Baumeister 10/2025
Wasser
Wasser
Verwandeln Sie Ihre PDFs in ePaper und steigern Sie Ihre Umsätze!
Nutzen Sie SEO-optimierte ePaper, starke Backlinks und multimediale Inhalte, um Ihre Produkte professionell zu präsentieren und Ihre Reichweite signifikant zu maximieren.
B10
BAU
Oktober 2025
122. JAHRGANG
Das Architektur-
Magazin
MEISTER
Wasser
4 194673 018502
10
D 18,50 €
A,L 20,95 €
CH 2 4 , 9 0 S F R
Wasser
war vor dem
Entwurf
TITELBILD Verbindend. Eine westliche
Autobahntrasse überquert
in Sankt Petersburg Inseln und
Halbinseln. Was sich da über dem
glitzernden Wasser am Hafen
spiegelt, ist die Schrägseilbrücke
über die Korabelny-Fahrrinne
der Newa, gebaut 2016.
… liebe Leserinnen, liebe
Leser. Vor der Statik. Vor
der Wand. Noch bevor
der erste Ziegel je gesetzt
wurde, war da das Wasser –
als Ursprung, als Bedrohung, als Versprechen. Es ist das
älteste Element, mit dem der Mensch sich architektonisch
auseinandersetzen musste. Und zugleich ist es dasjenige,
das uns heute am stärksten herausfordert.
Wasser ist Lebensquell und Baustoff, Grenze und Verbindung
zugleich. Kein Element prägt Landschaften, Städte
und Kulturen so nachhaltig – und keines stellt Architektinnen
und Architekten vor so komplexe Aufgaben. Wer mit
Wasser baut, baut immer auch gegen die Zeit. Denn Strömungen,
Korrosion, Versickerung und Flutzyklen verhandeln
gnadenlos mit unseren Entwürfen.
Denn es reicht längst nicht mehr, das Wasser als romantischen
Spiegel für glänzende Fassaden zu begreifen. Die
großen Herausforderungen unserer Zeit – Klima, Migration,
Ressourcenverteilung – sind Wasserfragen. Sie entscheiden
darüber, wo Städte entstehen, wie lange sie bestehen und
für wen sie noch bewohnbar sein werden. Wer heute mit
Wasser baut, gestaltet nicht nur einen Ort, sondern ein System.
Was dabei deutlich wird: Bauen mit Wasser verlangt
mehr als Kreativität. Es verlangt Demut. Vor der Dynamik
des Elements. Vor der Geschichte der Orte. Und vor der
Zukunft, die sich längst nicht mehr linear denken lässt.
Diese Ausgabe ist ein Plädoyer für eine Architektur, die
das Wasser nicht bannt, sondern versteht. Die sich dem
Unplanbaren stellt – mit Wissen, Präzision und einer großen
Geste. Denn wo Wasser ist, ist Leben. Und wo Leben ist,
muss gebaut werden.
COVERFOTO: DARYA SANNIKOVA/PEXELS
Diese Ausgabe widmet sich Projekten, die sich genau dieser
Herausforderung stellen. Von innovativen Wohnhauskonzepten
über Brücken bis zu planerischen Meisterwerken,
die das Arbeiten auf dem Wasser ermöglichen: Wir zeigen
Architektur, die mit dem Wasser tanzt – statt dagegen
anzukämpfen. Gleichzeitig machen wir uns Gedanken: Wie
bauen wir, wenn Süßwasser zur globalen Mangelressource
wird? Welche Strategien braucht es, um Wasser nicht nur
als Gestaltungselement, sondern auch als Verantwortung zu
begreifen? Und wie können Städte resilienter werden, wenn
das Wasser kommt – nicht vielleicht, sondern sicher?
Blättern Sie mit uns durch Projekte, die schwimmen, schweben,
schützen und über sich hinauswachsen. Schreiben
Sie mir gern, wenn Ihnen dabei etwas auffällt, das unter die
Haut geht – oder über den Tellerrand schwappt.
Herzlichst,
Tobias Hager
Chefredakteur
t.hager@georg-media.de
03
II Ideen
Wasser ist weit mehr als nur eine Ressource:
Es formt die Architektur und beeinflusst
die Stadtplanung maßgeblich. Diese Ausgabe
erkundet, wie Wasser als Gestaltungs-
element genutzt und ihm als Herausforderung
in Bauprojekten begegnet wird.
