Frauengesundheit
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Leben mit ...
FRAUEN-
GESUNDHEIT
www.lebenmit.de
Seite 4
PBC – Kristina lebt
mit einer seltenen
Autoimmunerkrankung
Seite 6
Wechseljahre –
Nadine spricht über
Mut zur Veränderung
Seite 8
Migräne ist oft weiblich
und unsichtbar –
Annis Geschichte
Seite 10
Mental Load –
Cordula erklärt,
warum Selbstfürsorge
kein Egoismus ist
Brustkrebsspezial
ab Seite 12
Zusammen stark
Kathi und ihre Tochter Leonie erzählen, wie sie Krebs
gemeinsam erlebt haben – von Schock und Angst bis zu
Selbstbestimmung, Mut und neuer Stärke. Ein offenes Gespräch
über Vorsorge, Körpergefühl und Familienzusammenhalt.
2
Vorwort
Gleichberechtigung beginnt
in der Medizin
Obwohl Frauen mehr als die Hälfte der
Bevölkerung ausmachen, orientieren
sich medizinische Forschung, Lehre und Praxis noch immer überwiegend am männlichen
Körper. Mitunter kann das für das weibliche Geschlecht sogar lebensgefährlich werden.
Dr. med. Judith Bildau
Fachärztin für Frauenheilkunde
und Geburtsmedizin, Expertin
für die Wechseljahre und Autorin
Foto: Sabina Radtke
Ein hoffnungsvolles Beispiel liefert die Brustkrebsforschung.
Hier hat die Medizin in den
vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht:
Dank verbesserter Früherkennung,
moderner Diagnostik und immer individuelleren
Therapieansätzen steigen die Heilungschancen
kontinuierlich. Frauen profitieren
heute von maßgeschneiderten Behandlungsstrategien.
Brustkrebs zeigt damit eindrücklich,
was möglich ist, wenn frauenspezifische
Erkrankungen ernst genommen und gezielt
erforscht werden – und ermutigt dazu, auch
in anderen Bereichen der Frauengesundheit
ähnliche Anstrengungen zu unternehmen..
„Frauengesundheit
darf
kein Nischenthema
mehr
sein.“
Über Jahrzehnte hinweg wurden
Frauen systematisch
aus medizinischen und
pharmazeutischen Studien
ausgeschlossen. Forschung
fand fast ausschließlich an
männlichen Probanden statt – die Ergebnisse
wurden dann verallgemeinert, Medikamente
zugelassen und Dosierungen festgelegt, als
wären Frauen schlicht „kleinere Männer“. Die
Folgen sind bis heute spürbar: Frauen erhalten
dieselben Präparate in derselben Dosierung,
leiden jedoch nachweislich häufiger unter teils
gravierenden Nebenwirkungen. Der weibliche
Stoffwechsel kann nämlich nicht einfach mit
dem männlichen gleichgesetzt werden. Metabolisierung
und Ausscheidung unterscheiden
sich und damit auch die medikamentösen Wirkungsweisen.
Nach wie vor werden viele Krankheitsbilder in
der medizinischen Ausbildung am Beispiel des
erkrankten Mannes gelehrt. Fatal für die Frauen,
denn sie zeigen häufig ganz andere Symptome
oder Verläufe als Männer. Herzinfarkte,
Schlaganfälle und andere kardiovaskuläre Erkrankungen
werden bei ihnen deshalb oft zu
spät erkannt oder falsch behandelt.
Eine Vielzahl frauenspezifischer Erkrankungen
– etwa Endometriose oder das prämenstruelle
Syndrom (PMS) und sein schweres Pendant,
das prämenstruelle dysphorische Syndrom
(PMDS) – ist bis heute nur unzureichend erforscht.
Die genauen Ursachen bleiben im Dunkeln,
spezifische Therapien existieren kaum.
Die Leidtragenden sind die Frauen selbst: Viele
von ihnen durchlaufen einen jahrelangen
Leidensweg, bis sie endlich eine zutreffende
Diagnose erhalten. Auf ihrer Suche nach Hilfe
werden sie nicht selten mit ihren Beschwerden
alleingelassen oder nicht ernst genommen.
Die Gründe dafür, warum Frauen in der Medizin
bislang eine eher untergeordnete Rolle
spielten – und teilweise noch immer spielen
–, sind vielschichtig. Über Jahrhunderte
hinweg war die Medizin fest in männlicher
Hand. Medizinische Fakultäten, Universitäten
und Kliniken waren lange Zeit ausschließlich
Männern vorbehalten. Erst Ende des 19.
Jahrhunderts öffneten deutsche Universitäten
ihre Türen auch für Frauen und ermöglichten
ihnen offiziell den Zugang zum Medizinstudium
– ein Meilenstein, aber keineswegs das
Ende struktureller Benachteiligung.
Bis heute spiegelt sich diese historische
Schieflage wider: Leitungspositionen an Universitäten
und Forschungsinstituten sowie
Chefarztposten sind nach wie vor überwiegend
männlich besetzt. Zwar studieren inzwischen
mehr Frauen als Männer Medizin, doch
je höher die Karrierestufe, desto stärker kippt
das Verhältnis wieder zugunsten der Männer.
Es muss sich also dringend etwas ändern!
Frauengesundheit darf kein Nischenthema
mehr sein. Was wir brauchen, sind eine Förderung
der Medizinerinnen, eine geschlechtersensible
Forschung, eine stärkere Gewichtung
von Frauengesundheit im Medizinstudium
und ein Bewusstsein dafür, dass Gleichberechtigung
auch in der Medizin beginnt.
Leben mit ... Magazin Healthcare Mediapartner GmbH | Pariser Platz 6a | 10117 Berlin | www.healthcare-mediapartner.de
Herausgeberin Franziska Manske Redaktionsleitung Benjamin Pank Design Elias Karberg
Coverbild Reto Klar Druck BNN Badendruck GmbH Kontakt redaktion@lebenmit.de | www.lebenmit.de
Alle Artikel, die mit „In Zusammenarbeit mit“ gekennzeichnet sind, sind gesponserte Beiträge.
Die Texte der Ausgabe schließen alle Geschlechter mit ein. Zur besseren Lesbarkeit wird jedoch nur eine Geschlechtsform verwendet.
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Herzinfarkt bei Frauen
A B C
Übelkeit
Schwindel
Atemnot
Der Herzinfarkt ist keine reine „Männerkrankheit“. Da die Symptomatik bei Frauen nicht
immer klar ist, werden ihre Symptome oftmals fehlgedeutet. Dies führt dazu, dass Frauen
häufig deutlich später in die Klinik eingeliefert werden als Männer.
Typisch sind Schmerzen im Brustkorb, häufig hinter dem Brustbein (A). Zusätzlich können
Schmerzen im Rücken (zwischen den Schulterblättern, C) oder Oberbauch (Verwechslung
mit „Magenschmerzen“ möglich, B) ein Alarmzeichen sein. Die Schmerzen können in den
Arm, den Hals oder den Oberbauch ausstrahlen (B).
Symptome für einen Herzinfarkt:
Kurzatmigkeit / Atemnot
Schweißausbrüche
Rückenschmerzen
Übelkeit
Erbrechen
Schmerzen im Oberbauch
Ziehen in den Armen
Unerklärliche Müdigkeit
Depressionen
Bei Verdacht:
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Frauen anders?“
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4
Ich möchte Mut
machen und anderen
sagen: Nehmt eure PBC
aktiv in die Hand!
Kristina lebt seit 2021 mit PBC. Erste Anzeichen wie
Erschöpfung und starker Juckreiz begleiteten sie
lange, bevor die Krankheit eindeutig festgestellt wurde.
Heute engagiert sie sich bei Patiententagen, um
Betroffene zu unterstützen. Mehr über Kristinas Leben
mit PBC erfahren Sie über den QR-Code (rechts).
Foto: IPSEN
Primär biliäre Cholangitis
Was Frauen über die seltene
Erkrankung wissen sollten
Primär biliäre Cholangitis – schon der Name klingt kompliziert, und tatsächlich ist diese seltene
Autoimmunerkrankung der Leber vielen Betroffenen zunächst völlig unbekannt. Dabei kann
eine frühe Diagnose entscheidend sein, um Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität
zu sichern. Über Ursachen, Symptome, Diagnosemöglichkeiten und aktuelle Therapien haben
wir mit Prof. Dr. med. Frank Tacke gesprochen. Er ist Direktor der Medizinischen Klinik mit
Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
und gilt als einer der führenden Experten auf dem Gebiet chronischer Lebererkrankungen.
Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit mit
umgesetzt.
Für viele Leserinnen ist PBC noch ein
recht unbekannter Begriff. Können Sie
kurz erklären, was diese Erkrankung ist
und wen sie typischerweise betrifft?
PBC steht für primär biliäre Cholangitis.
Das klingt kompliziert, bedeutet aber, es
handelt sich um eine chronische Entzündung
der Gallenwege. PBC ist eine Autoimmunerkrankung
– das Immunsystem greift
also körpereigenes Gewebe an, in diesem
Fall Strukturen in den Gallengängen. Besonders
ist, dass über 90 Prozent der Betroffenen
Frauen sind. Warum das so ist, weiß
man nicht genau. Die Erkrankung tritt meist
in der zweiten Lebenshälfte auf, typischerweise
zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr.
In Deutschland sind vermutlich etwa
20.000 Frauen betroffen – PBC gilt damit als
seltene Erkrankung.
Woran erkennt man erste Anzeichen – und
warum wird PBC oft erst spät diagnostiziert?
Die Beschwerden sind unspezifisch: Müdigkeit,
Antriebsarmut oder Juckreiz. Solche
Symptome ordnet man leicht anderen Ursachen
zu, etwa Stress. Ein guter Hinweis sind
erhöhte Leberwerte, vor allem Gamma-GT
und die alkalische Phosphatase. Um die Diagnose
zu sichern, braucht es spezielle Bluttests,
etwa auf Autoantikörper (AMA). Da diese
nicht routinemäßig durchgeführt werden,
dauert es oft Jahre bis zur Diagnose.
Gibt es bestimmte Risikofaktoren oder genetische
Zusammenhänge?
Ja, PBC tritt gehäuft gemeinsam mit anderen
Autoimmunerkrankungen auf – etwa Hashimoto-Thyreoiditis,
Rheuma oder Diabetes.
Auch das sogenannte Sjögren-Syndrom, bei
dem Augen und Schleimhäute sehr trocken
sind, ist oft assoziiert. Ein äußerliches Anzeichen
können zudem Xanthelasmen sein,
kleine gelbliche Fettablagerungen an den Augenlidern.
Wie verläuft die Erkrankung in der Regel?
PBC schreitet langsam voran. Bei jüngeren
Patientinnen und bei Männern verläuft sie
oft aggressiver. Im schlimmsten Fall kommt
es über Jahrzehnte zu einer Vernarbung der
Leber, also zu einer Zirrhose. Ohne Behandlung
kann dann eine Lebertransplantation
notwendig werden.
Welche Symptome belasten Betroffene am
meisten?
