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Nürnberg GLOBAL. 1300–1600

Weitere Informationen: https://www.deutscherkunstverlag.de/de/books/9783422803213

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NÜRNBERG

GLOBAL

1300–1600


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Literatur:

2


NÜRNBERG

GLOBAL

1300–1600

Herausgegeben von Benno Baumbauer,

Marie-Therese Feist und Sven Jakstat

3


INHALT

8 VORWORT Daniel Hess

13 LEIHGEBER*INNEN

ESSAYS

16 KOORDINATEN FÜR EIN VERSTÄNDNIS VON WELTERFAHRUNG

UND WELTBILD UM 1500 Daniel Hess

24 NÜRNBERG ALS KNOTENPUNKT GLOBALER NETZWERKE

IN DER FRÜHEN NEUZEIT Benno Baumbauer, Sven Jakstat

30 GRENZÜBERSCHREITUNGEN – JÜDISCHE MOBILITÄT UND

URBANE INTEGRATION IN NÜRNBERG 1350–1499 Meyrav Levy

36 METALLE FÜR DIE WELT – NÜRNBERGS NETZWERKE IM

EUROPÄISCHEN UND GLOBALEN BERGBAU Tina Asmussen

42 GLOBALE LUXUSWAREN IN NÜRNBERG Heike Zech

48 VENEDIG ALS NÜRNBERGS TOR ZUR WELT Henry Kaap

54 NÜRNBERG UND JERUSALEM – ZWISCHEN QUASI CENTRUM EUROPAE

UND NABEL DER WELT Florian Abe

60 FURCHT UND FASZINATION – NÜRNBERG UND

DAS OSMANISCHE REICH Stefan Hanß

66 NETZWERKE UND AKTEURE – NÜRNBERG UND DIE IBERISCHE HALBINSEL

IM REISEBERICHT HIERONYMUS MÜNZERS (1494/95) Sven Jakstat

72 ALBRECHT DÜRER UND DIE INDIGENEN DER AMERIKAS –

WAHRNEHMUNGSFORMEN DES UNBEKANNTEN IM NÜRNBERG

DER RENAISSANCE Manuel Teget-Welz

78 TENOCHTITLÁN 1524 – NÜRNBERG UND DIE ERSTE KARTE

EINER AMERIKANISCHEN STADT Daniel Astorga Poblete

84 ALBRECHT DÜRER: DER »MEISTER AUS FIRANG« AM MOGULHOF

IN INDIEN Monica Juneja

90 DIE GLOBALEN BEZIEHUNGEN DER KÜSTE OSTAFRIKAS UM 1500

UND SPRINGERS MEERFAHRT Elgidius E. B. Ichumbaki, Dominicus Z. Makukula


KATALOG

101 PROLOG Kat.-Nr. 1–3

109 NÜRNBERG: PORTRÄT EINER STADT Kat.-Nr. 4–20

145 KUNST, HANDEL UND ÖKONOMIE Kat.-Nr. 21–31

169 LUXUS UND GEWALT Kat.-Nr. 32–41

193 NETZWERKE ZWISCHEN WEST UND OST Kat.-Nr. 42–52

217 ÜBER DIE ALPEN Kat.-Nr. 53–66

247 DIE SEHNSUCHT NACH DEM HEILIGEN LAND Kat.-Nr. 67–74

265 AMBIVALENTE NACHBARSCHAFT:

NÜRNBERG UND DAS OSMANISCHE REICH Kat.-Nr. 75–92

303 ÜBER DIE IBERISCHE HALBINSEL IN DIE AMERIKAS Kat.-Nr. 93–112

345 NÜRNBERG – LISSABON – KALIKUT Kat.-Nr. 113–122

ANHANG

374 BIBLIOGRAFIE

396 PERSONENREGISTER

400 ORTS- UND OBJEKTREGISTER

406 ABBILDUNGSNACHWEIS

407 IMPRESSUM


6


7


VORWORT

Z

ur Zeit der Entstehung des Behaim-Globus war Nürnberg ein global vernetzter Ort, ein Knotenpunkt

des weltweiten Wissensaustauschs. Die Ausstellung Nürnberg GLOBAL 1300–1600 soll

deutlich machen, dass unser Blick auf die Welt immer vom eigenen Standort und Wissen geprägt

ist. Globalisierung zu verstehen, bedeutet, Zusammenhänge, aber auch Widersprüche zu erkennen.