14 Hotel auf der
Überseeinsel
Bremen
28 Haus
am Hainer See
36 Brücke
über die Aare
40 Brücke
über die Garonne
48 Schwimmbadsanierung
in Werne
und Stuttgart
56 Ufergestaltung
Donauinsel
in Wien
Positionen
Seite 22
Rotterdam:
„Wasser liegt in
unseren Genen“
Seite 44
München:
Freibadsanierung
mit biologischem
Filter
+
III Inspiration
ab Seite 65
13
STANDORT
Auf der Muggenburg 30, Bremen
ARCHITEKTUR
DMAA, Wien
Projektmanagerin: Eva Schrade
Mitarbeit: Birgit Miksch, Martin
Schneider, Toni Nachev, Alex Pop,
Klaudia Prikrill, Jakub Tyc
AUSFÜHRUNGSPLANUNG
dt+p (Reislager);
Gruppe GME Architekten (Silo)
TRAGWERKSPLANUNG
Wittler Ingenieure GmbH
PLANUNGSBEGINN
2018
BAUBEGINN
2020
FERTIGSTELLUNG
2024
Cornflakes
waren
gestern
ARCHITEKTUR
DMAA, Wien
TEXT
Stefan Leppert
FOTOS
Piet Niemann
Direkt an der Weser entsteht in Bremen ein
Stadtquartier, die „Überseestadt“, so genannt wegen
des ehemaligen Überseehafens, auf dessen Fläche
nun Menschen wohnen, arbeiten und ihre Freizeit
verbringen werden. Darin liegt die „Überseeinsel“,
auf der ein Silogebäude in ein Hotel verwandelt wurde.
Ressourceneffizienz stand bei dem Projekt im
Zentrum der Überlegungen.
15
Während das Silogebäude,
einst Lager für Mais und Vitaminstoffe,
größtenteils erhalten
werden konnte, erwies sich
das benachbarte Reislager
als baufällig. Es musste abgerissen
werden und ist von
DMAA als durchgängige Markthalle
mit viel Abrissmaterial
neu aufgebaut worden
(rechts im Bild).
16 B10 / 25 – WASSER IMPULS IDEEN INSPIRATION
Den Schriftzug kennt jeder, auch den krähenden Frühstückshahn
mit grünem Kopf, gelbem Schnabel, rotem Kamm.
Mit dem Satz „Wie kann man nur irgendetwas essen, das
Augen hat!“ prägte John Harvey Kellogg wortgewandt
das Credo des Vegetarismus, vor über 100 Jahren, als er mit
seinem Bruder William Keith in Battle Creek/Michigan
anfing, Maisgrieß zu erhitzen, zu walzen und die Flöckchen
zu rösten, um sie dann als Cornf lakes in die weite Welt
zu schicken. Nach wie vor zieren hierzulande die Kellogg’s-
Flocken Millionen Frühstückstafeln, aber in Bremen war
2018 endgültig Schluss mit der Produktion. Nicht viel Zeit
verging, als die Stadt Szenarien für die auf der sogenannten
Überseeinsel gelegenen Kellogg-Immobilien entwickelte.
Besonders markant in der Silhouette waren die Silos aus den
1970er-Jahren, immerhin 40 Meter hoch, darauf prankend
der hellrote Schriftzug. Doch was sollte man tun mit acht
aneinandergeklebten Siloröhren und dem direkt daran angelehnten,
sechsstöckigen Vitaminlager? Abreißen?
DIE LANDMARKE ERHALTEN
In diesem Jahr wurde das Projekt „John & Will Silo-Hotel“
mit dem Deutschen Städtebaupreis ausgezeichnet. Entscheidend
dafür war, dass die Stadt sich für den Erhalt des
Gebäudekomplexes entschieden hat und die Wiener Architekten
DMAA Delugan Meissl Associated Architects es
geschafft haben, in den Silos ein Hotel unterzubringen –
konzeptionell durchzogen von dem Ziel, den ökologischen
Fußabdruck möglichst gering zu halten. Treffenderweise
heißt es nach den Gründervätern der Frühstücksflocken und
wird von der dänischen Hotelkette Guldsmeden betrieben,
die sich für all ihre Häuser hohe Nachhaltigkeitsstandards
gesetzt hat.
