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Altern als Chance - Alexianer Krankenhaus GmbH

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<strong>Altern</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong><br />

Dank des medizinischen Fortschritts leben wir länger.<br />

Das <strong>Altern</strong> bietet immer mehr Möglichkeiten. Nutzen wir sie?<br />

Dürfen wir hereinkommen?<br />

Klinikclowns – wichtige Freunde,<br />

Spiel kameraden und Verbündete<br />

M ä r z 2 0 1 2<br />

Und plötzlich kam das Feuer<br />

Verbrennungsopfer brauchen medizinische<br />

und seelische Unterstützung


Anzeigen<br />

liebe leserinnen und leser,<br />

2012 steht im Zeichen der älteren Generation. Wie facettenreich das Älterwerden sein<br />

kann, zeigt das „Europäische Jahr für aktives <strong>Altern</strong> und Solidarität zwischen den Generationen“.<br />

Wir werden immer älter – und deshalb macht es Sinn, das Leben aktiv mitzugestalten.<br />

In unserer Titelgeschichte „<strong>Altern</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> – Die neue Zeit der Möglichkeiten“<br />

stellen wir Ihnen Beispiele aus der Praxis vor: Wohngemeinschaften von Senioren, Ältere,<br />

die sich ehrenamtlich für Grundschulkinder stark machen, und engagierte Hochbetagte,<br />

die jüngeren Menschen Computerkurse geben. Auf das Miteinander der Generationen<br />

kommt es an. Dann profitieren beide Seiten, die Jungen und die Alten.<br />

Lachen ist die beste Medizin. Diese Weisheit ist alles andere <strong>als</strong> eine Mär. Wissenschaftler<br />

an der Universität Oxford haben bewiesen, dass 15 Minuten tägliches Lachen die Schmerzempfindlichkeit<br />

um ein Zehntel reduziert. Deshalb ist der Einsatz von Klinikclowns positiv<br />

für die Behandlung in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Besonders die kleinen Patienten<br />

freuen sich über den Besuch der Komiker. Aber auch Demenzkranke profitieren von<br />

der Sensibilität der Clowns, die in Weiterbildungen den therapeutischen Umgang mit den<br />

Patienten erlernen. Mehr dazu erfahren Sie ab Seite 4.<br />

Fast jeder kennt das Gefühl: Ein Sonnenbrand, eine Brandblase am Finger sind unangenehm<br />

und schmerzhaft. Wie es Menschen geht, die an schweren Verbrennungen leiden,<br />

ist kaum vorstellbar. Die Notwendigkeit von Hauttransplantationen, oft über Jahre hinweg,<br />

sowie körperliche Beschwerden sind die Folge. Nicht zu unterschätzen sind auch die<br />

seelischen Folgen. Wir haben einen jungen Mann getroffen, der nach einer Gasexplosion<br />

schwere Verbrennungen erlitt. Er hat sein Schicksal bewältigt: dank guter medizinischer<br />

Betreuung – und dank seiner Familie und Freunde, die zu ihm hielten.<br />

Eine gute Lektüre wünscht Ihnen<br />

Ihr<br />

Bruder Benedikt M. Ende CFA<br />

Provinzial der St. Alexius-Provinz Deutschland<br />

inhalt<br />

Vorgestellt<br />

E d i t o r i a l 3<br />

4 Dürfen wir hereinkommen?<br />

Klinikclowns – wichtige Freunde,<br />

Spielkameraden und Verbündete<br />

Medizin<br />

6 Und plötzlich kam das Feuer<br />

Verbrennungsopfer brauchen medizinische<br />

und seelische Unterstützung<br />

20 Vor dem Essen wird gerechnet<br />

Wie Kinder mit einem Diabetes Typ 1<br />

leben lernen<br />

28 Die Schaufensterkrankheit Gefäßerkrankungen<br />

werden oft unterschätzt.<br />

Dabei können sie Vorboten sein für<br />

Herzinfarkt und Schlaganfall<br />

Im Blick<br />

8 Wenn alle am gleichen Strang<br />

ziehen … Der Generationenbegriff<br />

bietet Menschen im gleichen Alter eine<br />

Plattform für Gemeinsamkeit − und<br />

gleichzeitig <strong>Chance</strong>n zur Veränderung<br />

Fakt<br />

11 Elektronische Gesundheitskarte<br />

Titel<br />

12 <strong>Altern</strong> <strong>als</strong> <strong>Chance</strong> Dank des medizinischen<br />

Fortschritts leben wir länger.<br />

Das <strong>Altern</strong> bietet immer mehr Möglichkeiten.<br />

Nutzen wir sie?<br />

Kurz notiert<br />

19 Aufge-lesen Pilgern auf Französisch<br />

Elektrische Zigaretten sind<br />

gesundheitsschädlich<br />

Krankenhäuser häufig mit<br />

Demenzkranken überfordert<br />

Ordentliches<br />

22 Leben und Glauben im Einklang<br />

Warum sich Erwachsene taufen lassen<br />

Therapie<br />

24 Eine <strong>Chance</strong> zurück ins Leben Rehabilitation<br />

bei Abhängigkeitserkrankungen<br />

<strong>Alexianer</strong> vor Ort<br />

26 Die wichtigsten <strong>Alexianer</strong>-<br />

Nachrichten bundesweit<br />

Seitenwechsel<br />

30 Kinderhospizarbeit in Deutschland<br />

Situation nach wie vor unbefriedigend<br />

31 Rätsel / Impressum


4 Vo r g E s t E l lt<br />

Vo r g E s t E l lt 5<br />

dürfen wir<br />

hereinkommen?<br />

Klinikclowns – wichtige Freunde, Spielkameraden und Verbündete<br />

Sanft schwebende Seifenblasen tanzen zu den leisen Tönen einer Miniaturdrehorgel.<br />

Still strahlt der kleine Lukas und schmunzelt ein wenig, <strong>als</strong> zwei farbenfrohe Gestalten<br />

in der Tür erscheinen. Die Clowns sind aus verschiedenen Bremer Kliniken nicht mehr<br />

wegzu denken. Aber nicht nur hier sind sie anzutreffen, die Bremer Klinikclowns. Auch<br />

in zwei Altenpflegeheimen der Bremer Wohnstifte im Stadtteil Findorff wird professio­<br />

nelle Clownerie angeboten. Ein strammes Programm absolvieren die Clowns des Vereins<br />

wöchentlich in Bremens Einrichtungen.<br />

lachen macht gesund<br />

Lachen allein macht gewiss nicht gesund, aber es kann den Heilungsprozess positiv unter­<br />

stützen. Wo immer Klinikclowns auftauchen, tritt Leichtigkeit ein. Spaß und Lebensfreude<br />

werden geweckt, Angst wird genommen, und, was immer wichtiger wird, die Clowns<br />

bringen Zuversicht in die Kranken­ und Pflegezimmer. In Deutschland gibt es zunehmend<br />

mehr Akteure, die regelmäßig nicht nur in Krankenhäusern Kinder, sondern auch in Altenpflegeheimen<br />

Senioren besuchen. „Durch unsere regelmäßigen Besuche wird Kindern nicht<br />

nur die oft schwere Zeit in der Klinik erleichtert, sondern es wird auch der Heilungsprozess<br />

gefördert“, ist sich Julia Wiegmann (45)<br />

sicher. Bereits seit zehn Jahren ist die Initiatorin<br />

des Bremer Klinikclownvereins, der in<br />

diesem Jahr sein Jubiläum feiert, <strong>als</strong> Clown<br />

Wilma in Bremer Kliniken und auch in<br />

Altenpflegeheimen unterwegs. „Meist sind<br />

wir <strong>als</strong> Duo unterwegs, besuchen Kinder<br />

und Senioren und machen das Leben etwas<br />

magischer, bunter – kurzum clowniger.“<br />

Michael Christensen, Mitbegründer des<br />

New Yorker Big Apple Circus, erkannte<br />

bereits 1986 die heilende Wirkung des<br />

„Clown Doctoring“ und entsandte Clowndoktoren<br />

zu kranken Kindern. Inzwischen<br />

wurde die Idee der Klinikclowns in vielen<br />

Kliniken zu einer festen Einrichtung. Sie spielten sich in die Herzen nicht nur der Kinder,<br />

sondern auch der Pflegekräfte und Ärzte.<br />

Ziel der Clowns ist die Förderung des Wohlbefindens kranker Kinder bis ins Teenageralter.<br />

Mit ihren Clownereien unterstützen sie in vielen täglichen Situationen Ärzte und Pflegekräfte.<br />

Die insgesamt fröhliche Stimmung der Kinder erleichtert die Arbeit des medizinischen<br />

Person<strong>als</strong> und fördert die Rehabilitation. Auch für Eltern bedeutet ein lachendes<br />

Kind in der anstrengenden Zeit eines Klinikaufenthaltes Erleichterung und Aufmunterung.<br />

Seit mehreren Jahren kommt die wohltuende Wirkung von Lachen und Humor auch<br />

älteren Menschen in Seniorenheimen zugute. Der gute Erfolg vieler Gruppen in Pflegeheimen<br />

zeigt, dass die Clowns damit einen weiteren sinnvollen Entwicklungsschritt<br />

vollzogen haben.<br />

Feinfühlig die passende Behandlung finden<br />

Feinfühlig und professionell erkennen die Bremer Klinikclowns, welche Clownsbehand­<br />

lung für den jeweiligen kleinen Patienten in einer Klinik oder für Senioren geeignet ist. Sie<br />

transplantieren Clownsnasen und unterziehen neue Patienten oder Bewohner erst einmal<br />

einem gründlichen Lachtest. Gute Erfahrungen konnten die Clowns oft mit der Seifenblasentherapie<br />

und der auf Rezept verordneten Erdbeereispizza machen. Aber nicht allein<br />

kleine Patienten wünschen sich Freude und unbeschwertes Lachen. Insbesondere in Pflegeheimen<br />

animieren die Clowns zum Lachen und manchmal auch zum Mitmachen.<br />

„Was die Clowns in den Pflegeeinrichtungen leisten, ist bei weitem kein Kokolores“, sagt<br />

Julia Wiegmann: „Oft können wir auf sympathische Art und Weise Senioren leichter zum<br />

Mitmachen motivieren und noch vorhandene Aktivitäten fördern.“<br />

Die Klinikclowns sind beileibe nicht mit Clowns im herkömmlichen Sinne zu vergleichen, so<br />

wie wir sie <strong>als</strong> Possenreißer und Spaßmacher aus dem Zirkus kennen.<br />

Ein gewisses Talent ist Grundlage für die Tätigkeit <strong>als</strong> Klinikclown. Basistherapeutisches<br />

Wissen lassen die Clowns in ihre tägliche Arbeit einfließen, wobei der Clown aus seiner<br />

Empfindung heraus ein Gespür für Realität und Magie entwickelt. Als Künstler kann er sich<br />

aus einem ganz anderen Blickwinkel in die Klinik­ oder Pflegeheimsituation einbringen.<br />

Die Klinikclowns führen mit kranken Kindern und Senioren kein Programm auf. Mit viel<br />

Improvisation stellen sie bei jedem Besuch eine neue Situation zwischen Kind, Eltern,<br />

Senioren und Angehörigen und der eigenen Clownsfigur her. Wichtig ist, dass sich ihr Spiel<br />

an der aktuellen Situation der kleinen Patienten oder Senioren, mit oftm<strong>als</strong> täglich wechselnden<br />

Stimmungen, und dem Gesundheitszustand orientiert. Besonders zu beachten ist<br />

hier insbesondere die Arbeit mit Senioren, die an einer Demenzerkrankung leiden.<br />

das spaßmachen ist gründlich erlernt<br />

Auch Verwirrung und das Handeln verwirrter Menschen dürfen Ursache für humorvolle<br />

Erlebnisse sein. Der Clown begegnet dem Menschen in einer unvoreingenommenen und<br />

unmittelbaren Form. Seine Erlebnisweise ist frei von Wertung und jederzeit offen für Situationskomik.<br />

Die Besuche von Clowns bei alten Menschen in Pflegeeinrichtungen ermöglichen<br />

spontane, spielerische Kontakte sowie kleine poetische Momente, die zu einer schönen<br />

und entspannten Atmosphäre beitragen. Die Figur des Clowns weckt Erinnerungen<br />

und ruft vielerlei Gefühle wach. Regelmäßige<br />

Besuche von professionellen Clowns<br />

bedeuten für viele alte Menschen mehr <strong>als</strong><br />

das Hinterbleiben von fröhlichen Farbklecksen<br />

im alltäglich routinierten Tageslauf.<br />

Sie ermöglichen eine Beziehung, in der sie<br />

ihren eigenen Narren und die Freude am<br />

Spiel neu entdecken können.<br />

Clowns entwickeln sich oft zu professionellen<br />

Künstlern in besonderen Einrichtungen.<br />

In Trainings und Workshops vertiefen<br />

sie ihre Fähigkeiten. Durch eine regelmäßige<br />

Beobachtung des Spiels durch einen<br />

anderen mit anschließender Kritik wird die<br />

Qualität der Clownereien gesichert und<br />

optimiert. Durch Fortbildungen erweitern<br />

die Clowns ihr Wissen in medizinischen<br />

und pflegerischen Bereichen, beispielsweise<br />

in Hygiene und Krisenintervention,<br />

um ihre Qualifikationen für ihre künstlerische<br />

Arbeit zu verbessern.<br />

Text: Georg Beuke<br />

Fotos: Mascha Lohe<br />

(Die Bilder zeigen Klinikclowns auf der Kinderstation<br />

„Josephinchen“ im St. Joseph-<strong>Krankenhaus</strong> in Berlin.)<br />

Weitere Informationen:<br />

www.bremerklinikclowns.de


6<br />

M E d i z i n<br />

Verbrennungsopfer<br />

brauchen medizinische<br />

und seelische Unterstützung<br />

Den Tag, der sein Leben veränderte, wird<br />

Sven Pohlke* vermutlich nie vergessen:<br />

Es war der 7. Februar 1994, ein Montag.<br />

Pohlke war dam<strong>als</strong> gerade 16 Jahre alt<br />

und Auszubildender in einer Tischlerei im<br />

Münster land.<br />

Kurz vor Feierabend sollte noch Holz im Silo<br />

deponiert werden, Routinearbeit in einer<br />

Schreinerei. Was niemand ahnte: Ein glühendes<br />

Metallteil hatte einen Schwelbrand<br />

verursacht. Als Sven Pohlke die Tür zum Silo<br />

öffnete, nahm das Schicksal seinen Lauf.<br />

Große Stichflammen schlugen ihm entgegen.<br />

Es kam zu einer explosionsartigen Verpuffung.<br />

Binnen Sekunden stand er in Flammen.<br />

Was dann geschah, daran kann sich<br />

der heute 34­Jährige nur noch schemenhaft<br />

erinnern: „Ich bin weggerannt und ein Kollege<br />

hinter mir her. Irgendwann lag ich am<br />

Boden, und er erstickte die Flammen mit<br />

einer Decke. Ich spürte nichts mehr.“<br />

der schweregrad ist<br />

entscheidend<br />

Dass Sven Pohlke zu dem Zeitpunkt keine<br />

Schmerzen hatte, lässt sich medizinisch<br />

erklären. Er hatte Verbrennungen dritten<br />

Grades erlitten. In solch einem Fall sind die<br />

Nervenenden völlig zerstört, die Haut ist bis<br />

in das Untergewebe hinein geschädigt.<br />

Bei Verbrennungen sind Haut und Schleimhäute<br />

verletzt, es können auch tiefere<br />

Gewebeschichten betroffen sein. Es gibt<br />

vier Schweregrade von Verbrennungen.<br />

Wenn mehr <strong>als</strong> 20 Prozent der Körperoberfläche<br />

verbrannt sind (ab Schwergrad 2 b)<br />

sind chirurgische Eingriffe nötig.<br />

Professor Dr. Raymund Horch ist Direktor der<br />

Plastisch­ und Handchirurgischen Klinik des<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

