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Hockney Welt der Bilder (Leseprobe)

David Hockney / Martin Gayford Die Welt der Bilder für Kinder (6. Auflage) – Illustrationen von Rose Blake 128 Seiten, Hardcover, Euro (D) 22 | Euro (A) 21 | CHF 28 ISBN 978-3-03876-144-0 (Midas Kinderbuch) Eine faszinierende Geschichte der Kunst für jedes Alter Der Dialog zwischen dem Kunstkritiker Martin Gayford und dem Künstler David Hockney ist wohl das Spannendste, was man über Kunst lesen kann, denn die beiden Kunstfans setzen auf eine einfache und doch anspruchsvolle Sprache, die zeigt, wie ernst sie ihre jungen Leser und Leserinnen nehmen. David Hockneys inspirierende und entwaffnend klare Art, über Bilder zu sprechen, ist ebenso bedeutsam wie anziehend – für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Die Illustratorin Rose Blake erweckt die Erzählungen der beiden Autoren spielerisch zum Leben und sorgt so für ein äußerst zeitgemäßes und fesselndes Kunstbuch für jede Alter. »Wie David Hockney durch die Kunstgeschichte flaniert und lustvoll Zusammenhänge herstellt, ist so überzeugend wie lehrreich. Die Zeichnungen von Rose Blake bringen zudem Leichtigkeit und Witz in diese wirklich originelle Kunstgeschichte.« (Eva Hepper, Deutschlandfunk)

David Hockney / Martin Gayford
Die Welt der Bilder für Kinder (6. Auflage) – Illustrationen von Rose Blake
128 Seiten, Hardcover, Euro (D) 22 | Euro (A) 21 | CHF 28
ISBN 978-3-03876-144-0 (Midas Kinderbuch)

Eine faszinierende Geschichte der Kunst für jedes Alter

Der Dialog zwischen dem Kunstkritiker Martin Gayford und dem Künstler David Hockney ist wohl das Spannendste, was man über Kunst lesen kann, denn die beiden Kunstfans setzen auf eine einfache und doch anspruchsvolle Sprache, die zeigt, wie ernst sie ihre jungen Leser und Leserinnen nehmen. David Hockneys inspirierende und entwaffnend klare Art, über Bilder zu sprechen, ist ebenso bedeutsam wie anziehend – für Kinder ebenso wie für Erwachsene. Die Illustratorin Rose Blake erweckt die Erzählungen der beiden Autoren spielerisch zum Leben und sorgt so für ein äußerst zeitgemäßes und fesselndes Kunstbuch für jede Alter.

»Wie David Hockney durch die Kunstgeschichte flaniert und lustvoll Zusammenhänge herstellt, ist so überzeugend wie lehrreich. Die Zeichnungen von Rose Blake bringen zudem Leichtigkeit und Witz in diese wirklich originelle Kunstgeschichte.« (Eva Hepper, Deutschlandfunk)

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David Hockney

Martin Gayford

Die Welt

der Bilder

FÜR KINDER

MIDAS

ILLUSTRIERT VON ROSE BLAKE



David Hockney

Martin Gayford

Die Welt

der Bilder

FÜR KINDER

ILLUSTRIERT VON ROSE BLAKE

MIDAS



INHALT

EINFÜHRUNG 6

Kapitel 1: NACHDENKEN ÜBER KUNST 8

Warum machen wir Bilder?

Kapitel 2: ZEICHEN SETZEN 26

Wann ist ein Zeichen interessant?

Kapitel 3: LICHT UND SCHATTEN 42

Was genau sind Schatten?

Kapitel 4: VORSICHT LÜCKE 56

Wie legen Künstler eine Szene an?

Kapitel 5: SPIEGEL UND REFLEXIONEN 72

Wie spielen Künstler mit Licht?

Kapitel 6: MALEREI UND FOTOGRAFIE 84

Womit arbeiten Künstler?

Kapitel 7: BEWEGTE BILDER 100

Können sich Bilder wirklich bewegen?

