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Rudolf Steiner, die Theosophische Gesellschaft und die Gründung ...

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Einleitung<br />

<strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong>, <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>Gründung</strong> der Anthroposophischen <strong>Gesellschaft</strong><br />

Referat<br />

Ich will zunächst den Aufbau meines Referates erläutern: Da es sich hierbei vor allem um eine hi-<br />

storische Aufgabenstellung handelt, will ich im ersten <strong>und</strong> zweiten Kapitel lediglich historische<br />

Fakten vorstellen. Das sind zum einen ein kurzer Lebenslauf von Dr. <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> (Annie Besant,<br />

<strong>und</strong> Henry Steel Olcott wurden im Rahmen <strong>die</strong>ses Seminars ja schon behandelt) <strong>und</strong> von Dr. Wil-<br />

helm Hübbe-Schleiden, sowie einige nur sehr allgemeine Bemerkungen zur Geschichte der Theoso-<br />

phischen <strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland bis ins Jahr 1902, da <strong>die</strong>se Geschichte ja im vorigen Referat<br />

behandelt wurde (Referat: Die Entwicklung der Theosophie in Deutschland bis zur <strong>Gründung</strong> der<br />

Deutschen Sektion von Adyar). In Kapitel zwei will ich <strong>die</strong> Geschichte der <strong>Theosophische</strong>n Gesell-<br />

schaft in Deutschland von 1902 bis 1913 etwas näher beleuchten. Diese Auswahl treffe ich deshalb,<br />

weil ich meine Rekonstruktion der Ereignisse, <strong>die</strong> zur <strong>Gründung</strong> der Anthroposophischen Gesell-<br />

schaft führten, vor allem auf <strong>Steiner</strong>s Autobiographie Mein Lebensgang, <strong>und</strong> auf den Nachlaß des<br />

Briefwechsels von Hübbe-Schleiden, 1 der an der Einführung der Theosophie in Deutschland maß-<br />

geblich beteiligt war, stützen will. Daß ich wenige Quellen aus der Sicht der <strong>Theosophische</strong>n Ge-<br />

sellschaft präsentiere, liegt daran, daß sich dort nicht viel über <strong>die</strong> Entstehung der Anthroposophi-<br />

schen <strong>Gesellschaft</strong> finden ließ - vermutlich war <strong>die</strong>ses für Deutschlands Theosophen so wichtige<br />

Ereignis einer weltweiten Organisation mit Sitz in In<strong>die</strong>n als eher ephemer erschienen. Damit aber<br />

bin ich auch schon auf dem Terrain meines dritten Kapitels: Warum kam es in Deutschland zur Ab-<br />

spaltung von der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>? Diese Frage ist schwer zu beantworten; nicht weil<br />

sich in der Literatur darüber keine Äußerungen fänden - eher im Gegenteil: zu viele -, aber all <strong>die</strong>se<br />

Erklärungsversuche sind sich geradezu seltsam ähnlich. Und ich werte <strong>die</strong>se Übereinstimmung<br />

nicht als ein Zeichen für eine - auf hinreichend gründlich erforschter Basis stehende - Kohärenz der<br />

Gelehrtenmeinung. Ich werde in <strong>die</strong>sem dritten Kapitel <strong>die</strong> gängigen Deutungsversuche mit dem<br />

kontrastieren, was ich aus den Briefwechseln der wichtigsten Akteure herauszulesen vermeine.<br />

Doch dazu mehr im dritten Kapitel.<br />

Noch eine weitere Bemerkung zu meinem Vortrag: Da ich weite Teile meines Referates aus Brief-<br />

wechseln erarbeitet habe, wäre zu einem vollen Verständnis der jeweilig zitierten Meinungen eine<br />

wenigstens oberflächliche Kenntnis der dabei sprechenden Personen vonnöten. Ich müßte dann aber<br />

1 Dieser Briefwechsel findet sich in [Klatt] - ein zur Lektüre nicht genug zu empfehlendes Buch.<br />

- 1 -


sehr viele Namen <strong>und</strong> Einzelschicksale vorstellen <strong>und</strong> liefe dabei Gefahr, das Verständnis meiner<br />

Hörer für den größeren Zusammenhang unter solchem name-dropping zu verschütten. Daher werde<br />

ich versuchen, bei meiner Darstellung der Entwicklung der Theosphischen <strong>Gesellschaft</strong> in Deutsch-<br />

land, weniger auf <strong>die</strong> einzelnen Mitglieder <strong>und</strong> ihre Äußerungen einzugehen, als mit großen - <strong>und</strong><br />

daher auch oft etwas groben - Strichen <strong>die</strong> wichtigsten Stationen <strong>und</strong> Tendenzen der Entwicklung<br />

bis hin zur <strong>Gründung</strong> der Anthroposophischen <strong>Gesellschaft</strong> deutlich zu machen.<br />

Technische Anmerkung: Alle Zitate finden sich in den Büchern meiner Bibliographie, am Ende <strong>die</strong>-<br />

ser Arbeit. Die zitierten Stellen lassen sich nach dem Schema [Autor Seite] mithilfe der Bibliogra-<br />

phie ermitteln. Auch von mir verwendete Siglen - Zitierweise: [Sigle Seite] - finden sich dort in<br />

eckigen Klammern <strong>und</strong> Fettdruck an den jeweiligen Titel angefügt.<br />

1. Historisches<br />

1.1. <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong><br />

<strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> ist am 25. oder 27. Februar 1861 in Kraljevec (damals Ungarn) geboren. Er war das<br />

erste Kind seiner Eltern Johann <strong>Steiner</strong> <strong>und</strong> Franziska, geborene Blie. Seine Kindheit verbrachte er<br />

in Pottschach (Niederösterreich). Seine weitere Kindheit ab 1869 <strong>und</strong> Schulbesuch in Neudörfl (Un-<br />

garn). Ab 1872 Besuch des Naturwissenschaftlichen Gymnasiums in der Wiener Neustadt. 1879<br />

Studiumsbeginn an der Technischen Hochschule Wien (ohne Abschluß); währenddessen Tätigkeit<br />

als Hauslehrer. Ab 1879 Mitarbeit am Goethe- <strong>und</strong> Schillerarchiv in Weimar (Sophienausgabe von<br />

Goethes Werken - <strong>Steiner</strong> bearbeitet Goethes naturwissenschaftliche Schriften.) 1891 Promotion<br />

zum Doktor der Philosophie in Rostock bei Eduard von Hartmann (1842-1906). 1899 Heirat mit<br />

Anna Eunike, <strong>die</strong> ihn nach drei Jahren verläßt. Am 13. Januar 1902 Aufnahme als Mitglied in der<br />

<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> eine Woche später, am 17. Januar 1902 übernahm er den Vorsitz<br />

der Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>. „Am 19. Oktober 1902 wird mit <strong>Rudolf</strong> Stei-<br />

ner als Generalsekretär <strong>die</strong> <strong>Gründung</strong> der Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in Berlin<br />

vollzogen.“ [Klatt 77] Ab 1904 Leiter der esoterischen Schule in Deutschland. 1911 Konflikt mit<br />