Und plötzlich kam<br />

das Feuer<br />

Universitätsklinikums Erlangen. „Im Allgemeinen hängt es vom Grad der Verbrennung ab,<br />

welche Operationsmethode man wählt. Bei Wunden ab einem Grad von 2 b muss man das<br />

verbrannte Gewebe entfernen, entweder oberflächlich oder tief. Ohne chirurgische Hilfe<br />

heilen diese Wunden nicht mehr und bilden schreckliche Narben“, erklärt der Experte.<br />

In der modernen Medizin gibt es unterschiedliche Operationstechniken, fast immer sind<br />

mehrere Eingriffe notwendig. Wenn die Verpflanzung der eigenen Haut des Patienten<br />

nicht mehr ausreicht, kann auch Fremdhaut mit einer speziellen Technik verpflanzt werden,<br />

bis wieder ausreichend eigene Haut verfügbar ist. Das Züchten von Hautzellen gehört<br />

heute zum selbstverständlichen Repertoire der Transplantationsmedizin.<br />

Aktuelle Erkenntnisse der Doktorandin Hanna Wendt der Medizinischen Hochschule Hannover<br />

sind vielversprechend: Spinnenseide hilft beim Züchten künstlicher Haut und könnte<br />

damit chronische Wunden und Verbrennungen heilen helfen. Die Spinnenseide sei stark<br />

dehnbar und werde vom menschlichen Körper toleriert. Mit den Spinnenfäden ließen sich<br />

Nerven reparieren.<br />

Männer am häufigsten betroffen<br />

In Deutschland gibt es bundesweit rund 25 Zentren für Schwerbrandverletzte in Kliniken.<br />

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin e. V. werden jährlich<br />

etwa 1.700 Patienten versorgt. 65 Prozent aller Betroffenen sind zwischen 20 und<br />

59 Jahren alt, davon doppelt so viele Männer wie Frauen. Die häufigsten Ursachen sind<br />

Unfälle im Haushalt (67 Prozent), gefolgt von Arbeitsunfällen (21 Prozent). Dass es weniger<br />

Arbeitsunfälle gibt, mag an den zunehmend höheren Sicherheitsbestimmungen liegen <strong>als</strong><br />

noch vor einigen Jahren.<br />

Bei einer Verpuffung wie im Fall von Sven Pohlke lösen Gase den Explosionsdruck aus.<br />

Aber auch Flüssigkeiten, Dämpfe, Sonneneinstrahlung, Strom oder Reibung können zu<br />

Verbrennungen führen. Selbst schwere Erfrierungen verursachen ähnliche Schäden. Nicht<br />

nur die Verbrennungen allein sind das Problem, sondern auch die möglichen Begleitkomplikationen<br />

wie etwa ein Kreislaufschock, Infektionen, eine Blutvergiftung oder gar<br />

Organversagen. Erste­Hilfe­Maßnahmen und Weiterbehandlung sind entscheidend für den<br />

Verlauf der Krankheit.<br />

Nach der medizinischen Erstversorgung wurde Pohlke mit dem Hubschrauber in das Zentrum<br />

für Schwerbrandverletzte des Universitätsklinikums Aachen geflogen. Seine Haut war<br />

zu 30 Prozent geschädigt. Stark betroffen waren Arme, Hände und Oberkörper. Ein Monat<br />

auf der Intensivstation, weitere sechs Wochen <strong>Krankenhaus</strong>aufenthalt und jahrelange Therapien<br />

retteten ihm das Leben. „Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn das nicht passiert<br />

wäre? Diese Frage habe ich mir oft gestellt“, sagt er. Entlastend sei dam<strong>als</strong> der lockere und<br />

herzliche Kontakt zu den Pflegekräften und Ärzten gewesen, erinnert er sich: „Vielleicht<br />

hat es mir auch geholfen, dass ich schon immer ein positiver Mensch war.“<br />

narben auf der seele<br />

Wie wichtig die psychosoziale Betreuung des Patienten ist, weiß auch Professor Horch:<br />

„Eine frühzeitige Mitbehandlung durch Psychotherapeuten ist sinnvoll. Der Betroffene<br />

muss lernen, mit dem neuen Selbstbild und der Veränderung seines Erscheinungsbildes zu<br />

leben.“ Und auch die Angehörigen und Freunde spielen eine zentrale Rolle, wenn es um<br />

die psychische Genesung geht. „Bis ich wieder auf eine Party gegangen bin, hat es Jahre<br />

M E d i z i n 7<br />

gedauert. Da haben meine Freunde lange<br />

dran gearbeitet“, erzählt Pohlke. Noch<br />

Monate, nachdem es nicht mehr nötig war,<br />

versteckte sich der junge Mann unter Kompressionskleidung,<br />

die er drei Jahre lang<br />

hatte tragen müssen.<br />

Heute lebt Pohlke mit den Folgen seines<br />

Unfalls ein relativ normales Leben – trotz<br />

mancher Einbußen. Die Beweglichkeit in<br />

den Händen ist stark eingeschränkt, denn<br />

das Narbengewebe und die verkürzten<br />

Sehnen machen ihm noch immer zu schaffen.<br />

Seinen Job <strong>als</strong> Schreiner musste er an<br />

den Nagel hängen. Die Hoffnung und der<br />

Ehrgeiz, das Beste aus seinem Leben zu<br />

machen, sind geblieben. Dass er heute seinen<br />

Beruf <strong>als</strong> Bautechniker ausübt, glücklich<br />

verheiratet ist und leidenschaftlich gern<br />

schwimmt und Rennrad fährt, hat er nicht<br />

nur dem medizinischen Fortschritt zu verdanken.<br />

Familie und Freunde standen ihm<br />

zur Seite. „Der Unfall hat mir geholfen, vieles<br />

relaxter und gelassener zu sehen“, sagt<br />

Sven Pohlke.<br />

Text: Britta Ellerkamp<br />

Foto: mauritius images / Walter Bibikow<br />

Erste Hilfe bei<br />

Brand verletzungen<br />

Notruf 112 alarmieren<br />

• Feuer löschen<br />

• Verletzten von der verbrannten<br />

Kleidung befreien<br />

• Verletzten mit lauwarmem Wasser<br />

abduschen (Unterkühlung vermeiden)<br />

• Wunden locker und keimfrei ab decken,<br />

zum Beispiel mit einem Verbandstuch<br />

• Freihaltung der Atemwege<br />

• Kontrolle der Atmung, der Herz-Kreislauf­Zirkulation<br />

und des Bewusstseins<br />

• Wunden keinesfalls mit Hausmitteln<br />

versorgen (keine Salben, kein Speisemehl<br />

oder Ähnliches)


8 i M B l i c k<br />

i M B l i c k 9<br />

Ob Generation X, Golf oder Praktikum –<br />

Altersgruppen zu kategorisieren, liegt im<br />

Trend. Die Medien verwenden den Begriff<br />

immer wieder, um Menschen zu beschreiben,<br />

die im gleichen Zeitraum geboren<br />

wurden. Aufmerksamkeit ist garantiert.<br />

Dabei steckt in einer Generation viel mehr,<br />

<strong>als</strong> ihr Beiname vermuten lässt.<br />

die „gefühlte“ gemeinschaft<br />

„Eine Generation bedeutet auch immer<br />

ein großes Versprechen“, sagt Dr. Ulrike<br />

Jureit, Historikerin und Generationenforscherin<br />

am Hamburger Institut für Sozialforschung.<br />

„Und zwar ein Gemeinschaftsversprechen.<br />

In Zeiten von Globalisierung<br />

Wenn alle am gleichen<br />

strang ziehen …<br />

Der Generationenbegriff bietet Menschen im gleichen Alter eine Plattform<br />

für Gemeinsamkeit − und gleichzeitig <strong>Chance</strong>n zur Veränderung<br />

und schwieriger Identifikation mit der eigenen Nation ist der Generationenbegriff sehr<br />

gefragt. Viele Menschen suchen heute nach Orientierung. Und finden sie in der eigenen<br />

Generation.“<br />

In der Wissenschaft gibt es zwei Modelle einer Generation. Die eine Vorstellung bezieht<br />

sich auf die Familie. Großeltern und Eltern bilden die alten Generationen, Kinder und<br />

Enkel die neuen. Das zweite Modell gibt es etwa seit dem 18. Jahrhundert. Menschen,<br />

die den gleichen Jahrgängen angehören, sind „gefühlt“ verbunden. Sie erfahren<br />

bestimmte Lebensphasen zur gleichen Zeit, stellen sich ähnliche Fragen und können<br />

gemeinsam Antworten suchen.<br />

zwischen Fortsetzung und Erneuerung<br />

Eine Generation birgt ein enormes Potenzial, ob politisch oder gesellschaftlich. Warum<br />

spielt die Vorstellung, einer bestimmten Generation anzugehören, eine solche Rolle?<br />

Das ist die zentrale Frage in der Generationenforschung. Interessant ist zudem, wie<br />

Generationen voneinander lernen können.<br />

Über das Generationenverhältnis werden Werte und Wissen nicht nur weitergegeben.<br />

„Sie werden auch ausgehandelt, verworfen, umgewandelt oder angepasst. Es geht immer<br />

wieder um Fortsetzung und Erneuerung“, verdeutlicht Jureit. Entweder eine Generation<br />

passt sich an oder sie geht auf die Barrikaden. Eine Kampfansage machte zum Beispiel die<br />

1968er­Generation, die sich gegen die bürgerliche Gesellschaft auflehnte. „Jeder politische<br />

Konflikt kann zu einem Generationenkonflikt werden. Vorsicht ist allerdings geboten,<br />

wenn der Generationenbegriff gesellschaftliche Probleme kaschiert“, sagt Ulrike Jureit.<br />

Ein garant für aufmerksamkeit<br />

Auch in den letzten 30 Jahren gibt es zahlreiche Beispiele für „gefühlte“ Gemeinschaften.<br />

1991 schrieb der Kanadier Douglas Coupland einen Bestseller über die „Generation X“. Sie<br />

bezeichnet die in den 1960er­ und 1970er­Jahren geborenen Menschen, die erstm<strong>als</strong> ohne<br />

Kriegserfahrung aufwuchsen. Die „Generation Golf“ hingegen umfasst Menschen, die in<br />

den 1980er­Jahren in der Bundesrepublik eine materiell sorgenfreie Jugend verbrachten.<br />

„Generation Praktikum“ (oder Generation Prekär) steht für eine Altersgruppe, die schlecht<br />

bezahlten Tätigkeiten in unsicheren beruflichen Verhältnissen nachgeht. Die „Generation<br />

C64“ ist nach einem der ersten Computer benannt und bezeichnet diejenigen, die mit<br />

digitalen Technologien aufwuchsen.<br />

„Wenn in den Medien Probleme generationell dargestellt werden, ist ihnen Aufmerksamkeit<br />

sicher“, erklärt Jureit die Häufung der Generationenetikettierung. Das hat auch wirtschaftliche<br />

Vorteile. Neue Generationen verkaufen sich gut – und machen Leser neugierig.<br />

Die Wissenschaft reagierte auf die Fülle der Veröffentlichungen zunächst mit Skepsis, weil<br />

die neuen Generationen unstrukturiert aus dem Nichts zu kommen schienen.<br />

zeichen des Umbruchs<br />

Für Ulrike Jureit ist das Aufkommen neuer Generationen ein Zeichen des Umbruchs.<br />

Eine zentrale Frage der heutigen jungen Generation sei zum Beispiel die berufliche<br />

Perspektive. „Die Menschen, die jetzt aus dem Arbeitsleben ausscheiden, haben noch<br />

ein Rundum­sorglos­Paket. Die heutigen 20­ bis 40­Jährigen werden das nicht mehr<br />

genießen dürfen. Das führt zu Konflikten zwischen den Generationen und lässt die<br />

Gesellschaft aufhorchen“, beschreibt<br />

Jureit die aktuelle Problematik.<br />

Eine Generation kann ihr Potenzial ausschöpfen.<br />

Besonders, wenn sie sich nicht<br />

über einen Kamm scheren lässt. „Den<br />

Begriff <strong>als</strong> bloße Sortierungshilfe zu verwenden,<br />

widerspricht diesem Potenzial“,<br />

verdeutlicht Jureit. Denn: Ein Angehöriger<br />

einer Generation hat immer auch noch viele<br />

andere Orientierungsmuster. Neben der<br />

eigenen Generation spielen Familie, Beruf,<br />

Nationalität und vieles mehr eine Rolle.<br />

Text: Karina Kirch<br />

Fotos: Mascha Lohe<br />

die Expertin<br />

Dr. phil. Ulrike Jureit<br />

(47) ist Historikerin<br />

und Gastwissen-<br />

schaftlerin der<br />

Hamburger Stiftung<br />

zur Förderung von<br />

Wissenschaft und<br />

Kultur. Sie schrieb<br />

das Fachbuch „Generationenforschung“<br />

(Vandenhoeck & Ruprecht).<br />

(Foto: Bodo Dretzke)


10<br />

i M B l i c k<br />

Frau Pauer, Ihrer Generation stehen<br />

die Türen offen: Partner, Kind, Karriere,<br />

Freizeit – viele Möglichkeiten,<br />

sein Leben zu gestalten. Ist das nicht<br />

fantastisch? Ja, das ist in der Tat fantastisch<br />

– eigentlich. Die ganzen Optionen<br />

haben uns nämlich von Anfang an nicht<br />

nur Freude bereitet, sondern uns immer<br />

auch den ewigen Druck der Entscheidung<br />

beschert. Denn wie niem<strong>als</strong> zuvor sind wir<br />

eine Generation, die sich selbst verwirklichen<br />

kann und muss. Das gesellschaftliche<br />

Ideal das wir vor Augen haben, ist das des<br />

freien Individuums, das sich aus vielen Einzelentscheidungen<br />

immer wieder sein Glück<br />

zusammenbaut. Selbstverwirklichung meint<br />

nicht nur, einen Job zu finden, sondern das<br />

Gesamtpaket: die perfekte Stadt, den perfekten<br />

Partner, den richtigen Freundeskreis<br />

und so weiter. Es gibt diese Illusion, dass<br />

man irgendwann beim komplett richtigen<br />

Leben ankommt. Das erzeugt den Druck:<br />

Lebe ich das Jetzt wirklich so, dass ich bei<br />

diesem perfekten Später ankomme? Oder<br />

sollte ich dazu nicht gerade etwas ganz<br />

anderes an einem anderen Ort mit jemand<br />

anderem machen, weil ich mich sonst vielleicht<br />

selbst verpasse?<br />

Sind das nicht „Pseudoprobleme“?<br />

Damit meine ich, dass wir uns zwar bewusst<br />

sind, dass unsere Probleme aus einer<br />

sehr privilegierten Position heraus entstehen.<br />

Deshalb haben wir auch ein schlechtes<br />

Gewissen. Aber unsere Symptome sind<br />

nicht ausgedacht: Chronische Rückenschmerzen,<br />

Schlaflosigkeit, Blasenentzündungen,<br />

Erschöpfung – das sind manifeste<br />

körperliche Probleme. Und auch zu einem<br />

Therapeuten geht niemand nur aus Spaß.<br />

Die Wurzel der Symptome mögen Luxus­<br />

Generation Angst<br />

Zwischen Selbstverwirklichung, Wahlfreiheit und Autonomie:<br />

Der Generation der 30-Jährigen könnte es so gut gehen. Nicht wirklich, meint<br />

die 29-jährige Buchautorin und Soziologin Nina Pauer aus Hamburg. In ihrem<br />

Buch: „Wir haben (keine) Angst“ beschreibt sie die Generation der ängstlich<br />