Allein schon die Geschichte der Weltkarten macht die Relativität der jeweiligen Sichtweisen auf die Welt

deutlich: So steht im Mittelpunkt der sogenannten Hereford-Weltkarte um 1300 das christ liche Jerusalem,

während die religiöse Geografie des Islam das Weltzentrum in Mekka verortet. Die im königlichkoreanischen

Auftrag entstandene Kangnido-Weltkarte von 1402 setzt dagegen das territorial übermächtige

China in den Mittelpunkt und zeigt als nächstgrößere Landmasse die koreanische Halbinsel.

Einen spezifisch europäischen Blick auf die Welt um 1500, die sich nach der Kolumbus-Fahrt für

globale Geschäfte öffnete, gewährt dagegen unser Behaim-Globus. Er zeigt die Welt, wie man sie sich

aus europäischer Perspektive vorstellte. Gleichzeitig zieht er eine Summe der damaligen kulturgeschichtlich-technischen

und ökonomiegeschichtlichen Erkenntnisse, bleibt aber mit seinen vielen

Fehlern selbst ein Sinnbild für die Relativität von Weltwissen. Die Welt wird nicht mehr als christlicher

Pilgerweg vom Paradies bis zur Sintflut, von Bethlehem und Jerusalem zum Jüngsten Gericht kartiert,

sondern als globaler Handelsplatz für weltweit verfügbar gemachte Ressourcen. Der Behaim-Globus ist

damit nicht nur ein eindrückliches Dokument des tiefgreifenden Wandels von einem spirituell-religiösen

zu einem merkantil-kapitalistischen Weltverständnis. Er mahnt auch, wie sehr Horizonterweiterungen

immer wieder zur Legitimation von Macht und Ausbeutung missbraucht werden.

Wie relevant und aktuell unser Ausstellungsprojekt ist, unterstreichen Publikationen wie die 2024

in deutscher Übersetzung erschienene Globalgeschichte von David Blackbourn. Darin wird im Guten

wie im Schlechten auf die Rolle der Deutschen in der Welt geblickt, denn an vielen globalen Aktivitäten

ab 1500 waren Deutsche beteiligt: als Händler, Kartografen, Financiers, als Bergwerktechniker, Schiffskanoniere

und Siedler. Immer wieder geht Blackbourn auf die Bedeutung Nürnbergs als globales Handelszentrum

ein. Ein Forschungsmuseum, das Schlüsselobjekte wie den Behaim- und den Schöner-

Globus bewahrt, kann sich folglich der Notwendigkeit einer immer neuen, kritischen Beschäftigung

mit dem europäischen Weltverständnis und der Rolle Nürnbergs nicht entziehen. Und dies schon gar

nicht in einer Zeit, in der sich die Debatte auf immer weitere Felder ausweitet und in der Gegensätzlichkeit

der Positionen um die vermeintlich richtigen globalen und postkolonialen Deutungsansätze zunehmend

polarisiert. Wie lässt sich in einer Ausstellung angemessen über die frühneuzeitliche Globalgeschichte

sprechen, mit der nicht nur die europäische Expansion ihren Anfang nahm, sondern auch eine

in ihrem Dienst stehende eurozentristische Geschichtsschreibung in Gang gesetzt wurde, die vielfach

den Maßstab für das Erzählen der Unterworfenen bildete? Wer waren die Akteurinnen und Akteure,

und von welchen Nar rativen und Weltbildern waren sie geprägt? Wie lässt sich angesichts der lückenhaften

Überlieferung über den Beginn der europäischen Weltnahme in der Frühen Neuzeit erzählen?

