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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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164<br />

Da <strong>die</strong> Schädlingsbekämpfung eine allererst auf das Alltagspraktische zielende<br />

Tätigkeit <strong>ist</strong>, steht ihre Berechtigung zunächst auch völlig außer Frage. Später muss<br />

sich der Mensch gegenüber der göttlichen Plage bewähren. Auch hierfür <strong>ist</strong> ihm<br />

von Gott der Verstand gegeben. Eine ethische Bewertung setzt im späten<br />

18. Jahrhundert vereinzelt, im 19. Jahrhundert etwas verstärkt, regelhaft und vor<br />

allem im 20. Jahrhundert ein. 261 Seit jedoch <strong>die</strong> Idee der besten aller Welten verstärkt<br />

den Blick auf <strong>die</strong> Natur bestimmt, wird <strong>die</strong> Erklärung der Ex<strong>ist</strong>enz derjenigen<br />

Organismen schwierig, <strong>die</strong> dem Menschen Probleme bereiten. Die Schwierigkeiten<br />

werden aufgefangen mit der doppelten Funktion der Schädlinge, <strong>die</strong> sowohl<br />

nützliche wie auch schädliche Eigenschaften aufweisen: Nützlich in ihrer Stellung<br />

im Naturganzen, schädlich in ihrer Beeinträchtigung der Geschäfte der Menschen.<br />

Da <strong>die</strong> Welt auf den Menschen hinkonstruiert <strong>ist</strong>, darf der Mensch in seinem Interesse<br />

handeln. Die Herausbildung von Bedenken bzw. ihre Zurückweisung <strong>ist</strong><br />

damit eng verknüpft mit den Vorstellungen von ‚Natur‛.<br />

2. Schädlingsbekämpfung und Naturtheorien<br />

Man kann Schädlingskalamitäten als wundersames Ereignis, 262 im biblischen Sinn<br />

als Plage oder schließlich naturwissenschaftlich auffassen. Während sich <strong>die</strong> praktische<br />

Seite mit der Schädlingsbekämpfung und möglicherweise deren theoretisch<br />

bester ökologischer bzw. populationsbiologischer Fun<strong>die</strong>rung befasst, ex<strong>ist</strong>ieren<br />

aber auch mentalitätsgeschichtliche, ep<strong>ist</strong>emologische, kulturgeschichtliche, struktural<strong>ist</strong>ische<br />

Aspekte des Themas. Sie gehen ein in <strong>die</strong> umweltgeschichtliche Erörterung.<br />

Schädlingsbekämpfung <strong>ist</strong> logisch wie h<strong>ist</strong>orisch ableitbar. Als logische Hypothese<br />

<strong>ist</strong> sie eine Folge der Agrarproduktion. H<strong>ist</strong>orisch <strong>ist</strong> sie seit den Anfängen schriftlicher<br />

Berichte belegt. Ein grundsätzliches Problem besteht dabei allerdings in den<br />

handlungsleitenden Wahrnehmungen der praktischen Landwirtschaft einerseits, <strong>die</strong><br />

nicht nur ohne jede metatheoretische Fun<strong>die</strong>rung einer Schädlingsbekämpfung<br />

261 An <strong>die</strong>ser Stelle offenbart sich eine Parallele <strong>zur</strong> Tötung von Tieren für <strong>die</strong> Nahrungsgewinnung.<br />

Es handelt sich um ein zutiefst unbequemes Thema, das am liebsten verdrängt wird. Der Vorwurf<br />

moralischer Abstumpfung oder moralischen Desinteresses an einer akzeptablen Lösung des<br />

Problems gipfelt in der Entgleisung von Isaak Bashevis Singer, wonach für Tiere jeden Tag Treblinka<br />

sei. Das Dilemma liegt in der Aporie zwischen physiologischen Grundbedürfnissen und der<br />

Annahme einer moralischen Verantwortung für <strong>die</strong> Nutzung der Natur durch den Menschen.<br />

Die Nutzung selbst dürfte doch wohl keine moralischen Bedenken provozieren, wohl aber der<br />

Nutzungsexzess. Wenn es ihn überhaupt geben kann, ab wann träte <strong>die</strong>ser Exzess ein? Ist Exzessfähigkeit<br />

der menschlichen Natur zu<strong>zur</strong>echnen? Dann erübrigt sich <strong>die</strong> hier anschließende<br />

Schuldfähigkeitsdebatte. Bis zu welchem Punkt <strong>ist</strong> dann analog <strong>die</strong> Schädlingsbekämpfung statthaft,<br />

ab wann geht sie in den Exzess über? Usw.<br />

262 z. B. Fritz (Ende 17. Jahrhunderts), S. 238: „Anno 1638. wahren viel meise (Mäuse) in Thüringen<br />

und andern lendern/ <strong>die</strong> den Frichten grosen schaden thaten, und viel seindicke gewesen/ und<br />

haben junge im Leibe gehabt und wen man sie hat Todt geschlagen, haben/ <strong>die</strong> jungen inleibe<br />

schonwider junge gehabt“. Ich danke Matthias Deutsch, Göttingen/Erfurt, für <strong>die</strong>sen Hinweis.

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