Am stärksten die Fatigue – eine bleierne, tie-
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5
fe Müdigkeit, die den Alltag erheblich einschränkt.
Zweitwichtigstes Symptom ist der
Juckreiz, der sehr quälend sein kann und
mit herkömmlichen Antiallergika nicht behandelbar
ist. Ursache sind vermutlich Gallensäuren
und andere Botenstoffe, die sich
in der Haut ablagern und dort die Nerven
reizen.
Was sagen die wichtigsten Leberwerte
über PBC aus?
Die alkalische Phosphatase (AP) und Bilirubin
sind Aktivitätsparameter: je höher, desto
aktiver die Erkrankung. Unter Therapie sollten
beide Werte in den Normalbereich sinken.
Die Lebersteifigkeit wird per Ultraschall
gemessen. Ein erhöhter Wert zeigt an, dass
die Leber bereits Narben bildet – eine sogenannte
Fibrose. Frühstadien können sich
aber wieder zurückbilden.
Welche Untersuchungen sind nötig, um
PBC sicher festzustellen?
Neben Leberwerten und Autoantikörpern
braucht es eine Ultraschalluntersuchung,
idealerweise mit Messung der Lebersteifigkeit.
In seltenen Fällen ist eine Leberbiopsie
nötig, etwa wenn eine zusätzliche Autoimmunhepatitis
vermutet wird.
Wie wichtig ist die Rolle von Hausärzten
und Gynäkologen bei der Früherkennung?
Sehr wichtig. Hausärzte sollten bei erhöhten
Leberwerten genauer hinschauen. Aber
auch Gynäkologen sehen ihre Patientinnen
regelmäßig, führen Ultraschall- oder Blutuntersuchungen
durch und hören von unspezifischen
Beschwerden wie Müdigkeit, Schwäche
oder Juckreiz. Hier kann ein Verdacht
entstehen – und dann sollte an PBC gedacht
werden.
Prof. Dr. med. Frank Tacke
Direktor der Medizinischen Klinik
mit Schwerpunkt Hepatologie und
Gastroenterologie an der Charité
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Standard ist Ursodeoxycholsäure – eine
modifizierte Gallensäure. Sie bremst die
Entzündung und senkt die Sterblichkeit erheblich.
Wenn das nicht reicht, stehen weitere
entzündungshemmende Medikamente
zur Verfügung. Neuere Präparate sind speziell
für die etwa 30 Prozent der Betroffenen
entwickelt worden, die mit Ursodeoxycholsäure
alleine nicht ausreichend behandelt
sind.
Was können Betroffene selbst tun?
Ein normales Körpergewicht anstreben, Zucker
und Alkohol meiden, sich ausreichend
bewegen und Stress reduzieren. Auch Achtsamkeit
und Ruhephasen wirken sich positiv
auf Autoimmunprozesse aus. Jeder sollte
seinen eigenen Weg finden – sei es durch
Sport, Meditation oder andere Methoden.
Welche Unterstützung gibt es?
In Deutschland existieren Selbsthilfegruppen,
organisiert über die Deutsche Leberhilfe,
oft mit Regionalgruppen. Zudem gibt
es spezialisierte Ambulanzen an Universitätskliniken.
An der Charité läuft aktuell
eine Studie, die sich gezielt mit dem Symptom
Fatigue bei PBC befasst. Wir arbeiten
dabei eng mit Neurologen zusammen, die
ähnliche Phänomene von anderen Erkrankungen
wie der Multiplen Sklerose kennen.
Mit modernen Bildgebungsverfahren, etwa
speziellen MRT-Untersuchungen des Gehirns,
wollen wir besser verstehen, warum
die Autoimmunität so stark auf Energielevel
und Antrieb wirkt. Perspektivisch prüfen wir
auch neue Therapieansätze, zum Beispiel
Methoden der Neurostimulation. Interessierte
Betroffene können sich gern per E-
Mail an Dr. Toni Herta – toni.herta@charite.
de – wenden.
Welche Tipps helfen im Umgang mit belastenden
Symptomen wie Müdigkeit oder
Juckreiz?
Beim Juckreiz helfen teilweise die neuen
Medikamente, sogenannte PPAR-Agonisten.
Für die Fatigue fehlen bislang gute medikamentöse
Optionen, daher setzt man eher auf
psychologische Strategien: Tagesplanung,
Pausen, Energiehaushalt. Hier besteht noch
viel Forschungsbedarf.
Was raten Sie Betroffenen, die gerade erst
ihre Diagnose erhalten haben?
Nicht verzweifeln – PBC ist gut behandelbar.
Wichtig ist, sich früh in einem spezialisierten
Zentrum vorzustellen, um die Therapie
optimal einzustellen. Gerade das erste Jahr
nach der Diagnose ist entscheidend für den
weiteren Verlauf..
PBC – eine seltene Erkrankung der Leber
Die Symptome variieren von Person zu Person, häufige Anzeichen sind:
Fatigue
Starker Juckreiz Sicca-Syndrom Gelenkschmerzen
erklären kann.“ * „Es ist ein quälender
„Meine Augen brennen,
„Es ist ein Schmerz,
Juckreiz, der mich im Alltag tränen und sind gerötet. Oft
„Es ist eine bleierne
Müdigkeit, die ich nicht
sehr einschränkt.“ *
sehe ich verschwommen.“ *
den niemand sonst
sehen kann.“ *
DRSC-DE-000589
!
Bei der primär biliären Cholangitis (PBC) greifen fehlgeleitete Abwehrprozesse die Gallengänge
in der Leber an. Dadurch entsteht eine chronische Entzündung, die im Laufe der Zeit das Lebergewebe
schädigt. Die Symptome können sehr unterschiedlich ausfallen – von Erschöpfung
bis hin zu starkem Juckreiz – und sich im Verlauf verändern. Entscheidend ist, dass Betroffene
ihre Laborwerte regelmäßig kontrollieren und ihre Beschwerden mit dem Arzt besprechen. Für
weitere Informationen zum Leben mit primär biliärer Cholangitis und zu Kristinas Leben mit
PBC besuchen Sie die Website www.raeume-zum-reden.eu oder scannen Sie den QR-Code.
* Aussagen von Betroffenen
6
Menopause
instagram.com/
blondbynana
„Wie die Wechseljahre
mein Neubeginn wurden“
Mit Anfang 40 steckt Nadine schon mitten in den Wechseljahren – ohne es zu wissen.
Heute, über zehn Jahre später, spricht sie offen über Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen
und den Neuanfang, den diese Lebensphase für sie bedeutet. Auf ihren
Kanälen erreicht sie Tausende Frauen, die sich verstanden fühlen und neue Stärke entdecken.
Im Gespräch erzählt sie, warum sie die Wechseljahre nicht als Ende, sondern als
Chance begreift und was sie anderen Frauen unbedingt mitgeben möchte.
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7
Liebe Nadine, du sprichst sehr offen über
die Wechseljahre und nimmst dabei viele
Frauen mit. Was war dein persönlicher
Auslöser, dich diesem Thema zu widmen?
Ganz ehrlich: Es war die Außenwelt. Ich
selbst bin mit 39 schon in die Wechseljahre
gekommen, aber habe das lange gar nicht
wirklich realisiert. Social Media habe ich
erst mit 49 angefangen – da war das für
mich schon Normalität. Von außen aber
kam ständig: „Frau um die 50, Wechseljahre.“
Da habe ich gedacht: Ja, stimmt, ich bin
da längst mittendrin. Und dann habe ich
angefangen, offen darüber zu sprechen.
Viele Frauen empfinden die Wechseljahre
zunächst als Verlustphase. Du sprichst
eher von einer Chance und einem Neubeginn.
Wie bist du zu dieser Sichtweise
gekommen?
Das war nicht von Anfang an so. Am Anfang
dachte ich: Jetzt ist alles vorbei, jetzt
werde ich unsichtbar. Dieser plötzliche
Stopp – von einem Monat auf den nächsten
keine Blutung mehr – hat mich richtig
geschockt. Erst durch Gespräche mit meinem
Frauenarzt habe ich verstanden, dass
es nicht nur ein Ende bedeutet, sondern
auch ein Anfang sein kann. Heute sehe ich
es als Metamorphose: eine Phase, in der
ich mich neu erfinden darf.
Welche körperlichen und seelischen Veränderungen
hast du selbst am stärksten
wahrgenommen – und wie gehst du damit
um?
Am meisten haben mich die Stimmungsschwankungen
und meine extreme Reizbarkeit
belastet – auch meine Beziehung
ist daran zerbrochen. Dazu kamen Symptome
wie Hautjucken, Schuppenflechte,
Gewichtsschwankungen und natürlich
die Hitzewallungen. Ich hatte sogar eine
depressive Phase, die ich damals einer toxischen
Beziehung zugeschrieben habe.
Heute weiß ich, es war auch der Hormonhaushalt.
Mittlerweile kann ich besser
hinschauen, nehme die Signale ernst und
kümmere mich aktiver um mich selbst.
Viele Frauen berichten von Schlafstörungen,
Stimmungsschwankungen oder
Erschöpfung. Wie gelingt es dir, trotz
dieser Herausforderungen Energie und
Lebensfreude zu behalten?
Das war ein langer Prozess. Ich habe irgendwann
gemerkt, dass ich mich nur
noch um andere drehe – um meinen Sohn,
um meine Eltern, um die Beziehung. 2019
habe ich gesagt: Jetzt bin ich dran. Ich
habe meinen Sohn gebeten, auszuziehen,
und bin selbst für ein halbes Jahr nach
Malta gegangen. Dieser Abstand war für
mich ein Wendepunkt. Seitdem nehme
ich mir bewusster Auszeiten und richte
meinen Fokus auf das, was mir wirklich
guttut.
Du betonst oft: „Wir müssen nicht mehr
jedem gefallen – sondern uns selbst.“ Wie
verändert sich mit den Wechseljahren
der Blick auf den eigenen Körper und das
Selbstbild?
Man muss sich neu definieren. Der Körper
verändert sich: Haare wachsen an neuen
Stellen, die Figur verschiebt sich, manches
erschreckt einen erst mal. Am Anfang
war das echt hart. Aber irgendwann habe
ich gemerkt: Ich muss nicht allen gefallen
– nur mir selbst. Und wenn ich sehe, was
ich in meinem Leben schon alles geschafft
habe, dann macht mich das stolz. Das hilft
mir mehr als jeder Vergleich mit anderen.
Wir müssen nicht
jedem gefallen –
nur uns selbst!
In der Gesellschaft sind die Wechseljahre
noch immer ein Tabuthema. Wo siehst
du die größten Hürden, und was braucht
es, um mehr Offenheit zu schaffen?
Für mich ganz klar: Schule. Aufklärung
sollte schon früh anfangen, und zwar nicht
nur für Mädchen, sondern auch für Jungs.
Jeder wird irgendwann damit konfrontiert
– ob durch die eigene Mutter, die Partnerin
oder die Schwester. Außerdem muss
die Medizin viel mehr Wissen und Zeit für
das Thema Menopause einplanen. Es darf
nicht bei einer 15-Minuten-Abfertigung
bleiben. Die Wechseljahre sind ein massiver
Einschnitt – körperlich und seelisch
– und dürfen nicht in einer Schublade landen.