Suchenden unserer Gesellschaft<br />

probleme sein – aber es gibt sie. Und man<br />

muss sie ernst nehmen.<br />

In Ihrem Buch beschreiben Sie, dass<br />

Sie auf Ihre Eltern bauen können,<br />

das klingt nach sorgenfreier Jugend.<br />

Natürlich gab es auch in unserer Elterngeneration<br />

Schwierigkeiten, schlimme Scheidungskriege<br />

zum Beispiel, aber insgesamt ist<br />

die Institution „Eltern“ immer eine unglaubliche<br />

Sicherheit für uns gewesen. Dadurch,<br />

dass sie uns immer bei allem unterstützt<br />

haben, verstärkten sie allerdings auch das<br />

Gefühl unserer uferlosen Wahlfreiheit. Dieses<br />

gut gemeinte „Tu, was dich glücklich<br />

macht“ hat bei uns den Druck, uns selbst<br />

zu finden, noch verstärkt. Die Eltern <strong>als</strong><br />

Unterstützer und Berater boten dabei keine<br />

Möglichkeit der Abgrenzung. Unsere Eltern<br />

mussten sich ihre Werdegänge oder ihren<br />

Lebensstil häufig noch erkämpfen. Dadurch<br />

hatten sie es schwerer – aber auch leichter.<br />

Denn wer für etwas kämpfen muss, hinterfragt<br />

sich nicht ständig dabei, sondern<br />

schöpft Selbstsicherheit aus seiner Rebellion.<br />

Wir beneiden unsere Eltern um diese Möglichkeiten<br />

des individuellen und kollektiven<br />

Aufbegehrens. Bei denen gab es noch die<br />

großen politischen Gesten. Wir haben das<br />

Gefühl, dass für uns nichts übrig blieb außer<br />

einer Haltung abgeklärter Nüchternheit.<br />

Ist Ihre Generation unpolitisch? Dass<br />

wir politisch still sind, bedeutet, dass wir<br />

zwar nicht unpolitisch sind, aber dennoch<br />

keine Form für unsere politischen Energien<br />

finden. Wir haben Angst vor großen Statements,<br />

weil sie peinlich wirken könnten.<br />

Und so bleiben wir lieber still. Denn damit<br />

sind wir immer auf der sicheren Seite. Wir<br />

haben die Stille gelernt, weil wir den gan­<br />

zen Tag rezipieren und kommunizieren. Es<br />

bimmelt und chattet uns von allen Seiten<br />

an und wir können gar nicht mehr stillhalten.<br />

Uns fällt es mittlerweile schwer, Ruhe zu<br />

ertragen, obwohl wir uns nach nichts mehr<br />

sehnen. Bei all dieser Hektik, in der wir uns<br />

vor allem um uns selbst drehen, bleibt wenig<br />

Energie für Politik.<br />

Facebook und Co gehören mehr zum<br />

Alltag <strong>als</strong> Klimawandel und Friedensbewegung.<br />

Fluch oder Segen? Der<br />

Fluch besteht darin, dass Facebook und<br />

Smartphones das ewige Drehen um das<br />

eigene Ich verstärken. Der Druck, sich darzustellen,<br />

ist enorm: Man meint, immer<br />

im lässigen Understatement, mit tausend<br />

Freunden, einem coolen Job in einer tollen<br />

Stadt, auf spannenden Reisen auftreten<br />

zu müssen. Uns hat das besonders getroffen,<br />

weil wir die Ersten waren, die all diese<br />

neuen Geräte und Netzwerke hatten. Dieser<br />

Kommunikationsdschungel kann einen auch<br />

verrückt machen.<br />

Sie haben drei Wünsche frei, um<br />

ihre Generation vor dem Verrücktwerden<br />

zu retten … Ein Patentrezept<br />

habe ich nicht, sonst hätte ich, statt eine<br />

Gruppentherapie zu machen, lieber gleich<br />

einen Ratgeber geschrieben. Ich denke, es<br />

ist wichtig, sich klarzumachen, dass wir mit<br />

unserer Angst nicht allein sind, sondern<br />

dass jeder diese Gefühle kennt. Konkretere<br />

Tipps: Weniger über den eigenen Stress<br />

reden, sondern lieber gezielt überlegen,<br />

wie man ihn eindämmen kann. Sich sozial<br />

engagieren. Und nur noch eine Stunde<br />

Facebook am Tag!<br />

Das Interview führte Britta Ellerkamp.<br />

Foto: Dennis Williamson<br />

serie<br />

teil 8<br />

Jeder kennt sie, jeder gesetzlich Versicherte hat sie: die Krankenversicherungskarte. Diese<br />

Karten werden in den nächsten Monaten verschwinden und durch die neue elektronische<br />

Gesundheitskarte ersetzt werden. Im Oktober 2011 begann die Ausgabe der neuen Karte.<br />

Bis Ende 2012 sollen schon 70 Prozent aller gesetzlich Krankenversicherten eine solche<br />

neue Karte besitzen.<br />

Äußerlich unterscheidet sich die elektronische Gesundheitskarte nur durch ein Passfoto<br />

von der bisherigen Krankenversicherungskarte. Der entscheidende Unterschied ist mit<br />

bloßem Auge nicht zu erkennen: Die elektronische Gesundheitskarte wird auch <strong>als</strong> „intelli­<br />

gente“ Karte bezeichnet. Das bedeutet: Sie kann mit zusätzlichen Informationen bestückt<br />

werden, und bestehende Informationen auf der Karte können verändert werden.<br />

Derzeit sind auf den neuen Karten folgende Angaben enthalten: Name des Karteninhabers,<br />

Geburtsdatum, Geschlecht, Versichertennummer und ­status. Welche Daten in<br />

Zukunft zusätzlich auf der Karte abgespeichert sein werden, ist noch nicht entschieden.<br />

Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist dies ein langwieriger Prozess. Geplant ist in<br />

jedem Fall, dass Patienten ihre Daten nicht nur jederzeit einsehen, sondern dass sie auch<br />

selbst bestimmen können, welche Daten aufgenommen oder gelöscht werden sollen.<br />

notfalldaten<br />

In der Diskussion ist, dass die elektronische Gesundheitskarte in einem nächsten Schritt<br />

auch Notfallinformationen speichern könnte, wenn der Patient das möchte. In einem<br />

Notfall könnten der Arzt oder Rettungsassistent auf der Karte dann zum Beispiel Angaben<br />

zu Allergien oder Medikamentenunverträglichkeiten finden oder welcher Angehörige<br />

verständigt werden soll.<br />

Über das Gesundheitswesen wird viel geschrieben.<br />

In unserer Serie erklären wir Hintergründe, diesmal zur<br />

Einführung der elektronischen Gesundheitskarte<br />

Elektronische<br />

gesundheitskarte<br />

Wie es aussieht, ist diese mögliche Zukunftsfunktion der elektronischen Gesundheitskarte<br />

vorerst die einzige Zusatzfunktion, über die die Beteiligten einen Konsens erreichen könnten.<br />

Auch eine Umfrage unter Ärzten erbrachte, dass sie sich von den Notfalldaten auf<br />

der Karte am meisten versprechen. Andere, früher angedachte Funktionen wird die Karte<br />

in absehbarer Zeit nicht bekommen, dazu gehört die elektronische Patientenakte. Es wird<br />

<strong>als</strong>o vorerst nicht möglich sein, der Karte<br />

Informationen wie Arztbesuche oder Röntgenbilder<br />

zu entnehmen.<br />

die Beteiligten<br />

Norbert Butz von der Bundesärztekammer<br />

nimmt die Angst vieler Ärzte ernst, dass<br />

die Vertraulichkeit zwischen Arzt und<br />

Patient gefährdet sein könnte. Er weist<br />

aber auch darauf hin, dass nicht ohne<br />

Grund die wichtigsten Verbände des deutschen<br />

Gesundheitswesens in die Entwicklung<br />

einbezogen sind: Neben der Bundesärztekammer<br />

sind das unter anderem die<br />

Kassenärztliche Bundesvereinigung, der<br />

deutsche Apothekerverband, die deutsche<br />

<strong>Krankenhaus</strong>gesellschaft und der<br />

Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen<br />

(GKV).<br />

Text: Daniela Böhle<br />

Foto: www.bundesgesundheitsministerium.de/egk<br />

kontakt & info<br />

Wer noch keine neue Karte hat und<br />

wissen möchte, wann er sie bekommt,<br />

kann sich direkt an seine Krankenkasse<br />

wenden. Detaillierte Informationen<br />

bietet der Internetauftritt des Bundes­<br />

gesundheitsministeriums:<br />

www.bmg.bund.de/egk<br />

i M BFa l i ck kt 11


12<br />

t i t E l t i t E l 13<br />

<strong>Altern</strong><br />

<strong>als</strong> <strong>Chance</strong><br />

Wir werden älter – jeden Tag. Und dank des medizinischen<br />

Fortschritts leben wir länger. So bietet das <strong>Altern</strong> immer<br />

mehr Möglichkeiten. Wie wir die gewonnene Lebenszeit<br />

nutzen können, dazu liefert 2012 das „Europäische Jahr für<br />

aktives <strong>Altern</strong> und Solidarität zwischen den Generationen“<br />

wertvolle Anregungen<br />

Die neue Zeit der<br />

Möglichkeiten<br />

Die Zeiten, in denen Älterwerden automatisch mit der Vor stellung<br />

von Krankheit und Gebrechlichkeit verbunden war, sind vorbei.<br />

Viele ältere Menschen sind heute sehr gesund und nutzen ihre län­<br />

gere Lebenszeit für sich, für ihre Familien und für soziales Engage­<br />

ment. Die fitten Rentner eignen sich neue Kenntnisse an („lebens­<br />

langes Lernen“), engagieren sich in Projekten für Kinder und<br />

Jugendliche oder stellen <strong>als</strong> Seniorberater jungen Unternehmen<br />

ihre fachlichen Fähigkeiten zur Verfügung.<br />

Ziel des Europäischen Jahres für aktives <strong>Altern</strong> und Solidarität zwischen<br />

den Generationen ist die Schaffung einer „Kultur des aktiven<br />

<strong>Altern</strong>s“. Sie wird immer wichtiger, weil das längere Leben und<br />

die zunehmende Zahl der älteren Menschen in unserer Gesellschaft<br />

gegenüber einer sinkenden Zahl jüngerer Menschen es erforderlich<br />

machen, dass jeder bereit ist, für sein Alter mehr Verantwortung<br />

zu übernehmen und sich nicht allein auf die jüngere Generation<br />

zu verlassen.<br />

Interesse, Unterstützung , Kontakt<br />

Mit aktiven älteren Menschen kennt Ursula Woltering sich aus. Sie<br />

leitet die Leitstelle „Älter werden in Ahlen“ im nördlichen West falen<br />

und realisiert Projekte, die Generationen verbinden – für Ältere und<br />

mit Älteren. Die engagierten Senioren gehen <strong>als</strong> „Vorlese­Omas<br />

und ­Opas“ in Ahlener Grundschulen oder helfen <strong>als</strong> Sprachpaten<br />

Kindern mit Migrationshintergrund in der Schule oder bei der Hausaufgabenbetreuung.<br />

Dabei soll kein Missverständnis aufkommen:<br />

Sie engagieren sich nicht aus Verpflichtung, sondern weil es ihnen<br />

Freude macht. Ein wichtiger Aspekt des „aktiven <strong>Altern</strong>s“.<br />

„Gegenseitiges Interesse, die andere Generation unterstützen,<br />

Kontakt haben und gemeinsame Ziele entwickeln, das ist Solidarität<br />

zwischen den Generationen“, erklärt Woltering. „Und das funkti­<br />

oniert in Ahlen sehr gut.“ Dabei ist Generationensolidarität keine<br />

Einbahnstraße. Sie funktioniert von Alt zu Jung und von Jung zu<br />

Alt. Und in Ahlen sogar von „Hochbetagt“ zu „Mittelalt“, wie ein<br />

besonders schönes Beispiel zeigt: In einem Seniorentreff gibt eine<br />

80­jährige Dame Computerkurse für 50­Jährige. „Die Kursleiterin<br />

hat sich ihre Kenntnisse selbst beigebracht“, erzählt Woltering. Ihre<br />

Schüler entwickelten inzwischen eine Internetseite, auf der sie aktuelle<br />

Veranstaltungen ankündigen und Artikel veröffentlichen.<br />

Um Solidarität zwischen den Generationen zu fördern, empfiehlt<br />

sich ein neues Verständnis von Ehrenamt. „Das alte Ehrenamt<br />

bezeichnet eine Tätigkeit, die über viele Jahre hinweg<br />

ausgeübt wird“, erläutert Woltering. „Das neue Ehrenamt ist<br />

zeitlich begrenzt. Ehrenamtliche möchten sich heute nicht mehr<br />

so lange binden. Und sie möchten gern kreativ tätig sein, etwa<br />

in einem Theaterprojekt. Zudem suchen sie eine Sinnstiftung im<br />

Engagement“, berichtet sie aus ihrer Erfahrung. „Dabei geht es<br />

nicht immer nur um aktivierende Angebote, viele Senioren wollen<br />

einfach nur dabei sein.“ Und auch das muss weiterhin möglich<br />

bleiben.<br />

Keine Frage:<br />

Das Älterwerden macht auch Probleme<br />

Dass das Europäische Jahr das <strong>Altern</strong> gerade jetzt auf die politische<br />

Agenda rückt, ist kein Zufall. „Die alternde Gesellschaft stellt große<br />

Herausforderungen an unsere sozialen Sicherungssysteme“, erklärt<br />

Dr. Gerhard Naegele, Professor für Soziale Gerontologie an der<br />

Technischen Universität Dortmund. Naegele leitet die Geschäftsstelle<br />

des Europäischen Jahres in Deutschland. Weil immer mehr<br />

Menschen immer länger leben, müssen die Staaten mehr Geld für<br />

die Renten aufwenden. Hinzu kommen auch höhere Pflegekosten<br />

und Gesundheitsausgaben. Derzeit finanziert sich die Renten­,<br />

Kranken­ und Pflegeversicherung durch eine Umlage: Die erwerbstätige<br />

Generation zahlt für die Älteren. „Wenn es aber immer<br />

weniger jüngere Menschen gibt, die das soziale System finanzieren,<br />

gibt es ein Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben“,<br />

verdeutlicht Naegele die Problematik.<br />

Eine Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes von 2011<br />

zeigt die Alterung der Gesellschaft an der wachsenden Zahl der<br />

Hochbetagten. Gut anderthalb Millionen Menschen waren 2009 in<br />

Deutschland mindestens 85 Jahre alt, 2050 werden es etwa sechs<br />

Millionen sein. Umso wichtiger wird das „aktive <strong>Altern</strong>“.<br />

„Engagement, eine gesunde Ernährung, eine selbstständige Lebensführung<br />

oder eine behindertengerechte Ausstattung des eigenen<br />

Zuhauses sind dabei sinnvoll“, nennt Naegele Beispiele. „Wer sich<br />

selbst kümmert, übernimmt Verantwortung. Sich allein auf die jüngere<br />

Generation zu verlassen, ist nicht angemessen.“


14<br />

t i t E l t i t E l 15<br />

Ein aktives <strong>Altern</strong> wird in Zukunft für viele gut möglich sein. Ein<br />

Großteil der nachrückenden Generationen hat jahrelange Berufserfahrung,<br />

ist finanziell gut aufgestellt und gesund. „Die heutigen<br />

Hochbetagten haben diese sehr guten Voraussetzungen für ein<br />

aktives Alter noch nicht“, schränkt Naegele ein. Generell lässt sich<br />

nicht wegdiskutieren, dass Krankheit ein aktives <strong>Altern</strong> in jedem<br />