Kapitel 8: DIE GESCHICHTE GEHT WEITER 110

Was bringt die Zukunft für die Bilder?

GESCHICHTE DER ERFINDUNGEN 118

GLOSSAR 122

BILDNACHWEISE 124

INDEX 127


EINFÜHRUNG

Bilder sind überall: auf Laptops, dem Handy, in Zeitschriften, Zeitungen und

in Büchern wie diesem hier. Wir sehen sie auf der Straße und im Fernsehen.

Sie hängen an Wänden – zu Hause, aber auch in Kunstgalerien und Museen.

Wir denken, träumen und versuchen, die Welt um uns zu verstehen – in

Bildern ebenso wie in Worten.

Dieses Buch basiert auf vielen Gesprächen mit meinem Freund

Martin Gayford, er ist Kunstkritiker und schreibt über Kunst. Es ist also

gewissermaßen ein Dialog. Damit du weißt, wer gerade spricht, steht der

jeweilige Name neben dem Text. Und eine dritte Person nimmt an unserer

Unterhaltung teil: unsere Illustratorin Rose Blake. Sie hat die Bilder von

uns dreien hier auf die Seiten gezeichnet. Auch meine Haustiere und andere

Künstler sind auf ihren Bildern zu finden.

Ich bin David Hockney und ich bin Künstler.

Ich mache Bilder. Ich zeichne, male,

fotografiere und arbeite am Computer

und mit dem Tablet. Dabei behalte ich

immer auch die Arbeiten anderer Künstler

im Blick und unterhalte mich mit anderen

Menschen über Kunst.

David

6


Dieses Buch ist also keine gewöhnliche Kunstgeschichte (in der man die

Ereignisse erwartungsgemäß in der Reihenfolge findet, in der sie passiert

sind). Eine solche Zeitleiste findest du ab Seite 118. Sie erklärt, welche

Werkzeuge Künstler benutzten und wie sich neue Erfindungen auf die

Kunstwerke auswirkten. Auf Seite 122 im Glossar kannst du Wörter

nachschlagen, die du vielleicht noch nicht kennst.

Mir gefallen vielleicht ganz andere Bilder als dir, und wenn du deine

eigene Geschichte der Bilder schreiben würdest, dann vielleicht mit anderen

als denen, die ich in diesem Buch verwendet habe.

Sprich am besten darüber, was du siehst, wenn du dieses Buch liest (oder

vorgelesen bekommst). Wenn wir Bilder betrachten, bringt jeder seine eigene

Sichtweise mit; das ist das Tolle an der Kunst – und der Grund, warum ich

immer neue Kunst schaffe.

– David Hockney

Martin

Rose

7


NACHDENKEN ÜBER KUNST

Warum machen wir Bilder?



DAVID: Bilder sind sehr alt – vielleicht sogar älter

als die Sprache. Ich stelle mir gern vor, dass der

erste Mensch, der ein Tier zeichnete, von jemandem

beobachtet wurde. Und als diese andere Person dem

Tier dann in der Natur wieder begegnet ist, sah sie

es bestimmt etwas klarer.

Wenn wir Bilder schaffen, müssen wir sehr genau

hinschauen. Der Künstler, der vor 17.000 Jahren

den Bullen auf die Höhlenwand von Lascaux in

Südfrankreich gemalt hat, muss das Tier wohl sehr

genau beobachtet haben.

Zeichnung eines Bullen, Höhle von Lascaux,

Frankreich, ca. 15.000 v. Chr.

10


PABLO PICASSO, Die Eule, 1952

Jedes Bild, das von Menschen gemacht wurde, hat seine eigenen Regeln.

Jemand hat es an einer bestimmten Stelle geschaffen und so arrangiert, dass

es eine bestimmte Fläche bedeckt. Als der spanische Maler Pablo Picasso

1952 dieses Bild von einer Eule anfertigte, zeigte er damit seine ganz

persönliche Sichtweise.

