III. USA Gulfport High School
Sonderausgabe · Internationale Beziehungen · USA 17 „Südlich von Hattiesburg, der letzten größeren Stadt vor der Golfküste mehren sich die Straßensperren der Nationalgarde und der Polizei. Man ist freundlich, rät eindringlich zu vorsichtigem Fahren. „Was wollen Sie in Gulfport, da ist nichts mehr“, sagt ein Polizist aus Laurel bei Hattiesburg, übernächtigt, unrasiert, möglicherweise ein wenig zu sarkastisch. Übertrieben ist die Diagnose aber kaum. Herabgerissene Stromleitungen liegen quer über der Straße. Kilometerlang ist auf dem Mittelstreifen zwischen den Richtungsfahrbahnen kaum ein Baum stehen geblieben…Schließlich Gulfport, an der Ortseinfahrt hat die Polizei eine Leuchttafel aufgestellt: Absolute Ausgangssperre, 24 Stunden, scharfe Kontrollen. Ein kleiner Hund mit klingendem Halsband irrt über die Straße. Glassplitter, undefinierbare Trümmer aus allen mögliche Baumaterialien, Abfälle. Das metallene Gerippe muss eine Shell-Tankstelle gewesen sein, denn das herabgerissene gelb-rote Dach ist um so einen mächtigen stählernen Pfeiler einer Licht- und Ampelanlage gefaltet, dass man die Richtung des Sturmes ausmachen kann: Hier hat er von Süden her gewütet…“ F.A.Z. AM 2. SEPTEMBER 2005 GULFPORT VOR UND NACH „KATRINA“ Der US-Bundesstaat Mississippi hat 2,6 Millionen Einwohner, davon leben in der Hauptstadt Jackson 178000 Menschen. 63% der Bevölkerung des Bundesstaates sind Weiße, der Anteil der Schwarzen ist mit 36 % höher als in den anderen US-Staaten. Zu den Minderheiten in Mississippi gehören u. a. rund 16 000 Einwohner hispanischer Abstammung und etwa 8500 Choctaw- Indianer, die wie viele andere Indianerstämme Anfang des 19. Jahrhunderts einen Großteil ihres Territoriums mehr oder weniger freiwillig an die amerikanische Regierung verkauften. Mississippi, wegen seiner vielen Magnoliengewächse auch „Magnolia State“ genannt, liegt östlich vom 3780 kilometerlangen gleichnamigen Fluss, der im Norden der USA in Minnesota entspringt und durch zehn Bundesstaaten fließt, bevor er im Mississippi-Delta in den Golf von Mexiko mündet. Seit Jahrhunderten ist der Fluss ein wichtiger militärischer und kommerzieller Verkehrsweg. Riesige Schaufelraddampfer transportierten hier einst Baumwolle zu den Häfen der Golfküste, von wo aus sie weiter nach Europa verschifft wurde. Anfang des 19. Jh. wurde der Fluss in seinem Lauf begradigt und im Mündungsdelta von mehreren Deichanlagen begrenzt. Die anliegenden Sumpfgebiete wurden trockengelegt und in den Sumpfsenken entstanden unter dem Meeresspiegel liegende Städte. In dieser durch Überflutungen und Wirbelstürme doppelt gefährdeten Region lebten anfangs vorwiegend schwarze Sklaven, später auch arme Weiße. Auf dem Mississippi verkehren heute moderne Containerschiffe, die meisten werden mit Waren für den Export beladen, vor allem mit Fisch und Geflügel. Bis zum verheerenden Hurrican „Katrina“ Ende August 2005 wurden große Teile dieser Ladungen im Hafen von Gulfport umgeschlagen, wie auch Importgüter, vor allem Obst aus der Karibik und aus Lateinamerika. Der US- Bananenkonzern Chiquita Brands löschte im Hafen von Gulfport in wöchentlichen Schiffslieferungen ein Viertel des gesamten Bananenimports der USA. Gulfport, 1887 von dem Eisenbahnbauer William Hardy als Endpunkt einer von ihm geplanten Eisenbahnlinie und als Hafenstadt gegründet, ist mit 73000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Bundesstaates. Arbeitsplätze gab es vor allem in der Fischverarbeitung und in der Erdölindustrie, später in der Tourismusbranche. Touristische Anziehungspunkte waren die künstlich angelegten feinen Sandstrände mit einigen großen Kasino-Hotels sowie die schwimmenden Spielcasinos, die auf Stelzen im Wasser aufgebockt und nur über riesige Seebrücken erreichbar waren. Hintergrund der scheinbar architektonischen Entscheidung: Im „Bibelgürtel“ der USA, der sich von den Südstaaten wie Tennessee, Alabama und Mississippi bis in den Mittelwesten der Great Plains erstreckt und der von Freikirchen dominiert wird, ist das Glücksspiel auf festem Boden verboten. Formal gesehen finden die Glücksspiele also nicht im Bundesstaat Mississippi statt. Das Parlament von Mississippi beschloss außerdem vor rund zwei Jahrzehnten ein Gesetz, wonach nur die Choctaw-Indianer die Gewinne der Spielcasinos einnehmen durften, die damit ihre Krankenhäuser, Schulen und andere öffentlichen Einrichtungen finanzierten. Am 29. August 2005 zerstörte Hurrikan „Katrina“ all die Ölplattformen, Hafenanla- gen, Spielcasinos und auch die meist aus Holz gebauten Wohnhäuser. „Katrina“ traf mit voller Wucht, mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Stundenkilometern die Stadt. Eine bis zu 7 Meter hohe Sturmflutwelle zerstörte große Teile von Gulfport, die Infrastruktur brach zusammen, viele Menschen starben, rund 15000 Arbeitsplätze gingen verloren. Der Wiederaufbau der Stadt begann 2006 und wird wohl noch Jahre dauern. sw/Bj Foto: Jesse V. Bass III., media.vastormphoto