Trugbild ADHS - CPOS
Trugbild ADHS - CPOS
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<strong>Trugbild</strong> <strong>ADHS</strong><br />
Krankheitsbegriff, Differentialdiagnosen und Therapie<br />
Dr. Robert Thill-Heusbourg<br />
Facharzt für Neurologie<br />
Zusatzbezeichnung Sportmedizin<br />
ÖÄK-Diplom für Psychotherapeutische Medizin
Einleitung
„Man soll die Dinge nicht so<br />
tragisch nehmen, wie sie sind“<br />
Karl Valentin
Gesundheit ist ein Zustand des völligen<br />
körperlichen, geistigen und sozialen<br />
Wohlbefindens, und nicht nur die Abwesenheit<br />
von Krankheit.<br />
Definition der WHO
Laut verschiedenen Studien<br />
geben ca 30% der Fitness-<br />
Studio-Benutzer Besucher in<br />
Deutschland den Gebrauch von<br />
verbotenen Doping-Substanzen<br />
(Anabolika u.a.) zu.
« Macht die Gesellschaft wieder<br />
sauber, dann wird es auch der<br />
Sport sein. »<br />
Willy Daume
Es kann keine gesunde Schule in<br />
einer kranken Gesellschaft geben.
Neurologische Therapie<br />
“Neuro-Enhancement”<br />
“Kognitives Enhancement”
« Ein neues Zeitalter sehen manche Beobachter<br />
heraufdämmern: Neuro-Enhancement, das<br />
Tunen von Psyche, Gedächtnis und Intellekt,<br />
werde bald alltäglich sein. »<br />
Ulrich Bahnsen<br />
Bauteile für die Seele<br />
Die Zeit, Nr.34, 16.8.2007
…pharmakologische Lernturbos,<br />
Psychopillen, Gedächtnispillen,<br />
Gedächtnisbooster, Modedrogen…etc
« Schon jetzt fürchten allerdings<br />
Fachleute, dass die Hirnkrücke für Kranke<br />
zum Accessoire der Gesunden werden<br />
könnte. »<br />
Ulrich Bahnsen<br />
Bauteile für die Seele<br />
Die Zeit Nr. 34 16.8.2007
Ist der Geist bloß Biologie?<br />
Ulrich Bahnsen<br />
Bauteile für die Seele<br />
Die Zeit, Nr.34, 16.8.2007
Es gibt seit Jahren einen Wettkampf darum,<br />
wer den menschlichen Geist erklären darf – die<br />
Neurowissenschaftler, die Kognitionsforscher<br />
oder die Psychologen.<br />
Thomas Metzinger<br />
Universität Mainz
Ultimately, all psychologic disturbances reflect specific<br />
alterations in neuronal and synaptic function. And insofar as<br />
psychotherapy works, it works by acting on brain functions,<br />
not on single synapses, but on synapses nevertheless.<br />
(…)<br />
As a result, when I speak to someone and he or she listens to<br />
me, we not only make eye contact and voice contact but the<br />
action of the neuronal machinery in my brain is having a<br />
direct and, I hope, longlasting effect on the neuronal<br />
machinery in his or her brain, and vice versa. Indeed, I would<br />
argue that it is only insofar as our words produce changes in<br />
each other’s brains that psychotherapeutic intervention<br />
produces changes in patients’ minds. From this perspective<br />
the biologic and psychologic approaches are joined.<br />
Eric Kandel (1979)<br />
Columbia University
« All mental processes, even the most<br />
complex psychological processes, derive from<br />
operations of the brain. »<br />
Eric Kandel, MD, 1998
Bildunterschrift<br />
« Where is my stimulant? »<br />
BMJ 2004; 329, 907-908<br />
Use of stimulants for attention<br />
deficit hyperactivity disorder<br />
David Coghill
« Akut » 2007
Die Zahl derer, die durch zu viele<br />
Informationen nicht mehr informiert<br />
sind, wächst.<br />
Rudolf Augstein
At last month’s meeting of the pediatric committee, APA director of Research Darrel Regier, M.D.,<br />
M.P.H., urged members of the committee and FDA officials “to pursue the original objectives of (Drug<br />
Safety and Risk Management) panel and avoid the use of black-box warnings as expressions of FDA<br />
consultant personal opinions about the most appropriate prevalence and treated prevalence rates as the<br />
basis for allegations of inappropriate prescribing.”<br />
Overstated warnings not backed up by hard data could result in limiting access to the medications, Regier<br />
continued, a risk that is “clearly heightened when the FDA is asked to use nonresearch standards for<br />
warnings and also finds itself pressured from individuals and organizations that deny the very existence<br />
of mental disorders…,” Regier concluded,<br />
“The plural of anecdote is not data.”<br />
Psychiatric News<br />
April 21, 2006<br />
(American Psychiatric<br />
Association)
Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens<br />
(nach Galileo Galilei, 1564-1642)<br />
- Reproduzierbarkeit<br />
- Quantifizierbarkeit<br />
- Analysierbarkeit
Krankheitsbegriff<br />
Psychiatrie<br />
allgemein
Tabuzone<br />
Gehirn
Krankheit : (engl.) disease, illness ; Erkrankung,<br />
Nosos, Pathos, Morbus ;<br />
1. Störung der Lebensvorgänge in Organen oder im gesamten Organismus mit<br />
der Folge von subjektiv empfundenen bzw. objektiv feststellbaren<br />
körperlichen, geistigen bzw. seelischen Veränderungen.<br />
2. In der Rechssprechung des Bundessozialgerichts der Zustand von<br />
Regelwidrigkeit im Ablauf der Lebensvorgänge, der Krankenpflege und<br />
Therapie erfordert und aus dem eine berufsspezifische erhebliche Arbeits- bzw.<br />
Erwerbsunfähigkeit resultiert.<br />
3. Begriffl. Bezeichnung für eine definierbare Einheit typischer ätiologischer,<br />
morphologischer , symptomatischer, nosologisch beschreibbarer<br />
Erscheinungen, die als eine bestehende Erkrankung verstanden wird.<br />
Pschyrembel<br />
Klinisches Wörterbuch
Syndrom : (mitlaufend, begleitend) n :<br />
(engl) syndrome ; Symptomenkomplex ;<br />
Gruppe von Krankheitszeichen, die für ein bestehendes<br />
Krankheitsbild mit meist uneinheitlicher oder unbekannter<br />
Ätiologie bzw. Pathogenese charakteristisch sind.<br />
Pschyrembel<br />
Klinisches Wörterbuch
Krankheitsbegriffe<br />
kategorial: krank oder nicht krank<br />
dimensional: Normbeurteilung<br />
(wo beginnt das Krankhafte?)
« …Lebensschwache, Dauerkranke, Irre und Krüppel… »
Der Krankheitsbegriff<br />
als<br />
-Schutz<br />
-Rechtsquelle
Schutz<br />
vor<br />
Diskriminierung
Recht auf Asyl
Asyl ([a’zy:l] n.; -s,-e) 1 Freistätte, Zufluchts-<br />
Ort (für Verfolgte); politisches – Obdach für<br />
polit. Flüchtlinge; um – bitten, nachsuchen<br />
2 Heim, Obdach (für Obdachlose); jmdm.<br />
- gewähren [ < grch. Asylon ,,unberaubt,<br />
unverletzt’’ ; zu a ... ,,nicht’’ + sylan<br />
,,berauben’’]
Schutz<br />
vor der Ausgliederung<br />
aus der Gesellschaft<br />
aus der Schule<br />
aus der Familie
Recht<br />
auf Differenzierung<br />
in der Gesellschaft<br />
in der Schule<br />
in der Familie
Recht auf Diagnostik<br />
-psychologisch/psychometrisch<br />
-pädagogisch<br />
-psycho-motorisch<br />
-medizinisch
Recht<br />
auf<br />
Behandlung
Recht auf Kostenübernahme<br />
der Behandlung<br />
durch die Krankenkasse
Krankeitsbegriff<br />
<strong>ADHS</strong>
Medienkampagne zu <strong>ADHS</strong><br />
und/oder Ritalin<br />
⇒anti-psychiatrische<br />
Bewegung
„Überragende Ärzte verhindern Krankheit,<br />
mittelmässige heilen noch nicht ausgebrochene<br />
Krankheiten, unbedeutende Ärzte behandeln bereits<br />
bestehende Krankheiten.“<br />
Chinesisches Sprichwort
« <strong>ADHS</strong> ist kein Hirngespinst »<br />
Mars di Bartolomeo<br />
14.10.2005<br />
<strong>ADHS</strong> Symposium Luxemburg
« <strong>ADHS</strong> ist ein Hirngespinst. »<br />
(im 2. Sinn)<br />
Mars di Bartolomeo<br />
14.10.2005<br />
<strong>ADHS</strong> Symposium Luxemburg
Das Gehirn ist ein Organ wie alle<br />
anderen Organe auch.
