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Die Zeitschrift für Texte, Bilder und Zeit - Verlag TD Textdesign

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<strong>Die</strong> <strong><strong>Zeit</strong>schrift</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>Texte</strong>, <strong>Bilder</strong> <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong><br />

1


seite 08 african queen<br />

seite 15 kocsis csaba<br />

Seite 15 másolat-bihartorda<br />

seite 18 schwarz-weiss abgleich<br />

seite 24 mchel jakot<br />

seite 28 Isabella kramer<br />

seite 28 african queen<br />

seite 33 abdul-hay mosallam zarara<br />

seite 34 khairy hirzalla<br />

seite 39 + 40 adnan yahya<br />

seite 41 + 45 khairy hirzalla + marion heidinger<br />

seite 58 michel jakot<br />

Seite 70 sonja lenz<br />

seite seite 04 + 05 monika kafka<br />

seite 07 ralf cislarzyk<br />

seite 12 sunny<br />

seite 14 beatrix brockmann, briute rosman<br />

seite 16 african queen, thom delißen<br />

seite 18 gerti ederer<br />

seite 17 + 19 Isabella kramer<br />

seite 20 + 21 elsa rieger<br />

seite 23 andreas lehmann<br />

seite 29 + 30 rene steininger<br />

seite 34 jörg kleemann<br />

seite 37 wolfgang e. eigensinn<br />

seite 42 bernhard erich kaute<br />

seite 42 jörg kleemann<br />

Seite 43 Yvonne höller<br />

seite 50 csaba kocsis<br />

seite 51 martin schlosser,<br />

seite 51 waltraud weiß<br />

seite 51 thom delißen<br />

seite 52 monika kaka<br />

seite 53 mayrose sentimilla<br />

Seite 53 marion heidinger<br />

seite 55 thom delißen<br />

seite 57 hans jürgen gaiser<br />

seite 57 monika kafka<br />

seite 59 kurt rintelen<br />

seite 64 + 65 monika schudel<br />

seite 66 wolgang hofer<br />

seite71 thomas steiner<br />

<strong>Bilder</strong><br />

Essays, Kurzgeschichten, Textmaterial<br />

seite 03 editorial<br />

seite 06 monika kafka<br />

seite 09 + 10 + 11 sigrid wohlgemuth<br />

seite 13 ralf cislarzyk<br />

seite 17 ene meine mu<br />

seite 21 + 22 elsa rieger<br />

seite 25 -27 franziska hörner<br />

seite 31 + 32 jürgen landt”<br />

seite 38 wolfgang e. eigensinn<br />

seite 35 + 36 wolfgang hain<br />

Seite44 klaas klaasen<br />

seite 45 b 2 Wettbewerb<br />

seite 46 sophie sumburane<br />

Seite47 + 48 rüdiger saß<br />

seite 49 christine engel<br />

seite 54 + 55 thom delißen<br />

seite 56 ene meine mu<br />

seite 60 + 61 thom delißen<br />

seite 61 + 62 künstlerkreis kaleidoskop<br />

seite 63 yasmin shakarami<br />

Seite 67 - 70 ritch funke<br />

Lyrik<br />

2


Editorial<br />

Liebe Leserinnen/Leser,<br />

Welten tun sich auf, - geschlossene <strong>und</strong> verkannte, nie gesehene,<br />

verwirbelte, zerbrochene, brennende, fliegende, vergrabene, totgeschwiegene,<br />

verzerrte, verheimlichte, verleumdete, schillernde, duftende, dröhnende …<br />

Dem Realismus sind keine Grenzen gesetzt.<br />

Viele Künstler haben sich eingef<strong>und</strong>en, dem Thema Orte/Räume ein Gesicht zu<br />

geben.<br />

Und in einer Unmenge von Masken <strong>und</strong> Gesichtszügen an vielen verschiedenen<br />

Orten in einigen manchmal recht nebulösen Räumen, Zwischenräumen <strong>und</strong> Träumen<br />

haben sich die Gedanken der Kunstschaffenden dieser Ausgabe manifestiert.<br />

Kritisch hin zum Surrealismus, fragend, Antwort suchend, vielleicht sogar auf<br />

Hinweise deutend.<br />

Stellungsnahme <strong>und</strong> Traktat, Suche <strong>und</strong> F<strong>und</strong>.<br />

Erstmals bemühen wir uns auch die Grenzen zu überschreiten, Sprachbarrieren zu<br />

überwinden.<br />

Einen vergnügt nachdenklichen Lesegenuß wünscht <strong>für</strong> die Redaktion<br />

Thom Delißen<br />

Chefredakteur<br />

Impressum:<br />

Redaktion „SCHRIEB“<br />

<strong>Verlag</strong> <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong><br />

Alter Holzgarten 1<br />

85435 Erding<br />

Tel. 08122 18553<br />

E-Mail schriebinfo.@aol.com<br />

„schrieb“<br />

Redaktion:<br />

Elsa Rieger<br />

Thom Delißen<br />

Page: http://www.schrieb.com<br />

Ausgabe IIX 2010/02 by td textdesign<br />

Für den Inhalt der abgedruckten <strong>Texte</strong> <strong>und</strong> <strong>Bilder</strong> sind die Autoren <strong>und</strong> Künstler im Sinne des Presserechtes<br />

verantwortlich. Alle Rechte der <strong>Texte</strong> <strong>und</strong> <strong>Bilder</strong> liegen bei den Autoren <strong>und</strong> Künstlern. Vervielfältigung/Kopie <strong>und</strong><br />

Weiterverwendung nicht ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers.<br />

Adressen über den <strong>Verlag</strong>.<br />

Coverbild von Adnan Yahya<br />

3


monika kafka<br />

Via Domitia<br />

Verbrannter August. An deinen Rändern<br />

sonnt sich toute la France.<br />

Hier oben<br />

quillt aufgerissene Hitze.<br />

Stockiges Wasser. Thymianduft.<br />

Dazwischen ein Stück<br />

der verwaisten Römerstraße.<br />

Ich lege mein Ohr in die Spurrillen der <strong>Zeit</strong>.<br />

Stimmengewirr. In glasiger Luft<br />

Ächzen der Wagenräder <strong>und</strong> Pferde<br />

durchschnauben die taube garrigue.<br />

Jahrtausende veratmen<br />

über steiniger Erde. Wegezoll.<br />

In Seelenmünzen aufgewogen jeder Schritt.<br />

Am Pont Julien ein letzter Pfeiler.<br />

Kloster in den Karparten<br />

Zwischen Buchenwäldern<br />

<strong>und</strong> schroffdunklen Felsen geht<br />

die <strong>Zeit</strong><br />

schmalgewandet<br />

monoton<br />

reichen die Mönche<br />

ihr kleines Brot<br />

dazu eine Handvoll Gebet<br />

In die verkammerte Stille steigt<br />

der Wind<br />

<strong>und</strong> mit ihm ein hölzerner Ton<br />

Im Rhythmus der Toaca<br />

verglimmt das Licht<br />

<strong>und</strong> dem müden Wanderer<br />

wird der stummschwarze Himmel<br />

weit<br />

4


monika kafka<br />

Dahin<br />

Warum nicht zurückkehren<br />

zu den verschwiegenen<br />

Tannen den flüsternden<br />

Steinen meinen Brüdern<br />

im überschaubaren Land<br />

jenseits der Wälder?<br />

Warum nicht ablegen<br />

die viel zu weiten Kleider<br />

die Siebenmeilenstiefel <strong>und</strong><br />

den Narrenhut vielleicht<br />

waren die Vögel gnädig<br />

<strong>und</strong> sanft der Ostwind auch<br />

enden Märchen ja immer gut<br />

Ich vergaß<br />

Brotkrumen auszustreun ...<br />

summergarden<br />

for example blueberry tendrils<br />

above earthly summers<br />

deepsweet<br />

in the greenfaded light<br />

the bee humming its buzz<br />

between rosemary and phlox<br />

honeyclouds<br />

nesting in the mulberrytree<br />

while on thorned paths<br />

pans flute stays silent<br />

5


monika kafka<br />

Venezianische Notizen<br />

<strong>Die</strong> Serenissima empfängt mich kühl, fast schon gekränkt wie eine Diva, die man zu<br />

lange warten ließ. Sie ist gealtert, denke ich, <strong>und</strong> das nicht unbedingt in Würde.<br />

Wie lang schon blieb ich fern? Wolkenberge türmen sich im angestauten Atem der<br />

Lagune. Ich rechne langsam nach. Gewissenhaft. Und setze rasch die Sonnenbrille<br />

auf. Modisch. Teuer. Überdimensional. So muss das hier sein. Wieso nur hab ich das<br />

Gefühl, als lächle della Salute milde?<br />

Ihre sichtbaren Blessuren. Kein marmorweißer Gruß eilt dem vom Meere<br />

Kommenden entgegen. <strong>Die</strong> stets Garant <strong>für</strong> sichre Ankunft war, braucht heute selber<br />

Schutz. Und Hilfe. Unter ihren grauverpflasterten W<strong>und</strong>en weint steinern die <strong>Zeit</strong>.<br />

Wir verstehen uns. Und ich wage es, den Weg rückwärts zu gehen.<br />

Alla ferovia ... Alla ferovia ...<br />

Moderner Spießrutenlauf. Kein Durchkommen im Ausverkauf des Gutgeschmacks.<br />

Während zwischen schaukelnden Gondeln <strong>und</strong> kreischenden Touristen italienische<br />

Vokabeln flattern. Möwengleich. Frech. <strong>Die</strong> Preise, der Phantasie entsprungen. Wie<br />

damals schon. Vermutlich wie schon immer. Heut hätte ich das Geld da<strong>für</strong>, doch wer<br />

will schon durch abgestandene Gewässer rudern?<br />

Kosmetik auch am Dogenpalast. Vor blauem Hintergr<strong>und</strong> erstrahlt das neue Auto.<br />

Überdimensional. Teuer. Quer zur Jahreszeit. Das muss wohl so sein. Ich seufze an<br />

der falschen Stelle, die überall richtig erscheint.<br />

San Marco jetzt (fast) ohne Tauben. Ich lächle tapfer ins Objektiv. Und sehe mich am<br />

Canal Grande. Gewagte Shorts, verwirbeltes Haar, im Lachen ganz authentisch.<br />

Einziges Bild, das mir nicht nur Erinnerung blieb. Der einzige Beweis da<strong>für</strong>, dass ich<br />

hier schon einmal war. Als wenn es <strong>für</strong> das Glück Beweise bräuchte.<br />

Zumindest ging ich nicht ungeküsst ins Bett. Damals. Ganz abgesehn davon, dass es<br />

keins gab, war uns der Schlaf nicht mehr als unbestimmte Fremdvokabel.<br />

Nur den einen Löwen find ich nicht, zu dessen Füßen du gelegen. Das zweite Bild,<br />

das mir die <strong>Zeit</strong> gelassen hat, lebt weiter nur in mir. Dein Brombeerhaar legt sich wie<br />

Schleier über sommerliche Dunkelschwüle.<br />

Eingefrorne Bildsequenzen.<br />

<strong>Die</strong> dei Frari leuchtet noch. Abgehoben, kühn, wie ich sie damals gar nicht sah. Und<br />

das Fenice. Inszenierte Alterslosigkeit. Immer wieder auferstanden. <strong>Die</strong> Bühne wie<br />

das Leben.<br />

Alla ferovia, alla ferovia ...<br />

Wir feierten den Glanz im Untergang. Aus Lust <strong>und</strong> Überheblichkeit. Bronzene<br />

<strong>Zeit</strong>gesetze auszuhebeln, glaubt nur ein Dummkopf oder Jugend.<br />

Ich will es doch nochmal versuchen. Und nehm das Vaporetto, vom Bahnhof, zurück<br />

in die Lagune ...<br />

6


alf cislarzyk<br />

vorübergehend geschlossen<br />

(die alte schule)<br />

seit fünfzehn jahren<br />

nun schon<br />

risse im mauerwerk<br />

ziehn sich durch<br />

hakenkreuze, friedensparolen<br />

<strong>und</strong> liebesschwüre an lena …<br />

von gerd<br />

spuren obdachloser<br />

im chemiekabinett -<br />

misslungene experimente<br />

heutiger zeit<br />

ich höre frau meisels<br />

klavierspiel <strong>und</strong> meine<br />

stimmbrüchigen gesangsversuche<br />

auf dem schulhof<br />

zwischen glasscherben <strong>und</strong><br />

verkohltem holz<br />

steht luise<br />

ich spüre noch einmal<br />

den ersten kuss<br />

auf den m<strong>und</strong><br />

schmecke erinnerung<br />

am bach<br />

mit den kieseln singen<br />

das zittergemüt<br />

eintauchen<br />

ins murmelgebet<br />

der kalten zunge<br />

die haut reichen<br />

sich ergeben<br />

rein werden<br />

licht<br />

in der dunklen schlucht<br />

heute<br />

7


african queen<br />

8


sigrid wohlgemuth<br />

Vergrabener Traum<br />

„Guten Morgen, Doris. Könntest du dich bitte um diese Belege kümmern?“ Mein Chef<br />

Bernd legte den Ordner auf den Schreibtisch. „Schaffst du doch, einfach dazwischen<br />

schieben.“ Er zwinkerte mir zu. „<strong>Die</strong> Bilanz soll in vier Wochen stehen. Ist wirklich<br />

nicht viel, ein paar Kassenblätter, Kontoauszüge, nur wenige Rechnungen. Wie ich<br />

dich kenne, machst du das mit Links.“<br />

„Warum immer ich?“ Mit einer Handbewegung zeigte ich auf den Aktenstapel, der sich<br />

vor mir auftürmte.<br />

„Weil ich weiß, wenn ich dir diese Arbeit übergebe, dann wird sie zum gewünschten<br />

<strong>Zeit</strong>punkt fertig.“<br />

Bernd drehte sich um <strong>und</strong> verließ mein Büro. Dagegen konnte ich nichts erwidern, ich<br />

war stolz auf sein Vertrauen in meine Person <strong>und</strong> Arbeit. Seit einigen Jahren arbeitete<br />

ich freiberuflich in seiner Steuerberaterpraxis. Im Büro wurde offen über alles<br />

gesprochen <strong>und</strong> es herrschte ein gutes Klima. Wenn ich ’nein’ gesagt hätte, dann<br />

wäre es auch in Ordnung gewesen.<br />

Ich liebte meine Arbeit, ging förmlich darin auf. Jeden Morgen erwachte ich, erhob<br />

mich vom Schlafplatz, duschte, legte ein dezentes Make-up auf, streifte mir eines der<br />

Kostüme über, stieg in die Pumps <strong>und</strong> ging mit einem Lächeln auf den Lippen zur<br />

Arbeit. Ich verwöhnte meine Kolleginnen mit frisch aufgeschüttetem Kaffee <strong>und</strong> erhielt<br />

sogar hin <strong>und</strong> wieder von den Morgenmuffeln einen Gruß zurück. Zum Mittagessen<br />

bestellte ich eine Mahlzeit beim Italiener oder Griechen <strong>und</strong> hielt zwischendurch ein<br />

Schwätzchen mit den Mitarbeiterinnen. Wir waren ein reines Frauenbüro, außer<br />

unserem Chef Bernd. Hin <strong>und</strong> wieder gab es Überst<strong>und</strong>en, die mich nicht störten. Am<br />

Abend schaltete ich den Computer aus <strong>und</strong> ging zufrieden nach Hause, ins Café, ins<br />

Kino, besuchte die Familie oder meine Fre<strong>und</strong>e.<br />

Ich schaltete das Radio an <strong>und</strong> nahm mir die Buchhaltung, die Bernd mir gegeben<br />

hatte, vor. Im Verlauf des Vormittags musste ich mir selbst eingestehen, dass ich<br />

mich an jenem Tag nicht konzentrieren konnte. Ich stand auf <strong>und</strong> schaute aus dem<br />

Fenster. Der Himmel hing voller grauer, dicker Regenwolken, die mich traurig<br />

stimmten. Gleich dem trüben Wetter fühlte ich mich ausgelaugt <strong>und</strong> müde.<br />

„Liebe Hörerinnen, Liebe Hörer. <strong>Die</strong> Gruppe PUR hat ein neues Album namens<br />

’Abenteuerland’ auf den Markt gebracht. Sie hören nun die erste Auskoppelung. Das<br />

Lied trägt den gleichen Namen wie das Album“, vernahm ich die Ansage des<br />

Radiosprechers. Ich hob die Lautstärke an. PUR! Toll! Einige ihrer CDs versüßten mir<br />

seit Jahren den Feierabend.<br />

*Der triste Himmel macht mich krank, ein schweres, graues Tuch, das die Sinne fast<br />

erstickt, die Gewohnheit zu<br />

Besuch ...*, hörte ich Hartmut singen.<br />

Schon am frühen Nachmittag verließ ich den Arbeitsplatz <strong>und</strong> fuhr in die Stadt, um<br />

das neue Album zu erwerben. Was <strong>für</strong> ein Glück! Ich erhaschte die letzte CD. Zu<br />

Hause angekommen schob ich sie sofort ins Wiedergabegerät ein, ließ mich auf<br />

meinem Sitzkissen nieder <strong>und</strong> hörte mir das Lied in Ruhe an. Eine Gänsehaut nach<br />

der anderen lief wellenartig über meinen Körper. Der Song zog mich magisch an <strong>und</strong><br />

öffnete die fest verriegelten Tore meiner Seele.<br />

*Lange nichts mehr aufgetankt, die Batterien sind leer. In ein Labyrinth verstrickt. Ich<br />

sehe den Weg nicht mehr ...*<br />

9


sigrid wohlgemuth<br />

Nach einer St<strong>und</strong>e sang ich den Text auswendig mit <strong>und</strong> fühlte, er bewirkte etwas in<br />

mir. Mein geordnetes Leben, die Freude am Erwachen, der Spaß an der Arbeit, die<br />

Liebe zu meiner Familie <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong>en. Ich hatte keinen Gr<strong>und</strong>, mich zu beklagen<br />

oder unzufrieden zu sein. Oder machte ich mir Selbst etwas vor?<br />

In jener Nacht stellte sich der Schlaf nicht ein, ich war überdreht, meine Seele lag<br />

offen <strong>und</strong> verletzbar frei. Erst in den frühen Morgenst<strong>und</strong>en fiel ich in einen unruhigen<br />

Schlaf <strong>und</strong> ging erst gegen Mittag ins Büro. Zum Glück hatte ich als freie Mitarbeiterin<br />

keine festen <strong>Zeit</strong>en.<br />

Es würde Keiner bemerken, weil ich hin <strong>und</strong> wieder später kam oder früher ging.<br />

Dachte ich!<br />

Ausgerechnet an dem Tag fiel es auf. Der Kaffee war nicht aufgeschüttet <strong>und</strong> diese<br />

Gewohnheit wurde vermisst.<br />

„Bist du o.k.?“, fragte mich Katharina, unsere Chefsekretärin, mit der ich befre<strong>und</strong>et<br />

war.<br />

„Ich denke!“<br />

„Du denkst du bist o.k., oder du denkst über etwas nach?“<br />

Katharina ging in die Küche <strong>und</strong> kam mit zwei Kaffeetassen zurück.<br />

„Hast du Träume?“, fragte ich <strong>und</strong> nahm die mir gereichte Tasse entgegen.<br />

„Natürlich träume ich, doch wenn ich aufwache, erinnere ich mich nicht mehr daran.“<br />

Katharina nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. Ich setzte mich auf ihre Tischkante.<br />

„Solche Träume meine ich nicht.“<br />

„Jeder hat Träume. Wenn man aufhört zu träumen, dann stirbt man.“ Sie sah mir in<br />

die Augen <strong>und</strong> ich wusste sie würde die Tränen nicht übersehen.<br />

„Du hast Recht.“ Ich drehte mich um <strong>und</strong> ging in mein Büro. Als ich das Radio<br />

anstellte, lief gerade wieder das Lied von PUR. Ich schaute aus dem Fenster, hinauf<br />

zum Himmel, der seine Pforten geöffnet hatte, <strong>und</strong> ein strömender Regen sank auf<br />

die Erde nieder. Plötzlich fühlte ich, wie sich mein Brustkorb verengte.<br />

*Ich will weg, ich will raus, ich will – wünsch mir was <strong>und</strong> ein kleiner Junge nimmt mich<br />

an die Hand. Er winkt mir zu <strong>und</strong> grinst: Komm hier weg, komm hier raus, komm, ich<br />

zeig dir was, das du verlernt hast, vor lauter Verstand ...*<br />

„Keine Lust zum Arbeiten?“<br />

Erschrocken drehte ich mich zu meinem Chef um. Auch er sah meine Tränen.<br />

„Hast du Sorgen? Möchtest du reden?“ Er machte einen Schritt auf mich zu.<br />

„Hast du Träume? Ich meine richtige Träume?“<br />

„Ich träume von einer Segeljacht. Sie soll auf Mallorca vor Anker liegen, <strong>und</strong> ich fliege<br />

mit meiner Familie jedes Wochenende dorthin.“<br />

„Hast du das Gefühl, dein Traum wird jemals in Erfüllung gehen?“<br />

Er zuckte mit den Schultern.<br />

„Ich mache heute blau“, sagte ich, griff mir den Aktenkoffer <strong>und</strong> ließ meinen Chef mit<br />

einem verdutzten Gesichtsausdruck zurück.<br />

Angekommen in meiner Wohnung, stellte ich sofort die Anlage an <strong>und</strong> hörte PUR.<br />

*Komm mit ..., komm mit mir ins Abenteuerland, auf deine eigene Reise. Komm mit<br />

mir ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand. Komm mit mir ins<br />

Abenteuerland <strong>und</strong> tu’s auf deine Weise. Deine Fantasie schenkt dir ein Land, das<br />

Abenteuerland ...*<br />

Mit den Händen hielt ich mir die Ohren zu. Nicht nur, dass der Song in die Tiefe<br />

meiner Seele eindrang, er raubte mir langsam den Verstand. Ich kam nicht davon ab,<br />

mir das Lied anzuhören. Wochenlang ging es so weiter. Ich vernachlässigte die<br />

Arbeit, meine Familie, die Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> fand nachts keine Ruhe.<br />

*Neue Form, verspielt <strong>und</strong> wild, die Wolken malen ein Bild. Der Wind pfeift dazu<br />

dieses Lied, in dem sich jeder Wunsch erfüllt.*<br />

10


sigrid wohlgemuth<br />

„Hört auf, hört auf!“, schrie ich <strong>und</strong> zog den Stecker der Anlage aus der<br />

Verlängerungsschnur. Stille trat ein. Doch nur äußerlich, in mir wütete ein Vulkan, der<br />

kurz vor dem Ausbruch stand.<br />

Wann hatte es angefangen? Wann hatte ich den Traum verloren? Wann fing ich an zu<br />

funktionieren? War ich zu einem menschlichen Computer geworden, der selten<br />

abstürzte? Seit wann floss nicht mehr das heiße Blut durch meine Adern? Und wo war<br />

mein Aufbegehren gegen das System? Das Verlangen nach strahlend blauem<br />

Himmel? Wann war ich zu einem Gewohnheitstier geworden? Wann fing ich an, mich<br />

mit materiellen Dingen zufrieden zu geben? Der <strong>Zeit</strong>ungszusteller, die Verkäufer an<br />

der Wursttheke, die Kassiererin, der Postbote, meine Nachbarn <strong>und</strong> viele andere der<br />