Du erreichst viele Menschen über deine
Kanäle. Welche Rückmeldungen von
Frauen berühren dich am meisten?
Oft sind es die kleinen Gesten. Einmal hat
mich ein 18-jähriges Mädchen umarmt
und gesagt: „Wegen dir habe ich keine
Angst mehr, alt zu werden.“ Da musste
ich fast weinen. Aber auch die vielen
Nachrichten wie „Danke, dass du darüber
sprichst“ – das zeigt mir, wie wichtig es ist,
dass wir das Schweigen brechen.
Welche Rolle spielt Gemeinschaft – der
Austausch mit anderen Betroffenen – für
dich und für Frauen in dieser Lebensphase?
Eine riesige. Viele Frauen fühlen sich allein
mit ihren Symptomen. Wenn wir uns aber
austauschen, merken wir: Ich bin nicht
verrückt, das gehört dazu. Und junge Frauen
sehen: Mit 50 ist das Leben nicht vorbei.
Ich kremple mit 53 gerade mein Leben
komplett um – kündige meine Wohnung,
ziehe nach Mallorca, reise mit dem Bus
durch Europa. Das möchte ich weitergeben:
Es geht immer weiter, oft spannender
als vorher.
Was bedeutet Selbstfürsorge für dich
ganz konkret im Alltag – und wie grenzt
du das von Egoismus ab?
Selbstfürsorge heißt für mich, mir Auszeiten
zu nehmen und immer wieder in mich
reinzuhören: Was brauche ich eigentlich?
Viele von uns sind so geprägt, immer nur
für andere da zu sein – Kinder, Partner,
Eltern. Aber wenn ich nicht auf mich achte,
kann ich auch niemandem helfen. Das
ist kein Egoismus, das ist gesunder Menschenverstand.
Im Flugzeug heißt es ja
auch: Erst setzt du dir die Maske auf, dann
hilfst du den anderen.
Welche Tipps würdest du Frauen geben,
die gerade erst in die Wechseljahre kommen
und vielleicht unsicher sind, was auf
sie zukommt?
Schreibt euch alles auf, was ihr merkt.
Oft gehen kleine Symptome im Alltag unter.
Und sucht euch eine Ärztin oder einen
Arzt, bei dem ihr euch wirklich ernst
genommen fühlt. Wenn es beim ersten
nicht passt, weitersuchen – so lange, bis
es stimmt. Es lohnt sich, da hartnäckig zu
bleiben.
Du sprichst oft von „Metamorphose“
statt Krise. Was ist deine wichtigste Botschaft
an Frauen, die gerade mitten in
diesem Umbruch stecken?
Dass es eine Chance ist, sich noch mal
neu zu erfinden. Dinge zu wagen, die man
sich früher nicht getraut hat. Aber bitte:
nicht ins Vergleichen rutschen. Ich musste
selbst lernen, Accounts stumm zu schalten,
die mich ins Vergleichen gebracht haben.
Stattdessen schaue ich: Was will ich
wirklich? Was macht mich glücklich? Die
Wechseljahre sind keine Krise, sondern
eine Verwandlung.
Wenn du einen Wunsch an Medizin, Gesellschaft
oder Politik frei hättest – was
sollte sich im Umgang mit dem Thema
Wechseljahre dringend ändern?
Mehr Aufklärung, mehr Zeit, mehr Wertschätzung.
Die Wechseljahre gehören in
die Mitte der Gesellschaft. Und in der Medizin
braucht es bessere Ausbildung und
mehr Ressourcen, damit Frauen nicht abgespeist
werden. Gesellschaftlich wünsche
ich mir weniger Schubladendenken. Frauen
tragen so viel – ohne uns läuft nichts.
Deshalb müssen wir auch in dieser Lebensphase
Unterstützung bekommen,
die wir verdienen..
Text Emma Howe
Foto Anastasia Kapluggin
8
Migräne
Es fühlt sich
an, als würde mein
gesamter Körper in
Alarmbereitschaft
stehen, und gleichzeitig
ist da dieser
lähmende Schmerz.
instagram.com/
migraene_du.arsch
Foto: Maren Meerstein
„Mama hat Migräne“
Migräne ist eine neurologische Erkrankung, die rund zehn Millionen Menschen in Deutschland
betrifft. Zwei Drittel davon sind Frauen. Und doch wird sie noch immer verharmlost, missverstanden
oder schlicht übersehen – auch im medizinischen Alltag. Anni lebt seit ihrer Kindheit
mit Migräne und ist heute als Mutter zweier kleiner Kinder besonders gefordert. Im Interview
spricht sie über Schmerz, Selbstzweifel und ihren Wunsch nach echter Anerkennung. Ihre Geschichte
steht für viele und zeigt: Migräne gehört endlich ins Zentrum der Frauengesundheit.
Text Emma Howe
Liebe Anni, seit wann leidest du an Migräne
und wie hat alles begonnen?
Ich habe die Diagnose mit sechs Jahren bekommen.
Ich erinnere mich noch, dass ich viel
an den Fingernägeln gekaut habe und meine
Lippen so lange geleckt habe, bis alles wund
war. Das waren frühe Anzeichen von Stress und
Überforderung durch die Schmerzen. Hinzu kamen
Übelkeit, Bauchschmerzen und natürlich
die bohrenden Kopfschmerzen, die mich fast
immer begleitet haben. Besonders belastend
war für mich, dass ich nicht ernst genommen
wurde.
Wie hast du als Kind diese Krankheit erlebt?
Ehrlich gesagt: Ich habe viele Erinnerungen
verdrängt. Ich wusste lange nicht, wie sehr mich
das alles geprägt hat. Ich hatte als Kind oft das
Gefühl zu übertreiben, weil die Schmerzen nicht
sichtbar waren. Ich habe erst viel später verstanden,
wie sehr mich das alles belastet hat. Wenn
ich mir Fotos oder Videos von damals anschaue,
sehe ich ein Kind, das gelitten hat, ohne dass es
wirklich jemand erkannt oder gesehen hat.
Kannst du beschreiben, wie sich eine Migräneattacke
für dich anfühlt?
Es ist ein pulsierender, bohrender Schmerz, als
würde mein Kopf in einer engen, drückenden
Schachtel stecken. Jede Bewegung tut weh.
Manchmal ist es, als würde sogar das Denken
schmerzen. Licht, Geräusche, Gerüche – alles
wird zu viel. Es fühlt sich an, als würde mein gesamter
Körper in Alarmbereitschaft stehen, und
gleichzeitig ist da dieser lähmende Schmerz. Die
Zeit steht still – und ich auch.
Wie reagiert dein Umfeld auf deine Erkrankung?
Leider oft mit Unverständnis. Viele sagen Dinge
wie „Ach komm, das sind doch nur Kopfschmerzen“
oder „Lenk dich einfach ab“. Aber
Migräne ist so viel mehr, sie ist eine komplexe
neurologische Erkrankung mit vielen Begleitsymptomen
– Migräne ist nicht einfach nur ein
bisschen Kopfweh. Solche Sprüche tun weh,
weil sie ignorieren, was in mir wirklich vorgeht.
Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft endlich
hinschaut – und zuhört.
Wann wurde es bei dir schlimmer?
Nach dem Abstillen meines zweiten Kindes, im
letzten Jahr. Plötzlich kamen die Attacken öfter,
heftiger, teilweise vier Tage am Stück. Früher
hatte ich unter 15 Migränetage im Monat – das
nennt man episodisch. Jetzt sind es über 15, also
chronisch. Das hat alles verändert. Mein Leben
ist seither noch viel weniger planbar, ich muss
ständig mit dem nächsten Einbruch rechnen.
Wie gehst du mit akuten Attacken um?
Ich versuche, so früh wie möglich zu reagieren.
Selten helfen herkömmliche Schmerzmittel wie
Ibuprofen. Ich greife mittlerweile lieber zu Triptanen.
Es ist ein ständiges Abwägen: Nehme ich
das Medikament jetzt, oder warte ich noch? Und
manchmal kommen die Schmerzen im Laufe
des Tages einfach wieder. Es gibt Attacken, die
nach ein paar Stunden abflauen, und andere,
die wie eine Welle über Tage hinweg nicht enden
wollen.
Fühlst du dich medizinisch gut begleitet?
Ehrlich? Nein. Viele Ärzte haben wenig Zeit und
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wenig Verständnis. Ich habe in meinen frühen
Zwanzigern ein Triptan verschrieben bekommen,
was ich nicht vertragen habe. Dann habe
ich nur noch Ibuprofen genommen, was quasi
nicht hilft. Dass es aber mehrere Triptane gibt,
wusste ich lange nicht. Die meisten Informationen
über Migräne habe ich mir selbst zusammengesucht,
und das würde ich auch jedem mit
Migräne raten – werde dein eigener Experte.
Wie beeinflusst Migräne dein Familienleben?
Sehr stark. Ich habe zwei kleine Kinder, und
wenn eine Attacke kommt, kann ich nicht die
Mama sein, die ich gern für meine Jungs wäre.
Dann liege ich im abgedunkelten Zimmer, während
ich eigentlich für sie da sein möchte. Diese
Ohnmacht ist schlimm. Ich brauche dann Hilfe
von meinem Mann oder meinen Schwiegereltern,
die für mich meine größte Stütze in diesen
Momenten darstellen. Ohne diese Hilfe hätte
ich ein riesiges Problem. Mama mit Migräne
sein ist ein wahnsinniger Druck. Denn selbst
wenn die Schmerzen nachlassen, bleibt oft eine
bleierne Erschöpfung zurück.
Welche Prophylaxe hast du ausprobiert – und
mit welchen Erfahrungen?
Ich habe vieles getestet: Betablocker, Antidepressiva,
eine Antikörpertherapie. Meine Migräne
hat sich unter der Antikörpertherapie verändert
und ich hatte große Hoffnung, doch dann
wurde es wieder schlimmer. Momentan mache
ich eine Pause und werde bald eine neue Prophylaxetherapie
testen.
Wenn du dir die ideale Migränebehandlung
wünschen könntest, wie müsste sie aussehen?
Sie müsste schnell wirken, möglichst bevor der
Schmerz sich voll entwickelt hat. Und sie müsste
langanhaltend helfen, möglichst ohne Nebenwirkungen.
Mein Traum wäre zudem, dass
das Medikament auch alle Begleitsymptome
mit sich nimmt, da diese häufig lange vor und
lange nach dem Schmerz anwesend sind und
mein Leben ebenfalls sehr einschränken.
Wärst du bereit, für diese Therapie selbst zu
bezahlen?
Ja, ich habe auch bereits viel aus eigener Tasche
gezahlt. Irgendwann versucht man andere
Wege, um etwas zu finden, was das Leid
weniger werden lässt. Ich habe schon viel ausprobiert,
wie Heilpraktiker, Osteopathie, Nahrungsergänzungsmittel,
die mich jeden Monat
.
ein Vermögen kosten. Und natürlich würde ich
auch für ein Medikament selbst zahlen, wenn
es mir hilft. Denn jeder Tag mit Migräne ist ein
verlorener Tag.