Annie Besant. 1913 Ausschluß aus der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> Konstituierung der<br />

Anthroposophischen <strong>Gesellschaft</strong>. Gr<strong>und</strong>steinlegung für das Goetheanum in Dornach (Schweiz).<br />

1914 Heirat mit Marie Sivers. 1919 <strong>Gründung</strong> der ersten Freien Waldorf-Schule in Stuttgart. 1922<br />

- 2 -


<strong>Gründung</strong> der Christengemeinschaft. 1924 <strong>Gründung</strong> der Allgemeinen Anthroposophischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> in Dornach, <strong>Steiner</strong> übernimmt den Vorsitz.; Freie Hochschule für Geisteswis-<br />

senschaft. 1925 stirbt <strong>Steiner</strong> am 30. März in seinem Atelier am Goetheanum.<br />

[Quellen: Klatt, SLeben, Referat von Brigitte Ferdinand im WiSe 1998/99 an <strong>die</strong>sem Institut zum Seminar Esoterik im<br />

19.Jhd., u. a.]<br />

1.2. Wilhelm Hübbe-Schleiden<br />

Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden wurde am 20. Oktober 1846 als jüngster Sohn des Staatsbeamten Dr.<br />

Wilhelm Hübbe <strong>und</strong> seiner Ehefrau Wilhelmine Maria Sophie Eleonore Schleiden in Hamburg ge-<br />

boren. Als er neun Jahre alt war, starb seine Mutter. Schulbesuch (Gymnasium) in Hamburg. In<br />

Göttingen, Heidelberg, München <strong>und</strong> Leipzig Studium der Jurisprudenz, 1869 (4. August) Promoti-<br />

on zum Doktor beider Rechte in Leipzig. Ab dem 30. Juni führte er den Doppelnamen Hübbe-<br />

Schleiden (mit Genehmigung des Hamburger Senats); er wurde in Hamburg als Rechtsanwalt zuge-<br />

lassen. Im Mai 1875 schiffte er sich mit August S. Bolton nach Afrika ein <strong>und</strong> gründete am 8. Juli<br />

1875 in Gabun <strong>die</strong> Handelsfirma «Bolton & Schleiden». Im Jahr 1877 endete <strong>die</strong> Handelstätigkeit<br />

Hübbe-Schleidens in Afrika unter recht dramatischen Umständen 2 <strong>und</strong> er konnte im Dezember <strong>die</strong>-<br />

ses Jahres wieder nach Deutschland zurückkehren, wo er sich der kolonialpolitischen Bewegung<br />

anschloß. 3 Diese Bewegung blieb bis 1884 seine geistige Heimat. Ab dem Jahr 1883 sind erste Be-<br />

ziehungen zur Theosophie nachweisbar: „Seit 1883/84 gehört Hübbe-Schleiden zu den führenden<br />

Persönlichkeiten der <strong>Theosophische</strong>n Bewegung <strong>und</strong> mit seinem Namen ist <strong>die</strong> 1884 erfolgte Einführung<br />

der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland verb<strong>und</strong>en. Im Herbst des Jahres 1901 lernt er den<br />

Vortragsreisenden <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> kennen. An dessen Wahl zum Generalsekretär der 1902 gegründeten<br />

Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> war er ebenso beteiligt wie an dem 1912/13 erfolgten<br />

Bruch mit ihm.“ [Klatt 18]<br />

Von Oktober 1894 bis zum 25. April 1896 macht Hübbe-Schleiden eine In<strong>die</strong>nreise.<br />

Am 17. Mai 1916 stirbt Hübbe-Schleiden in Göttingen<br />

[Quelle: Klatt]<br />

2 Genaueres in [Klatt 16]<br />

3 Dieser Bewegung ging es um den Erwerb von deutschen Kolonien <strong>und</strong> einer Einwanderung aus dem Deutschen<br />

Reich in <strong>die</strong>se. [Klatt 16]<br />

- 3 -


1.3. <strong>Theosophische</strong> <strong>und</strong> Anthroposophische <strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland<br />

Am 27. Juli 1884 wurde <strong>die</strong> «<strong>Theosophische</strong> Sozietät Germania» in Elberfeld unter dem Vorsitz<br />

von Henry Steel Olcott gegründet. Ihr Präsident wurde Hübbe-Schleiden. Schon im folgenden Jahr<br />

erschien der Bericht von Richard Hodgson in den Proceedings of the Society for Psychical Rese-<br />

arch in welchem Helena Petrovna Blavatsky Betrügereien vorgeworfen wurden, 4 was für <strong>die</strong> junge<br />

theosophische Gruppe in Deutschland sehr belastend war <strong>und</strong> nicht nur zu Mitgliederschw<strong>und</strong> führ-<br />

te (18 von 33 Mitgliedern traten aus), sondern auch den Namen «Theosophie» in Deutschland in<br />

Mißkredit brachte. Auch aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> trat Hübbe-Schleiden am 8. Februar 1886 aus der Ge-<br />

sellschaft aus, allerdings forderte er umgehend sein Mitgliedsdiplom zurück. Aber schließlich wur-<br />

de am 31. Dezember 1886 <strong>die</strong> <strong>Gesellschaft</strong> durch «Majoritäts-Beschluss» aufgelöst.<br />

Hübbe-Schleiden wirkte aber in ihrem Sinne fort: Er gründete 1886 <strong>die</strong> Monatszeitschrift Sphinx<br />

<strong>und</strong> - auf Wunsch der Leser <strong>und</strong> Autoren <strong>die</strong>ser Zeitschrift - 1892 in Berlin <strong>die</strong> «<strong>Theosophische</strong><br />

Vereinigung» <strong>und</strong> am 3. November 1893 den ersten «Esoterischen Kreis» in Deutschland. Im Bei-<br />

sein von Olcott gründete Hübbe-Schleiden am 29. Juni 1894 in Berlin <strong>die</strong> «Deutsche <strong>Theosophische</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong>». Sein Einsatz für <strong>die</strong>se <strong>Gesellschaft</strong> wurde aber durch seine In<strong>die</strong>nreise (s. o.)<br />

unterbrochen. Nachdem es in Deutschland in verschiedenen Städten (Charlottenburg, München,<br />

Hamburg, Kassel, Düsseldorf, Leipzig) zur <strong>Gründung</strong> von Logen gekommen war, gründete Hübbe-<br />

