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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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<strong>Umweltgeschichte</strong> wozu? (2009)<br />

modernen Biologie geworden und hat darüber hinaus eigentlich alle Bereiche des<br />

gesellschaftlichen und kulturellen Lebens erreicht. Von Üxkuell hatte „Umgebung“<br />

von „Umwelt“ geschieden und als entscheidende Differenz <strong>die</strong>jenige zwischen der<br />

bloßen Aufnahme von Objekten im Raum („Umgebung“) und dem „Weltbild“<br />

eines Lebewesens benannt, das durch bestimmten Beziehungen des Lebewesens zu<br />

seiner Außenwelt entsteht („Umwelt“, später auch synonym „Eigenwelt“). Umwelt<br />

<strong>ist</strong> bei von Uexküll als Relationsbegriff zu verstehen. 396 Anders als „Natur“ <strong>ist</strong><br />

„Umwelt“ nicht er-lebbar, sondern nur lebbar. Sie lässt sich nicht verdinglichen.<br />

Es handelt sich um einen Einflussbereich, der vom Individuum gestaltet wird, in<br />

den Dinge der Umgebung eintreten, der aber in jedem Falle ein ausschließlich<br />

individueller Bereich bleibt und sich zudem grundsätzlich der Erfahrbarkeit durch andere<br />

Lebewesen entzieht. Das je spezifische Lebewesen und der Raum „Umwelt“, in<br />

dem es sich bewegt, fallen zusammen. 397<br />

Anders als von Uexküll inten<strong>die</strong>rte, operationalisierten <strong>die</strong> me<strong>ist</strong>en Biowissenschaften<br />

„Umwelt“ hin zu einem Dingbegriff. Damit war Objektivierung und<br />

Verwendungsmöglichkeit für Gruppen von Lebewesen gewonnen. Die frühen<br />

Profiteure des Gedankens von Uexkülls haben außerdem seinen Umweltbegriff,<br />

der Anstoß gebend fruchtbar für <strong>die</strong> Entstehung der ökologischen Disziplinen und<br />

der Verhaltensforschung wurde, für „eng“ gehalten, 398 und ihn ziemlich über seine<br />

396 Das Wort „Umwelt“ <strong>ist</strong> ein Neologismus aus dem Jahre 1800, und beschreibt, vor dem späteren<br />

Gebrauch des Wortes „Milieu“, »<strong>die</strong> den Menschen umgebende Welt« (DWB). In <strong>die</strong>sem milieutheoretischen<br />

Sine scheint der Begriff auch heute von H<strong>ist</strong>orikern verstanden zu werden, selbst wenn sie<br />

sich auf von Uexküll beziehen, wie etwa Radkau (2002, S.14). Nur bei einem solchen Verständnis<br />

kann Umwelt ein „anthropozentrischer Begriff“ sein. Der Anschluss an von Uexküll trifft an <strong>die</strong>ser<br />

Stelle jedoch nicht zu, da von Uexküll seine Umweltdefinition allge<strong>mein</strong> als artbezogen verstanden<br />

wissen wollte. Erst in einem spezielleren Verständnis kann „Umwelt“ aus menschlicher Perspektive<br />

zu einem anthropozentrischen Ep<strong>ist</strong>em werden. Wenn man jedoch so verfährt, kann es keine „Umwelt<br />

des Seeigels“ usw. geben, weil in jedem Falle eine anthropozentrische Zuschreibung vorläge.<br />

Damit müsste ein allge<strong>mein</strong>er Bezug auf von Uexküll entfallen und dürfte nur als spezieller Bezug<br />

zugelassen werden.<br />

397 „Es gibt also reine subjektive Wirklichkeiten in den Umwelten. Aber auch <strong>die</strong> objektiven Wirklichkeiten<br />

der Umgebung treten nie als solche in den Umwelten auf. Sie werden stets in Merkmale<br />

oder Merkbilder verwandelt und mit einem Wirkton versehen, der sie erst zu wirklichen Gegenständen<br />

macht, obgleich vom Wirkton in den Reizen nichts vorhanden <strong>ist</strong>. Und schließlich lehrt uns der<br />

einfache Funktionskreis, dass sowohl <strong>die</strong> Merkmale wie Wirkmale Äußerungen des Subjekts sind und<br />

<strong>die</strong> Eigenschaften der Objekte, <strong>die</strong> der Funktionskreis einschließt, nur als ihre Träger angesprochen<br />

werden können. So kommen wir dann zum Schluss, dass ein jedes Subjekt in einer Welt lebt, in der es<br />

nur subjektive Wirklichkeiten gibt und <strong>die</strong> Umwelten selbst nur subjektive Wirklichkeiten darstellen.<br />

Wer <strong>die</strong> Ex<strong>ist</strong>enz subjektiver Wirklichkeiten leugnet, hat <strong>die</strong> Grundlagen seiner eigenen Ex<strong>ist</strong>enz<br />

nicht erkannt.“ (von Uexküll & Kriszat 1934, S.93).<br />

398 So z.B. Thienemann (1958, S. 9). – Die unter den (deutschsprachigen) Biologen des 20. Jh.s gängige<br />

Verständnisformel für „Umwelt“ <strong>ist</strong> nach <strong>mein</strong>er Kenntnis von Friedrichs (1943), jenseits der<br />

ideologischen Einsprengsel (Friedrichs <strong>ist</strong> von 1940 -1945 Zoologe an der Reichsuniversität Posen),<br />

herausgearbeitet worden: Er definierte Umwelt „für den praktischen Gebrauch“ als „Komplex der<br />

direkten und der konkret greifbaren indirekten Beziehungen <strong>zur</strong> Außenwelt.“ Der Unterschied gegenüber der<br />

Definition von Uexkülls bestehe in der Aufnahme aller Beziehungen (Friedrichs 1943, S.157). Eine<br />

überdachte Begriffserläuterung durch Friedrichs (1950) kann als für <strong>die</strong> nachfolgenden Biologen<br />

leitend bezeichnet werden, ohne dass <strong>die</strong> Autoren sich jeweils explicit auf Friedrichs bezogen hätten.<br />

Friedrichs fasste <strong>die</strong> Leitlinien des biologischen Diskurses zusammen, wie er davor bestimmend war<br />

und es im Grunde bis heute <strong>ist</strong>. Von Uexkülls Einfluss auf <strong>die</strong> akademische Biologie blieb aus ver-<br />

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