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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Kartoffel, Tod und Teufel (2009)<br />

jährigen Krieges (1756-1763) und der Hungerkatastrophe 1770-72 vollends von<br />

den günstigen ernährungsphysiologischen Eigenschaften der Hackfrucht; und der<br />

Kartoffelanbau beginnt, sich in <strong>die</strong> Fläche auszubreiten.<br />

Allerdings verlief <strong>die</strong> Erfolgsgeschichte noch im 19.Jh. keineswegs so geradlinig<br />

und unaufhaltsam, wie sie gern dargestellt wird. Denecke verdanken wir ein differenzierteres<br />

Bild der Abläufe, das sich skizzenhaft so darstellt: für <strong>die</strong> Subs<strong>ist</strong>enz<br />

und dann für den lokalen Markt wird <strong>die</strong> Kartoffel zunächst auf den <strong>Acker</strong>randstreifen<br />

und auf Brachen der Mittelgebirgsregion angebaut. Hier konnte sie zuerst<br />

überzeugen, weil der Getreidebau in den Mittelgebirgsregionen wenig ertragreich<br />

war. Aus <strong>die</strong>sen Regionen wird <strong>die</strong> Kartoffel zu Beginn des 19.Jh.s allmählich ins<br />

Flachland vordringen, wo sie <strong>die</strong> heute geläufigen Hauptstandorte überhaupt erst<br />

zwischen 1840 und 1850 erreicht. Dort, in den Arealen des „immerwährenden<br />

Roggenbaus“ waren Vorbehalte der Getreidebauern zu überwinden, <strong>die</strong> der neuen<br />

Feldfrucht keinesfalls aufgeschlossen gegenüber standen. Gewiss müsste eine Aktualisierung<br />

der Ausbreitungsgeschichte <strong>die</strong> Innovationen im Lagerungswesen, vor<br />

allem aber <strong>die</strong> im gewässerfernen Transportwesen berücksichtigen. Die Verbindungen<br />

zwischen dem Eisenbahnsystem und der Kartoffelproduktion sind unübersehbar.<br />

Durch <strong>die</strong> Lösung des Transport- und Lagerproblems 512 im Verlauf des 19.<br />

Jh.s war <strong>die</strong> Kartoffel auch auf den Tischen der Stadtbevölkerung gesichert. Die<br />

Industrielle Revolution transformierte <strong>die</strong> Agrargesellschaft, in England früher als<br />

auf dem Kontinent, und konzentrierte große Teile der Landbevölkerung nun in<br />

den Städten. In den städtischen Umwelten Englands wie auf dem Kontinent konnte<br />

sich <strong>die</strong> Kartoffel als erstes “Fertiggericht” etablieren: 513 energiereich, nahrhaft,<br />

auch auf kleinen Parzellen leicht anzubauen, billig und ohne große Umstände zuzubereiten.<br />

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Kartoffeln liegt derzeit in der Bundesrepublik bei ca.<br />

67 kg, der von Getreide bei rd. 90 kg. Vor Einführung der Kartoffel lag der Verzehr<br />

von Brot und Getreideprodukten je Person und Jahr in Europa bei 200 bis<br />

250 kg, er stieg bis ins 19. Jh. noch auf rund 300 kg. Für Deutschland <strong>ist</strong> im Laufe<br />

des 19. Jh. eine Steigerung des Kartoffelkonsums von 40 auf 200 kg je Person und<br />

Jahr berechnet worden, in Preußen sogar auf 296 kg im Jahre 1900. 514 Die Kartoffel<br />

war nach rund 100 Jahren als Grundnahrungsmittel, als Futtermittel und in der<br />

512 Großmaßstäblich in Silos, zum persönlichen Bedarf im Kartoffelkeller, ländlich allerdings bereits<br />

sehr früh in der „Kartoffelmiete“. – Das Lagerproblem stellte sich im vergleichsweise milden Klima<br />

Irlands und Englands nicht in gleicher Weise, weil man in frostfreien Arealen <strong>die</strong> Kartoffel im Boden<br />

belassen konnte, sie zum Winter anhäufelte und nach Bedarf erntete („lazy bed system“, Frazer. Der<br />

Begriff „lazy bed system“ <strong>ist</strong> irreführend, weil er vermutlich vom franz. „laissez faire“ abgeleitet<br />

wurde).<br />

513 Die bis dahin obligatorischen Getreidebrei-Zubereitungen erforderten <strong>die</strong> Vorbereitung des Getreides<br />

(stampfen, walzen, schroten, mahlen) und benötigten zum Teil einen mehrtägigen Quell- und<br />

Fermentationsprozess.<br />

514 Saalfeld, 1982<br />

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