Mitmenschen, seit wann fand sich keine <strong>Zeit</strong> mehr <strong>für</strong> ein fre<strong>und</strong>liches, nettes Wort?<br />

Wann fing ich mit dem Hasten <strong>und</strong> Eilen an? Schwamm ich stromabwärts?<br />

Wo war mein Traum?<br />

Wie tief hatte ich ihn in mir vergraben <strong>und</strong> jeglichen anderen Abfall darauf gelagert,<br />

damit er nicht mehr an die Oberfläche kommen konnte, sondern verrottete, starb.<br />

’Wenn man aufhört zu träumen, dann stirbt man’, vernahm ich Katharinas Worte.<br />

In meinem Alter?<br />

„Nein!“, schrie ich aus der Tiefe meines Herzens.<br />

Danach fühlte ich mich besser, die heiße Lava kühlte langsam ab.<br />

Da war er, hatte sich aus dem gewaltigen Müllhaufen befreit.<br />

Mein Traum!<br />

So viele Jahre waren vergangen, ich hatte ihn fast vergessen. Damals sagte ich oft:<br />

„Eines Tages werde ich in einem Haus in einem kleinen Dorf, das zwischen den<br />

Bergen <strong>und</strong> dem Meer auf einer Insel liegt, leben. Ich möchte nicht im Rentenalter auf<br />

einer Parkbank unter einer alten Eiche sitzen <strong>und</strong> den Enkelkindern sagen: ’Ich hatte<br />

mal einen Traum’.“<br />

Wenige Monate später legte ich meinem Chef die Kündigung auf den Schreibtisch,<br />

eine weitere sendete ich per Einschreiben an den Wohnungsvermieter. Gespräche<br />

mit der Familie <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong>en folgten. PUR hörte ich zur Rückenstärkung.<br />

*Ich erfinde, verwandle mit Zauberkraft. <strong>Die</strong> Armee der Zeigefinger brüllt: ’Du<br />

spinnst!!!’ Ich streck den Finger aus, ich verhexe, verbanne, ich hab die Macht,<br />

solange der Kleine da im Spiegel noch grinst. Komm mit ...*<br />

Hartmut, was hat dein Text in mir ausgelöst!<br />

Dicke Steinbrocken räumte ich aus dem Weg bis zur Verwirklichung des Traumes.<br />

<strong>Die</strong> Insel hatte ich schon längst gef<strong>und</strong>en. Ich war nur zu blind <strong>und</strong> hatte nicht<br />

bemerkt, wie nah sie dem Erträumten kam.<br />

*Peter Pan <strong>und</strong> Captain Hook mit siebzehn Feuerdrachen, alles kannst du sehen,<br />

wenn du willst. Donnervögel, Urgeschrei, Engel, die laut lachen, alles kannst du<br />

hören, wenn du willst. Du kannst flippen, flitzen, fliegen <strong>und</strong> das größte Pferd kriegen.<br />

Du kannst tanzen, taumeln, träumen <strong>und</strong> die Schule versäumen. Alles das ist möglich<br />

in dir drin, in deinem Land, trau dich nur zu spinnen, es liegt in deiner Hand. Komm<br />

mit ...*<br />

Das Lied fand sein Ende. Ich fand den Feuerdrachen <strong>und</strong> die Engel, die laut lachten.<br />

Ich flippte <strong>und</strong> flog, ich tanzte <strong>und</strong> taumelte. Ich ging <strong>und</strong> fing an, meinen Traum zu<br />

leben.<br />

11


sunny<br />

De loin, un ange …<br />

Elle a jeté la clef de son cœur<br />

Dans les étoiles<br />

Et s’est assise au bord de l’océan.<br />

De loin, un ange veille sur elle.<br />

Il a posé des larmes à ses yeux,<br />

Des mots dans sa tête<br />

Et un sourire sur son âme.<br />

Il la berce d’embruns<br />

Pénétrants et légers comme la tendresse.<br />

Elle se perd dans ses rêves.<br />

Un jour, il lui rendra la clef …<br />

J’ai peint des ombres à tes nuages<br />

Et ils ont versé quelques pleurs,<br />

Tu as mis mes papillons en cage<br />

Dans les oubliettes de ton cœur,<br />

J’ai voulu danser sur les mirages<br />

Ils se sont transformés en peurs,<br />

Tu as gommé toutes nos images<br />

Mettant à nu la douleur,<br />

J’ai semé l’oubli dans ton paysage<br />

Et tu l’as cueilli comme une fleur.<br />

<strong>Die</strong> Liebe stirbt nie<br />

Ein flüchtiger Gedanke,<br />

Eine schöne Erinnerung,<br />

Ein Irrlicht im Herzen ...<br />

<strong>Die</strong> Liebe stirbt nie,<br />

Auch wenn sie bricht .<br />

Sterne in der Nacht,<br />

Ein schimmernder Regenbogen,<br />

Ein Aufruhr der Gefühle ...<br />

Das Leben stirbt nie,<br />

Auch wenn es so scheint.<br />

Ein Engel<br />

Sie warf den Schlüssel zu ihrem<br />

Herzen<br />

In die Sterne<br />

Und setzte sich ans Meer ...<br />

Von weitem, wacht ein Engel über sie.<br />

Er hat Tränen in ihre Augen gelegt,<br />

Worte in ihr Herz,<br />

Und ein Lächeln auf ihre Seele.<br />

Er wiegt sie in Gischt<br />

Einfühlend <strong>und</strong> leicht wie die<br />

Zärtlichkeit.<br />

Sie verliert sich in ihren Träumen.<br />

Er bewahrt den Schlüssel fûr sie auf ...<br />

Ich habe Schatten auf deine Wolken gemalt<br />

Und sie haben geweint ...<br />

Du hälst meine Schmetterlinge<br />

Im Verlies deines Herzens gefangen ...<br />

Ich wollte auf Illusionen tanzen<br />

Und sie wurden zu Aengsten ...<br />

Du hast unsere <strong>Bilder</strong> ausgelöscht<br />

Und den Schmerz blosgelegt ...<br />

Ich habe Vergessen in dein Leben gesät<br />

Und du hast es gepflückt, wie eine Blume .<br />

12


alf cislarzyk<br />

Frida<br />

Vor sieben Jahren. Meine Frau <strong>und</strong> ich wollten nach Rom. <strong>Die</strong> Freude in uns, dehnte<br />

sich mit jedem Kilometer aus wie Hefeteig. In Südtirol wollten wir Pause machen.<br />

Vom Brenner aus schauten wir auf eine kleine Stadt, die sich hinauf in die Berge<br />

ausdehnte. <strong>Die</strong> Häuser klebten an den Hängen. Sattgrüne Wiesen säumten die Höfe.<br />

Jedes der Häuser hatte Gott vielleicht persönlich dort hingestellt.<br />

Wir fädelten uns aus der Autolawine heraus. Bogen ab in die Stadt Chiusa. Hoch<br />

hinauf führte uns die Serpentinenstraße. An jeder Kehre wies uns der uralte Toyota<br />

meiner Frau stöhnend darauf hin, dass es nicht unbedingt seine Wunschregion sei.<br />

Dennoch hielten wir erst am letzten erreichbaren Haus. Dem abgelegensten von<br />

allen. Ich glaube, es stand direkt im Himmel <strong>und</strong> … es war ein Zimmer frei. Wir<br />

vergaßen Rom.<br />

Stattdessen eroberten wir die höchsten Berge. Besuchten entlegene Sennerhütten<br />

<strong>und</strong> schlichte Wallfahrtskapellen.<br />

Und immer erlagen wir ehr<strong>für</strong>chtig dem Zauber der Almwiesen <strong>und</strong> den Blumen<br />

darauf. <strong>Die</strong> van Gogh’sche Farbenpracht füllte unsere hungernden Seelen mit Frieden<br />

<strong>und</strong> Stille.<br />

Ein Tag gehörte dem Besuch des nahe gelegenen Kloster Säben.<br />

Ihm zu Füßen liegend fanden wir einen kleinen, scheinbar verwilderten Garten, an<br />

dessen Ende ein unscheinbares Häuschen stand.<br />

Der Wildwuchs entpuppte sich als liebevolle Ansammlung exotischster Kräuter.<br />

Vor dem Haus saß ein Mütterchen. Ihr faltiges, sonnengebräuntes Gesicht ließ ein<br />

langes Leben mit einer endlos scheinenden Erfahrungsspirale vermuten.<br />

Sie war 98. Vor zehn Jahren starb ihr Mann. Sie verkaufte das gemeinsame Haus.<br />

Zog in dieses Kleinidyll. Das übrige Geld ging an ihre Töchter <strong>und</strong> die<br />

Klosterverwaltung. Frida, so hieß das Mütterchen – sie sprach auch deutsch –<br />

begnügte sich seitdem nur mit dem Nötigsten.<br />

Da meine Frau der Kräuterk<strong>und</strong>e recht k<strong>und</strong>ig ist, hatten die zwei sich viel zu<br />

erzählen.<br />

Mir wurde gestattet, mich im Haus umzuschauen. <strong>Die</strong>s bestand aus zwei Räumen. Im<br />

ersten standen ein kleiner Herd, ein winziges Schränkchen <strong>und</strong> ein Tisch mit drei<br />

Stühlen daran. Ein kleines Fenster ließ spartanisch Licht herein.<br />

<strong>Die</strong> vielen Blumen im Raum, hüllten diesen in ein fre<strong>und</strong>liches, angenehmes<br />

Ambiente.<br />

Mein Blick fiel auf einem Hausaltar. Ruhte darauf. Zwei<strong>und</strong>vierzig Kerzen umspülten<br />

ihn mit warmem Licht. Frida achtete argusäugig darauf, dass keine der Kerzen lange<br />

erloschen blieb. Jede einzelne stand <strong>für</strong> ein gemeinsames Jahr mit ihrem Mann. Den<br />

Altar hatte dieser liebevoll aus einer Platanenwurzel geschnitzt.<br />

Im angrenzenden Raum verbargen sich ein winziges Sieben-Zwerge-Bettchen <strong>und</strong><br />

ein Handwaschbecken. Darüber ein halbblinder Spiegel. An einer Wand ein Bild ihres<br />

Mannes. An einer anderen <strong>Bilder</strong> ihrer Töchter, die unten in der Stadt verheiratet sind.<br />

Als ich wieder heraus kam, saßen Frida <strong>und</strong> meine Frau beim Kräuterschnaps <strong>und</strong><br />

ließen es sich gut gehen.<br />

Mir aber lag die Frage auf der Zunge, wie man mit diesem doch sehr eingeschränkten<br />

Lebensstil Zufriedenheit erlangt.<br />

Ich stellte die Frage nicht. <strong>Die</strong> vielen Gespräche, die wir im Laufe der verbleibenden<br />

<strong>Zeit</strong> noch mit ihr führen durften, waren mir Antwort genug.<br />

Viel mehr stellte sich mir nach unserem Urlaub die Frage, warum ich, in scheinbar viel<br />

günstigeren Umständen lebend es nicht schaffe, auch nur annähernd zufrieden zu<br />

sein.<br />

13


eatrix brockmann<br />

Reality Check II<br />

Füße, <strong>und</strong> immer die eigenen<br />

Füße auf verschiedenem Gr<strong>und</strong><br />

aus dem Un ins Bewusst<br />

zeigt sich das Hier <strong>und</strong> Jetzt<br />

Ob Schotter am Belvedere<br />

Kopfsteinpflaster im Harz<br />

Beton am Hamburger Hafen<br />

Fokus auf Schritte<br />

Auf Unter-/Ab-Gründe<br />

Grad heut Amerika entdeckt<br />

auf dampfendem<br />

sechsspurigem Asphalt<br />

Und so wird der<br />

tägliche Spaghat<br />

mal wieder zum Krampf<br />

birute rosman<br />

anschein<br />

der weg<br />

gewohnter<br />

vogelsang<br />

das haus<br />

an der ecke<br />

unverrückt<br />

jahresringe<br />

in pfützen<br />

tropfen fallen<br />

eh <strong>und</strong> jelich<br />

frau meier<br />

beim fleischer<br />

floskelt<br />

das leben geht weiter<br />

augen irren<br />

durch heimelige<br />

bühnenbilder<br />

suchen das loch<br />

hinterlassen<br />

von dir<br />

doch die kulisse<br />

ist nahtlos<br />

14


kocsis csaba<br />

mbsolat-bihartorda<br />

15


african queen<br />

Ritual im afrikanischen R<strong>und</strong>haus<br />

der Tag verabschiedet sich schnell <strong>und</strong> lautlos<br />

schwer fällt die Nacht herunter<br />

das R<strong>und</strong>haus in geheimnisvolles Licht getaucht<br />

die Geister der Ahnen verharren schweigend<br />

Irrlichtern gleich<br />

es ist die St<strong>und</strong>e der Mythen<br />

explosiv entlädt sich der Zauber<br />

die Macht der Rituale nimmt sich<br />

der verirrten Seelen an<br />

die Glut des Feuers erlischt<br />

leicht aufkommender Wind verwischt<br />

die Spuren der Nacht.<br />

Markttag in Afrika<br />

Sprachgewirr wie von ferner Radiostation<br />

nicht zu bestimmende Gerüche würzig fremdartig geheimnisvoll<br />

verführerische Düfte, mit Staub <strong>und</strong> Hitze sich mischen-<br />

Farben von Künstlerhand verteilt<br />

flatternde Tücher fallende Gewänder<br />

bunt fröhlich leicht geordnetes Chaos<br />

was die Natur hergibt fein säuberlich ausgebreitet<br />

roh belassen gesammelt gepfückt gebündelt<br />

geflochten sortiert der handelt floriert<br />

bearbeitet verarbeitet gemischt verfeinert<br />

getrocknet gepresst geformt<br />

in Hülle <strong>und</strong> Fülle<br />

an solchen Tagen ist Afrika reich, weil sich die Armut<br />

bis zum Abend hinter Mauern versteckt<br />

thom delißen<br />

militär<br />

fliegt<br />

krähe auf<br />

von totem<br />

fleisch<br />

kreischt<br />

dank dir<br />

gott<br />

dass du<br />

den tisch<br />

gedeckt<br />

so reich<br />

16


isabella kramer<br />

Waldgefühle<br />

federnde Schritte<br />

auf moosigen Pfadek<br />

sandklare Bäche<br />

murmeln in Moll<br />

Säulenriesen warten<br />

Äonen von Jahren<br />

wiegende Häupter wandeln<br />

Licht in Strahlenfinger<br />

Goldsprenkel im Farn<br />

Lippen voll Himbeersaft<br />

du hast Blätter im Haar!<br />

ein Häher warnt<br />

tiefgrüne Augen<br />

mooriger Seen<br />

Waldstimme flüstert<br />

Kommt wieder!<br />

Hinten im Park<br />

die alten Gärten<br />

ruhen gelassen<br />

kühles Feuchtgrün<br />

erwartet unsere Streifzüge<br />

im Dickicht der Geschichte<br />

folgen wir steinernen Spuren<br />

Schritt um Schritt<br />

vergessene Sorgfalt<br />

dämmerung<br />

atem hält zeit still<br />

senkt himmel blaugefühltes<br />

an den strand - träumen<br />

hüllt in ewigkeiten<br />

schwarz-weiß abgleich<br />

r<strong>und</strong>schleifen ließ ich mich<br />

äonen lag ich in der brandung<br />

fort mit ecken <strong>und</strong> kanten<br />

glatt <strong>und</strong> r<strong>und</strong> geworden<br />

äonen lag ich in der brandung<br />

zerrieben, gemahlen<br />

glatt <strong>und</strong> r<strong>und</strong> geworden<br />

wollte sein, wie alle<br />

zerrieben, gemahlen<br />

vergaß meine farbe<br />

wollte sein, wie alle<br />

sah nicht stärke im kontrast<br />

vergaß meine farbe<br />

r<strong>und</strong>schleifen ließ ich mich<br />

sah nicht stärke im kontrast<br />

fort mit ecken <strong>und</strong> kanten<br />

17


gerty ederer<br />

Des Flusses Rache ?<br />

Aug um Aug<br />

Zahn um Zahn -<br />

Toben sollt‘ ich<br />

<strong>und</strong> die Stadt überschwemmen !<br />

Betonieren würden sie mich -<br />

<strong>und</strong> Tiere müssten sterben ...<br />

Sollt‘ nicht mehr fließen<br />

<strong>und</strong> nur stille stehn<br />

bis zur Kloacke !<br />

Elend würd’ ich sterben.<br />

Und die Menschen hätten es noch immer nicht begriffen ...<br />

VERWANDLUNG<br />

Zur Puppe - zum Schmetterling -<br />

einmal gefräßige Raupe wie in unserer Kindheit,<br />

dann Puppe wie in unserer Jugend,<br />

wo wir uns wandeln, erwachsen werden.<br />

Verwandlung – Entfaltung – Verwirklichung bis zum Tod.<br />

Was ist alles Wissen gegen die Verwandlung eines Schmetterlings?<br />

Wenn wir einen Schmetterling betrachten –<br />

ihn <strong>und</strong> seine Verwandlung verstehen –<br />

haben wir genug vom Leben gelernt <strong>und</strong> begriffen.öcker<br />

Hagestolz<br />

abrücken<br />

aufs Kreuz legen<br />

hinterrucks<br />

kreuz <strong>und</strong> quer<br />

den erücken stärken<br />

ein Rückgrat haben<br />

schultert Verwandlung<br />

VERWANDLUNG - WIE EIN LICHT ANZÜNDEN<br />

Verwandle dich!<br />

Wieder <strong>und</strong> wieder.<br />

Verwandlung - das Entscheidende im Leben.<br />

Dass etwas weitergeht –<br />

dass wir glücklich sind –<br />

dass das Leben fließt -<br />

dass es lebendig bleibt –<br />

dass wir es genießen können.<br />

Mit jeder Verwandlung wird ein Stück mehr möglich<br />

<strong>und</strong> bringt uns dem Licht entgegen.<br />

18


isabella kramer<br />

Bonsoir Porquerolles<br />

von ihrer Bank am Hafen lauschen<br />

die beiden Alten frohgemut<br />

dem Gruß der letzten Abendfähre<br />

<strong>Zeit</strong> endlich <strong>für</strong> zwei petit rouge<br />

dann schlendern sie zu den Platanen<br />

ein neues Spiel, die Witze alt<br />

Salut ihr zwei, so lasst uns starten,<br />

sonst werden noch die Kugeln kalt!<br />

der Obststand öffnet seine Läden<br />

die Insel atmet Abendruh<br />

das alte Fort grinst zahnlos rüber<br />

Pierres H<strong>und</strong> nagt an `nem Badeschuh<br />

Segler studieren Speisekarten<br />

es duftet wohlig nach Baguette<br />

man lässt sich <strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> denkt im Stillen<br />

hier immer leben, das wäre nett<br />

kein Auto stört den Inselfrieden<br />

es gibt nur zwei <strong>und</strong> die halbtot<br />

des Inselarztes Klapperkiste<br />

am Leuchtturm parkt der Rostpeugeot<br />

das Herz der Insel schlägt gelassen<br />

man ist hier gern mit sich allein<br />

Traumpunkt im großen Meer der Mitte<br />

nur schwer zu finden <strong>und</strong> winzig klein<br />

Markttag<br />

Blumenrausch in Zinkeimern<br />

Tomatenpyramiden unter gestreiften Markisen<br />

Hand in Hand schlendern<br />

Radieschenbouquet <strong>für</strong>s Wochenendglück<br />

Thymianhonig gegen Fernweh<br />

Kinderträume vom eigenen Küken<br />

wir kosten unsere Nähe<br />

Blumenkohlzeit <strong>für</strong> alle<br />

Glitzernde Heringe versprechen<br />

Fisch ist ges<strong>und</strong>!<br />

apfelduftgeschwängerte Luft<br />

<strong>für</strong> Dich die eingelegten Oliven<br />

Windträume<br />

bietest dem<br />

Sturm die Stirn<br />

flüchtest nicht<br />

dunkle Wolken<br />

nie lässt dein Blick<br />

unser Meer<br />

gleitest ohne<br />

jeden Flügelschlag<br />

furchtlos nah selbst<br />

größten Wellen<br />

gegen den Wind<br />

stets auf mich zu<br />

19


elsa rieger<br />

Vom Erinnern<br />

Es bröckelt. Niederlagen von früher. Traurigkeiten ~ die ums Haar getötet hätten ~<br />

sind leise geworden. Still die wilden Geschichten, die mit Lachen durch mich fluteten,<br />

mit Freude. Auch die Liebesangelegenheiten. Damals erschütterten sie ins Tiefste.<br />

Sind nur noch Hauch.<br />

Wird alles Jahr um Jahr dünner. Schichten platzen ab. Dummes altes Mauerwerk. <strong>Die</strong><br />

Türen klemmen, so vollgestopft sind die Räume mit Vergangenem. Und ich kanns<br />

kaum mehr fühlen! Doch Neues kommt nimmer dazu.<br />

aquilea<br />

im zypressenhain<br />

lieben wir uns zwischen<br />

römischen quadern<br />

zikaden<br />

empören sich<br />

lauthals<br />

luxeuil<br />

am eck das café<br />

– ouvert, madame? –<br />

– oui ! – tönt es rauchig<br />

aus rotem m<strong>und</strong> ausgemalt<br />

derweil hält der atlas<br />

aus holz in der eglise<br />

gegenüber die orgel hoch<br />

kreta<br />

La Provence<br />

Lavendel leuchtet<br />

in Büscheln duftend<br />

Blaues Feld um Feld<br />

umkreist das Land - Cézannes<br />

Sainte Victoire spielt<br />

hin zum Café der Alten<br />

in Aix Boule zwischen<br />

Platanen wirbelnd zum<br />

Markt der Blumenmädchen<br />

von Arles hinunter<br />

der Mistral<br />

trauben erfüllt von sonnenglast<br />

süß durch die kehle geschluckt<br />

unterm olivenbaum<br />

knorrig auch die küste<br />

vor dem weiten blau<br />

<strong>und</strong> der wind fegt die gipfel<br />

la mer<br />

eine handvoll seen<br />

dort <strong>und</strong> dort schaufeln<br />

mühlräder träge wasser –<br />

ohne leben die häuser<br />

am ufer – montag bis<br />

donnerstag arbeitet man<br />

20


elsa rieger<br />

Helene in Paris<br />

„Nach einer Trennung muss man sich doch einen neuen Blick gönnen!“ Helene<br />

bürstet ihr braunes Haar mit langen Strichen vor dem blindfleckigen Spiegel im Coupé<br />

über den Sitzlehnen in Weinrot. Der TGV fährt soeben in Paris Est ein. Helene wirft<br />

die Haarbürste in die Reisetasche, zieht den Zipp zu.<br />

Es ist kurz vor sieben Uhr morgens, als sie auf den Bahnsteig springt. Gleich will sie<br />

wieder zurück. Sich verstecken im Abteil unterm fadenscheinigen Sitz zwischen den<br />