Falle erschwert. „Und auf eine Krankheit kann man sich kaum vorbereiten“,<br />

sagt Naegele. Das darf bei allem Werben für ein aktives<br />

<strong>Altern</strong> nicht untergehen: Wer im Alter die Solidarität der Gesellschaft<br />

benötigt, soll sie selbstverständlich weiterhin erhalten.<br />

Frei , aber nicht allein<br />

Die neuen Möglichkeiten des <strong>Altern</strong>s nutzen, das möchten auch<br />

Professor Naegele und Ursula Woltering. Naegele stellt sich für sein<br />

eigenes Alter eine Mischung aus Engagement im Umweltschutz<br />

und Aktivität durch Sport vor. Wichtig ist ihm, weiterhin zu Hause<br />

leben zu können: „Einmal in einer Alters­WG oder in einem Heim<br />

zu leben, kann ich mir nicht vorstellen. Solche Wohnformen widersprechen<br />

aus meiner Sicht der Individualität des Alters.“ Ursula<br />

Woltering hingegen möchte später in einer Senioren­Wohngemeinschaft<br />

leben. Generell ist Wohnen ein zentrales Thema, wenn es<br />

um Lebensqualität im Alter geht. In Ahlen wird daher ein Konzept<br />

zur Nachbarschaftshilfe umgesetzt, das Senioren hilft, so lange wie<br />

möglich in ihrer eigenen Häuslichkeit zu bleiben. „Ich selbst sorge<br />

für mein Alter vor und möchte meine Kinder nur wenig einspannen“,<br />

hebt Woltering hervor. Dazu passt ihr Lebensmotto nach<br />

einer Liedzeile von Hildegard Knef: „Ich möchte frei sein, aber nicht<br />

allein sein.“ Gemeinsam kann das gelingen.<br />

Text: Karina Kirch / Manuela Wetzel<br />

Titelfotos insgesamt: Barbara Bechtloff<br />

Weitere Informationen: www.ej2012.de<br />

die Expertin<br />

der Experte<br />

Die Diplom-Pädagogin Ursula Woltering (50) ist<br />

Sozial planerin der Stadt Ahlen und Leiterin der Leit-<br />

stelle „Älter werden in Ahlen“. Diese ist zuständig für<br />

die Weitentwicklung der Seniorenarbeit, der Angebote<br />

für hilfe- und pflegebedürftige Menschen sowie<br />

für die Förderung ehrenamtlichen Engagements.<br />

Dr. Gerhard Naegele (63) ist Professor für Soziale<br />

Gerontologie und Direktor des Instituts für Gerontologie<br />

an der TU Dortmund, der Geschäftsstelle zum<br />

„Europäischen Jahr für aktives <strong>Altern</strong> und Solidarität<br />

zwischen den Generationen 2012“.<br />

Voll im Trend<br />

Best Ager, 60 plus, Sun Downers und Silver<br />

Surfer: Anglizismen sollen dem Älterwerden<br />

ein besseres Image verpassen. Über den<br />

Sinn und Unsinn einer neuen Sprachkultur<br />

Neulich im Büro: Meine 62­jährige Kollegin präsentiert stolz ihre<br />

jüngste Errungenschaft, das neue Aktiv­60­Ticket der Kölner Verkehrsbetriebe<br />

(KVB). Ein Angebot, das „Junggebliebenen“ – so die<br />

KVB – zu günstigen Preisen das Reisen mit Bus und Bahn schmackhaft<br />

machen soll. War noch vor einigen Jahren von der Generation<br />

50 plus die Rede, sind es heute eher die über 60­Jährigen, die im<br />

Fokus von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stehen. Der Grund<br />

liegt auf der Hand: Die demografische Entwicklung erfordert ein<br />

Umdenken.<br />

Auch die sprachliche Entwicklung spiegelt das Umdenken wider.<br />

Die Zahl gebräuchlicher englischer Bezeichnungen ist groß – und<br />

manchmal auch verwirrend. So sprießen Best Ager, Golden Ager,<br />

Third Ager und Co. wie Pilze aus dem Boden. Was gestern noch<br />

böhmische Dörfer waren, reiht sich heute in den deutschen Sprachgebrauch<br />

ein. Eine einheitliche Bezeichnung findet man in der<br />

einschlägigen Fachliteratur nicht. Gemeinsam haben alle Begriffe<br />

jedoch eines: Es geht um die Zielgruppe der älteren Menschen.<br />

Jugend war gestern<br />

Aber mal Hand aufs Herz: Wer möchte schon gern <strong>als</strong> alt bezeichnet<br />

werden? Alt zu werden scheint hingegen weniger problematisch zu<br />

sein. Aufgrund der statistisch höheren Lebenserwartung schwindet<br />

häufig auch das Gefühl, zu den Alten zu gehören. So erging es vor<br />

einigen Jahren einem Kollegen, der seinen 50. Geburtstag feierte.<br />

Als Geschenk gab es von der Kirchengemeinde eine Einladung zu<br />

den regelmäßigen Seniorennachmittagen. Das saß ...<br />

Egal ob Best Ager oder 60 plus. Dass die Gruppe der Älteren<br />

Beachtung findet, ist eine positive Entwicklung. „Nach dem<br />

Jugendwahn kommt nun der Megatrend Alter“, sagt Andreas<br />

Reidl (47), Lehrbeauftragter Marketing 50 plus an der Georg­<br />

Simon­Ohm­Hochschule in Nürnberg. Er kritisiert, dass ältere<br />

Kunden oft unterschätzt, verkannt und f<strong>als</strong>ch angesprochen werden.<br />

Und das, obwohl sie mehr <strong>als</strong> ein Drittel der Konsumaufwendungen<br />

aller Haushalte ausmachen und etwa 308 Milliarden<br />

Euro jährlich investieren.


16<br />

t i t E l<br />

„Ältere Konsumenten wollen moderne Produkte, wollen in der<br />

Werbung Menschen mit echten grauen Haaren und Falten. So wie<br />

im Jugendwahn der Code des richtigen Turnschuhs gilt, so gilt im<br />

Marketing für Ältere der Code des authentischen Gesichts“, meint<br />

Reidl. Ein überraschendes Ergebnis. Lange propagierten Marketingexperten<br />

ein einheitliches Konsumverhalten und kategorisierten<br />

nach Altersstufen. Alle Bedürfnisse in einen Topf zu stecken, erwies<br />

sich aber <strong>als</strong> Irrtum. Studien in den USA und Großbritannien haben<br />

das gezeigt.<br />

Das gefühlte Alter<br />

Fazit: Die bloße Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe macht aus<br />

niemandem einen Best Ager. Die Erklärung ist simpel, denn jeder<br />

Mensch ist anders. Es kommt auf das persönliche Empfinden, <strong>als</strong>o<br />

auf das gefühlte Alter an. Davon weiß auch der 56­jährige Komiker<br />

Helge Schneider ein Lied zu singen. In einem Interview sagte er<br />

2011 im WAZ­Medienportal „Der Westen“: „Ich könnte nicht mehr<br />

in die Disco gehen bis morgens um vier. Aber ich kann dafür morgens<br />

früher aufstehen. Außerdem kann man im Alter sogar lustiger<br />

sein. Da sieht man vieles nicht mehr so ernst wie in der Jugend … “<br />

Text: Britta Ellerkamp<br />

Im Alter in die<br />

Wohngemeinschaft<br />

Bremens Ex-Bürgermeister<br />

Henning Scherf über seine<br />

Erfahrungen mit Deutschlands<br />

wohl berühmtester<br />

Alters-WG und seine<br />

Vorstellungen vom Altwerden<br />

„Postpubertäre Romantiker“ wurden Henning Scherf (73) und<br />

seine Frau Luise von ihren Kindern genannt, <strong>als</strong> sie ihnen vor mehr<br />

<strong>als</strong> 20 Jahren das Projekt einer Alters­WG vorstellten. „Unsere Kinder<br />

waren sich sicher, dass unser Vorhaben nicht funktionieren<br />

wird“, erinnert sich Scherf. Weit gefehlt – heute leben acht Personen<br />

im Alter zwischen 30 und 70 Jahren in Bremens Innenstadt in<br />

der Wohngemeinschaft, die von Anfang an <strong>als</strong> Mehrgenerationenhaus<br />

gedacht war.<br />

t i t E l 17<br />

Der Jurist, ehemalige Richter, Ex­Bildungs­ und ­Justizsenator und<br />

Bremens Ex­Regierungschef Henning Scherf spricht voller Elan und<br />

mit viel Leidenschaft über die Wohngemeinschaft: „Unsere Türen<br />

sind immer offen, und auch unsere Kinder und Enkelkinder genießen<br />

heute unsere Wohngemeinschaft.“ Jedes Paar, jeder Single hat<br />

eine eigene Wohnung, die auch abgeschlossen werden kann. „Das<br />

hat in all den Jahren aber noch keiner von uns getan“, versichert<br />

Scherf.<br />

„Wenn ich über das Leben in unserer Alters­WG berichte, muss ich<br />

auch über den Tod sprechen, da er auch zum Leben gehört”, sagt<br />

Henning Scherf. Die Vorstellung, allein sterben zu müssen, mache<br />

ihm Angst. „In unserer WG, so hoffe ich, werde ich, wenn die Zeit<br />

gekommen ist, von der Familie und Freunden sicher gut betreut.“<br />

Auf zu neuen Ufern<br />

„Man muss sich Gedanken über das Altwerden machen“, fordert<br />

Scherf auf. Er selbst habe nach dem Ende seines Arbeitslebens<br />

mehr Kraft, neue Dinge und Aufgaben anzugehen und sich einzubringen.<br />

Seit einiger Zeit spielt er Orgel. „Ich bin kein Virtuose auf<br />

dem Instrument, aber es macht einfach Spaß“, stellt er fest.<br />

„Mir ist es noch nie so gut gegangen“, bilanziert Scherf seine<br />

Situation. Wichtig sei, Struktur in sein tägliches Rentnerleben zu<br />

bringen. Hierzu gehören das gemeinsame Kochen in der Wohngemeinschaft<br />

genauso wie die Musik, das Malen und sportliche<br />

Aktivitäten. Alt werden, aktiv sein, gebraucht werden und Gesellschaft<br />

gestalten – hierfür plädiert Henning Scherf und engagiert<br />

sich in verschiedenen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Er ist Schirmherr<br />

HelpAge Deutschland, Präsident des deutschen Chorverbandes<br />

und Vorsitzender von „pan y arte“, einer Organisation, die sich um<br />

Kunst und Kultur in der Entwicklungsarbeit kümmert, um nur drei<br />

seiner vielen Aktivitäten zu nennen.<br />

Schluss mit der Panikmache!<br />

„Leider wird das Alter von vielen immer noch <strong>als</strong> Angst­ und<br />

Panikthema vermittelt. Damit muss endlich Schluss sein“, verlangt<br />

Scherf. Er wünscht sich, dass sich Senioren über ihre <strong>Chance</strong>n,<br />

etwas Sinnvolles und Erfüllendes nach dem Berufsleben zu<br />

tun, bewusst sind. „Es ist ein großes Geschenk, dass wir anders<br />

alt werden <strong>als</strong> unsere Eltern und Großeltern und nach der Berufstätigkeit<br />

ein neues Leben beginnen dürfen.“ Ehrenamtliche Aufgaben<br />

könnten Struktur in den Rentneralltag bringen. „Das hilft nicht<br />

nur anderen, sondern kann dem eigenen Leben einen Sinn geben“,<br />

folgert Scherf – getreu seinem Motto: „Alt ist, wer mit 50 Prozent<br />

seiner Gedanken in der Vergangenheit ist. Jung ist, wer mit 50 Prozent<br />

seiner Gedanken in der Zukunft ist.“<br />

Text: Georg Beuke


18<br />

t i t E l k U r z n ot i E r t<br />

Jugend trifft<br />

Erfahrung<br />

Im Mentorennetzwerk JutE helfen Ältere<br />

Jüngeren beim Start in die Schule<br />

Bereits in der Grundschule können viele Kinder das Lerntempo<br />

nicht halten. Bei der hohen Anzahl von Schülern je Klasse ist eine<br />

individuelle Förderung jedoch nicht immer möglich. Abhilfe leistet<br />

in Aachen seit Juli 2008 das Mentorennetzwerk JutE (Jugend trifft<br />

Erfahrung). In Trägerschaft des Caritasverbandes Aachen und des<br />

Vereins zur Förderung des Ehrenamtes begleiten 65 ehrenamtliche<br />

Mentoren Schüler an 23 Grundschulen. Die von der persönlichen<br />

Beziehung getragene Begleitung erfolgt in enger Abstimmung mit<br />

dem Klassenlehrer während oder parallel zum Unterricht, während<br />

der Hausaufgabenbetreuung oder im betreuten Nachmittag beim<br />

Lesen, Schreiben und Rechnen.<br />

Lernen mit allen Sinnen<br />

Gisela Brettschneider, vor ihrer Pensionierung Verlagsmitarbeiterin,<br />

ist von Anfang an dabei. 2009 lernt sie die siebenjährige Sara kennen,<br />

die aus Somalia nach Aachen gekommen ist. Sara kann kaum<br />

ein Wort Deutsch und kann dem Unterricht nicht folgen. Die Schulleiterin<br />

wendet sich mit dem Einverständnis von Saras Mutter an<br />

JutE. Zwei­, dreimal wöchentlich ist Gisela Brettschneider nur für<br />

Sara da. Gemeinsam besuchen beide den Wochenmarkt. Die Mentorin<br />

zeigt Sara Kartoffeln und Gurken, mit denen im Unterricht<br />

gerechnet wird. Im Aachener Tierpark lernt Sara die Tiere kennen,<br />

von denen sie in Sachkunde zum ersten Mal gehört hat. Wenn Sara<br />

wissen will, was „wütend sein“ bedeutet, stampft ihre Mentorin<br />

auf den Boden. Das Lernen mit allen Sinnen zeigt Erfolg: Nach drei<br />

Jahren Förderung spricht Sara fließend Deutsch und schreibt gute<br />

Noten.<br />

„Zusammen wachsen – Bildungspatenschaften stärken, Integration<br />

fördern" unter diesem Motto durften Sara und ihre Mentorin im<br />

Sommer 2010 sogar stellvertretend für JutE einen Preis des Bundesministeriums<br />

