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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Kartoffel, Tod und Teufel (2009)<br />

4.1<br />

Vergleichsweise rasch brach sich in Europa <strong>die</strong> Einsicht Bahn, dass <strong>die</strong> Kartoffel<br />

zu einem Grundnahrungsmittel werden könnte, das endlich nicht nur ein elastisches<br />

Ausweichen bei Nahrungsengpässen ermöglichte, sondern <strong>die</strong> Engpässe<br />

sogar in <strong>die</strong> Geschichte abschieben würde. Es <strong>ist</strong> sicher, dass <strong>die</strong> Urbanisierung in<br />

Europa durch <strong>die</strong> Verfügbarkeit der Kartoffel einen ganz erheblichen Schub erhielt,<br />

weil sie in Verarbeitung und Nährstoffeigenschaften in besonderer Weise den<br />

Erfordernissen städtischer Lebensweise entsprach. Verständlich <strong>ist</strong>, dass <strong>die</strong> Kartoffel<br />

als eine jener Pflanzen benannt wird, <strong>die</strong> „<strong>die</strong> Welt veränderten.“ 610 Verändert<br />

wurden u.a. Speisezettel und damit Geschmacksempfindungen, verändert<br />

wurden Pflanzen- 611 und Tierproduktion, verändert wurden Bodennutzungen und<br />

marktbezogene bäuerliche Produktionsweise und schließlich menschliche Reproduktion,<br />

sei es durch gesteigerte Fruchtbarkeit, sei es durch <strong>die</strong> Arbeitsrhythmik,<br />

welche <strong>die</strong> Kartoffel und fast gleichzeitig <strong>die</strong> Zuckerrübe als neue Hackfrüchte der<br />

bäuerlichen Bevölkerung aufzwang. 612<br />

Zweifellos war es in manchen Regionen ein Fehler, das Portfolio teilweise so einseitig<br />

zugunsten der Kartoffel zu ändern. Aber, gab es Alternativen und hätte man<br />

welche erkennen können?<br />

Es lassen sich gute Gründe für <strong>die</strong> Annahme beibringen, dass der europäische<br />

Bevölkerungsanstieg durch <strong>die</strong> Kartoffel positiv beeinflusst wurde. Ob man mit<br />

dem Wegfall fertilitätssenkender Nahrungsbegleitstoffe argumentiert oder mit dem<br />

Kalorien- und Vitamingehalt, das Argument stimmt letztlich auch ohne Kartoffel,<br />

wonach eine ausreichende und relativ belastungsarme Ernährung immer zu Bevölkerungsanstieg<br />

führt, 613 weil bei guter Ernährungslage <strong>die</strong> Fertilität steigt und <strong>die</strong><br />

Morbidität sinkt. Die Bevölkerungsvermehrung, <strong>die</strong> sich teilweise und regional<br />

unterschiedlich per saldo der Kartoffel verdankte, verstärkte aber <strong>die</strong> nachteiligen<br />

Folgen des kartoffelbedingten Ernteausfalls. Agraregimes, <strong>die</strong> im Grundsatz immer<br />

1790) diskutiert, mit erkennbarer Bezweiflung ihres Zutreffens. Das Lemma „Mehltau“ (1802) kennt<br />

bereits nur noch <strong>die</strong>sseitige, materielle Ursachen.<br />

610 Hobhouse<br />

611 Solche Begriffschiffren enthalten am Ende sehr diffizile Einzelmomente. So vermehrt <strong>die</strong> Kartoffel<br />

als Hackfrucht <strong>die</strong> Aufgaben von Frauen auf dem Feld; <strong>die</strong> Kartoffelernte beeinflusst das generative<br />

Verhalten, denn große Kartoffelmengen sind mit einem hochschwangeren Bauch nicht zu sammeln,<br />

usw.<br />

612 Die Kartoffel wird seit dem Ende des 18. Jh.s für den Eigenbedarf und lokale Märkte, spätestens<br />

seit Mitte des 19. Jh.s für überregionale Märkte produziert. Die Zuckerrübenproduktion „explo<strong>die</strong>rte“<br />

förmlich zwischen den 1830er und 1860er Jahren: von 25.000 Tonnen auf 147.000. Bereits 1890<br />

<strong>ist</strong> <strong>die</strong> Eine-Million-Tonnen Marke überschritten. (Zur Zuckerrübe und ihrer Auswirkung auf das<br />

bäuerliche Leben vgl. Imhof) Kartoffel- und Zuckerrüben-Produktion laufen in Deutschland parallel<br />

zum Ausbau des Schienenverkehrs.<br />

613 Es trifft z.B. auch auf das generative Verhalten bei ausreichender Maisdiät zu, wie von Gundlach<br />

belegen konnte.<br />

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