Die Artikel wurden mit Unterstützung der
ORION Pharma GmbH umgesetzt.
Für weitere Informationen rund um das
Thema Migräne scannen Sie den QR-
Code. Auf der Website finden
Sie Wissen über Ursachen,
Symptome und vor
allem aktuelle Möglichkeiten
zur akuten Behandlung.
„Mehr als nur
Kopfschmerzen“
Interview mit Prof. Dr. Dagny Holle-Lee über Symptome,
Diagnosefehler und moderne Therapien.
Prof. Dr. med. Dagny Holle-Lee
Leiterin Westdeutsches Kopfschmerzzentrum/Schwindelzentrum,
Oberärztin der Klinik
für Neurologie am Universitätsklinikum
Essen
Frau Prof. Dr. Holle-Lee, beginnen wir mit
der grundlegenden Frage: Was ist Migräne
eigentlich?
Migräne ist weit mehr als nur Kopfschmerz
– sie ist eine neurologische Erkrankung mit
vielen Symptomen. Neben dem Schmerz
treten oft Licht- und Lärmempfindlichkeit,
Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, kognitive
Störungen oder sogar Sprach- und Sensibilitätsprobleme
auf. Manche erleben auch eine
Aura mit Sehstörungen, Taubheitsgefühlen
oder Lähmungen vor der Schmerzphase. Migräne
hat viele Gesichter – und wird deshalb
nicht immer als solche erkannt.
Ist Migräne schwer zu diagnostizieren?
Nicht unbedingt – wenn man weiß, worauf zu
achten ist. Migräne ist eine Filterfunktionsstörung:
Das Gehirn reagiert überempfindlich
auf Reize wie Licht, Geräusche oder Gerüche.
In Kombination mit typischen Schmerzen
oder Schwindel ist die Diagnose meist klar.
Das Problem: Viele Betroffene ordnen ihre
Beschwerden falsch ein – oder Migräne wird
mit Spannungskopfschmerzen verwechselt.
Wird Migräne also häufig falsch diagnostiziert?
Leider ja. Viele leben jahrelang mit Migräne,
ohne es zu wissen. In Hausarztpraxen fehlt oft
das nötige Wissen oder die Erfahrung, obwohl
dort eine gute Behandlung zum Beispiel mit
Triptanen möglich wäre. Ein Besuch beim
Neurologen ist nicht immer notwendig –
aber der Weg zur richtigen Diagnose ist oft
holprig.
Liegt das Problem eher bei Diagnostik
oder Therapie?
Bei beiden. Wir haben heute sehr gute Möglichkeiten
zur Akut- und Prophylaxebehandlung.
Doch wenn die Erkrankung nicht erkannt
oder falsch eingeordnet wird, bleiben
diese ungenutzt.
Was hat sich in den letzten Jahren therapeutisch
getan?
Viel. Triptane sind gut verträglich, allseits
verfügbar und wirksam – vorausgesetzt, sie
werden richtig angewendet. Auch in der Prophylaxe
gibt es Fortschritte, insbesondere
bei den Antikörpertherapien.
Wie sinnvoll sind Kombinationstherapien
bei Migräneattacken?
Gerade bei langen Attacken sind sie sehr
hilfreich. Triptane lindern schnell die akuten
Symptome, ihre Wirkung kann aber nachlassen.
Ergänzt man sie mit einem langwirksamen
Schmerzmittel wie Naproxen, lassen
sich Wiederkehrkopfschmerzen verhindern.
Die Kombination aus Triptan und NSAR ist
daher ein durchdachter Ansatz. Viele empfehlen,
Triptan zu Beginn, NSAR ein bis zwei
Stunden später einzunehmen, doch das ist
in der Praxis oft umständlich. Eine Fixkombination
wie Sumatriptan plus Naproxen
vereinfacht die Anwendung, verbessert die
Therapietreue und wirkt länger. Für Betroffene
mit häufig starken Attacken bedeutet das
eine echte Verbesserung der Lebensqualität.
Wie fördern Sie die Eigenverantwortung
Ihrer Patienten im Umgang mit der Erkrankung?
Wir setzen stark auf Aufklärung. In unserer
Klinik begleiten wir Patienten eng, geben
ihnen verschiedene Medikamente
zum Testen mit und helfen, den Umgang
individuell zu erlernen. Es geht darum,
dass Betroffene ihre Erkrankung verstehen
und sich selbst helfen können. Deshalb betreiben
wir auch einen Instagram-Kanal
@migraene_doc, wo wir Wissen niedrigschwellig
vermitteln und den Austausch
fördern. Viele Menschen haben Angst vor
Medikamenten, vor allem vor Nebenwirkungen.
Diese Ängste müssen wir ernst nehmen,
aber auch relativieren, denn viele Befürchtungen
bewahrheiten sich gar nicht. Wichtig
ist, zu vermitteln: Ausprobieren ist keine
Schwäche, sondern Teil der personalisierten
Medizin..
Redaktion Leonie Zell
10
Mental Load
Wenn Frauen an ihre
Grenzen stoßen
Zwischen Beruf, Familie, sozialen Verpflichtungen und der ständigen Erreichbarkeit bleibt
oft kaum Raum zum Durchatmen. SPIEGEL-Bestsellerautorin und Mentalcoach Cordula
Nussbaum hat sich in ihrem neuen Buch dem Thema Mental Load gewidmet. Im Interview
spricht sie darüber, warum viele Frauen sich für ihre Erschöpfung schämen, wie man dem
Dauerstress entkommt – und warum Selbstfürsorge nichts mit Egoismus zu tun hat.
Redaktion Emma Howe
Viele Frauen jonglieren heute zwischen
Beruf, Familie und sozialen Verpflichtungen.
Welche Risiken sehen Sie hier für die
mentale Gesundheit?
Ich sehe ganz klar das Risiko, dass es für viele
Frauen einfach zu viel geworden ist – zu viele
Bälle, die gleichzeitig in der Luft gehalten
werden müssen. Das beginnt oft schon mit
den hohen Ansprüchen, die viele Frauen an
sich selbst stellen: Frau möchte im Job glänzen,
eine tolle Mutter sein, eine gute Partnerin,
den Haushalt im Griff haben und den
Alltag organisieren. All diese Erwartungen
lasten schwer – und sie unter einen Hut zu
bringen, ist zeitlich oft kaum machbar. Noch
belastender ist es, das alles mental zu koordinieren
und den Überblick zu behalten. Hinzu
kommen unzählige „unsichtbare Aufgaben“:
Das Kind daran erinnern, den Turnbeutel
mitzunehmen, den Schulranzen freitags auszuräumen,
damit das Pausenbrot nicht übers
Wochenende schimmelt – all diese Kleinigkeiten
summieren sich. Der Umfang der Aufgaben
ist riesig, und das bringt viele Frauen
an ihre Grenzen. Studien zeigen aktuell, dass
über 66 Prozent der berufstätigen Mütter in
Deutschland sagen: „Akku leer, Schicht im
Schacht – es geht nicht mehr.“
66 Prozent – das ist eine fatale Zahl! Aber
warum wird darüber nicht berichtet?
Es wird immer wieder darüber gesprochen,
aber zu selten mit der nötigen Deutlichkeit.
Vielleicht machen wir mit dem Buch jetzt
genau den Unterschied – indem wir klar sagen:
Es ist eben nicht normal, sich dauerhaft
wie im Nebel zu fühlen oder das Gefühl zu
haben „Oh Gott, wenn jetzt noch ein Todo
dazukommt …“ Das sind Alarmzeichen.
Wenn jede neue Aufgabe schon beim bloßen
Gedanken Stress auslöst, ist das ein klares Signal.
Und genau hier sehe ich meine Aufgabe:
aufzuklären. Denn nur weil dieses Gefühl
weit verbreitet ist, heißt das nicht, dass es
normal oder hinnehmbar ist. Frauen müssen
das nicht akzeptieren. Es braucht mehr Bewusstsein
dafür, diese Zustände überhaupt
erst als solche zu erkennen. Um zu sagen:
„Stimmt, so geht es mir gerade. Und offensichtlich
bin ich nicht allein. Also: Lasst uns
etwas ändern.“
Mehr auf www.lebenmit.de | 11
Was sind typische Anzeichen für mentale
Erschöpfung?
Ein erstes Anzeichen ist ein Anflug von Panikgefühlen
bei neuen Aufgaben. Viele haben
auch das Gefühl, durch Watte zu laufen
– „Brain Fog“. Auch Gereiztheit gehört dazu.
Viele ignorieren diese Signale, weil sie denken,
sie hätten keinen Grund zur Klage.
Ein übersteigerter Perfektionismus ist also
Teil des Problems?
Ja, total. Und Social Media verstärkt das noch.
Wir vergleichen uns mit inszenierten Welten
– perfekte Wohnungen, perfekte Familien.
Das zermürbt. Viele fragen sich dann: Warum
bin ich nicht so zufrieden wie andere?
Warum fällt es vielen Frauen so schwer,
sich Auszeiten zu nehmen oder auch mal
Nein zu sagen?
Ich möchte es positiv formulieren: Es gibt
viele Frauen, die das können. Die bewusst
spüren, wann es zu viel wird, und frühzeitig
Grenzen setzen. Sie betreiben „Ressourcenmanagement“
und erlauben sich, Einladungen
abzusagen oder Aufgaben zu delegieren.
Viele andere hingegen haben nie gelernt, auf
sich selbst zu hören – ihnen fehlt oft das Vertrauen,
dass es in Ordnung ist, auch mal nicht
zu „funktionieren“.
Und was tun wir gegen das schlechte Gewissen,
wenn wir absagen oder uns zurückziehen?
Da sind wir bei meinem „Kompassprinzip für
mentale Stärke“: Das erste „K“ steht für Kontrolle
übernehmen. Ich empfehle, sich selbst
zur „Chief Happiness Officerin“ zu ernennen.
Das bedeutet: Ich bin verantwortlich dafür,
dass es mir gut geht. Wer es immer allen recht
macht, vergisst sich selbst.
Manchmal reagieren andere mit Unverständnis.
Wie geht man damit um?
In meinen Coachings sage ich klar: Schau
dir dein Umfeld an. Wer dich ständig unter
Druck setzt oder beleidigt reagiert, wenn du
nicht mitziehst, ist vielleicht nicht die richtige
Begleitung in dieser Lebensphase. Umgib
dich mit Menschen, die dich stärken – Vorbilder,
die gut für sich sorgen.
Viele haben Angst, egoistisch zu wirken.
Wie begegnen Sie dem Vorwurf?
Sich Zeit für sich zu nehmen, ist nicht egoistisch
– es ist überlebenswichtig. Es geht nicht
darum, nichts mehr für andere zu tun. Sondern
darum, sich selbst im Blick zu behalten
und klare Grenzen zu ziehen.