für Migration, Flüchtlinge und Integration entgegennehmen.<br />

Eine Evaluationsstudie der Katholischen Hochschule<br />

Aachen bestätigt den Erfolg von JutE. Die Stadt Aachen erteilte das<br />

Prädikat „Familienfreundlich“.<br />

Gut organisiert<br />

Die Diplom­Sozialpädagogin Andrea Klug­Beißmann und die<br />

Diplom­Sozialarbeiterin Jessica Weigand organisieren und unterstützen<br />

die ehrenamtliche Hilfe. Sie überprüfen die Freiwilligen<br />

auf sehr gute Deutschkenntnisse, die Bereitschaft zur Weiterbildung<br />

und auf ein positives polizeiliches Führungszeugnis. Sie<br />

koordinieren auch die Kontakte zu den Schulen. Drei bis fünf<br />

Wochenstunden müssen die Mentoren aufbringen, im Kontakt<br />

mit dem Kind sowie in Vorbereitungsgesprächen, Unterrichtsbesuchen<br />

und regelmäßigen Austauschtreffen.<br />

Die Einbindung der Mentoren in ein Netzwerk dient auch ihrer<br />

Anerkennung. Und: JutE ist „Chefsache“. Die Schulrektoren selbst<br />

fragen die ehrenamtliche Hilfe an. Wenn möglich stellt die Schule<br />

einen eigenen Raum zur Verfügung. Alle vom Klassenlehrer empfohlenen<br />

Unterrichtsmaterialien werden gestellt, die Fahrtkosten<br />

werden erstattet, und für eine Haftpflichtversicherung ist gesorgt.<br />

JutE bietet den Mentoren kostenlose Schulungen an. Durch regelmäßige<br />

Reflexionsrunden, aber auch bei Stadtführungen und<br />

Feiern kommen die Mentoren untereinander in Kontakt.<br />

Um das Angebot von JutE auch nach der ausgelaufenen Anfangsfinanzierung<br />

durch die Aktion Mensch weiterführen zu können,<br />

übernehmen derzeit 15 erfahrene Ehrenamtler das Anlernen der<br />

„Neuen“. Gisela Brettschneider wirbt für die gute Sache: „Es wäre<br />

schön, wenn sich noch mehr Mentoren melden würden!“<br />

Text: Kristof von Fabeck-Volkenborn<br />

Weitere Informationen: www.jute­aachen.de<br />

aufge-lesen<br />

Pilgern auf Französisch<br />

von Coline Serreau,<br />

Piper Verlag <strong>GmbH</strong>,<br />

München 2010, 8,95 €<br />

Wer sich mit Pilgerreisen aus­<br />

kennt, weiß, dass sie ungeahnte<br />

Herausforderungen bieten können.<br />

Auch den entfremdeten<br />

Geschwistern Clara, Claude und<br />

Pierre ergeht es nicht anders.<br />

Sie raffen sich zudem nicht<br />

freiwillig dazu auf, gemeinsam<br />

einen Teil des Jakobsweges<br />

zu gehen. Aber: Ohne diese<br />

Aktion gibt es von der verstorbenen<br />

Mutter nichts zu erben.<br />

Also schließen sie sich einer<br />

geführten Gruppe an. Dabei<br />

treffen Menschen aufeinander,<br />

wie sie unterschiedlicher nicht<br />

sein könnten.<br />

Demenziell erkrankte Menschen<br />

reagieren im <strong>Krankenhaus</strong><br />

häufig mit Ängsten,<br />

Unsicherheit und Unruhe. Sie<br />

können die Situation nicht einschätzen,<br />

ihre Beschwerden<br />

und Wünsche nicht formulieren<br />

und sich im Klinikalltag<br />

nicht orientieren. Auch Ärzte<br />

und Pflegekräfte sind häufig<br />

Die Geschichte spielt in der<br />

Gegenwart, erzählt wird sie in<br />

meist sehr kurz gefassten Begebenheiten.<br />

Wie groß die Herausforderung<br />

durch das Pilgern<br />

Elektrische zigaretten sind gesundheitsschädlich<br />

krankenhäuser häufig mit<br />

demenzkranken überfordert<br />

Wer glaubt, dass elektrische<br />

Zigaretten die Gesundheit nicht<br />

gefährden und den Weg zum<br />

Nichtrauchen erleichtern, liegt<br />

f<strong>als</strong>ch. Die Bundeszentrale für<br />

gesundheitliche Aufklärung<br />

(BZgA) teilte Ende 2011 mit,<br />

dass auch hier krebserregende<br />

Stoffe enthalten sind.<br />

überfordert. Der stressige Klinikalltag<br />

und die mangelnden<br />

Kenntnisse und Erfahrungen<br />

im Umgang mit Betroffenen<br />

erschweren die Behandlung.<br />

Das soll sich in Zukunft ändern.<br />

Immer mehr bundesweite Projekte<br />

und Initiativen fördern<br />

das Demenzfreundliche Kran­<br />

für jeden Einzelnen tatsächlich<br />

ist, kann der Leser aus den<br />

aneinandergereihten Dialogen<br />

lediglich erahnen. Zwischendurch<br />

bietet das Buch etwas zu<br />

oberflächliche Betrachtungen,<br />

die kritische Zusammenhänge<br />

zwischen institutionellen, religiösen<br />

Bedingungen und dem<br />

Pilgern an sich herstellen wollen.<br />

Vorteil ist, dass der Leser<br />

zwischendurch eigenen Gedanken<br />

oder Erinnerungen an Pilgererfahrungen<br />

nachhängen<br />

kann, ohne den Anschluss zu<br />

verlieren. Hat sich der Leser<br />

mit dem Schreibstil der Autorin<br />

angefreundet, liest sich<br />

das Buch recht kurzweilig und<br />

amüsant.<br />

„Die benutzten Kartuschen<br />

enthalten häufig neben dem<br />

Suchstoff Nikotin auch andere<br />

gesundheitsschädigende Substanzen.<br />

Deshalb ist vom Konsum<br />

der E­Zigarette abzuraten“,<br />

sagte BZgA­Direktorin<br />

Professor Dr. Ursula Pott.<br />

19<br />

So oder so, es findet sich ein<br />

überraschendes Ende, auch<br />

wenn es eigentlich nicht anders<br />

zu erwarten war. Das Pilgern<br />

bringt Veränderung mit sich<br />

und bahnt letztlich den Weg<br />

zur Versöhnung zwischen den<br />

Geschwistern. Fazit: Eine etwas<br />

andere Geschichte über das Pilgern,<br />

die sich durchaus zu lesen<br />

lohnt.<br />

Text: Heike Christmann<br />

Wer sich das Rauchen abgewöhnen<br />

möchte, findet im<br />

Internet hilfreiche Tipps unter:<br />

www.rauchfrei-info.de<br />

Foto: horuspower / www.fotolia.com<br />

kenhaus. Nähere Informationen<br />

bietet die Internetseite der<br />

Deutschen Alzheimer Gesellschaft:<br />

www.deutsche-alzheimer.de


20<br />

M E d i z i n<br />

Vor dem Essen<br />

wird gerechnet<br />

Wie Kinder mit einem Diabetes Typ 1<br />

leben lernen<br />

Vor einem halben Jahr wurde bei der achtjährigen Luise* Diabetes diagnostiziert. Heute<br />

misst sie mehrm<strong>als</strong> täglich ihren Blutzuckerwert. Die Menge Insulin, die sie spritzen muss,<br />

hängt von diesem Wert ab und von der Menge an Kohlenhydraten, die sie danach essen<br />

will. Denn Kohlenhydrate werden im Körper in Zucker umgewandelt. Insulin reguliert den<br />

Blutzuckerspiegel. Luises Vater Cornelius Hinrichs* lächelt schief: „Rechnen und Dreisatz<br />

kann Luise jetzt richtig gut!“ Luises Mutter Isabell Richter* sagt: „Der Mehraufwand ist<br />

nervig. Wir machen das ja noch nicht lang. Nach Jahren läuft das nebenbei, denk ich mir.“<br />

die Vorgeschichte<br />

„Anfang Juni hatte Luise Geburtstag“, erzählt ihre Mutter. „Alle sagten, Luise sei so<br />

schlank geworden. Sechs Wochen später war sie dürr und beschwerte sich, dass sie in der<br />

Schule zu wenig zu trinken dabeihätte. Also gaben wir ihr mehr mit. Sie war oft launisch<br />

und machte hin und wieder ins Bett. Wir dachten, Luise hat Kummer.“<br />

Im Sommerurlaub fuhr die Familie mit dem Auto nach Frankreich. „Wir mussten ständig<br />

anhalten, weil Luise ihren Urin kaum halten konnte. Von sechs Flaschen Wasser hat Luise<br />

vier getrunken.“ In der ersten Nacht fiel sie die Treppe hinunter, weil sie so dringend auf<br />

die Toilette musste. Schließlich erinnerte sich die Mutter an Bekannte, bei deren Sohn Diabetes<br />

festgestellt worden war. Noch in Frankreich wurde es offiziell: Luise hat einen Diabetes<br />

Typ 1. Mit dem Krankentransport kam sie direkt nach Berlin in das Diabeteszentrum<br />

für Kinder und Jugendliche. „Neben einer erstklassigen Betreuung erhielten wir vom ersten<br />

Tag an eine tolle Schulung, Luise separat von uns Eltern“, berichtet der Vater. Inzwischen<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

sind auch Luises Großeltern geschult, die<br />

Klassenlehrerin und der Schwimmtrainer.<br />

diabeteszentrum für kinder<br />

und Jugendliche<br />

Das Diabeteszentrum gehört zu den DRK­<br />

Kliniken Berlin Westend. Seit Professor Dr.<br />

Walter Burger 2006 die Leitung des Zentrums<br />

übernahm, hat er zahlreiche Neuerungen<br />

eingeführt, darunter ein 24­Stunden­<br />

Telefon für Patienten und Ärzte. Er erklärt,<br />

warum das wichtig ist: „Menschen mit Diabetes<br />

werden zunächst einmal verunsichert.<br />

Wenn sie wissen, dass sie uns jederzeit anrufen<br />

können, gibt ihnen das Sicherheit.“<br />

Sein Team umfasst zahlreiche Berufsgruppen,<br />

neben ärztlichem und pflegerischem<br />

Personal auch Diabetesberaterinnen. Sie<br />

schulen nicht nur die betroffenen Familien,<br />

sondern kommen in die Kindergärten,<br />

Schulen und Sportvereine der erkrankten<br />

Kinder. Sie bauen durch Schulungen Ängste<br />

ab und Fähigkeiten auf.<br />

Diabetes bringt erhebliche Belastungen<br />

mit sich. Daher gehören zum Team des<br />

Diabeteszentrums auch Sozialarbeiterinnen<br />

und psychologisches und pädagogisches<br />

Personal. Die Familien erhalten<br />

Informationen über finanzielle Hilfen. Pflegerinnen<br />

werden engagiert, die die Kinder<br />

durch den Schultag begleiten. Oder die<br />

Familien bekommen Hilfen, wenn Span­<br />

nungen zwischen Jugendlichen und Eltern<br />

zu groß werden.<br />

In den ersten Wochen nach dem Klinikaufenthalt<br />

werden die Familien täglich angerufen,<br />

danach kommen sie alle sechs bis acht<br />

Wochen ins Zentrum.<br />

Erwachsen werden<br />

Professor Burger hält nichts davon, die Kinder<br />

und Jugendlichen unter Druck zu setzen:<br />

„Ein Leben mit Diabetes darf nicht nur durch<br />

Verbote geprägt sein.“ Er sagt den überraschenden<br />

Satz: „Kinder sollten nicht immer<br />

über ihre Gesundheit nachdenken müssen.“<br />

Er sieht, dass das Leben mit einem Kind<br />

oder Jugendlichen mit Diabetes für alle<br />

Beteiligten besondere Herausforderungen<br />

bereithält: „Wir werden uns immer bemühen,<br />

das Bestmögliche für die Kinder herauszuholen,<br />

aber wir müssen es mit ihnen<br />

zusammen tun.“ Das gilt auch für komplizierte<br />

Phasen: „Unsere Patienten sind ganz<br />

normale Menschen, man muss sie <strong>als</strong>o auf<br />

das Leben vorbereiten. Jugendliche müssen<br />

zum Beispiel lernen, mit Dingen wie Alkohol<br />

umzugehen. Es ist sinnlos, ihnen Alkohol<br />

komplett zu verbieten, weil er bei Diabetikern<br />

zu einer Unterzuckerung führt. Sie<br />

werden ihn trotzdem ausprobieren. Daher<br />

ist es wichtig, dass sie aufgeklärt sind. Dann<br />

müssen die Jugendlichen für sich selbst Entscheidungen<br />

treffen.“<br />

Wichtig sei, dass die Jugendlichen nach<br />

dem 18. Lebensjahr weiterhin gut betreut<br />

würden: „Es ist unverzichtbar, dass die<br />

Jugendlichen in der Erwachsenenversorgung<br />

gut ankommen. Sonst fallen sie nach<br />

18 aus der hoch spezialisierten Versorgung<br />

heraus.“ Das Diabeteszentrum hat dazu das<br />

„Berliner Transitionsprogramm“ entwickelt.<br />

Es setzt unter anderem auf eine intensive<br />

Kommunikation zwischen den Ärzten der<br />

Kinder­ und Jugendmedizin und denen der<br />

Erwachsenenmedizin. Fallmanager begleiten<br />

den Prozess des Übergangs und sind<br />

Ansprechpartner für alle Beteiligten.<br />

M E d i z i n 21<br />

luises alltag heute<br />

Luises Familie hat gelernt, welche Nahrungsmittel wie viele Kohlenhydrate enthalten und<br />

wie viel Insulin dann gespritzt werden muss. Wenn nötig, schlagen sie in einem Handbuch<br />

nach. Luise weiß auch, welche Nahrungsmittel keine Kohlenhydrate enthalten. Die kann<br />

sie essen, ohne spritzen zu müssen – zum Beispiel Möhren mit Kräuterquark. Wenn sie<br />

unterzuckert ist, merkt Luise das: „Dann zittere ich und mir ist ein bisschen schwindelig.“<br />

In einem solchen Fall helfen Traubenzucker oder ein Glas Apfelsaft. Als eine Klassenfahrt<br />

anstand, stand für Luises Lehrerin fest: „Es ist wichtig, dass Luise mitkommt.“ So nahm sie<br />

teil und eine Begleiterin reiste mit.<br />

In ihrer Freizeit betreibt Luise intensives Schwimmtraining. Das Diabetesteam um Professor<br />

Burger begrüßt es, wenn die Patienten viel Sport treiben. Der Körper verbrennt dann<br />

Zucker und braucht weniger Insulin. Luise trainiert bis zu viermal wöchentlich. Im April<br />

wird sie sogar zwölf Tage ins Trainingslager fahren. „Wir sind zuversichtlich, dass das super<br />

laufen wird“, sagt Isabell Richter – und Luise strahlt.<br />

Text: Daniela Böhle, Fotos: Mascha Lohe<br />

Was ist Diabetes?<br />

Diabetes mellitus wird auch <strong>als</strong> Zuckerkrankheit bezeichnet, weil die Betroffenen<br />

Zucker mit dem Urin ausscheiden. Es gibt verschiedene Formen des Diabetes. Am<br />

häufigsten treten der Typ­1­ und der Typ­2­Diabetes auf. Der Diabetes Typ 1 ist eine<br />

Autoimmunerkrankung, bei der sich die Langerhans­Zellen der Bauchspeicheldrüse<br />

selbst zerstören. Diese Zellen produzieren Insulin, das den Blutzuckerspiegel senkt.<br />

Wird er nicht gesenkt, werden Blutgefäße und Nerven geschädigt, was zu zahlreichen<br />

Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt und Erblindung führen kann. Normale<br />

Blutzuckerwerte liegen nüchtern bei 70 bis 99 mg/dl, nach einer kohlenhydratreichen<br />

Mahlzeit bei maximal 160 mg/dl. Die schwerste Komplikation beim Diabetes ist das<br />

lebens gefährliche diabetische Koma, bei dem Betroffene einen Blutzuckerwert von<br />

bis über 1.000 mg/dl erreichen. In Deutschland haben nach Schätzungen zwischen<br />

21.000 und 24.000 Kinder und Jugendliche einen Diabetes Typ 1. Er ist nach jetzigem<br />

Forschungsstand nicht heilbar.