Gesundheit ist ein Zustand des völligen<br />
körperlichen, geistigen und sozialen<br />
Wohlbefindens, und nicht nur die Abwesenheit<br />
von Krankheit.<br />
Definition der WHO
Die Gesellschaft schafft die Bedingungen,<br />
unter denen die Kinder ein hyperaktives<br />
Benehmen zeigen.<br />
H. Remschmidt,<br />
(Aachen 4/02)<br />
<strong>ADHS</strong> ist eine Anpassungsstörung<br />
C. Neuhaus<br />
(Aachen 4/02)
• Man kann autistische Verhaltensweisen<br />
aufweisen, ohne dass man an Autismus leidet.<br />
• Man kann in seinem Gefühls-und Geistesleben<br />
gespalten sein, ohne dass man an Schizophrenie<br />
leidet.<br />
• Man kann depressive Verstimmungen erleben,<br />
ohne dass man an Depressionen leidet.<br />
• Man kann unaufmerksam sein, ohne an einer<br />
Aufmerksamkeitsstörung zu leiden.<br />
• Man kann tag- träumen, ohne an einer<br />
Aufmerksamkeitsstörung zu leiden.<br />
• Man kann sich wild, impulsiv und unkontrolliert<br />
benehmen, ohne an einer Hyperaktivitätsstörung<br />
zu leiden.
aber:<br />
Autismus<br />
Schizophrenie<br />
Depressionen<br />
<strong>ADHS</strong><br />
u.a.<br />
sind eine Realität, mit der wir uns auseinandersetzen<br />
müssen, weil Millionen von Menschen ein Leben<br />
lang darunter leiden und in ihren täglichen<br />
Lebensvollzügen dadurch schwer und auf Dauer<br />
behindert sind.
Introduction à la Loi de 2005 sur l’accessibilité pour<br />
les personnes handicapées de l’Ontario (LAPHO)<br />
Qu’entend-on par « handicap »?<br />
La LAPHO utilise la définition du terme « handicap » donnée dans le Code des<br />
droits de la personne de l’Ontario. Cette définition inclut le handicap physique,<br />
intellectuel et d’apprentissage, de même que les troubles du psychisme. Un<br />
handicap peut être visible ou invisible.<br />
Qu’entend-on par obstacle?<br />
Un obstacle est toute chose qui empêche une personne handicapée de participer<br />
pleinement à la vie de la société en raison de son handicap. Un obstacle peut<br />
être visible ou invisible. Citons comme exemple de handicap visible un<br />
bâtiment comportant des marches, mais pas de rampe d’accès. Quant aux<br />
obstacles invisibles, il peut s’agir, par exemple, d’une politique qui impose un<br />
délai de temps pour un test d’emploi ou pour des possibilités de formation ou de<br />
promotion
ASSOZIIERTE PROBLEME BZW. BEHINDERUNGEN I<br />
- intellektueller Entwicklungsrückstand<br />
- Störungen der grob- und feinmotorischen Koordination und der sensorischen<br />
Integration<br />
- sozialer Entwicklungsrückstand<br />
- Schulversagen<br />
- Lernstörungen<br />
- Sprach- und Sprechentwicklungsstörungen<br />
- Gestörtes regelbestimmtes Verhalten (Disziplin)<br />
- Gestörte Internalisierung der Sprache (Selbst-Reflexion)<br />
- Grössere Schwankungen im Leistungsspektrum<br />
- Gestörtes Zeitgefühl
ASSOZIIERTE PROBLEME BZW. BEHINDERUNGEN II<br />
- Gestörte emotionale Selbstkontrolle<br />
- Gefühl der kognitiven und moralischen Minderwertigkeit<br />
- Motivationsdefizit<br />
- Höheres Unfall-Risiko<br />
- Verkehrsdelikte (18 % gegen 5 %)<br />
- Physische Gewalttaten und Delinquenz (20 % gegen 5 %)<br />
- Schulverweis<br />
- Schwierigkeiten in der Ausbildung und am Arbeitsplatz
Delinquente Jugendliche<br />
Rössler 2001<br />
-921 Delinquente aus Jugendvollzugsanstalt<br />
�Ergebnisse:<br />
-<strong>ADHS</strong> bei 35% der Raubdelinquenten<br />
-<strong>ADHS</strong> bei 31 % der sexualdelinquenten<br />
-<strong>ADHS</strong> bei 22 % der Tötungsdelinquenten
Delinquente Jugendliche<br />
Rössler 2001<br />
Das Risiko für eine Delinquenz bei kindlicher<br />
<strong>ADHS</strong> ist im Jugendalter um das 5,98-fache<br />
erhöht
Risikogruppen<br />
Schwere Adipositas bei Frauen:<br />
-46 % haben eine <strong>ADHS</strong> (Altfas 2002)
Schlussfolgerung für die Versicherungsmedizin<br />
Bei dieser Krankheitsgruppe werden mehr oder weniger starke psychische Irritationen<br />
sicherlich lebenslang gefunden werden. Die ADS-Erkrankung des Erwachsenen ist aber zu<br />
wenig erforscht, um hier genaue Zahlen nennen zu können. In der Berufsunfähigkeits- und<br />
Erwerbsunfähigkeits-Versicherung muss mit einer dauernden Minderung der Belastbarkeit<br />
bis in das Erwachsenenalter gerechnet werden. Zunehmend wird die Symptomatik im<br />
Erwachsenenalter beobachtet und als Krankheit erforscht. Weitere Zahlen stehen zur Zeit<br />
noch nicht zur Verfügung, werden aber in den nächsten Monaten erwartet.<br />
Daher sollten bei stärkerer Ausprägung des Krankheitsbildes psychische Erkrankungen<br />
ausgeschlossen werden oder höhere Zuschläge erhoben werden. Dies hat zur Zeit eine große<br />
Bedeutung für die Kinderversicherung mit einem Einschluss der Minderung der<br />
Erwerbsfähigkeit. Aber auch im Erwachsenenalter werden wir zunehmend mit diesem<br />
Krankheitsbegriff konfrontiert werden, und in den BU- und EU-Produkten – wie oben<br />
erwähnt – reagieren müssen. Für die Lebensversicherung können verbleibende Depressionen<br />
und soziale Phobien als relevantes Risiko angesehen werden.<br />
Marlies Ostermann-Myrau<br />
Ärztliche Direktorin General/Cologne Re<br />
RPaktuell Sonderausgabe 2001 3<br />
(Info-Brief der General Re Corporation für Risikoprüfer)
Teufelskreise<br />
Engelskreise
<strong>ADHS</strong> im Erwachsenenalter<br />
-ca 3,5 % aller Erwachsenen (gegenüber 5-10 % der<br />
Kinder)<br />
-bis zu 1/3 der Erkrankungen des Kindesalters dauern<br />
bis ins Erwachsenenalter an<br />
-ein weiteres 1/3 hat Symptome, ohne aber alle<br />
Kriterien zu erfüllen<br />
-geringere Dominanz des männlichen Geschlechts als<br />
im Kindesalter
<strong>ADHS</strong> im Erwachsenen-Alter<br />
Über 50 % der Erwachsenen mit <strong>ADHS</strong> zeigen weitere<br />
psychiatrische Erkrankungen,d.h.Ko-Morbidität<br />
-dissoziale Persönlichkeitsentwicklung<br />
(besonders bei Männern)<br />
-Borderline-Persönlichkeitsstörung (besonders bei Frauen)<br />
-Substanzabsusus (Alkohol, Drogen)<br />
-depressive Störungen<br />
-bipolare affektive Störungen<br />
-Angststörungen<br />
-somatoforme Störungen<br />
-Tic-Störungen<br />
B. Herpertz-Dahlmann<br />
(Aachen 04/02)
Erwachsene mit <strong>ADHS</strong><br />
Nur die, welche nicht so stark betroffen sind, haben eine Chance auf Behandlung.<br />
⇒ alle anderen sind im sozialen Abseits verschwunden (Alkohol, Drogen,<br />
Kriminalität), wo niemand ihnen mehr glauben wird, dass primär bei<br />
ihnen eine <strong>ADHS</strong>-Problematik bestanden haben könnte.<br />
⇒ die meisten der erwachsenen Patienten, welche in der Praxis gesehen<br />
werden, haben eine Form der Kompensation ihrer Störung gefunden
Öffentlicher Einführungsvortrag am 13.10.2005<br />
Ist <strong>ADHS</strong> eine Krankheit?<br />
Implikationen für Schule und Gesellschaft<br />
Internationales Symposium vom 13.-15. Oktober 2005<br />
„Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten“<br />
<strong>ADHS</strong> im Lebenslauf<br />
Prof. Dr. med. A. Warnke<br />
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der<br />
Universität Würzburg
Wir sprechen von Krankheit, wenn eine körperliche<br />
oder seelische Beeinträchtigung so schwerwiegend<br />
ist, dass ein Kind oder Jugendlicher der Bewältigung<br />
von alters- und entwicklungsangemessenen<br />
Lebensaufgaben nicht nachkommen kann und<br />
dadurch seelisches und körperliches Leid von<br />
Behandlungsrelevanz entsteht.