Schleiden nach seiner Rückkehr aus In<strong>die</strong>n eine Loge in Hannover. Die Aufspaltungen der Theso-<br />

sophischen <strong>Gesellschaft</strong> zu <strong>die</strong>ser Zeit (Tingley, Hartmann) machten aber ein gemeinsames Arbei-<br />

ten der deutschen Logen unmöglich. Daher auch <strong>die</strong> Querelen vor der <strong>Gründung</strong> einer gemeinsamen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland, zu welcher es dann schließlich doch kam: „Am 19. Oktober 1902 wird<br />

mit <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> als Generalsekretär <strong>die</strong> <strong>Gründung</strong> der Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n Gesell-<br />

schaft in Berlin vollzogen.“ [Klatt 77]<br />

[Quelle: Klatt]<br />

4 Davon war in <strong>die</strong>sem Seminar schon oft genug <strong>die</strong> Rede - ich gehe daher nicht näher darauf ein.<br />

- 4 -


2. Die Deutsche Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

2.1. <strong>Gründung</strong><br />

Die verschiedenen theosophischen Gruppierungen in Deutschland waren unter sich recht uneins in<br />

der Frage, ob <strong>und</strong> wie man eine gemeinsame deutsche <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> gründen könne.<br />

Zum Beispiel 5 war Hübbe-Schleiden ein getreuer Anhänger der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in<br />

Adyar <strong>und</strong> von Henry Steel Olcott <strong>und</strong> Annie Besant; 6 <strong>die</strong> Leipziger Loge hingegen, deren Präsident<br />

Franz Hartmann 7 war, gehörte zu den von Hübbe-Schleiden so genannten den «Hartmannianern»,<br />

<strong>und</strong> ihre Mitglieder verstanden sich natürlich als Anhänger der von Franz Hartmann vertretenen<br />

Theosophie [Klatt 66]. Worin nun aber <strong>die</strong> Unterschiede der verschiedenen Gruppierungen konkret<br />

bestanden, ist recht schwer auszumachen: „Alle erhoben den Anspruch, <strong>die</strong> legitime <strong>und</strong> im Geiste von<br />

Helena Petrovna Blavatsky arbeitende <strong>Gesellschaft</strong> zu sein.“ [Klatt 66] Die größte Schwierigkeit, <strong>die</strong> zur<br />

<strong>Gründung</strong> einer deutschen <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> überw<strong>und</strong>en werden mußte, war zu <strong>die</strong>ser<br />

Zeit ganz schlicht: Man konnte sich nicht auf einen Vorsitzenden einigen. Verschiedene Gruppie-<br />

rungen verfolgten ausnahmslos ihre eigenen Interessen; das beschreibt auch <strong>Steiner</strong> in seiner Auto-<br />

biographie so: „Aber ein großer Teil der Mitglieder waren fanatische Anhänger einzelner Häupter der<br />

<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>. Sie schworen auf <strong>die</strong> Dogmen, <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen stark im sektiererischen Sinn<br />

wirkenden Häuptern ausgegeben waren. Mich stieß <strong>die</strong>ses Wirken der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> durch<br />

<strong>die</strong> Trivialität <strong>und</strong> den Dilettantismus, <strong>die</strong> darinnen steckten, ab.“ [SLeben 308] Auch Hübbe-Schleiden<br />

war sich darüber im Klaren, daß der Name «Theosophie» in Deutschland kein gutes Aushängeschild<br />

war, <strong>und</strong> auch <strong>die</strong>s war ein Gr<strong>und</strong>, warum er <strong>die</strong> <strong>Gründung</strong> einer gemeinsamen <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland nicht eben eifrig betrieb; er war der Meinung, daß man dem deutschen<br />

Publikum zuerst eine naturwissenschaftliche Gr<strong>und</strong>lage für <strong>die</strong> wichtigsten in der Theosophie<br />

vertretenen Lehrsätze präsentieren müsse. Daher sah er es als seine Lebensaufgabe, vor allem den<br />

Gedanken der Palingenesie <strong>und</strong> das Karmagesetz auf naturwissenschaftlicher Basis zu beweisen.<br />

5 Ich will nicht zu viele einzelne Gruppen <strong>und</strong> Namen nennen, da mir eine solche Auflistung in einem Referat nicht angebracht<br />

erscheint. Die wichtigsten Personen, an denen sich Hübbe-Schleiden <strong>und</strong> zunächst auch <strong>Steiner</strong> rieben,<br />

sind: Richard Bresch (Lebensdaten sind mir nicht bekannt), Bernhard Hubo (1851-1935). Mit Hübbe-Schleiden<br />

arbeiteten zunächst: Ludwig Deinhard (1847-1917), Günther Wagner (1842-1930).<br />

6 Annie Besant, geb. Wood (1847-1933), Theosophin, 1907 Präsidentin der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>. — Henry<br />

Steel Olcott (1832-1907), Rechtsanwalt in New York, Mitbegründer der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>, Präsident der<br />

<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>. [Klatt 269, 283]<br />

7 Dr. Franz Hartmann (1838-1912), Arzt, Theosoph, 1896 Begründer der Internationalen theosophischen Verbrüderung<br />

<strong>und</strong> der «<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland» (Hartmannianer) [Klatt 277].<br />

- 5 -


„Hübbe-Schleiden hatte im Herbst des Jahres 1901 <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> persönlich kennengelernt.“ [Klatt 73]<br />

Zwischen den beiden herrschte zunächst - trotz teilweise verschiedener Ansichten - Einverständnis.<br />

Als sich <strong>Steiner</strong> um das Amt eines Generalsekretärs der Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> bewarb, versprach er Hübbe-Schleiden, 8 daß er <strong>die</strong> <strong>Gesellschaft</strong> in seinem (also Hübbe-<br />

Schleidens) Sinne leiten wolle: „Das wissen Sie aus unserem kurzen Zusammengehen, daß ich nie etwas<br />

anderes im Rahmen der Theosophical Society tun kann, als was auch ihren Intentionen entsprechen wird.“<br />

[SBriefeII 269/270; Klatt 72] Allerdings schreibt <strong>Steiner</strong> wenige Zeilen später, daß er der Ansicht sei,<br />

daß man innerhalb der theosophischen Bewegung über Blavatsky <strong>und</strong> Besant noch hinausgehen<br />

können, was ja auch der Standpunkt Hübbe-Schleidens sei. „Überblickt man jedoch <strong>die</strong> spätere Diskus-<br />

sion <strong>und</strong> Auseinandersetzung, dann scheint zwar <strong>die</strong> Frage unbestritten, daß über Helena Petrovna Blavatsky<br />

<strong>und</strong> Annie Besant hinauszugehen sei, doch in welcher Richtung <strong>die</strong>s zu geschehen habe, darüber herrschten<br />

offenbar Mißverständnisse vor.“ [Klatt 73]<br />

In <strong>die</strong>ser Zeit (1901/1902) gingen von mehreren theosophischen Gruppierungen in Deutschland Be-<br />

strebungen aus, <strong>die</strong> verschiedenen <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>en in Deutschland zu vereinigen. Zu<br />

<strong>die</strong>sem Zweck veranstaltete Paul Raatz, der der Tingley-Gruppe angehörte, 9 am 25. August 1901 ei-<br />

nen <strong>Theosophische</strong>n Kongreß in Berlin, der jedoch ohne Ergebnis verlief. Dennoch mag <strong>die</strong>s ein<br />

