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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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328<br />

Anblick, <strong>die</strong> großen Kartoffelfelder der Güter mit schwärzlichen, faulenden, niedergesunkenen<br />

Krautmassen bedeckt zu sehen, <strong>die</strong> einen üblen Geruch verbreiteten. Allge<strong>mein</strong> wurde damals im<br />

Landvolk der Rauch der <strong>die</strong> Fluren durcheilenden Lokomotiven – kurz zuvor war eine Eisenbahn<br />

durch den Kreis gelegt worden – als Ursache der Erkrankung angesehen; auch <strong>mein</strong> Vater<br />

ließ sich lange Zeit von <strong>die</strong>ser Meinung nicht abbringen. Man hatte ja damals von der außerordentlich<br />

großen Bedeutung der Pilze als Krankheitserreger noch keine rechte Vorstellung. Selbst<br />

als <strong>die</strong> Pilze gefunden wurden, sagte man: ’Ja, <strong>die</strong> Pilze sind da, aber sie sind in den faulenden<br />

Massen entstanden oder haben sich dort angesiedelt, <strong>die</strong> Erreger sind sie nicht, wie sollen auch so<br />

unsichtbar kleine Wesen so ungeheure Verwüstungen anrichten?’ “ 607<br />

Dabei war <strong>die</strong> Ad-hoc-Erklärung des Landvolkes nicht weiter von der eigentlichen<br />

Krankheitsursache entfernt als <strong>die</strong> Annahme vieler, auch gelehrter Köpfe, und in<br />

ihrer Schließweise sogar rational-logisch stärker, als es vorderhand scheinen will. 608<br />

Die Krautfäule imponiert nämlich an Stengeln und Blättern mit schwarzen, trocken<br />

fallenden Nekrosen des Gewebes, und <strong>die</strong> Stengel brechen infolge der Austrocknung<br />

sehr leicht, geradezu „gläsern“, sofern nicht <strong>die</strong> feuchte Witterung alles als<br />

faulen Matsch auf den Boden zusammen drängt. Angesichts solcher äußeren<br />

Übereinstimmung des Krankheitsbildes an der Pflanze mit der Farbe, den Inhaltsstoffen<br />

und der Trockenheit des Lokomotivenrauchs war <strong>die</strong> von Waldeyer-Hartz<br />

angeführte Meinung der ungebildeten Landbevölkerung eigentlich eine präzise,<br />

spätaufklärerische Ursachenannahme. 609<br />

607 Das Zitat findet sich bei Krus nicht in seiner vollen Länge. – Waldeyer-Hartz, S. 26. Weder im<br />

Text noch in der ergänzenden Endnote (S. 405) erwähnt Waldeyer-Hartz eine begleitende Nahrungsverknappung<br />

oder gar Hungerkrise. Die Kalamität wird als Besonderheit, aber nicht einmal als betriebswirtschaftliche<br />

Belastung erwähnt. Sie <strong>ist</strong> es offenbar 1845 auf Gut Abbenburg, Kr. Höxter,<br />

nicht gewesen, obwohl „Kartoffeln reichlich angebaut“ wurden und damit ein beträchtlicher Schade eingetreten<br />

sein müsste.<br />

608 Auf der Ebene des Entdeckungszusammenhanges konkurriert eben auch das einfache Landvolk mit<br />

dem gebildeten Akademiker. In den modernen Naturwissenschaften entscheidet der Begründungszusammenhang<br />

über <strong>die</strong> Gültigkeit einer Hypothese. Nicht das Zustandekommen entscheidet über ihre<br />

Gültigkeit, sondern rationale Kriterien wie Verifikation oder Falsifizierbarkeit.<br />

609 Die Enzyklopä<strong>die</strong> von Krünitz unterscheidet „Schimmel“ und „Mehltau“, sieht aber eine sehr<br />

große Nähe der Phänomene zueinander. Es „schimmeln“ Nahrungsmittel, während aus dem Bereich<br />

der Landwirtschaft nur der Hopfen für Schimmel anfällig zu sein scheint und ansonsten Pflanzen<br />

vom „Mehlthau“ befallen werden. Die Unbestimmtheit des Begriffes „Mehlthau“ [Bd. 87, 1802],<br />

führe zu einer alltagspraktischen Einheitskategorie, deren Verursachung, einem Tau gleich, aus der<br />

Luft auf <strong>die</strong> Pflanzen falle: „Die Alten, welche das, was in der Natur vorging, nicht mit einem gehörigen<br />

Beobachtungsge<strong>ist</strong>e wahrnahmen, glaubten, daß gewisse scharfe und giftige Dünste vom Himmel<br />

fielen, welche den Pflanzen schädlich wären, und wodurch ihre Blätter verschrumpften und verdorreten.“<br />

[S. 600] Der Autor des Krünitz we<strong>ist</strong> eine solche Ursache <strong>zur</strong>ück und positioniert sich bei<br />

denjenigen Theoretikern, <strong>die</strong> eine organische Entstehung, wie mikroskopisch kleine Würmer bzw.<br />

blattlausverwandte Insekten, als ursächlich annehmen. Weil <strong>die</strong> Phänomene der Mehltaukategorie<br />

sehr ähnlich wie <strong>die</strong> der Schimmel-Kategorie imponieren, versucht der Autor des Lemmas Schimmel<br />

[Bd.144, 1826] zwar eine naturwissenschaftlich-differentialdiagnostische Abgrenzung, <strong>die</strong> aber noch<br />

ohne mikrobiologische Kenntnisse auskommen muss und daher nur in <strong>die</strong> Nähe uns heute geläufiger<br />

Erklärungen kommen kann. „Schimmel“ und „Mehltau“ sind bis auf den heutigen Tag Sammelbegriffe<br />

für verschiedene Pilzarten bzw. Pflanzenkrankheiten, wobei „Schimmel“ allge<strong>mein</strong> der Nahrungsverderber<br />

war und geblieben <strong>ist</strong> und „Mehltau“ der Pflanzenverderber. Straftheologische Ursachen<br />

werden bei Krünitz zwar noch in Zusammenhang mit Heuschreckenkalamitäten (2. Auflage,

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