraus, wo genau ein Foto oder
Video aufgenommen wurde. Wir recherchieren,
wer es zuerst verbreitet hat. Und wir
prüfen, was das Material zeigen soll: Gibt es
Augenzeug:innen, die das Gezeigte bestätigen
können? Gibt es andere Aufnahmen
aus anderen Perspektiven? Gibt es bei dem
Material Anzeichen für Manipulation? Auf
diese Weise haben wir beispielsweise über
umstrittene Videos israelischer Soldaten in
Gaza berichtet.
Welche Tools nutzen Sie, um diese als
Täuschung zu enttarnen?
Bilderrückwärtssuchen zeigen, wo ein Foto
oder Video erstmals veröffentlicht wurde.
Zur Verortung nutzen wir Online-Kartendienste
und Satellitenbilder. Auch KI-gestützte
Tools werden täglich hilfreicher.
& ABGESICHERT
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WHO TO FOLLOW
WHO TO FOLLOW
WHO TO
FOLLOW
FUNDIERTEN JOURNALISMUS UND
KRITISCHE FORMATE GIBT ES AUCH AUF SOCIAL MEDIA.
ENTDECKE BAYERISCHE ACCOUNTS.
@BR24 Medien
Jede Woche beleuchtet der Podcast ein
Thema der Medienbranche, zum Beispiel
Veränderungen durch KI, Herausforderungen
für die Pressefreiheit oder
wichtige Branchentrends. Er vereint Insiderwissen
und Außenperspektive und
bespricht Chancen genauso wie Risiken.
TEXT SHIRIN SOLTANABADI
Podcast
@quoted
Im Medienpodcast der CIVIS Medienstiftung
und der SZ beleuchten die beiden
Moderator:innen Nadia Zaboura und
Nils Minkmar die deutsche Medienlandschaft.
Sie analysieren, wie über Themen
wie Migration oder internationale Konflikte
berichtet wird, und zeigen, wenn
Medien ein Ungleichgewicht abbilden.
@Media
for Peace
Kann Journalismus
friedensfördernd in
Konfliktregionen wirken?
Darüber spricht Moderatorin
Sabrina Harper im
Podcast des Media Lab
Bayern mit Medienschaffenden
aus Afghanistan,
dem Libanon, Kolumbien
und Deutschland.
FOTOS: CIVIS, BR, PRIVAT, BR/MARKUS KONVALIN, BR/MAX HOFSTETTER
@paper trail
media GmbH
Panama Papers, Vulkan Files, Cyprus
Confidential – das sind nur drei der
brisanten Enthüllungen, an denen die
Journalist:innen des Investigativ-Startups
aus München beteiligt waren.
Das Rechercheteam teilt hier eigene
Veröffentlichungen und gibt Tipps zu
sehens- und lesenswerten Beiträgen
anderer Medienhäuser.
@Natalie Amiri
Iran, Afghanistan, Israel und die
arabische Welt – für die „Weltspiegel“-Moderatorin
sind diese Länder
bekanntes Terrain. Die Münchnerin
reist regelmäßig in Krisengebiete, um
direkt über die Ereignisse vor Ort zu
berichten – und spricht auch über Themen,
die oft nur am Rande beleuchtet
werden. Zum Beispiel über Probleme
von Frauen und Jugendlichen in den
jeweiligen Regionen.
Follow us!
@XPLR: MEDIA in Bavaria
@XPLRMedia
@xplrmediainbavaria
@osterershahrzad
Ob zu Feminismus, dem
Iran oder Judentum:
Die BR-Journalistin und
Moderatorin Shahrzad
Osterer bespricht
Themen wie die Demokratiebewegung
im
Iran, jüdisches Leben in
Deutschland oder
Frauenrechte weltweit.
Die jüdische Deutsch-
Iranerin teilt ihre
eigenen Erfahrungen
und lässt andere zu
Wort kommen.
TikTok
@Auf_Null
Migrantisches Empowerment
mithilfe kurzer
Videosequenzen – das
ist die Idee des jungen
BR Puls-Formats. Die
Hosts Delal und Youssef
widmen sich in humoristischen
Sketchen mi -
grantischen Alltagsszenen
und zeigen mit einem
Augenzwinkern, welchen
Situationen Menschen
mit Migrationsgeschichte
oft ausgesetzt sind.
Threads
@Simonhurtz
Wer mehr über KI, Social
Media und IT-Sicherheit
erfahren möchte,
sollte dem Münchner
Journalisten Simon Hurtz
folgen. Er kommentiert
Neuigkeiten der digitalen
Welt via Kurznachrichten
auf Threads.
DU WILLST NOCH
WEITERE HEROES
AUS DER BAYERISCHEN
MEDIENBRANCHE ENTDECKEN?
Bei uns findest du sie alle!
Lerne mutige Vordenker:innen und
Kreativköpfe kennen und
profitiere von exklusiven Studien
und Branchen-Reports.
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