Gr<strong>und</strong> für <strong>die</strong> anderen theosophischen Gruppierungen gewesen sein, nun ihrerseits <strong>die</strong> Sektions-<br />

gründung voranzutreiben. [Klatt 74] Vor allem Richard Bresch 10 wollte eine eigene Sektion, doch ge-<br />

rade ihn wollte Hübbe-Schleiden ganz sicher nicht als Generalsekretär. Aber Bresch breschte vor<br />

<strong>und</strong> stellte - nachdem er sich der Unterstützung von 7 Logen 11 versichert hatte - einen Antrag auf<br />

Sektionsgründung in Adyar. „Hierdurch gezwungen, da man es unbedingt vermeiden wollte, Bresch <strong>die</strong><br />

Sektion in <strong>die</strong> Hand zu geben, einigten sich <strong>die</strong> übrigen ebenfalls auf <strong>die</strong> Sektionsgründung <strong>und</strong> schlugen<br />

<strong>Steiner</strong> als Generalsekretär vor.“ [Klatt 75] Weil es in Deutschland keinen altbekannten Theosophen<br />

gab, der von allen Gruppen unterstützt worden wäre, war es eben der - in der <strong>Gesellschaft</strong> ja noch<br />

recht neue - <strong>Steiner</strong>, auf den man sich einigen konnte. Die <strong>Gründung</strong> der Deutschen Sektion der<br />

<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> erfolgte am 19. Oktober 1902 in Berlin. [Klatt 77]<br />

8 In einem Brief vom 16.August 1902<br />

9 Paul Raatz, Kaufmann in Berlin, Theosoph, 1896 Anschluß an <strong>die</strong> Amerikanische Abspaltung der <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> (Judge-Tingley) <strong>und</strong> Begründer des Zweiges Berlin als Teil der Judge-Tingley-Bewegung, Vorsitzender<br />

<strong>die</strong>ser <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland [zitiert aus: Klatt 285/286].<br />

10 Richard Bresch, Verleger in Leipzig <strong>und</strong> Dresden, Theosoph, 1899-1906 Redakteur <strong>und</strong> mit Graf Brockdorff<br />

Herausgeber der Zeitschrift Der Vahan, später alleiniger Herausgeber, 1905 Austritt aus der <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong>. [Klatt 271] — Cay Lorenz Graf von Brockdorff (1844-1921), preußischer Rittmeister a. D., Theosoph,<br />

Sekretär der Deutschen <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> in Berlin. [Klatt 271]<br />

11 Diese Zahl ist nach der Satzung der Thesophischen <strong>Gesellschaft</strong> notwendig, um eine Sektionsgründung beantragen<br />

zu können.<br />

- 6 -


2.2. Die Spaltung zeichnet sich ab<br />

So schien also zunächst eine schwierige Hürde genommen zu sein <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> Gesell-<br />

schaft in Adyar hatte nunmehr endlich eine Deutsche Sektion. Hübbe-Schleiden war am Anfang<br />

sehr zufrieden mit der Entwicklung, klagte aber schon bald häufig darüber, daß <strong>Steiner</strong> seine amtli-<br />

che Korrespondenz zu wenig pflege [Klatt 77]. 12 <strong>Steiner</strong> wiederum hatte viel zu arbeiten, denn er hat-<br />

te als Organ der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>die</strong> Zeitschrift Luzifer (später Luzifer-Gnosis, nach dem Zusammen-<br />

schluß mit der Zeitschrift Gnosis von „Herr Rappaport in Wien“ [SLeben 316] 13 ) gegründet <strong>und</strong> er<br />

„schrieb den größten Teil des «Luzifer».“ [SLeben 315] <strong>Steiner</strong>s Arbeit als Generalsekretär, seine schrift-<br />

lichen Äußerungen <strong>und</strong> Vorträge, scheinen den älteren Mitgliedern der Theosophie in Deutschland<br />

mehr <strong>und</strong> mehr suspekt geworden zu sein: „Von vielen Mitgliedern der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

wird das Verschweigen der Quellen durch <strong>Steiner</strong> häufig beklagt, weil <strong>die</strong>s für Theosophen durchaus unge-<br />

wöhnlich sei.“ [Klatt 83] Hübbe-Schleiden sagt zu <strong>Steiner</strong>s Äußerungen kurz: es sei „zum größten Teil<br />

alter Kohl <strong>und</strong> sehr schlecht aufgewärmt.“ [Klatt 79, Brief von Hübbe-Schleiden an Ludwig Deinhard vom<br />

04.07.1905] Daß das weniger gebildete Publikum, welches nicht immer <strong>die</strong> Quellen kennen konnte,<br />

aus welchen <strong>Steiner</strong> schöpfte, <strong>die</strong>sen selbst selbst für den Propheten halten mußte, war für manch<br />

einen Theosophen ausgesprochen ärgerlich [Klatt 83/84, Brief von Hugo von Gizycki an Hübbe-Schleiden vom<br />

11.01.1909]. Andere mokierten sich über <strong>Steiner</strong>s - offensichtlich sehr lautstarken - Vortragsstil: „Das<br />

Brüllen müsse man ihm doch abgewöhnen können!“ [Klatt 170, In einem Brief von Hübbe-Schleiden an Ludwig<br />

Deinhardt; Hübbe-Schleiden paraphrasiert dabei ein Äußerung von Günther Wagner] Auch <strong>Steiner</strong>s Schriften, ha-<br />

ben nicht allseits lobende Worte gef<strong>und</strong>en; so schreibt Ludwig Deinhart 14 an Hübbe-Schleiden über<br />

<strong>Steiner</strong>s Geheimwissenschaft im Umriss unter anderem: „Das lange Kapitel über <strong>die</strong><br />

Weltenentwicklung <strong>und</strong> <strong>die</strong> Entwicklung des Menschen ist eine Lecture, bei der man glaube ich alle seine<br />

Sünden abbüsst. Wenn einem <strong>die</strong>se Dinge von <strong>Steiner</strong> mit seiner pathetischen Predigerstimme vorgetragen<br />

werden, dann glaubt man, man verstehe sie. Wenn man sie aber Schwarz auf Weiss vor sich hat <strong>und</strong> soll nun<br />

<strong>die</strong>sem abstrusen Gedankengang folgen, dann packt einen nach kurzer Zeit eine wilde Verzweiflung.“ [Klatt<br />

90] Hübbe-Schleiden erklärt <strong>Steiner</strong>s Lehre schlicht für einen Rückfall ins Mittelalter [Klatt 86/87]; er<br />

bemängelt, daß <strong>Steiner</strong> kritiklose Schüler wünscht <strong>und</strong> erzeugt, daß man, um ihm zu folgen, das<br />

sacrificium intellectus erbringen müsse [Klatt 92, 95, Briefe von Hübbe-Schleiden]; aber er gibt auch der<br />