Kaugummiklümpchen <strong>und</strong> Papierfetzen. Helene schnauft, sieht hoch zum Glasdach,<br />

über dem die Sonne aufgeht. Als sie ihren Blick erneut über den Perron schweifen<br />

lässt, ist der Typ nicht mehr da. Bestimmt ein Irrtum; der, den sie verlassen hat, sitzt<br />

zu Haus in der Kneipe <strong>und</strong> säuft. Garantiert! Zumindest ergibt dieses Bild <strong>für</strong> Helene<br />

Trost. Trotzdem wackeln ihr die Knie <strong>und</strong> so braucht sie lang, um den Ausgang des<br />

Bahnhofes zu erreichen.<br />

„Bon jour, Paris!“, ruft Helene <strong>und</strong> winkt einem Taxi. „Hotel Tour d’Eiffel, Monsieur.<br />

Rue ...“, wie hat sie nur die Straße vergessen können, „... Quartier Latin.“<br />

Sein: „Oui, Mademoiselle“ mit arabischem Akzent (dichtet sie dazu) entzückt sie. Er<br />

ist Tunesier, aber in Paris geboren, sagt er. Und so findet er das Hotel, das Helene<br />

daheim ausgewählt hat, weil es nahe dem Boulevard Saint Germain liegt <strong>und</strong> nur fünf<br />

Gehminuten vom Musée de Cluny entfernt, auf Anhieb.<br />

Helene freut sich über das lichte Zimmerchen im obersten Stockwerk. <strong>Die</strong> Bettdecke<br />

Chenille in altrosa, das Fenster reicht bis zum Boden, sie lehnt sich über das Gitter,<br />

das vor einem Sturz schützen soll. Es geht nur bis zur Scham Helenes, somit könnte<br />

sie sich ohne Probleme hinabfallen lassen. Sie stößt sich vom Gitter ab, sperrt das<br />

Zimmer zu <strong>und</strong> lässt sich vom Rezeptionisten den Weg zum Museum erklären.<br />

Helene kommt an einem tunesischen Restaurant vorbei. Ein enger, langer Schlauch<br />

mit Tischen an der einen Seite, die Wände schilfgrün gestrichen. Dort würde sie<br />

abends essen.<br />

Musée de Cluny, ein graues Schlösschen. Romanisch gedrungen. Helene pfeift leise<br />

angesichts des r<strong>und</strong>en Raums mit den Gobelins, hockt sich auf die kühle Treppe,<br />

flüstert das Auswendiggelernte: „So schön war sie noch nie. W<strong>und</strong>erlich ist das Haar<br />

in zwei Flechten nach vorn genommen <strong>und</strong> über dem Kopfputz oben<br />

zusammengefasst, so dass es mit seinen Enden aus dem B<strong>und</strong> aufsteigt wie ein<br />

kurzer Helmbusch. Verstimmt erträgt der Löwe die Töne, ungern, Geheul verbeißend.<br />

Das Einhorn aber ist schön, wie in Wellen bewegt.“<br />

Hinter ihr ertönt: „Ja, er konnte es beschreiben. Nur Rilke in seinem Cornet.“<br />

Männlich.<br />

Helene antwortet: „Abelone, ich bilde mir ein, du bist da. Begreifst du, Abelone? Ich<br />

denke, du musst begreifen.“ Sie springt auf <strong>und</strong> rennt an dem Fremden vorbei hinaus.<br />

Läuft bis zum Boulevard Saint Michel <strong>und</strong> weint immer weiter. Ihr Handy piepst eine<br />

Kurznachricht: Komm nach Hause, Helene.<br />

Es gibt nur einen freien Tisch im Chez Paul. Chez Jendoubi gefiele Helene, sie<br />

kannte einen in Marrakesch, der so hieß. Sie bestellt Cous-Cous mit Meeresfrüchten<br />

<strong>und</strong> tunesischen Wein. An den Tischen des schlauchförmigen Restaurants sitzen nur<br />

Pariser. Eine Frau sieht aus, wie Helene gern wäre. Wenigstens äußerlich. Man ist<br />

immer drei: Wie man meint, zu sein, wie die anderen meinen, dass man ist <strong>und</strong> wie<br />

man wirklich ist. <strong>Die</strong> Frau ist laut <strong>und</strong> groß, sie trägt ihr karottenrotes Haar<br />

streichholzkurz. Lacht mit heiserer Stimme, durch ihre Ohrläppchen sind goldene<br />

Kreolen gefädelt.<br />

Helene schrumpft, rutscht das Stuhlbein hinab, läuft über den buckeligen<br />

Plastikboden zur Frau hinüber, klettert deren Gabardinehose hoch, krallt sich in die<br />

Strickjacke <strong>und</strong> schließlich sitzt sie im goldenen Ohrring <strong>und</strong> schaukelt bei jedem<br />

21


elsa rieger<br />

Auflachen hin <strong>und</strong> her.<br />

„Enchanté“, sagt Helene <strong>und</strong> trinkt. In der Hirse auf ihrem Teller kringeln sich<br />

Tintenfischärmchen um altrosa Krabben, die ihrerseits Kichererbsen besteigen.<br />

Der arabische Kellner tritt an Helenes Tisch <strong>und</strong> fragt, ob alles in Ordnung sei.<br />

„Oui, trés bien“, antwortet sie <strong>und</strong> sticht die Gabel in die Mitte des blauroten Kranzes<br />

aus Armen. Sie kaut auf den Saugnäpfen herum, speit den Bissen dann in die<br />

Stoffserviette.<br />

Später besucht Helene den Friedhof Père Lachaise. Sie schaut zu Jim Morrison, dann<br />

kniet sie vor dem Grab der Marie Trintignant. Sie wurde von ihrem Geliebten<br />

erschlagen. Im Streit.<br />

Nach einem Spaziergang am nächsten Vormittag entlang des linken Seineufers steht<br />

Helene auf dem Pont Neuf. <strong>Die</strong> Sonne geht unter. Helene winkelt die Ellenbogen an<br />

<strong>und</strong> bedeckt die Augen mit den Händen. So macht sie sich auf den Weg über die<br />

Brücke. Menschen eilen heimwärts. Manche rammen ihre Arme, schimpfen:<br />

„Imbécile!“<br />

Doch Helene läuft blind weiter bis zum Brückenende. Sie überquert die Fahrbahn,<br />

wird nicht überrollt <strong>und</strong> geht sehend zurück.<br />

Auf der Höhe der Ile de la Cité sitzt ein Clochard <strong>und</strong> streckt ihr seine Schale<br />

entgegen, in der ein paar Cent liegen.<br />

„Wollen Sie mit mir essen gehen?“, fragt Helene ihn.<br />

Er lacht, sie kann bis zu den faulenden Backenzähnen sehen, dabei ist er sicher nicht<br />

älter als sie. Dann deutet er auf die Fetzen, in die er gekleidet ist.<br />

„Und ich bin nicht Juliette Binoche, ich weiß“, sagt Helene, legt fünf Euro in die Schale<br />

<strong>und</strong> geht weiter.<br />

Auf dem Heimweg kehrt Helene ins Deux Magots ein, bestellt Absinth <strong>und</strong> erstickt fast<br />

an der Frage, warum sie nicht lieben kann.<br />

Weanaleut`, Weanafreud`, da liegt was<br />

drin<br />

Glutwind treibt durchs Straßengrau<br />

im bleiernen Luftgemisch verwesen<br />

müde Begegnungen<br />

heut kommen d’Engerln auf Urlaub nach Wean<br />

Sommer in versmogter Beckenlage<br />

Touristen wälzen sich vom Stephansplatz übern Graben<br />

auf dem weder Flieder noch Rosen<br />

Palmen in Blechtöpfen neben der Pestsäule<br />

Wien: Weltstadt very hip <strong>und</strong> ein altes Palais<br />

erschauert in der Tropenhitze<br />

22


andreas lehmann<br />

moritat<br />

unter uns<br />

es war der tag, an dem<br />

die motten starben. eine lag<br />

in meinem tee, die andre trat<br />

ihre letzte reise<br />

auf dem teppichboden an.<br />

von all dem tod umgeben<br />

<strong>und</strong> überwölbt von nichts<br />

als einer schlecht gefügten decke,<br />

saß ich da <strong>und</strong> machte mich<br />

bereit – wo<strong>für</strong>,<br />

das wusst’ ich nicht. doch es war zeit,<br />

die schuhe zog ich an <strong>und</strong> band<br />

zwei schleifen, fest <strong>und</strong> schön.<br />

dann sah ich aus dem fenster<br />

(es rieselt sand aus einer<br />

kammer in die andere),<br />

ich sah die wolken schwinden,<br />

<strong>und</strong> was sich himmel nennt,<br />

das wurde blau.<br />

wenn nicht mal das schlechte<br />

wetter hält,<br />

was bleibt dann noch?<br />

es ist nicht schwer zu leben,<br />

seien wir ehrlich. die zeit<br />

vergeht von selbst, auch wind <strong>und</strong> wetter<br />

brauchen keine unterstützung, <strong>und</strong> die sonne<br />

scheint weitgehend<br />

unabhängig.<br />

nach wie vor<br />

gibt es hitzefrei, holz<br />

<strong>für</strong> den ofen<br />

<strong>und</strong> jede menge staub<br />

<strong>und</strong> über die tage<br />

<strong>und</strong> zwischen den st<strong>und</strong>en<br />

wächst immer noch<br />

jede menge gras.<br />

23


michel jakot<br />

24


franziska hörner<br />

Federwelt<br />

Angespannt stehe ich vor dem niedrigen, schmiedeeisernen Tor, das sich bald öffnen<br />

wird. Neben <strong>und</strong> hinter mir stehen einige Gestalten, die ebenso in ihrer Unsicherheit<br />

gefangen sind wie ich. Was wird uns erwarten? Weshalb gerade uns?<br />

Ein Schatten zieht an mir vorbei. "<strong>Die</strong> Tiere", flüstert der Wind. "Sie können eure<br />

Angst riechen. Habt Zweifel, zeigt Erschöpfung, wenn ihr euch machtlos fühlt. But<br />

show no fear!"<br />

Fear of the dark.<br />

Geräuschlos gleiten die Flügeltüren auf. Eine unermessliche Schwüle, schlägt uns<br />

entgegen <strong>und</strong> verschlägt uns den Atem. Ich fasse instinktiv an das, was mich retten<br />

soll: Einen Füller.<br />

Hoffmann hebt zum ersten Mal den Kopf. Ich kenne ihn nur flüchtig, ein<br />

schweigsamer, intelligenter Mensch, ein höflicher noch dazu. Bescheiden in seinem<br />

Tun. Doch ein Kämpfer?<br />

Der erste Mann schreitet vorwärts, lauernd, die Waffe gezückt. <strong>Die</strong> Feder glänzt fahl<br />

<strong>und</strong> stumpf, sollte wohl einen lächerlichen Eindruck erwecken - wenn dieses Thema<br />

nur nicht so verflucht ernst wäre!<br />

Leben oder Leben, Leidenschaft steht gegen Aufgabe. Weshalb wir?<br />

Eine Hand voll erfolgloser Schriftsteller, so sehr in ihrem Tun <strong>und</strong> ihrer Welt gefangen,<br />

dass die Hoffnung auf Beachtung mit jedem Kratzen der Feder stirbt. Jeder von uns<br />

bekam dieses Angebot unabhängig unterbreitet, schöpfte Hoffnung daraus, bereitete<br />

sich mental auf einen wissenschaftlich-geistlichen Schriftwechsel vor. Und nun das!<br />

Worin besteht unsere Aufgabe?<br />

Ein Kraftfeld, unsichtbar, doch unaufheblich, saugt uns sanft in die Welt hinter der<br />

Türe. Lautlos schließt sie sich. Hoffmann neben mir atmet tief ein. Während andere<br />

gelähmt agieren, tut er ein paar Schritte, erst zögernd, dann bestimmt. Bleibt stehen,<br />

besinnt sich.<br />

Ich kann ihn nur aus den Augenwinkeln beobachten, darf ihn nicht direkt ansehen.<br />

Kein Kontakt. Kein Blick.<br />

Jeder ist auf sich gestellt.<br />

Wenn du stirbst, stirbst du allein.<br />

So lauten die Regeln, die sie uns stellten. Regeln, die mir lächerlich erschienen. Ein<br />

Schriftstück! Ein Blatt Papier, verseucht mit roter Tinte soll unser Tod sein? Nein.<br />

Unser letzter Auftrag.<br />

Tod ist so ein schmutziges Wort. Verbraucht. Unromantisch.<br />

Der letzte Gang.<br />

Hoffmann dreht sich um, mustert uns. Sucht unsere Augen, doch wir sehen fort. Ich<br />

kann mich nicht entziehen, blicke ihn in meiner Unsicherheit fest an. Ob er weiß, was<br />

er tut? Ich habe bereits verdrängt, was mir aufgetragen wurde.<br />

Gescheitert, bevor die Feder nur Papier berührte, bevor sie nur die Hand<br />

umschmeichelte.<br />

Sein Blick ist von solcher Intensität, dass ich impulsiv auf ihn zutrete. Er nickt still,<br />

lockt mit der Feder. Komm. Folg mir nicht, doch komm.<br />

Jeder Schritt zerbricht die Stille unbarmherziger, die Stille, die keine Stille mehr ist.<br />

Geräusche umgeben uns, umweben uns wie ein wollener Mantel, schlucken alles, nur<br />

die Furcht nicht.<br />

Herzrasen in der Feder. Weiße Knöchel, die sich fest an alles Wirkliche pressen.<br />

Ein Schrei. Unmenschlich. Hinter mir entflammen Bewegungen, Zuckungen. Poe<br />

windet sich, findet den Ursprung des Getöses nicht. Ein Wall aus Lärm umringt ihn,<br />

wir entfernen uns.<br />

25


franziska hörner<br />

Jeder auf sich selbst gestellt.<br />

Eine schwarze Masse bewegt sich auf ihn zu, bläst Eiswind aus lüsternen Nüstern.<br />

Komm.<br />

Ich wende mich ab.<br />

Und bin allein.<br />

Gefühlskalt, als wabere der Eiswind in mir weiter, bewege ich mich durchs Geäst. Ein<br />

Ort aus Metall <strong>und</strong> Natur. <strong>Die</strong> Feder klackert unaufhörlich gegen meinen Gürtel. Alle<br />

Sinne sind geschärft, doch die <strong>Zeit</strong> rinnt mir davon. Was tue ich?<br />

Show no fear.<br />

Ich bin umringt von Moosranken, komme nicht mehr voran. Sehe den Himmel nicht,<br />

vernehme nicht einen Laut. Nur eine innere Stimme. Schreibe dich frei. Lebe mit der<br />

Feder.<br />

Bebend jage ich die Feder in das Kleid aus Moos. Weiche. Weiche. Immer wieder<br />

schreibe ich dieses Wort, apathisch, in Panik, Erwartung. Der nie endend wollende<br />

Strom aus Tinte rinnt an dem ausdörrenden Grün herunter wie ein Wasserfall aus<br />

Blut. Der Vorhang blutet aus. Ich komme frei.<br />

Keuchend blicke ich auf meine unversehrte Hand, stiere den Füller in ihr an. Welche<br />

Aufgabe hast du?<br />

Schreibe dich frei. Lebe mit der Feder.<br />

Was bedeutet Freiheit? <strong>Die</strong>s ist die letzte Freiheit, die ich mir nehme. Sie mag<br />

hoffnungslos sein, doch erlebe ich sie nach all den Jahren von träumender<br />

Verzweiflung wieder bewusst. Meine Lunge füllt sich mit Luft, lässt mich die Augen<br />

schließen. Nimm den letzten Gang mit Würde.<br />

Meine Beine sind bereits klamm, als Hoffmann wieder neben mir auftaucht.<br />

Ungezügelte Freude durchströmt mich, ich will ihm entgegentreten, doch er senkt den<br />

Blick. Jeder <strong>für</strong> sich.<br />

Ein Stich durchfährt mich, ich muss ohne ihn gehen. Hoffmann nickt mir zu, entfernt<br />

sich wieder. Er lebt. Ich lebe. Ich bin nicht allein.<br />

<strong>Die</strong> Schlucht, die sich vor mir auftut, ist grenzenlos. Auf dem Gr<strong>und</strong> steht ein<br />

Stahlkollos, scheinbar ausgebrannt <strong>und</strong> von Efeu überwuchert. Hier möchte ich<br />

begraben liegen, wenn es geschieht. Was auch immer geschehen mag.<br />

Meine Hand trifft auf kaltes Metall, ich komme in Bedrängnis, kann sie nicht erklären.<br />

Wende mich.<br />

Ich realisiere das Tier erst, als es über mir thront, mir seinen keifender Kiefer vor die<br />

Stirn hebt. Frei beweglich bin ich, doch denke ich nicht. Was soll ich denken? Soll ich<br />

denken? Kann ich? Ich?<br />

Ich besehe mir das Ungetüm wie abwesend. Der Korpus eines H<strong>und</strong>es, kräftig, mit<br />

weichem Fell überzogen, das grün schimmert. Und Grau. Schwanzlos. Den Kopf<br />

eines Raubtieres, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Katzenartig <strong>und</strong> größer als der<br />

Kopf eines Löwen. Ohne Mähne. Mit einem winzigen Gebiss voll feiner, nadelartiger<br />

Zähne. Ein Geschöpf, das in jeder anderen Situation <strong>für</strong> stummes, bedächtiges<br />

Staunen gesorgt hätte; wohl hätte ich ihn mit einer Geschichte bedacht, es heldenhaft<br />

sterben lassen. Nun ist es meine Bestie, die Ausgeburt meiner inneren Furcht.<br />

Meine Hand umklammert den Stahl nun mit beiden Händen <strong>und</strong> zieht mich unter den<br />

Korpus des Tieres. Es folgt, die Muskeln angespannter, keifender. Meine Schreibhand<br />

krallt sich in das Holz des Füllers. Ihn darf ich nicht verlieren, um nicht selbst verloren<br />

zu sein. Er darf brechen, knacken, zerbersten. <strong>Die</strong> Feder ist, was mich hält.<br />

Würde. Ich ziehe die Kappe fort, lasse vom Gestänge ab. Lasse mich packen, greife<br />

sacht nach etwas, das Widerstand bietet. Das Maul. Eine fleischige Zunge schabt rau<br />

über meine Haut, saugt mich an die Zähne, in die Zähne, die meine Hand<br />

umschlingen. Ich bin vollkommen ruhig.<br />

Drei Finger graben sich in den Nacken des Viehs, ziehen mich an ihm empor auf den<br />

wolligen Rücken. Kahle Stellen leuchten mir entgegen, schimmern silbern <strong>und</strong> blass<br />

in meinem Blick. Es ist nackt.<br />

26


franziska hörner<br />

So nackt wie meine Angst.<br />

Show no fear.<br />

Mit gespreizten Fingern fahre ich über das Fell. Mein linker Arm ist taub, taut ab,<br />

zerfließt. Ich werde ihn nicht mehr gebrauchen können. Nimm ihn mir. Zähne bohren<br />

sich tiefer in mein Fleisch.<br />

Mit dem Federrücken streiche ich über die bloße Haut, ruppige Haut, wie Pergament.<br />

Der letzte Gang, doch ich gehe nicht allein. Ich setze die Feder an. Und spinne eine<br />

Geschichte, die fortan die meine sein soll.<br />

Mit jedem Federstrich schlaffen die Muskeln des Geschöpfes ab, schrumpfen<br />

scheinbar unter meiner Bewegung. Ich komme frei – <strong>und</strong> gehe nicht. Bleibe, bis jede<br />

Stelle des kahlen Rückens mit Tinte überzogen ist. Ein Grollen an meiner Brust, das<br />

wohlwollendem Atem folgt. Ein Laut, der aus meinem Herzen in seines dringt. Wir<br />

lassen voneinander ab.<br />

Kraftlos sacke ich in mich zusammen, fühle mich selbst wie mit Tinte überzogen.<br />

Schweiß auf meiner Brust, meinem Bauch. Auf Geist <strong>und</strong> Herz.<br />

Meine Finger streicheln fahrig über das zerzauste Fell, das neben mir kauert. Beide<br />

sind wir geschrumpft, liegen nass in alter Haut <strong>und</strong> vergehen nicht allein.<br />

Ich erliege der letzten Fre<strong>und</strong>schaft, die meine erste war.<br />

Karmesinrot weckt mich. Ein feuchtheißer Luftzug leckt an meinen Bauch. Etwas<br />

streift mein Bein <strong>und</strong> als ich die Augen öffne, bemerke ich, dass ich aufrecht stehe.<br />

Poe <strong>und</strong> Hoffmann treten vor mich, den Blick zu Boden gerichtet. Ein Lächeln<br />

umspielt ihre zerfurchten Lippen, während sie auf einen Fleck zu meinen Füßen<br />

starren, der sich zu bewegen scheint. Ich folge mit den Augen.<br />

Unter mir räkelt sich ein junges Katzentier, rot wie das Haar einer schönen Frau <strong>und</strong><br />

blickt mit schwarzen Augen zu mir empor. Mühsam bücke ich mich <strong>und</strong> klaube es auf,<br />

streichle den Rücken des verängstigten Tieres. Fange mit den Fingern Nässe. Es<br />

blutet.<br />

Nein, es blutet nicht.<br />

Es trieft vor Tinte.<br />

Ungläubig hebe ich den schmerzenden Kopf <strong>und</strong> wende mich den beiden<br />

Schriftstellern zu, welche ebenfalls ein Tier auf dem Arme tragen.<br />

Hoffmann lächelt bedacht <strong>und</strong> hebt zum Gruße zaghaft den Arm, auf dem ein<br />

prachtvoller, w<strong>und</strong>erschöner Schmetterling ruht, von Ausmaßen, die ich noch nie<br />

zuvor erblickt habe. Farben in aller Reinheit, die sanft ineinander übergehen<br />

umspielen strahlenden, samtenen Pelz.<br />

Poes Züge sind gefasster, schärfer. Beängstigend verständliches Verlangen dringt<br />

aus seinen Augen, während er liebevoll ein Flügeltier streift, welches nicht von dieser<br />

Welt zu sein scheint. Schwarzschillernd wie die Nacht spannt es seine fast<br />

durchsichtigen, pelzigen Flügel <strong>und</strong> zeigt harte, stählern schimmernde Zähne<br />

zwischen einem weichen, feinen Kiefer, den es besitzergreifend an seinen Halter<br />

schmiegt.<br />

Hoffmann in bescheidener Schönheit.<br />

Poe in romantisch anmutender Gefahr.<br />

Und ich, auf den Boden der Tatsachen zurück gekehrt, mit der alltäglichen,<br />

unentdeckten Liebe der zwischenmenschlichen Begegnung.<br />

„Ihr werdet nicht allein sein. Euer Weg endet nicht hier.“<br />

Wir verbeugen uns <strong>und</strong> schreiten gemeinsam durch das sich öffnende Tor, das uns in<br />

eine Welt entlässt. Eine Welt, die sich ein Herz <strong>für</strong> unsere Federführung fassen wird.<br />

