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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Innerfachliches (2011)<br />

Initiative, denn <strong>die</strong> kontinentaleuropäische Anthropologie hat kein Interesse an<br />

<strong>die</strong>ser Art Qualifikation.<br />

Konkret lässt sich <strong>die</strong> Setzung von der notwendigen erzählerischen Kompetenz<br />

der (biologischen) Anthropologen an einem einfachen Beispiel über genetische<br />

Informationen einer präh<strong>ist</strong>orischen Bevölkerung illustrieren, mit dem <strong>die</strong><br />

Anschlussfähigkeit biologischer Daten an eine höhere Abstraktionsebene erreicht<br />

wird. 825 Für <strong>die</strong> bronzezeitliche Bevölkerung, <strong>die</strong> sich aus der Harzer Lichtensteinhöhle<br />

rekonstruieren lässt, <strong>ist</strong> genetisch Patrilokalität nachweisbar, weil <strong>die</strong> Variabilität<br />

bestimmter DNA-Abschnitte bei den Frauen größer als bei den Männern <strong>ist</strong>.<br />

Die genetische Analyse kann also der Aufdeckung eines institutionengeschichtlichen<br />

Sachverhalts <strong>die</strong>nen. Patrilokalität <strong>ist</strong> nun aber nur insoweit ein biologisches<br />

Datum, als es <strong>die</strong> formale genetische Variabilität und <strong>die</strong> aus ihr abgeleitete<br />

Schlussfolgerung betrifft. Doch <strong>ist</strong> <strong>die</strong>se Variabilität Voraussetzung wie Ergebnis<br />

gesellschaftlicher Prozesse, zu denen <strong>die</strong> Kulturwissenschaft nur dann Zugang<br />

findet, wenn sie von ihnen weiß. Dieses Wissen besorgt <strong>die</strong> Biologie. Weder Biologie<br />

noch Kulturwissenschaft erzählen adäquat <strong>die</strong> „Geschichte des Heiratssystems“<br />

in <strong>die</strong>ser vorgeschichtlichen Bevölkerung. Diese Erzählung <strong>ist</strong> auf einer aus beiden<br />

„Disziplinen“ formulierten, metatheoretischen Plattform angesiedelt, <strong>die</strong> man<br />

„transdisziplinär“ nennen sollte, weil sie nur ihrer eigenen Meinungsführerschaft<br />

verpflichtet bleiben kann.<br />

Am gleichen Kollektiv <strong>ist</strong> auch eine erstaunlich geringe Zahl laktosetoleranter<br />

Individuen nachgewiesen worden. Die Fähigkeit, Milchzucker aus der Rohmilch<br />

problemlos verdauen zu können, beruht auf einer bestimmten genetischen Eigenschaft.<br />

Die heutigen Europäer sind weltweit <strong>die</strong>jenige Gruppe mit dem höchsten<br />

Vorkommen <strong>die</strong>ser Eigenschaft (80 % und mehr). Wenn <strong>die</strong> Lichtensteiner <strong>die</strong>sen<br />

Zahlen nicht nahe kommen, kann <strong>die</strong>s als Hinweis auf den seit der Bronzezeit<br />

stattgefundenen diachronen Wandel hin zu einer rohmilch-konsumierenden Gesellschaft<br />

in Europa begriffen werden. Auch hierbei verknüpfen sich wieder physiologische<br />

Faktoren und gesellschaftliche Entscheidungen im Verlauf der Geschichte<br />

in spezifischer Weise. Niemand muss Rohmilch konsumieren, denn das<br />

Problem des Milchzuckers ließe sich durch spezielle Milchaufbereitungsverfahren<br />

lösen, wie sie in vielen Teilen der Welt aus eben <strong>die</strong>sem physiologischen Grund<br />

verbreitet sind. Das Beispiel gehört, wie auch dasjenige über <strong>die</strong> grundsätzlich eingeschlagenen<br />

Subs<strong>ist</strong>enzstrategien, in <strong>die</strong> komplexe Geschichte von Monopolisierung<br />

und sozialer Hierarchisierung der Nahrung. 826 Die Koevolution biologischer<br />

und kultureller Sachverhalte und Systeme 827 scheint mir als das Paradethema nicht<br />

nur der Transdisziplinarität, sondern auch der „h<strong>ist</strong>orischen Mensch-Umwelt-<br />

Beziehungen“ überhaupt.<br />

825 Herrmann et al. 2007<br />

826 Z.B. Schutkowski et al. 1999<br />

827 Durham1991<br />

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