Wir alle sehen die Welt auf unterschiedliche Art und Weise. Selbst wenn

wir ein kleines quadratisches Objekt betrachten – ein Kästchen –, sieht es

der eine so und der andere eben anders. Wenn wir einen Raum betreten,

nehmen wir die Dinge durch die Brille unserer Gefühle, Erinnerungen und

Bedürfnisse wahr.

11


Wandgemälde. Pharao Ramses II. bei einer nubischen

Militärexpedition, Ägypten, 13. Jh. v. Chr.

MARTIN: Wenn wir Kunst betrachten,

interessieren uns meistens zwei Fragen:

Warum wurde dieses Bild geschaffen und was

bedeutet es? Und man muss sich auch fragen:

Was zeigt das Bild? In der Kunst Ägyptens ist

der Pharao die größte Figur. Schau dir dieses

Bild von Pharao Ramses II. an. Es wurde im

13. Jahrhundert v. Chr. auf die Wand eines

Tempels gemalt. Hätte man ihn damals

jedoch mit einem Zentimetermaß gemessen,

wäre der Pharao nicht größer gewesen als

andere Menschen zu seiner Zeit, aber in der

Vorstellung der Ägypter überragte er alle und

wurde dementsprechend groß gemalt.

12


DAVID: Im Laufe der Zeit waren Künstler

immer auf der Suche nach Möglichkeiten, unsere

dreidimensionale Welt auf einer ebenen Fläche

darzustellen, also auf einem Blatt Papier oder

einer Leinwand. Insofern lässt sich ein Bild mit

einer Landkarte vergleichen. Die Aufgabe eines

Kartenzeichners besteht darin, die Eigenschaften

eines gewölbten Objekts – der Erde – auf einer

Fläche darzustellen.

Das ganz genau hinzubekommen ist unmöglich!

Darum spiegeln auch alle Karten die Interessen

und das Wissen der Person wider, die sie

hergestellt hat. Bei Bildern ist das genauso.

13



JAN VAN EYCK,

Die Arnolfini-Hochzeit, 1434

MARTIN: Wenn du die Geschichte von Bildern genauer betrachtest,

findest du Verbindungen zwischen Bildern, die aus völlig verschiedenen

Epochen und von unterschiedlichen Orten stammen. Zwei Personen

in einem Raum, der Blick aus dem Fenster, ein Haustier: All das

finden wir in Jan van Eycks Bild »Die Arnolfini-Hochzeit« – aber auch

in deinem Gemälde »Mr. and Mrs. Clark and Percy« (auf der nächsten

Seite), das mehr als 500 Jahre später entstanden ist.

Van Eyck arbeitete im 15. Jahrhundert in den Niederlanden. Seine Bilder

waren frisch und neuartig, sie sahen ganz anders aus als die Bilder

der anderen Künstler zu jener Zeit. Indem er Ölfarben in Schichten

übereinander auftrug, schuf er tiefe, satte Farben und feine Details.

Er malte dieses Bild von Giovanni Arnolfini, einem Händler aus Brügge,

und seiner Gattin im Jahre 1434.

DAVID: Van Eycks Gemälde sind voll von Gegenständen, die so vorher nie

zu sehen gewesen waren. Kein Maler hatte jemals einen Spiegel im Bild, so

wie in der Mitte des Arnolfini-Bildes. Sicher war das für van Eyck schwer

zu malen, aber jeder, der es nach ihm tat, konnte seinem Beispiel folgen. Das

gilt für fast alles in diesem Bild: die leicht angeschmutzten Holzpantoffeln,

die Orangen am Fenster und den Kronleuchter. Als van Eyck einmal

herausgefunden hatte, wie man das malen musste, konnte ihn jeder Künstler

imitieren.

15


DAVID HOCKNEY, Mr. and Mrs. Clark and Percy, 1970–71

16


DAVID: Mein Bild habe ich 1970 und 1971 gemalt,

es zeigt meine Freunde Celia Birtwell und Ossie

Clark in ihrer Wohnung am Notting Hill Gate

in London.