27


african queen<br />

hudson river , mit skyline N.Y.<br />

Isabella kramer<br />

angekommen<br />

28


ené steininger<br />

Marocco via Bologna<br />

<strong>Die</strong> Farben:<br />

titian- oder marrakeschrot<br />

siena oder henna<br />

Legt sich Staub<br />

auf die Markisen<br />

oder Sand<br />

<strong>und</strong> wo bleiben<br />

die Gewürzhändler<br />

in den Arkaden?<br />

<strong>Die</strong>sem Arkadien<br />

aus Stein<br />

fehlen die Palmen<br />

Aus der Stadt<br />

verschw<strong>und</strong>en selbst<br />

der Wald der Türme<br />

<strong>Die</strong> zwei<br />

in ihrer Mitte<br />

die noch stehen<br />

sind unbewohnt<br />

<strong>und</strong> stumm<br />

wie versetzte Minarette<br />

Oben dann<br />

sehe ich<br />

weithin nur Kirchen<br />

<strong>und</strong> Bergketten<br />

statt einem Meer<br />

aus beweglichem Land<br />

Bologna<br />

In den Souks<br />

Direkt unter der Haut war er<br />

wie ein Ballettänzer im Trikot.<br />

V.S.Naipaul<br />

Den Schwanensee<br />

geben sie<br />

nicht<br />

die gehäuteten<br />

Ziegen<br />

Schafe<br />

& Lämmer<br />

die aufgehakt<br />

in Reihen<br />

vor den kleinen<br />

Metzgerläden<br />

hängen<br />

Aber<br />

ein Hauch<br />

von Bolschoi<br />

ist schon<br />

in den Gesten<br />

der Verkäufer<br />

die zwischen<br />

den Vorhängen<br />

aus Fleisch<br />

salbungsvoll<br />

feilschen<br />

Marrakesch<br />

29


ené steininger<br />

Nach Genezareth<br />

Auf der plaza mayor<br />

humpelt<br />

der Klumpfüßige<br />

im Kreis<br />

Tagaus<br />

tagein<br />

wer weiß<br />

wie lange schon?<br />

Der Orthopäde<br />

der es<br />

in Zentimetern<br />

einer Passform<br />

berechnet?<br />

<strong>Die</strong> zufälligen<br />

Passanten<br />

die es an der Höhe<br />

ihrer Almosen<br />

messen?<br />

Jesus<br />

der ihn<br />

auf seinem Weg<br />

nach Genezareth<br />

gesegnet hat<br />

vor 2000 Jahren?<br />

Oder das Pflaster<br />

auf dem er<br />

täglich<br />

doppelt so viele<br />

schiefe<br />

Schritte setzt?<br />

Oaxaca, Mexiko<br />

Hier <strong>und</strong> dort<br />

Ein Dorf<br />

zwei Welten:<br />

Hier<br />

die Ansässigen<br />

<strong>und</strong> dort<br />

die Zigeuner<br />

In den Häusern<br />

oben<br />

manchmal<br />

ein Vorhang<br />

der sich<br />

einen Spalt weit<br />

öffnet<br />

In den Hütten<br />

unten<br />

ganzjährig<br />

nur Fenster<br />

die nicht<br />

schließen<br />

Jasov, Ostslowakei<br />

Im Zugrestaurant<br />

Während<br />

draußen<br />

die Karawanken<br />

als spektakuläre<br />

Kulisse<br />

vorbeiziehen<br />

fotografiert<br />

der Japaner<br />

den Kaiserschmarren<br />

auf dem Foto<br />

der Speisekarte<br />

Berge<br />

gibt es<br />

auch<br />

am Kawaguchi<br />

EuroCity, Villach –Wien<br />

30


jürgen landt<br />

6 liter milch -<br />

im beutel unterm stammtisch<br />

sie schleppt mich mit in ihre dunkle stammkneipe,<br />

erzählt mir von ihren beschwerden während der periode,<br />

von der klapsmühle,<br />

von ihren geschiedenen ehemännern,<br />

von ihrem sohn,<br />

der so alt sei wie ich <strong>und</strong> der sie kapitalistensau schimpft,<br />

<strong>und</strong> von heinz,<br />

der einen BMW fährt.<br />

sie küßt mich am stammtisch.<br />

nach dem vierten schoppen wein, <strong>und</strong> alle ringsum erzählen<br />

kriegsgeschichten <strong>und</strong> von ihren operationen,<br />

in einer ecke steht ein mann ohne beine <strong>und</strong> macht<br />

irgendwie musik.<br />

sie reißt mich hoch <strong>und</strong> tanzt mit mir,<br />

es schließt sich ein lebendiger ring<br />

aus im takt klatschenden körperteilen um uns.<br />

ich schaffe es, mich zum WC DURCHZUSCHLAGEN <strong>und</strong> höre:<br />

"cornelia, der ist bestimmt 30 jahre jünger...!"<br />

"oh, er bringt es so gut!"<br />

dann ist sie auf dem klo - eine gelähmte prostet mir zu.<br />

ich finde mich mit meinem mantel in der dunkelheit, <strong>und</strong><br />

einige häuserreihen entfernt, erreicht mich mein vorname:<br />

"jürgen! J Ü R G E N! jürgen! jür...!"<br />

es verliert sich, <strong>und</strong> ich weiß:<br />

irgendwo muss hier der bus abfahren.<br />

erstarrte ziele<br />

diesmal war es schlimmer. ich hockte in der geschlossenen station der psychiatrie<br />

<strong>und</strong> wartete auf gar nichts, <strong>und</strong> ein riesiger taubstummer kerl kloppte das inventar im<br />

aufenthaltsraum entzwei <strong>und</strong> grunzte dazu. ich blieb einfach sitzen <strong>und</strong> hoffte doch<br />

noch, daß mich irgendein schweres schrankteil oder ein tisch oder eine zierpalme traf<br />

<strong>und</strong> auslöschte.<br />

irgendwann hatten sie den kerl überwältigt <strong>und</strong> bewegungslos gemacht, sein grunzen<br />

war in ein <strong>für</strong>chterliches wimmern übergegangen, <strong>und</strong> ich saß immer noch <strong>und</strong><br />

achtete nun auf eine frau, die mich schon vier- oder fünfmal mit der flachen hand auf<br />

den hinterkopf geschlagen hatte <strong>und</strong> nach jedem schlag einen kurvigen reißaus<br />

gelaufen war. der rummel musste zu viel <strong>für</strong> sie gewesen sein, jedenfalls lief sie<br />

aufgescheucht durch den raum, nur mit riesigen pampers bekleidet, <strong>und</strong> diese<br />

pampers hochgezogen bis zur frei abhängenden brust. wieder <strong>und</strong> wieder nahm sie<br />

anlauf <strong>und</strong> stürzte mit erhobener hand auf mich zu. jedes mal sprang ich auf <strong>und</strong><br />

schrie: "WEHE DU!!!!" so laut ich konnte, <strong>und</strong> sie stoppte, verharrte mit erhobener<br />

hand, erstarrte einige sek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> drehte dann wieder ab, um sich nach einer weile<br />

erneut mit einem anlauf <strong>und</strong> erhobener hand auf mich zu stürzen. merkwürdig war<br />

nur, daß sie niemand anderen zwischendurch attackierte, obwohl ich im<br />

aufenthaltsraum nicht alleine war. "HAU AB!!! WEHE DU!!!" rief ich über st<strong>und</strong>en.<br />

31


jürgen landt<br />

als mir endlich ein zimmer zugeteilt wurde, saß schon jemand auf dem zweiten bett.<br />

abwesend <strong>und</strong> schreibend, vollkommen vertieft große plus- <strong>und</strong> minuszeichen aufs<br />

papier bringend.<br />

"tach', ich bin jürgen!" schrie ich ihn vorsichtshalber an.<br />

"stör' mich nicht, du!!!" schrie er zurück.<br />

"da ist ihr schrank, da können sie ihre sachen einräumen!" sagte der pfleger zu mir.<br />

"ich hab' doch gar keine sachen." antwortete ich.<br />

"na dann die, heute nacht, die sie jetzt anhaben!" <strong>und</strong> dann war der typ<br />

verschw<strong>und</strong>en.<br />

alles war ich los, gürtel, schnürsenkel, mein feuer.<br />

"ich hab die aidsformel entdeckt!" löste mein zimmerpartner plötzlich mein dösen auf.<br />

"ECHT! IST JA DOLL!" schrie ich ihn sofort an.<br />

mein schreien störte ihn nicht. wie ein ewiger fre<strong>und</strong> saß er blitzschnell mit mir<br />

zusammen auf meinem bett <strong>und</strong> zeigte mir seine bekritzelten blätter, stellte mir die<br />

mathematischen zeichen dar.<br />

"ganz einfach! plusmenschen müssen zu plusmenschen, denn minusmenschen plus<br />

minusmenschen machen aids wenn sie miteinander plussen! minusmenschen minus<br />

minusmenschen machen auch aids, wenn sie miteinander minussen müssen! nur<br />

wenn plusmenschen plus plusmenschen miteinander nicht minussen sondern<br />

plussen, wird aids nicht weiter verbreitet <strong>und</strong> ausgerottet! denn plusmenschen sind<br />

gute menschen <strong>und</strong> minusmenschen sind böse menschen! <strong>und</strong> wenn böse menschen<br />

miteinander plussen <strong>und</strong> minussen geht das mit dem aids weiter! nur wenn gute<br />

menschen miteinander plussen geht aids weg. selbst wenn gute menschen manchmal<br />

minussen!"<br />

"ja, das kann hinhauen." sagte ich leise.<br />

"man kann menschen aber auch teilen!" sagte er.<br />

"ich weiß." sagte ich.<br />

"<strong>und</strong> du bist ein guter mensch, ein plusmensch. das habe ich gleich bemerkt!" sagte<br />

er <strong>und</strong> rutschte ein bißchen näher.<br />

"danke!" sagte ich <strong>und</strong> fühlte mich ein klein wenig besser als vor meiner einlieferung<br />

<strong>und</strong> dem st<strong>und</strong>ensitzen im aufenthaltsraum. wie gut es doch tat, nach jahren des<br />

zerstolperten daseins einmal als plusmensch empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bezeichnet zu werden.<br />

"<strong>und</strong> wenn du schläfst", durchfuhr er mein gefühl, "dann werde ich dir dein blut<br />

ablassen <strong>und</strong> eine gefrierflüssigkeit einfüllen, dich einfrieren <strong>und</strong> nach fünftausend<br />

jahren wieder auftauen lassen! du bekommst dann eine plusfrau, <strong>und</strong> ihr müßt kinder<br />

machen! die zukünftige welt wird dann durch euch rein <strong>und</strong> plussig <strong>und</strong> vollkommen<br />

aidsfrei!"<br />

entgeistert sprang ich auf, stieß ihn mit der faust gegen die brust, schubste ihn vom<br />

bett <strong>und</strong> schrie: "HAU AB HIER!!! WEHE DU KOMMST MIR AUCH NUR EINEN<br />

ZENTIMETER NAHE!! WEHE, WENN DU HEUTE NACHT AUCH NUR IN DIE NÄHE<br />

VON MEINEM BETT KOMMST!! ICH SCHLAG DICH TOT, DAS SAG ICH DIR!!<br />

WEHE DIR, AUCH NUR EINEN MILLIMETER, DU KAPUTTES ARSCHLOCH!!! HAU<br />

AB, DU!!! HAU AB...!!!"<br />

der typ sammelte seine zettel auf <strong>und</strong> ging zu seinem bett, verstaute sich <strong>und</strong> die<br />

formeln unterm zudeck, zeigte nur noch seinen haarschopf her <strong>und</strong> schluchzte.<br />

trotz beruhigender medikamente machte ich nachts kein auge zu, stand immer wieder<br />

auf, hielt mich in einem taumligen schrittempo wach, äugte immer wieder zum<br />

anderen bett, setzte mich auf einen stuhl, nickte ein, hatte angst, dass er mir im liegen<br />

mit seiner zahnbürste den hals aufreißen würde, legte mich im hellen zurück aufs bett<br />

<strong>und</strong> spürte die pampersfrau auf mich zurasen, schrie sie an, sah ihr erstarren im<br />

schlagen, sah wie sie sich umdrehte, um abermals in einem anlauf zielvoll zu<br />

erstarren...,<br />

schreckte hoch, fragte mich warum ich hier liegen mußte, <strong>und</strong> dann fiel es mir sofort<br />

ein: weil's draußen schlimmer war.<br />

32


abdul-hay mosallam zarara<br />

Wurde 1933 in Palästina geboren, in einem Dorf namens Dawaimeh, nicht weit von<br />

Hebron. Nach einem langjährigen Aufenthalt in Damaskus lebt er nun in Amman in<br />

seinem Atelier in Madaba. Seine <strong>Bilder</strong> sind stark beeinflusst von volkstümlichen<br />

Motiven <strong>und</strong> wurden weltweit in über 35 Ausstellungen präsentiert. Besondere<br />

Aufmerksamkeit erregte seine Technik, in welcher er Sägemehl <strong>und</strong> Leim benutzt.<br />

Nach dem Massaker von Sabrah <strong>und</strong> Schatilla im Jahr 1982 stellte er seine Arbeiten<br />

in Tokyo aus. Weitere Ausstellungen in Lybien, Libanon, Norwegen, Dänemark,<br />

Schweiz <strong>und</strong> auch an der Philadelfia-Universität in USA. Er ist Mitglied des<br />

Jordanischen Künstlerverbandes, der Palästinensischen Künstlerunion, der<br />

Arabischen Künstlervereinigung <strong>und</strong> der Syrischen Künstler-Union.<br />

Weitere Informationen: www.abdulhay.org<br />

Das Bild zeigt in eindringlicher Weise die große Qual <strong>und</strong> das Leid der Menschen in<br />

Ghaza.<br />

Marta Melniczuk<br />

(Bildgröße 65x90, Technik Relief, Öl)<br />

Massaker<br />

in Ghaza<br />

33


jörg kleemann<br />

IN DEN KORRIDOREN<br />

imaginärer dunkelheit<br />

lauern mondes gedanken<br />

schattenfragezeichen werfend<br />

: wohin mit der handvoll licht<br />

die in pupillen verglüht<br />

wie sternenbrand<br />

am rande der krater blühn worte<br />

über ihre unmöglichkeit<br />

hinaus<br />

khairy hirzalla<br />

IN DER<br />

ZEITTROPFSTEINHÖHLE<br />

einen augenblick von hier gleich nebenan<br />

haust ein schöngeist mit ohrwurm<br />

ominösen lichtpunkten am blickfeldrand<br />

<strong>und</strong> sepia in der iris<br />

helle nagelbetten abgekochte<br />

vitamindragees traumschiffe<br />

aus notizblöcken auf bierdosen<br />

als krönung der materie<br />

in den atomen der einsamkeit<br />

gibt es kein verschwinden<br />

: das erkennen des gegebenen<br />

durch nicht steckenbleiben darin<br />

hält er <strong>für</strong> machbar doch<br />

im draußen ist nur ein draußen<br />

: es bedarf keines beweises<br />

dabeigewesen zu sein<br />

so mit ohrwurm<br />

lichtpunkt<br />

sepia<br />

34


wolfgang hain<br />

niemand<br />

viele sind inspiriert durch mozart (die schuldigkeit des ersten gebotes), thomas<br />

bernhard (ein fest <strong>für</strong> boris), felix mitterer (ein jedermann), hugo von hoffmannsthal<br />

(jedermann) den weltweiten stumpfsinn <strong>und</strong> zeitgenössische reiz(darm)überflutung.<br />

auch wir (niemand).<br />

allwissenderzähler:<br />

der schöpfer erschöpfte: den löffel<br />

ein sähmann säte: die zwietracht<br />

eins: ist eine nur durch sich selbst teilbare ganze primzahl; monotheistisch <strong>und</strong><br />

widersprüchlich.<br />

zwei: ist eine nur durch sich selbst <strong>und</strong> eins teilbare ganze primzahl; durch<br />

egoismus begründet altruistisch, widersprüchlich.<br />

vier: ist ein vielfaches von zwei; <strong>und</strong> damit die durch solitarität<br />

gekennzeichnete: stimme aus dem off.<br />

null: durch eins, zwei, sowie vielfache teilbare mystische zahl; teilt eins, zwei,<br />

sowie vielfache nur relativ zur unendlichkeit ihres seins.<br />

der löffel: sohn des schöpfers, ein werkzeug<br />

die gabel: stieftochter des schöpfers, einst werkzeug<br />

niemand: kein herr höchstselbst; nirgends<br />

niemand:<br />

allwissenderzähler: weiß alles; sagt aber nur nötigstes<br />

3. BILDNIS:<br />

allwissenderzähler.<br />

ein richterspruch, so hart so recht, rückt wahre ehre gut aus schlecht. ein<br />

richterwort sagt an, was ist. sei’s mohammeds, shivas oder jesu christs.<br />

sähmann.<br />

die akten haben gesprochen.<br />

niemand.<br />

dann bin ich wohl schuldig. (spöttisch) in eurem sinn! im namen der akten! so<br />

soll dieser wahnsinn an mir vorüber geh’n! aber nicht wie ihr es wollt, wie ich<br />

es will, soll es gescheh’n!<br />

(zieht sich sein hemd aus <strong>und</strong> stürzt sich in den baum der bekenntnis, damit in die<br />

unschuldlosigkeit <strong>und</strong> verantwortung. schreit:)<br />

ich bin unschuldlos!!<br />

(von allen seiten tönt’s:)<br />

unschuldlos!<br />

der löffel. (richtet sich auf, die verteidigungsrede anstimmend, räuspert<br />

sich <strong>und</strong> sagt:)<br />

schuldig im sinne der anklage.<br />

der schöpfer. (trägt im ton einer predigt vor:)<br />

siehe – oh niemand (!) – dir habe ich alles samentragende kraut gegeben, das auf der fläche<br />

der ganzen erde ist, <strong>und</strong> jeden baum: du solltest es zur nahrung haben!<br />

35


wolfgang hain<br />

(ans publikum gewandt:)<br />

du aber, hast dich gegen mich gewandt! gegen mich! (pause.)<br />

diese suppe hast du. hast dir selber eingebrockt. selber auszulöffeln. meine rache<br />

wird übel riechen. mit haut <strong>und</strong> haaren werde ich dich verspeisen, wie jeden<br />

anderen, der meine sprache nicht spricht!<br />

(von ringsum hallt es:)<br />

niemand!<br />

allwissenderzähler.<br />

der schöpfer sah, dass es gut war.<br />

die gabel. (tritt herrisch auf.)<br />

wie sehr ich meine herkunft liebe, weiß jedermann. diesen tag aber, an dem<br />

verantwortung mit schuld verwechselt wurde, verfluche ich! verflucht sei dieses<br />

land, verflucht dein wort. lagetodesschlächternot!<br />

allwissenderzähler.<br />

das letzte wort der gabel bleibt unverständlich. es entstammt einer der drei eiligen<br />

sprachen, wie sie in kapitalistischen industriestaaten gerne gesprochen werden.<br />

die gabel.<br />

nicht länger bin ich eure tochter nicht. nie gewesen nicht. selbst in der hölle, dem<br />

andern ort, dem ausland, nicht schlimmer es kann sein! nicht nit ist meine wahl!<br />

niemand soll sie heißen!<br />

(reißt den schöpfer hinfort. schafft sie es?)<br />

niemand. (im kampf um die verantwortung an die gabel gewandt)<br />

lasst mich in eurer gnade schein, der ich niemand (!), nicht christgeist, nicht<br />

bereuend bin, liebe <strong>und</strong> auch sehnsucht sein. ihr seid mein heim, mein heil, mein<br />

licht! <strong>und</strong> fand ich auch die gastfre<strong>und</strong>schaft nicht, in euch sie liegt, gegabelte<br />

dreispaltigkeit, unser frieden sieg heißt unschuldlosigkeit! unschuldlosigkeit!<br />

stumpfsinn, furcht <strong>und</strong> acht, sei ins vergessen gebracht! <strong>und</strong> hinfort mit der<br />

grenze!<br />

hinfort mit dem hass! verantwortung ist kein spaß!<br />

(niemand wird grob abtransportiert von: der löffel. stille. nachdem alle ein wenig in der<br />

gegend herumgeschaut haben, tritt plötzlich allwissenderzähler parteiergreifend<br />

in den mittelpunkt des szenarios <strong>und</strong> ruft:)<br />

die düsternis! die finsternis! packt sie euch! so packt sie euch!<br />

(der löffel missinterpretiert den aufruf von allwissenderzähler, packt die<br />

gabel <strong>und</strong> ersticht sie, mit dem sie definierenden instrument.)<br />

allwissenderzähler.<br />

du hast mich missverstanden!<br />

(die gabel schreit, bevor sie getötet wird)<br />

lieber tot, als migrant in diesem himmelreich!<br />

(<strong>und</strong> flüstert hingebungsvoll)<br />

jedermann ein niemand! überall-all-überall!<br />

(gemeinsames hände–in–unschuld–waschen <strong>und</strong> vorhang.)<br />

36


wolfgang e. eigensinn<br />

A kalggulazzion<br />

Waunn I<br />

Waunn I a gruabn<br />

Waunn I a gruabn grobn miassad<br />

Fia oiszz<br />

Wos mi ozipfdd<br />

Fia oiszz<br />

Wos mi steadd<br />

Waunn I<br />

Waunn I a loch<br />

A gruabn ebn grobn miassad<br />

Fia olle trottln<br />

Wöchane ma mei lebn<br />

So unnedig schwea mochn<br />

Do standdad I<br />

Ned in zwa st<strong>und</strong>d<br />

Ned ibamuaggn<br />

Na<br />

Do standdad I<br />

In a poa wochn<br />

A nu<br />

Do<br />

gnadenlos<br />

DREIEINIGKEIT<br />

Heute ist der Mond<br />

eine Brustwarze<br />

der Himmel ihr Hof<br />

die Welt<br />

eine weiche, r<strong>und</strong>e Frau<br />

Mutter,<br />

Hure<br />

<strong>und</strong> Geliebte<br />

zugleich …<br />

SUCK THE FUCK UP<br />

FUCK THE SUCK UP<br />

sabbakaltscha<br />

sabberkultur<br />

supakaltscha<br />

suppe oder pussi?<br />

(wer hat meine<br />

unterhose?)<br />

EAT UP YOUR<br />

OPOSSUM!<br />

37


wolfgang e. eigensinn<br />

DONAUWELLENDIALEKT – ein Dramolett<br />

Vor ein paar Tagen, weit nach Mitternacht, zu reichlich fortgeschrittener St<strong>und</strong>e. Am<br />

Ufer des Donaukanals, ganz in der Nähe des Anlegeplatzes des schnittigen Schiffes,<br />

welches die Hauptstädte zweier Republiken einander näher bringt, tänzelt, sichtlich<br />

bestgelaunt, ein in Schwarz gekleideter Mensch, mit Schal <strong>und</strong> prächtiger<br />

Haarmähne, der, wie sich nach kurzer Weiterführung eingehender Betrachtung, als<br />

der weithin bekannte, gerne gesehener Gast gehobener Gesellschaften, Haarkünstler<br />