Neben dem subjektiven Leidensdruck können auch<br />
der Leidensdruck von Bezugspersonen im familiären<br />
und außerfamiliären Umfeld (Kindergarten, Schule,<br />
Beruf) Anlass sein, Besonderheiten von Erleben und<br />
Verhalten eines Mitmenschen als Störung,Selbstoder<br />
Fremdgefährdung verstehen zu müssen.
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom<br />
(<strong>ADHS</strong>) ist im Krankheitskatalog der<br />
Weltgesundheitsorganisation (ICD 10 der WHO)<br />
eingeordnet und definiert. Als Krankheit definiert<br />
haben die betroffenen Menschen fraglos und ohne<br />
Gutachtenverfahren Anspruch auf eine durch<br />
Krankenkassen finanzierte Diagnostik und auch<br />
Behandlung.
Die von dem Störungsbild betroffenen Kinder und<br />
Jugendlichen haben eine hohe Gefährdung in ihrer<br />
sozialen Eingliederung zu scheitern, in Familie,<br />
Kindergarten, Schule und Beruf in<br />
Außenseiterpositionen zu geraten, in ihren<br />
begabungsadäquat schulischen und beruflichen<br />
Ausbildungsgängen zu scheitern; ihr Risiko in<br />
strafrechtliche Konflikte zu geraten und zu<br />
Suchtmitteln zu greifen und auch unter weiteren<br />
psychischen Störungen zu leiden, ist wesentlich<br />
erhöht.
So ist nur zu gut begründet, die schwere Störung in<br />
der Aufmerksamkeitsentwicklung, der<br />
Impulskontrolle und der psychomotorischen<br />
Steuerung als Krankheit zu begreifen und den<br />
betroffenen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen<br />
und ihren Familien alle nur möglichen<br />
gesundheitlichen Hilfestellungen zu geben.
Co-Morbidities of ADHD I<br />
● co-morbidity is the rule, not the exception<br />
-one co-morbidity 85-100 %<br />
-two co-morbidities 65-70 %<br />
-three co-morbidities 35-50 %<br />
● if 4 % of general population of children have ADHD<br />
⇒ 2 % of children are severely disabled<br />
- developmental & academic problems<br />
- learning disabilities<br />
- neuro-psychiatric disorders<br />
● ADHD is always a signal that co-morbidities must be screened for
Co-Morbities of ADHD II<br />
Developmental & academic problems<br />
-reading and writing disorder: 20-50 %<br />
-mathematic disorder: 20 %<br />
-DCD (developmental coordination disorder): 50 %<br />
-DAMP = ADHD + DCD<br />
-speech and language delay 30-50 %<br />
Prof. Christopher L. Gillberg<br />
ADDISS, London, 11/02
Co-Morbidities of ADHD III<br />
Learning disabilities (LD)<br />
- mental retardation (IQ < 70): 15 %<br />
- subnormal intelligence (IQ ∼ 80): 25 %<br />
⇒ can ADHD sometimes be “misunderstood” LD?<br />
⇒ are we more prone to diagnose ADHD than<br />
subnormal intelligence?<br />
-academic failure: 90 %<br />
⇒ ADHD should always be considered in cases of<br />
academic failure<br />
Prof. Christopher L. Gillberg<br />
ADDISS, London, 02/03
Co-Morbidities of ADHD IV<br />
Neuro-psychiatric disorders<br />
-Tic-disorders: 20-40 %<br />
⇒ could HI-subtype with family history of tics be early manifestation of<br />
TS?<br />
(ADHD-symptoms may appear several years before tics)<br />
-bipolar disorder and classic autism: 10 %?<br />
-OCD (obsessive compulsive disorder)<br />
-autism spectrum : 20 %<br />
⇒ means that in PDD, ADHD is very common<br />
-ODD: 60 % (oppositional defiant disorder)<br />
-CD: 30 % (conduct disorder)<br />
-depression 30 % (many teenagers with depression have ADHD)<br />
-anxiety: 20 %<br />
-psychoses: 5 %<br />
-personality disorder: 40 %<br />
⇒ probably most common adult psychiatric “misdiagnosis”<br />
-eating disorders: 5 %<br />
Prof. Christopher L. Gillberg<br />
ADDISS, London, 02/03
<strong>ADHS</strong><br />
ist keine harmlose Störung<br />
⇒ chronische lebenslangeBehinderung
<strong>ADHS</strong>-Kernsymptome<br />
Aufmerksamkeitsstörung als Schwierigkeit, sich anhaltend konzentrieren<br />
zu können, wenn etwas nicht attraktiv ist.<br />
Hyperaktivität als Schwierigkeit, die inneren Bewegungsimpulse<br />
beherrschen zu können.<br />
Impulsivität als Schwierigkeit, eine automatisierte „Servo-<br />
Verhaltenskontrolle“ aufzubauen.<br />
Emotionale Labilität als Schwierigkeit, eine gleichmäßige Gestimmtheit<br />
mobilisieren zu können.
<strong>ADHS</strong><br />
Störung der Wahrnehmung
<strong>ADHS</strong><br />
Störung der sensorischen<br />
Integration
SENSORIK<br />
Körperschema: Nahsinne<br />
-Somästhesie (Oberflächensinne, Hautsinne)<br />
-Kinästhesie (Tiefensinn bzw. Propriozeption und Gleichgewichtssinn)<br />
-Geschmackssinn<br />
Raumschema: Fernsinne<br />
-Sehsinn<br />
-Hörsinn<br />
-Geruchssinn<br />
Körperschema und Raumschema<br />
→ Körper-im-Raum-Schema
<strong>ADHS</strong><br />
Störung der zentralen<br />
motorischen Koordination<br />
-Feinmotorik<br />
-Grobmotorik<br />
-Gleichgewicht
E.Dupré:<br />
La débilité motrice dans ses rapports<br />
avec la débilité mentale<br />
(Nantes, 1909)<br />
J. de Ajuriaguerra:<br />
Le problème de la débilité motrice<br />
(Paris 1948)
<strong>ADHS</strong><br />
Konstitutionelle Dysregulation der autonomen<br />
Selbststeuerungsprozesse.<br />
Schlaf-Wach-Regulierung<br />
Thermoregulierung<br />
Hunger-Durst-Bedürfnis<br />
Nähe-Distanz-Regulierung<br />
Herz-Kreislauf
Wahrnehmungsstörungen<br />
Eltern/Lehrer/Ärzte : « Hie kann, mee hie wëllt nët ».<br />
Kind : « Ech wëll, mee ech kann nët ».<br />
oder<br />
Eltern/Lehrer/Ärzte : « Hie wëllt, mee hie kann nët ».<br />
Kind : « Ech kann, mee ech wëll nët ».