MARTIN: Manche Bilder sprechen uns an,

auch wenn die Gegenstände darauf inzwischen

ungewohnt sind. Das weiße Wählscheiben-

Telefon in der Ecke des Bildes, das 1971

sicher modern und schick war, wirkt heute

einigermaßen merkwürdig (wie der komische

Hut von Giovanni Arnolfini oder die grüne Robe

seiner Gattin). Vielleicht fragen sich unsere

Leser sogar, was dieses weiße Telefon eigentlich

ist. Dennoch betrachten sie die beiden

Menschen auf dem Bild wohlwollend und mit

Interesse, ebenso die Blumen und Percy, die

Katze – genau wie wir uns die Tiere auf den

Wänden urzeitlicher Höhlen anschauen, ohne

zu wissen, wer sie gemalt hat oder warum.

17


UTAGAWA HIROSHIGE, Ansicht des Hafens (Miya: Station Nr. 42), ca. 1847–52

DAVID: Bilder beeinflussen andere Bilder. Vincent

van Gogh war einer der ersten Maler im Europa

des 19. Jahrhunderts, der die leuchtenden Farben

und schwungvollen Linien einsetzte, die er aus der

japanischen Malerei kannte, wie zum Beispiel in dem

Farbholzschnitt oben auf dieser Seite. Er ließ sich

in Arles in Südfrankreich nieder, wo die Sonne stark

und grell schien. Van Goghs intensive Farben hatten

großen Einfluss auf viele Künstler nach ihm.

18


VINCENT VAN GOGH, Père Tanguy, 1887

Und noch eines schaute er sich von der japanischen Kunst ab: die fehlenden

Schatten. Darüber, wie Künstler Licht und Schatten einsetzen, sprechen wir

weiter hinten in diesem Buch.

MARTIN: Für dieses Bild von seinem Freund, Père Tanguy, verwendete

van Gogh eine Reihe japanischer Farbholzschnitte aus seiner

Sammlung als spannenden Hintergrund. Im späten 19. Jahrhundert

sammelten Künstler begeistert diese Holzschnitte, denn sie zeigten

eine völlig neue Arbeitsweise. Kunst musste nicht mehr so aussehen

wie die reale Welt.

19


DAVID: Um noch einmal auf van Eyck und sein Porträt von Arnolfini

zurückzukommen, ich stelle mir van Eyck gern bei der Arbeit vor. Sein

Atelier muss fast wie ein Hollywood-Filmstudio ausgesehen haben. Perücken,

Waffen, Kronleuchter, Modelle – alle möglichen Requisiten. Es ist völlig

unmöglich, aus der Erinnerung solche Bilder zu malen. Das muss eher wie bei

einem Filmdreh abgelaufen sein: Kostüme, Licht, Kamera und los!

MARTIN: Es gibt viele Querverbindungen zwischen Malerei, Fotografie

und Kino. Darauf gehen wir weiter hinten im Buch noch genauer ein.

DAVID: Als ich klein war, nannte man das Kino noch »Pictures« … Bilder.

Mama, können wir zu den Bildern gehen? Ein Film ist ja nichts anderes als

bewegte Bilder … trotzdem sind es immer noch Bilder.

MARTIN: Filme wurden in Hollywood gedreht, weil das Licht in

Kalifornien so intensiv war. Die Filmemacher lösten damit also

ein Problem, mit dem sich auch große Maler schon herumschlagen

mussten, darunter Caravaggio und Leonardo da Vinci: die

Beleuchtung. Sie mussten herausfinden, wie sie das Motiv am

besten ausleuchteten, um ein möglichst starkes Bild zu schaffen.

20


LEONARDO DA VINCI, Mona Lisa, ca. 1503–19 Fotografie von Marlene Dietrich, ca. 1937

DAVID: Leonardos großartiges Gemälde von der Mona Lisa ist eines

der ersten Porträts mit Schattenübergängen. Das Gesicht ist wunderbar

ausgeleuchtet. Schau dir die Schatten unter der Nase an, und dieses Lächeln,

wie da Vinci die Farbübergänge von heller bis zu dunkler Haut meistert. Ich

habe keine Ahnung, wie er das hinbekommen hat – es muss ewig gedauert

haben, die Farbe aufzutragen. Diese Beleuchtung erinnert mich eher an Fotos

der großen Schauspielerin Marlene Dietrich.