<strong>und</strong> Kolumnist, gegen das herannahende Morgengrauen hin nun deutlicher<br />

abzeichnet <strong>und</strong> als ebendiese Person entpuppt.<br />

Übersprudelnd vor gehobener Laune schmettert diese nun dem anbrechenden Tag<br />

ein aus tiefster Brust hervorgelocktes, volltönendes „Figaro, Figaro, Fi-garo!“<br />

entgegen.<br />

<strong>Die</strong> Fauna des ehemaligen Augebietes nimmt dies als Weckruf auf <strong>und</strong> echot die<br />

Tonfolge als mannigfaltige Variation. Durch die Reaktion der Umwelt (Umgebung)<br />

bestätigt, bestärkt <strong>und</strong> beflügelt, dreht sich das drollige Männlein nun ein paar Mal um<br />

die eigene Achse, mangels vollkommener Körperbeherrschung durch den<br />

angeheiterten Zustand, einen dezenten Schwips, sind die beschriebenen Kreise<br />

jedoch eher unregelmäßig <strong>und</strong> führen den durch die Summe der Eindrücke höchst<br />

inspirierten, morgendlichen Einzelgänger manchmal gefährlich nahe an den Rand der<br />

Mole, so, dass zu be<strong>für</strong>chten ist, eine weitere kleine Unachtsamkeit, ein minimaler<br />

Fehltritt würde unweigerlich zu einer Konfrontation mit den noch recht kühlen, träge<br />

dahin ziehenden, dunkel <strong>und</strong> gespenstisch anmutenden Fluten führen, Gesang <strong>und</strong><br />

Tanz jäh unterbrechen.<br />

Eben da kommen einige Wassermoleküle, noch im Verb<strong>und</strong>, gerade einmal eine<br />

handvoll Wasser, vorbei, welche den langen Weg aus den Ursprüngen der Traun bis<br />

hierher gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sehen das sich in derartige Gefahr leichtsinnig begebende<br />

Menschenkind. Sie sind rasch einig, dass Handlungsbedarf besteht <strong>und</strong>, um seine<br />

Aufmerksamkeit buhlend, raunen sie dem Maestro zu: er-ICH, er-ICH …<br />

Aus den Tiefen seiner Verklärung hoch tauchend, nimmt er einen tiefen Atemzug der<br />

frischen, morgendlichen Brise, schüttelt sich <strong>und</strong> glaubt, da weit <strong>und</strong> breit keine<br />

Person zu sehen, einer Täuschung erlegen zu sein, doch … da sind die Stimmen<br />

wieder: er-ICH, er-ICH,<br />

<strong>Die</strong>ser, zum Teil konsterniert, zum Teil ungehalten darüber, dass man ihn der<br />

entrückten Stimmung beraubt hat: „Geh, lasst doch den Blödsinn, was wollt ihr<br />

überhaupt von mir?“<br />

Darauf geben diese, ohne ihre Herkunft zu verleugnen, in der ihnen eigenen M<strong>und</strong>art,<br />

die sehr direkte Antwort: „Geh Jo Ham“!<br />

Für den Er-ICH,<br />

38


adnan yahya<br />

geboren 1960 im Wihdat Flüchtlingslager bei Amman. Er studierte<br />

zunächst an der Lehrerakademie <strong>und</strong> später am Institut <strong>für</strong> Bildende<br />

Kunst in Amman. Er lebt <strong>und</strong> arbeitet in seinem Atelier in Amman.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bilder</strong> Adnans Yahyas schildern nicht spezielle Ereignisse, sondern drücken<br />

Tyrannei <strong>und</strong> Vernichtung aus.<br />

Als besondere Technik gilt seine Verwendung vieler Grau töne, nur diem Farbe des<br />

Blutes <strong>und</strong> der Blumen heben sich ab.<br />

In seinem Werk finden sich zahlreiche Anspielungen auf historische<br />

Strömungen des sozialen Realismus, wie z.B. auf die Arbeiten von<br />

Hyronymus Bosch, Francisco Goya <strong>und</strong> Käthe Kollwitz.<br />

Sowohl die Quellen als auch die Ambitionen von Adnan Yamaya sind von<br />

internationaler Gültigkeit.<br />

www.palestine-art.com<br />

Marta Melcniczuk<br />

Technik Öl auf Leinwand<br />

Bildgröße 120x180<br />

39


adnan yahya<br />

Bildgröße 120 x 200<br />

Technik Öl auf Leinwand<br />

40


khairy hirzalla<br />

Ghaza 3 + 4<br />

41


ernhard erich kaute<br />

gesichterstrom<br />

die gesichter fließen von den schädeln<br />

ein rinnsal bildend auf dem boden der tatsachen<br />

verbinden sich zu einem gefüge<br />

einem homogenen ganzen<br />

ob dies nun genüge sich dahinter zu verschanzen<br />

ein reißender strom aus augen, haut <strong>und</strong> haaren<br />

eine brühe, cremefarben<br />

wenn der einzelne auch versagt<br />

so ist die masse doch unaufhaltbar<br />

die strasse unbegehbar<br />

meine welt wird plötzlich klein<br />

ich schwimme in gesichtern<br />

tausende berührungen<br />

ich habe nie gesagt, dass ich das will<br />

jörg kleemann<br />

DURCH DAS O<br />

hinter die sprache gelangen<br />

in den wortlosen<br />

unbenannten orbit<br />

wo die schockgefrosteten<br />

tagmonde dieses jahrgangs<br />

kopfständisch wurzelschlagen<br />

üben im außenraumschweigen<br />

: von dort zum innenraumlicht<br />

schneeweißer augapfelaufgänge<br />

EINRAUMWOHNUNG<br />

blackbox mit stromkreis<br />

: der phasenprüfer<br />

zeigt ein energiefeld an<br />

: auf dem stuhl<br />

vor dem schreibtisch<br />

mitten in der nacht<br />

42


yvonne höller<br />

Versucht zu...<br />

Mein Kind des Flusses<br />

beugt sich über das Ufer.<br />

Es liegt bäuchlings auf den Steinen.<br />

<strong>Die</strong> blasse Hand baumelt im Wasser.<br />

Seine feuchten Augen weinen.<br />

Sie blicken dem Unfassbaren nach<br />

das zwischen schmalen Fingern zerbricht.<br />

Lebendes Wasser, verunreinigt befleckt...<br />

betrübt die Reinheit meines Lichts.<br />

Das Ekel, herumgrausigend in Tropfen<br />

feuchter Lust, dunkel vom aufgewühlten Gr<strong>und</strong>sand.<br />

Den hat der Sturm einst in die Wogen gesäht.<br />

Heute schwappen Wellen über meinem Kopf zusammen<br />

mit offenem M<strong>und</strong> atme ich schmerzvoll<br />

das Wasser des Lebens in meine Lungen<br />

doch verschmähe das Knirschen des Flusssandes<br />

zwischen meinen Zähnen.<br />

Da liegt mein Kind des Wassers,<br />

liegt allein vor dem Spiegel vertaner Unschuld.<br />

Sie fließt über seine Handballen<br />

verdunstet in der Hitze seiner Sonne<br />

<strong>und</strong> küsst anderswo als Tropfen einem anderen die Stirn.<br />

*_Ich kann es nicht_*<br />

Man schreibt kaum wirklich<br />

über sich<br />

denn liest man sein Sein<br />

dann erkennt man<br />

wie das ist,<br />

wenn man ich ist.<br />

Ich sage dir nicht,<br />

ich bin manchmal man,<br />

weil ich mich nicht ertrage.<br />

Dir zu sagen, ich sei das,<br />

wäre nicht gut <strong>für</strong> dich.<br />

Du verlörest die Hoffnung,<br />

ich könnte dir helfen.<br />

Ich kann dir nichts zeigen.<br />

Aber man kann es<br />

wenn du dich manchmal<br />

von mir täuschen lässt.<br />

43


klaas klaasen<br />

<strong>Die</strong> Welt ist r<strong>und</strong><br />

Meine erste Erinnerung ist, dass ich unter dem Tisch lag. Braune Höschen <strong>und</strong><br />

hungrige Strumpfhosen, gelöchert wie ein Schweizer Käse, sahen mich betäubt an<br />

<strong>und</strong> ich griff nach ihnen. Ein Tritt ins Auge <strong>und</strong> meine erste Erinnerung war dahin.<br />

Irgendwer zog mich aus der Fischdose <strong>und</strong> stellte mich kerzengerade in eine<br />

Mülltonne. Natürlich stand ich nicht lange <strong>und</strong> fiel der Länge nach mit meiner Tonne<br />

zu Boden <strong>und</strong> rollte nun bergab ins Nachbardorf. Da lag ich dann, wiederum einige<br />

St<strong>und</strong>en herum. Mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass ich als<br />

Saftspritzer in einer Bar meinen ersten Austausch mit einer Vollbusigen hatte. Erna,<br />

so hieß sie. Konnte nicht genug von mir kriegen. Sie leckte mich auch dann ab wenn<br />

ich angezogen war. Reinigung <strong>für</strong> meine Kleider konnte ich mir zu dieser <strong>Zeit</strong> sparen.<br />

Sie leckte einfach alles sauber. Ich wollte die Welt bereisen, sie totquatschen mit<br />

meinen Gedanken <strong>und</strong> ein berühmter Schriftsteller werden. Aber es kommt immer<br />

anders als man denkt. Gelandet bin ich im Obstgeschäft. Morgens um halb drei die<br />

Brummis von ihrem Gemüse <strong>und</strong> Obst befreien. Harte Arbeit. Dann gegen 5 Uhr<br />

kamen die Händler. Feilschten hier <strong>und</strong> da <strong>und</strong> zogen wieder von dannen.<br />

Aufräumen, auskehren <strong>und</strong> das faule Obst <strong>und</strong> Gemüse kannst du dann mitnehmen.<br />

Ein Fünfziger <strong>für</strong> 7 St<strong>und</strong>en Arbeit. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt. Mit dem<br />

Fünfziger ging ich auf die Zeil <strong>und</strong> lungerte so herum. Schrieb meinen Kopf voll <strong>und</strong><br />

nach dem Absturz waren die genialen Zeilen wieder verschw<strong>und</strong>en. Am nächsten<br />

Morgen das gleiche Spiel. Irgendwann dann kratzte ich Platten. Ging nach Darmstadt<br />

<strong>und</strong> arbeitet in der ”Nachtschicht” als DJ. <strong>Die</strong> hatten mich gerne <strong>und</strong> schon bald<br />

kamen sie von überall her, nur um mich zu sehen. <strong>Die</strong> Superschlangen gaben mir<br />

einen Wodka Tonic nach dem anderen aus <strong>und</strong> anschließend fuhr ich meine eroberte<br />

wie Kieselsteine einige Meter den Berg hinunter. Sie flog bei <strong>Zeit</strong>en aus dem Wagen<br />

<strong>und</strong> kam mit einer kleinen Prellung am Kopf davon. Ich saß eingeklemmt hinterm<br />

Lenkrad <strong>und</strong> schlief erst einmal meinen Rausch aus. Ute hieß sie die Gute. Haben<br />

uns aber nie wieder gesehen. Tagsüber war ich Stammgast im Sportcafe <strong>und</strong><br />

verliebte mich unsterblich in Claudia. Sieben Monate musste ich warten bis sie mich<br />

ran ließ. Zuvor musste ich erst ihre Eltern kennen lernen. <strong>Die</strong> zeigten mir dann ihren<br />

Schatz. Goldbarren im Wert von einigen tausend Mark. Da waren die richtig stolz<br />

drauf. Dann mussten wir alle zusammen, Vater, Mutter Tochter <strong>und</strong> ich uns ihre<br />

Sexfilme ansehen. Dachte, ich steh im Walde. So was Verrücktes. Ich fuhr einen alten<br />

Simca. Ich war gerade 16 <strong>und</strong> hatte noch keinen Führerschein .Der Wagen rasselte<br />

wie blöd <strong>und</strong> ich dachte schon ?Scheiße, mit der Karre schaffe ich es nicht mehr bis<br />

zu ihr nach Hause.“ So war’s dann auch. <strong>Die</strong> restlichen Kilometer mussten wir durch<br />

den Wald tappen. <strong>Die</strong> gruselige Stimmung törnte sie scheinbar an <strong>und</strong> sie hüpfte auf<br />

mich drauf. Ich dachte nur an das Getier unter mir <strong>und</strong> war so gar nicht sexbereit.<br />

Aber irgendwie kam sie zum Ende <strong>und</strong> mir war klar, der heiße Draht war kalt<br />

geworden. Hatte einfach nicht gefunkt. Trotzdem, versuchten wir uns einzureden es<br />

sei Liebe. Vergessen habe ich sie nie. Denke heute noch an sie. Wieso <strong>und</strong> warum ist<br />

mir schleierhaft. Vielleicht weil sie so bildhübsch <strong>und</strong> verdorben war. Ich verließ<br />

Darmstadt <strong>und</strong> fing als DJ im Dorian Gray, Frankfurter Flughafen an. Das ist aber eine<br />

andere Geschichte.<br />

44


khairy hirzalla<br />

marion heidinger<br />

Ghaza 1<br />

45


sophie sumburane<br />

Ich bin so glücklich<br />

“Ich bin so glücklich!” dachte das junge Mädchen.<br />

Und das war sie auch. Denn sie gehörte zu denen, die zur Schule gingen.<br />

Mit Stolz trug sie ihre Uniform auch auf dem Weg nach Haus.<br />

Sie mochte die Farben. Eine weinrote Hose, oder einen Rock konnte sie tragen, dazu<br />

eine Krawatte in der gleichen Farbe. <strong>Die</strong> Bluse war weiß, der Stoff so dünn, dass er<br />

leicht durchsichtig war, doch das störte sie nicht. Sie trug einfach ein anderes Top<br />

darunter. Auf der linken Brusttasche war in der Farbe der Hose der Name ihrer Schule<br />

aufgedruckt.<br />

Sie war stolz die Uniform tragen zu dürfen. In die Schule gehen zu dürfen. Sie liebte<br />

den Unterricht, lernte fleißig <strong>und</strong> viel, denn sie wusste, gerade als Frau bist du nichts<br />

wert, in einem Land voller Armut, wenn du nicht gebildet bist.<br />

Doch sie wollte etwas wert sein. Sie wollte etwas gelten in ihrer Gesellschaft, etwas<br />

bewegen, die Armut bekämpfen <strong>und</strong> die Politik verbessern. Sie träumte davon, einmal<br />

in die Politik zu gehen. Mitreden, Kämpfen, besser machen.<br />

Ihre Fre<strong>und</strong>e lachten sie aus.<br />

Du bist eine Frau!<br />

Sie wäre nicht die erste afrikanische Frau!<br />

Sie war so glücklich, mit jedem Tag ihrem Ziel näher zu kommen. Mit jedem bisschen<br />

Wissen das sie aufnahm fühlte sich sich sicherer in ihrem Traum.<br />

<strong>Die</strong> Tasche auf dem Rücken verließ sie die Schule <strong>und</strong> machte sich zu Fuß auf den<br />

sieben Kilometer langen Heimweg. Den Bus konnte sie sich nicht leisten. Doch das<br />

machte ihr nichts. Während sie ging lernte sie Gedichte auswendig oder sprach<br />

Vokabeln vor sich her. Keine Sek<strong>und</strong>e ihres Lebens sollte verschwendet werden.<br />

So ging sie nach Hause, nahm ihre Umwelt kaum wahr, in Gedanken verloren, bis die<br />

Stimme ihrer Mutter sie weckte.<br />

„Nimm deine Schwester <strong>und</strong> geh.“, wies sie sie an <strong>und</strong> ging zurück zu ihrer Wäsche.<br />

Wie jeden Tag.<br />

Das junge Mädchen, sie war kaum sechzehn, ließ ihre Tasche auf den Boden fallen,<br />

holte sich zwei afrikanische Stoffe, die man hier Capulana nannte <strong>und</strong> schlang sich<br />

den ersten um die Hüfte. Mit einer Sicherheitsnadel festgesteckt, damit nichts<br />

rutschte, ging sie hinaus <strong>und</strong> hob ihre kleine Schwester auf, die vor dem Haus auf<br />

dem Boden mit zwei Steinen gespielt hatte. Sie war noch ein Baby. Gekonnt legte sie<br />

sich das Mädchen auf den Rücken, wobei sie sich vorbeugte <strong>und</strong> fast gleichzeitig den<br />

zweiten Capulana um das Kind herum schlang. Fest unter dem kleinen Po, die Beine<br />

kamen links <strong>und</strong> rechts an ihrem Körper vorbei, richtete sie sich wieder auf. Ein Ende<br />

des Stoffes zog sie über ihre Schulter, das andere um ihre Taille <strong>und</strong> verknotete es<br />

vor der Brust.<br />

Nun fehlte nur noch das Kopftuch, welches sie sich von der Leine nahm <strong>und</strong> damit<br />

ihre Haare <strong>und</strong> Schultern verdeckte. Sie wollte nicht, dass man sie erkannte.<br />

Sie sollte so glücklich sein, denn sie geht ja zur Schule. Dachte das junge Mädchen<br />

als es mit ihrer Schwester auf dem Rücken an einer Ampelkreuzung stand. Mit<br />

leidigem Gesicht ging sie bei rot auf der Straße von Auto zu Auto, hielt die Hand auf<br />

<strong>und</strong> bettelte um Geld. Bettelte bei denen, die es nicht nötig hatten. <strong>Die</strong> schon ihre<br />

Schulbildung hatten. Schon etwas wert waren in diesem Land. Darunter waren auch<br />

viele Frauen.<br />

Sie sollte glücklich sein. Glücklich, dass sie genug Geld erbetteln konnte um in die<br />

Schule zu gehen.<br />

Um irgendwann nicht mehr betteln zu müssen. Um irgendwann denen die betteln ein<br />

glänzendes Geldstück in die Hände zu legen <strong>und</strong> zu sagen, geh zur Schule. Denn du<br />

solltest so glücklich sein, wie ich es bin!<br />

46


0rüdiger saß<br />

Der Unantastbare<br />

I.<br />

Ranft Freiherr von Sinnsturz, buchentsprungener Bettelbube, ein Verfaulender mit Maden<br />

<strong>und</strong> Würmern in den Waden, ein Asselgespenst, dessen Schmutzrunzeln das Fürchten<br />

lehren, dessen Gesichtsgeschwüre aber das Fauchen, das Frieren, Gruseln <strong>und</strong> Laufen,<br />

ein Saufhans <strong>und</strong> Tollhäusler, der sich in jahrzehntelanger Kleinarbeit um Leber <strong>und</strong> Hirn<br />

gesoffen hat, ein Denkwerk, das er nie benutzte, das sich in Schmerz <strong>und</strong> Schnaps<br />

aufgelöst hat; Freiherr von Sinnsturz, ein Töner <strong>und</strong> Trompeter, ein Kapricenkapitän, der<br />

jede Schamschwelle überflutet, ein Flegeleiathlet, der alle Peinlichkeitsbarrieren<br />

überspringt; ein Sabbergeselle, dessen Schlürfen, dessen Schlappern <strong>und</strong> Schmatzen<br />

dermaßen die Sinne säuern, daß Menschen <strong>und</strong> Tiere, belebte <strong>und</strong> unbelebte Natur sich<br />

vor Ekel winden, wanken <strong>und</strong> würgen.<br />

Um die Mittagszeit eines halb besonnten Wochentags, als alle Arbeitsstiere zum<br />

Futtertrog trotten, als allerhand Sklavenvolk wogt <strong>und</strong> wallt, da hebt sich Sinnsturz aus<br />

seinem toten Winkel heraus. Der Raubritter schlurft in die Fußgängerzone. Kaum hat er<br />

seine Bühne betreten, beginnt er zu schallen, zu schollen <strong>und</strong> zu schellen: „Gebt mir zu<br />

essen! Ich habe Hunger. Und zu trinken. Ich will trinken, hört Ihr! Meine Kehle brüllt nach<br />

Schnaps, mein Bauch nach Bier, <strong>und</strong> meine Nieren verlangen Wein. Ich will Schnaps <strong>und</strong><br />

Bier <strong>und</strong> Wein. Auf der Stelle! Hierhin. Und wenn ich satt bin <strong>und</strong> keinen Durst mehr habe,<br />

dann sollt Ihr mich betten. Bringt mich zu Bett! Bettet den Bettler. Und legt mir eine Frau<br />

bei, eine dicke, feiste Frau mit breitem Becken. Seid gut zu mir! Gebt mir, was mir zusteht!<br />

Behandelt mich, wie ich es verdiene, wie eine durchleuchtete Hoheit.“<br />

Alkoholstürme schütteln den Saufaus. Dabei kratzt er sich den Schorf einer Kopfw<strong>und</strong>e<br />

auf. Blutbäche rinnen über die Stirn, sie rieseln die Nasenflügel entlang, zwischen<br />

zerrissene Lippen <strong>und</strong> vom Stoppelkinn auf den Schmierbauch. Dort versickert das<br />

Weinrot im Krustenpulli. Das geschieht, ohne daß sich der Asselartige unterbricht. Seine<br />

Traktorstimme kräht <strong>und</strong> kratzt: „Ich will essen, gebt mir zu essen!“<br />

Seine Rede richtet der Tollhäusler an Tausende <strong>und</strong> Abertausende Passivpassanten.<br />

Niemand hört dem Grindigen zu, dem Eiternden <strong>und</strong> Skrofeligen, dem Stinkstein,<br />

niemand, der seinen Schlenderschritt verlangsamt, niemand, der stehenbleibt <strong>und</strong><br />

mitleidet. „Ich will Fleisch, ein kurzgebratenes Steak mit Zwiebeln, buttergesottene<br />

Zwiebeln, her mit Schweinesteak <strong>und</strong> ganzen Champignons, erste Wahl, dazu Kartoffeln<br />

<strong>und</strong> Petersilie. Das will ich. Gebt mir, was ich will, <strong>und</strong> was ich brauche! Ich habe Hunger.<br />

Hunger hab’ ich, hört Ihr? Und Wein dazu, einen 61er Margaux. Ja“, schmatzt Sinnsturz,<br />

Speichelblasen vor dem Madenm<strong>und</strong>. Der Bettelaristokrat schließt seine Augen, er legt<br />

den Kopf in den Nacken <strong>und</strong> schnüffelt, als ob er Edelrebentropfen koste.<br />

Lärmorchester spielen auf, Geräuschwinde mit Orkangewalt, mit Sturmlautstärke. Den<br />

Verfaulenden umbrausen Menschen <strong>und</strong> Maschinen, Ameisenmenschen, die in alle<br />

Richtungen zugleich streben, irgendwohin, irgendwoher. Es ist ein Kommen <strong>und</strong> Gehen,<br />

ein Hetzen, Rennen <strong>und</strong> Rauschen. Doch den Freiherrn ficht das nicht an. Er greift einen<br />

Strauchler am Kragen. Der Angewiderte entwindet sich <strong>und</strong> schwindet im mitreißenden<br />