8


Diesen Fragen widmet sich das Germanische Nationalmuseum 2025 im Rahmen des Themenjahrs

Global auch in einem kleineren Ausstellungsformat unter dem Titel Vernetzte Welten. Es werden dort

Objekte von globaler Relevanz aus allen Sammlungsbereichen zusammengeführt, um die Komplexität

von Globalisierung über alle Zeiten und geografischen Räume hinweg zur Diskussion zu stellen. Viele

dieser Objekte haben es in sich, wie etwa die in Europa seit dem 16. Jahrhundert für den transatlantischen

Versklavungshandel angefertigten Manillen, die in Westafrika bis in die Moderne als »vormünzliche

bzw. prämonetäre Zahlungsmittel« dienten. Diese sperrige Bezeichnung berührt den Aspekt

einer angemessenen postkolonialen Sprache, denn es handelt sich dabei um einen in jüngeren Zeiten

vereinbarten Begriff, der den zuvor verwendeten, abwertenden Terminus »Primitivgeld« ablöste. Diese

in Europa hergestellten Armreifen aus Kupfer oder Bronze dienten vor allem als Tauschgegenstand im

Versklavungshandel. Die im Germanischen Nationalmuseum verwahrten Stücke warten überdies mit

einer für den postkolonialen Diskurs aufschlussreichen jüngeren Geschichte auf. Als die unter britischer

Hoheit stehenden afrikanischen Länder Mitte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der »operation

manilla« 1948 Münzgeld als gesetzliches Zahlungsmittel einführten, wurden die überflüssig gewordenen

Manillen als Rohstoffe an den europäischen Metallhandel (zurück)verkauft. Unsere Stücke hatte

damals die Nürnberger Diehl-Gruppe erworben, die auch zu den größten Rüstungskonzernen Deutschlands

zählt, und das Germanische Nationalmuseum durfte besonders schöne Exemplare für seine

Sammlung aussuchen. In ihrer charakteristischen Form sind Manillen heute als »afrikanischer

Schmuck« omnipräsent. Wer aber ist sich bewusst, dass die in vielen Museen der Welt verwahrten

Objekte in besonderer Weise die ab dem 16. Jahrhundert wachsende Grausamkeit und Skrupellosigkeit

im Prozess der Globalisierung verkörpern? In den Manillen wird nicht nur die menschenverachtende

Praxis des Versklavungshandels materiell erfahrbar. Solche Objekte, die sich in ihrer langen Geschichte

von der Herstellung bis zur Wiederverwertung als billiger Rohstoff weder geografisch noch

biografisch konkreter verorten lassen, öffnen auch Räume für künstlerische Interventionen und kreative

Erzählformen, um die historischen Leerstellen zu überbrücken.

Die Realisierung des ambitionierten Ausstellungsprojektes Nürnberg GLOBAL war wiederum nur

dank der generösen Förderung durch eine private Stiftung möglich, die neben zahlreichen Leihgaben

sowie Teilen des Katalogs und des Begleitprogramms insbesondere auch eine wissenschaftliche Stelle

zur Erweiterung des Ausstellungsteams finanzierte. Der Großzügigkeit der leihgebenden Einrichtungen

und Personen ist es zu verdanken, dass wir zahlreiche hochrangige Exponate aus dem In- und Ausland –

oft erstmals – in Nürnberg zeigen können. Hierfür gilt unser herzlicher Dank allen in der anschließenden

Liste genannten Personen und Institutionen. Einige seien hier besonders genannt: so die Staatlichen

Kunstsammlungen Dresden, vertreten durch Generaldirektor Bernd Ebert, die dem Germanischen

Nationalmuseum die spektakuläre Lavabo-Garnitur des Nürnberger Goldschmieds Nicolaus

Schmidt mit einer in Gujarat gefertigten Perlmutterschale aus dem Grünen Gewölbe zur Verfügung

9


14


ESSAYS

15


Heike Zech

GLOBALE LUXUSWAREN

IN NÜRNBERG

▬▬▬▬▬

Abb. 1 Georg I. Rühl, Trinkgefäß

als Rebhuhn, 1598–1602,

London, Victoria & Albert Museum,

Inv.-Nr. LOAN:GILBERT.60:1, 2-2008,

Foto: © Victoria and Albert

Museum, London

1 Originalzitat: »[O]bjects contributed

to shaping the period’s sentiments,

ideas and practices rather than just

representing existing values and

aesthetic ideals. Innovative uses of

matter, texture and form helped to

constitute contexts in which these

objects took on meaning.« Rublack

2013, S. 41–42.