21


DAVID: Walt Disney war ein großer amerikanischer

Künstler. Wer waren denn die eigentlichen Stars der

1930er und 1940er? Micky Maus und Donald Duck!

Und heute gibt es sie immer noch.

Wenn man sich den Film »Pinocchio« Bild für

Bild anschaut, sieht man die erstaunliche Sequenz,

in der Pinocchio mit Geppetto den Bauch des Wals

betritt. Sie entfachen ein Feuer, um das Ungetüm

zum Rülpsen zu bringen, und dann kommt die geniale

Stelle, wo beide aus dem Wal herausgeschleudert

werden. Dann verfolgt sie der Wal. Auf ihrem Floß

geraten beide in einen Sturm und werden schließlich

an einen Strand gespült.

Als ich begriff, wie das gemacht wurde, war ich

erstaunt. Teile des Films, die weißen Schaumkronen

und tobenden Wellen, sehen aus wie chinesische und

japanische Holzschnitte – offensichtlich hatten sich

die Trickfilmzeichner von Disney diese Kunstwerke

angeschaut, ebenso einige Fotos von Wellen und Meer.

Als Geppetto und Pinocchio an die Küste gespült

werden, sieht man die Wasserblasen, bis das Wasser

schließlich im Sand versinkt. Fantastisch!


WALT DISNEY PRODUCTIONS, Standbild aus Pinocchio, 1940

UTAGAWA HIROSHIGE, Detail aus Naruto-Strudel, Provinz Awa, ca. 1853


MARTIN: In der Geschichte geht es nicht geradeaus. Alle Künstler

stoßen auf unterschiedliche Probleme – wie sie den Raum einsetzen,

um in ihren Bildern Geschichten zu erzählen, oder wie sie den Strich

eines Pinsels oder Stifts wie eine Person oder einen Gegenstand

aussehen lassen. Darum schauen wir uns in diesem Buch zuerst einige

dieser Ideen an, bevor wir uns zu bestimmten Orten oder in bestimmte

Zeiten begeben.

Wir werden uns auch darüber unterhalten, wie sich die technische

Entwicklung auf die Geschichte der Kunst ausgewirkt hat. Seit der

Erfindung der Fotografie haben es Zeitungen, bewegte Bilder, das

Fernsehen, das Internet und das Smartphone möglich gemacht,

Milliarden von Bildern in Lichtgeschwindigkeit zu teilen – auf der

ganzen Welt. Bilder ändern sich, und zwar schnell. Immer mehr

Menschen stellen sie her und bearbeiten sie, viel schneller als je zuvor.

DAVID: Die Menschen lieben Bilder. Sie haben einen starken Einfluss darauf,

wie wir die Welt um uns erleben. Viele Leute haben sich schon immer lieber

Bilder angesehen, als zu lesen; vielleicht wird das auch immer so bleiben. Ich

glaube, die Menschen mögen Bilder sogar noch lieber als Worte. Ich schaue

mir die Welt gern an und habe mich schon immer dafür interessiert, wie wir

sehen und was wir sehen. Die Geschichte der Bilder beginnt in den Höhlen

und endet heute, auf dem iPad. Und wer weiß, wie es weitergeht?


25


ZEICHEN SETZEN

Wann ist ein Zeichen interessant?



Felsbild eines Löwen, Höhle Les Combarelles, Frankreich, ca. 12.000 v. Chr.


DAVID: Sobald du zwei oder drei Zeichen auf einem Blatt Papier hinterlässt,

fangen sie an, wie irgendetwas auszusehen. Zwei kleine Striche könnten

zum Beispiel zwei Figuren oder zwei Bäume sein. Vier Zeichen könnten

ein Gesicht darstellen, das weiß jeder. Wir lesen alle möglichen Dinge aus

Zeichen. Mit ganz wenig lassen sich Landschaften, Menschen oder Tiere

darstellen.