Ein großes Thema ist auch die Reizüberflutung
durch digitale Medien. Was raten Sie
da konkret?
Digitalisierung ist ein riesiger Stressfaktor.
Wir scrollen durch Feeds, vergleichen uns,
verbrennen Lebenszeit. Ich empfehle: Begrenze
deinen Social-Media-Konsum Schritt
für Schritt. WhatsApp-Gruppen, die Energie
ziehen? Raus! Alles, was Reize reduziert, entlastet
mental.
In Ihrem neuen Buch sprechen Sie von
„Ein-Minuten-Strategien“ gegen mentale
Erschöpfung. Warum gerade 60 Sekunden?
Und wie kamen Sie auf dieses Konzept?
Ich arbeite seit über 20 Jahren als Coach, und
mir war schon immer wichtig, dass Menschen
wirklich etwas verändern können –
und zwar konkret im Alltag. Es bringt nichts,
nur theoretisch zu sagen: „Ich sollte mal …“,
wenn es am Ende doch beim Wunsch bleibt.
In meiner Arbeit hat sich gezeigt: Natürlich,
man soll groß träumen – „Think big“, wie es
so schön heißt. Aber große Ziele überfordern
oft. Sie wirken weit entfernt und für viele
kaum erreichbar. Es gibt das schöne Sprichwort:
„Jede weite Reise beginnt mit einem
ersten Schritt.“ Genau da setzt meine Idee
an. Ich habe vor Jahren die „Mini-Move-Methode“
entwickelt: kleine Veränderungen,
kleine Taten, die uns in Bewegung bringen.
Gerade dann, wenn wir mental erschöpft
sind, fehlt oft die Kraft für große Veränderungen.
Da ist man manchmal so am Limit, dass
man froh ist, wenn der Tag endlich vorbei
ist. Deshalb sind kleine, sofort umsetzbare
Schritte so wichtig. Wenn ich nur eine Minute
lang etwas tue – etwa jetzt sofort ein
Glas Wasser holen und genussvoll in kleinen
Schlucken trinken –, dann bewirkt das schon
etwas. Es bringt Kraft zurück. Und genau darum
geht es bei den Ein-Minuten-Strategien:
Menschen in die Umsetzung bringen – mit
einfachen Schritten, die idealerweise sofort
spürbar etwas verändern.
Wer ist die Zielgruppe des Buches?
Sowohl Frauen, die schon tief im Mental
Load stecken, als auch jene, die vorbeugen
wollen. Prävention ist enorm wichtig. Viele
merken, dass sie auf dem Weg in die Erschöpfung
sind – das Buch hilft, rechtzeitig
gegenzusteuern. Und natürlich ist es auch
für Männer perfekt geeignet. (lacht)
Gibt es Übungen, die Sie besonders empfehlen
für Frauen, die sich dauerhaft im
„Mental-Load-Modus“ befinden?
Ja, eine ganz einfache, aber sehr wirksame
Übung ist: alles aufschreiben. Ich mache das
oft mit meinen Coaching-Klientinnen. Haptisch!
Also wirklich: Zettel, Stift und dann
alles raus aus dem Kopf. To-dos, Sorgen,
Ideen, Belastendes – einfach alles niederschreiben.
Das hat eine enorm bereinigende
Wirkung. Viele merken dann: „So viel ist es
ja gar nicht“, oder: „Okay, ja es ist viel. Aber
jetzt sehe ich es und kann sortieren.“ Viele
Menschen erleben das Aufschreiben als unglaublich
hilfreich, weil es uns mental sofort
entlastet. Eine zweite, ganz niederschwellige
Übung ist die Ein-Minuten-Pause. Wenn alles
zu viel wird, wenn der Kopf dröhnt und
man nicht weiß, wo man anfangen soll –
einfach mal eine Minute hinsetzen, Augen
schließen, tief durchatmen. Es klingt simpel,
aber diese eine Minute bringt sofort eine
kleine Entspannung. Sie gibt Raum, kurz
aus dem Autopiloten auszusteigen. Und das
kann schon reichen, um wieder einen klareren
Blick zu bekommen. Gerade im größten
Chaos hilft es, bewusst innezuhalten – und
sei es nur für 60 Sekunden.
Erklären Sie im Buch auch, warum das
funktioniert?
Ja, auf einfache, aber fundierte Weise. Wenn
wir viele offene Aufgaben im Kopf haben,
entsteht neuronale Spannung. Das Gehirn
ist im Dauerstress. Schreiben wir Dinge auf,
reduziert sich diese Spannung – und wir
können wieder klarer denken. Ich erkläre
auch, wie sich bei kognitiver Arbeit Glutamat
im Gehirn „anstaut“ und Denkprozesse
blockiert. Pausen helfen, diesen „Stau“ abzubauen.
Wenn Sie unseren Leserinnen nur einen
Rat zur mentalen Gesundheit geben könnten
– welcher wäre das?
Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, welche Strategien
Ihnen helfen. Lassen Sie sich inspirieren,
aber kopieren Sie nicht einfach andere.
Fragen Sie sich: Was würde mir jetzt
guttun? Und dann vertrauen Sie darauf. Unser
Bauchgefühl ist ein großartiger Ratgeber
– wir müssen nur wieder lernen, darauf zu
hören..
Buchtipp
Die 1-Minuten-Strategie gegen
mentale Erschöpfung
Fühlst du dich mental erschöpft? Dauernd
überansprucht, müde und ausgelaugt?
Dann ist es Zeit für die 1-Minuten-Strategie
gegen mentale Erschöpfung.
Neuro-Coach und SPIEGEL-Bestsellerautorin
Cordula Nussbaum zeigt, wie du mit
einfachen 1-Minuten-Hacks neue mentale
Kraft tankst – schnell, wirksam und
alltagstauglich. Du erkennst erste Warnzeichen
von Überlastung, findest gezielte
Gegenmaßnahmen und lernst, deine
mentale Gesundheit aktiv zu schützen.
Mehr Fokus, Energie und Leichtigkeit –
überall machbar, sofort umsetzbar und
absolut wirkungsvoll!
ISBN 978-3833899287
GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
12
Brustkrebsspezial
Foto: privat
Drei Wörter, die alles veränderten:
„Sie haben Brustkrebs“
Vor wenigen Wochen erhielt Sabrina (42) die Diagnose Brustkrebs – eine Nachricht, die ihr
Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf stellte. Eigentlich war es nur eine Routineuntersuchung,
ohne Beschwerden, ohne Verdacht. Doch dann folgte der Ultraschall,
die Biopsie, das Warten – und schließlich die Wörter, die alles veränderten: Sie haben
Brustkrebs. In dem Moment, als die Ärztin die Diagnose aussprach, fühlte es sich für Sabrina
an, als würde der Boden unter ihren Füßen wegbrechen. So einzigartig und persönlich
diese Erfahrung ist, so viele Frauen teilen sie jedes Jahr. In Deutschland erkranken jährlich
etwa 80.000 Frauen neu an Brustkrebs – damit ist es die mit Abstand häufigste Krebserkrankung
bei Frauen. Und hinter jeder dieser Zahlen steht ein Schicksal, eine Familie, eine
Geschichte, die von Angst, Hoffnung und einem neuen Blick auf das Leben erzählt.
Redaktion Leonie Zell
Mehr auf www.lebenmit.de | 13
Liebe Sabrina, danke, dass du bereit bist, mit
mir über deine aktuelle Situation zu sprechen.
Du hast vor wenigen Wochen die
Diagnose Brustkrebs erhalten. Kannst du
erzählen, wie dieser Moment für dich war?
Ja, natürlich. Es war ein ganz normaler
Dienstag. Ich war zur Routinekontrolle bei
meiner Frauenärztin – nichts Ungewöhnliches,
ich hatte keine Beschwerden. Bei der
Tastuntersuchung meinte sie dann, dass sie
zur Sicherheit eine weitere Abklärung möchte.
Ich bekam eine Überweisung zum Ultraschall
in einer radiologischen Praxis. Dort
wurde ein auffälliger Befund festgestellt –
ein Schatten, der weiter untersucht werden
musste. Ich dachte erst, das sei bestimmt ein
Irrtum. Doch nach einer Biopsie und ein paar
bangen Tagen saß ich dann beim Onkologen
– und bekam die Diagnose: invasives Mammakarzinom,
linksseitig. In dem Moment hat
sich alles um mich herum aufgelöst. Ich habe
zwar die Wörter gehört, aber sie sind nicht
wirklich bei mir angekommen.
Was war dein erster Gedanke?
„Das kann nicht sein.“ Ich bin 42, habe zwei
Kinder, ernähre mich gesund, rauche nicht,
mache regelmäßig Sport. Ich fühlte mich nie
krank. Mein erster Gedanke war wirklich:
Das muss eine Verwechslung sein. Vielleicht
haben die Ärzte die Ergebnisse vertauscht,
vielleicht gibt es eine andere Erklärung. In
meinem Kopf ratterte es, ich suchte nach
jedem Strohhalm, um diese Diagnose nicht
wahrhaben zu müssen. Und dann kam sofort
die Angst – nicht so sehr um mich, sondern
um meine Kinder. Was passiert mit ihnen,
wenn ich das nicht schaffe? Der Gedanke,
dass ich sie vielleicht nicht aufwachsen sehen
könnte, dass ich bei so vielen wichtigen
Momenten fehlen würde, schnürte mir die
Kehle zu. Gleichzeitig spürte ich eine Art Ungläubigkeit,
als ob ich in einem schlechten
Film sitze, der aber nichts mit meinem Leben
zu tun hat. Ich erinnere mich noch genau an
dieses Gefühl von Schockstarre – alles um
mich herum lief weiter, aber in mir war nur
Leere und ein ohrenbetäubendes Rauschen.
In diesem Moment wurde mir klar, wie fragil
alles ist, wie schnell ein Alltag, den man für
selbstverständlich hält, in 1.000 Stücke zerfallen
kann.
Wie hast du es deiner Familie gesagt?Das
war der schwerste Moment für mich. Ich
wollte stark wirken, aber innerlich war ich
völlig aufgewühlt. Ich habe zuerst mit meinem
Mann gesprochen. Wir saßen lange einfach
nur da, ohne Worte. Irgendwann haben
wir uns einfach umarmt, und in dieser Umarmung
war gleichzeitig so viel Angst und so
viel Halt. Bei den Kindern – sie sind neun und
zwölf – haben wir versucht, es altersgerecht
zu erklären. Dass Mama krank ist, aber in guten
Händen. Dass die Ärzte alles tun werden,
damit ich wieder gesund werde. Es war mir
wichtig, ehrlich zu sein, aber trotzdem Hoffnung
zu geben. Gleichzeitig hatte ich große
Sorge, die Kinder zu überfordern oder ihnen
zu viel Angst zu machen. Sie haben viele Fragen
gestellt: „Wirst du deine Haare verlieren?