Man sollte hier weniger von Neubau als von einer umfassenden
Sanierung sprechen. Laut eines DMAA-Papiers ging
es um den „Dialog zwischen Alt und Neu“, um „nachhaltigen
Umgang mit Ressourcen“ und darum zu verdeutlichen, dass
die Arbeit mit Bestand eine „kulturelle Leistung“ ist.
Bevor Gäste aus den halbrunden Fenstern der 117 Hotelzimmer
ihren Blick auf die Weser und über die Stadt hinaus
ins platte Land genießen konnten, ist scheinbar wenig, tatsächlich
aber sehr viel geschehen: Man hat allein 4.000 laufende
Meter sechzehn Zentimeter starken Beton geschnitten,
vorwiegend für die Fenster und die innere Erschließung zu
den Zimmern. Denn im Innern der von außen sichtbaren
Silokörper lagen sechzehn weitere Zwischensilos, die stabilisierende
Wirkung hatten und in denen nun die Erschließung
der Zimmer verläuft und die Badezimmer liegen.
ROBUSTER BESTAND
Beeindruckende 3.500 Kubikmeter herausgeschnittener
Beton, ein Volumen von etwa 15 x 15 x 15 Metern, sind mit
Schubkarren aus den Silos herausgeschoben worden. Um
möglichst wenig Material und Energie für den Innenausbau
WEITER
17
Bremens Hafenanlagen sind
westwärts gezogen und machen
Platz für ein riesiges Entwicklungsgebiet,
darunter die „Überseeinsel“,
eine rund 40 Hektar
große Landzunge an der Südseite
des Europahafens mit direktem
Anschluss zur Innenstadt.
einzusetzen, sind die Innenoberflächen
vielfach nur
gesäubert worden. Nur wo
der Beton abblätterte oder
die Bewehrung zutage trat,
verputzte man neu. Es
herrscht damit ein eher raues
Ambiente auf den Fluren und im Foyer. In den Zimmern
dagegen soll es dank klarem dänischen Design hyggelig zugehen.
Das direkt angebaute Vitaminlager, ein sechsgeschossiges
Stahlbetonskelett mit Ziegelausfachungen, wurde
durch wenige Eingriffe energetisch saniert und dient nun
als Bürofläche für Start-ups und den Hotelbetrieb.
Zum schonenden Umgang mit Ressourcen zählt selbstverständlich
das Energiekonzept für Hotel und ehemaliges
Vitaminlager, ausgearbeitet von einem externen Expertenteam
des Bremer Investors. Es ist ein Mix aus Windenergie,
einer Photovoltaikanlage auf dem Neubau nebenan,
einem Blockheizkraftwerk und einem Flusswasserwärmetauscher.
Bei Letzterem fließt Weserwasser durch den
Wärmetauscher und wird je nach Jahreszeit und Bedarf zum
Heizen oder Kühlen verwendet. Im Winterquartal verwandelt
sich so etwa eine 600 Quadratmeter große Eventfläche
in eine Eislaufbahn. Beim nebenan liegenden Neubau,
eine Markthalle mit Doppelgiebel, handelt es sich um
den Ersatz für ein ehemaliges Reislager. Es galt nicht mehr als
standsicher und musste abgerissen werden. Die Architekten
haben für den Neubau allerdings die alten Ziegel verwendet
und auch die ursprüngliche Silhouette wiederhergestellt.
Das Thema Mobilität darf bei einem zukunftsweisenden
Energiekonzept selbstverständlich auch nicht fehlen. Daher
wird in den kommenden zwei Jahren gleich außerhalb der
Überseeinsel ein Parkhaus, natürlich mit Ladesäulen, entstehen,
um das Quartier autofrei zu bekommen. So können
Gäste und Personal die Nachhaltigkeitsstrategie täglich
hautnah erleben. Im Hotel duftet es bereits nach Ökoreinigern,
die Inneneinrichtung besteht zum großen Teil aus natürlichen
Materialien, es gibt keine stromfressende Minibar und
keine Fernseher. Wer gar nicht ohne Bildschirm kann,
bekommt an der „Barception“ ein Tablet. Die Wäsche wurde
nach den strengen Richtlinien des Global Organic Textile
Standard (GOTS) zertifiziert, gewaschen wird sie in der nur
zehn Kilometer entfernten Wäscherei. Alle Pflegeprodukte
sind Ecocert-zertifiziert, der auf dem Gelände geröstete
Kaffee kommt mit dem Lastenrad, das nebenan gebraute Bier
rollt in Fässern quer über den Hof, das Lauf band im Gym
funktioniert nur mit der Körperkraft. Eine Lücke zu finden
im Konzept der Kreislaufwirtschaft beim Silo-Hotel in
Bremen – von Bau über Ausstattung bis zum Betrieb – ist gar
nicht so leicht.