2 Vgl. NGK 2007.

3 Der Nachweis für die Verwendung

südamerikanischen Silbers in Nürnberger

Werkstätten ist noch zu führen,

doch ist sie schon allein angesichts

des Umfangs der Förderung und ihres

Exports nach Europa ab dem letzten

Drittel des 16. Jahrhunderts wahrscheinlich.

Vgl. Hanke 2012; Lane

2019.

Z

wischen 1300 und 1600 konnte Nürnbergs

Bürgerschaft kostbare und seltene Fernhandelswaren

in immer größerer Vielfalt

und Quantität erwerben. Dieser Beitrag stellt beispielhaft

solche globalen Luxuswaren vor und beleuchtet

deren Verwendung und Bedeutung zwischen

dem 14. und frühen 17. Jahrhundert. »Objekte

haben dazu beigetragen, die Einstellungen, Ideen

und Gewohnheiten dieser Epoche zu prägen, anstatt

nur bereits etablierte Werte und ästhetische Ideale

widerzuspiegeln. Der neuartige Umgang mit Material,

Textur und Form wirkte an der Gestaltung von

Umgebungen mit, in denen diese Objekte Bedeutung

erlangten«, 1 schrieb Ulinka Rublack über die

Dingkultur der europäischen Renaissance. Nürnberg

ist eine solche gestaltete Umgebung. Sowohl

die Produktion als auch der Konsum von Luxusund

Premiumwaren erfüllten in Nürnberg zwischen

1300 und 1600 wichtige gesellschaftliche

Funktionen: Sie zeigten Prestige, Wohlstand, Macht

und gesellschaftliche Zugehörigkeit an und konnten

zugleich aufgrund ihrer Novität eine geradezu subversive

Kraft entfalten |Kat.-Nr. 16, 41, 104, 120|.

Zudem ernährte der Luxussektor eine Reihe hochspezialisierter

Handels- und Handwerksbetriebe

und die mit ihnen verbundenen Personen. Deshalb

steht die Weiterverarbeitung globaler Materialien

durch Nürnberger Goldschmiede am Beginn der

Betrachtung.

Goldschmiedekunst: Welt veredeln

Bereits im Spätmittelalter etablierten Nürnbergs

Goldschmiede ihr Handwerk mit der Garantiemarke

»N« als europaweit bekannte und gefragte Marke.

Der Innere Rat der Stadt verwendete über Jahrhunderte

hinweg in Nürnberg gefertigte Produkte als

diplomatische Geschenke und trug so wesentlich zu

diesem Erfolg bei. 2 Neben den Plattnern |Kat.-Nr. 36|

wurden die Goldschmiede zum städtischen Vorzeigehandwerk,

dessen Ruhm auf alle Metall verarbeitenden

Handwerke der Stadt abstrahlte. Das Schlüsselfelder-Tafelschiff

|Kat.-Nr. 97| von 1503 ist eines

der frühesten Werke, auf denen das Nürnberger »N«

erkennbar ist – es erscheint an prominenter Stelle

am Bug. Über die Herkunft des für den Tafelaufsatz

verwendeten Silbers kann nur spekuliert werden.