MARTIN: Wenn wir die Welt betrachten, erkennen wir in einem Ding

oft ein anderes Ding. Der Künstler Leonardo da Vinci sagte, er stelle

sich die zufälligen Formen oder Muster auf den Mauern und Steinen

in seiner Umgebung meist als unglaubliche Landschaften, Figuren

oder Gesichter vor. Schau dir das Bild des Löwen an, es ist mehr

als 14.000 Jahre alt. Vorzeitliche Künstler bearbeiteten den Fels mit

Steinwerkzeugen und verwandelten natürliche Risse und Wölbungen

in das Bild eines großes Tieres.


DAVID: Was macht ein Zeichen interessant? Ich glaube, es ist die Bewegung

– die Art und Weise, wie ein Künstler den Stift oder Pinsel einsetzt. Oft

kann man erkennen, ob er die Linie schnell oder recht langsam gezeichnet hat.

Chinesische Maler trainierten ihre Kunst, indem sie dieselben Bilder

immer und immer wieder malten. Angenommen, sie zeichneten einen Vogel.

Sie begannen vielleicht mit zehn Strichen, bis sie schließlich mit drei oder

vier auskamen. Ich habe einmal einen jungen chinesischen Maler beobachtet,

der Katzen malte. Er setzte jeden Strich ganz perfekt. Auch die chinesischen

Schriftzeichen sind eng mit der Malerei verbunden. Winzige Veränderungen an

einem Zeichen sorgen sofort für eine neue Bedeutung.

WU ZHEN, Seite aus einem Album mit Bambus-Zeichnungen, 1350

30


MUQI FACHANG, Sechs Kakipflaumen, 13. Jahrhundert

Im 13. Jahrhundert malte der chinesische Geistliche und Maler Muqi

dieses zarte Bild von sechs Früchten mit Tusche auf Seide. Dazu hinterließ

er fast gar keine Zeichen – man kann die wenigen Pinselstriche förmlich

zählen. Dennoch vermochte er es, alle Früchte verschieden aussehen zu lassen.

Zu jener Zeit benutzten chinesische Maler keine Farben, darum war es

besonders wichtig, wie sie die Tusche verwendeten und den Pinsel führten.

Während der Ming-Dynastie zählte ein Kunst-Autor 26 verschiedene

Möglichkeiten, Felsen zu malen, und sogar 27, um das Bild eines Baumes

mit Blättern zu versehen!

31


DAVID: Maler borgen ständig Zeichen untereinander aus. Du kannst das

erkennen, wenn du ihre Bilder genauer betrachtest. Sie lernen, indem sie

Arbeiten anderer Künstler kopieren. Auch Rembrandt, der im 17. Jahrhundert in

Amsterdam arbeitete, hatte vermutlich einige chinesische Zeichnungen gesehen.

Amsterdam war eine Hafenstadt und die Holländer trieben vor allem Handel

mit dem Fernen Osten. Vermutlich brachten sie neben Gewürzen, Porzellan und

Seide auch Bilder auf ihren Schiffen mit.

Schau dir Rembrandts Skizze des Kindes an, das gerade laufen lernt. Das

Kind wird von seiner Mutter und einer älteren Schwester gehalten. Die Mutter

hält es gut fest, die Schwester zögert etwas. Das Kind scheint sich etwas zu

fürchten, was nur an ein oder zwei Zeichen auf seinem Gesicht zu erkennen

ist. Der Vater hockt links und schaut erstaunt – zu erkennen lediglich an zwei

wunderschönen Tuscheflecken.

32


REMBRANDT VAN RIJN, Ein Kind lernt laufen, ca. 1656

Rembrandt verwendet nicht viele Linien. Dennoch können wir erkennen,

dass der Rock der Mutter etwas abgetragen und der Eimer der Milchmagd

ziemlich schwer ist – eine unglaubliche Zeichnung.

Rembrandts Zeichnungen sind nicht besonders groß, denn Papier war sehr

teuer. Er musste jeden Millimeter nutzen! Wenn die Zeichnungen nur in

einem kleinen Format reproduziert werden, erkennt man nicht alle Details,

aber wenn man sie vergrößert und dann noch einmal anschaut, sieht man

deutlich mehr. Und man erkennt, wie schön die Zeichnung ist.

