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"...mein Acker ist die Zeit", Aufsätze zur Umweltgeschichte - Oapen

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Krebse, Lachs und Hasenbraten (2006)<br />

strument der h<strong>ist</strong>orischen Erzählung steht <strong>die</strong> Biologie ebenfalls vor den Problemen,<br />

<strong>die</strong> sich aus der erkenntnisproduzierenden Kraft der Erzählung ergeben. Die<br />

Dinge sind damit nicht mehr so einfach, wie sie dem angeblich voraussetzungslos<br />

arbeitenden Naturwissenschaftler erscheinen wollen, weil er noch nicht gelernt hat,<br />

seiner Sprache und deren Implikationen zu misstrauen. Eine Entkleidung wissenschaftlicher<br />

Sprache der Biologie im Sinne des lingu<strong>ist</strong>ic turns <strong>ist</strong> noch zu le<strong>ist</strong>en.<br />

4.2 Wo kommen <strong>die</strong> h<strong>ist</strong>orischen Daten her?<br />

Der Titel <strong>mein</strong>es Beitrages verdankt sich leicht erkennbar Theodor Fontanes „Frau<br />

Jenny Treibel“ [„Die Krebse waren wie eine Plage, natürlich ganz entwertet, und bei der <strong>die</strong>nenden<br />

Bevölkerung, <strong>die</strong> damit geatzt werden sollte, so verhasst und dem Magen der Leute so<br />

widerwärtig, dass es verboten war, dem Gesinde mehr als dreimal wöchentlich Krebse vorzusetzen“]<br />

und seinen „Wanderungen durch <strong>die</strong> Mark Brandenburg, Kapitel Oderland“<br />

[„Hasen gab es so viel, dass <strong>die</strong> Knechte, wenn sie gemietet wurden, sich ausmachten, nicht öfter<br />

als zweimal wöchentlich Hasenbraten zu kriegen.“]. 152 Es sind vor allem <strong>die</strong> real<strong>ist</strong>ischen<br />

Erzählgattungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, <strong>die</strong> mit derartigen Formulierungen<br />

im allge<strong>mein</strong>en Bewußtsein für <strong>die</strong> Verfestigung des Bildes einer früheren,<br />

überreichen Individuenfülle, einer Superabundanz gesorgt haben. Die Grundlagen<br />

hierfür sind viel früher gelegt und z. B. bereits als mehr oder weniger anonymes<br />

Wissen in den Enzyklopä<strong>die</strong>n des 18. Jahrhunderts zu finden, 153 von dort finden<br />

sie ihren Weg in <strong>die</strong> Literatur des 19. Jahrhunderts. Zumindest Fontane hat ausgiebig<br />

auf derartige Nachschlagewerke <strong>zur</strong>ückgegriffen. Aber auch das 18. Jahrhundert<br />

greift mit solchen Formulierungen bereits auf einen Topos aus der Hochzeit<br />

der europäischen Entdeckungs- und Eroberungsreisen <strong>zur</strong>ück, der seinerseits Vorläufer<br />

hat: In anderen Weltgegenden halte <strong>die</strong> Natur überreich Geschenke für <strong>die</strong>jenigen<br />

bereit, <strong>die</strong> sie sich abholen wollten. 154 Hierbei handelt es sich letztlich um<br />

Varianten der Geschichte vom para<strong>die</strong>sischen Mythos. 155<br />

152 „Frau Jenny Treibel“, 7. Kapitel, und „Wanderungen …“, Oderbruch, 4. Kapitel.<br />

153 „In Hamburg wurden Lachse […] ehedem in so großer Menge gefangen, dass sie kein Mensch<br />

mehr essen wollte; daher <strong>die</strong> Klagen der Dienstboten, über <strong>die</strong>se tägliche Kost Veranlassung zu dem<br />

Stadt-Gesetz gab, dass kein Herr seinen Domestiken in der Woche mehr als zwei Mal Lachs zu essen<br />

geben sollte“ Johann Georg Krünitz, Oekonomisch-technologische Encyklopae<strong>die</strong>, Bd 58, Berlin<br />

1792, S. 228ff. Dort auch weitere angebliche Beispiele für Gesindeverträge.<br />

Tatsächlich <strong>ist</strong> <strong>die</strong>ses angebliche Gesetz für Hamburg nach Auskunft des Staatsarchivs der Hansestadt<br />

(2004) nicht nachzuweisen. Darauf wird noch weiter unten <strong>zur</strong>ück zu kommen sein.<br />

Einen ähnlichen Topos verwendet übrigens bereits Zedlers Universal-Lexicon unter dem Lemma<br />

Lachs (1737, Spalte 117), vgl. Fußnote 68.<br />

154 hier <strong>ist</strong> daran zu erinnern, dass auch <strong>die</strong> satirische Parabel über Candides Reise nach Eldorado, <strong>die</strong><br />

als Element der Kritik Voltaires am Leibniz-Wolffschen Weltentwurf gesehen werden muss, sich<br />

letztlich <strong>die</strong>sem Topos verdankt. Dieser Weltentwurf liefert für <strong>die</strong> Kette der Wesen den größten Teil<br />

ihrer theoretischen Fun<strong>die</strong>rung. Damit schließt sich also eine Betrachtungskette, <strong>die</strong> sich selbstreferentiell<br />

immer wieder auf <strong>die</strong>selben Ep<strong>ist</strong>eme bezieht. – Zu Candide: Voltaire, Candid oder <strong>die</strong> Beste<br />

aller Welten, Stuttgart 1998.<br />

155 zum para<strong>die</strong>sischen Mythos siehe Bernd Herrmann, Rekonstruktion h<strong>ist</strong>orischer Biodiversität, in:<br />

Biodiversität: Was kennen und verstehen wir von der Artenvielfalt?, hg. von Leibniz-Institut für<br />

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