Auch Eltern, Lehrer und Ärzte<br />
können an Wahrnehmens-<br />
störungen vielfältiger Ätiologie<br />
und Ausprägung leiden
ICD-10 und DSM IV<br />
Alle Symptome müssen folgende Kriterien erfüllen:<br />
- schwerwiegend<br />
-chronisch<br />
- behindernd<br />
- in wechselnden Situationen vorhanden
“Herr Doktor,<br />
mein Magen tut mir weh,<br />
die Leber ist geschwollen,<br />
die Füsse wollen nicht so recht,<br />
das Kopfweh hört nicht mehr auf,<br />
und wenn ich von mir selbst reden darf:<br />
Ich fühle mich auch nicht wohl.„<br />
Karl Valentin
„Nihil est in intellectu quod non<br />
fuerat in sensibus.„<br />
(Nichts ist im Verstand, was<br />
nicht vorher in den Sinnen war.)<br />
John Locke (1632-1704)
Biologische Basis der <strong>ADHS</strong><br />
Forschungsergebnisse<br />
Neurogenetik<br />
Neuroimaging<br />
Neurophysiologie<br />
Neuropsychopharmakologie<br />
Behandlungsergebnisse<br />
Dopamin > Noradrenalin
Familiäre Transmission<br />
-Familiäre Häufung<br />
Eltern von <strong>ADHS</strong>-Kindern haben ein höheres Risiko, an <strong>ADHS</strong> zu leiden.<br />
Kinder von <strong>ADHS</strong>-Eltern haben ein höheres Risiko, an <strong>ADHS</strong> zu leiden<br />
(57% erkrankt).<br />
Der adulte <strong>ADHS</strong>-Typ hat eine hohe Erblichkeit.<br />
-Beteiligung multipler Gene<br />
z.B. Variante des D4 Dopamin-Rezeptor-Gens<br />
-Zusammenspiel genetischer Einflüsse und Umweltfaktoren
Genetik<br />
Brustkrebs 0,3<br />
Asthma 0,4<br />
Schizophrenie 0,7<br />
<strong>ADHS</strong> 0,8<br />
(d.h. wenn beide Eltern <strong>ADHS</strong> haben, werden 80 % ihrer<br />
Kinder <strong>ADHS</strong> haben)<br />
⇒durchschnittlicher genetischer Beitrag bei <strong>ADHS</strong> nach<br />
Zwillingsstudien
Ursachen (Hypothesen)<br />
Neurobiologische Faktoren<br />
Frontalhirn-Dysfunktion (Inhibition, exekutive Funktionen)<br />
Stammganglien-Dysfunktion<br />
(Hyperaktivität)<br />
Neurotransmitter-Ungleichgewicht (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin, Glutamat)
Genetische Faktoren<br />
keine chromosomalen Abweichungen<br />
kein einheitliches Störungsbild<br />
Familienstudien (50-80 %iges Risiko für Nachkommen)<br />
Jungen mit <strong>ADHS</strong>: bei 45 % aller Elternpaare ist mindestens ein Elternteil betroffen<br />
Mädchen mit <strong>ADHS</strong>: bei 63 % aller Elternpaare ist mindestens ein Elternteil betroffen<br />
Kind ohne ADHD: bei 3 % aller Elternteile ist mindestens ein Elternteil betroffen<br />
Adoptionsstudien<br />
Zwillingsstudien (81 % Konkordanz für eineiige Zwillinge, 29 % Konkordanz für zweieiige<br />
Zwillinge)<br />
DNA-Analysen (dopaminerges, serotonerges und adrenerges System)
„Gene fahren also nicht auf Autopilot, sondern sie<br />
gleichen einem Klavier, auf dessen Tasten zahlreiche<br />
Signalstoffe spielen. Die Fachleute sprechen von<br />
Genregulation. In den letzten Jahren konnte<br />
nachgewiesen werden, dass nicht nur Ernährung und<br />
Umwelt Einfluss auf die Genregulation haben, sondern<br />
auch das, was wir in zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen erleben. Die stärkste „Droge“ für den<br />
Menschen ist der andere Mensch.“<br />
Joachim Bauer, Medizinprofessor am Universitätsklinikum Freiburg<br />
mit Forschungsschwerpunkt Neurobiologie und Psychosomatik<br />
(Furche Nr 18/3.5.2007)
Psycho-soziale Faktoren haben<br />
neurobiologische Folgen<br />
⇒ erfahrungs- bzw. nutzungsabhängige Plastizität<br />
(„experience- dependent-plasticity“) des sich entwickelnden<br />
Gehirns<br />
⇒ auch zwischenmenschliche Erfahrungen werden als<br />
Veränderungen der neuronalen Matrix im Gehirn verankert<br />
„neurons that fire together wire together“<br />
„After leaving this lecture, your brain and its synapses will no longer be<br />
the same as before“<br />
(Eric Kandel)
Pathophysiologie der unipolaren Depression<br />
-genetische Einflüsse<br />
-biochemische Veränderungen<br />
-entwicklungsbedingte Ereignisse<br />
→ einige multifaktorielle Störungen resultieren nicht<br />
aus genetischen Variationen vieler Gene mit nur geringem<br />
Effekt, sondern aus Variationen weniger Gene, deren<br />
Effekte abhängig sind vom Auftreten bestimmter Umwelt-<br />
Faktoren.<br />
Caspi et al (2003, Science, 301:386-389)<br />
Influence of life stress on depression: moderation by a polymorphism in the 5-HT gene<br />
„Dunedin Multidisciplinary Health and Development”-Studie
COMMON ENVIRONMENTAL ASSOCIATIONS<br />
pregnancy<br />
-nicotine, alcohol, anticonvulsants, cocaine,heroine<br />
-lead, mercury<br />
-hypothyroidism<br />
-anxiety<br />
-stress, infections, toxaemia, ADH<br />
perinatal<br />
low, birth weight, orphanage, perinatal care<br />
infancy<br />
attachment problems, neglect, injury<br />
Prof. Eric Taylor<br />
ADDISS London<br />
November 2002
Biologische Befunde<br />
Bildgebung<br />
- Reduzierter Glucosemetabolismus präfrontal<br />
- Frontale Störung einschließlich ihrer subkortikalen<br />
Verbindungen und rechtshirnige Beteiligung<br />
- Verminderte dopaminerge Aktivität präfrontal<br />
⇒ Dopaminerge Funktionsstörung beim Erwachsenen<br />
ausschließlich frontal?
Noxen<br />
-Nikotin intrauterin : gesicherte Datenlage<br />
-Nahrungsmittelzusätze?<br />
-Konservierungsmittel?
Food Additives Associated with Hyperactivity in Children<br />
Common food additives may cause hyperactivity in children in the general<br />
population, according to a study published online in Lancet.<br />
In a randomized crossover trial, 137 three-year-olds and 130 eight- or nine-yearolds<br />
consumed daily drinks of placebo, mix A (sodium benzoate and artificial food<br />
coloring), or mix B (similar to mix A, but with additional food coloring) for 6<br />
weeks. Hyperactivity was evaluated using teacher and parent ratings, direct<br />
observation, and a computerized test.<br />
Compared with placebo in adjusted analyses, mix A was associated with elevated<br />
hyperactivity scores among three-year-olds, while mix B was associated with<br />
elevated scores among eight- or nine-year-olds.<br />
The authors write, "These findings show that adverse effects are not just seen in<br />
children with extreme hyperactivity (ie, ADHD), but can also be seen in the<br />
general population and across the range of severities of hyperactivity."<br />
Lancet online september 2007
Geschichte
Heinrich Hoffmann 1809-1894<br />
Schriftsteller, Arzt und 1851-1888 Direktor der<br />
städtischen Nervenheilanstalt in Frankfurt am Main,<br />
an der er als erster eine besondere Abteilung für<br />
psychisch abnorme Kinder einrichtete.<br />
“Der Struwwelpeter” (1845)
George Frederick Still 1868 – 1941<br />
Goulstonian Lectures (1902)<br />
-first description: series of 23 children<br />
-diminished moral control<br />
-passionateness (extreme tempers)<br />
-spiteful<br />
⇒ key explanatory ideas:<br />
-inhibitory volition impaired, not influenced by punishment; lack of sustained attention<br />
-occurs in normal families<br />
-family histories positive in 17/20<br />
-physical anomalies frequent<br />
Prof. Eric Taylor<br />
ADDISS London<br />
November 2002
George Frederick Still 1868 – 1941<br />
Goulstonian Lectures (1902)<br />
key question:<br />
“Can diminished moral control (∗) be a pathological state?”<br />
∗⇒“the control of action in conformity with the idea of the good of all”<br />
it requires: - cognitive appreciation of demands<br />
- moral consciousness (reasoning)<br />
- inhibitory volition<br />
Prof. Eric Taylor<br />
ADDISS London<br />
November 2002
GESCHICHTE<br />
1844 Heinrich Hoffmann<br />
Die Geschichte vom Zappel-Philipp<br />
1875 Hermann Lahr<br />
„Über den Einfluss der Schule zur Verhinderung von Geistesstörungen "<br />
1902 George Frederic Still<br />
- Mutmassungen über eine " biologische Basis für unkontrolliertes Verhalten "<br />
- " Ererbte Bereitschaft für moralische Verderbtheit "<br />
1908 Alfred Tredgold<br />
"minimal brain damage"<br />
1934 Eugène Kahn<br />
hyperaktives, impulsgetriebenes, moralisch unreifes Verhalten der von ihnen<br />
behandelten Opfer der Encephalitis-Epidemie 1917 /1918 biologisch bedingt
GESCHICHTE<br />
1937 Charles Bradley<br />
Erfolge beim Einsatz von Benzedrin, einem Stimulans, zur Behandlung<br />
verhaltensgestörter Kinder, welche an den Spätfolgen einer Encephalitis litten<br />
