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Familiäre Ursachen

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Was Aggression auslöst<br />

<strong>Ursachen</strong> und Erklärungen<br />

-Handout-<br />

Jugendhilfe und Polizei<br />

Junge Gewalt und Intensivtäter – hat<br />

Prävention eine Chance<br />

Aggression<br />

Schwenningen, 20. September 2012<br />

Norbert Grulke<br />

Luisenklinik<br />

norbert.grulke@luisenklinik.de<br />

� Es gibt keine allgemeingültige Definition für<br />

Aggression<br />

� Aggression in meinem Vortrag als ein<br />

� Verhalten, dass eine potentielle oder reale<br />

Schädigung des Gegenübers zum Ziel hat


Aggression als menschlicher<br />

Trieb?<br />

� Aggression und Neurobiologie<br />

� Motivations- und Belohnungssystem des Gehirns wird aktiviert,<br />

wenn wir positive (evolutionär sinnvolle) Erfahrungen machen<br />

oder uns (evolutionär) „erfolgreich“ verhalten.<br />

� Belohungs- oder Motivationssystem werden nicht aktiviert,<br />

wenn man jemand anderen Schmerz und/oder Leid zufügt,<br />

ohne dass man zuvor provoziert wurde.<br />

� Typischer Auslöser: Attacke, die potentiell oder real körperliche<br />

Schmerzen bereitet<br />

� Es findet vielmehr ein Mitleiden statt („Spiegelneurone“)<br />

� Neurobiologisch ist Aggression zu verstehen als<br />

� Folge auf einen Auslöser (Frustration, Angst)<br />

� Angst und Aggression benützen im Gehirn sehr ähnliche Strukturen<br />

� Ergebnis eines Lernvorganges<br />

Bella-Studie<br />

� Es wurden von 2003 – 2006 2863 Familien<br />

mit Kindern im Alter von 7–17 Jahren nach<br />

psychischer Gesundheit systematisch befragt:<br />

� am höchsten gefährdet: Jüngere Jungs!<br />

� häufigste Störungsbilder<br />

� 10% Ängste<br />

� 8% Störung des Sozialverhaltens<br />

� 5% Depression<br />

� 2% ADHS


Bella-Studie: Welche<br />

Kinder sind gefährdet<br />

� Typische Risikofaktoren:<br />

� ungünstiges Familienklima<br />

� Familienkonflikte<br />

� Konflikte in der Familie der Großeltern (vor allem Mutter)<br />

� Unzufriedenheit in der Partnerschaft<br />

� Sucht und andere psychische Erkrankung der Eltern<br />

� Alleinerziehend<br />

� Sehr junge Mutter<br />

� Broken Home der Mutter<br />

� niedriger sozioökonomischer Status<br />

� niedriger Bildungsstand<br />

� wenig personale, familiäre und soziale Ressourcen<br />

Kleiner Exkurs:<br />

Armut ist mehr als Geldmangel<br />

� Ca. 6 Mio. Kinder (ca. 1/3<br />

aller Kinder) leben in<br />

armen Haushalten (Jahreseinkommen<br />

der Eltern bis zu<br />

15.300 Euro).<br />

� Gut 15% der Kinder unter 7<br />

Jahren ist auf Sozialhilfe<br />

angewiesen.<br />

� Besonders betroffen sind<br />

Kinder von Alleinerziehenden,<br />

Arbeitslosen und mit<br />

Migrationshintergrund.