ABBILDUNG OBEN: ÜBERSEEINSEL GMBH
18 B10 / 25 – WASSER IMPULS IDEEN INSPIRATION
Rotterdam
„Wasser
liegt in unseren
Genen“
POSITION
Juliane von Hagen
Der Name Niederlande weist bereits darauf hin,
dass große Teile des Landes „tief“ unter dem Meeresspiegel
liegen. Deshalb sammelt die Nation
seit Jahrhunderten Erfahrung im Umgang mit Wasser.
Trotzdem stellen die aktuellen Klimabedingungen
sie vor neue Herausforderungen. So sucht zum Beispiel
Rotterdam aktuell wieder nach Lösungen für das
zukünftige Leben mit dem Wasser.
FOTO: CHAY KELLY VIA UNSPLASH
22 B10 / 25 – WASSER IMPULS IDEEN INSPIRATION
Weite Teile des niederländischen Festlands
wurden entweder der Nordsee oder Binnengewässern
abgerungen. Früher halfen dabei
vor allem Windmühlen – die noch heute
Wahrzeichen der Niederlande sind –, Wasser
abzupumpen und bewohnbares Land zu
schaffen. Jahrhunderte später setzten sich
kraftstoff betriebene Pumpen durch. Noch
heute ist ein ausgeklügeltes Wassermanagement
erforderlich, um die Pegel im Land
zu regulieren. Trotz ständiger Bemühungen,
gewonnene Gebiete durch Deiche zu
schützen, wurden die Niederlande 1953 von
einer schweren Sturmf lut überrascht.
Mehrere Deiche überfluteten, große Gebiete
im Südwesten überschwemmten und fast
2.000 Menschen verloren ihr Leben. Die Niederländer
fürchteten eine Wiederholung
dieser Ereignisse und verstärkten ihren
Küstenschutz. Das Ergebnis sind die heutigen
„Deltawerke“, ein weit verzweigtes System
von Dämmen und Sturmflutwehren entlang
der Flüsse und Küstenlinien.
Außerdem nehmen auch Dürreperioden
zu, die die Ökosysteme, Wasserqualität und
die Wirtschaft der Stadt beeinträchtigen.
So schränken zum Beispiel auch zu niedrige
Flusspegel den Schiffsverkehr ein.
„LE BE N M IT DE M WASSE R“
Seit fast dreißig Jahren verfolgen die
Niederländer nun den Ansatz, der im Vierten
Niederländischen Memorandum zur
Wasserwirtschaft festgelegt ist: „mit dem
Wasser leben“ anstelle von „versiegeln,
ableiten und wegpumpen“. Rotterdam will
eine Schwammstadt werden, also Wasser
möglichst lange vor Ort halten, speichern
und erst langsam ableiten. Mit diesem
Ziel im Blick hat die Stadt verschiedene
Projekte umgesetzt. Sie reichen von städtischen
Plätzen, die sich in Wasserbecken verwandeln
können, über Parkhäuser als
Wasserreservoir bis zur Speicherung von
Wasser in Grünflächen und auf Dächern.
Die Stadt und der Hafen von Rotterdam
benötigten jedoch mehr Schutz. Es wurde
die sogenannte „Maeslantkering“ gebaut,
also bewegliche Tore im Wasser, die sich
automatisch schließen, sobald der Wasserstand
in Rotterdam drei Meter erreicht.
Bei geschlossenem Zustand ist dann der
Schiffsverkehr in den Hafen unterbrochen,
was bisher allerdings nur einmal vorkam:
im Dezember 2023, als Hochwasser und
der Sturm Pia zusammenkamen.
HAFEN UND STADT
ROTTERDAM
Mit Zugang von der Nordsee, über das
Flussdelta von Rhein, Maas und Schelde, ist
der Rotterdamer Hafen der größte Europas.