1941 Synthese von Methylphenidat (Ritalin)<br />
" Substitutionsbehandlung " (Dopamin- Analogon)<br />
1947 Strauss<br />
" Minimal brain damage " versus<br />
" Minimal cerebral dysfunction "<br />
1957 Maurice Laufer<br />
"hyperkinetisches Syndrom"<br />
(Funktionsstörung im Thalamus)<br />
Hyperaktivität als eine Verhaltensstörung, welche eine organische Ursache<br />
haben konnte, jedoch auch ohne diese vorkommen könnte
GESCHICHTE<br />
1968 DSM II<br />
- "hyperkinetic reaction of childhood disorder"<br />
- grosse Diskrepanz zwischen Nordamerika und<br />
Europa (Prävalenz, Diagnose, Therapie)<br />
- Stimulantien-Therapie anerkannt<br />
1975 - "Mythos" Hyperaktivität<br />
- Umwelt-Gifte-Hypothese<br />
- Diät-Therapie<br />
- Verhaltenstherapie<br />
- breite Akzeptanz der Lehrer- und Eltern-<br />
Fragebögen (Conners)<br />
- Psycho-Physiologie<br />
- Erwachsenen-ADHD<br />
1978 ICD-9<br />
"Aufmerksamkeitsstörung +/- Hyperaktivität„<br />
1980 DSM III<br />
"attention-deficit disorder (ADD)"<br />
(with or without hyperactivity)<br />
(+ H / - H)<br />
1987 DSM III-R<br />
ADD/-H wird nicht mehr anerkannt<br />
( ausschliesslich ADHD<br />
- Eltern-Training<br />
- Lehrer-Training<br />
- Eltern-Initiativen<br />
- Scientology-Kampagne gegen Stimulantien-Therapie<br />
- multimodales Therapie-Konzept
GESCHICHTE<br />
1990 Alan Zametkin<br />
PET-Studie: Stoffwechsel im Frontalhirn bei ADHD-Erwachsenen vermindert<br />
1992 ICD-10<br />
"Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeits- störung"<br />
1994 DSM IV<br />
ADD/-H wieder anerkannt<br />
1996 Castellanos<br />
- MRT-Studie: Frontalhirn-Striatum-Netzwerk bei ADHD-Kindern verkleinert<br />
- Adoptionsstudien<br />
- Zwillingsstudien<br />
- DNA-Analysen<br />
1997 Russel Barkley<br />
"response-inhibition-deficit"-Konzept<br />
(ADHD nicht durch eine Aufmerksamkeits-störung, sondern durch ein<br />
Reaktionshemmungsdefizit ausgelöst)<br />
1998 Alan Zametkin<br />
PET-Studie: Dopamin-Aktivität ist im präfrontalen Kortex bei ADHD-<br />
Erwachsenen vermindert<br />
2003 Atomoxetine (Strattera): selektiver Noradrenalin-Reuptake-Hemmer
Diagnose
Journal of Attention Disorders, Vol. 11, No. 2, 106-113 (2007)<br />
DOI: 10.1177/1087054707300094<br />
© 2007 SAGE Publications<br />
Evaluating the Evidence For and Against the Overdiagnosis of ADHD<br />
Mark J. Sciutto, PhD<br />
Muhlenberg College, Pennsylvania, sciutto@muhlenberg.edu<br />
Miriam Eisenberg<br />
Muhlenberg College, Pennsylvania<br />
Objective: According to the DSM-IV TR, approximately 3 to 7% of school-age children meet the criteria for ADHD.<br />
However, there is a common conception that ADHD is overdiagnosed. The purpose of this article is to evaluate the evidence<br />
for and against overdiagnosis.<br />
Method: Recent prevalence studies and research on factors affecting diagnostic accuracy were reviewed. For ADHD to be<br />
overdiagnosed, the rate of false positives (i.e., children inappropriately diagnosed with ADHD) must substantially exceed the<br />
number of false negatives (children with ADHD who are not identified or diagnosed).<br />
Results and Conclusion: Based on the review of prevalence studies and research on<br />
the diagnostic process, there does not appear to be sufficient justification for the<br />
conclusion that ADHD is systematically overdiagnosed. Yet, this conclusion is<br />
generally not reflected in public perceptions or media coverage of ADHD. Potential<br />
explanations for the persistence of the belief in the overdiagnosis of ADHD are offered. (J. of Att. Dis. 2007; 11(2) 106-113)
Diagnostischer Prozess<br />
Lebensgeschichte
DIAGNOSTISCHER PROZESS<br />
- Fragebogen: biographische Daten, Schulanamnese, Sozialanamnese, Familienund<br />
Eigenanamnese, bereits durchgeführte Untersuchungen und Behandlungen<br />
- Elterngespräch: offen und strukturiert/ Fragebogen<br />
- Kindgespräch: offen und strukturiert/Fragebogen<br />
- Lehrergespräch: offen und strukturiert/Fragebogen<br />
- Medizinische Anamnese<br />
- Körperliche/klinische Untersuchungen (allgemein-pädiatrisch, neurologisch)<br />
- Paraklinische Untersuchungen (Labor, EEG, Frühe Akustisch evozierte<br />
Potentiale, Schädel-CT u.a.)<br />
- Psychologische und psychometrische Exploration<br />
- Abschliessendes Synthesegespräch
Aufmerksamkeit
3 ARTEN DES SCHULVERSAGENS<br />
1. schlechte Noten<br />
2. genügende Noten<br />
– inoffiziellesProgramm réduit<br />
3. genügende Noten – Hausaufgaben<br />
dauern täglich 4 Stunden
Diagnose-Weg<br />
I. Verdacht<br />
II. Screening (DSM IV, ICD 10, Conners)<br />
III. Untersuchungen:<br />
-medizinisch<br />
-psychiatrisch<br />
-neurologisch<br />
IV. Multiaxiale Diagnostik in<br />
6 Achsen<br />
V. Therapie-Indikation<br />
H. Remschmidt (Aachen 4/02)
IV. Multiaxiale Diagnostik in 6 Achsen<br />
1.Achse: klinisch-psychiatrisches Syndrom<br />
2.Achse: umschriebene Entwickungsstörungen (Sprechen, Sprache, Motorik,<br />
schulische Fertigkeiten, etc.)<br />
3.Achse: Intelligenzniveau<br />
4.Achse: körperliche Symptomatik<br />
(z.B. Tics, epileptische Anfälle, Eßstörungen, Enuresis, etc.)<br />
5.Achse: abnorme psychosoziale Umstände<br />
6.Achse: Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung in<br />
4 Bereichen<br />
⇒ sechsteilige Diagnose<br />
H. Remschmidt<br />
(Aachen 04/02)
Psychometrie<br />
→Noo-Psyche:<br />
geistig/kognitives Profil<br />
→Thymo-Psyche:<br />
emotional/affektives Profil
Bei jedem Schulversagen muss das Vorliegen von einer<br />
intellektuellen Minder- oder Hochbegabung, <strong>ADHS</strong><br />
beziehungsweise einer anderen behandlungsrelevanten<br />
Krankheit ausgeschlossen werden.
<strong>ADHS</strong> im Erwachsenenalter<br />
Symptome:<br />
• Aufmerksamkeitsdefizit<br />
• Impulsivität<br />
• Hyperaktivität<br />
• affektive Instabilität
<strong>ADHS</strong> im Erwachsenenalter<br />
Diagnostik:<br />
Die Diagnose einer <strong>ADHS</strong> im Erwachsenen-Alter<br />
setzt eine entsprechende Störung in der Kindheit voraus<br />
• Fragebögen: -Wender Utah Rating-Scale (WURS)<br />
-Brown ADD Scales<br />
-The Conners Adult ADHD Rating Scale<br />
• Eigen- und Fremdanamnese<br />
• Neuro-psychologische Test-Batterie<br />
B. Herpertz-Dahlmann<br />
(Aachen 04/02)
<strong>ADHS</strong> im Erwachsenenalter<br />
• Bei Erwachsenen dominieren Probleme in<br />
der kognitiven Kontrolle und weniger in der<br />
motorischen Kontrolle<br />
• dopaminerge Funktionsstörung<br />
ausschließlich frontal (weniger<br />
Basalganglien)<br />
• ⇒ fundamentale Störung kognitiver<br />
Funktionen
KOMPLEXITÄT DER DIAGNOSE-FINDUNG<br />
1. alle Symptome sind unspezifisch und, für sich allein<br />
genommen, normale Komponenten der menschlichen<br />
Natur<br />
2. viele der Einzelsymptome kommen auch bei anderen<br />
psychischen und geistigen Störungen vor<br />
3. ADHD ist kein Alles- oder Nichts-Zustand, sondern das<br />
extreme Ende einer normalen Kurve
Es gibt weder apparative Untersuchungen, noch<br />
Labortests oder psychometrische Tests, welche für<br />
die Diagnose ADDH spezifisch sind; diese<br />
Untersuchungen dienen zur Stützung der klinisch<br />
gestellten Diagnose (Psychometrie) bzw. zum<br />
Ausschluss anderer Erkrankungen (Labor, EEG,<br />
Schädel-CT, Frühe Akustisch Evozierte Potentiale,<br />
u.a.)
Differentialdiagnose
„ ADHD-Muster “<br />
Bei jedem anhaltenden<br />
Mißverhältnis zwischen<br />
gestelltem Anspruch und<br />
eigenem Leistungs-Potential<br />
→ „ erlernte Hilflosigkeit “
„Der Schein trügt, wenn er falsch ist.“
Dieses hintergründige Motto von Dagobert Duck soll uns<br />
im Zusammenhang mit <strong>ADHS</strong> daran erinnern, dass ein<br />
Symptom-Muster noch kein hinreichender Beleg für das<br />
Vorliegen einer Krankheit ist, da die zugrunde liegenden<br />
Definitionen eben keinem kategorialen, sondern einem<br />
dimensionalen Krankheitsbegriff entsprechen.
Wir unterscheiden bei <strong>ADHS</strong> idiopathische<br />
beziehungsweise genetische Formen, bei<br />
denen Umwelt- und Erziehungsfaktoren eine<br />
modulierende Rolle spielen, von<br />
symptomatischen Formen, welche im Rahmen<br />
von zerebralen Entwicklungsstörungen<br />
auftreten und über die ursprünglichen<br />
Definitionen von ICD-10 und DSM-IV<br />
hinausgehen.
