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<strong>Haltung</strong> <strong>zeigen</strong>!<br />

So nah<br />

und doch So fern<br />

Vielleicht ist die Beziehung von Müttern und Töchtern die engste überhaupt.<br />

Das macht sie nicht immer leicht. Annette Pehnt hat darüber einen Roman geschrieben.<br />

INTERVIEW: GABRIELA hERPELL<br />

Frau Pehnt, in Ihrem Buch „Chronik<br />

der Nähe“ ist die Mutterliebe extrem<br />

schwierig. Nehmen Sie das so wahr?<br />

Mütter und Töchter sind auf komplexe<br />

Art miteinander verwoben. Aber das,<br />

was Familie suggeriert, nämlich Nähe,<br />

stellt sich nicht immer ein. Sie muss<br />

auf komplizierte Weise ständig neu<br />

ausgehandelt werden. Es finden Machtspiele<br />

zwischen den Frauen statt, und<br />

es ist nie ausgemacht, wer die Stärkere<br />

ist. Mal hat die Tochter die Macht, weil<br />

sie glaubt, sie kann die Mutter mit<br />

intellektuellen Waffen schlagen, dann<br />

straft die Mutter die Tochter wieder mit<br />

Liebesentzug. Alles läuft sehr subtil ab.<br />

Bei Ihnen sind Mutter und Tochter allein<br />

zu zweit. Liegt darin eine besondere<br />

Herausforderung?<br />

Sie sind in einer Art Duett auf fatale<br />

Weise miteinander beschäftigt. Natürlich<br />

gibt es in der Wirklichkeit mehr<br />

Vielfalt. Im Buch kommen zwar auch<br />

Männer vor, aber ich habe sie an den<br />

Rand verwiesen. Sonst würden sie die<br />

klaustrophobische Verklammerung<br />

auflösen. Aber das wollte ich nicht. Und<br />

manchmal glaube ich, dass Mütter und<br />

Töchter es sich gern so einrichten, aufeinander<br />

fixiert zu sein, und wohltuende<br />

Außenspieler nicht zulassen.<br />

Sind Sie manchmal genau so wie die<br />

Frauen in Ihrem Buch?<br />

Ja, natürlich, und das sind ganz unangenehme<br />

Einsichten. Ich bin nicht frei<br />

von diesen Mechanismen.<br />

Schaffen Sie es, dagegen anzugehen?<br />

Ich hoffe, allein die Tatsache, dass es<br />

mir bewusst wird, hilft. Ich habe drei<br />

Töchter und finde, dass es heute andere<br />

Spielräume gibt. Ich kann mit meinen<br />

eigenen Kindern Nähe körperlich<br />

ausleben. In der Zeit, in der ich aufgewachsen<br />

bin, war das nicht so. Ich habe<br />

einen Mangel an Körperlichkeit erlebt.<br />

Der Generation meiner Mutter stand<br />

Zärtlichkeit nicht zur Verfügung.<br />

Warum war das so?<br />

Ich habe keine Feldstudien betrieben.<br />

Aber ich habe es oft gesehen. Es gab<br />

eine Überversorgung mit Essen, aber<br />

keine Umarmungen. Oder zumindest<br />

keine echten Umarmungen.<br />

Ist Konkurrenz ein Thema zwischen<br />

Müttern und Töchtern?<br />

Das ist eine ganz unschöne Sache!<br />

Man will ja nicht Konkurrentin seiner<br />

Mutter sein. Oder seiner Tochter. Das<br />

macht es ja so kompliziert: Neid und<br />

Eifersucht, unerfüllte Liebe, alles sich<br />

widersprechende Elemente.<br />

Wie waren die Reaktionen von Müttern<br />

und Töchtern auf Ihr Buch?<br />

Meine Töchter sind noch zu jung, um<br />

das Buch zu lesen. Und meine Mutter<br />

ist vor ein paar Jahren gestorben. Bei<br />

Lesungen gab es Tränen, das hatte ich<br />

noch bei keinem Buch vorher. Die Leute<br />

denken, dass es im Buch um die Nähe<br />

zwischen Müttern und Töchtern geht.<br />

Und sind überrascht, dass es um nicht<br />

erreichte Nähe geht.<br />

Weil man davon ausgeht, dass das<br />

Mutter-Tochter-Verhältnis ein inniges ist?<br />

Absolut. Wenn es nicht so ist, verletzt<br />

das die Erwartungen nach einer genetischen<br />

Zusammengehörigkeit. Aber<br />

man kann sich fern sein, auch wenn die<br />

Nähe räumlich nicht zu überbieten ist.<br />

Wie in einer Baracke in der Nachkriegszeit,<br />

in der sich Mutter und Tochter<br />

das Bett teilen mussten. Aber vielleicht<br />

wäre es gar nicht auszuhalten, wenn<br />

das noch mit Innigkeit besetzt wäre.<br />

Stört es Sie, wenn Leser sich unwohl<br />

fühlen bei der Lektüre Ihres Buches?<br />

Das wäre mir ganz recht. Was wäre<br />

Wohlbefinden für ein Leseziel? Unbe-<br />

hagen finde ich gut. Aber wissen Sie,<br />

was interessant ist? Frauen aus der<br />

Generation meiner Mutter sprechen in<br />

dem Zusammenhang nicht über ihre eigene<br />

Rolle als Mütter, sie sehen sich als<br />

Töchter und sagen: Ah, in der Großmutter<br />

habe ich meine Mutter erkannt.<br />

Sie sehen sich lieber als Töchter?<br />

Dabei ist die Ich-Erzählerin, die Tochter,<br />

keine attraktive Projektionsfläche. Sie<br />

lässt die Mutter nicht in Ruhe, ist unnachgiebig<br />

in ihrer störrischen Sehnsucht<br />

nach Zuneigung, lässt der Mutter<br />

kaum Intimsphäre. Sie ist gnadenlos.<br />

Sie ist mir ja eigentlich am nächsten,<br />

vom Alter her, aber ich fand sie beim<br />

Schreiben immer unerträglicher.<br />

Es ist inniger geworden zwischen Eltern<br />

und Kindern. Ist es auch komplizierter<br />

geworden?<br />

Wir sind durchpsychologisiert und<br />

daran gewöhnt, über alles Zwischenmenschliche<br />

im ausgefeilten Psychojargon<br />

zu sprechen. Auch mit unseren<br />

Kindern. Wir wollen viel von ihnen<br />

verstehen können. Wir sind uns also<br />

näher, ja, aber darin liegt auch schon<br />

wieder eine Riesenerwartung: Wie, du<br />

erzählst nichts? Wir reden doch immer<br />

über alles. Wenn dann Distanz eintritt,<br />

ist das schockierend.<br />

Nehmen wir Beziehungen zu wichtig?<br />

Beziehungen scheinen mir früher<br />

beiläufiger gewesen zu sein. Man hat<br />

sich nicht ständig gegenseitig über<br />

die genaue Gefühlslage unterrichtet.<br />

Jetzt muss man alles bequatschen. Im<br />

Schweigen kann aber eine größere Art<br />

von Behutsamkeit liegen. Ich denke<br />

jetzt oft: Vielleicht lieber mal die Klappe<br />

halten.<br />

Annette Pehnt: „Chronik der Nähe“,<br />

Roman, Piper.

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