Fußgängerfluß. Ranft Freiherr von Sinnsturz steht allein. Der Alkoholentstellte entleert<br />

sich vor aller Welt. Es spritzt <strong>und</strong> sprüht aus allen Körperöffnungen. Dann schreit er, daß<br />

er müde sei <strong>und</strong> ruhen wolle. „Bringt mir ein Bett! Stellt Lakaien zu beiden Seiten! Morgen<br />

dürft Ihr mich zu meinem Thron geleiten, auf daß ich euch regiere.“<br />

Der Grätzköpfige gerät außer sich. Er nestelt einen schwarzen Bruchnagel aus der Hose.<br />

Dann stellt er sich einer Angstoma in den Weg <strong>und</strong> schrillt: „Saug! Los, wird’s bald! Ich<br />

hab’s nötig.“ Angstopa zieht Angstoma mit sich fort. Der Volksstrom schluckt sie wie ein<br />

Ozean die Regentropfen. „Ficken will ich!“ schreit es aus dem Wahnverzerrten, aus<br />

seinem Asselantlitz heraus. „Gebt mir ein Loch, das ich stopfen kann! Ich ficke <strong>für</strong> mein<br />

Leben gern...“<br />

Der Zerfressene, der Himmelhochstinkende besonnt sich. Dann fährt er fort: „Davor will<br />

ich essen. Ich habe Hunger <strong>und</strong> Durst. Mein Magen knurrt wie ein Wolf. Hört Ihr? Hört<br />

mich! Hört endlich auf, nur euch <strong>und</strong> auf euch selbst zu hören! Das führt ins Nichts.<br />

47


üdiger saß<br />

Gebt mir einen Knochen, bevor ich euch benage. Reicht mir ein Steak, außen rußig, innen<br />

rohrot. Dazu einen Wein. Einen 37er Sauterne. Schnell, schnell! Mich dürstet. Habt Ihr<br />

keine Augen?“ sabbert der Sinnstürzer. Der Freiherr streckt seinen M<strong>und</strong>lappen in die<br />

Welt hinaus. „Seht her, sage ich! Ich habe Hunger. Seht mich an, vedammt nochmal!“<br />

Ranft stampft auf. Dabei verliert der Verfaulende das Gleichgewicht, er stürzt <strong>und</strong> bleibt<br />

liegen.<br />

Es tönt <strong>und</strong> tost, es schnauft <strong>und</strong> schnaubt um den Gefallenen herum. Er liegt da wie eine<br />

Insel der Not, wie ein Eiland der Verzweiflung in einem Meer aus gleichgültiger<br />

Geschäftigkeit. Maschinen <strong>und</strong> Bauchbürger wogen hin <strong>und</strong> her, her <strong>und</strong> hin, sie branden<br />

auf <strong>und</strong> ab. Ein Mädchen im Alter eines Engels, mit Engelsgesicht <strong>und</strong> von Engelsgestalt,<br />

dieses Mädchen besinnt sich. Sie löst sich aus der Obhut ihrer Mutter. Dann legt sie ihr<br />

angebissenes Gebäck vor den Schläfer in den Staub.<br />

II.<br />

Als Ranft Freiherr von Sinnsturz aufwacht, ist es Abend. Es ist der Abend eines halb<br />

besonnten Wochentags, ein Abend, da alle Arbeitsstiere zu ihren Heimatkoppeln trotteln,<br />

eine ausgelaufene <strong>Zeit</strong>konserve, um die allerhand Konsumvolk umherwirbelt,<br />

Schnellwelkgewächse, die von der Strömung mitgerissen werden. Der Freiherr sieht<br />

neben sich die Leiche eines zertretenen Gebäcks liegen. Dann erhebt er sich aus seinem<br />

Elend <strong>und</strong> brüllt: „Tötet mich! Schenkt mir eine Kugel!“ Leise, mit sich selbst redend, fügt<br />

er hinzu: „Das ist besser, als zu verhungern.“ Plötzlich bricht aus dem Grabrandtänzer ein<br />

Wortvulkan hervor. Er wirft heiße Lava über eine kalte Menschenmasse aus. „Warum laßt<br />

Ihr mich verhungern?“ schrillt der Schreihals. Niemand hört den Hilferuf des<br />

Schiffbrüchigen, niemand, der stehenbleibt <strong>und</strong> ihn vor dem Ertrinken rettet. „Ihr<br />

Leiseschleicher!“ schimpft der Übersäuerte. „Habt Ihr Angst vor mir? Oder <strong>für</strong>chtet Ihr<br />

meine Haustiere?“ Der Blutschreier kratzt sich seinen Körper, eine W<strong>und</strong>enweide, die von<br />

einer Juckreizbrandung überschwemmt wird. „Wenn Ihr wollt“, giftet der Tollhäusler, „dann<br />

vergiftet mich!“<br />

Sinnstörzer Sinnsturz schwankt. Dann wankt er die Wendeltreppe in sein Innerstes hinab.<br />

Dort beleuchtet er sein Gemüt. Der Freiherr folgt Vergangenheitspfade. Vor einer<br />

Vorortvilla bleibt er stehen. Darin sieht er sich <strong>und</strong> seine Familie. Sein altes Ich wiegt sich<br />

in Sicherheit, eine Selbstsicherheit, die auf Goldkissen gebettet ist. „Rechenhaftigkeit“,<br />

brabbelt der Bettler vor sich hin, „Bilanzieren. Bewerten sämtlicher Lebenserscheinungen:<br />

nach Kosten, Nutzen <strong>und</strong> Gewinn. Das ist Krämerei, Krämerherrschaft in einer<br />

Krämergesellschaft, in einer Krämerwelt.“ Der Morastmensch schüttelt seinen Schädel wie<br />

ein Federbett. Er fegt alle Erinnerungen, alle noch so kleinen Fetzen aus der Gedächtnuß:<br />

Vorortvillen, Gewinnergrinsen, Familienidylle. „Tötet mich!“ schallt der Schaller, von<br />

Zornstürmen geschüttelt. „Tötet mich, Ihr Krämer, allein schaff’ ich’ s nicht so schnell.“<br />

Ein Kopf taucht aus dem Menschenmeer auf, ein Klotzkopf. Es ist Groschentrine, die<br />

Unförmige. Sie schwimmt gegen den Strom, sie schwimmt zu einer Insel, zu Ranft<br />

Freiherr von Sinnsturz. „Warum schreist du?“ schreit das Groschenweib. „Halt’s Maul!“<br />

echot der Großgrollende <strong>und</strong> „Verpiß dich! Das ist mein Arbeitsplatz. Hau ab! Du verdirbst<br />

mir das Geschäft.“ Nikotinschnuller <strong>und</strong> Feuerwasser besänftigen den Geiferer,<br />

Löschwasser gegen die Gluthitze im Kopf, gegen die Krämpfe in den Eingeweiden.<br />

Nachdem sie den Freiherrn beruhigt hat, schreitet die Unförmige zur<br />

Scheiterkönigskrönung. Sie öffnet eine Plastiktüte mit der Aufschrift „Pandora“. Daraus<br />

blitzt ein Dolch hervor, eine zischende Stahlschlange, die sie dem Sinnsturz in den<br />

Rücken rammt. Danach schneidet sie dem Opfer das noch schlagende Herz aus der<br />

Brust. Sie schlägt es ihm zweimal um den M<strong>und</strong>, bevor sie es verschlingt. Niemand nimmt<br />

davon Notiz, es rührt sich keine Neugier, kein Aufschrei, kein Schrecken, kein Entsetzen.<br />

<strong>Die</strong> Augen der Menschen sind nur äußerlich nach außen gerichtet. Ihr Blick richtet sich<br />

nach innen. Sie sehen nur sich selbst, sie sehen auf eine Wand hinter den Netzhäuten,<br />

auf eine Wand voller Wünsche <strong>und</strong> Sorgenzettel. Groschentrine plündert den Bettler bis<br />

auf die Knochen aus. Doch ihr Magen knurrt wie ein unzufriedener Gott, wie ein Löwe, der<br />

immer mehr verlangt. Er zwingt die Unförmige auf die Beine, er zwingt sie, ihren M<strong>und</strong>,<br />

eine Müllkippe, zu öffnen <strong>und</strong> zu brüllen: „Ich habe Hunger. Gebt mir zu essen!“<br />

48


christine engel<br />

<strong>Die</strong> Sonnentöchter<br />

oder „Ein wiedergef<strong>und</strong>enes Paradies“<br />

Eine tiefenpsychologische Beobachtung von Christine Engel<br />

<strong>Die</strong> Sonnentochter Prinzessin Sonnenschein, erlebt ihre Umwelt als gefühllos, kalt<br />

<strong>und</strong> unfruchtbar <strong>und</strong> macht sich Gedanken, wie dem Abhilfe zu leisten wäre. Eine<br />

Begegnung mit einem Mann, dem<br />

Prinzen Diamant, ein Sohn des<br />

Mondes, ermuntert sie den<br />

gefährlichen Weg durch die Unterwelt<br />

zu gehen. <strong>Die</strong> Ansichten <strong>und</strong> Ziele<br />

dieses Mannes decken sich mit den<br />

Ihrigen, er ist jedoch zu Beginn der<br />

Geschichte handlungsunfähig, so dass<br />

sie ihm helfen will.<br />

Auf ihrem Weg hat sie viele Gefahren<br />

zu bestehen <strong>und</strong> mehr als einmal gerät<br />

sie dabei in höchste Lebensgefahr.<br />

Getragen von der Energie der Liebe<br />

<strong>und</strong> unter Mithilfe ihrer Röcke, welche<br />

den Mythos der großen Muttergöttin<br />

aufgreifen, gelingt es ihr zum Schluss<br />

im Reigen mit anderen Sonnentöchtern<br />

den geliebten Prinzen zu<br />

befreien <strong>und</strong> ein Königreich zu<br />

gründen – das ewige Königreich der<br />

Liebe <strong>und</strong> Fruchtbarkeit, das<br />

wiedergef<strong>und</strong>ene Paradies.<br />

Christine Engel ist es gelungen, eine<br />

sehr f<strong>und</strong>ierte psycholgische Interpretation<br />

zu diesem Märchen zu<br />

verfassen, in der sie die verschiedenen<br />

Komponenten, übertragbar auf unsere<br />

schnelllebige Gesellschaft, den Konsumzwang, der sich ebenfalls in Beziehungen<br />

spiegelt, scharfsinnig seziert <strong>und</strong> dem interessierten Leser näher bringt.<br />

Es wird deutlich, dass letzten Endes immer die Weisheit <strong>und</strong> die Liebe relevant sind,<br />

in Mann – Frau Beziehungen, wie überall in unserem täglichen Leben.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Bilder</strong> des Märchens werden intellektuell erfasst, auf ihre tatsächliche Bedeutung<br />

zurücktransformiert, werden sichtbar. Strukturen des Menschseins, des<br />

Gesellschaftskonfomismusses geben sich zu erkennen.<br />

....die Große Mutter...Du trägst sie in dir, eine noch im Werden begriffene weise Frau,<br />

die das scheinbar Unlogische, aber äußerst Nützliche sowie die großen Fähigkeiten<br />

der tiefen Psyche miteinander verknüpft.<br />

Clarissa Pinkola Estés<br />

Erhältlich in allen Buchhandlungen, bei Amazaon, Libri der Autorin <strong>und</strong> beim <strong>Verlag</strong><br />

<strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong> Mail: <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong>@aol.com<br />

Pages: www.sonnentoechter.de , www.tdtextdesign.org<br />

Das Buch wird mit beigefügter Märchen-Hör-CD ausgeliefert.<br />

49


csaba kocsis<br />

(partly)<br />

12X12 Sentences about Friendship<br />

translated from the Hungarian by Paul Sohar<br />

I lost two friends within one year.<br />

One of them died, but his presence still haunts me.<br />

The temple of heavens cannot be far.<br />

Lajos Körmendi is here beside me.<br />

I hear, or seem to hear him advising me.<br />

I try to live by his wisdom and moderation.<br />

There was also someone else in my life.<br />

He said: “I’m your friend”.<br />

He’s still alive but dead for me.<br />

Who’s there for me to talk to?<br />

I’m alone.<br />

“Alone?” asked God as I was trudging home alone.<br />

I too was a child once and an introverted teenager.<br />

When I got hurt, I felt like running away from home.<br />

But I didn’t; it could have hurt my parents.<br />

I didn’t want to cause them pain.<br />

Now I’m a grownup, a grownup again.<br />

My worries are multiplying.<br />

I’ve thought about taking my life.<br />

Taking a fistful of sleeping pills.<br />

Jumping off a high floor.<br />

Driving my tiny Trabant into an eighteen-wheeler.<br />

But I didn’t want to cause pain to my loved ones.<br />

“And did you think of me?” asked God.<br />

Friendship is essential, but at what price?<br />

Every contact I’ve made was hot-wired.<br />

My soul was on fire in love as well as in friendship.<br />

Without glowing embers they’re just a game, playacting.<br />

As a grownup I’m more bashful and careful.<br />

I weigh my choices.<br />

Who is important and why?<br />

I humble myself if I’ve hurt anyone.<br />

I confess my sins to God.<br />

They’re teeming like pimples.<br />

It wasn’t the Lord, but Satan who cursed Job with warts.<br />

Give me wisdom, Lord, so that I can distance myself from evil! …<br />

50


waltraud weiß<br />

Menschen<br />

Aller Art<br />

Lächeln<br />

Mich an.<br />

Warum<br />

Frage ich<br />

Mein Spiegelbild.<br />

Es lächelt!<br />

martin schlosser<br />

Nacht am Meer<br />

Wenn Wellen an das Ufer schlagen,<br />

der Sturm die Flut heraufbeschwört,<br />

die Wogen Mächte mit sich tragen,<br />

der Klang des Meeres mich betört.<br />

Dann denke ich an meine Seele,<br />

vergleiche sie mit einem Meer,<br />

ein salz'ger Tropfen in der Kehle,<br />

kam mit dem letzten Stoß daher.<br />

thom delißen<br />

auf<br />

auf!<br />

wind des seins!<br />

fahr mir in die flügel<br />

umhülle leicht<br />

mein ich<br />

ich will<br />

nun fordre<br />

mich<br />

zu schweben<br />

über hügel<br />

seicht<br />

durch Lotusblütenduft<br />

durchs leben<br />

51


monika kafka<br />

translated by thom delißen<br />

Grandfathers<br />

The one carried his cross<br />

painted in red (they told me)<br />

not only up to Stalingrad<br />

Fare away from Hippokrates<br />

broken since a long time<br />

The baton of Aeskulap<br />

healing sipperd in the snow<br />

(how does his stringplay so<strong>und</strong>s then?)<br />

The other one escaped<br />

for the time being<br />

Between drawing-board and machine-dreams<br />

an assembly line pushed<br />

Bombs<br />

not only ink –<br />

A crowded miss<strong>und</strong>erstanding<br />

(history – they told us later)<br />

finally carried him away<br />

forever<br />

behind discarded frontiers<br />

into the new brotherland<br />

full of dark snow<br />

Fathers<br />

so they both were great<br />

only leaves the question<br />

what would they have been telling me?<br />

departure<br />

reshaped<br />

the thoughts<br />

the feet<br />

and the heart<br />

bleeding<br />

frontierexperience<br />

Behind the barrier<br />

wind in the air<br />

made of lead<br />

In the glaring light of the spots<br />

The field is breathing<br />

Fear<br />

Even craws<br />

take their heels<br />

Barbed wire drills<br />

into the heart<br />

Along the trail<br />

crouches hope<br />

blind<br />

in the grass<br />

Armed<br />

with guttural voice<br />

milkface asks:<br />

”Have you got a god cigarette?”<br />

In the shine of his eyes<br />

the night<br />

planted her stars …<br />

it was bad to lay on the pebbles<br />

too conform<br />

too hard<br />

too black<br />

and even<br />

a trace is left<br />

far down<br />

the waiting woods<br />

52


mayrose sentimilla<br />

A phillipinian Girl-dream<br />

The Pain Inside<br />

The memories are still in my mind<br />

The day you say hello and that moment u say goodbye<br />

I knew it should never be in this way,<br />

but what can i do is just to face this mystery.<br />

Happiness is what i felt when i met you<br />

Contentment is what i have when im with you<br />

I have it all,worthy to treasure<br />

'coz all u have given to me is a pleasure.<br />

But time has come f0r you to go<br />

Somewhere down the road I may just know<br />

Saying goodbye is not that easy,<br />

Seeing u leave makes my life unworthy.<br />

How? How can i cure the pain?<br />

I dont even know if you'll come back again<br />

All i have to do is to wait f0r you<br />

and aspire that u will l0ve me too.<br />

I've waited for you every second of my life<br />

I pray for u not just in night<br />

i've cried for u more than a h<strong>und</strong>red times<br />

and i will caress u for the rest of my life.<br />

marion heidinger<br />

haucht der wind<br />

die Blätter weiß<br />

geht die Glut<br />

der Hitze unter<br />

in der Kälte der Tage<br />

wird das Licht<br />

des Tages<br />

sich verdunkeln<br />

dann leuchtet<br />

der Mond<br />

in der Kälte<br />

seine Antlitzes.<br />

53


thom delißen<br />

<strong>Die</strong> Halterin<br />

<strong>Die</strong> seltsame Kraft spürte Melody das erste Mal einen Tag nach dem großen Beben.<br />

Sie hatte tief geschlafen <strong>und</strong> geträumt, es würden sich Risse in der Wand des<br />

Schlafraumes auftun, spürte ganz intensiv ein erstaunliches Rütteln <strong>und</strong> Schütteln,<br />

sah wie das komplette Haus wie im Tanz auf <strong>und</strong> wieder hinunter hüpfte.<br />

Als sie erwachte lag sie, bis hin zur Taille mit großen Mauerstücken bedeckt, in einem<br />

finsteren Hohlraum, der ihr gerade genug Platz zum atmen ließ.<br />

Ihr Alb hatte sich in Wirklichkeit gewandelt.<br />

Anfangs war es lediglich ein leichtes Ziehen in den Händen, dass jedoch schnell<br />

Verbreitung in ihrem Körper fand, die Arme zu den Schultern hinaufschlich, über die<br />

Nackenmuskulatur den Rücken hinab wanderte um schließlich ihre Beine <strong>und</strong> Füße<br />

erreichte.<br />

Ein angenehmes, prickelndes Gefühl. Als etwa eine St<strong>und</strong>e vergangen war, bewegte<br />

sie probeweise ihre Füße, spannte die Muskeln ihrer Waden, die der dünnen<br />

Oberschenkel. Tatsächlich fühlte sie, wie die Gesteinsbrocken nachgaben, spürte wie<br />

die Mauerreste, nahezu explodierend, von ihr fort strebten, das Blut in ihren<br />

gequetschten Adern wieder zu rinnen begann.<br />

Mit äußerst ungewöhnlicher Leichtigkeit, das empfand sie selber, gelang es ihr, sich<br />

vollkommen aus der Umarmung des eingestürzten Elternhauses zu befreien, räumte<br />

sie mühelos schwere Trümmer zur Seite, wühlte sich behände durch Schuttmassen,<br />

bis sie endlich einen fahlen Lichtschein erkannte. Sie stieß einen letzten Stein zur<br />

Seite <strong>und</strong> kletterte an die seltsam süßlich riechende Luft im Freien.<br />

Rings um sie Zerstörung, Menschen mit bizarr verrenkten Gliedmaßen, die<br />

regungslos, teilweise nur der Torso oder aber die Beine sichtbar, vor den Häusern<br />

<strong>und</strong> auch in den Trümmern lagen.<br />

Ihre Mutter erkannte sie nur an dem geblümten Kleid, dass sie noch vor kurzer <strong>Zeit</strong><br />

mit ruhiger Hand genäht hatte. Der Stoff billig, hatte die gesamte Familie Kleidung in<br />

demselben Muster von ihr erhalten.<br />

Auch Vater lag dort, er sah eigenartig friedlich aus, die Verw<strong>und</strong>erung schien in<br />

seinen Gesichtszügen eingefroren.<br />

Auch ihr Schwesterlein ruhte auf einem Handtuch, den Kopf im Schoß der Mutter, als<br />

versuche sie, dorthin zu fliehen.<br />

Ihre Beine schienen Melody seltsam flach, einer ihrer Arme lag etwa zwanzig<br />

Zentimeter entfernt neben ihr.<br />

Den Bruder konnte sie nicht entdecken.<br />

Dann sah sie die Nachbarin, den Kopf in ein blutverschmiertes Hemd gewickelt,<br />

lamentierend auf sich zukommen, wurde gestreichelt <strong>und</strong> umarmt.<br />

Sie bat um ein wenig Wasser, denn ihr Durst schien unendlich groß.<br />

Niemand konnte ihr welches anbieten.<br />

Auf der Suche nach ein wenig Flüssigkeit wanderte sie an eingestürzten Häuserzeilen<br />

vorbei, an Bewohnern jeden Alters, allesamt mit einem Ausdruck der Verzweiflung<br />

<strong>und</strong> viele von ihnen mit Tränen im Gesicht. Etwas, dass sie nie zuvor erlebt hatte.<br />

In den Trümmern der eingestürzten Wohnräume des Elendsviertels von Port au<br />

Prince erblickte sie verzweifelt wühlende Menschen. Immer wieder Leichen, zum Teil<br />

bereits unförmig aufgebläht, die schwülheiße Luft roch <strong>und</strong>efinierbar zuckerähnlich,<br />

beinahe wie das Weizengebäck, das ihre Mama an Feiertagen in Öl ausbuk. Es<br />

mussten Tausende sein, die da, <strong>für</strong> immer verstummt, in <strong>und</strong> neben den Resten ihrer<br />

Quartiere lagen.<br />

54


thom delißen<br />

Als sie einen der überlebenden Verzweifelten um den Tag <strong>und</strong> die Uhrzeit bat, war sie<br />

in der Lage sich auszurechnen, dass sie volle zwei Tage verschüttet gelegen hatte.<br />

Gerade als sie die Tür entdeckte, die da unerklärlich schimmernd, inmitten der<br />

Überreste einer der schäbigen Hütten stand, hörte sie entsetztes Schreien, die Leute<br />

liefen wild durcheinander, erneut erschütterten Stöße wie aus ihrem Traum die<br />

nahezu völlig zerstörte Stadt.<br />

Melody ließ sich nicht beirren. Sie wusste, woher war sie nicht in der Lage<br />

nachzuvollziehen, dass sie durch dieses leuchtende Portal hindurch musste – wohin<br />

blieb ihr ein Rätsel.<br />

Hinter der Pforte fand sich eine Treppe, hinunter in den Keller des zerstörten Hauses.<br />

Am Ende der Stufen erneut eine unbegreiflich helle Tür, eine weitere Treppe. Melody<br />

verspürte keine Angst, sie ahnte dass eine große Aufgabe vor ihr lag, sie bestimmt<br />

dazu war, diese Obliegenheit zu erfüllen.<br />

Weiter <strong>und</strong> immer tiefer drang sie in den Schoß der Erde vor, Stufe um Stufe,<br />

schwebend fast, beschreitend.<br />

Schon lange war alles vollkommen still um sie herum, da war nur noch diese<br />

unendliche Treppe, die sie führte.<br />

Weg von all den Toten <strong>und</strong> Verletzten, den hoffnungslos Gebeugten, den Weinenden<br />