Differentialdiagnosen zu ADHD<br />
Störungen mit Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit<br />
- Das " lebhafte " oder " turbulente " Kind<br />
- Angststörungen<br />
- Affektive Störungen<br />
- Anpassungsstörungen<br />
- Schizophrenie<br />
- tiefgreifende Entwicklungsstörungen<br />
- Medikamenten-Nebenwirkung (zB Cortison)<br />
- Medikamenten/Drogen-Missbrauch<br />
- Schilddrüsen-Über/Unterfunktion, GRTH<br />
- Erschöpfungszustände im Rahmen somatischer Erkrankungen
OPHTHALMOLOGISCHE ERKRANKUNGEN<br />
MIT ASSOZIIERTER<br />
AUFMERKSAMKEITSSTÖRUNG<br />
- Sehschwäche<br />
-Schielen<br />
- Hornhautverkrümmungen<br />
- zentrale Sehstörungen
HNO-Erkrankungen mit<br />
assoziierter<br />
Aufmerksamkeitsstörung<br />
- chronische Mittelohr-Entzündungen<br />
- Schwerhörigkeit<br />
- Störungen der auditiven Diskrimination<br />
- zentrale Fehlhörigkeit<br />
- Sprachentwicklungsstörungen
Epilepsie
Epilesie und <strong>ADHS</strong><br />
● Kinder mit idiopatischer Epilepsie haben ein deutlich erhöhtes Risiko, an <strong>ADHS</strong><br />
(vorwiegend ADS-H) zu erkranken.<br />
● Kinder mit idiopatischer Epilepsie:<br />
-geringerer Schulerfolg<br />
-niedrigere Schulabschlüsse<br />
-schlechtere soziale Integration<br />
⇒durch gleichzeitig vorliegende Lernstörung ohne oder bei/durch <strong>ADHS</strong>
Im Rahmen einer Vielzahl neurologischer oder<br />
psychiatrischer Krankheitsbilder<br />
treten <strong>ADHS</strong>-Symptome auf, die oft in den Hintergrund<br />
treten, wenn die Grundkrankheit<br />
behandelt wird.<br />
Viele Kinder mit Epilepsie erfüllen einerseits scheinbar<br />
alle Kriterien für <strong>ADHS</strong> und haben andererseits ein<br />
deutlich erhöhtes Risiko, an <strong>ADHS</strong> zu erkranken.<br />
Nur eine differenzierte neurologische und<br />
elektroencephalographische Exploration kann die<br />
Diagnose einer Absencen-Epilepsie oder einer oft<br />
verkannten kognitiven Epilepsie<br />
ausschließen.
Absencen :<br />
-«Ereignis»<br />
-in der 1:1 - Situation unbeeinflusst<br />
-manchmal motorische Begleitphänomene<br />
-Amnesie<br />
-Dauer : Sekunden<br />
Träumerei:<br />
-«Zustand»<br />
-in der 1:1 - Situation gebessert<br />
-keine motorischen Begleitphänomene<br />
-keine Amnesie<br />
-Dauer : Minuten
verträumt<br />
��<br />
Absencen<br />
��<br />
transitory cognitive impairment<br />
(TCI)
History<br />
-EEG events can occur without simultaneous clinical manifestations:<br />
“larval”, “subclinical”, “interictal”<br />
-by use of a simple reaction-time task during EEG recording Schwab<br />
showed 1939, that apparently subclinical discharges can be accompanied<br />
by decrements in cognitive function<br />
-“transitory cognitive impairment“ (TCI) described by<br />
Aarts et al. (1984) and found in about 50% of the<br />
patients investigated<br />
-the paradox of a clinical event occurring during a subclinical discharge is<br />
avoided by the pragmatic approach of operationally defining subclinical<br />
events as those that cannot be detected by normal methods of clinical<br />
observation<br />
Binnie CD, 2003
�Kognitive Epilepsie� I<br />
1.Viele Kinder mit einer Absencen-Epilepsie erfüllen alle DSM IV-<br />
Kriterien für <strong>ADHS</strong>-H<br />
⇒ ohne genaue neurologische Abklärung mit EEG<br />
(Standard/Schlaf/24 Stunden) ist ein Ausschluss dieser Diagnose nicht<br />
m öglich<br />
2. Viele Kinder mit einer Absencen-Epilepsie leiden –auch bei gut<br />
eingestellter Epilepsie- an Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen<br />
sowie an Wahrnehmungsstörungen im auditiven und<br />
visuellen/ räumlichen Bereich<br />
⇒ Co-Morbidität von ADHD und Absencen-Epilepsie ist häufig
�Kognitive Epilepsie� II<br />
Renzo Guerrini (München 6/03)<br />
? “Cognitive impairment with sub-clinical interictal<br />
electroencephalographic abnormalities”:<br />
-is it correct to call them “interictal”?<br />
-are they ictal to higher cortical functions?<br />
-should we therefore treat them?<br />
? “silent/sub-clinical” may be called “unrecognized/underevaluated”<br />
? importance of psychometric/neuropsychological evaluation
NARCOLEPSY<br />
Children<br />
- excessive day-time sleepiness<br />
- cataplexy (sudden loss of muscle tone)<br />
- hypnagogic hallucinations<br />
- sleep paralysis<br />
- day-dreaming<br />
- poor school performance<br />
- inattentiveness<br />
- irritability<br />
- overactivity<br />
- aggressive behaviour<br />
- depressive mood<br />
- learning disability<br />
cave/ DD: ADHD
Obstructive Sleep Apnea Syndrome<br />
Children<br />
- labored breathing<br />
- sleep apnea /hypopnea<br />
- obstruction of the upper airway during sleep<br />
(adeno-tonsillar hypertrophy)<br />
- continuous snoring<br />
- bedwetting<br />
- excessive daytime sleepiness/hyperactivity<br />
- poor school performance<br />
- irritability<br />
- overactivity<br />
- inattentiveness<br />
- growth retardation/obesity<br />
cave/ DD: ADHD
Viele dieser Differentialdiagnosen können auch als<br />
assoziierte Störungen zeitgleich mit <strong>ADHS</strong> vorliegen,<br />
wobei circa die Hälfte der betroffenen Kinder durch<br />
mehrfache Ko-Morbiditäten oder Teilleistungsstörungen<br />
schwer behindert ist.
Die Verdachtsdiagnose <strong>ADHS</strong> ist somit immer ein Signal, dass<br />
nach weiteren Störungen gezielt gesucht werden<br />
muss.
Therapie
Was den ADS-Kindern gut tut,<br />
schadet allen anderen Kindern<br />
nicht.<br />
Hans Biegert<br />
Bad Boll, 02/03
« Du musst dein Leben ändern »
THERAPIE<br />
1. Elternberatung und Elterntraining<br />
2. Lehrerberatung und Lehrertraining<br />
3. Medikamentöse Therapie<br />
4. Psychologische Begleitung / Psychotherapie<br />
5. Psychomotorische/ergotherapeutische Rehabilitation<br />
6. Sensorische Integrationstherapie<br />
7. Orthopädagogische Massnahmen
Therapieziele<br />
Das Kind / der Jugendliche / der Erwachsene wird kompetent im<br />
Umgang mit seinem Wahrnehmungsstil / seinem Verhalten – das<br />
Umfeld kompetent im Umgang mit ihm.<br />
-Erkennen der Leistungsinseln der Kompetenz<br />
-ressourcen-orientierte Interventionen<br />
-funktionelles Verstehen der Symptomatik: nicht dagegen<br />
kämpfen, sondern lernen, damit umzugehen<br />
-Coaching<br />
-Warme Empathie
Therapienotwendigkeit<br />
(nach Dr. J. Krause)<br />
.Drohender Verlust des Arbeitsplatzes<br />
.Angst, wegen innerer Unruhe verrückt zu werden<br />
.Tiefe Depression, extreme Antriebslosigkeit<br />
.Ständig gespannte Ärgerlichkeit, die zu gesellschaftlicher Isolation führt<br />
.Dauerhafte motorische Unruhe<br />
.Übermäßiger Alkohol- und Nikotin- und/oder Cannabiskonsum<br />
.Verlust der Fähigkeit, das Alltagsleben zu organisieren<br />
.Das Gefühl, allen Geräuschen ausgeliefert zu sein<br />
.Extreme Sensationslust, die zur Selbstgefährdung führt<br />
.Permanente Angst, keinen Durchblick mehr zu haben oder unter abruptem Abbruch der<br />
Konzentration zu leiden.
MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNG<br />
- Substanzen, welche regulierend in das<br />
der Störung zugrunde liegende Ungleichgewicht im Stirnhirn eingreifen<br />
(" Substitutionsbehandlung ")<br />
- jede Behandlung ist symptomatisch<br />
- keine Heilung, die die Ursache der<br />
Störung beseitigt
SUBSTITUTIONS-THERAPIEN<br />
-Diabetes mellitus – Insulin<br />
-Diabetes insipidus – Antidiuretisches Hormon<br />
-Morbus Parkinson – Dopamin<br />
-Morbus Alzheimer – Acetylcholin<br />
-Migräne -Serotonin<br />
-Depressionen/Schizophrenie–Serotonin, Noradrenalin,<br />
Dopamin, usw.<br />
-<strong>ADHS</strong>- Methylphenidat (Dopamin, Noradrenalin)<br />
-<strong>ADHS</strong>- Atomoxetin (Noradrenalin)<br />
→ d.h. angenommenen defizienten hormonalen Regelkreisen werden von<br />
aussen die fehlenden oder verminderten Hormone bzw. Neurotransmitter<br />
zugeführt<br />
→ keine Heilung, aber Funktionsverbesserung
Ein Medikament, von dem behauptet<br />
wird, dass es keine Nebenwirkungen<br />
habe, ist stark verdächtig darauf,<br />
auch keine Hauptwirkung zu haben.<br />
Gustav Kuschinsky
ENTSCHEIDUNGSKRITERIEN FÜR EINE<br />
STIMULANTIEN-THERAPIE:<br />
1. Wurde das Kind ausreichend körperlich und psychisch aufgeklärt?<br />
2. Wie alt ist das Kind?<br />
3. Welche anderen Therapie-Versuche wurden unternommen?<br />
4. Wie ist der Schweregrad der Symptome?<br />
5. Wie ist die finanzielle Belastbarkeit der Familie?<br />
6. Sind die Eltern als Therapie-Supervisoren geeignet?<br />
7. Wie ist die Haltung der Eltern zur Pharmakotherapie?<br />
8. Gibt es in der Familie Alkohol- oder Drogenmissbrauch?<br />
9. Gibt es beim Kind Hinweise auf Tics, Psychosen oder Denkstörungen?<br />
10. Gibt es beim Kind Hinweise auf extreme Ängstlichkeit oder psychosomatische Störungen?<br />
11. Hat der Arzt genug Zeit zum Therapie-Monitoring?<br />
12. Was denkt das Kind über die medikamentöse Behandlung und Alternativen?<br />
13. Nimmt das Kind an Leistungssportarten teil, wo Doping-Kontrollen vorgeschrieben sind?<br />
14. Will der ältere Jugendliche sich um Aufnahme in die Armee bewerben?
ZNS-Stimulantien<br />
Pharmakologische Wirkung:<br />
- Ausgleich auf Neurotransmitter-Ebene, vor allem<br />
Katecholamine betreffend<br />
(Mittelhirn-Stammganglien-Frontalhirn)<br />
Pharmakokinetik:<br />
- Dextro-Amphetamin: SPS 2-3 h., HWZ: 4-6 h<br />
- Methyl-Phenidat: SPS: 1,5 - 2,5 h., HWZ 2- 3 h.<br />
- Pemoline: SPS 2-4 h., HWZ 7-8 h.
ZNS-STIMULANTIEN<br />
- Dextro-Amphetamin (Dexedrine)<br />
- Methylphenidat (Ritalin)<br />
- Pemoline (Stimul)<br />
- Amphetamin/Dextro-Amphetamine (Adderall)
Stimulantien-Therapie<br />
Es geht nicht in erster Linie darum, Zeit zu<br />
gewinnen, sondern der Zeit mehr Qualität zu<br />
geben.
Methylphenidat-Retard-Präparate<br />
Vorteile:<br />
Fluktuationen ↓<br />
Compliance ↑<br />
Nebenwirkungen ↓<br />
Dosis ↓<br />
Einnahmefehler ↓<br />
Mißbrauchsgefahr ↓<br />
Schutz der Privatsphäre in Schule und Beruf ↑
Dosierung von Methylphenidat (Ritalin)<br />
0,3 - 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag in 2-3 Einzeldosen<br />
(im Durchschnitt 2-4 Tabletten/Tag)<br />
täglich ohne Unterbrechung
« Je schlechter die Lehrer kooperieren,<br />
desto mehr Ritalin brauchen wir. »<br />
Manfred Döpfner<br />
2004
Dosierung von Methylphenidat (Concerta)<br />
0,3 - 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag in 1 Einzeldosis morgens<br />
täglich ohne Unterbrechung
Nebenwirkungen der Stimulantien-Therapie:<br />
Grosse therapeutische Breite (100 : 1)<br />
Häufige Nebenwirkungen (harmlos, kurzfristig und reversibel):<br />
- Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust, Steigerung der Herzfrequenz,<br />
„subdepressive“ Verstimmung<br />
Seltene und dosisabhängige Nebenwirkungen:<br />
-Tics<br />
- Verhaltens-Rebound-Phänomen<br />
- Über-Fokussierung/ Aufmerksamkeitseinengung<br />
- Einschränkung pro-sozialen Verhaltens<br />
- Psychose<br />
- Blutbild-Veränderungen<br />
- Leberparenchym-Schädigung (Pemoline-Stimul)
RELATIVE KONTRAINDIKATIONEN ZUR<br />
STIMULANTIENTHERAPIE:<br />
- Alter unter 4 Jahren<br />
-Tics<br />
- Gilles-de-la-Tourette-Syndrom<br />
-Psychose<br />
- Angststörungen<br />
- Epilepsie<br />
- Arterieller Hypertonus<br />
- Kardiovaskuläre Erkrankungen<br />
- Therapie mit MAO-Hemmern
BEENDIGUNG DER STIMULANTIEN-THERAPIE:<br />
- wenn sie nicht länger notwendig scheint<br />
- jährlich für kurze Zeit<br />
(Therapiepause: 2-14 Tage)
Atomoxétine efficace dans le cortex<br />
préfrontal<br />
Executive function in<br />
prefrontal cortex<br />
• Concentration<br />
• Working memory<br />
• Selfcontrol<br />
• Planning of activities<br />
Modulating neurotransmitters are<br />
noradrenaline and dopamine<br />
Biederman and Spencer 1999
Dosierung von Atomoxetine (Strattera)<br />
0,5 - 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag in 1 Einzeldosis<br />
morgens oder abends<br />
täglich ohne Unterbrechung
KOMBINATIONSTHERAPIE<br />
Stimulantien-Atomoxetine:<br />
Bei koexistierenden affektiven oder aggressiven/antisozialen Störungen<br />
Stimulantien-Antidepressiva:<br />
Bei sozial hochgradig behindernder Enuresis oder koexistierenden<br />
affektiven Störungen<br />
Stimulantien/Clonidin:<br />
Bei ko-assoziierten Verhaltensstörungen bzw. Tic-Störungen mit extremer<br />
Hyperaktivität/Impulsivität inklusive Schlafstörungen
ANTIDEPRESSIVA-THERAPIE<br />
1. Trizyklische Antidepressiva<br />
(Imipramin, Desipramin, Nortryptilin)<br />
- Wiederaufnahmehemmung für Noradrenalin und Serotonin<br />
- Besserung der affektiven Komponente und der Verhaltensstörung<br />
- Weniger wirksam bezüglich der Aufmerksamkeits- und der Wahrnehmungsstörung<br />
2. Bupropion<br />
Dopamin-Agonist, Noradrenalin-Agonist<br />
3. Monoamino-Oxidase-Hemmer<br />
(zB Moclobemid, Selegilin)<br />
- Diät notwendig, vielfältige Arneimittel-Interaktionen<br />
4. Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
(Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, Fluvoxamin)<br />
- wenig gesicherte Daten<br />
5. Venlafaxin<br />
- Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
6. Mirtazapin<br />
- Serotonin/Noradrenalin- Agonist
ANDERE MEDIKAMENTÖSE THERAPIEVERSUCHE<br />
Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer<br />
Atomoxetin<br />
Bluthochdruckmittel (Antihypertensiva)<br />
- Clonidin<br />
- Guanfacin<br />
- Betablocker<br />
Antiepileptika<br />
- Carbamazepin<br />
Antipsychotika:<br />
(Neuroleptika:Thioridazin, Chlorpromazin, Haloperidol)<br />
- Gilles-de-la-Tourette-Syndrom<br />
- Tic-Erkrankung
KONSEQUENZEN EINER NICHT-BEHANDLUNG<br />
Geringes Selbstwertgefühl ("dummes, schlechtes und/ oder böses Kind")<br />
Schulversagen<br />
Gesellschaftliches/soziales Versagen<br />
Entwicklung von antisozialem/<br />
delinquentem Verhalten und Drogen-Missbrauch im späteren Verlauf
<strong>ADHS</strong><br />
nicht<br />
zu<br />
behandeln<br />
ist<br />
sehr<br />
teuer.
UNWIRKSAME THERAPIEN<br />
-Diät<br />
- Kinesiologie<br />
- Horch-Therapie nach Tomatis<br />
- Bachblüten<br />
-u.a.