Folgen der Kinderarmut…….<br />

� Bei den sozial benachteiligten Kindern ist zu<br />

beobachten, dass sie<br />

� ungesünder leben<br />

� Ernährung<br />

� Bewegung<br />

� Rauchen<br />

� immer häufiger in isolierten Wohnvierteln unter<br />

sich bleiben (Ausgrenzung)<br />

� keine ausreichende soziale Unterstützung haben<br />

� viel häufiger Täter und Opfer bei/von Gewalt<br />

sind<br />

Gewalt abhängig vom<br />

Sozialstatus und der Schulform<br />

Je höher Sozialstatus und Schule, desto weniger Gewalt!<br />

Tabelle siehe RKI 2010<br />

http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Studie<br />

n/Kiggs/Basiserhebung/GPA_Daten/Gewalterfahrungen.pdf?_<br />

_blob=publicationFile


Soziale Gerechtigkeit und<br />

Bildung<br />

� Bildung ist ein wesentlicher protektiver Faktor gegen Armut und<br />

deren Folgen<br />

� In keinem Land der westlichen (PISA-) Welt ist Herkunft mit<br />

Bildungsabschluss so eng verknüpft wie in Deutschland<br />

� Herkunft ist in Deutschland viel besserer Prädiktor für Schulerfolg/misserfolg<br />

als Intelligenz:<br />

� Die relative Wahrscheinlichkeit eines Gymnasialbesuchs für ein<br />

Akademikerkind ist in Deutschland 6,9 mal so hoch wie jene eines<br />

Facharbeiterkindes<br />

� Selbst bei gleicher individueller Lese- und Mathematikkompetenz<br />

beträgt dieses Verhältnis noch 4 zu 1<br />

� Sozial benachteiligte Kinder:<br />

� besuchen keine höheren Schulen<br />

� haben schlechtere Ausbildungsmöglichkeiten<br />

� haben wenig Aufstiegschancen<br />

Soziale Gerechtigkeit und<br />

Bildung<br />

� Viele Schulkinder verlassen die Schule "ohne<br />

Beherrschung des Mindestmaßes an Kulturtechnik",<br />

die selbst Hilfsarbeiten erfordern.<br />

� Viele arme Kinder werden ihre Armut sehr<br />

wahrscheinlich wieder an ihre eigenen Kinder<br />

„vererben“.<br />

� Insgesamt deutlich höhere Geburtenrate in unteren<br />

Schichten: Akzentuierung des Problems in der<br />

Zukunft


Soziale Gerechtigkeit, Bildung<br />

und Gewalt<br />

� Eindeutiger Zusammenhang zwischen sozialer<br />

Ungleichheit und Gewaltverbrechen<br />

� Korrelation zwischen Gini-Index und Homizid-Rate<br />

� Gini-Index: Index für die Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen<br />

� Homizid-Rate: Anzahl der jährlichen Tötungsdelikte pro 100.000 Einwohner<br />

� Ältere Untersuchungen: Riot-Index:<br />

� Korrelation zwischen Höhe der Sozialleistungen und Wahrscheinlichkeit von<br />