Kann man davon sterben?“ – und das hat
mir fast das Herz zerrissen. Wir haben versucht,
auf jede Frage so ehrlich wie möglich
zu antworten, ohne ihnen die ganze Schwere
zuzumuten. Danach war es eine Weile still,
und dann haben wir gemeinsam beschlossen,
dass wir als Familie stark sein wollen –
auch wenn das bedeutet, dass es Tränen und
schlechte Tage geben wird. Ich habe gemerkt,
wie wichtig es war, den Kindern zu signalisieren:
Ihr dürft alles fühlen, ihr dürft fragen, ihr
dürft traurig sein. Für mich war das Gespräch
ein Wendepunkt – ein Moment, in dem klar
wurde: Wir schaffen das nur zusammen.
Wie geht es dir heute, ein paar Wochen
nach der Diagnose?
Ich bin in so einer Art Zwischenzustand. Die
Diagnose liegt hinter mir, aber die Therapie
steht mir noch bevor. Ich hatte schon mehrere
Gespräche mit meiner Onkologin. Es wird
eine Operation geben, bei der ein Teil der
Brust entfernt wird, danach folgt wahrscheinlich
eine Chemotherapie. Ich schwanke zwischen
Angst, Unsicherheit – aber auch Klarheit.
Ich weiß jetzt, was auf mich zukommt.
Ich habe angefangen, mich zu informieren,
Fragen zu stellen, Hilfe anzunehmen. Ich
versuche, Schritt für Schritt zu gehen, nicht
zu weit in die Zukunft zu denken.
Wie gehst du emotional mit der Diagnose
um?
Es ist ein ständiges Auf und Ab. Manche Tage
sind okay – ich funktioniere, organisiere,
plane. Und dann gibt es Tage, an denen ich
einfach nur weine. Ich bin wütend, traurig,
erschöpft. Aber ich habe gelernt, mir diese
Gefühle zu erlauben. Ich versuche nicht
mehr, die Starke zu sein. Ich bin verletzlich
– und das ist in Ordnung. Was mir sehr hilft,
ist Schreiben. Ich führe ein Tagebuch, in dem
ich alles rauslasse. Es ist wie ein Ventil.
Hast du Unterstützung von außen?
Ja, und dafür bin ich unglaublich dankbar.
Eine gute Freundin von mir hatte selbst vor
ein paar Jahren Brustkrebs und begleitet mich
jetzt. Sie kennt die medizinischen Abläufe,
aber auch die emotionalen Achterbahnfahrten.
Wir reden sehr viel miteinander. Durch
Social Media weiß ich zudem, dass es so viele
junge Frauen gibt, die diesen Weg gegangen
sind – und heute wieder gesund sind. Das
gibt mir unglaublich viel Kraft.
Hat sich dein Blick auf das Leben verändert?
Total. Ich habe früher oft Dinge aufgeschoben,
mich gestresst über Kleinigkeiten, mich
selbst unter Druck gesetzt. Jetzt weiß ich:
Nichts ist selbstverständlich. Nicht der Kaffee
am Morgen, nicht ein Spaziergang mit meinem
Sohn, nicht das Lachen meiner Tochter.
Ich versuche, im Moment zu leben. Dankbarkeit
ist nicht nur ein Wort – ich spüre sie jetzt
wirklich. Für jeden Moment, in dem ich mich
lebendig fühle.
Viele Menschen wissen nicht, wie sie reagieren
sollen, wenn jemand in ihrem Umfeld
an Krebs erkrankt. Was hättest du dir
gewünscht?
Ich habe beides erlebt: liebevolle Reaktionen
und auch ziemlich ungeschickte. Manche
Menschen meiden mich jetzt, wahrscheinlich
weil sie nicht wissen, was sie sagen
sollen. Andere überschütten mich mit Ratschlägen
oder erzählen Horrorgeschichten
von Bekannten, die gestorben sind. Das ist
schwer auszuhalten. Ich wünsche mir, dass
Menschen einfach da sind. Zuhören, ohne zu
bewerten. Es reicht oft schon zu sagen: „Ich
bin für dich da.“ Und bitte nicht: „Du musst
nur positiv denken.“ Ich darf auch Angst haben,
und das ist okay. Noch hilfreicher wäre
es, wenn Freunde und Bekannte akzeptieren,
dass jede Situation anders ist, dass es keine
richtigen oder falschen Gefühle gibt und dass
Schweigen manchmal mehr Trost spenden
kann als ein gut gemeinter, aber verletzender
Satz. Ein ehrliches Gespräch, eine kleine
Geste der Nähe oder einfach gemeinsam Zeit
verbringen – all das bedeutet viel mehr, als
vermeintlich kluge Ratschläge zu geben. Was
ich mir am meisten wünsche, ist Verständnis
und die Bereitschaft, Unsicherheit auszuhalten,
anstatt sie mit Phrasen zu überdecken.
Was gibt dir aktuell am meisten Kraft?
Meine Familie. Die Umarmungen meiner
Kinder, die Liebe meines Mannes. Aber auch
der Glaube an mich selbst. Ich habe Seiten an
mir entdeckt, die ich vorher gar nicht kannte.
Ich bin verletzlich, ja – aber auch stark.
Ich habe mir eine kleine Routine aufgebaut:
Meditation am Morgen, kurze Spaziergänge,
Musik hören. Ich nehme Hilfe an, mache
psychologische Beratung, lasse mich tragen,
wenn ich nicht mehr kann. Und ich plane
kleine Lichtblicke – ein Kinobesuch, ein Wochenende
am Meer. Das gibt mir ein Gefühl
von Normalität.
Gibt es etwas, das du anderen Frauen in
ähnlicher Situation mit auf den Weg geben
möchtest?
Auf jeden Fall. Zuerst: Du bist nicht allein.
Diese Diagnose ist ein Schock, aber sie ist
nicht das Ende. Hol dir Hilfe, informiere
dich, aber überfordere dich auch nicht mit
zu vielen Informationen auf einmal. Vertrau
auf dein Gefühl. Und sprich über deine
Emotionen. Schweigen macht alles nur
schwerer.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Natürlich wünsche ich mir, gesund zu werden.
Aber darüber hinaus wünsche ich mir,
dass ich mir meine neue Sicht auf das Leben
bewahre. Dass ich das, was wirklich zählt –
Liebe, Nähe, Ehrlichkeit –, nie wieder aus
den Augen verliere. .
14
Brustkrebs verstehen,
Therapie individuell
gestalten
Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs – jede Patientin ist einzigartig. Moderne Biomarker
und Gentests machen es möglich, Therapien gezielt anzupassen, Nebenwirkungen
zu reduzieren und die Heilungschancen zu verbessern.
Frau Prof. Banys-Paluchowski, was sind Biomarker
und warum spielen sie bei Brustkrebs
eine so große Rolle?
Unter Biomarkern verstehen wir Eigenschaften
der Tumorzellen, die wir untersuchen können.
Klassische Beispiele sind Rezeptoren – Proteine
auf der Zelloberfläche, die Signale aus der Umgebung
aufnehmen. Hormonrezeptoren oder
HER2 geben Aufschluss darüber, welche Medikamente
gezielt eingesetzt werden können, um
das Tumorwachstum zu bremsen. Neben diesen
„alten Bekannten“ gibt es auch neue Biomarker,
etwa genetische Mutationen, die wir im Tumorgewebe
oder Blut nachweisen können. So lässt
sich die Therapie passgenau auf die Patientin
abstimmen.
Welche Biomarker und genetischen Veränderungen
werden am häufigsten bestimmt und
welchen Einfluss haben sie auf Therapie und
Krankheitsverlauf?
Besonders relevant sind vererbte Mutationen
wie BRCA1 und BRCA2. Wer sie trägt, hat ein
höheres Risiko für Brust- und Eierstockkrebs.
Für Betroffene gibt es spezielle Früherkennungsstrategien,
risikoreduzierende Operationen oder
Medikamente, die bei Mutationsträgerinnen besonders
wirksam sind.
Bei den Tumorzellen selbst bestimmen wir Hormonrezeptorstatus
und HER2. Ein HER2-positiver
Tumor etwa spricht gut auf zielgerichtete Antikörpertherapien
an, die die Prognose deutlich
verbessern.
Eine oft diskutierte Mutation ist ESR1. Was bedeutet
sie?
ESR1 betrifft das Gen für den Östrogenrezeptor.
Sie entsteht im Verlauf der Erkrankung in den Tumorzellen
selbst und ist nicht vererbbar. Besonders
betroffen sind Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem,
HER2-negativem Brustkrebs.
Eine ESR1-Mutation macht den Tumor resistent
gegenüber klassischer Antihormontherapie. Für
metastasierten Brustkrebs gibt es inzwischen ein
zugelassenes Medikament, das gezielt bei ESR1-
Mutation wirkt. Diese Mutation kann per Bluttest
nachgewiesen werden.
Prof. Dr. med. Maggie Banys-
Paluchowski
Stellvertretende Klinikdirektorin, Leitung
Brustzentrum, Leitung Zentrum für
Familiären Brust- und Eierstockkrebs
der Klinik für Frauenheilkunde und
Geburtshilfe Lübeck
Was ist der beste Zeitpunkt, um auf Mutationen
zu testen?
Das hängt vom Biomarker ab. Vererbte Mutationen
wie BRCA1/2 untersucht man unabhängig
vom Krankheitsstadium, oft im
Rahmen einer genetischen Beratung bei gesunden
Menschen. Andere Biomarker wie
Hormonrezeptoren, HER2 oder Ki-67 bestimmen
wir direkt bei der Erstdiagnose. Mutationen
wie ESR1 sind erst später relevant und
werden getestet, wenn eine Therapie nicht
mehr wie erwartet wirkt, besonders bei metastasiertem
Brustkrebs, um die passende
zielgerichtete Therapie zu wählen. Da ESR1
eine erworbene Mutation ist, ist es wichtig,
die Tests regelmäßig zu wiederholen, bis zu
zweimal pro Jahr. Wird die Mutation gefunden,
kann eine zielgerichtete Therapie eingeleitet
werden.
Wann reicht eine hormonelle bzw. endokrine
Therapie allein und wann braucht es
zusätzlich Chemotherapie?
Bei Hormonrezeptor-positivem, HER2-negativem
Brustkrebs ist die endokrine Therapie
sehr wirksam und gut verträglich. Früher
wurde häufig zusätzlich Chemotherapie gegeben
– oft unnötig.
Heute helfen Genexpressionstests, die zeigen,
ob eine Chemotherapie zusätzlichen Nutzen
bringt. So können viele Frauen die belastende
Chemotherapie vermeiden, ohne die Heilungschancen
zu verschlechtern.
Wie fließen diese Erkenntnisse in Leitlinien
ein und was bedeuten sie für den Praxisalltag?
Neue Medikamente werden fast immer biomarkerbasiert
zugelassen. Studien, die Überleben
oder Rückfallrisiko verbessern, fließen in
Leitlinien direkt ein. Für Ärzte bedeutet das oft
zusätzliche Arbeit, etwa Kostenübernahmeanträge
zu stellen, solange das neue Medikament
noch nicht offiziell zugelassen wurde, aber die
Patientinnen erhalten so früh Zugang zu modernen,
wirksamen Therapien.