Ritalin- und Suchtentwicklung<br />
In den 60 Jahren Praxis der Stimulantien-Therapie ist kein<br />
einziger Fall von Suchtentwicklung beschrieben.<br />
Medikamente führen dann zur Suchtentwicklung, wenn sie<br />
ohne ärztliche Aufsicht eingenommen werden, um<br />
Änderungen im Leben zu ersetzen oder zu vermeiden anstatt<br />
diese zu unterstützen.<br />
Ausnahmen: -möglich bei Fehlindikation<br />
-möglich (aber noch nicht bewiesen) bei<br />
Beginn im höheren Lebensalter<br />
⇒Risiko/Nutzen-Abwägung spricht trotzdem meistens für<br />
die Stimulatien-Therapie
Huss M., Lehmkuhl U. (2002)<br />
Methylphenidate and substance abuse: a review of<br />
pharmacology, animal and clinical studies<br />
Journal of Attention disorders 6,53-59<br />
215 Patienten mit <strong>ADHS</strong>-Diagnose im Kindesalter<br />
Nachuntersuchung 10 Jahre später<br />
Urinscreening auf substanzbezogene Störungen<br />
MPH-Behandlung in der Kindheit reduzierte signifikant das Risiko eines<br />
Suchtmittel-Konsums im Erwachsenenalter<br />
- Metaanalyse (Wilens et al, 2003, Pediatrics): Bestätigung dieser<br />
Resultate in 6 Langzeit Untersuchungen
Ritalin ist kein Ersatz für fehlende<br />
Entscheidungen, oft aber die neuro-<br />
chemische Voraussetzung, welche<br />
Verhaltungsänderungen und nicht-<br />
medikamentöseTherapiemass- nahmen erst ermöglicht.<br />
⇒ das Medikament eröffnet eine<br />
Chance, die genutzt werden muß
Bildunterschrift<br />
« Where is my stimulant? »<br />
BMJ 2004; 329, 907-908<br />
Use of stimulants for attention<br />
deficit hyperactivity disorder<br />
David Coghill
KONSEQUENZEN EINER<br />
NICHT-BEHANDLUNG<br />
-Geringes Selbstwertgefühl („dummes, schlechtes und/oder böses<br />
Kind“)<br />
-Schulversagen<br />
-Gesellschaftliches/soziales Versagen<br />
-Entwicklung von antisozialem/delinquentem Verhalten und Drogenmissbrauch<br />
im späteren Verlauf<br />
(lineare Korrelation zwischen Dauer der Ritalin-Behandlung und dem<br />
verminderten Risiko einer Suchtentwicklung)
Konzept der<br />
„ERLERNTEN HILFLOSIGKEIT“ (Seligman)<br />
→generalisierte Erwartung der Nicht-Kontrollierbarkeit von<br />
Ereignissen<br />
→Einstellung, nichts mehr ändern zu können<br />
→Einstellung, nichts mehr ändern zu wollen<br />
→Resignation<br />
→Depression
Der Spiegel<br />
Nr.32,<br />
6.8.2007
Does medication change the developing brain of children in<br />
pre-school age ?<br />
⇒ yes, but towards the normal range<br />
Robert Doyle/Peter Hill<br />
London, ADDISS, 11/02
At last month’s meeting of the pediatric committee, APA director of Research Darrel Regier, M.D.,<br />
M.P.H., urged members of the committee and FDA officials “to pursue the original objectives of (Drug<br />
Safety and Risk Management) panel and avoid the use of black-box warnings as expressions of FDA<br />
consultant personal opinions about the most appropriate prevalence and treated prevalence rates as the<br />
basis for allegations of inappropriate prescribing.”<br />
Overstated warnings not backed up by hard data could result in limiting access to the medications, Regier<br />
continued, a risk that is “clearly heightened when the FDA is asked to use nonresearch standards for<br />
warnings and also finds itself pressured from individuals and organizations that deny the very existence<br />
of mental disorders…,” Regier concluded,<br />
“The plural of anecdote is not data.”<br />
Psychiatric News<br />
April 21, 2006<br />
(American Psychiatric<br />
Association)
Statistische Notizen I<br />
Anzahl der mit Stimulantien (Methylphenidat)<br />
behandelten Kinder von 1990 bis 1999<br />
Am Beispiel Deutschland:<br />
1990: 1500 Kinder mit Methylphenidat behandelt<br />
1999: 42000 Kinder mit Methylphenidat behandelt<br />
⇒ X Faktor 28<br />
= zwischen 6. und 9. Lebensjahr<br />
-2,4 % der Jungen<br />
-0,6 % der Mädchen<br />
Med Line Veröffentlichungen zu ADHD<br />
1970 0,06 % aller Veröffentlichungen<br />
2000 1,09 % aller Veröffentlichungen<br />
⇒ X Faktor 18<br />
nach Lehmkuhl/Remschmidt<br />
(Aachen/ 04/02)
Statistische Notizen II<br />
Anzahl der mit Stimulantien (Methylphenidat) behandelten Kinder<br />
Luxemburg (2001)<br />
Schüler-Gesamtzahl zwischen 6. und 19. Lebensjahr: 71 949<br />
davon mit Methylphenidat behandelt zwischen dem 5. und 19. Lebensjahr: 774<br />
⇒ entspricht 1,1 % der Gesamtzahl<br />
⇒entspricht 21,5 % der <strong>ADHS</strong>-Kinder<br />
(nach dem Durchschnittswert epidemiologischer Studien leiden ca. 5 % aller Kinder<br />
und Jugendlichen an einer Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-störung)<br />
Deutschland (2000)<br />
Schüler-Gesamtzahl zwischen 6. und 18. Lebensjahr : 10 911 605<br />
davon mit Methylphenidat behandelt : 47 333<br />
⇒ entspricht 0,4 % der Gesamtzahl<br />
⇒ entspricht 8,7 % der <strong>ADHS</strong>-Kinder<br />
d.h. nach wie vor inadäquate therapeutische Versorgung (Unterversorgung) der<br />
<strong>ADHS</strong>-Kinder und Jugendlichen
Therapieziel:<br />
Normalisierung
Grundsatz<br />
der Entwicklungs-rehabilitation:<br />
„spätestens sofort“
« Handle stets so, dass Du die<br />
Anzahl der Möglichkeiten<br />
erweiterst. »<br />
(Ethischer Imperativ systemischen<br />
Denkens)<br />
Heinz von Foerster
Die Pharmakotherapie steht bei<br />
schwerer <strong>ADHS</strong> an der Basis der<br />
nicht-medikamentösen Therapien<br />
und oft macht sie diese erst möglich<br />
(wie auch in anderen Bereichen der Psychiatrie und<br />
Neurologie)
Aber:
Ritalin ist kein Ersatz für eine<br />
korrekte Schulorientierung.
Resultate:<br />
73-77 % der behandelten Kinder zeigen eine Verbesserung:<br />
- Verhalten und Emotionen<br />
- Wahrnehmung, Lernen, Schulleistungen<br />
- Soziale Interaktionen
„Zënter datt ech Ritalin huelen,<br />
kann den Här Lehrer vill besser<br />
erklären.“
“Ech huelen dat Medikament,<br />
ech mierke keng Wirkung,<br />
mee ménger Fra geet et vun<br />
Dag zu Dag besser”
Schlussfolgerungen
0-THERAPIE<br />
ist nicht<br />
0-RISIKO
Es gehört nicht zu den Wahlmöglichkeiten der Eltern,<br />
sondern zu ihren Pflichten, ihr Kind vor einer<br />
gravierenden Fehlentwicklung zu schützen.<br />
Es gehört nicht zu den Wahlmöglichkeiten der Ärzte,<br />
Lehrer, Erzieher, Schulpsychologen und Sozialarbeiter,<br />
sondern zu ihren Pflichten, sich über ein häufiges<br />
Störungsbild und über die Behandlung zu informieren,<br />
bevor sie sich als vermeintliche Autoritäten zu<br />
Stellungnahmen hinreissen lassen, die das Leben eines<br />
Kindes oder Jugendlichen mit <strong>ADHS</strong> zerstören können.
Die Mutter hat (fast) immer recht<br />
(wenn sie sich Sorgen macht)<br />
Der Lehrer hat (fast) immer recht<br />
(wenn er sich Sorgen macht)<br />
Der Psychologe…
“Achte auf Deine Gedanken; sie<br />
sind der Anfang deiner Taten”<br />
(Chinesisches Sprichwort)
« Car rater sa vie est un<br />
droit inaliénable ».<br />
(Amélie Poulin)
Aufmerksamkeit
If I didn't believe it,<br />
I wouldn't have seen it.<br />
Yogi B.<br />
Das Auge sieht, was es sucht.<br />
ubi amor, ibi oculus<br />
Max Slevogt<br />
Augustinus
In einem kleinen Experimentalfilm der späten<br />
siebziger Jahre, dessen Titel und dessen<br />
Regisseur ich leider vergessen habe, sah man<br />
einen Förster durch sein Revier laufen und „Der<br />
Wald ist nur ein Vorwand! Der Wald ist nur ein<br />
Vorwand!“ brüllen.<br />
Die Zeit / 4.7.1986