Nürnberger Goldschmiede konnten vor 1492 unter

anderem auf Material aus Minen der Nürnberger

Handelshäuser, etwa in Kuttenberg, Schwaz, Annaberg

und Joachimsthal, zurückgreifen. Doch dürfte

auch südamerikanisches Silber – etwa aus den reichen,

1545 erschlossenen Vorkommen am Silberberg

von Potosí – bereits früh in Nürnberger Werkstätten

verwendet worden sein. 3

Die Verarbeitung global gehandelter Materialien

war nicht allein auf Edelmetalle beschränkt, denn

in Nürnberg wurden auch erlesene Dinge aus aller

Welt in Edelmetall gefasst: Straußeneier aus Afrika

und von der Arabischen Halbinsel, Kokosnüsse,

Perlmutter und Meeresschneckengehäuse aus dem

asiatischen Raum |Kat.-Nr. 2, 16, 41, 104, 120|, zarte

Glasgefäße aus Venedig und Antwerpen. Einen besonderen

Stellenwert scheinen, insbesondere am

Ende des 16. und im frühen 17. Jahrhundert, Perlmutterarbeiten

aus dem Sultanat Gujarat im Nordwesten

Indiens eingenommen zu haben. Portugiesische

Händler brachten ab dem 16. Jahrhundert

solche mit Blättchen aus Gehäusen von Meeresschnecken

verzierten Gefäße, Möbel und Schatullen

über Goa nach Europa. Die indischen Werkstätten

reagierten auf die steigende Nachfrage und

stellten Objekte unterschiedlichster Qualität für

den Export nach Westen von der Hohen Pforte bis

nach Portugal her. Ihre besten Arbeiten zeichnen

sich durch die feinst geschnittenen Perlmutterstücke

aus, deren schuppenartige Form an Blütenblätter

erinnert. Sie sind ohne erkennbare Lücken

aneinandergefügt und mit kleinen Metallstiften

auf dem Holzkern des Objekts befestigt worden

|vgl. Kat.-Nr. 2|. Davon unterscheidet sich eine

Gruppe von dicht mit Perlmutterstücken besetzten

Nürnberger Trinkgefäßen in Gestalt von Vögeln

43


▬▬▬▬▬

Abb. 2 Hans I. Rappolt, Trinkgefäß

als Papagei, 1593–1602, Dresden,

Staatliche Kunstsammlungen,

Grünes Gewölbe, Inv.-Nr. III 151,

Foto: © Grünes Gewölbe,

Staatliche Kunstsammlungen

Dresden, Foto: Jürgen Karpinski

auffallend: Erhalten sind vier zeitgleich entstandene

Rebhühner und ein Papagei |Abb. 1–2|, die

neben der mit demselben Punzen geschlagenen

Nürnberger Beschaumarke jeweils das Meisterzeichen

einer anderen Werkstatt aufweisen. Man

nutzte die kostbaren globalen Ressourcen also

offenbar gemeinsam. 4 Jede Feder wurde einzeln

zugeschnitten, die passende Größe und Rundung

sorgfältig aus dem Schneckenhaus herausgearbeitet.

Anschließend schnitzte man die Details der

Blättchen. Diese wurden, Ziegeln ähnlich, überlappend

auf dem Silberkorpus fixiert, damit die Befestigungsstifte

unsichtbar bleiben. Die Bearbeitung

der Federn ist bei den fünf bekannten Gefäßen derart

ähnlich, dass sie in derselben Werkstatt vorbereitet

worden sein dürften, bevor die Goldschmiede

sie zu Gefäßen verarbeiteten. Gestaltung und Befestigungstechnik

der Perlmutterfedern weichen

deutlich von Arbeiten aus Gujarat ab, was vermuten

lässt, dass sie erst in Europa, vielleicht sogar in

Nürnberg, geschnitzt wurden. Sicher ist, dass sie in

der Noris als Trinkgefäße montiert wurden, jedoch

nicht für den Verbleib in der Stadt bestimmt

waren: Heute sind die Trinktiere in vier verschiedenen

Ländern beheimatet.