<strong>und</strong> Schreienden dort oben.<br />

Nach langer <strong>Zeit</strong>, Melody erfasste, diese Begrifflichkeit fand nun keinen Platz mehr,<br />

erkannte sie diese zwei großen Erdplatten, hörte ein furchtbares Knirschen als sie<br />

sich wie liebkosend aneinander rieben, sich wieder voneinander entfernten. Sie trat<br />

näher.<br />

Sofort war ihr klar: Hier lag die Ursache <strong>für</strong> all das Elend an der Oberfläche.<br />

In dem Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e, als sich ein kleiner Spalt zwischen den beiden<br />

Massen auftat, griff sie hinein, erweiterte den Riss bis sie sich hineinzwängen konnte.<br />

<strong>Die</strong> ungeheure Kraft, die sie bereits verspürt hatte, als sie selber noch verschüttet<br />

war, schien sich ins Unzählbare zu steigern. Mit all ihrem Willen, ihren Schultern,<br />

ihrem Kopf, ihren Armen hielt sie nun die bewegte Erde, wohl wissend, dass jeder<br />

Augenblick, den sie standhielt Rettung <strong>für</strong> die Bewohner des Landes bedeutete.<br />

Dort steht sie auch heute noch – doch Niemand weiß, wie lange ihre Energien<br />

vorhalten, ihr Kraft ausreichend ist. Denn Melody ist nur ein kleines, schmächtiges<br />

Mädchen, auch wenn sie magische Kräfte hat – Mutter Erde zu wiederstehen ist ein<br />

nahezu selbstmörderisches Unterfangen.<br />

balsam<br />

so schweb<br />

hinein<br />

in diesen<br />

trost<br />

der<br />

kühle<br />

sattsein<br />

dir<br />

verspricht<br />

lauf<br />

die träume<br />

kannst<br />

sie essen.<br />

55


ene mene muh <strong>und</strong> kind bist du<br />

Eine Frage, viele Antworten. Warum ausgerechnet dieses Buch? Weil es mir gut geht<br />

<strong>und</strong> ich helfen möchte. Weil es zu viel Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Elend gibt. Weil die einen<br />

alles haben <strong>und</strong> die anderen wenig bis gar nichts. Weil ich frei bin <strong>und</strong> andere sind<br />

versklavt. Weil ich <strong>und</strong> alle, die ich kenne, genug zu essen haben, aber entsetzlich<br />

viele Menschen verhungern. Weil es Freude macht, anderen eine Freude zu machen.<br />

Natürlich kann ein Buch nicht<br />

wirklich das Elend der Welt<br />

nachhaltig zum Guten<br />

verändern, aber es ist ein<br />

Tropfen Hoffnung <strong>und</strong> Hilfe in<br />

einem Meer der Gleichgültigkeit.<br />

Ich machte die Erfahrung, dass<br />

oft-mals bei noch so gut<br />

gemeinten Spendenanthologien,<br />

das mühsam eingelesene<br />

Geld nur zu einem kleinen Teil<br />

die eigentlich Betroffenen<br />

erhalten. Zu viele administrative<br />

Handlungen dazwischen führen<br />

zu einem jähen Schrumpfungsprozess,<br />

was uns in jüngster<br />

Vergangenheit mediengeil vor<br />

Augen geführt wurde.<br />

Geld 1:1 an die Hilfsbedürftigen weiterleiten.<br />

Da erinnerte ich mich an Otto<br />

Tausig, der seit unzähligen<br />

Jahren seine dazuverdienten<br />

Honorare an die Entwicklungshilfe<br />

der Künstler des<br />

Entwicklungshilfeklubs spendet.<br />

Der sogar im Rollstuhl in der<br />

Wiener Oper mit dem Körberl<br />

Geld sammelte <strong>und</strong> stets<br />

betont, dass sie (der Klub) das<br />

Jahre, ja, jahrelang sah ich das Ehepaar Tausig im Park Wertheimstein <strong>und</strong> wir<br />

unterhielten uns fre<strong>und</strong>lich über unsere H<strong>und</strong>erln, aber das war’s dann auch schon.<br />

Doch eines schönen Sonnentages nahm ich allen Mut zusammen <strong>und</strong> sprach Herrn<br />

Tausig, den fabelhaften Humanisten, an. Erzählte ihm, dass wir schon einige<br />

Anthologien gemacht haben, Spenden aufgetrieben haben <strong>und</strong> er zeigte sich<br />

interessiert. Na w<strong>und</strong>erbar, dachte ich mir.<br />

Ich denke, wir haben ein gutes Buch gemacht, <strong>und</strong> hoffe, dass Sie viel Freude beim<br />

Lesen haben werden. Für uns wäre die größte Freude <strong>und</strong> Anerkennung, nicht den<br />

Olymp der Dichter zu erobern, sondern so viele Bücher wie möglich zu verkaufen,<br />

damit wir unsererseits das eingenommene Geld 1:1 an die Entwicklungshilfe der<br />

Künstler <strong>und</strong> den Entwicklungshilfeklub weitergeben können, die dann ihrerseits echte<br />

<strong>und</strong> direkte Hilfe den Bedürftigen angedeihen lassen können.<br />

Bestellungen: rintelen@aon.at<br />

56


hans-jürgen gaiser<br />

Lose<br />

monika kafka<br />

Auf dem Jahrmarkt der Gesellschaft<br />

gibt es Lose zu ersteh'n.<br />

Aber jenem, der sie anschafft,<br />

winkt kein Glück im Handumdreh'n.<br />

Arbeits-Lose, Obdach-Lose,<br />

sind dort in der Trommel drin.<br />

Ziehst du sie, bekommst du große<br />

Schwierigkeiten statt Gewinn.<br />

Hoffnungs-Lose, Mittel-Lose<br />

bilden einen Bodensatz,<br />

leben dumpf, wie in Hypnose.<br />

Für sie findet sich kein Platz.<br />

Keiner will die Lose haben.<br />

Mitleid-Lose schau'n herab<br />

auf das Los der Unglücksraben,<br />

brechen über sie den Stab.<br />

Und der Loser ohne Frage<br />

nimmt sein Los als Schicksal an.<br />

Glaubt nicht, dass er je die Lage,<br />

da er drinsteckt, ändern kann.<br />

Auf dem Markt der Wirtschaftsbosse<br />

sind Erlöse erste Pflicht.<br />

Für die Menschen in der Gosse<br />

ist Erlösung nicht in Sicht.<br />

translated by thom delißen<br />

in grannys gardens<br />

from time to time<br />

in hut of leaves<br />

reminders frame<br />

for changing pictures<br />

in moons halflight<br />

and the lupinen falls<br />

my name through open window<br />

the voice is singing me<br />

heartwide<br />

poplar wind so rough<br />

out of the woods the call<br />

of owl<br />

and behind the gardens<br />

yearning on rails<br />

when I went<br />

the rosestock winded<br />

<strong>und</strong>erneath grannys eyes<br />

earthward<br />

57


michel jakot<br />

58


hk.rintelen<br />

Turnhalle<br />

die Sprossenwand ist morsch<br />

– zerfällt –<br />

demontiert sind längst – die Ringe<br />

zerschlissen auch die grauen Matten<br />

zerplatzt der Völkerball – wie all<br />

die Träume<br />

Leben in einem alten Haus<br />

<strong>Die</strong> Holzfußböden<br />

blank gescheuert<br />

die ich überschwellig<br />

getreten habe<br />

auf knarrendem Leben<br />

gezimmert aus <strong>Die</strong>len<br />

wo selbst die Astlöcher<br />

bedeutungsschwanger waren<br />

bin ich umher gegangen<br />

treppab gestiegen<br />

<strong>und</strong> aus dem Haus gerannt<br />

bis mich die Sehnsucht<br />

irgendwann zurück getrieben hat<br />

Ödland<br />

Gräser stehen hoch<br />

Honigduft durchzieht das Land<br />

<strong>und</strong> zwischen satten Weiden<br />

– liegen tote Kühe –<br />

wo sind die Senner hin<br />

die Hirten oder Schäfer<br />

wer melkt nun<br />

die prallen Euter<br />

59


thom delißen<br />

In die Farben Afghanistans<br />

Alle waren angespannt, auch der kleine, bebrillte Unteroffizier neben mir, dem sein<br />

Befinden in großen Tropfen von der Stirn perlte.<br />

Der Abflug <strong>und</strong> die Landung. <strong>Die</strong> gefährlichsten Momente eines Fluges. Was <strong>für</strong> ein<br />

ausgemachter Hohn! Von dem, was nach der Landung, vor dem nächsten Start<br />

passiert, redet niemand. Heimkommen tun sie nämlich alle. Es ist nur eine Frage der<br />

Form. Mal in sehr kleinen Stückchen, mal komplett, mit einem verw<strong>und</strong>erten Ausdruck<br />

im Gesicht <strong>und</strong> einem kleinen Loch in der Stirn. Mal in einem Bodypack, mal in<br />

Zinkeimern.<br />

Dann gibt es die anderen, Söldner ihrer selbst eigentlich, denen all das nichts<br />

anzuhaben scheint, die, wohl mit unerschrockener Unsterblichkeit gesegnet,<br />

unversehrt am Körper, die Seele schon lange tot, grinsend auf den harten Sitzen über<br />

die, die nicht mehr lächeln können, wachten. <strong>Die</strong> Wächter, die überlebt , die ihre<br />

Pflicht getan, ihr Soll dem eigenen Ego gegenüber erfüllt hatten. Stumpfe Hüter des<br />

Blutzolls.<br />

Wieder andere, die neben ihnen, wachen ebenfalls über Zinkbehältnisse, unsichtbare<br />

allerdings.<br />

Säuberlich verknäult in diesen Urnen, ganze Welten des Bewusstseins. Nicht dazu<br />

bestimmt, mit Erde überhäuft zu werden, nein kleberig <strong>und</strong> schleimig haftend an der<br />

Wirklichkeit, sie verhüllend, zur Fratze gestaltend.<br />

Doch ich greife vor.<br />

Zuerst stiegen wir aus, in ein Spiegelpanorama heißer Luft hinein, Staubkristalle<br />

inhalierend. Wie tumbe Enten, einer hinter dem anderen. Wie Ameisen, unsere Last<br />

auf dem Buckel <strong>und</strong> im Hirn schleppend.<br />

<strong>Die</strong> Unterkünfte. Deutsche Ordentlichkeit.<br />

„Kameraden! Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe!“<br />

Ja, Fre<strong>und</strong>e, Mitmenschen, Enten <strong>und</strong> Ameisen <strong>für</strong> die Sache des Todes.<br />

Wir alle sollen ihn geben, den Tod. Sollen morden oder gemeuchelt werden. <strong>Die</strong><br />

Hauptsache, der Sensenmann bekommt genug zu saufen, von dem roten,<br />

dickflüssigen, heißen Wein.<br />

<strong>Die</strong> erste Patrouille. Zu Fuß. Hieroglyphen, unter Schädeln, turbanverhüllt, löchrigem,<br />

gelben Grinsen. Seltsam, wie sie wissen, dass wir Frischfleisch sind.<br />

Ein helles Beige der Ort, fast gelb, nein weiß schon.<br />

Lehmige Fassaden, die sich gegenseitig stützen.<br />

Blaue Tüchertupfer <strong>und</strong> metallisch erdige Sturmgewehre an fadenscheinigen Kitteln<br />

schwingend.<br />

Das Leben eines Mannes ist voller Schmerzen, sieh! Wir lachen drüber.<br />

An den Feuern die Kinder. Braunäugig, einäugig, einarmig, dünnhäutig.<br />

An den Brüsten der schalen Mütter Babys, ahnungslos <strong>und</strong> glücklich, sollte man<br />

meinen, die hineinwachsen in eine Welt des Trübsals, die schon ihre Eltern nicht<br />

mehr verstanden.<br />

Was ist der Sinn? So schreien ihre Blicke.<br />

<strong>Die</strong> Antwort sind ein paar Knaben. Ratatata! So spielen sie.<br />

Ratatata! <strong>Die</strong> Essenz. Was sollte daneben nicht verblassen?<br />

Der Wind hüllt unsere Uniformen ein, zerrt an Ihnen, als wolle er sie hinüberziehen,<br />

mitsamt dem erbärmlichen Inhalt, in die Wüste, die Gott <strong>für</strong> die Oberschlauen, die<br />

Überheblichen gedacht hat. <strong>Die</strong> Geröllfelder des Gewissens, die jeder zu durchqueren<br />

gezwungen ist, die niemals enden.<br />

Göttergleich marschieren wir durch die Straße, das Verderben in den Händen, am<br />

Gürtel.<br />

Olivgrüne Käfer, die ihre Kinder mit Scheiße füttern.<br />

Eintopfmentalität im Land der Shishas. <strong>Die</strong> Augen rechts! Ab Null Uhr schießen wir<br />

zurück! Verteidigt euer Vaterland!<br />

60


thom delißen<br />

Braun ist sie, die Landschaft, braun von unsren schweren Stiefeln, braun <strong>und</strong><br />

schmutzig rot. <strong>Die</strong> Luft erfüllt von Stahlpaketen. Wen triffts? Doch nur Abstraktes!<br />

„Kameraden! Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe!“<br />

Wohlan, so hat der Herr <strong>für</strong> mich beschlossen, nicht weilen soll er hier.<br />

Keine zwei Tage verbringe ich in diesem hohlen Traum, dann explodieren alle<br />

Farben, scheinbar nur <strong>für</strong> mich.<br />

Liege diesmal in dem Flugzeug, den rechten Fuß in Gips. Heimatschuss.<br />

Doch meine Farbpalette, die bunte, hat man mit dunklem Grau getüncht, <strong>für</strong> den Rest<br />

der <strong>Zeit</strong>. Da helfen keine Orden. Dunkles Grau.<br />

kaleidoskop<br />

Künstlertreff mit Vergangenheit <strong>und</strong> Ambitionen<br />

“Kaleidoskop“<br />

in Münchens Südwesten.<br />

Im Theatersaal der Gaststätte Prinzregenten Garten, Pasinger Bühne<br />

Benedikterstraße 35 (Ecke Weinbergerstraße)<br />

81241 München, bei der Haltestelle MetroBus 57<br />

Eintritt frei!<br />

Auf eine mehr als zwanzigjährige Tradition kann die Künstlerbühne „Kaleidoskop“<br />

zurückblicken, von den Journalisten <strong>und</strong> Schriftstellern Bernhard Ganter <strong>und</strong> Werner<br />

Schlierf gegründet im Luitpoldpark in den turbulenten 80 zigern,.<br />

Namen wie Charly Antolini , Roy Etzel, Willy Michl , Bruno Jonas <strong>und</strong> Gisela<br />

Schneeberger sind nur die bekanntesten der Vielzahl von Künstlern, die sich gerne<br />

dem Publikum des „Künstlerkreises Kaleidoskop“ stellten.<br />

Im September 2003 übernahm das Künstler-Ehepaar Katja Kortin <strong>und</strong> Conrad Cortin<br />

den Künstlerkreis in eigener Regie bis sie Mitte dieses Jahres, aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Gründen die Leitung an den Liedermacher <strong>und</strong> Gitarristen Csaba Gal abgaben.<br />

61


kaleidoskop<br />

<strong>Die</strong> neue Leitung seit dem Oktober 2009, - ab dem Februar 2010 auch mit dem<br />

Pressesprecher <strong>und</strong> Moderator Thom Delißen, hat vor, dem Künstlertreff einen<br />

weiteren Schubs nach vorne zu geben <strong>und</strong> zur paneuropäischer Kunstarbeit<br />

aufzurufen.<br />

Das Verzeichnis der Mitglieder <strong>und</strong> Gäste des Künstlerkreises Kaleidoskop liest sich<br />

wie ein Who is who der künstlerischen Tätigkeit in München <strong>und</strong> daran soll sich auch<br />

nichts ändern.<br />

Neue Gesichter tauchen auf, frische Literatur <strong>und</strong> neue Lieder werden geschrieben.<br />

Mit professionellem Equipment <strong>und</strong> unverbrauchter Energie soll daran gegangen<br />

werden, Traditionen fort zu setzen <strong>und</strong> Neues einfließen zu lassen.<br />

Seit dem Juli 2004 trifft sich der KKK an jedem ersten Montag im Monat ab 19 Uhr in<br />

seinem Domizil, dem Theaterraum der Gaststätte „Prinzregent Garten“ (bekannt auch<br />

unter dem Namen „Pasinger Bühne“) in der Benedikterstraße 35/Ecke<br />

Weinbergerstraße in Pasing.<br />

Der Eintritt ist frei – die Künstler erhalten keine Gage.<br />

Idealismus <strong>und</strong> der Wille, der Kunst, ob in Lyrik, Prosa, als Lied oder Musik-stück ein<br />

Stückchen Öffentlichkeit zu geben, sind gefragt.<br />

Das dankbare, doch durchaus auch verwöhnte <strong>und</strong> kritische Publikum weiß dies<br />

durchaus zu schätzen.<br />

<strong>Die</strong> Zahl von 70 – 100 H<strong>und</strong>ert Gästen, die jeden Monat ihren Weg nach Pasing<br />

finden, spricht <strong>für</strong> sich <strong>und</strong> das abwechslungsreiche Programm.<br />

So traten im Oktober neben dem Gitarristen <strong>und</strong> Sänger Csaba Gal die aus den<br />

Siebzigern bekannte Schlagersängerin Bibi Jones, sowie das Ensemblemitglied der<br />

„Primatonnen“ Edeltraut Rey, als auch der kritische Erdinger Literat Thom Delißen auf<br />

die Bühne <strong>und</strong> präsentierten ein professionelles Programm.<br />

Im Dezember traten auf: Elfie Schulz Querflöte, <strong>und</strong> Csaba Gál Gitarre. Ouvertüre<br />

<strong>und</strong> Finale aus dem „SINGSTÜCK“ „ Der Ritter <strong>und</strong> der kleine Floh“ Anne-Marie<br />

Sprotte las mit Peter Zörner aus dessen Buch „Zauberhafte Geschichten“.Hannes S.<br />

Macher Autor, las aus der von ihm herausgegebenen Anthologie „Liebeserklärung an<br />

München“ Der Textmacher Teja Bernardy trug aus seinem noch unveröffentlichten<br />

Band „Lichterglanz zu kaufen gesucht“vor..Der gemischte Chor CHORMÄLEON sang<br />

unter der Leitung von Jörg Göller.<br />

Für den 4. Januar 2010 waren dann angesagt u.a. Elke Deuringer, Hermann<br />

Bogenrieder, Jürgen Schwilski <strong>und</strong> Pia Richter Haaser.<br />

Im kürzesten Monat des Jahres präsentierte der Künstlerkreis den Schriftsteller<br />

Jürgen O. Brauerhoch mit einer Episode aus seinem Buch “Der Hitler, die Russen<br />

<strong>und</strong> ich“. Wolfgang Kreiner trug Geschichten aus seinem im März erscheinenden<br />

Buch "morgen ist's noch früh genug zu spät" vor..<br />

Katja Kortin & Conrad Cortin waren mit Auszügen aus ihren Werken vertreten.<br />

„Frisch gestohlen“ von der Pasinger Bühne demonstrierte das Duo<br />

„Knöpf <strong>und</strong> Soatn“ den innigen Zusammenhalt von diatonischer Knopf-<br />

Harmonika <strong>und</strong> Gitarre <strong>und</strong> hält die Beiträge musikalisch beieinander.<br />

Für den Montag im März ist ein Werner-Schlierf-Abend mit großem Erfolg gelaufen.<br />

Der bekannte Autor starb vor 3 Jahren am 1. März.<br />

Im April sind Konstantin Wecker mit einer Lesung aus seiner Biografie; Regine<br />

Luczak; (Autorin) Ayuko Taguchi; (Mezzosopran) mit Jörg Göller, (Klavier) <strong>und</strong><br />

Csaba Gál. (Gitarre <strong>und</strong> Gesang) angesagt.<br />

…<br />

KünstlerKreis KALEIDOSKOP Leitung:<br />

<strong>Die</strong>ser Kreis ist <strong>für</strong> jeden offen, der Kunst schafft <strong>und</strong> Kunst oder Künstler erleben<br />

möchte. Autoren, Liedermacher, Musiker, bildende Künstler präsentieren ihre Werke.<br />

Kontakt:<br />

E-Mail: info@csabagal.de<br />

Tel./Fax: 089 – 361 84 34<br />

www.kkkaleidoskop.de www.csabagal.de<br />

62


yasmin shakarami<br />

Schwarzweißaufnahme einer verflossenen Liebe<br />

Das gesamte Bild zittert in einem unbestimmten, geisterhaften Licht.<br />

Schwarze Risse verwischen die zarten Umrisse seines Gesichtes, das eisblaue<br />

Strahlen seiner Augen verschwimmt zu einem fahlen Glimmern silberner<br />

Schneeflocken. Ich schmecke das Rot seiner Lippen, spüre die prickelnde Feuchte<br />

seines Atems, ziehe die geometrischen Formen, Schleifen <strong>und</strong> Wirbel seiner Worte<br />

nach. Jede seiner Hautporen pocht, pulsiert, brennt <strong>und</strong> wellt glühende Lavaströme<br />

über die zarten Wangenknochen, hinab in die halbmondförmigen Gruben seiner<br />

M<strong>und</strong>winkel, um deren Schatten sich kleine Krater bilden. Sein wildes Lächeln sprüht<br />

Funken, spuckt Diamanten, speit hohe Fontänen aus blitzendem Sternenstaub.<br />

Ein tiefer Zauber umhüllt seine Gestalt, macht sie schwerelos, öffnet schwarze<br />

Löcher, stiehlt Raum <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong>, formt schauriggschöne Nebel <strong>und</strong> blendet Galaxien in<br />

das Zentrum seiner Seele.<br />

<strong>Die</strong> Momentaufnahme seiner Bewegung gleicht dem Himmelssprung eines<br />

geflügelten Löwen: Starr, festgefroren, leblos <strong>und</strong> doch entfesselt, unbeugsam,<br />

endgültig. Eine formvollendete Leichte bleierner Schwere, eine engelsgleiche<br />

Regung, deren Ausdruck mich überwältigt <strong>und</strong> in den Abgr<strong>und</strong> unbekannter<br />

W<strong>und</strong>erwelten stößt.<br />

Seine Schönheit höhlt mich aus, raubt mir den Atem, lässt mich zu einer körperlosen<br />

Substanz zergehen, zerreißt mein Inneres mit gleißendem Licht <strong>und</strong> tobendem<br />

Gewitter. Im Eisregen verharre ich wie ein hüllenloses Atom, eine klanglose Melodie,<br />

eine gegenwartslose Realität, ein explodierender Klumpen schwarzer Materie.<br />

Das bittersüße Wispern seines Schweigens häutet Dimensionen, zerstückelt das<br />

Vergehen, lähmt die Ewigkeit <strong>und</strong> ertränkt das All in goldenen Tränen.<br />

Er tropft in mein Kopf, zerwühlt ihn, verstreut meine Gedanken, wirbelt Illusionen auf,<br />

leckt an Sehnsüchten <strong>und</strong> spaltet meine Gefühle in alle Himmelsrichtungen.<br />