Es gilt ihn also gut zu schützen. Da etwa
85 Prozent der Stadt unter dem Meeresspiegel
liegen, bedarf es über Tausend Pumpstationen,
um täglich Regen und Abwasser
zu pumpen. Doch extreme Wetterereignisse
setzen dieses Rotterdamer Wassermanagementsystem
unter Druck. Die Überschwemmungen
drohen insbesondere den Hafen
der Stadt zu gefährden. Aber nicht nur das; sie
haben auch negative Auswirkungen auf
die lokalen Ökosysteme, die Infrastruktur
und die städtischen Wohngebiete. Dort entsteht
derzeit die größte Gefahr, wenn
Starkregen auf versiegelte Oberflächen trifft.
AUF DEM WASSER SCHWIMMEN
Die niederländische Interpretation
des Mottos
„Leben mit dem Wasser“
besteht auch darin,
Gebäude auf das Wasser zu
setzen. Ein Beispiel sind die
Hafenlofts im Nassauhaven,
einem lange stillgelegten
Hafenbecken. 2012 startete
die Ausschreibung für dieses Pilotprojekt,
und 2022 waren 18 schwimmende Häuser
fertiggestellt; alle möglichst nachhaltig,
kohlenstoffneutral und mit leichtem
Zugang zu elektrischen Gemeinschaftsfahrzeugen,
Ladestationen und Elektrofahrrädern.
Die größte Herausforderung bei
dem Projekt war der Gezeitenwechsel
am Standort. Er schwankt um bis zu zwei
Meter. Deshalb steht jedes Haus auf einem unsinkbaren,
schwimmenden Betonponton.
Public Domain Architecten aus Rotterdam
haben diese Hafenlofts entworfen und
betrachten sie als eine Lösung für nachhaltige
Stadtentwicklung.
Doch Idee, auf dem Wasser zu bauen, ist
nicht auf den Wohnungsbau beschränkt.
Rotterdam hat auch einen schwimmenden
Bauernhof, schwimmende Pavillons und
sogar einen schwimmenden Wald. Im Jahr
Mit dem Wasser leben
anstelle von versiegeln,
ableiten und wegpumpen:
Rotterdam will
eine Schwammstadt
werden.
WEITER
23
STANDORT
Aarau,
Schweiz
ARCHITEKTUR
Christ & Gantenbein, Basel
INGENIEURE
WMM Ingenieure,
Henauer Gugler
WETTBEWERB
2010
BAUHERRSCHAFT
Kanton Aargau,
Departement Bau,
Verkehr und Umwelt
MITARBEIT
Emanuel Christ, Christoph
Gantenbein, Mona Farag;
Tabea Lachenmann;
Jean Wagner
LANDSCHAFTSARCHITEKTEN
August + Margrith Künzel
FERTIGSTELLUNG
2023
Die „Pont Neuf“
von Aarau
ARCHITEKTUR
Christ & Gantenbein
WMM Ingenieure
Henauer Gugler
August + Margrith Künzel
TEXT
Anna Martin
FOTOS
Stefano Graziani
Für die baufällige Vorgängerbrücke wurde
ein Wettbewerb ausgeschrieben, damit wieder ein
identitätsstiftendes Element Vorstadt und höher
gelegene Altstadt verbindet. Ein Team aus Architekten,
Ingenieuren und Landschaftsarchitekten sorgt
mit seinem Entwurf für ein neues Wahrzeichen der Stadt.
37
Die Ingenieure beschreiben
die Konstruktion als dreifeldrige
Bogenbrücke, bestehend
aus zwei im Querschnitt
außenliegenden Bögen
und einer oben liegenden,
aufgeständerten Fahrbahnplatte.
Die Bögen sind an
den Pfeilerköpfen jeweils eingespannt
sowie bei den
Widerlagern gleitend gelagert.
Die Bereiche über den
Pfeilern und Widerlagern
sind zur Materialeinsparung
als Hohlkasten ausgebildet.
38 B10 / 25 – WASSSER IMPULS IDEEN INSPIRATION
Längsschnitt
Im schweizerischen Aarau schwingt sich eine neue Brücke
Bogen um Bogen über die Aare. Die Stahlbetonkonstruktion
ist nicht der erste Übergang, der den Fluss an
dieser Stelle überspannt; es soll hier bereits in der Römerzeit
Brücken gegeben haben. Der aktuelle Neubau ersetzt
eine Überführung von 1949, die Mängel und Schäden
aufgewiesen hatte. Diese war selbst schon ein Ersatzbau für
die 1849 fertiggestellte Hängebrücke, und deren Name
„Kettenbrücke“ wurde – ungeachtet ihrer derzeitigen kettenlosen
Konstruktion – bis heute beibehalten.