Textilien und Leder: globale

Materialien, europäische Trends

Nicht nur die Goldschmiede verarbeiteten und

veredelten Materialien aus dem internationalen

Handel, auch auf Textilien, Felle und Leder spezialisierte

Handwerke waren auf einen stetigen Warenfluss

angewiesen, um etwa Schleier, Schuhe

oder Kleidung herzustellen. Die Futteralmacher –

ein heute oftmals übersehenes historisches Handwerk

– verwendeten in Marokko, Italien oder

Spanien gegerbtes Leder. 5 Zudem wurden fertige

Modeartikel nach Nürnberg gehandelt: So könnte

ein Schuh aus feinstem Ziegenleder, den Margarethe

Völker gemäß der Familienüberlieferung am

44


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Literatur:

98


KATALOG

99


1

BEHAIM-GLOBUS

Martin Behaim (Entwurf)

Georg Glockendon d. Ä. (Bemalung)

Nürnberg, 1492–1494

Geleimte Stoffe, Pergament, Papier

bemalt; Eisen geschmiedet, bemalt;

Messing gegossen, punziert, graviert

H. 133 cm; Dm. 51 cm

GNM, Inv.-Nr. WI1826

Foto: GNM/Jürgen Musolf

Literatur:

Ravenstein 1908; Dekker 2007,

S. 141–147, Abb. 6.4; Eser 2010/I;

Schmieder 2021, passim; Hess 2022,

S. 44–48.

J

eder Blick auf die Welt ist vom eigenen Standort und Wissenshorizont geprägt: Der Behaim-

Globus kartiert das Wissen über die Welt aus Nürnberger und portugiesischer Sicht zum Zeitpunkt,

als Kolumbus seine erste Amerikareise im Auftrag der »Katholischen Könige« unternahm;

auf den Bahamas landete er am 12. Oktober 1492. Da der Nürnberger Martin Behaim (1459–1507)

in portugiesischen Diensten tätig war |vgl. Kat.-Nr. 114|, liegt ein Schwerpunkt seines Erdapfels auf der

mit portugiesischen Hoheitszeichen gespickten afrikanischen Westküste, die Portugal seit der Eroberung

von Ceuta 1415 bis zur Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung 1488 systematisch erkundet und

mit Handelsstützpunkten besetzt hatte. Dass Behaim die Südspitze Afrikas auf der Höhe von Cape

Cross im südlichen Namibia verortete, zeigt die Relativität des damaligen kartografischen Weltwissens

selbst in bestinformierten Kreisen.

Als ältester erhaltener Globus – seit 2023 UNESCO-Weltdokumentenerbe – ist Behaims Erdapfel das

letzte kartografische Zeugnis Europas, auf dem die amerikanischen Kontinente noch fehlen. Die mit dem

ersten Kolumbus-Brief im März 1493 nach Europa übermittelte und dann über Druckausgaben in ganz

Europa verbreitete Nachricht von der Anlandung der »indischen« Inseln hat die Verfertiger des Globus

nicht mehr erreicht. Einzigartig und bemerkenswert macht den Globus über seine historische Sonderstellung

hinaus, dass er als erste europäische Weltkarte weder das irdische Paradies noch den Geburtsort

Christi oder andere heilsgeschichtliche Orte verzeichnet, die bis dahin Standard auf den spätmittelalterlichen

Weltkarten (Mappae mundi) waren. Behaim beließ es beim Berg Ararat und dem

Priesterkönig Johannes und verzichtete auch auf die Verortung antiker Sagenstoffe. Die Welt erscheint,

wie sie Marco Polo und die später als Fälschung entlarvte Reise des Ritters Jean de Mandeville beschrieben

hatten. Mit Motiven wie den Schattenfüßlern und anderen Kuriositäten wird noch weiter zurückliegendes

Weltwissen aus mittelalterlichen Prosawerken wie dem Lucidarius (um 1190) aufgegriffen.

Völlig neu ist jedoch die Fokussierung auf die globalen Ressourcen und die Frage einer möglichst

gewinnbringenden Logistik – Aspekte, die fortan das von ökonomischen Interessen gesteuerte Agieren

in der Welt bis heute dominieren. Neben Gold und Edelsteinen spielen Gewürze wie Pfeffer, Safran und

Muskatnuss eine führende Rolle, da mit diesen Luxusgütern besonders hohe Gewinne zu erzielen

waren |vgl. Kat.-Nr. 38|. In ausführlichen Textpassagen wird ihr möglichst direkter Transport nach

Europa propagiert, um Mehrkosten durch Zwischenhandel und Verzollung zu vermeiden. Mit dem im