22<br />

o r d E n t l i c H E s<br />

leben und<br />

glauben im Einklang<br />

Schwierige Zeiten für die<br />

katholische Kirche in Deutschland.<br />

Die Debatte um kirchliche<br />

Moralvorstellungen, die<br />

Zusammenlegung von Gemeinden<br />

und nicht zuletzt die Missbrauchsfälle<br />

sorgen für negative<br />

Presse. Jahr für Jahr treten<br />

zehntausende Katholiken aus<br />

der Kirche aus. Dennoch gibt<br />

es auch die anderen: Männer<br />

und Frauen, die den entgegengesetzten<br />

Weg einschlagen. Sie<br />

lassen sich im Erwachsenenalter<br />

taufen und werden dadurch<br />

Christen. Im Bistum Münster<br />

waren es 2010 immerhin 172,<br />

bundesweit 3.033 Männer und<br />

Frauen.<br />

Warum sich Erwachsene taufen lassen<br />

die gründe sind<br />

verschieden<br />

Oliver Lücke, Referent für Katechese<br />

im Bischöflichen Generalvikariat<br />

Münster, ist realistisch:<br />

„Viele Taufbewerber haben den Glauben <strong>als</strong> Lebensorientierung<br />

für sich entdeckt. Andere betrachten die Taufe ganz pragmatisch<br />

<strong>als</strong> Weg, sich in ein katholisch geprägtes Umfeld zu integrieren.<br />

Wer im katholischen Münsterland dazugehören möchte, der ist am<br />

besten auch Mitglied der Kirchengemeinde. Andere lassen sich taufen,<br />

weil sie einen katholischen Ehepartner haben oder ihre <strong>Chance</strong>n<br />

auf einen Arbeitsplatz bei kirchlichen Arbeitgebern erhöhen<br />

wollen.“<br />

Die Suche nach Gott ist ein zentrales Motiv. „Viele sind mit der<br />

eigenen inneren Lebenssituation unzufrieden“, erläutert Benediktinerpater<br />

Gottfried Meier. „Sie spüren, dass da noch etwas anderes<br />

sein muss.“ Pater Gottfried bereitet seit 2002 in Marienfeld im<br />

Münsterland Männer und Frauen auf die Taufe vor. Ob die Taufe<br />

auch schon einmal verweigert oder aufgeschoben wurde? Pater<br />

Gottfried hat so etwas noch<br />

nicht erlebt: „Die Menschen,<br />

die kommen, wollen ja getauft<br />

werden.“ Und auch wenn<br />

sich jemand schwertue, könne<br />

man das doch bei der Vorbereitung<br />

ins Gespräch bringen.<br />

Seit der Wiedervereinigung ist<br />

die Zahl erwachsener Taufbewerber<br />

gestiegen. Aber längst<br />

nicht jeder stammt aus den<br />

neuen Bundesländern. Auch<br />

in katholisch geprägten Landstrichen<br />

gibt es zunehmend<br />

Erwachsene, die <strong>als</strong> Kinder<br />

nicht getauft wurden. Zu den<br />

Bewerbern zählen Deutsche<br />

wie Nichtdeutsche, manchmal<br />

auch Angehörige anderer<br />

Religionsgemeinschaften.<br />

„Die Mehrzahl ist zwischen 25<br />

und 40 Jahren alt“, weiß Pater<br />

Gottfried. Aber es gibt natürlich<br />

auch ältere und jüngere<br />

Täuflinge. Denn <strong>als</strong> Erwachsener<br />

gilt in der Kirche, wer das 14. Lebensjahr vollendet hat.<br />

intensive Vorbereitung<br />

Wird ein Kind getauft, beschränkt sich die Vorbereitung oft auf<br />

ein Gespräch des Taufpriesters mit den Eltern und Paten. Bei der<br />

Erwachsenentaufe dauert die Vorbereitung, der sogenannte Katechumenat,<br />

mehrere Monate. Er findet für gewöhnlich in den Pfarrgemeinden<br />

selbst statt. Im Regelfall ist die Wohnortpfarrei auch die<br />

erste Anlaufstelle für Interessierte. Der Pfarrer meldet die Täuflinge<br />

dann beim Bistum an.<br />

Das idealtypische Modell des Bistums Münster teilt den Katechumenat<br />

in drei Phasen auf: Nach ersten Begegnungen findet eine<br />

Feier der Aufnahme in den Katechumenat statt. In der zweiten<br />

Phase lernen die Bewerber die wichtigsten Inhalte des katholischen<br />

Glaubens kennen: das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und die<br />

Bibel. Zu den Meilensteinen zählen dabei die Feiern zur Übergabe<br />

des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers. Bei der zentralen<br />

Zulassungsfeier im Münsteraner Dom stellen die Katecheten<br />

die Taufbewerber dem Bischof vor, in der Regel zu Beginn der Fastenzeit.<br />

Die Taufe selbst erfolgt dann nach alter Tradition in der<br />

Osternacht in der Pfarrkirche. Die dritte Phase der Vertiefung bis<br />

Pfingsten beschließt den Katechumenat. In den meisten Gemeinden<br />

beginnt die Vorbereitung allerdings erst am ersten Advent. Da<br />

nicht jede Gemeinde eine eigene Vorbereitung durchführt, finden<br />

sich Interessierte in Katechumenatsgruppen zusammen, die von<br />

einem erfahrenen Katecheten geleitet werden.<br />

Jede taufe ein Erlebnis<br />

Der Unterricht findet in Marienfeld alle zwei Wochen statt. Meistens<br />

dauert er zwei Stunden. Von der Vorbereitung profitiert auch<br />

das Umfeld, die schon getauften Lebenspartner, die Gemeinde und<br />

selbst die Katecheten. „Jede Taufvorbereitung war für mich ein<br />

Erlebnis“, lächelt Pater Gottfried. An einen Taufbewerber erinnert<br />

er sich besonders gern. Der junge Mann schrieb seine Doktorarbeit<br />

in Kunstgeschichte über die Abtei Marienfeld. Nach Abschluss seiner<br />

Studien ließ er sich 2011 taufen. Er hatte für sich erkannt, dass<br />

sich ihm dieser Ort nur erschloss, wenn er ihn auch aus der Perspektive<br />

des Glaubens betrachtete.<br />

Die Nachbereitung der Taufe ist ebenfalls ein Thema. „Viele Täuflinge<br />

fragen sich: Wo kann ich nachher andocken, mich weiter austauschen?“,<br />

sagt Oliver Lücke. Oft stelle es ein Problem dar, dass<br />

die Bewerber vor der Taufe eher die Exoten in der Gemeinde seien.<br />

Anschließend wären sie dann aber ganz „normale“ Christen. Das<br />

sieht Pater Gottfried ähnlich. Die Gruppe von 2010 etwa ist fest<br />

zusammengeblieben und trifft sich immer noch alle sechs bis acht<br />

Wochen zum Austausch.<br />

taufe, Firmung, Erstkommunion<br />

Wer <strong>als</strong> Kind getauft wurde, geht normalerweise mit acht oder<br />

neun Jahren zur Erstkommunion, später dann zur Firmung. Damit<br />

ist die sogenannte Initiation (Einführung) in das Christsein abgeschlossen.<br />

Ein Erwachsener wird deshalb in der Tauffeier zugleich<br />

gefirmt und geht zur ersten heiligen Kommunion. Auch Erwach­<br />

o r d E n t l i c H E s 23<br />

sene bekommen nach ihrer Taufe eine Kerze und haben einen Tauf­<br />

paten. Das kann der Ehepartner oder ein Freund sein. Wenn nötig,<br />

übernimmt ein Mitglied der Gemeinde diese wichtige Aufgabe.<br />

Und das Taufkleid? Hier muss Pater Gottfried passen. Statt eines<br />

ganzen Kleides wie bei Kleinkindern werde den Neugetauften ein<br />

weißer Taufschal umgelegt. Welche Tauffeier hat ihn besonders<br />

beeindruckt? Pater Gottfried überlegt einen Moment: „Die Taufe<br />

in der Osternacht 2011, da stimmte einfach alles, die äußere Feier<br />

und der innere Mitvollzug.“<br />

Oliver Lücke konstatiert mit Blick auf die Zukunft der Erwachsenentaufe,<br />

dass die Nachfrage „boomt“: „Die Zielgruppe wird größer,<br />

weil die alten Selbstverständlichkeiten wegbrechen.“ Die Zahl der<br />

Getauften könnte freilich höher sein, meint Pater Gottfried. Die<br />

Kirche müsste missionarischer wirken, überzeugt und offen sein.<br />

„Gastfreundliche Seelsorge“ nennt das Pater Gottfried. Ein Weg<br />

für die Kirche in schwierigen Zeiten? „In jedem Falle ein Weg für<br />

die Menschen“, ist Oliver Lücke überzeugt. Die getauften Erwachsenen<br />

bezeugen für ihn, was auch die Kirche verkündet: „Der<br />

Glaube hilft bei einem gelingenden Leben.“<br />

Text: Dr. Ralf Schupp<br />

Fotos: Ralph Man


24 t H E r a p i E<br />

t H E r a p i E 25<br />

Eine chance<br />

zurück ins leben<br />

Rehabilitation bei Abhängigkeits erkrankungen<br />

Karl Gruber* kam bereits in frühester Jugend mit Alkohol in Berührung. In der Familie<br />

und auch im Freundeskreis wurde viel Alkohol getrunken. „Ich habe gelernt, zu trinken.<br />

Wenn der Druck zu groß war, ein Problem nicht mehr lösbar, griff ich zur Flasche“, erzählt<br />

er über seine Alkoholabhängigkeit. Doch irgendwann ging es nicht mehr. „Die Angst vor<br />

dem totalen Zusammenbruch und dem finanziellen Ruin war so groß, dass ich nicht mehr<br />

weiterwusste.“<br />

Der 46­Jährige nimmt bereits zum zweiten Mal Anlauf, um „trocken“ zu werden. Den ersten<br />

Entzug hatte er 2008. Nach zweieinhalb Jahren fiel er erneut in ein „Lebensloch“. Der<br />

endgültige Abschied eines geliebten Menschen und die Trauer darüber ließen ihn rückfällig<br />

werden. 2011 wagte er einen neuen Schritt. Erst Entzug, dann stationärer Aufenthalt und<br />

jetzt Rehabilitation. Ein Jahr Zeit, um zu lernen, ohne Alkohol auszukommen. Seit fast vier<br />

Monaten ist Karl Gruber in der stationären Rehabilitation für Abhängigkeitserkrankte der<br />

<strong>Alexianer</strong> Krefeld <strong>GmbH</strong>.<br />

Alkoholabhängigkeit zählt in Deutschland zu den häufigsten Suchterkrankungen. Nach<br />

dem Drogen­ und Suchtbericht der Bundesregierung von Mai 2011 konsumieren 9,5 Mil­<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

lionen Menschen in Deutschland Alkohol<br />

in gesundheitlich riskanter Form. Etwa 1,3<br />

Millionen Menschen sind alkoholabhängig.<br />

In der <strong>Alexianer</strong> Krefeld <strong>GmbH</strong> durchliefen<br />

612 Patienten im Jahr 2011 einen Entzug.<br />

Zu einer Rehabilitation entschlossen sich in<br />

diesem Jahr 102 Patienten.<br />

Entgiftung allein reicht nicht<br />

Dr. Helmut Eich, Facharzt für Psychiatrie<br />

und Psychotherapie, ist Ärztlicher Leiter der<br />

Rehabilitation für Abhängigkeitserkrankungen<br />

der <strong>Alexianer</strong> Krefeld <strong>GmbH</strong>. Er weiß:<br />

Entgiftung allein reicht nicht aus. Der Stellenwert<br />

der anschließenden Rehabilitation<br />

wird immer wichtiger. „Jeder Patient hat<br />

eine persönliche Lebensgeschichte, die ihn<br />

zum Alkoholmissbrauch und zur Abhängigkeit<br />

geführt hat.“ Bei der Alkoholerkrankung<br />

spricht die Medizin von einem<br />

biopsychosozialen Geschehen, da sowohl<br />

körperliche und psychische Faktoren wie<br />

auch das soziale Umfeld eine Rolle spielen.<br />

Diese Problematik kann nicht innerhalb<br />

einer Entzugsbehandlung von rund zwei<br />

Wochen bearbeitet werden. In der Rehabilitation gibt es daher ein umfangreiches medizinisches,<br />

psychotherapeutisches und soziales Behandlungsangebot. Auch werden neben<br />

Alltagstrainings kreative, kulturelle und sportliche Aktivitäten durchgeführt.<br />

„Während der Behandlung durchläuft der Patient verschiedene Phasen. Die Behandlung<br />

sollte geplant mit einer Einweisung über den Haus­ oder Facharzt beginnen. Leider kann<br />

es aber auch zur akuten Einlieferung ins <strong>Krankenhaus</strong> aufgrund einer Alkoholvergiftung<br />

kommen. Dann folgt eine Phase der stationären qualifizierten Entgiftung. An diese Entgiftungsbehandlung<br />

ist es sinnvoll, eine Rehabilitation anzuschließen“, erklärt Dr. Eich den<br />

Stufenplan bei der Behandlung.<br />

den Willen festigen<br />

„In der Phase der qualifizierten Entzugsbehandlung sehen wir häufig Patienten, die allein<br />

nicht über eine gewisse Zeit abstinent leben können. Wir können schon während der Entzugsbehandlung<br />

einen Antrag auf nahtlose Übernahme in die Rehabilitation bei den Rentenversicherungsträgern<br />

stellen“, beschreibt Eich den organisatorischen Ablauf. Die Rehabilitation<br />

kann ganztägig ambulant oder stationär durchgeführt werden. Sie dauert in der<br />

Regel 16 Wochen.<br />

„Dies klingt sehr lange, ist es aber ganz und gar nicht. Früher dauerten die Behandlungen<br />

sechs Monate, eine Verlängerung auf acht Monate war möglich. Heute rate ich vielen<br />

Rehabilitanden, eine ambulante Rehabilitation nachstationär anzuschließen“, sagt Eich.<br />

Diese Nachsorgebehandlung dauert bis zu einem halben Jahr. Sie dient dazu, den in der<br />

Rehabilitation erarbeiteten Abstinenzwillen zu festigen und in das berufliche und private<br />

Die Kosten für eine Rehabilitation trägt<br />

meist die Rentenversicherung. Die Rheinische<br />

Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation<br />

(RAG) bei der Deutschen Rentenversicherung<br />

Rheinland ist speziell auf Abhängigkeitserkrankungen<br />

ausgerichtet.<br />

Herr Schier, was genau macht die<br />

RAG? Die Arbeitsgemeinschaft beschäftigt<br />

sich mit der Rehabilitation Alkohol­,<br />

Medikamenten­ und Drogenabhängiger. Sie<br />

entscheidet im Auftrag unserer Mitglieder<br />

über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation<br />

in stationärer, ganztägig ambulanter<br />

und ambulanter Form. Wir arbeiten<br />

beispielsweise mit Beratungs­ und Behandlungsstellen,<br />

Kliniken und niedergelassenen<br />

Ärzten, die Abhängigkeitskranke betreuen,<br />

eng zusammen. Die Begleitung und Betreuung<br />

der Versicherten während der medizinischen<br />

Rehabilitation gehört ebenso zu<br />

unseren Aufgaben wie die Sicherstellung<br />

der quantitativ und qualitativ erforderlichen<br />

Angebote zur Rehabilitation.<br />

Wie effektiv ist die ambulante oder<br />

stationäre Rehabilitation? So unterschiedlich<br />

und vielfältig wie die Bedürfnisse<br />

der Patienten sind, muss auch das entsprechende<br />

Behandlungsangebot sein. Den verschiedenen<br />

Rehabilitationsformen kommt<br />

dabei in gleicher Weise Bedeutung zu.<br />

Auch die Kombination von ambulanter und<br />

stationärer Rehabilitation ist eine sinnvolle<br />

<strong>Altern</strong>ative.<br />

Wie sieht die Entwicklung der Rehabilitationsleistungen<br />

in den letzten<br />

zehn Jahren aus? Was die reine<br />

Antragszahl betrifft, haben wir in den letzten<br />

Jahren eine relativ konstante Entwicklung.<br />

Es fällt allerdings auf, dass die klas­<br />

Leben zu integrieren. Langfristig sollten sich<br />

Patienten einer Selbsthilfegruppe anschließen,<br />

um sich weiter mit der Alkoholproblematik<br />

auseinanderzusetzen.<br />

Ein hoffnungsvoller<br />

Wendepunkt<br />

Dr. Eich sieht in den letzten Jahren Veränderungen<br />

in der Suchtbehandlung: „Wir<br />

sehen hier deutlich mehr kränkere Patienten.<br />

Neben der Alkoholerkrankung finden<br />

wir vermehrt psychische Erkrankungen,<br />

wie Angsterkrankung, Depression oder<br />

Persönlichkeitsstörung, aber auch körperliche<br />

Erkrankungen im Bereich von Leber,<br />

Magen, Bauchspeicheldrüse oder Gehirn.“<br />

Für Karl Gruber ist die Rehabilitation vor<br />

allem ein Wendepunkt: „Zum ersten Mal<br />

sehe ich auch meine <strong>Chance</strong> im Leben“,<br />

sagt er hoffnungsvoll.<br />

Texte: Barbara Krause<br />

Fotos: Damian Zimmermann<br />

Beratung und Betreuung in der Rehabilitation<br />

sische Aufteilung zwischen Alkohol­ und<br />

Medikamentenabhängigen sowie Drogenabhängigen<br />

zunehmend durch Mischformen,<br />

<strong>als</strong>o den gleichzeitigen Konsum mehrerer<br />

Substanzen, abgelöst wird. Neben der<br />

reinen Abhängigkeit spielen auch das Auftreten<br />

zusätzlicher Erkrankungen (Komorbidität)<br />

und psychiatrische Nebendiagnosen<br />

eine immer größere Rolle.<br />

der Experte<br />

Wolf Schier ist<br />

Geschäftsführer der<br />

Rheinischen Arbeitsgemeinschaft<br />

für<br />

Rehabilitation (RAG)<br />

bei der Deutschen<br />

Rentenversicherung<br />

Rheinland in Düsseldorf<br />

(www.deutsche-rentenversicherung-rheinland.de).