Was bedeutet das konkret für die Patientin?
Ihre Lebensqualität hat sich deutlich verbessert.
Medikamente sind oft besser verträglich
als Chemotherapie, unnötige Behandlungen
lassen sich vermeiden. Auch unterstützende
Therapien gegen Nebenwirkungen sind heute
wirksamer. Früherkennung sorgt dafür, dass
Tumoren häufig in einem frühen Stadium entdeckt
werden, sodass weniger radikale Maßnahmen
nötig sind. Behandlungen sind damit
individueller und patientenfreundlicher.
Wo sehen Sie die größten Fortschritte in den
kommenden Jahren?
Besonders spannend sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate:
Ein Antikörper bindet gezielt
an Tumorzellen und transportiert ein Chemotherapie-Molekül
direkt hinein, während
gesunde Zellen geschont werden. Erste Präparate
sind bereits zugelassen, weitere folgen.
Auch in der Nachsorge gibt es Fortschritte: Die
große Studie SURVIVE untersucht, ob Bluttests
auf Tumor-DNA die Rückfälle früher erkennen
können und auf diese Weise ermöglichen, die
Therapie rechtzeitig anzupassen..
Redaktion Miriam Rauh
Anzeige
ESR1-Mutationen gewinnen bei der
Therapie des HR+/HER2− metastasierten
Mammakarzinoms an Bedeutung
Bis zu 40 % der Patientinnen zeigen nach Therapie
mit einem Aromatase-Inhibitor ESR1-Mutationen 1
Weitere Informationen
finden Sie hier
1 Brett J, Spring LM, Bardia A, Wander SA. ESR1 mutation as an
emerging clinical biomarker in metastatic hormone receptor-positive
breast cancer. Breast Cancer Res. 2021;23(1):85.
16
instagram.com/
kathis.sunrise
Foto: privat
Hand in Hand durch
schwere Zeiten
Kathi erhielt mit 28 Jahren die Diagnose Gebärmutterhalskrebs – sechs Jahre später
folgte, mitten in der Pandemie, Brustkrebs. Gemeinsam mit ihrer Tochter Leonie hat sie
diese schweren Zeiten durchlebt, offen darüber gesprochen und ihren Weg zu Selbstbestimmung
und Körperbewusstsein gefunden. In diesem Interview erzählen beide, wie
sie die Diagnosen erlebt haben, welche Entscheidungen Kathi für sich getroffen hat und
welche Lehren sie in Sachen Vorsorge, Körpergefühl und Familie daraus ziehen.
Kathi, du hast mit 28 Jahren die Diagnose
Gebärmutterhalskrebs bekommen – Jahre
später folgte, mitten in der Pandemie,
Brustkrebs. Wie hast du diese beiden Diagnosen
erlebt – emotional, körperlich,
familiär?
Für mich war die Gebärmutterhalskrebsdiagnose
natürlich ein Schock, aber da meine
Eltern beide bereits Krebs hatten, habe
ich irgendwie schon damit gerechnet, dass
ich irgendwann auch eine Krebsdiagnose
bekomme. Aber mit 28 habe ich gar nicht
damit gerechnet. Es stand relativ schnell
fest, dass meine Gebärmutter entfernt
werden muss. Damit musste ich mich von
meinem Kinderwunsch verabschieden.
Das war für mich am Anfang nicht leicht,
heute ist es aber genau so gut, wie es gekommen
ist. Ich habe gemeinsam mit meinem
Mann unsere Patchworkfamilie und
Redaktion Emma Howe
mag das sehr. Die Brustkrebsdiagnose hat
mir total den Boden unter den Füßen weggezogen.
Ich hätte niemals damit gerechnet,
sechs Jahre später eine zweite Krebsdiagnose
zu bekommen. Das Vertrauen in
meinen Körper ist dadurch in die Brüche
gegangen, ich hatte oft und habe heute
auch noch manchmal Angst, dass ich irgendwann
eine dritte Diagnose bekomme.
Mein Mann hat mich von Anfang an toll
unterstützt, und mit psychoonkologischer
Hilfe sind die Ängste mittlerweile kleiner
geworden.
Damals nach der ersten Diagnose bist du
relativ schnell in deinen Alltag zurückgekehrt.
Wenn du heute darauf schaust – war
das eher ein Schutzmechanismus oder
einfach deine Art, mit Krisen umzugehen?
Ich glaube, dass ich mir nach meiner ersten
Diagnose mehr Zeit hätte nehmen sollen.
Ich hätte eine Anschlussheilbehandlung
beantragen und versuchen sollen, das Geschehene
aufzuarbeiten. Mir ist erst mit der
zweiten Diagnose richtig bewusst geworden,
dass ich das die ganzen Jahre über verdrängt
habe.
Die zweite Diagnose kam kurz vor dem
18. Geburtstag deiner Tochter. Welche
Symptome hattest du, und wie wurde die
Erkrankung diagnostiziert?
Ich habe meinen Knoten selbst ertastet. Ansonsten
hatte ich keine Symptome. Ich habe
einen Termin beim Gynäkologen ausgemacht.
Der meinte zunächst, es sei nur ein
Fibroadenom, ohne Ultraschall zu machen.
Ich habe darauf gedrängt, dass der Knoten
radiologisch abgeklärt wird. Schließlich
erhielt ich eine Zweitmeinung bei einem
Mehr auf www.lebenmit.de | 17
Krebs darf kein
gesellschaftliches
Tabuthema sein.
anderen Gynäkologen, wurde an eine Radiologie
überwiesen und bekam dort Ultraschall,
Mammografie und Stanzbiopsie
– bei der der bösartige Tumor festgestellt
wurde. Die Diagnose bekam ich einen Tag
vor meinem 34. Geburtstag und fünf Tage
vor dem 18. Geburtstag meiner Tochter.
Natürlich gibt es nie einen guten Tag für
so eine Diagnose, aber ich hätte mir gewünscht,
dass das Ganze erst nach Leonies
Geburtstag passiert wäre, damit sie ihren
Tag unbeschwert feiern kann.
Leonie, erinnerst du dich an den Moment,
als deine Mutter dir von der Brustkrebsdiagnose
erzählt hat? Was ging dir durch
den Kopf – als Tochter, als junge Frau?
Ja, ich erinnere mich daran. Ich war schockiert
und hatte Angst, dass meine Mama
sterben könnte. Anfangs habe ich mir keine
großen Gedanken gemacht, ob es eine genetische
Vorbelastung geben könnte. Aber
als meine Mama ihren Gentest gemacht
hat, war ich nervös und bin sehr froh, dass
kein Gendefekt gefunden wurde.
Wie seid ihr als Mutter-Tochter-Gespann
mit dieser Situation umgegangen?
Wir haben immer sehr offen über alles gesprochen.
Leonie war über alle Arzttermine
und Untersuchungen informiert. Da das
während der Pandemie war, haben wir viel
Zeit miteinander verbracht. Leonie hatte
viel Homeschooling. Wir haben in dieser
Zeit die Serie „Friends“ komplett durchgeschaut.
Kathi, du hast dich gegen eine Chemotherapie
und für eine beidseitige
Mastektomie ohne Wiederaufbau entschieden.
Wie kam es zu dieser Entscheidung,
und was hat sie für dich bedeutet –
medizinisch und emotional?
Mir ist wichtig zu sagen, dass nicht ich mich
gegen die Chemotherapie entschieden
habe, sondern der Oncotype-Test ergab,
dass der Nutzen bei unter einem Prozent
liegt. Wäre er anders ausgefallen, hätte ich
die Chemotherapie gemacht. Anfangs war
ich trotzdem unsicher, da fast alle, die ich
kennengelernt habe, eine Chemotherapie
hatten. Nachdem ich mich intensiv mit dem
Test beschäftigt hatte, fühlte ich mich sicherer.
Die endokrine Therapie mache ich
weiterhin. Ich habe mich gegen den Wiederaufbau
entschieden, weil es sich von
Anfang an richtig angefühlt hat. Silikonimplantate
konnte ich mir nicht vorstellen,
Eigengewebswiederaufbau wollte ich wegen
zusätzlicher OPs und Narben nicht. Für
mein Sicherheitsgefühl war die Ablatio die
beste Option. Ich trage keine Prothesen und
fühle mich damit auch nicht wohl. Im Alltag
fällt kaum auf, dass meine Brüste entfernt
wurden. Ich bereue meine Entscheidung
keinen Tag.
Leonie, wie hast du diese Entscheidung
deiner Mutter erlebt?
Am Anfang war es komisch, weil ich so etwas
noch nie gesehen hatte. Als wir jedoch
über die Beweggründe gesprochen haben,
fand ich es richtig stark von ihr. Mein Blick
auf Weiblichkeit hat sich geändert: Brüste
haben nichts mit Weiblichkeit zu tun, und
jede Person sollte selbst Entscheidungen
für ihren Körper treffen.
Kathi, du hast einmal gesagt: „Ich mag
meinen Körper heute mehr als vor der
Diagnose.“ Was bedeutet für dich Selbstbestimmung
in Bezug auf deinen Körper
– gerade nach so einem Eingriff?
Der Weg zur Ablatio war nicht leicht. In den
Leitlinien wird diese Option kaum beraten,
Brüste haben
nichts mit Weiblichkeit
zu tun.
Ärzte konzentrieren sich auf brusterhaltende
OPs oder Wiederaufbau. Mein Wunsch
wurde zunächst nicht ernst genommen. Mir
wurde gesagt, dass ich nicht beurteilen könne,
wie es ist, ohne Brust zu leben, und dass
eine Entscheidung aus Angst keine gute ist.
Auch die Frage „Was sagt Ihr Mann dazu?“
fand ich unangebracht. Ich bin stolz, dass
ich mich gegen die Ärzte durchgesetzt und
die Entscheidung für mich getroffen habe.
Leonie, hat dich die Krankengeschichte
deiner Mutter in deinem eigenen Gesundheitsverhalten
beeinflusst?
Ja, ich erzähle meinen Ärzten immer von
der Vorgeschichte meiner Mama, werde
ernst genommen und bekomme engmaschige
Kontrollen. Ich würde Veränderungen
sofort abklären lassen, da Krebs im
Frühstadium oft gut behandelbar ist.
Kathi, was möchtest du unseren Leserinnen
in Sachen Vorsorge, Körpergefühl
und Selbstbild mitgeben?
Tastet euch ab. Nur wenn ihr euren Körper
gut kennt, bemerkt ihr Veränderungen früh.
Nutzt Angebote zur Früherkennung. Wenn
euch etwas komisch vorkommt, ihr nicht
ernst genommen werdet oder ein ungutes
Gefühl habt, steht für euch ein und holt eine
Zweitmeinung ein.
Habt ihr das Gefühl, dass junge Frauen
heute mehr Druck oder mehr Freiheit erleben,
wenn es um ihren Körper geht?
Kathi: Es ist besser als vor zehn Jahren, aber
viele Frauen bekommen immer noch extremen
Druck von außen oder setzen sich
selbst unter Druck.