Aufständen<br />

Neurobiologie der Aggression<br />

� Gehirn prozessiert in gleichen<br />

Strukturen (Teile des neuronalen<br />

Schmerzsystems)<br />

� körperliche Gewalt<br />

� soziale Ausgrenzung<br />

� Demütigung<br />

� Armut<br />

� Aggression als typische Folge auf diese<br />

Auslöser


Leitsymptome der Störungen des<br />

Sozialverhaltens<br />

� Hohes Maß an Ungehorsam, Streiten,<br />

Tyrannisieren<br />

� Schule schwänzen<br />

� Grausamkeit gegenüber Menschen und Tieren<br />

� Erhebliche Destruktivität gegenüber Eigentum<br />

� Zündeln<br />

� Später (Adoleszenz, Erwachsene): Dissoziale<br />

Persönlichkeitsakzentuierung bzw.- störung<br />

Störungen des Sozialverhaltens -<br />

Diskutierte <strong>Ursachen</strong><br />

� Genetik<br />

� Individuelle<br />

Sozialisation<br />

(Familie)<br />

� Umwelteinflüsse


Genetik<br />

� Aggressivität als notwendige Bedingung für die<br />

Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens<br />

� Aggressivität als biologische Variable wahrscheinlich<br />

normalverteilt<br />

� Zwillingsstudien: Konkordanz für aggressives Verhalten bei<br />

eineiige Zwillingen höher als bei zweieiigen<br />

� Aggressives und sexuelles Verhalten ist eng verknüpft<br />

� Vermittelt durch Testosteron (Jungen dominieren eindeutig bei<br />

aggressiven Störungen des Sozialverhaltens)<br />

� Genetik erklärt Störung des Sozialverhaltens<br />

und/oder Gewalttaten nicht. Zur<br />

Verhaltensmanifestation bedarf es weiterer Faktoren!<br />

<strong>Familiäre</strong> <strong>Ursachen</strong><br />

� Mangelhafte elterliche<br />

Erziehungskompetenzen<br />

� Erziehungsgutachten wss.<br />

Beirat: Verunsicherung bei<br />

Eltern über „richtige<br />

Erziehung“<br />

� Shell Studie: 50% der<br />

befragten Eltern wissen<br />

nicht, woran sie sich in der<br />

Erziehung halten sollen


<strong>Familiäre</strong> <strong>Ursachen</strong><br />

� Mangelhafte Erziehungskompetenz<br />

� Pädagogik: Liebe und Vorbild<br />

� Relativ oft weder das eine noch das andere<br />

� Sondern<br />

� Gewalt<br />

� Vernachlässigung<br />

� Ambivalenz<br />

� Überbehütung<br />

„… das hat dir<br />

nicht geschadet“<br />

� Noch 2005 befürwortete Mehrzahl der Erwachsenen Gewalt in<br />

der Erziehung (leichten Klaps, gelegentliche Ohrfeige…). Zum<br />

Glück abnehmend!!!<br />

� Abschaffung der körperlichen Züchtigung<br />

� in der preussischen Armee um 1800<br />

� als Recht des Mannes gegenüber seiner Ehefrau (Preussen) 1812<br />

� in der Schule 1973 (Bayern 1980)<br />

� in der Familie 2000<br />

� Kinder schlagender Eltern sind typischerweise weniger gut in<br />

der Schule<br />

� Frühe Gewalterfahrungen ist einer „der“ Risikofaktor für viele<br />

psychische Erkrankungen<br />

� Frühe Gewalterfahrungen ist ein klarer Risikofaktor für spätere<br />

Delinquenz: Klarer Zusammenhang zwischen familiär erfahrener<br />

Gewalt und später selbst ausgeübter Gewalt<br />

� <strong>Familiäre</strong> Gewalt tradiert sich


Frühe Gewalterfahrung<br />

� Keine sicheren Datenquellen hinsichtlich<br />

der Epidemiologie von<br />

Kindesmisshandlung und –<br />

vernachlässigung in Deutschland.<br />

� Massive Gewalterfahrung im Kindesalter:<br />

� Jungs: ca. 12 %, Mädchen ca. 10 %.<br />

� Sexuelle Misshandlungen (mit<br />

Körperkontakt):<br />

� Jungs: ca. 3 %, Mädchen ca. 9 %<br />

Einfluss medialer Gewalt:<br />

Fernseh, Film<br />

� Medien vermitteln Verhaltensnormen und<br />

Werte<br />

� Laborexperimente, Feldstudien,<br />

Meatanalysen:<br />

� Beobachtung von Aggression/Gewalt in Medien<br />

haben eine Zunahme aggressiver Reaktionen und<br />

Zunahme aggressiven Verhaltens zur Folge<br />

� Gewaltfilme als Kind hat hohe Aggressivität im<br />

Erwachsenenalter zur Folge<br />

� Eindeutige Korrelation zwischen medialem<br />

Gewaltkonsum und Tendenz zum aggressiven<br />

Verhalten


Einfluss medialer Gewalt:<br />