26 a l E x i a n E r Vo r o r t<br />

a l E x i a n E r Vo r o r t 27<br />

in dieser rubrik finden sie wichtige nachrichten der alexianer bundesweit. Egal ob innovative projekte,<br />

Veranstaltungen und Feste oder Baumaßnahmen – wir halten sie auf dem laufenden<br />

Dr. Jens-Holger Moll, Leiter der neuen<br />

Neurologischen Gefäßambulanz<br />

Potsdam. Am 1. Januar öffnete die erste KV<br />

RegioMed Bereitschaftsdienstpraxis in Brandenburg<br />

ihre Pforten. Partner des Pilotprojektes<br />

sind die Kassenärztliche Vereinigung (KV)<br />

Brandenburg, die Krankenkassen AOK Nordost<br />

und BARMER GEK.<br />

Die Praxis befindet sich in unmittelbarer Nähe<br />

neue neurologische gefäßambulanz<br />

Krefeld. Eine zentrale Aufgabe der Klinik für<br />

Neurologie am <strong>Krankenhaus</strong> Maria­Hilf in Kre­<br />

feld ist die Schlaganfallbehandlung. Die im<br />

Oktober gegründete Neurologische Gefäßambulanz<br />

ergänzt das Behandlungsangebot für<br />

die Patienten. Die Klinik für Neurologie bietet<br />

neben der Diagnose und Behandlung von<br />

neurologischen Akuterkrankungen eine neu­<br />

Erste Bereitschaftspraxis an einem krankenhaus<br />

im land Brandenburg<br />

Verleihung des TK-Klinikus-Preises 2011 (v. r.): Alexander<br />

Grafe, Geschäftsführer, und Brigitte Jochum, Marketing /<br />

Öffentlichkeitsarbeit (beide St. Hedwig Kliniken Berlin),<br />

mit Susanne Hertzer, Leiterin TK Landesvertretung<br />

(Foto: Techniker Krankenkasse)<br />

zur Rettungsstelle des St. Josefs­<strong>Krankenhaus</strong>es<br />

Potsdam. Die Wahl fiel ganz bewusst auf<br />

das St. Josefs­<strong>Krankenhaus</strong>, da es sich hier<br />

um ein familiäres Traditionshaus mit moderner<br />

Medizin handelt, in dem der Patient im<br />

Mittelpunkt steht.<br />

neue Einrichtung für junge pflegebedürftige<br />

Köln. Die <strong>Alexianer</strong> in Köln realisieren eine<br />

neue Einrichtung für junge Pflegebedürftige:<br />

Haus Stephanus. Dazu wird 2013 auf einem<br />

erbgepachteten Grundstück der Kirchengemeinde<br />

Heilige Dreifaltigkeit in Köln­Poll eine<br />

moderne Einrichtung für junge pflegebedürftige<br />

Menschen mit 48 Plätzen fertiggestellt<br />

werden.<br />

Berlin. Die <strong>Alexianer</strong>­Krankenhäuser Hedwigshöhe<br />

und St. Hedwig wurden Ende 2011<br />

mit dem Klinikus­Preis der Techniker Krankenkasse<br />

(TK) ausgezeichnet. Grundlage war eine<br />

Befragung unter mehr <strong>als</strong> 200.000 Versicherten<br />

bundesweit. Susanne Hertzer, TK­Chefin<br />

in Berlin und Brandenburg, betonte: „Die<br />

Patienten der St. Hedwig Kliniken sind überdurchschnittlich<br />

zufrieden.“ Im <strong>Krankenhaus</strong><br />

Hedwigshöhe wurde neben der medizinischen<br />

Leistung der Ärzte die Küchenleistung positiv<br />

hervorgehoben. Im St. Hedwig­<strong>Krankenhaus</strong><br />

waren die Patienten besonders zufrieden<br />

mit der Betreuung durch die Pfleger und<br />

rologische Frührehabilitation und ein Zentrum<br />

für ambulante neurologische Rehabilitation.<br />

Zur ambulanten Vor­ und Nachsorge<br />

von Schlaganfällen wurde die Neurologische<br />

Gefäßambulanz eingerichtet. Leiter der neuen<br />

Ambulanz ist der leitende Oberarzt der Klinik<br />

Dr. med. Jens­Holger Moll.<br />

auszeichnung für besonders zufriedene patienten<br />

Zusätzlich entstehen dort elf Appartements im<br />

Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Direkt<br />

neben der neuen Einrichtung liegt der Kindergarten<br />

der <strong>Alexianer</strong>. Schon seit einigen<br />

Jahren machen die <strong>Alexianer</strong> in Münster und<br />

Köln jungen Pflegebedürftigen interessante<br />

Wohn­ und Betreuungs angebote.<br />

mit der Zeit, die sich die Ärzte nehmen. Der<br />

TK­Klinikführer unterstützt bei der <strong>Krankenhaus</strong>wahl.<br />

Er stellt neben subjektiven Patientenbewertungen<br />

medizinische Parameter wie<br />

Qualitätsberichte der Kliniken dar. Rund 1.000<br />

Kliniken werden hinsichtlich der Patientenzufriedenheit<br />

in den Kategorien allgemeine<br />

Zufriedenheit, Behandlungsergebnis, medizinisch­pflegerische<br />

Versorgung, Information<br />

und Kommunikation sowie Organisation und<br />

Unterbringung bewertet. Nur Krankenhäuser,<br />

die in allen fünf Kategorien überdurchschnittlich<br />

gut abschneiden, erhalten den gläsernen<br />

Klinikus.<br />

So wird sie aussehen:<br />

die geplante neue Einrichtung in Köln-Poll<br />

Bischof Dr. Gerhard Feige beim Rundgang mit<br />

Pflegedirektorin Heike Seiffert<br />

alexianer-Waschküche ist eröffnet<br />

Münster. Zur Vorwäsche eine deftige Suppe,<br />

der Hauptwaschgang begleitet von einem<br />

schmackhaften Snack, geschleudert wird parallel<br />

zum Espresso und gespült wird bei einem<br />

süßen Cocktail. Arbeit und Vergnügen lassen<br />

sich so nur in der neuen <strong>Alexianer</strong>­Waschküche<br />

kombinieren. Das Eventcafé, in dem<br />

sich auch im wahrsten Sinne „schmutzige<br />

Wäsche“ reinigen lässt, öffnete Mitte Oktober<br />

2011 seine Pforten in der Bahnhofstraße 6 in<br />

Blick in die neue Etage<br />

nachnutzung der twistringer klinik<br />

Landkreis Diepholz. Der Umzug der Klinik<br />

für Psychiatrie von Twistringen nach Bassum<br />

ist für Anfang 2014 geplant. Nicht nur die<br />

Planungen für den Neubau laufen auf Hochtouren,<br />

sondern auch für die Nachnutzung<br />

der Räumlichkeiten in der Twistringer Klinik.<br />

„Einen bunten Strauß an Möglichkeiten<br />

hat der Klinikverbund bereits erarbeitet“,<br />

sagte Twistringens Bürgermeister Karl Meyer.<br />

Bischof dr. gerhard Feige zu gast im st. Joseph-krankenhaus<br />

Dessau. Bischof Dr. Gerhard Feige besuchte<br />

Ende Januar 2012 die Stadt Dessau­Roßlau.<br />

Neben Besuchen in einer Kita, einem Gemeindenachmittag<br />

in Oranienbaum und einem<br />

Aufenthalt in einer Lernbehinderten­Schule<br />

stand ein Besuch im St. Joseph­<strong>Krankenhaus</strong><br />

auf dem Programm des Bischofs von Magdeburg.<br />

Die Mitarbeiter des <strong>Krankenhaus</strong>es<br />

freuten sich, den Bischof wieder in ihrer Einrichtung<br />

begrüßen zu dürfen und ihm die<br />

Münsters Innenstadt und bietet Menschen mit<br />

Behinderungen integrative Arbeitsmöglichkeiten<br />

in den Bereichen Textilreinigung und<br />

Gastronomie.<br />

Wichtige Bauetappe abgeschlossen<br />

Aachen. Das <strong>Alexianer</strong>­<strong>Krankenhaus</strong> in<br />

Aachen wird umfangreich modernisiert. Jetzt<br />

konnte eine wichtige Bauetappe abgeschlossen<br />

werden. Über der Station Anna 2 wurde<br />

ein 500 Quadratmeter großer Besprechungs­,<br />

Behandlungs­ und Sekretariatsbereich in<br />

Betrieb genommen. Das Herzstück der Etage<br />

bildet der große Tagungsraum, der rund 70<br />

Sitzplätze für Besprechungen, Weiterbildun­<br />

„Das multiple Konzept hat viele <strong>Chance</strong>n“,<br />

ergänzte Dechant Monsignore Reinhard<br />

Molitor. Neben der geplanten Tagesklinik für<br />

Kinder­ und Jugendpsychiatrie des Kinderhospit<strong>als</strong><br />

am Schölerberg (Osnabrück) sind<br />

weitere Möglichkeiten im Gespräch.<br />

Entwicklung seit seinem letzten Besuch zur<br />

Einweihungsfeier im September 2008 vorzustellen.<br />

Empfangen wurde Bischof Feige<br />

von Pflegedirektorin Heike Seiffert, stellvertretend<br />

für die Direktoriumsmitglieder. Nach<br />

einer Gesprächsrunde mit Mitarbeitern aus<br />

verschiedenen Bereichen und Berufsgruppen<br />

besichtigte Bischof Feige Stationen des <strong>Krankenhaus</strong>es,<br />

die er 2008 geweiht hatte.<br />

Vertreter der <strong>Alexianer</strong> und Beschäftigte mit<br />

(2. u. 3. v. r.): Karl-Josef Laumann, Vorsitzender des<br />

Stiftungsrates der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW,<br />

sowie Ulrich Adlhoch, Leiter des Integrationsamtes<br />

des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL)<br />

gen und die täglichen Ärztekonferenzen bietet.<br />

Er kann durch eine mobile Trennwand<br />

in zwei kleinere Einheiten geteilt werden.<br />

Auf der Ebene befinden sich noch ein zweiter<br />

kleinerer Besprechungsraum sowie zwei<br />

Büros, ein Therapieraum und eine Kinderspielecke.<br />

Die Besprechungsräume verfügen über<br />

moderne Audio­ und Videotechnik.<br />

Erarbeiten mit dem Landkreis die Nachnutzung (v. r.):<br />

Bürgermeister Karl Meyer, Dechant Monsignore<br />

Reinhard Molitor und St. Ansgar-Geschäftsführer<br />

Thomas Pilz


28 M E d i z i n<br />

M E d i z i n 29<br />

die<br />

schaufenster krankheit<br />

Gefäßerkrankungen werden oft unterschätzt. Dabei können sie<br />

Vorboten sein für Herzinfarkt und Schlaganfall<br />

Herz­ und Gefäßerkrankungen sind bei Frauen und Männern in Deutschland Todesursache<br />

Nummer eins. Allein jeder fünfte Erwachsene über 65 leidet an der peripheren arteriellen<br />

Verschlusskrankheit (PAVK). Bei der PAVK setzen sich die Becken­Bein­Arterien, die Hauptschlagadern<br />

in den Beinen, immer weiter zu. Folge ist eine Minderdurchblutung des Gewebes<br />

und der Muskeln mit starken Schmerzen beim Gehen.<br />

„Bei einer Herzerkrankung sind alle alarmiert. Wenn aber ‚nur’ eine Durchblutungsstörung<br />

vorliegt, unterschätzen viele die Erkrankung“, sagt Privatdozent Dr. Christoph Kalka, Vorstandsmitglied<br />

der Deutschen Gefäßliga. „Die mitunter tödliche Gefahr wird übersehen.“<br />

Gefäßerkrankungen sind sogenannte systemische Erkrankungen. Das bedeutet: Von einer<br />

Gefäßerkrankung ist meist der ganze Körper betroffen. So hat jeder zweite Erkrankte mit<br />

Durchblutungsstörungen in der Becken­Bein­Arterie zusätzlich eine Erkrankung der Herzkranzgefäße,<br />

die koronare Herzkrankheit. „70 Prozent der Betroffenen sterben an den Folgen<br />

eines Herzinfarktes. Die Lebenserwartung von PAVK­Patienten ist zehn Jahre geringer<br />

<strong>als</strong> bei Vergleichspersonen“, verdeutlicht Kalka. „Was die Gefäßerkrankung so gefährlich<br />

macht, ist ihr schleichender Verlauf.“ Die meisten Betroffenen haben keine Beschwerden,<br />

obwohl sich die Krankheit über Jahre hinweg langsam entwickelt. Die Schmerzen kommen<br />

dann meist plötzlich und in Schüben.<br />

Unfreiwillige zwischenstopps<br />

Dieter Farn* aus Brühl bei Köln ist PAVK­Patient. Sein Hausarzt verwies ihn an Dr. Kalka.<br />

„Ich hatte zunächst nur leichte Beschwerden beim Gehen“, erzählt der 63­Jährige. „Dann<br />

konnte ich nur noch einen Kilometer schmerzfrei gehen. Und die Strecke verringerte sich<br />

weiter. Ich blieb immer wieder vor Schaufenstern stehen, weil ich vor Schmerzen nicht<br />

mehr konnte.“ Wegen der unfreiwilligen Zwischenstopps trägt die Krankheit den volkstümlichen<br />

Namen Schaufensterkrankheit.<br />

In den meisten Fällen ist eine Arteriosklerose (Arterienverkalkung) die Ursache für die<br />

Schaufensterkrankheit. „Arterien sind die Blutgefäße, die das sauerstoffreiche Blut zu<br />

den Organen transportieren. Bei der Arteriosklerose werden Fett und Kalk in die Arterien­<br />