33


DAVID: Es gab einmal eine Zeit, zu der jeder zeichnen konnte. Bevor die

Fotografie aufkam, wurde Zeichnen sogar an der US-Militärakademie

unterrichtet, denn die Offiziere in der Armee mussten zeichnen können.

Ingenieure mussten eine Maschine zeichnen können. Das war schon seit

30.000 Jahren so. Und sehr gut zeichnen zu können, will gelernt sein.

MARTIN: Wir wissen, dass viele berühmte Maler, wie Raffael,

Michelangelo und J. M. W. Turner, bereits als Teenager zu malen

begonnen haben. Das ist wie ein Musikinstrument spielen oder Tennis

– man muss täglich üben.

Michelangelos Zeichnungen, wie die des laufenden Mannes,

beeindruckten alle, die ihn trafen. Eine berühmte Geschichte erzählt,

wie Jacopo Gallo, ein römischer Adliger, 1496 das Haus des Künstlers

besuchte. Er wollte einige Werke von Michelangelo anschauen. Dieser

hatte jedoch gerade keine Bilder da, aber er nahm seine Feder und

zeichnete eine Hand. Gallo war sprachlos, so perfekt war sie.

DAVID: Du wärst auch erstaunt, wenn eine Michelangelo-Zeichnung plötzlich

vor deinem Auge auftauchen würde, vor allem, wenn du vorher noch nicht viel

von ihm kanntest. Michelangelos Zeichnungen sind toll. Bei manchen weiß man

gar nicht, wie er das hinbekommen hat.

34


MICHELANGELO, Figurstudie eines laufenden Mannes, ca. 1527–60

35


WILLIAM-ADOLPHE BOUGUEREAU, Mignon, 1869

MARTIN: Ende des 18. Jahrhunderts schienen die Pinselstriche zu

verschwinden. Die Gemälde, die in den großen Galerien wie der Royal

Academy in London oder im Salon in Paris ausgestellt wurden, hatten

eine glatte Oberfläche. Sie sahen fast ein wenig wie Fotos aus.

Als jedoch Édouard Manet in Paris in den 1850er- und 1860er-

Jahren zu malen begann, kam der Pinselstrich zurück! Seine Bilder

– wie das Porträt der Malerin Berthe Morisot – hoben sich von allen

anderen ab. Nach Manet kamen Claude Monet, die Impressionisten

und Vincent van Gogh.

Zu jener Zeit wurden sie alle kritisiert, weil sie Bilder ausstellten, die

eher wie Skizzen als wie fertige Gemälde aussahen.

36


ÉDOUARD MANET, Berthe Morisot mit Veilchenstrauß, 1872

37


DAVID: Monet und die Impressionisten malten unter freiem Himmel statt im

Atelier. Sie arbeiteten bei jedem Wetter, häufig auch sehr schnell. Es gibt

zum Beispiel wunderschöne Monet-Gemälde von schmelzenden Eisschollen

auf der Seine. Eis auf diesem Fluss war so selten, dass Monet sofort

hingehen und dieses Naturereignis im Bild festhalten musste.

MARTIN: Der Winter 1879–80 war einer der kältesten im

19. Jahrhundert. Auf der Seine bildete sich eine dicke Eisschicht,

bedeckt von mehreren tiefen Lagen Schnee. Monet lebte zu jener Zeit

in Vétheuil, einer kleinen Stadt außerhalb von Paris. Es wird erzählt,

dass das Eis auf der Seine am Abend des 4. Januar zu schmelzen

begann, zuerst im Osten, dann immer weiter im Westen.

