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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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158<br />

von ‚Tieren und der Umwelt‛ in den Blick zu nehmen, geschieht <strong>die</strong>s aus menschlichem<br />

Eigeninteresse, zumindest aus menschlichem Maßstab.<br />

Die ‚Georgica curiosa‛ von Wolfgang Helmhard von Hohberg, <strong>die</strong> ab 1682 in<br />

mehreren Auflagen erschien, wird gelegentlich als Höhepunkt der Hausväterliteratur<br />

eingestuft. 239 Obwohl er selbst vorgibt, <strong>die</strong> antiken Vorläufer nicht weiter zu<br />

berücksichtigen, führt doch eine inhaltliche Linie von den namhaften antiken<br />

Ratgebern direkt zu Hohberg. Wie sein heimliches antikes Vorbild Columella 240<br />

äußert Hohberg sich auch zu Schädlingsfragen, aber wie sein antiker Vorläufer<br />

verfasst Hohberg keine eigenen Kapitel hierzu, sondern seine Diagnosen und<br />

Empfehlungen sind eingebettet in Texte über Kulturpflanzen oder <strong>die</strong> Pflege der<br />

Nutztiere. Hohbergs Ratschläge <strong>zur</strong> Bekämpfung sind lapidar. Detaillierter werden<br />

von ihm Angaben über alternative Nutzungsformen der Schadorganismen in der<br />

Therapierung von Krankheiten bei Mensch und Vieh bis hin zum Abwehrzauber<br />

gemacht. 241<br />

Damit <strong>ist</strong> ein entscheidender Aspekt benannt, der das Raisonnement vom 17.<br />

bis ins 19. Jahrhundert hinein bestimmt: Es <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Gleichzeitigkeit nützlicher wie<br />

schädlicher Eigenschaften eines Schädlings, welche <strong>die</strong> damalige Herausbildung<br />

und das heutige Erkennen eines klar definierten ‚Schädlingsdiskurses‛ erschwert. 242<br />

Eine Fun<strong>die</strong>rung jenes Denkens in ambivalenten Qualitäten aus den damals herrschenden<br />

harmon<strong>ist</strong>ischen Naturvorstellungen wäre mühelos herstellbar. Indes<br />

scheinen mir Zweifel angebracht, ob es sich hierbei um ein Absinken eines gelehrten<br />

Diskurses bis auf <strong>die</strong> Ebene der Volkskultur bzw. <strong>die</strong> praxeologische Ebene<br />

handelt. Viel eher vermute ich ein Überleben und anhaltendes Durchschlagen einer<br />

alltagspraktischen Ordnung, in der zweckrationales Handeln <strong>die</strong> selbstverständliche<br />

Basis für <strong>die</strong> Durchsetzung des menschlichen Eigeninteresses abgibt. 243 Aber <strong>die</strong><br />

239 Ein willkürlicher Beginn kann bereits mit Johann Domnitzer gesetzt werden, dessen 32 Seiten<br />

umfassender Ratgeber (1529) mit Empfehlungen <strong>zur</strong> Schädlingsbekämpfung endet.<br />

240 Columella, besonders Bücher 1,2,6 und 7. Hierzu vgl. Kreyser (1996).<br />

241 Eine ver<strong>die</strong>nstvolle Zusammenstellung der Schädlinge aus den wichtigsten Hausvätern hat Grau<br />

(1971) vorgelegt, ohne zu den ep<strong>ist</strong>emologischen Fragen vorzudringen.<br />

242 Das wird besonders deutlich, wenn das ansonsten schädliche Tier bzw. Produkte aus ihm als<br />

Handelsware erhebliche wirtschaftliche Bedeutung bekommen. Paradebeispiel hierfür <strong>ist</strong> das Fell<br />

des Hamsters: Meusel (1817) S.43; Stein (1811) Bd.1, Fürstentum Gotha, S. 795; Courtin (1835)<br />

S. 356; Schiebe (1837) Bd 2, S. 9. Ähnlich ambivalent <strong>ist</strong> <strong>die</strong> Situation beim Maikäfer, für den sich<br />

früh eine wirtschaftliche Verwendung als Dünger ergibt wie im besonders maikäfergeplagten<br />

Kanton Bern: Say (1818) Bd. 1, S. 328.<br />

243 Die Lage <strong>ist</strong> sicherlich noch komplexer als hier skizziert, aber im Hinblick auf unser Thema<br />

bislang nicht untersucht. Die Balance zwischen Aufklärungsanspruch und abergläubischen Reminiszenzen<br />

<strong>ist</strong> z.B. das Hauptproblem der ‚Volkskalender‛, <strong>die</strong> im 18. und 19.Jahrhundert eine<br />

wichtige Informationsquelle auch für den lesekundigen Bauern bzw. Landwirt darstellen. Die Kalender<br />

verschneiden um des Verkaufserfolges willen <strong>die</strong> aufgeklärte Einsicht mit dem verbreiteten<br />

‚abergläubischen‛ Standard bzw. Relikt, also der Kenntnis der voraufklärerischen magischen<br />

Wissenschaft und der volkskulturlichen Praxeologie. Damit avanciert <strong>die</strong> Kalendergeschichte einerseits<br />

zum wichtigen pädagogischen Aufklärungsvehikel, mit dem auch Einsichten <strong>zur</strong> Schädlingsthematik<br />

transportiert werden. (Das Paradebeispiel hierfür liefern Johann Peter Hebels Ka-

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