Hoffnung Ausdruck, daß <strong>Steiner</strong> „seine geistigen Flegeljahre überwindet <strong>und</strong> überlebt.“ [Klatt 173, Brief<br />

von Hübbe-Schleiden an Ludwig Deinhard vom 07.08.1904]. Überhaupt bleiben in den ersten Jahren <strong>die</strong><br />

Äußerungen von Hübbe-Schleiden bezüglich der Aktivitäten <strong>Steiner</strong>s seltsam schillernd: Einmal<br />

12 Allerdings liegen für <strong>die</strong> erste Zeit eine Menge Briefe von <strong>Steiner</strong> an Hübbe-Schleiden vor: [SBriefeII 256-314].<br />

13 Genaueres in [Klatt 78, Anm. 269]<br />

14 Ludwig Deinhard (1847-1917), Ingenieur aus Deidesheim/Pfalz, Mitarbeiter psychologischer <strong>und</strong> okkultistischer<br />

Zeitschriften, Theosoph, Anthroposoph. [Klatt 272]<br />

- 7 -


kritisiert er <strong>Steiner</strong> vehement, ein anderes Mal anerkennt er <strong>Steiner</strong>s geistige Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

Leistungen: „Daß <strong>Steiner</strong> für <strong>die</strong> beste Behandlung der inneren Kräfte der richtige Führer ist, bezweifle ich<br />

nicht.“ [Klatt 94, Brief von Hübbe-Schleiden an Ludwig Deinhardt vom 01.09.1908] Aber nie läßt er sich von<br />

den Anschauungen <strong>Steiner</strong>s völlig überzeugen. Für ihn ist <strong>Steiner</strong> zu wenig Wissenschaftler <strong>und</strong> zu<br />

sehr okkultistisch beziehungsweise mystisch ausgerichtet. <strong>Steiner</strong>s «Rosenkreuzertum» scheint ihm<br />

zwar eine berechtigte Untergruppierung innerhalb der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> sein zu können,<br />

nicht aber <strong>die</strong> beherrschende Lehre. Als <strong>Steiner</strong> seine Lehre von den zwei Jesusknaben <strong>und</strong> dem<br />

«Mysterium von Golgatha» verkündet, 15 wird das Verhältnis immer gespannter: „Im Christus-Prinzip<br />

fand <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>und</strong> vor allem <strong>die</strong> Deutsche Sektion ihr Thema, an dem sich der Bruch<br />

konkretisieren sollte.“ [Klatt 96]<br />

2.3. Zerwürfnis<br />

Während für <strong>Steiner</strong> das «Mysterium von Golgatha» eine immer zentralere Stellung einnahm,<br />

bereitete Annie Besant - seit 1907 Präsidentin der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> - von Adyar aus <strong>die</strong><br />

Wiederkunft eines neuen Weltlehrers vor. Dieser solle sich dereinst in seinem «Gefäß», dem jungen<br />

Inder Krishnamurti - in Deutschland zunächst unter dem Sternennamen Alzyone 16 bekannt, manife-<br />

stieren [Klatt 101]. Daß Besant auf ihren Vortragsreisen im Okzident <strong>die</strong>sen Weltlehrer nicht nur als<br />

«Bodhisattva Maitreya», sondern - wohl des besseren Verständnisses der westlich geprägten Zuhö-<br />

rerschaft wegen - auch als «Christus» bezeichnete [Klatt 101, 189 (Brief); Meyer 52, 131], war Anlaß für<br />

viele Verwechslungen <strong>und</strong> natürlich auch für Streitereien [Klatt 189/190, 196 (Briefe)]. Dennoch wäre<br />

<strong>die</strong>se Differenz der Lehrmeinungen allein wohl kaum ein Gr<strong>und</strong> für eine Trennung gewesen, vor al-<br />

lem Hübbe-Schleiden wies immer wieder darauf hin, daß zwischen den «Rosenkreuzern» <strong>und</strong> der<br />

Lehre von Besant kein Widerspruch bestehe [Klatt 186 (Brief)]. Innerhalb der <strong>Theosophische</strong>n Gesell-<br />

schaft gab es eine Menge von verschiedenen Meinungen, <strong>die</strong> sehr wohl nebeneinander bestehen<br />

konnten - solange sie sich nicht gänzlich gegenseitig ausschließen wollten <strong>und</strong> dem Gr<strong>und</strong>satz der<br />

<strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> treu blieben, nämlich allen Menschen, unabhängig von ihrer Religi-<br />

onszugehörigkeit, offen zu sein. Das eigentliche Dilemma, der „okkulte Widerspruch“ [Klatt 209, Brief<br />

von Hübbe-Schleiden an Ludwig Deinhard vom 27.09.1911], bestand hauptsächlich darin, daß Besant auf ei-<br />

ner körperlichen Reinkarnation des «Christus-Maitreya» bestand, was wiederum <strong>Steiner</strong> gr<strong>und</strong>sätz-<br />

lich ablehnte, da sich seiner Meinung nach eine solche Wiederkunft Christi nur auf der astralen<br />

15 Das wird unter anderem das Thema der nächsten Referate sein; daher werde ich mich hier nicht darüber auslassen.<br />

16 Siehe dazu [Klatt 110 Anm. 417, 191 (192 Anm.5)], auch [Meyer 35] <strong>und</strong> vor allem [Meffert 207/208].<br />

- 8 -


Ebene, nicht aber in einem menschlichen Körper vollziehen könnte [Klatt 102; Meyer 41; Giovetti 50;<br />

SLeben 309]. Diese unterschiedlichen Ansichten hatten natürlich weitreichende Implikationen: Da<br />

sich beide Seiten auf ihre okkulte Autorität beriefen, mußte letztendlich auch im okkulten Bereich<br />

der Fehler liegen, mit anderen Worten: entweder logen <strong>die</strong> «Meister», oder <strong>die</strong> geistige Schau zu-<br />

mindest einer der Kontrahenten war eine Täuschung. Aber zu <strong>die</strong>sen eher theoretischen Problemen<br />

gesellten sich natürlich recht weltliche. Schon <strong>die</strong> Ereignisse beim Tod von Olcott - <strong>die</strong> Unterhal-<br />

tungen mit den «Meistern» -, welche schließlich im Jahr 1907 zur Wahl von Besant zur Präsidentin<br />

der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> führten, wurden von <strong>Steiner</strong> mit Mißtrauen betrachtet <strong>und</strong> als ab-<br />

surd bezeichnet. 17 Als Besant dann im Jahre 1911 den «Sternorden» gründete, war ein Gr<strong>und</strong> mehr<br />

für Zwistigkeiten vorhanden - auch wenn <strong>Steiner</strong> zunächst beteuerte, daß ihn der Sternorden gar<br />

nicht interessiere <strong>und</strong> er nichts gegen ihn unternehmen wolle. [Klatt 193, Brief von Ludwig Deinhard an<br />