Auftrag des Nürnberger Rates angefertigten und ursprünglich im Rathaus aufgestellten Globus sollten

die im europäischen Handel vielfach erprobten Nürnberger Patrizier für den finanziell und operativ

riskanten Seehandel motiviert werden. Das neue Medium der Erdkugel erleichterte dabei die Vorstellung

einer größer gewordenen Welt. Nürnberg verstand sich um 1500 nicht nur als frühindustrieller

Produktionsort und Wissensmetropole, sondern auch als eines der Zentren des zunehmend globaler

werdenden Handels, mit allen seinen Schattenseiten, wie sie mit Zuckerplantagenwirtschaft und Sklavenhandel

auf dem Globus zu erschließen sind. So wurde im Golf von Guinea seit 1471 jener fatale sogenannte

Dreieckshandel entwickelt, der ab 1518/1520 in die Karibik und dann nach Brasilien ausgeweitet

wurde. Im Vertrag von Tordesillas hatten Spanien und Portugal 1494 die ihnen damals bekannte

Welt unter sich aufgeteilt – Weltentdeckung und Welteroberung gingen Hand in Hand.

Daniel Hess

102


103


Kat.-Nr. 19

142


Kat.-Nr. 20

143


28

IMHOFF-HOLZSCHUHER-POKAL

UND SZENEN AUS DEM BERGBAU

28.1 Imhoff-Holzschuher-Pokal

Hans Pezolt

Nürnberg, 1593/1602

Silber, vergoldet, getrieben, gegossen,

graviert, ziseliert, geätzt, punziert

H. 46,3 cm; Dm. 12,4 cm (Fuß);

Dm. 11,8 cm (Kuppa)

Madrid, Thyssen-Bornemisza

Collec tions, Inv.-Nr. DEC0972

Foto: Thyssen-Bornemisza Collections

28.2–3 Szenen aus dem

Bergbau (Abb. S. 40)

Virgil Solis

Nürnberg, vor 1562

Radierung

28.2: H. 3,2 cm; B. 16,9 cm

Berlin, SMB, Kupferstichkabinett,

Ident.-Nr. 814-6

28.3: H. 3,3 cm; B. 17,1 cm

Berlin, SMB, Kupferstichkabinett,

Ident.-Nr. 815-6

Literatur:

Pittioni 1969, S. 1–37; Ausst.-Kat.

Nürnberg 1985, S. 255, Kat.-Nr. 74

(Günther Schiedlausky); Müller 1986,

S. 194–199, Kat.-Nr. 58; Ausst.-Kat.

Bochum 1990, S. 518–526, Kat.-

Nr. 230 (Rainer Slotta); Tebbe 2007,

S. 176.

1 Ausst.-Kat. Bochum 1990, S. 518–

526, Kat.-Nr. 230 (Rainer Slotta);

Pittioni 1960, S. 1–37.

2 Hildebrandt 1977, S. 223;

Kalus 2010, S. 92–93.

3 Müller 1986, S. 194–199,

Kat.-Nr. 58.

4 Krauß 1732, S. 16.

5 NGK 2007, Bd. 1, T. 1, S. 305,

Kat.-Nr. 640.17.

D

er sogenannte Imhoff-Holzschuher-Pokal steht auf einem Fuß mit Darstellungen der vier Elemente.

Darauf erhebt sich als Schaftfigur das Wappentier der Nürnberger Patrizierfamilie Imhoff,

der Seelöwe. Blattwerk leitet über zu der glockenartigen Kuppa mit neun Reliefs mit Szenen

aus dem Bergbau und der Verarbeitung von Erzen. 1 Den gewölbten Deckel mit Darstellungen der

vier Jahreszeiten bekrönt nochmals der Imhoffsche Seelöwe auf einem obeliskartigen Aufbau.