*Name von der Redaktion geändert<br />

wand eingelagert. Dadurch wird die Arterie<br />

allmählich geschlossen“, erklärt Kalka.<br />

Die Folge kann eine zunehmende Verengung<br />

der Arterien mit Verminderung des<br />

Blutflusses sein. Durch ein Gerinnsel kann<br />

das Gefäß aber auch plötzlich komplett verstopfen.<br />

Je nachdem, wo das passiert, drohen<br />

Herzinfarkt oder Schlaganfall; am Bein<br />

droht die Amputation einzelner Zehen bis<br />

hin zum gesamten Oberschenkel.<br />

schonende Eingriffe<br />

Der Gefäßexperte führt bei Gehbeschwerden<br />

im Wesentlichen zwei Untersuchungen<br />

durch: Er misst den Blutdruck an den<br />

Knöchelgefäßen und bestimmt hierüber<br />

den sogenannten Knöchel­Arm­Index (ABI),<br />

der die Durchblutung der Beine anzeigt.<br />

Dies erfolgt in Ruhe und nach Belastung<br />

auf dem Laufband mit gleichzeitiger Erhebung<br />

der schmerzfreien Gehstrecke. Farn<br />

hatte auf dem Laufband bereits bei 180<br />

Metern leichte Beschwerden, nach rund<br />

250 Metern konnte er nicht weiter gehen.<br />

Die Ultraschalluntersuchung bestätigte den<br />

klinischen Verdacht und lieferte klare Anzeichen<br />

dafür, dass ein Verschluss in der Oberschenkelschlagader<br />

vorlag.<br />

„Bei Gehbeschwerden rate ich zunächst zu<br />

einer konservativen Behandlung, etwa mit<br />

Gefäßsport, mediterraner Kost und Medikamenten. Wenn die Lebensqualität aber erheblich<br />

eingeschränkt ist oder eine bedeutsame Durchblutungsstörung vorliegt, kann der Verschluss<br />

mit einem Katheter aufgedehnt werden“, nennt Kalka Möglichkeiten der Behandlung.<br />

Ein Katheter besteht aus einem langen mit einem entfaltbaren Ballon verbundenen<br />

Kunststoffschlauch, der in die Arterie eingeführt wird. Wenn der Ballon mit Luft gefüllt<br />

wird, drückt er den Kalk in die Gefäßwand zurück und die Verstopfung ist gelöst.<br />

Eine weitere Methode ist die Aufdehnung des Gefäßes mit einem „Stent“, einem kleinen<br />

Rohr, das in die Arterie gesetzt wird und sie so offen hält. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich<br />

die Arterie mit Stent wieder schließt, liegt bei 20 bis 30 Prozent binnen eines Jahres.<br />

Im Unterschied zu chirurgischen Eingriffen wird der Patient bei diesen „interventionellen“<br />

Verfahren örtlich betäubt, nur winzige Hautschnitte sind nötig. In der Regel kann der Patient<br />

nach einer Bettruhe von sechs bis zwölf Stunden aufstehen und am Folgetag wieder<br />

ganz normal gehen.<br />

gesunde lebensweise<br />

Regelmäßige Nachuntersuchungen sind wichtig, um Komplikationen entgegenzuwirken.<br />

„Es ist nicht ganz einfach, die Gefäße unter Kontrolle zu halten“, betont Kalka, „weil die<br />

Gefäßverkalkung sich ständig weiterentwickelt.“ Der Patient muss durch seinen Lebensstil<br />

an seiner Gesunderhaltung mitwirken. Rauchen, Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte<br />

und eine bestehende Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) erhöhen das Risiko für die Entstehung<br />

und das Fortschreiten einer Gefäßerkrankung. „Wer seinen Gefäßen etwas Gutes<br />

tun will, sollte sich deshalb ausgewogen ernähren mit viel Gemüse und wenig Fleisch, sich<br />

regelmäßig bewegen, nicht rauchen und wenig Alkohol, sonst aber mindestens anderthalb<br />

Liter Flüssigkeit täglich trinken“, gibt Kalka praktische Tipps.<br />

Dieter Farn hat sich nach seiner Katheterbehandlung sehr gut erholt und achtet auf seinen<br />

Lebensstil. Seit dem Eingriff ist er Mitglied in einer Gefäßsportgruppe. Gemeinsam<br />

mit anderen trainiert er einmal wöchentlich unter fachlicher Anleitung. Die Teilnehmer<br />

gehen gemeinsam, auch auf den Zehen und über verschiedene Materialien, sie machen<br />

Streck­ und Dehnübungen. Dieter Farn hat<br />

seine Lebensqualität zurückerlangt: Endlich<br />

ist er auch wieder wie vor seinen Beschwerden<br />

<strong>als</strong> Fußball­Schiedsrichter unterwegs –<br />

ohne Schmerzen!<br />

Text: Karina Kirch / Manuela Wetzel<br />

Foto: Mascha Lohe<br />

Weitere Informationen:<br />

www.deutsche­gefaessliga.de<br />

der Experte<br />

Privatdozent Dr. med.<br />

Christoph Kalka (46),<br />

Facharzt für Innere<br />

Medizin und Angiologie,<br />

ist Chefarzt<br />

der Inneren Medizin I<br />

– Kardiologie / Angio-<br />

logie am Marien-<br />

hospital Brühl. Er hat einen Lehrauftrag der<br />

Universität zu Köln und ist Vorstandsmitglied<br />

der Deutschen Gefäßliga e. V. Die Angiologie<br />

befasst sich <strong>als</strong> Teilgebiet der Inneren Medizin<br />

mit Gefäßerkrankungen. Für ihre Forschung zur<br />

Schaufensterkrankheit erhielten Kalka und seine<br />

frühere Forschungsgruppe am Universitätsklinikum<br />

in Bern (Schweiz) in den letzten Jahren<br />

mehrere Preise.


30<br />

s E i t E n W E c H s E l<br />

kinderhospizarbeit<br />

in deutschland<br />

Situation nach wie vor unbefriedigend<br />

In der Rubrik Seitenwechsel stellen sich Organisationen selbst vor,<br />

diesmal der Bundesverband Kinderhospiz e. V.<br />

Kinderhospize begleiten Kinder mit unheilbaren Erkrankungen gemeinsam mit ihren Familien<br />

bis zum Tode des erkrankten Kindes und in der Trauerzeit. Sie sorgen für Unterstützung<br />

und Entlastung auf diesem schweren Weg.<br />

Eine kaum lösbare aufgabe<br />

Das Leben der betroffenen Familien ändert sich mit der Diagnose radikal. Sie stehen<br />

plötzlich vor der kaum lösbaren Aufgabe, das Unbegreifliche zu begreifen und dabei<br />

gleichzeitig den Alltag organisieren und eine neue Lebensperspektive entwickeln zu müssen.<br />

Zudem wachsen Geschwisterkinder angesichts dieser Situation in einem Spannungsfeld<br />

zwischen Behütung und Auf­sich­selbst­gestellt­Sein auf. Allein ist niemand einer<br />

solchen Belastung gewachsen. Die Eltern nicht, die Kinder nicht, die ganze Umgebung<br />

der Betroffenen nicht.<br />

Der Bundesverband Kinderhospiz e. V. ist der Dachverband der Kinderhospizorganisationen<br />

in Deutschland. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht die Würde lebensverkürzt erkrankter<br />

Kinder, Jugendlicher und junger Erwachsener und ihrer Angehörigen. Wesentliches<br />

Merkmal seines Handelns sind Respekt, Wertschätzung, Toleranz, Offenheit und Achtung<br />

jedermann gegenüber. Er wurde 2002 gegründet und ist <strong>als</strong> gemeinnützige Organisation<br />

anerkannt. Er arbeitet unabhängig, überparteilich und überkonfessionell. Als Verband versteht<br />

er sich <strong>als</strong> Motor für eine gemeinsame und starke Kinderhospizarbeit in Deutschland<br />

und <strong>als</strong> Dienstleister für seine Mitglieder,<br />

für Interessenten, Politik, Fachleute, Ehrenamtliche<br />

und Unterstützende. Er setzt in<br />

der Zusammenarbeit mit seinen Mitgliedern<br />

neue Impulse in Konzeption, Wissenschaft<br />

und Fortbildung. Das Fundament seiner<br />

Arbeit bilden die traditionellen Kinderhospizideen<br />

in Anlehnung an die Definition der<br />

Weltgesundheitsorganisation (WHO) und<br />

ICPCN­Charta („International Children's<br />

Palliativ Care Network“, internationales<br />

Netzwerk für Palliativversorgung).<br />

Einheitliche regelungen<br />

fehlen<br />

Obwohl die Politik neue Rahmenverträge<br />

für Kinderhospiz­Einrichtungen geschaffen<br />

hat, ist die Situation der betroffenen Familien<br />

nach wie vor unbefriedigend. In den<br />

Bundesländern gibt es auch mit der neuen<br />

Gesetzeslage keine einheitliche Kostenerstattung:<br />

Je nach Land und Krankenkasse<br />

werden viele Aufenthalte nicht <strong>als</strong> Hospizaufenthalte<br />

bewilligt. Weiterhin sind Hospize<br />

auf Spenden angewiesen, was den Einrichtungen<br />

und der gesamten Bewegung<br />

auf Dauer schaden wird. So setzt sich der<br />

Bundesverband Kinderhospiz e. V. dafür ein,<br />

die so wichtigen Rahmenbedingungen der<br />

Kinderhospizarbeit auf bundesweit einheitliche<br />

Bedingungen zu konzentrieren.<br />

Der Bundesverband Kinderhospiz e. V. ist<br />

Mitglied im Kindernetzwerk und in der DGP<br />

(Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin).<br />

Er hat die Vizepräsidentschaft des ICPCN<br />

inne. Aus dem Bundesverband hervorgegangen<br />

ist im Jahr 2007 die Bundesstiftung<br />

Kinderhospiz (www.bundesstiftung­kinderhospiz.de),<br />

die <strong>als</strong> mildtätige Stiftung Kinderhospizarbeit<br />

in Deutschland fördert und<br />

unterstützt.<br />

Text: Rainer Rettinger, Marketing und Fundraising,<br />

Bundesverband Kinderhospiz e. V.<br />

Foto: www.daniel-schumann.com<br />

scherzhaft:Taschenuhr<br />

franz.:<br />

Frau<br />

ein<br />

wenig,<br />

ein<br />

bisschen<br />

Sportfischer<br />

brasil.<br />

Hafenstadt<br />

(Kurzw.)<br />

Zeichen<br />

für<br />

Tellur<br />

reißendes<br />

Tier<br />

kleine<br />

Lichterscheinungen<br />

länglicheVertiefungnordeurop.<br />

Volk<br />

inhaltslos<br />

die<br />

Sonne<br />

betreffend<br />

Abk.:<br />

Postskriptum<br />

Buckel<br />

des<br />

Kamels<br />

ein<br />

MedikamentlänglicherHohlkörperunbestimmter<br />

Artikel<br />

Darstellung<br />

d.<br />

Erdoberfläche<br />

Schutz<br />

für<br />

Wunden<br />

in der<br />

Antike:<br />

Himmelsgewölbe<br />

kurz für:<br />

in dem<br />

Fraktur<br />

fein<br />

regnen<br />

vernebelteFlüssigkeit<br />

Abk.:<br />

Oberinspektor<br />

Warenaus-,-einfuhrverbot<br />

weibliches<br />

Huftier<br />

Fußballklub<br />

aus<br />

Mailand<br />

(Kurzw.)<br />

erblicken<br />

planieren<br />

Verhalten,Benehmen<br />

Brauchtum<br />

affektiert<br />

Bratenbeigabe<br />

(franz.)<br />

Provinz<br />

in<br />

Kanada<br />

Wasserstelle<br />

für Tiere<br />

österr.:<br />

Rahm<br />

Briefbeginn<br />

Handbewegung<br />

Stromerzeuger<br />

am<br />

Fahrrad<br />

Leichtathlet<br />

Weißwal<br />

Wohnsiedlung<br />

Heiterkeitserfolg<br />

kurz für:<br />

Spiritus<br />

Fechtwaffe<br />

Weite,<br />

Fremde<br />

Bewohner<br />

der<br />

schweiz.<br />

Hptst.<br />

Abk.:<br />

Arbeitskreis<br />

geflochtener<br />

Behälter<br />

Schmetterlingslarve<br />

kurz:<br />

Religionsunterricht<br />

Stadt in<br />

Oberösterreich<br />

englischeSchulstadt<br />

Teil<br />

eines<br />

Schreibgerätes<br />

englisch:<br />

weich<br />

unterer<br />

Gesichtsteil<br />

Comicfigur<br />

(... und<br />

Struppi)<br />

hasten<br />

Abk.:<br />

Ankunft<br />

japanischerReiswein<br />

Schmiervorrichtung<br />

Initialen<br />

von<br />

Gershwin<br />

† 1937<br />

Teil des<br />

Klaviers<br />

Abk.:<br />

Dienstag<br />

Schriftstellerin<br />

Abk.:<br />

rund<br />

gesetzlich,rechtmäßig<br />

geregelter<br />

Zustand<br />

Singvogel<br />

eingeschränkt<br />

berittener<br />

kanad.<br />

Polizist<br />

Bundesländer<br />

der<br />

Schweiz<br />

®<br />

s1224.1-12<br />

impressum<br />

r ät s E l / i M p r E s s U M 31<br />

Herausgeber<br />

<strong>Alexianer</strong> <strong>GmbH</strong><br />

<strong>Alexianer</strong>weg 9, 48163 Münster<br />

V.i.S.d.P.<br />

Gerald Oestreich, Geschäftsführer<br />

Redaktion<br />

Britta Ellerkamp (verantwortliche Redakteurin),<br />

Georg Beuke, Carmen Echelmeyer, Kristof<br />

von Fabeck­Volkenborn, Barbara Krause,<br />

Dr. Ralf Schupp<br />

Anschrift der Redaktion<br />

<strong>Alexianer</strong> <strong>GmbH</strong><br />

Redaktion „<strong>Alexianer</strong>“<br />

Kölner Str. 64, 51149 Köln<br />

Tel. (0 22 03) 36 91­1 11 18<br />

E­Mail: bellerkamp@alexianer.de<br />

www.alexianer.de<br />

Endredaktion<br />

Schwarz auf Weiß, Manuela Wetzel<br />

Büro für Text, Redaktion und PR<br />

E­Mail: info@schwarz­auf­weiss­online.de<br />

Mitarbeit<br />

Daniela Böhle, Karina Kirch, Bettina Stühler<br />

Satz, Gestaltung<br />

neo design consulting, Bonn, www.neodc.de<br />

Design-Konzept<br />

kakoii Berlin<br />

Fotos<br />

Kai Schenk (Editorial, Kurz notiert / Demenz, S. 19),<br />

privat, Archiv der <strong>Alexianer</strong><br />

Verlag, Anzeigenverwaltung und<br />

Herstellung<br />

Grafische Werkstatt Druckerei und Verlag<br />

Gebrüder Kopp <strong>GmbH</strong> & Co. KG<br />

Dieselstraße 2, 50996 Köln<br />

Tel: (02 21) 3 76 97­0, Fax: (02 21) 3 76 97­39<br />

Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder<br />

kann keine Gewähr übernommen werden. Namentlich<br />

gekennzeichnete Bei träge stimmen nicht unbedingt<br />

mit der Meinung des Heraus gebers überein.<br />

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns<br />

gegen eine durchgängige Ver wen dung männlicher<br />

und weiblicher Begriffe entschieden. Begriffe wie<br />

„Patienten“ und „Mitarbeiter“ usw. sind daher auch<br />

im Sinne von „Patientinnen“ und „Mitarbeiterinnen“<br />

zu verstehen.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

die Redaktion des <strong>Alexianer</strong>­Magazins freut sich,<br />

dass so viele Menschen bereit sind, aus ihrer Lebensgeschichte<br />

und von ihren Erfahrungen mit Krankheit<br />

und gesellschaftlichen Veränderungen zu berichten.<br />

Oft gehen diese Berichte den Betroffenen sehr<br />

nah. Deshalb sind in manchen Beiträgen in diesem<br />

Magazin die Namen der Betroffenen verändert, um<br />

ihre Privatsphäre zu schützen. Dafür bitten wir um<br />

Ihr Verständnis. Dennoch sind die berichteten Fälle<br />

selbstverständlich alle authentisch.<br />

Die Redaktion<br />

Auflage: 7.000


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