Hübbe-Schleiden vom 26. Juli 1911]. In <strong>die</strong>se Zeit fällt auch <strong>die</strong> «Affäre Vollrath»: Hugo Vollrath 18 war<br />

von <strong>Steiner</strong> am 26. Oktober 1908 aus der deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> aus-<br />

geschlossen worden. Besant aber schloß Vollrath nicht aus der (internationalen) <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> aus, sondern ernannte ihn sogar zum organisatorischen Sekretär des neugegründeten<br />

Sternordens. Gegen den Willen von Hübbe-Schleiden, der <strong>die</strong> Leitung des Sternordens auf Bitten<br />

von Besant übernommen hatte [Klatt 105, Brief von Ludwig Deinhard an Hübbe-Schleiden, Deinhard zitiert Gün-<br />

ther Wagner], steuerte Vollrath mehr <strong>und</strong> mehr auf eine Konfrontation mit <strong>Steiner</strong> zu, was <strong>die</strong> Abnei-<br />

gung <strong>Steiner</strong>s gegen Sternorden natürlich verstärkte. Vollrath versuchte wieder Mitglied in der<br />

Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> zu werden <strong>und</strong> erhob deswegen massive Vor-<br />

würfe gegen <strong>Steiner</strong>. Da <strong>die</strong>s das Zerwürfnis der deutschen Sektion mit dem Sternorden nur be-<br />

schleunigen konnte, versuchte Hübbe-Schleiden Vollrath los zu werden: auf sein Drängen hin, ent-<br />

zog Besant am 16. November 1911 Vollrath das Amt eines organisatorischen Sekretärs des Sternor-<br />

dens. Der Vorstand der deutschen Sektion lehnte auf der Generalversammlung im Dezember 1911<br />

<strong>die</strong> Wiederaufnahme Vollraths ab. Dennoch war der ganze Vorgang für <strong>Steiner</strong> ein Gr<strong>und</strong> gegen <strong>die</strong><br />

Amtsführung von Besant zu wettern: „‹Er wolle einmal deutsch reden mit Adyar!›, […] Frau Besant habe<br />

ihn schwer beleidigt. In Zukunft würde es so, dass er bestimme, was geschehe <strong>und</strong> nicht Adyar.“ [Klatt 109-<br />

113, das Zitat findet sich ibid. 211/211: aus einem Brief von Vollrath an Hübbe-Schleiden vom 13.Dezember 1911;<br />

Giovetti 53, Anm. 2] Schon vorher aber gab es Gründe genug, gegen <strong>Steiner</strong>s Amtsführung Position zu<br />

beziehen, denn „<strong>die</strong> Meinungunterschiede in der Christologie allein führten […] nicht zur Trennung.<br />

17 [Meyer 19] zitiert <strong>Steiner</strong>: „‹The absurd business at Olcott`s death› was for <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> ‹the beginning of the final<br />

decline of the Theosophical Society›.“ Als Quelle gibt [Meyer 164, Anm. 24] an: <strong>Steiner</strong>s Vortrag vom 15. Juni<br />

1923 in The Anthroposophic Movement (Gesamtausgabe 258). —Siehe auch [Meffert 205]: <strong>Steiner</strong> warf Besant vor,<br />

einen Verwaltungsakt mit einer „esoterischen Sache“ zu verwechseln.<br />

18 Dr. Hugo Vollrath (1877-?), Verleger in Leipzig, Theosoph, 1933 Ernennung zum Bischof von Erfurt durch den Metropoliten<br />

Abdul Bahai der Gnostischen Kirche. [Klatt 288]<br />

- 9 -


<strong>Steiner</strong> versuchte vielmehr seine Position unangreifbar zu machen. Schon auf der VII. Generalversammlung<br />

der Deutschen Sektion am 26. Oktober 1908 in Berlin hatte er im Gegensatz zu den allgemeinen Statuten be-<br />

schließen lassen, daß Vorstandsmitglieder der Sektion, <strong>die</strong> 7 Jahre <strong>die</strong>ses Amt bekleideten, bis zu ihrem<br />

Tode unabsetzbar sein sollten. In den kritischen Jahre 1911 <strong>und</strong> 1912 legte <strong>Steiner</strong> nun <strong>die</strong> Deutsche Sektion<br />

ganz offen auf seine Lehrauffassung fest <strong>und</strong> schloß jeden aus der Sektion aus <strong>und</strong> verweigerte jedem <strong>die</strong><br />

Aufnahme, der <strong>die</strong>ser nicht zustimmte. Eine Ursache der Trennung scheint also auch darin zu liegen, daß<br />

<strong>Steiner</strong> zwischen seiner Lehrauffassung <strong>und</strong> seiner Tätigkeit als Generalsekretär der Deutschen Sektion<br />

nicht mehr unterschied.“ [Klatt 104/105] Beide Seiten versuchten nun ihre Position zu stärken,<br />

Anhänger um sich zu scharen <strong>und</strong> den Gegner zu disqualifizieren 19 : „Die Abspaltung der<br />

Anthroposophischen <strong>Gesellschaft</strong>, <strong>die</strong> sich seit Mitte des Jahres 1911 anbahnt, ist ein komplizierter<br />

Vorgang, in dem Mißverständnisse <strong>und</strong> Unterstellungen eine Atmosphäre des Mißtrauens schufen.“ [Klatt<br />

109] Schon am 16. Dezember 1911 wurde zunächst ein B<strong>und</strong> für anthroposophische Arbeit gebildet;<br />

im August 1912 kam es zu Verhandlungen über <strong>die</strong> <strong>Gründung</strong> einer Anthroposophischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>, welche sich schließlich am 28. Dezember 1912 konstituierte; am 3. Februar 1913 fand<br />

<strong>die</strong> erste Generalversammlung statt. [Klatt 225, Anm. 6] Am 8. Dezember 1912 läßt <strong>Steiner</strong> auf der<br />

Vorstandssitzung der Deutschen Sektion alle Mitglieder der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>, <strong>die</strong><br />

zugleich auch Anhänger des Sternordens sind, aus der Deutschen Sektion ausschließen [Klatt 118, das<br />

amtliche Schreiben ibid. 224/225]. Dieser Verstoß gegen <strong>die</strong> Statuten der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

erhitzte wiederum <strong>die</strong> Gemüter derer, <strong>die</strong> an Adyar festhalten wollten. Die Anhänger <strong>Steiner</strong>s<br />

verlangten nun auch <strong>die</strong> Absetzung von Annie Besant als Präsidentin der <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong>, <strong>die</strong>se jedoch forderte am 14. Januar 1913 <strong>Steiner</strong> ultimativ auf, eine Erklärung zu<br />

seinem Vorgehen <strong>und</strong> zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu geben. 20 Da <strong>die</strong><br />

Generalversammlung der Deutschen Sektion vom 2. Februar 1913 erklärte, daß sie ihre Vorwürfe<br />

gegen Besant nicht zurücknehmen werde <strong>und</strong> sie für <strong>die</strong> erhobenen Vorwürfe keine befriedigende<br />