Die Familie Imhoff gehörte ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zu den wichtigsten Nürnberger Metallgroßhändlern

und war u. a. Teilhaber an der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft, die im Vertrieb

des in den dortigen Saigerhütten gewonnenen Kupfers und Silbers aktiv war. 2 Die Darstellungen an

der Kuppa des Pokals nehmen vermutlich auf dieses Engagement Bezug. Der ursprünglich aus der

Berg baustadt St. Joachimsthal stammende Goldschmied Hans Pezolt (um 1551–1633) orientierte sich

bei den Bergbau- und Saigerdarstellungen teilweise an Vorlagen von Virgil Solis (1514–1562) |Abb. S. 40|,

scheint aber auch eigene Ideen umgesetzt zu haben.

Am breiten Lippenrand ist ein Lobgedicht auf den Bergbau zu lesen. Darunter werden sechs auf

der großen Wölbung der Kuppa dargestellte Szenen benannt |Abb. S. 41|: »Das Erste Bergkwerckh« zeigt

die Arbeit in der Grube. 3 Ein Hauer bearbeitet die Wand des Stollens, weitere Knappen befüllen einen

Trog mit Gesteinsbrocken. »Das ander Bergkwerckh« stellt die Grube über und unter Tage dar, in die ein

Knappe auf einer »Fahrte« genannten Leiter ein- oder ausfährt. Ein zweiter Bergmann zieht eine gefüllte

Mulde hinter sich her. Über Tage bearbeitet ein weiterer Gesteinsbrocken. »Das dritte Bergwerckh« veranschaulicht

die Förderung: Zwei Knappen holen mit einer Winde einen Eimer aus dem Schacht. Aus

einem Stollen daneben schiebt ein weiterer Bergmann einen Förderwagen. Mit »Ertzwegen« ist das Wiegen

der von einem Knappen zerkleinerten Erzbrocken bezeichnet. Der nächste Aufbereitungsvorgang

der Erze ist mit »das Wäschwerckh« betitelt: Ein von einem Aufseher überwachter Bergmann wäscht

an einem Brunnen das von einem Knappen zerkleinerte Erz in einem Trog. Die sechste Szene, mit

»TreibOfen« überschrieben, schildert das für die Silbergewinnung hochbedeutende Saigerverfahren,

also die Trennung von Kupfer und Silber durch Bleizusatz in einem Treibofen. Drei kleinere, nicht betitelte

Reliefszenen auf dem unteren Teil der Kuppa veranschaulichen die weitere Erzverarbeitung.

Zwei davon widmen sich dem Einschmelzen der Erze und dem Beproben der Legierung; das dritte zeigt

das Wiegen des Metalls.

Im Deckelinneren befindet sich eine gravierte Plakette mit der Darstellung der Berufung der Apostel

Petrus und Andreas, umgeben von einer Beischrift der Namen »ANNA REGINA. GEORGIUS ET

VITUS GEORGIUS HOLTZSCHUCHERI«. Eine weitere Plakette mit dem Holzschuher-Wappen an der

Unterseite des Fußes verrät, dass der Pokal 1626 als Dankesgabe der drei im Deckel genannten Mündel

an ihren Onkel »ANDREAE IM HOFF« (Andreas III. Imhoff; 1572–1637) geschenkt wurde. Er hatte nach

dem Tod ihrer Eltern die Vormundschaft für sie übernommen und war zu dieser Zeit Oberverwalter des

Eißfelder Saigerhandels. 4 Entgegen bisheriger Meinung schuf Hans Pezolt den Pokal gemäß der Geltungsdauer

der Beschaumarke bereits zwischen 1593 und 1602. 5 Er kann deshalb nicht von den Mündeln

in Auftrag gegeben worden sein, die alle erst ab 1602 geboren wurden. Vermutlich kam er als Erbstück

von ihrer Mutter Regina (1580–1613) in den Besitz der Holzschuher-Kinder. Sie war die Schwester

von Andreas Imhoff und hatte Einlagen in der Gräfenthaler Saigerhandelsgesellschaft. Die für die bisherige

Datierung maßgeblichen Plaketten wurden also erst nachträglich anlässlich der Schenkung an

Andreas Imhoff angebracht.

Birgit Schübel

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Kat.-Nr. 36


Kat.-Nr. 37

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