Außen- und Innensicht - Fantastik-online.
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individuellen Standpunkt, der, je nach 'Eintauchtiefe' in das Werk, irgendwo zwischen<br />
diesen Extremen liegt. Auch kommt es zu Sichtwechseln, z.B. dann, wenn der<br />
Betrachter von der <strong>Außen</strong>sicht kommt, in das Werk eintaucht, es aus der <strong>Innensicht</strong><br />
erlebt <strong>und</strong> danach wieder in „seine“ Welt der Norm-Wirklichkeit zurückkehrt. Hier wird<br />
er das innensichtlich erlebte Werk erinnern <strong>und</strong> mit der <strong>Außen</strong>sicht unwissentlich<br />
vergleichen. Manches, was im Werk ganz normal war, erscheint in Rückschau<br />
fantastisch. - Siehe hierzu auch das Essay "Werk <strong>und</strong> Betrachter".<br />
Treffen in einem Werk Figuren auf Drachen, wird das ein Norm-Betrachter in<br />
<strong>Außen</strong>sicht als Fantasy sehen, da in seiner Norm-Wirklichkeit Drachen nicht wirklich<br />
existent sind. Die Welt-Wirklichkeit der Figuren unterscheidet sich dagegen jedoch<br />
von der des Betrachters. In ihrer Welt sind Drachen völlig normal. Deswegen sind<br />
aus der Sicht der Figuren diese Drachen keine fantastischen Wesen, sondern<br />
normale Tiere.<br />
Das Gleiche gilt für ein Science Fiction-Werk, in dem die handelnden Figuren ihre<br />
Welt natürlich als normale Gegenwart erleben. Zwar kennen die Figuren auch hier<br />
die Möglichkeit des spekulativ Zukünftigen (das Konzept von Science Fiction), doch<br />
dabei würde es sich um „eingebettete Science Fiction“ handeln, nicht um ihre<br />
momentane Welt-Wirklichkeit.<br />
Und auch in Alternativwelten erleben die Figuren ihre Welt als normal <strong>und</strong> nicht als<br />
anders. Wenn es bei ihnen im Jahr 1950 noch keinerlei Autos gab, dann ist das so<br />
sehr ein Faktum, wie die Tatsache, das 1950 in unserer Welt Autos existierten.<br />
Diese wenigen Beispiele zeigen schon, wie extrem wichtig es ist, Sorgfalt bei der<br />
Betrachtung von Werken walten zu lassen <strong>und</strong> eine jederzeitige geistige<br />
Trennschärfe aufrecht zu erhalten. Welten-Wechsel mit Umbasierung der<br />
Wirklichkeits-Maßstäbe sind stets zu beachten. Die vorliegende Arbeit hat bisher<br />
vorrangig <strong>und</strong> fast ausschließlich die <strong>Außen</strong>sicht eingenommen. Nicht etwa, weil sie<br />
der <strong>Innensicht</strong> überlegen wäre, sondern weil sie zunächst analytisch vertrauter ist.<br />
Unbewusst tragen wir alle den Maßstab unserer Norm-Wirklichkeit in uns. Wir<br />
wenden ihn pausenlos <strong>und</strong> selbstverständlich an. Erst wenn wir in die Identifikation<br />
mit erzählten Welten wechseln, geben wir die Norm-Wirklichkeit ggf. auf <strong>und</strong><br />
verschmelzen mit der Welt-Wirklichkeit des Werks. Aber das reflektieren wir meistens<br />
nicht.<br />
Doch gerade solch Reflektionen bei Welten-Wechseln sollen im Folgenden<br />
besonderer Gegenstand der Betrachtung sein. Schauen wir uns das Wechselspiel<br />
von <strong>Außen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Innensicht</strong> an, wagen wir den Wechsel der Basis <strong>und</strong> vertauschen<br />
wir systematisch verschiedene Wirklichkeiten. Mit dem wandernden Maßstab<br />
verändert sich dann auch, was zur <strong>Fantastik</strong> gehört <strong>und</strong> was zur Realistik. Ein<br />
faszinierender Effekt wird durchleuchtet.<br />
Doch dabei wird nicht nur der Wechsel von Innen- <strong>und</strong> <strong>Außen</strong>sichten zu betrachten<br />
sein, sondern auch die zusätzliche Tatsache, dass sich Sichten im Zeitablauf der<br />
Jahrh<strong>und</strong>erte verschieben können.<br />
Und eine These steht zur Bewertung an: Ist die <strong>Außen</strong>sicht stärker dynamischer<br />
Veränderung unterworfen, als die <strong>Innensicht</strong>?