DAVID: Monet muss sich sofort an die Arbeit gemacht haben, als er von

den Eisschollen auf der Seine erfuhr. Das Eis konnte ja schon in einer

Nacht geschmolzen sein. Er musste sich also sehr beeilen. Wenn die Sonne

untergeht, weiß man, dass es bis zur Dunkelheit nur noch ungefähr eine

Stunde dauert. Er muss also sehr genau hingeschaut haben! Bilder können uns

Dinge zeigen, die wir ohne sie gar nicht wahrgenommen hätten. Monet sorgte

dafür, dass wir die Welt ein bisschen deutlicher erkennen.


CLAUDE MONET, Eisgang, 1880


DAVID: Wie schnell sich Licht und Himmel verändern, ist mir beim Malen in

Yorkshire aufgefallen. Das Klima dort ist ähnlich wie in Nordfrankreich, wo

Monet arbeitete. Auf meinen Kohlezeichnungen von Woldgate in Ost-Yorkshire

im Frühling 2013 verwendete ich viele verschiedene Zeichen. Man braucht eine

gewisse Vielfalt. Ich schaute mir Pablo Picasso an, Henri Matisse und Raoul Dufy.

Ich verwendete aber nur solche Zeichen, die mit einem Kohlestift möglich sind;

mehr geht nicht.

Es gibt ebenso eine Geschichte der Zeichen wie es eine Geschichte der Bilder

gibt! Du kannst verschiedene Zeichen anschauen, die ein Künstler verwendet, und

dann etwas ausborgen – Zeichen mit einer Feder, mit Zeichenkohle, Bleistift,

ebenso Striche mit Pinsel und Farbe. Und du erkennst sie noch besser, wenn du

selbst zeichnen lernst und die Zeichen kopierst.

RAOUL DUFY, Die Avenue du Bois de Boulogne, 1928

40


DAVID HOCKNEY, Woldgate, 26. Mai 2013, 2013


1. Auflage 2019

ISBN 978-3-03876-144-0

Die Welt der Bilder für Kinder

© 2019 Midas Verlag AG

Übersetzung: Claudia Koch

Lektorat & Projektleitung: Gregory C. Zäch

Buchdesign: Sarah Praill

Texte von Martin Gayford © 2018 Martin Gayford

Texte von David Hockney © 2018 David Hockney

Arbeiten von David Hockney © 2018 David Hockney

Illustrationen von Rose Blake © 2018 Rose Blake

Englische Orignalausgabe:

A History of Pictures for Children © 2018 by Thames & Hudson

Gekürzte und adaptierte Fassung des Buches by Mary Richards

Welt der Bilder von David Hockney und Martin Gayford

Midas Verlag AG, Dunantstrasse 3, CH 8044 Zürich

Mail: kontakt@midas.ch, Social Media: @midasverlag

Alle Rechte vorbehalten. Printed in China

128



Die Geschichte der Bilder beginnt in den Höhlen und

endet - zumindest momentan - mit dem iPad. Wer

weiss, wohin die Reise noch führt? – David Hockney

David Hockney

Begleite David Hockney und Martin Gayford auf einer

spannenden Reise durch die Welt der Bilder, wunderschön

illustriert von Rose Blake wirst du eine große Bandbreite

von Kunstwerken entdecken: Höhlenmalereien, Fresken,

Skulpturen, Gemälde, Fotografien, Videokunst und

noch viel mehr. Zudem lernst du zahlreiche Künstler wie

Caravaggio, Van Gogh, Monet oder Picasso kennen und

erfährst, wie sie gearbeitet haben. Dieses Buch macht

neugierig und öffnet die Augen für die Vielfalt der Kunst.

David Hockney ist einer der

populärsten lebenden Künstler

der Welt. Er schafft Bilder in fast

jedem Medium und studiert auch

gern die Werke anderer Künstler.

Martin Gayford ist Kunstkritiker

und Autor. Mit David Hockney

führte er im Laufe der Jahre viele

Gespräche über Kunst, von denen

einige zu Büchern wurden.

Martin Gayford

Rose Blake ist eine mehrfach

preisgekrönte Illustratorin aus

London. Sie kennt David Hockney,

seit sie 11 Jahre alt ist.

Rose Blake

www.midas.ch

ISBN-13: 978-3-03876-144-0

MIDAS

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