Wie ein Regenbogen streckt er mir seine Farben entgegen, winkt mit Weltw<strong>und</strong>ern<br />

<strong>und</strong> Piratenschätzen, lockt mit tänzelndem Wimpernschlag, dem verwegenen Flug<br />

querströmender Locken, dem honigsüßen Flattern seiner Zunge <strong>und</strong> dem<br />

geheimnisvollen Sog stürzender Pupillen.<br />

Sein Anblicks peitscht mir ins Gesicht, schreit mir entgegen, seufzt, weint, fleht <strong>und</strong><br />

entfacht ein schwarzweißes Feuerwerk fortgeträumter Hoffnungen.<br />

Er steht mit dem Rücken zum Weltraum, entschwindet ins flammende Zwielicht des<br />

wabernden Nichts <strong>und</strong> hinterlässt eine duftende Spur weltfremden Irrsinns.<br />

Ich ringe mit der Unendlichkeit, taste nach neuen Sphären, schmecke die<br />

unermessliche Weite ab, nur um wiederzukehren <strong>und</strong> mich erneut auf meine Reise in<br />

dein Herz zu begeben.<br />

63


monika schudel<br />

Pfade<br />

Jahrelang auf gleichen<br />

Wegen längst schon<br />

spurentief<br />

lockt das Unbekannte<br />

– noch verschlungen –<br />

durch ein Astwerk wirr<br />

doch dazwischen strahlt<br />

schon Weisheit neuer<br />

Räume – morgenhell<br />

Silberstreifen<br />

Horizont im ersten Schimmern<br />

kündet an den Tag<br />

nachtverträumt erwacht alles<br />

was im Schatten lag<br />

Aus der Stille fließt lebendig<br />

Klang aus Morgenlicht<br />

der noch taubeglänzte Blüten<br />

öffnet <strong>und</strong> durchbricht<br />

Selbst durchs Tal verlorner Träume<br />

fließt ein Silberschein<br />

trägt ein Glitzern hoffnungsfroh<br />

in die <strong>Zeit</strong> hinein<br />

<strong>und</strong> zerfließt himmelsweit<br />

wenn die Sonne steigt<br />

als erneute Lebenskraft<br />

die sich zu uns neigt<br />

64


monika schudel<br />

Nebelimpression<br />

Überm Dunst vergessner Felder<br />

ziehen Krähen unscheinbar<br />

streuen Rufe in die Stille<br />

steigen lichtwärts – unsichtbar –<br />

<strong>für</strong> den Blick Zurückgebliebner<br />

die sich tasten durch die <strong>Zeit</strong><br />

nur im Geist Traumvisionen<br />

einer Grenzenlosigkeit<br />

aufzusteigen weltumspannend<br />

wenn ihr Blindsein einmal weicht<br />

Vögeln gleich in die Freiheit<br />

unbeschwert – flügelleicht<br />

Hunger<br />

Wir im Raum verloren – noch –<br />

tasten uns durch Glitzerwelten<br />

einer Weltzeit Untergang<br />

suchen nach verlornen Träumen<br />

wühlen in Vergänglichkeiten<br />

halten fest an unsrer Blindheit<br />

<strong>und</strong> verhungern an den Mängel<br />

voller Sehnsucht nach Berührung<br />

einer tiefen Herzlichkeit<br />

Ankommen<br />

Wenn wir tief im Urton<br />

unsrer Seele singen<br />

Mit den Melodien<br />

leise aufwärts schwingen<br />

alles still begreifen<br />

-wer <strong>und</strong> was wir sind –<br />

staunend lichtwärts träumen<br />

bis zum Kosmos hin<br />

dann uns ein ewig<br />

Liebeslied berührt<br />

Und uns Suchende<br />

Weise heimgeführt<br />

65


wolfgang hofer<br />

Illusion<br />

Was hier steht,<br />

schreibt sich von oben,<br />

weil nur die Illusion<br />

behauptet,<br />

dass ich es bin.<br />

Manche Illusion<br />

braucht<br />

unser Leben,<br />

aber es ist gut<br />

zu wissen,<br />

das auch ohne alles,<br />

alles ist.<br />

Traum<br />

Das Licht verschwimmt<br />

in den Pupillen,<br />

der Nebel legt sich<br />

wie ein Schleier<br />

von weißem Farn<br />

über die Wolken,<br />

du dämmerst rüber,<br />

fliegst,<br />

wie ein Ballon<br />

auf tausend Stelzen<br />

in andre Welten,<br />

die voll Farben<br />

<strong>und</strong> Magie,<br />

voll Melodien sind,<br />

aus <strong>Bilder</strong>n, bunt<br />

<strong>und</strong> zauberhaft,<br />

besteh’n,<br />

lässt los <strong>und</strong> locker<br />

deinen Körper,<br />

schwebst im Raum,<br />

nimmst Worte mit<br />

<strong>und</strong> schöne Weisen,<br />

imaginierst dir<br />

deinen Lieben,<br />

in deiner Welt<br />

des Seins<br />

<strong>und</strong> kommst zurück<br />

du aus der Weite,<br />

ist alles weg,<br />

du hast geträumt.<br />

66


itch funke<br />

Tamas Wald<br />

„Ist es noch weit?“, fragte ich den Führer.<br />

„Wir sind bald da“, erwiderte Ruan. Das sagte er bereits seit St<strong>und</strong>en.<br />

Für mich sah der Dschungel überall gleich aus. Wir hätten ebenso gut im Kreis laufen<br />

können, ohne dass ich es bemerkt hätte. Längst achtete ich nicht mehr auf Schlangen<br />

<strong>und</strong> Spinnen <strong>und</strong> zuckte auch nicht mehr zusammen beim Kreischen <strong>und</strong> Brüllen<br />

wilder Tiere. Wenn ich in der kommenden Nacht die Augen schloss, würde mein<br />

Traum wahrscheinlich grün sein – in allen nur vorstellbaren Nuancen.<br />

Ruan bereitete den Weg mit seiner Machete. Hier war noch nie ein Mensch zuvor<br />

gewesen – zumindest kein Weißer – <strong>und</strong> Ruan kannte die Richtung nur vom<br />

Hörensagen der Älteren. Wir waren auf der Suche nach Tama, der Göttin des ewigen<br />

Waldes … den Resten unberührter Natur, die noch nicht dem Kahlschlag erlegen war.<br />

„Tama weint um ihren Wald“, hatten die Älteren gesagt, „<strong>und</strong> wenn sie das tut, dann<br />

ergießen sich ihre Tränen wie Sturzbäche, so dass die verw<strong>und</strong>enen Mangroven<br />

einem Ozean gleichen.“<br />

Regenzeiten <strong>und</strong> Überschwemmungen hatte es in diesem Teil der Welt immer schon<br />

gegeben, doch die Wurzeln der tausendjährigen Bäume hatten die Erde fest im Griff<br />

<strong>und</strong> nach dem langen Regen explodierte das Leben in einer Pracht <strong>und</strong> Vielfalt, die<br />

beinahe vermuten ließ, dass ein höheres Wesen am Werk sein musste. <strong>Die</strong> Älteren<br />

nannten dieses Wesen Tama, <strong>und</strong> mein Job als Ethnologin bestand darin, diesen<br />

mündlich überlieferten Glauben <strong>für</strong> die Nachwelt nieder zu schreiben. Bald würde es<br />

keine Eingeborenen mehr geben. <strong>Die</strong> Rodungen zerstörten ihren angestammten<br />

Lebensraum – dann folgten Orientierungslosigkeit, Verelendung, Alkoholismus,<br />

Gewalt, Krankheiten <strong>und</strong> Tod. Keine Schlange oder Spinne war so giftig wie die Gier<br />

der Konzerne.<br />

„Wehe ihnen, wenn Tama erwacht“, sagten die Älteren.<br />

„Hörst du das?“, fragte Ruan.<br />

Ich vernahm ein fernes Plätschern. Wir folgten dem Geräusch, das sich zu einem<br />

Brausen <strong>und</strong> schließlich zu einem Donnern entwickelte. Plötzlich lichtete sich der<br />

Wald <strong>und</strong> wir standen am Fuße eines riesigen Wasserfalls. Ruan küsste den<br />

Anhänger an seinem Hals, fiel auf die Knie, breitete die Arme aus <strong>und</strong> rief: „Tama!“<br />

„Tama ist ein Wasserfall?“, schrie ich gegen das Tosen an.<br />

„Nein, sie lebt darin. Folge mir.“<br />

Wir balancierten auf einem schmalen Pfad moosüberwachsener glitschiger Steine.<br />

Der Weg schien von Menschen gemacht.<br />

„Dort muss der Eingang sein“, sagte Ruan <strong>und</strong> schritt durch eine dünne Wasserwand.<br />

Ich folgte ihm. Wir befanden uns in einer Höhle. Das Licht brach sich im Schleier des<br />

Sturzbaches <strong>und</strong> produzierte tänzelnde Lichtspiele an den Wänden. Es war ein<br />

überraschend ruhiger Ort, denn das herab fallende Wasser des Eingangs schirmte die<br />

Geräusche der Außenwelt ab.<br />

Im hinteren Teil der Höhle stand eine Art Altar mit allerlei kunstvoll gefertigten<br />

Opfergaben.<br />

<strong>Die</strong> hintere Wand bestand aus menschlichen Schädeln <strong>und</strong> erst jetzt bemerkte ich mit<br />

einem Grausen, dass auch der Fußboden auf dem wir gingen aus Schädeln gefertigt<br />

war.<br />

Eine kultische Opferstätte, dachte ich. <strong>Die</strong> Löcher in den Köpfen deuteten auf<br />

Gewalteinwirkung hin. Starben sie dennoch freiwillig?<br />

Auf dem Altar lagen zwei exotische Früchte. Eine war verschrumpelt <strong>und</strong> bereits<br />

versteinert – die andere Frucht war frisch <strong>und</strong> roch betörend. Es musste somit<br />

jemanden geben, der diesen heiligen Ort pflegte. Bald würde die Sonne untergehen<br />

<strong>und</strong> wir entschieden, in der Höhle zu nächtigen, da draußen durch das Tosen nicht an<br />

Schlaf zu denken war.„Wir sollten abwechselnd Wache halten, Ruan, denn wir<br />

67


itch funke<br />

scheinen hier nicht allein zu<br />

„Natürlich sind wir nicht allein“, erwiderte er zu meinem Erstaunen, „Tama ist bei uns<br />

<strong>und</strong> sie wacht über uns, wenn wir ihr etwas da<strong>für</strong> geben.“ Er zog einen Schokoriegel<br />

aus der Tasche, entfernte die Folie <strong>und</strong> legte ihn auf den Altar. „Nun ist es der<br />

sicherste Ort auf Erden – das sagen zumindest die Älteren.“<br />

Er rollte seinen Schlafsack aus <strong>und</strong> pfiff ein Lied, als befände er sich in einem<br />

Pfadfinderlager <strong>und</strong> nicht in einer Gruft. Ich suchte mir einen Platz, der nicht von<br />

Schädeln bedeckt war <strong>und</strong> entzündete neben meinem Schlafsack die Gaslaterne. Es<br />

machte keinen Unterschied, die Gebeine zu sehen oder gar nichts zu sehen. Ich<br />

empfand ein kindliches Unbehagen wie früher, als ich darum bettelte, nicht das<br />

Nachtlicht zu löschen, weil die Scheinwerfer der Autos durch mein<br />

Kinderzimmerfenster strahlten <strong>und</strong> bizarre Geister an die Wände warfen. Damals<br />

wusste man noch nicht, welche Drogen sich im Hustensaft befanden <strong>und</strong> welche<br />

Horrortrips sie produzieren konnten.<br />

Ruan schien bereits zu schlafen. Sein Urglaube verlieh ihm Gelassenheit. Vielleicht<br />

sollte ich seinem Beispiel folgen … ich legte ebenfalls einen Schokoriegel auf den<br />

Altar. „Verzeih mir, lieber Gott, aber dies scheint nicht dein Ort zu sein“, flüsterte ich<br />

schmunzelnd <strong>und</strong> stieg in meinen Schlafsack. Das Licht ließ ich an <strong>und</strong> schloss die<br />

Augen. Der Duft der Opferfrucht begleitete mich in die Traumwelt …<br />

Ich schreckte auf. Etwas berührte mein Gesicht. Ruan? Eine Schlange? Es waren<br />

Finger, die mich betasteten. Ich schaute in ein schneeweißes Antlitz, das von ebenso<br />

weißem, langen, seidigen Haar umkränzt war.<br />

Eine Frau starrte mich aus grünen Augen an – so grün wie der Dschungel. Sie schien<br />

interessiert – nicht feindselig. Sie öffnete ihren M<strong>und</strong>, doch statt eines Lautes<br />

entwichen ihm bunte Schmetterlinge, so als formte sie eine Comic-Sprechblase. <strong>Die</strong><br />

Schmetterlinge umkreisten sie ein paar Sek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> lösten sich dann mit dem<br />

Funkeln von Glühwürmchen auf. Ihr Vergehen erzeugte Klänge, wie das Läuten<br />

kleiner Glocken.<br />

Ich schaute zu Ruan herüber, der noch immer schlief, wollte ihm etwas zurufen, doch<br />

das Wesen legte den Zeigefinger auf meine Lippen <strong>und</strong> gebot mir zu schweigen.<br />

Sie ging zum Ausgang der Höhle. <strong>Die</strong> Wasserwand war verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> außer den<br />

Schmetterlingen, die ihr wieder entwichen, schien es keine Geräusche zu geben.<br />

Sie deutete mir mit einer Geste, zu ihr zu kommen, nach draußen, in eine Welt<br />

absoluter Stille.<br />

Das Land zu Füßen des Wasserfalls war rot-glühend. Blasen flüssigen Gesteins<br />

stiegen auf, zerplatzten an der Oberfläche <strong>und</strong> verbreiteten einen stechenden Geruch.<br />

Durch die Schwaden zeichnete sich die Silhouette des Mondes ab, doch er besaß<br />

nicht die gewohnt markanten Krater.<br />

Das Wesen beugte sich über den Abgr<strong>und</strong>. Ich be<strong>für</strong>chtete, sie wolle springen <strong>und</strong><br />

ergriff ihre Hand. Sie schaute mich mit einem Lächeln an <strong>und</strong> weinte zugleich. <strong>Die</strong><br />

Träne löste sich an ihrer Wange ab <strong>und</strong> fiel in die kochende Lava. Dort, wo sie auf<br />

traf, erstarrte das Gestein <strong>und</strong> bildete einen schwarzen, zerklüfteten Pfad bis zum<br />

Horizont.<br />

„Tama?“, fragte ich.<br />

Wieder entwichen Schmetterlinge ihrem M<strong>und</strong>, doch diesmal nur kurz, was ja oder<br />

nein bedeuten konnte. Dann bestieg sie den dunklen Pfad – rechts <strong>und</strong> links eine<br />

brodelnde urzeitliche Hölle – riss sich einzelne Haare aus <strong>und</strong> entließ sie in den<br />

heißen Wind wie ein Sämann. Dort, wo sie landeten, wicht das Rot dem Grün.<br />

Lavaschlieren erstarrten zu Wurzelgebilden aus denen wiederum Stämme, Äste,<br />

Blätter <strong>und</strong> Blüten hervor wuchsen.<br />

68


itch funke<br />

Es begann zu regnen. Schwefel wich dem Duft eines Waldes im Morgentau. Ich<br />

schaute ihr nach, bis sie sich am Horizont in einen<br />

Schwarm von Schmetterlingen auflöste, die wiederum kurz aufglühten <strong>und</strong> wie kleine<br />

Glocken den Beginn der Schöpfung einläuteten.<br />

Plötzlich stand ich vor der Wasserwand am Ausgang der Höhle. <strong>Die</strong> Strahlen der<br />

Morgensonne tänzelten an den Wänden. Ruan hatte Kaffee aufgesetzt. Es<br />

übertünchte den süßlichen Geruch der Opferfrucht.<br />

Ruan kam mit einem Becher zu mir. „Hast du von ihr geträumt?“, fragte er, „dann<br />

muss es ein guter Traum gewesen sein, denn sonst befände sich nun dein Schädel<br />

an der Wand. Tama liebt nur jene, die den Wald lieben.“<br />

Er griff zu meiner Schulter, zog ein schneeweißes Haar von meiner Jacke ab <strong>und</strong><br />

übergab es mir. „Sieh an, sie hat dich erwählt. Verwahre es gut, du wirst es sicher<br />

noch brauchen ...“<br />

Ich fühlte mich benommen <strong>und</strong> erst der zweite Becher Kaffee ließ mich wieder<br />

einigermaßen klar denken.<br />

Der Dschungel kam mir auf dem Rückweg verändert vor. Nichts schien mir mehr<br />

bedrohlich. Ich meinte sogar, das Grün spräche zu mir mit einem feinen Läuten. Tama<br />

war der Wald, <strong>und</strong> der Wald war Tama. Es hatte ein W<strong>und</strong>er oder eine Ewigkeit<br />

gebraucht, solch ein filigranes Ökosystem zu etablieren, doch es dauerte nur eine<br />

Generation, um es wieder zu vernichten, wenn … ja, wenn nicht etwas geschah.<br />

<strong>Die</strong> Rodungsmaschinen hatten in unserer Abwesenheit bereits wieder einige<br />

fußballfeldgroße Flächen planiert. Ohne Bäume besaß der Boden keinen Halt mehr<br />

<strong>und</strong> die direkte Sonneneinstrahlung verdunstete die Restfeuchtigkeit. <strong>Die</strong> Verwüstung<br />

schritt unaufhörlich voran.<br />

<strong>Die</strong> Älteren empfingen uns. Ihre Augen leuchteten erwartungsvoll. „Hast du das Haar<br />

der Göttin <strong>und</strong> hast du gesehen, was ihre Tränen vermochten?“, fragten sie.<br />

Ich entnahm das Haar meiner Jackentasche <strong>und</strong> hielt es in den staubigen,<br />

dieselgeschwängerten Wind. Von Fern vermischte sich das unheilvolle Grollen der<br />

Maschinen mit dem Donner einer sich anzukündigen Regenzeit. Tamas Tränen<br />

benetzten die menschgewollte Wüste. Es goss wie aus Kübeln <strong>und</strong> eine Wolke buntschillernder<br />

Schmetterlinge stieg am Waldesrand empor. Ihr Läuten glich einem<br />

Sturm – der Sturm der Vertriebenen, Entrechteten <strong>und</strong> Heimatlosen brach über die<br />

Handlanger der Holzkonzerne hinein. <strong>Die</strong> Älteren begannen zu tanzen – die Jüngeren<br />

zerschlugen die Maschinen … <strong>und</strong> ich entließ das Haar seiner Bestimmung.<br />

Wo es den Boden berührte, schossen Bäume in den Himmel <strong>und</strong> auf den<br />

Satellitenbildern erkannte man das Ausmaß Tamas Macht: Ein von Küste zu Küste<br />

grüner Kontinent.<br />

Ich habe den Wald nie verlassen, habe der Welt des Betons abgeschworen <strong>und</strong><br />

glaube nur noch an eine Göttin. Vor meiner Blätterhütte ragen die Reste der<br />

sogenannten Zivilisation moosbewachsen aus dem fruchtbaren Boden. Der Kraft<br />

einer Pflanze ist weder Asphalt noch Stahl gewachsen. Schlangen, Spinnen <strong>und</strong><br />

Raubkatzen kreuzen meinen Pfad zum Tempel der Waldgöttin, doch nichts an ihnen<br />

ist bösartig <strong>und</strong> nichts gibt es zu be<strong>für</strong>chten, wenn ich Tama etwas opfere, damit sie<br />

über mich wacht. So verbringe ich mein zweites Leben damit, die eingeschlagenen<br />

Schädel jener zu suchen, die den Wald nicht liebten, um sie an den Wänden der<br />

Höhle aufzubahren. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich das Grün in allen<br />

Nuancen <strong>und</strong> ein Wesen, weiß <strong>und</strong> zart wie eine Lilie, die das Leben auf unseren<br />

einst unwirklichen Himmelskörper brachte.<br />

69


itch funke<br />

Und irgendwann, wenn ich in die Erde gehe, werde ich sinnvoll <strong>und</strong> gänzlich Eins sein<br />

mit ihr <strong>und</strong> der Natur aller Dinge, denn das W<strong>und</strong>er neuen Lebens nährt sich stets aus<br />

der Vergänglichkeit des alten.<br />

Doch eines Tages vertrocknete auch die zweite Frucht mit dem betörenden,<br />

halluzinogenen Duft <strong>und</strong> ein schwarzes Tuch legte sich über die grüne Welt. Tama<br />

zerrann trocken zwischen meinen Fingern, als ich nackt <strong>und</strong> orientierungslos in der<br />

Realität der Verwüstung grub <strong>und</strong> plötzlich erwachte. Ruan <strong>und</strong> die Älteren lagen<br />

erschlagen <strong>und</strong> erschossen rechts <strong>und</strong> links der staubigen Piste, auf der r<strong>und</strong> um die<br />

Uhr Schwertransporter mit Holzstämmen fuhren.<br />

Nur Eines ist mir geblieben: Meine Aufzeichnungen des uralten Naturglaubens eines<br />

ausgerotteten Volkes, denen die Gier der Blinden den Lebensraum stahl. Und <strong>Die</strong>ses<br />

sei hiermit <strong>für</strong> die Nachwelt <strong>und</strong> jene bezeugt, die den großen Wald nur noch aus den<br />

Geschichtsbüchern kennen werden.<br />

Auszug aus der Anthologie „Heldinnen <strong>und</strong> andere Wesen“, die demnächst<br />

erscheint.<br />

sonja lenz<br />

70


thomas steiner<br />

sternenhimmel / ungetrübt<br />

der gedanke / auf dem mond zu sterben<br />

(auf dem mond auf dem mond auf dem / mond)<br />

erfreut mich schon lange (erfreut)<br />

seit jahren / seit jahren träume ich davon.<br />

davon / auf dem mond zu liegen (tot also)<br />

auf dem rücken<br />

& in den himmel zu schauen<br />

der dort ungetrübt ist / ungetrübt von luft<br />

& staub & zugleich scheint die sonne<br />

die sonne scheint / & die sterne<br />

(ohne flimmern ! unverschwommen !<br />

ungetrübt !) / so viele sterne ! bilder ! bilder ! farben !<br />

das ist ein gedanke / bilder ! / der mich noch / der mich<br />

noch / aufrecht hält. / das flimmern mag ich nicht.<br />

er stellte den sessel<br />

mitten ins zimmer / genau<br />

vor den fernseher<br />

im rücken der tisch<br />

links das bett<br />

rechts das fenster.<br />

dort saß er also.<br />

neben dem sessel stand<br />

kein tisch / keine bank<br />

nichts<br />

um essen & flaschen<br />

abzustellen / nichts.<br />

deshalb die flecken<br />

auf dem teppich neben dem sessel<br />

& darunter<br />

manchmal<br />

fiel 1 flasche um.<br />

er lebte lange so.<br />

71


Neuerscheinungen im <strong>Verlag</strong> <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong><br />

(Zu bestellen unter www.tdtextdesign.org)<br />

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