Querschnitt
H A U P T A B M E S S U N G E N
• 44 m Hauptspannweite
• 2 x 28,75 m Nebenspannweiten
• 17,55 m Breite
• 119 m Länge
Den von Kanton und Stadt ausgelobten Wettbewerb für
Brückenneubau und Gestaltung des Aareufers entschied das
Team aus den Basler Architekten Christ & Gantenbein,
der WMM Ingenieure AG, der Henauer Gugler AG und den
Landschaftsarchitekten August + Margrith Künzel im
Jahr 2010 mit seinem Entwurf „Pont Neuf“ für sich. Zehn
Jahre später startete der Bau; im Juni 2023 fand die offizielle
Einweihung statt, auch wenn der Verkehr bereits etwas
früher über die Brücke rollen durfte.
Auf der 119 Meter langen und 17,5 Meter breiten Brücke
kommen zwei Fahrspuren sowie beidseitig Gehwege
und Radspuren unter. Pfeilerfundamente der vorherigen
Brücke konnten teils wiederverwendet werden, was
zu den drei großen Bögen über dem Fluss führte. Da diese
schmaler als der neue Brückenquerschnitt sind, neigen
sich hier die Seiten der Pfeiler nach außen, was wesentlich
zu ihrer eleganten Form beiträgt. Ellipsenförmige Öffnungen
in den Pfeilern sparen nicht nur Material, sie erlauben
auch schöne Durchblicke, etwa von den Uferwegen aus,
die unter der Brücke hindurchführen. Bemerkenswert ist
auch die handwerklich hervorragende Ausführung des gelblich
eingefärbten Sichtbetons – mit einem vertikalen
Schalungsbild von außen betrachtet und einem horizontalen
in der Innenansicht. Das gesamte Tragwerk bildet somit
sowohl einen Durchlaufträger als auch eine Bogenbrücke.
Lageplan
Mit ihrem Entwurf möchten die Planerinnen und Planer an
das bestehende Stadtgefüge anknüpfen und einen einladenden
öffentlichen Raum schaffen. Inspiriert habe sie
die Massivität der Aarauer Steinbauten, zum Beispiel
die mittelalterlichen Häuser an der Stadtmauer. Mit der
Brücke sollte die Stadt ein neues Wahrzeichen erhalten,
was ihnen auch gelungen ist.
39
Als wenig spektakulär
empfindet so mancher Architekturtourist
den Brückenentwurf
von OMA. Dabei hatten
die Planer andere Prioritäten
– etwa die Brücke als
öffentlicher Raum.
München
Grün
statt Chlor
POSITION
Anna Martin
F O T O S
SMW
Kurz nach Start der Freibadsaison eröffnete
in München nach mehrjähriger Schließung das Freibad
am Luitpoldpark wieder. Die Stadtwerke München
ließen es nicht nur modernisieren, sondern zum Naturbad
umbauen. Chlor ist hier also nicht mehr zu
finden, da das Wasser nun mithilfe eines biologischen
Bodenfilters gereinigt wird.
44 B10 / 25 – WASSER IMPULS IDEEN INSPIRATION
Wasser plätschert, Kinder rufen, Teenager
springen vom Beckenrand ins kühle Nass.
Schwimmer mit Badekappen ziehen fleißig
Bahnen, im Kinderbecken wird fröhlich
geplantscht. So oder so ähnlich malt man
sich den Sommer im Freibad aus. Eis wird
schnell gegessen, bevor es den Stiel hinunterläuft;
Pommes-Duft liegt in der Luft.
Fester Bestandteil der Geruchskulisse von
Freibädern ist eigentlich auch das Chlor,
mit dem das Wasser in den Becken desinfiziert
wird. Nicht so im „Naturbad Georgenschwaige“
am Münchner Luitpoldpark.
Im Juni 2025 eröffnete es nach vier Jahren
wieder – als Naturbad, dessen Wasser
mithilfe eines biologischen Bodenfilters
auf bereitet wird.