Killerspiele<br />

� An updated meta-analysis reveals that exposure<br />

to violent video games is significantly linked to<br />

increases in aggressive behaviour, aggressive<br />

cognition, aggressive affect, and cardiovascular<br />

arousal, and to decreases in helping behaviour<br />

(Anderson 2004)<br />

� Je mehr Blut in<br />

einem Spiel fliesst,<br />

desto aggressiver<br />

werden die Spieler<br />

Exzessiver medialer<br />

Gewaltkonsum<br />

� Führt bei Jugendlichen zu:<br />

� antisozialer Einstellung<br />

� verminderter Empathie (Habituation)<br />

� Rückschritten in der psychosozialen Entwicklung<br />

� politischer Radikalisierung (insbesondere<br />

Rechtsradikalismus)<br />

� Bei Kindern:<br />

� Entwicklung von Lustgefühlen bei Grausamkeiten<br />

� Gewaltsamen Konfliktlösungsstrategien


Faktoren des Erwerbes und Beibehaltens<br />

gewalttätigen Verhaltens<br />

� Lerntheorie:<br />

� Lernen am Modell (real, Medien)<br />

� Gewalttätige Peers als Vorbilder<br />

� Gewalt als legitimes Mittel in den Medien<br />

� Lernen am Erfolg<br />

� Gewalt als instrumentelles Verhalten, um Vorteile zu bekommen<br />

� Unzureichende Sanktionen bei Grenzüberschreitungen<br />

� Fehlende soziale Kontrollmechanismen<br />

� „Wegschau-Mentalität“<br />

� Wenig Selbstwert, Selbstachtung<br />

� Gewalt als selbstwertstabilisierende Kompensation erlebter Defizite<br />

� Zusätzlich: Rauschmittel<br />

� die meisten Körperverletzungen geschehen alkoholisiert<br />

Prävention:<br />

� Maßnahmen gegen überbordende<br />

mediale Gewalt<br />

� Aufklärung<br />

� Bessere Kontrolle, engere Vorschriften<br />

� Verbote


Prävention: Elterntrainings<br />

� Viele verschiedene, alle sind besser als nichts<br />

� Spezifische, alters- und zielgruppenadaptierte<br />

Trainings, die auf Wahrnehmung und Verhalten<br />

großen Wert legen, sind wirksamer<br />

� Während der Schwangerschaft/Säuglingsalter<br />

� Ziel: Elternverhalten, das dem Kind eine sichere<br />

Bindung (1. LJ) ermöglicht<br />

� Kindheit, Jugend<br />

� Zur allgemeinen Unterstützung<br />

� Ggf. Interventionen zur Vorbeugung von<br />

dissozialem verhalten<br />

Prävention: Elterntrainings<br />

� Elterntraining (Müttertraining)<br />

� Absolut überzeugende Langzeiteffekte!<br />

� Kurz: „Nur“ die Kinder haben etwas davon.<br />

� Lang: Auch die Eltern (Mütter) profitieren<br />

� Problem: Erreichbarkeit der Zielgruppe<br />

� Nur ca. 15% der betroffenen Familien machen<br />

selbst bei aufsuchenden Angeboten mit<br />

� Strategieänderung: Belohnungssystem


Eine kleine Abwechslung:<br />

Ich habe überhaupt keine<br />

Hoffnung mehr in die Zukunft<br />

unseres Landes, wenn einmal<br />

unsere Jugend die Männer von<br />

morgen stellt. Unsere Jugend ist<br />

unerträglich, unverantwortlich<br />

und entsetzlich anzusehen.<br />

Aristoteles, 384-322 v. Chr.<br />

Gute Beziehungen heilen!<br />

Anthony Bloom, Mönch: „Wenn wir einen<br />

Menschen nicht anschauen und die Schönheit in<br />

ihm sehen, können wir gar nichts für ihn tun.<br />

Man hilft einem Menschen nicht dadurch, dass<br />

man entdeckt, was bei ihm falsch, hässlich und<br />

verzerrt ist. (...)<br />

Jeder einzelne von uns ist ein Abbild Gottes, aber<br />

jeder gleicht einem beschädigten Bild. Wenn wir<br />

eine Ikone erhielten, die durch Abnutzung, durch<br />

menschlichen Hass oder andere Umstände<br />

beschädigt wurde, würden wir sie mit Ehrfurcht,<br />

Zärtlichkeit und Trauer betrachten. Wir würden<br />

unsere Aufmerksamkeit nicht in erster Linie der<br />

Tatsache zuwenden, dass sie beschädigt ist,<br />

sondern der Tragödie ihrer Beschädigung. Wir<br />

würden uns darauf konzentrieren, was von der<br />

Schönheit übrig ist und nicht auf das, was von<br />

der Schönheit verloren ging. Und das ist es, was<br />

wir bezüglich jedes Menschen erst noch lernen<br />

müssen ...“


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