Leonie: Es gibt mehr Freiheiten, aber Social
Media zeigen viele perfekte Frauen, was
Druck erzeugt.
Leonie, wenn du an diese Zeit zurückdenkst
– gab es etwas, das dir gefehlt hat?
Die Schule hat sich gut verhalten, ich konnte
meinen Alltag weiterführen. Bei den Ärzten
war ich nicht eingebunden, da während
Corona niemand zu den Terminen mitgehen
durfte.
Kathi, du sprichst auf Instagram und im
Buusenkollektiv offen über deinen Weg.
Wie kam es dazu und welche Reaktionen
bekommst du?
Nach der Diagnose habe ich mich sehr allein
gefühlt und auf Instagram eine kleine
Bubble mit Brustkrebserkrankten gefunden.
Das hat mich aufgebaut und mir Tipps
gegeben. Ich möchte das Gefühl weitergeben
und für Sichtbarkeit sorgen. Reaktionen
sind zu 98 Prozent positiv. Negative
Kommentare kann ich gut wegstecken.
Abschließend an euch beide: Was wünscht
ihr euch von Öffentlichkeit, Medizin und
Gesellschaft im Umgang mit Krebs, Vorsorge
und Körperbildern?
Leonie: In der Schule wird kaum über Vorsorge,
Krebs und Körperbilder gesprochen.
Es wäre gut, wenn junge Menschen wüssten,
worauf sie achten sollen.
Kathi: Jede Frau sollte wissen, wie sie sich
abtastet und ihren Körper gut kennt. Krebs
sollte kein Tabuthema sein. Erkrankte Personen
sind nach der Akuttherapie nicht
wieder „die Alten“ – viele kämpfen lange
mit Nachwirkungen oder sind noch in Therapien..
Unterstützung für von Brustkrebs
betroffene Frauen
Kathi hat gemeinsam mit anderen betroffenen
Frauen den Verein Das Buusenkollektiv
e. V. gegründet. Der Verein
vernetzt Frauen, die an Brustkrebs erkrankt
sind, und bietet Austausch, Informationen
sowie vielfältige Angebote.
Weitere Informationen finden Sie auf:
www.dasbuusenkollektiv.de
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Raus aus der Hilflosigkeit!
PINK! Coach gibt Brustkrebspatientinnen
die Kontrolle zurück
Eine Brustkrebsdiagnose verändert alles. Nicht nur den Körper einer Frau, sondern
auch den gesamten Alltag. Prof. Dr. Pia Wülfing, Gynäkologin und Gründerin von PINK!,
erzählt, wie sie Patientinnen bei einer Brustkrebserkrankung begleitet – und warum ihre
App PINK! Coach weit über das Weitergeben von Informationen hinausgeht.
Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit mit
umgesetzt.
Frau Prof. Dr. Wülfing, wie kam Ihnen
die Idee zu PINK! Coach?
Es gab unzählige Momente in meiner
Sprechstunde, in denen mir bewusst wurde,
wie viele Fragen die Patientinnen hatten,
wie viel Angst ihnen die Erkrankung
machte und wie sehr viele unter dem
Gefühl litten, alles alleine bewältigen zu
müssen. Immer häufiger kam die Bitte, das
Besprochene mit einem Diktiergerät oder
dem Handy aufnehmen zu dürfen, um es
später noch mal in aller Ruhe anzuhören.
Ich dachte mir: Es muss dafür eine verlässliche
Lösung außerhalb der Sprechstunde
geben. Und so entstand die Idee für PINK!
Coach – die App, die Brustkrebspatientinnen
Schritt für Schritt begleitet.
Wann ist der Bedarf nach Unterstützung
besonders groß?
Direkt nach der Diagnose explodiert bei
vielen Betroffenen förmlich die Angst. Alles
ist ungewiss. Die Patientinnen müssen sich
zwischen Prognosen, Therapieoptionen,
Diagnostik zurechtfinden. Später, nach der
Akuttherapie, wenn die Arzttermine seltener
werden und die Nachsorge beginnt, fallen
viele erneut in ein tiefes Loch. Sie haben oft
das Gefühl, alleingelassen zu werden. Hinzu
kommt, dass Betroffene meist einer Vielzahl
von gut gemeinten Ratschlägen ausgesetzt
sind – Angehörige, Freunde, Nachbarn ... alle
geben Tipps, aber niemand hat natürlich das
fachliche Wissen, was hilft bzw. was sogar
schadet. PINK! Coach greift genau dort: Wir
geben kontinuierliche Orientierung, Unterstützung
und die Gewissheit, ein Stück Kontrolle
zurückzuerhalten, selbstwirksam sein
zu können. Und das rund um die Uhr und in
jeder Phase der Krankheit.
Das Gefühl der Selbstwirksamkeit ist ein
zentrales Element. Wie vermitteln Sie das?
In der App PINK! Coach geben wir den Patientinnen
kleine, machbare Tagesziele: eine
Minieinheit Bewegung, einen praktischen
Ernährungstipp, eine geführte Meditation.
Alles ist direkt umsetzbar. Wir geben den
Frauen nicht bloß theoretisches Wissen
weiter, sondern Handwerkszeug für ihren
Alltag. Die Rückmeldungen sind überwältigend.
Patientinnen sagen: „Ich kann mit
PINK! selbst etwas tun, aktiv werden. Ich
habe die Kontrolle zurück.“ Für viele ist das
ein Gefühl, das sie seit der Diagnose vermisst
haben.
PINK! setzt auf einen ganzheitlichen Ansatz.
Welche Säule ist ganz besonders
wichtig: Ernährung, Bewegung oder mentale
Gesundheit?
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Wir haben PINK! Coach von Anfang an
wissenschaftlich begleitet. Zunächst 2021
mit einer Pilotstudie an 60 Patientinnen,
um zu prüfen, welche Effekte unsere App
hat. Anschließend folgte 2022 die große
Zulassungsstudie, die notwendig für die
Anerkennung als DiGA bei den Krankenkassen
ist. Für die DiGA-Zulassung muss
nachgewiesen werden, dass eine App medizinische
Vorteile bietet – etwa in psychischer
Gesundheit, Lebensqualität oder
Alltagsaktivität. Jede Patientin, die PINK!
Coach verschrieben bekommt, erhält eine
wissenschaftlich fundierte, wirksame Unterstützung.
Was konnten Sie konkret nachweisen?
Die Ergebnisse waren sehr ermutigend:
Die psychische Belastung der PINK!-
Coach-Nutzerinnen wurde signifikant
reduziert. Zudem zeigte sich, dass ihre
körperliche Aktivität deutlich gesteigert
werden konnte, die Lebensqualität sich
verbesserte und die Patientinnen auch ihr
Gewicht besser managen konnten – ein
sehr wichtiger Faktor, da viele Brustkrebstherapien
zu Gewichtszunahme führen.
Spannend war auch, dass PINK! Coach in
manchen Bereichen sogar Effekte zeigte,
die mit denen einer klassischen Psychotherapie
vergleichbar sind.
Gab es Momente, die Sie besonders
überrascht oder berührt haben?
Ja, viele. Wir hatten Patientinnen, die sich
nach der Diagnose und auch während der
Therapie überfordert und hilflos fühlten.
Sie berichteten, dass PINK! Coach ihnen
das Gefühl gibt, selbst etwas für sich tun
Alle drei sind untrennbar miteinander
verbunden. Ernährung beispielsweise
beeinflusst das Darmmikrobiom und damit
nicht nur die physische, sondern, wie
man heute weiß, auch die psychische Gesundheit.
Bewegung wiederum, zum Beispiel
Yoga oder Pilates, stärkt Körper und
Geist. Und mentale Gesundheit ist oft das
Fundament – ganz besonders für Frauen
über 50, die nie gelernt haben, achtsam
mit sich selbst zu sein. Jede Säule unterstützt
die andere, und zusammen helfen
sie den Frauen, die Therapie zu meistern
und langfristig gesund zu leben.
PINK! Coach ist als DiGA von den Krankenkassen
anerkannt. Was bedeutet das
für die Patientinnen?
Jede Patientin kann PINK! Coach kostenlos
(auch ohne Zuzahlung) nutzen, egal
wann sie diagnostiziert wurde und unabhängig
davon, wo sie lebt. Jeder Arzt kann
die App verordnen und die Verordnung
kann beliebig oft wiederholt werden. Dass
die App PINK! Coach allen, die sie brauchen,
unabhängig von ihren finanziellen
Möglichkeiten zugänglich ist, ist für uns
ganz wichtig.
PINK! hat verschiedene Formate
entwickelt, die Patientinnen
auf unterschiedliche Weise
unterstützen – von digitalen
Kursen über Talks bis hin zum
großen Jahreskongress.
■ PINK! Coach – als digitale Gesundheitsanwendung
(DiGA) anerkannte
App, die Brustkrebspatientinnen im Alltag
unterstützt; verordnungsfähig, kostenfrei
für Patientinnen
■ PINK! Leben – digitaler Kurs, der in
Studien Ängste reduzieren konnte
■ „Frag doch mal PINK!“ – interaktives
Webinar, in dem Experten Fokusthemen
erklären und medizinische Fragen
von Betroffenen beantworten
■ PINK! Talk – ein Gesprächsformat,
das unter anderem psychologische Aspekte
der Erkrankung in den Fokus stellt
■ PINK! Kongress – am 21. November
2025 bereits zum vierten Mal: live
aus Hamburg für Patientinnen mit der
Möglichkeit zum direkten
Austausch
mit Expertinnen und
Experten – QR-Code
scannen und anmelden!
zu können, und dass sie dadurch weniger
Angst verspüren. Besonders bewegt hat
mich die Rückmeldung einer 85-jährigen
Nutzerin, die sagte: „Ohne PINK! Coach
wüsste ich gar nicht, was ich tun soll. Es ist
meine Stütze.“ Solche Rückmeldungen zeigen:
PINK! Coach hilft nicht nur statistisch,
sondern macht einen echten Unterschied
im Alltag der Patientinnen.
PINK! Coach ist Teil eines größeren Angebots.
Mittlerweile gibt es auch PINK!
Podcasts und Kurse, im November ist der
PINK! Kongress …
Genau. Wir wollen Patientinnen ganzheitlich
begleiten. Unser digitaler psychoonkologischer
Kurs PINK! Leben bietet psychologische
Unterstützung, unser Podcast
vermittelt Wissen, interaktive Webinare
und unser PINK! Kongress DIGITAL bringen
Patientinnen mit Experten in direkten
Austausch. Alles ist darauf ausgerichtet,
dass die Patientinnen sich sicher und gut
aufgehoben fühlen, egal wo sie gerade stehen.
Welche Botschaft möchten Sie Patientinnen
mitgeben?
PINK! Coach vermittelt das Gefühl: „Ich
bin nicht allein und ich kann selbst etwas
für mich tun.“ Jede PINK!-Nutzerin erhält
in kleinen Schritten die Kontrolle zurück.
Das ist das, was uns alle motiviert, PINK!
ständig weiterzuentwickeln..
www.pink-brustkrebs.de