VOM FREI- ZUM NATURBAD
Zwischen insgesamt acht Freibädern der
Stadtwerke München (SWM) können die
Münchnerinnen und Münchner im Sommer
wählen. Das Freibad Georgenschwaige liegt
am nördlichen Ende des Luitpoldparks,
an der Grenze der Stadtteile Schwabing-
West und Milbertshofen. Nach einem Brand
im Bereich der technischen Betriebsgebäude
im März 2021 musste es schließen,
doch Pläne für eine Modernisierung sowie
den Umbau zum Naturbad hatte es laut
Medienberichten schon zuvor gegeben.
Geschwommen wurde dann in den Becken
erst einmal nicht mehr: Im Sommer 2021
liefen Zwischennutzungsprojekte auf dem
Freibadgelände – etwa Freiluftkino, Gastronomieangebote
sowie Trampoline,
Slacklines und Spielzelte. In den sandgefüllten
Schwimmbecken konnte auf vier Feldern
Beach-Volleyball gespielt werden. 2023
startete dann die Generalsanierung, und zwei
Jahre später war es so weit: Das Freibad
Georgenschwaige öffnete nun als Naturbad
wieder seine Pforten.
NEU GESTALTET, BARRIEREFREI ERSCHLOSSEN
Das Freibad liegt nur einen kurzen Spaziergang
von der U-Bahn entfernt. Für alle,
die mit dem Fahrrad kommen, gibt es einen
großen Abstellbereich direkt vorm Eingang
– dem Erscheinungsbild der Ständer
nach, ein Überbleibsel aus Zeiten der vorherigen
Anlage. Hinein geht es durch den
neuen Eingangsbereich: zum Schalter, um
den Eintritt zu bezahlen, oder direkt mit
QR-Code des online gekauften E-Tickets
zum Scanner. Gleich hinter dem Zugang eröffnet
sich die baumbestandene Liegewiese.
Nach rechts zweigt ein befestigter Weg
ab, der tiefer ins Gelände führt. Ein taktiles
Bodenleitsystem für Menschen mit Sehbehinderung
ist in die Pflasterung des Wegs
integriert. Die Route führt vorbei am Verkaufsfenster
des neuen Kiosks, vorbei am
Spielplatz mit Sandbecken, Schaukeln und
Balken zum Balancieren sowie vorbei an
der breiten Wellenwasserrutsche im Schatten
der Bäume. Schließlich steht man vor dem
kühlen Nass: Im 50 Meter langen Schwimmerbecken
sind mehrere Bahnen abgetrennt;
in einer Ausbuchtung führt eine barrierefreie
Rampe ins Wasser. In das Nichtschwimmerbecken
daneben ragt ein Holzsteg;
eine kleine Rutsche steht am Beckenrand.
Ungewöhnlich ist hier der Sand als Bodenbelag
auf seinem Grund. An einem weiteren,
flachen Planschbereich für Kleinkinder
sorgen drei große Sonnenschirme
für ausreichend
Schatten.
Um die Becken herum bieten
zahlreiche Holzpodeste
Sitz- und Liegemöglichkeiten.
Die Materialwahl
schließt sich an die neue
Architektur des Freibads
an: Vom Eingang kommend,
liegen hinter den Schwimmbecken
die Gebäude in
Holzbauweise mit Umkleiden,
Schließfächern, Toiletten und
Duschen. Mittig öffnet sich das Gebäude zu
einem Liegedeck, mit schlanken Stützen
und vom Dach beschattet. Neben dem
Nichtschwimmerbecken sind in einem weiteren
Gebäude unter anderem die Bademeister
untergebracht. Für die Architektur
zeichnet der Münchner Architekt Thomas
Straub verantwortlich.
Auf der Liegewiese stehen große, alte
Bäume sowie noch junge, neu gepflanzte,
und am westlichen Rand des Geländes findet
sich schließlich das zentrale Element
des neuen Naturbads, das es von herkömmlichen
Freibädern unterscheidet: ein schilfbewachsenes
Feld, das als biologischer
Bodenfilter das Wasser der Schwimmbecken
auf bereitet.
Ein zentrales Element des
neuen Naturbads unterscheidet
es von herkömmlichen
Freibädern:
ein schilfbewachsenes
Feld, das als biologischer
Bodenfilter das gebrauchte
Wasser der Schwimmbecken
aufbereitet.
WEITER
45