Erklärung lieferte, entzog Besant am 7. März 1913 der Deutschen Sektion <strong>die</strong> Charter - womit auch<br />

<strong>die</strong> Absetzung <strong>Steiner</strong>s als Generalsekretär verb<strong>und</strong>en war. Damit hatte <strong>Steiner</strong> aber schon im<br />

Februar rechnen müssen <strong>und</strong> er teilte <strong>die</strong>s auch der dort tagenden Generalversammlung mit, worauf<br />

<strong>die</strong> Anhänger <strong>Steiner</strong>s am 3. Februar 1913 <strong>die</strong> erste Generalversammlung der Anthroposophischen<br />

<strong>Gesellschaft</strong> abhielten [Klatt 121/122]. Damit war der Bruch vollzogen.<br />

19 So behaupteten Besant <strong>und</strong> Hübbe-Schleiden beispielsweise, <strong>Steiner</strong> sei Jesuit [Meffert 224; Klatt 107 u. ö.], <strong>Steiner</strong><br />

wiederum wollte Kontakt zu Blavatsky haben, was Hübbe-Schleiden aber «widerlegen» konnte [Klatt 117]; man<br />

warf sich Dogmatismus <strong>und</strong> Fanatismus vor, etc. All <strong>die</strong>s ist oft kaum verständlich, „doch <strong>die</strong> Vorwürfe der<br />

Unwahrhaftigkeit, <strong>die</strong> gegen Annie Besant <strong>und</strong> <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> erhoben wurden, haben wohl, so unerquicklich sie<br />

auch sein mögen, den Sinn, den Gegner als okkulten Lehrer zu diskreditieren.“ [Klatt 107]<br />

20 Dieses Schreiben von Besant an <strong>Steiner</strong> findet sich in [Klatt 238-240]; es werden - zumindest auf den ersten Blick -<br />

Fehler in <strong>Steiner</strong>s Amtsführung gerügt, nicht seine persönlichen Überzeugungen..<br />

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<strong>Steiner</strong> blieb nach dem Entzug der Charter widerrechtlich im Besitz der Bibliothek der Theosophi-<br />

schen <strong>Gesellschaft</strong>; doch letztere gab es in Deutschland kaum noch: „Fast 90 % der <strong>Theosophische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> in Deutschland, d. h. etwa 2400 Mitglieder, 21 lösten sich mit <strong>Rudolf</strong> <strong>Steiner</strong> von der in In<strong>die</strong>n<br />

anseßigen [sic] Mutterorganisation <strong>und</strong> bildeten <strong>die</strong> Anthroposophische <strong>Gesellschaft</strong>. Hübbe-Schleiden<br />

erhielt ein «Charter» von Annie Besant <strong>und</strong> nahm so autorisiert mit dem verbliebenen Rest, etwa 320<br />

Mitgliedern, <strong>die</strong> Neugründung der Deutschen Sektion der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> vor.“ [Klatt 123]<br />

3. Warum kam es zur Spaltung?<br />

„Die Geschichte aber der T. S. sowohl als der Secession ist sehr kompliciert <strong>und</strong> da läßt sich mit einigen<br />

Schlagworten nichts anständiges ausrichten.“ [Klatt 61, Brief von Clemens Driessen an Ludwig Deinhard vom<br />

14.07.1914] Dies ist sicherlich richtig <strong>und</strong> ich fürchte, daß ich kaum mehr Licht in das Dunkel zu<br />

bringen imstande bin. Dennoch läßt sich einiges zu <strong>die</strong>sem Thema sagen; zunächst einmal das Ne-<br />

gative: In praktisch allen deutschsprachigen Quellen wird als Gr<strong>und</strong> für <strong>die</strong> Trennung der Anthro-<br />

posophischen <strong>Gesellschaft</strong> von der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>, <strong>die</strong> Installierung des Sternordens<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Verkündigung von Krishnamurti als Weltlehrer durch <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ange-<br />

geben. Das hat insofern seine Berechtigung, als es <strong>die</strong>ses Thema ist, welches <strong>die</strong> deutschen Theoso-<br />

phen in «religiösen» Dingen entzweite. Und über <strong>die</strong>ses Thema wurde auch eifrig gestritten <strong>und</strong> ge-<br />

schrieben. Aber dennoch ist <strong>die</strong>s meines Erachtens nur <strong>die</strong> halbe Wahrheit <strong>und</strong> verbleibt an der<br />

Oberfläche. Oberflächlich deshalb, weil <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ja eben mit der Absicht ge-<br />

gründet worden war, daß der Zugang zu ihr für den einzelnen nicht von privaten religiösen Über-<br />

zeugungen abhängig sein sollte. Ich zumindest kenne keinen Fall, in dem ein Theosoph aus der Be-<br />

wegung ausgeschlossen worden wäre, weil er nicht an Krishnamurtis Mission glauben wollte. 22 Es<br />

wäre zu überlegen, ob ein so begründeter Ausschluß überhaupt möglich gewesen wäre. Allerdings<br />

soll <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> laut ihren Statuten, da sie keine Religion bevorzugen darf, auch<br />

unsektiererisch sein - was im Hinblick auf <strong>die</strong> Propaganda für Krishnamurti von anthroposophischer<br />

21 Es waren nicht nur deutsche Theosophen, <strong>die</strong> sich von der Bewegung lossagten; unter den Mitgliedern der jungen<br />

Anthroposophischen <strong>Gesellschaft</strong> fanden sich etwa 1500 Mitglieder aus außerdeutschen europäischen Sektionen<br />

[Meffert 484].<br />

22 Das soll nicht heißen, daß es keinen solchen Fall gegeben hat. Ich weiß es schlicht nicht, würde <strong>die</strong>s aber gern im Seminar<br />

diskutieren: Konnte man Theosoph sein <strong>und</strong> nicht an Krishnamurti <strong>und</strong> <strong>die</strong> «Meister» glauben? Dazu auch<br />

[Klatt 51] über «Dogmata» der Theosophie: Existenz der Meister, Reinkarnation, Karma.<br />

- 11 -


Seite zurecht kritisiert wurde [Meffert 465, Brief des Generalsekretärs der Skandinavischen Sektion vom<br />

26.02.1913]. Innerhalb der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> war den religiösen Vorlieben der Mitglieder<br />

auf jeden Fall ein weiter Spielraum gelassen worden. Daher war es auch unproblematisch, wenn ein<br />

Mitglied sich etwa der westlich-christlichen «Geheimtradition» stark verpflichtet fühlte. So gestatte<br />

Besant auch <strong>Steiner</strong> seine Lehre zu verbreiten <strong>und</strong> erlaubte ihm sogar <strong>die</strong> <strong>Gründung</strong> einer eigenen<br />

Esoterischen Schule, in der <strong>die</strong>se „rosenkreuzerische Tradition“ gepflegt werden solle [Klatt 87,<br />

