06.01.2013 Aufrufe

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Schädlinge in Brandenburg (2007)<br />

eben auch ein Missverständnis, für sie eine Wirkungszuschreibung zu behaupten,<br />

<strong>die</strong> bei den Akteuren <strong>die</strong> Annahme einer Deckungsgleichheit mit der rituellen,<br />

magischen Applikation unterstellt, wie das Beispiel der !Kung lehrt.<br />

Spätestens ab der Mitte des 17. Jahrhunderts werden <strong>die</strong> Konzepte der magischen<br />

Wissenschaft zunächst zaghaft, dann immer stärker werdend, flankiert von<br />

der aufkommenden rationalen Sichtweise, welche für <strong>die</strong> heutige Naturwissenschaft<br />

bestimmend <strong>ist</strong>. Diese Gleichzeitigkeit der letztlich inkompatiblen Natursichten<br />

läuft im Schädlingsdiskurs erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />

aus. Daher verfügt der Schädling des 18. Jahrhunderts als ‚Ungeziefer‛ durchaus<br />

noch alternativ über positive Eigenschaften bis hin zu pharmazeutischen Wirkungen<br />

gegen unerwünschte psychische wie somatische Molesten und Malaisen. Zugleich<br />

fehlt der Schädlingsdiagnose des 17., 18. und 19. Jahrhunderts entsprechend<br />

noch jene terminologische und ideologische Radikalität, <strong>die</strong> sich auf <strong>die</strong> naturwissenschaftliche<br />

Rationalität stützt, mit der <strong>die</strong>ser Unwertbegriff seit seiner Entstehung<br />

um 1880 <strong>zur</strong> Anwendung kommt. Dabei <strong>ist</strong> <strong>die</strong> inhaltliche Verschärfung der<br />

Vorläuferbegriffe für den Terminus ‚Schädling‛ seit der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

spürbar. Aber <strong>die</strong> Einstimmung auf <strong>die</strong> künftig ausschließliche Thematisierung der<br />

negativen Eigenschaften der Schadorganismen hat bereits mit den Anfängen der<br />

Literaturgattung begonnen, den Krafft 1712/13 252 markiert. Von nun an erscheinen,<br />

während des 18. Jahrhunderts zunehmend, monographische Darstellungen<br />

<strong>zur</strong> Schädlingsthematik. Dabei beseitigen <strong>die</strong> Texte <strong>die</strong> erwähnte Ambivalenz des<br />

‚Ungeziefers‛ noch nicht völlig. 253 Erst in der Mitte des 19. Jahrhundert wird das<br />

Ungeziefer ausschließlich ‚schädlich‛ wird zu »Feinden der Landwirtschaft«. 254 Eine<br />

solche klare Zuweisung hatten <strong>die</strong> körperlich größeren Schadorganismen, Säugetiere<br />

wie Vögel, als »grausame Thiere« bereits im 18. Jahrhundert und früher erhalten.<br />

Würde <strong>die</strong> Schädlingsgeschichte als eine einfache Fortschrittsgeschichte hin<br />

zum ‚richtigen‛ Denken begriffen, übersähe man einen sehr großen Anteil allge<strong>mein</strong>erer<br />

Einstellungen der h<strong>ist</strong>orischen Akteure, der Zweifel an einer solchen<br />

Gradlinigkeitshypothese weckt. Die Bastelei der magisch-mythischen Welterklärung<br />

bringt mit Notwendigkeit nicht nur unwirksame Abwehrempfehlungen hervor:<br />

Ihr sind Abwehrzauber und ‚abergläubisches‛ Handeln selbstverständlich. Weil<br />

Vorhersagemöglichkeiten und wirksame Abwehr fehlen, wird das Ohnmachtsge-<br />

252 Krafft (1712 und 1713). Krafft bezieht sich ausdrücklich auf Aldrovandus, Britius, Camerarius,<br />

Clusius, Jonstonus, Moufetus, Pennius, Quickelbergius, Rogerius, Scaliger und Wottonius, sämtlich<br />

gut bekannte Autoren der ‚magischen Wissenschaft‛ und, zumindest was Aldrovandi und<br />

Moufet anbelangt, auch anerkannte Pioniere der naturwissenschaftlichen Entomologie.<br />

253 Besonders auffällig sind <strong>die</strong> vielfältigen pharmakologischen Verwendungsmöglichkeiten für <strong>die</strong>se<br />

Tiere. Gewöhnlich wird auf <strong>die</strong> zeitgenössische Überzeugung hingewiesen, nach der <strong>die</strong> Applikation<br />

sympathetischer Mittel angezeigt war. Das mag vom Grundsatz zutreffen, für <strong>die</strong> konkrete<br />

Mehrzahl der aus den Tieren gewonnenen Mittel erschließt sich <strong>die</strong>ser Zusammenhang aber keinesfalls<br />

spontan.<br />

254 Nördlinger (1869).<br />

161

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!