Untitled - European Borderlands
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K r i s z t i á n G r e c s ó - I c h l a s s e d i c h z u<br />
sich ihrer Sache so sicher waren, schließlich hatte Márton noch nichts gesagt, er saß da, gewiss, er<br />
hatte alle Züge verpasst, war aber nicht mit der Sprache herausgerückt. Wenn er doch endlich sagen<br />
würde, was ihn zu ihnen geführt hat. In Jusztikas Knie sprang der Nerv, so wie es später auch bei<br />
ihrem Sohn und bei dessen Sohn sein würde, wenn sie nervös waren, sie klopfte auf ihrem Knie, die<br />
Muhme sah sie an, zum ersten Mal tadelnd, „sei nicht ungeduldig“ – war die Botschaft ihrer Augen,<br />
sie sagte jedoch nichts und da fragte Márton, ob die Muhme wisse, weshalb er gekommen sei. Und<br />
sie lächelte nur, als handele es sich um ein großes Geheimnis und antwortete, sie ahne es, wolle sich aber<br />
nicht einmischen, das ginge nur Jusztika etwas an. Márton sah Jusztika an, zum ersten Mal sah er ihr<br />
in die Augen, sie mögen spazieren gehen, bat er sie, um den Grund seines Besuchs zu besprechen.<br />
Mindszent war damals ein großes Dorf, mit mehr als zehntausend Einwohnern, auf die eine<br />
oder andere Art gehörten so viele Menschen zum Dorf, obgleich die Häuser vereinzelt standen, um<br />
das Dorf herum gab es Siedlungen, armselige Hütten, Bauernhöfe, wenn jemand zum ersten Mal<br />
hierher kam, wusste er gar nicht, wo die Grenze zwischen Dorf und den Siedlungen war, die wie<br />
zufällig hingestreuten Behausungen ergaben keine Straßen. Dorf der Fischer nannte man es, dabei<br />
ernährte die Theiß nur wenige, die meisten lebten von der Erdarbeit, das Zigeunerlager war riesig<br />
und furchtbar arm, hinter den Gleisen wohnten Tausende Zigeuner, wenn sich für sie überhaupt<br />
eine Arbeit ergab, so war es Kesselflicken oder das Sammeln schlechter Federn. Jusztika und<br />
Márton spazierten durchs ganze Dorf, bis an die Grenze, wo die Siedlungen begannen, bis zum<br />
Zigeunerlager und zurück, allmählich wurde es dunkel, es war Herbst, die Abende waren bereits<br />
kühl, im Lager wurden Feuer angezündet, an jedem Zaun wurden sie von Hunden angebellt.<br />
Jusztika dachte daran, dass sie fremd waren, deshalb wurden sie auch so angestarrt, zwei Fremde<br />
spazierten hier die Straße entlang, sie wollte nicht dort sein, es war nicht angenehm, sie wäre<br />
in dem Augenblick sehr gerne endlich irgendwo zuhause gewesen. Sie gingen zum Park vor dem<br />
Rathaus, blieben stehen, Jusztika betrachtete das neue Rathausgebäude, es erinnerte sie an das<br />
neue Hotel in Makó, groß, ernst, mit Säulen, Márton knetete seinen Hut, jetzt fiel das Sprechen<br />
schwer, er sagte selten etwas und auch dann verstummte er mitten im Satz, als habe er es sich<br />
anders überlegt. Dann, im Park, vor dem Rathaus, brachte er endlich sein Anliegen hervor. Er bat<br />
um eine schnelle, entschlossene Antwort. Jusztika sagte daraufhin, so geht es aber auch nicht, man<br />
sollte nichts überstürzen, sie sah ihn auch an, im Dunkeln war sein Gesicht kaum noch zu erkennen,<br />
aber ihr war, als zittere ihm das Kinn vor Aufregung, ich bitte zumindest um eine Woche Bedenkzeit.<br />
Márton willigte ein, wenn es denn nötig sei.<br />
Er begleitete sie nach Hause, ohne ein Wort zu sagen, liefen sie nebeneinander her, als wäre<br />
etwas Schlimmes geschehen, Jusztika hatte das Gefühl, dies sei eine zu große Entscheidung,<br />
einfach so, Frage-Antwort, sie bat Márton, nicht mit ihr ins Haus zu gehen, aber in einer Woche<br />
auf jeden Fall wegen der Antwort zurückzukommen. Márton küsste ihr die Hand, ungeschickt,<br />
Jusztika verstand nicht, was er wollte, ihr küsste sonst keiner die Hand, sie streckte ihm die<br />
Hand nicht entgegen, dann blickte sie seiner taumelnden Gestalt nach, die dunkle Silhouette<br />
entfernte sich, er hatte einen so sonderbaren, breiten Gang, man konnte ihm ganz lange folgen<br />
und Jusztika glaubte, es bedeute etwas, dass sie ihm mit den Augen folgen konnte. Jetzt stand sie<br />
ein bisschen besserer Laune auf der Straße, im Dunkeln, sie wollte das Tor nicht öffnen, denn man<br />
hätte das Knarren im Haus gehört, dann wären sie herausgekommen und sie wollte ja noch ihre<br />
Gedanken sammeln, die Freude spüren, sie freute sich jedoch nicht, das ging nicht auf Kommando.<br />
Der Hund hatte sie gewittert, kam ans Tor, nun konnte sie nicht weiter zögern, sie blickte noch<br />
einmal Márton hinterher, sah ihn jedoch nicht mehr, ein fremder Mann, dachte sie, ein fremder<br />
Mann aus der Nachbarsiedlung, der neben der Hanffabrik wohnte, ein Einlieger, den sie wohl<br />
nie kennen gelernt hätte, wenn sie ihre Muhme nicht besucht hätte und nun wird dieser Mann<br />
vielleicht ihr Gefährte fürs Leben. Sie streichelte den Hund, der freudig bellte und dankbar auf den<br />
Rasen pinkelte, aus dem Hühnerstall drang kein Gackern heraus, die Hühner schliefen, Jusztika<br />
versuchte, sich Mártons Gesicht vorzustellen, seine Stimme, wo er wohl wohnte, wie er lebte, was<br />
er machte, wie seine Haut duftete. Ein Fremder, dachte sie wieder und blickte an sich herunter,<br />
sah ihre Hand an, ihr Festkleid und hatte das Gefühl, selbst eine Fremde zu sein. Das überraschte<br />
sie, sie dachte zum ersten Mal auf diese Art über sich, über ihr Schicksal nach. Dann wurde sie<br />
dieser Gedanken überdrüssig, stand auf, war jedoch der Meinung, dieses Nachsinnen sei ein gutes<br />
Zeichen, der Himmel war weit, klar, man sah die Sterne.<br />
Die Muhme und Onkel Ábel warteten reichlich angeheitert auf sie, selbst Jusztikas erschrockenes,<br />
trauriges Gesicht brachte sie nicht aus der Fassung, Jusztika hatte das Gefühl, sie achteten nicht<br />
auf sie, als wüssten sie von Gott persönlich, dass nichts Schlimmes geschehen könne. Onkel<br />
40<br />
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