Anm.310]. Es ist daher unwahr, wenn <strong>Steiner</strong> in seiner Autobiographie 23 schreibt, daß er innerhalb<br />

der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> eine abweichende Lehrmeinung vertreten hätte (was nicht an ihm,<br />

sondern an den Veränderungen der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> gelegen hätte), was ihm nicht er-<br />

laubt worden wäre <strong>und</strong> daher zur Trennung geführt hätte [SLeben 309]: Er durfte seine Lehre verbrei-<br />

ten. Aber anders herum betrachtet ergibt <strong>die</strong> Sache einen Sinn: <strong>Steiner</strong>s Beharren auf dem - seiner<br />

Meinung nach - für <strong>die</strong> gesamte Menschheit entscheidenden Ereignis von Golgatha führte das Prin-<br />

zip religiöser Spaltung wieder in <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ein, denn für einen Muslim, einen<br />

Juden oder einen Hindu war das natürlich so nicht hinnehmbar. 24 Wenn <strong>Steiner</strong>s Lehre zur<br />

allgemeinen Lehre der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> geworden wäre, wäre damit eine der gr<strong>und</strong>le-<br />

genden Intentionen der <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> ad absurdum geführt worden; <strong>und</strong> dagegen muß-<br />

te sich <strong>die</strong> <strong>Theosophische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> entsprechend ihrer Statuten wehren. 25<br />

Es sollte aber neben dem religiösen Kampfplatz der weltliche nicht vergessen werden. Natürlich<br />

war Krishnamurti für <strong>Steiner</strong> ein Konkurrent; nicht nur in Sachen der Lehrautorität - war doch „so-<br />

wohl seine Lehre wie auch seine Stellung als okkulter Führer in der von ihm gepflegten Esoterischen Schule<br />

durch <strong>die</strong> Verkündigung Krishnamurtis als Gefäß für den Christus-Maitreya gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage gestellt“<br />

[Klatt 102] worden -, sondern auch in ganz praktischem Sinne: sollte sich <strong>Steiner</strong> jemals Aussichten<br />

auf den Posten als Präsident der internationalen <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> gemacht haben, wofür<br />

einiges spricht, so waren <strong>die</strong>se Hoffnungen durch Krishnamurtis Auftreten obsolet geworden [Klatt<br />

102/103].<br />

Zu all dem kommt noch <strong>die</strong> menschliche Schwäche hinzu. Wo <strong>die</strong> Hauptakteure unterschiedliche<br />

Meinungen habe, aber jeder einen reichlich hypertrophen Wahrheitsanspruch, 26 ist ein Konflikt ver-<br />

23 <strong>Steiner</strong> will sich mit seiner Autobiographie gegen „manches schiefe Urteil“ verteidigen (man denke an den<br />

unbegründeten Vorwurf, daß er Jesuit sei! [Klatt 81]); durch eine „objektive Beschreibung“ seines Lebens [SLeben<br />

7]. Nun ist aber Objektivität ausgerechnet „von einer Autobiographie nie zu erwarten.“ [Wehr 162]<br />

24 [Klatt 99]: „Mit der einzigartigen Hervorherbung des Christusgeistes wurde nun das Prinzip der religiösen Spaltung<br />

in <strong>die</strong> Thesosophische <strong>Gesellschaft</strong> eingeführt. Diese betrachtete sich als ein <strong>die</strong> Völker <strong>und</strong> Religionen<br />

umspannender Bruderb<strong>und</strong>. Juden, Moslems oder Hindus hätten jedoch wohl kaum eine Theosophie akzeptiert, in<br />

deren Zentrum eine alles beherrschende Christologie im christlichen Gewande stand.“<br />

25 Das ist noch immer so: „Wir wachsen nicht, indem wir dem Diktat einer Autorität blindlings folgen, wie hoch sie<br />

auch immer sein mag.“ (aus: Gr<strong>und</strong>legende Ideen der Theosophie, http://www.theosophischerverlag.de/pasadena2.html)<br />

26 [Klatt 79, Brief von Hübbe-Schleiden an Ludwig Deinhard vom 04.07.1905]: „Frau Besant ist wohl gegenwärtig das<br />

einzige Menschenwesen, dem er [<strong>Steiner</strong>] noch eine ihm selbst ebenbürtige Urteilsfähigkeit zutraut.“<br />

- 12 -


mutlich unausweichlich. „Daß sich Dr. <strong>Steiner</strong> nicht gut rathen lasse“ [Klatt 77, Brief von Hübbe-Schleiden<br />

an Ludwig Deinhard vom 26.12.1902] ist den deutschen Mitgliedern der <strong>Theosophische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

recht bald aufgefallen. Aber auch Besant galt als sehr „stolze Frau“ [Klatt 236, Brief von Ludwig Deinhard<br />

an Hübbe-Schleiden vom 03.01.1913; Deinhard zitiert Hübbe-Schleidens Urteil über Besant]. Es ist sicher richtig,<br />

daß in der Literatur der Streit <strong>die</strong>ser beiden Persönlichkeiten hauptsächlich auf religiösem Terrain<br />

ausgefochten wurde; aber natürlich ging es um ganz handfeste Dinge: Macht <strong>und</strong>. Einfluß innerhalb<br />

der <strong>Gesellschaft</strong>. Daher beklagt Besant auch weniger <strong>Steiner</strong>s Überzeugungen, als seine Amtsfüh-<br />

rung: Offensichtlich ließ er nur noch Logen gründen <strong>und</strong> nahm nur noch solche Mitglieder neu auf,<br />

<strong>die</strong> seiner eigenen Auffassung nicht widersprachen - aber andererseits: was hätte er sonst tun sollen,<br />

wollte er nicht seinen Einfluß verlieren? Und zu einer Vermittlung, wie sie Hübbe-Schleiden in sei-<br />

nen Erklärungen zu Krishnamurti immer wieder versuchte [Klatt 183-207, <strong>die</strong> Briefe von Hübbe-Schleiden],<br />

ist es nicht gekommen. Beide Parteien hätten hier wohl den von <strong>Steiner</strong> so verehrten Goethe etwas<br />

mehr beim Wort nehmen sollen: „Wenn zwei Meister derselben Kunst in ihrem Vortrag voneinander<br />

differieren, so liegt wahrscheinlicherweise das unauflösliche Problem in der Mitte zwischen beiden.“ 27<br />

27 Goethe, Maximen <strong>und</strong> Reflexionen, Nr. 995, S. 117, Hempels Klassiker-Ausg. Bd. 20, Berlin; Leipzig; Wien; Stuttgart<br />

o. J.<br />

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-, Die Apokalypse des Johannes, Berlin 1 1911, Dornach 7 1985<br />

-, Die Wirklichkeit der höheren Welten, Vorträge vom November 1921, Dornach 2 1988<br />

-, Gr<strong>und</strong>legendes für eine Erweiterung der Heilkunst / nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen, mit Dr.<br />

Ita Wegman, Dornach 1 1925, 7 1991<br />

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