Die Zeitschrift für Texte, Bilder und Zeit - Verlag TD Textdesign
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<strong>Die</strong> <strong><strong>Zeit</strong>schrift</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Texte</strong>, <strong>Bilder</strong> <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong><br />
1
seite 08 african queen<br />
seite 15 kocsis csaba<br />
Seite 15 másolat-bihartorda<br />
seite 18 schwarz-weiss abgleich<br />
seite 24 mchel jakot<br />
seite 28 Isabella kramer<br />
seite 28 african queen<br />
seite 33 abdul-hay mosallam zarara<br />
seite 34 khairy hirzalla<br />
seite 39 + 40 adnan yahya<br />
seite 41 + 45 khairy hirzalla + marion heidinger<br />
seite 58 michel jakot<br />
Seite 70 sonja lenz<br />
seite seite 04 + 05 monika kafka<br />
seite 07 ralf cislarzyk<br />
seite 12 sunny<br />
seite 14 beatrix brockmann, briute rosman<br />
seite 16 african queen, thom delißen<br />
seite 18 gerti ederer<br />
seite 17 + 19 Isabella kramer<br />
seite 20 + 21 elsa rieger<br />
seite 23 andreas lehmann<br />
seite 29 + 30 rene steininger<br />
seite 34 jörg kleemann<br />
seite 37 wolfgang e. eigensinn<br />
seite 42 bernhard erich kaute<br />
seite 42 jörg kleemann<br />
Seite 43 Yvonne höller<br />
seite 50 csaba kocsis<br />
seite 51 martin schlosser,<br />
seite 51 waltraud weiß<br />
seite 51 thom delißen<br />
seite 52 monika kaka<br />
seite 53 mayrose sentimilla<br />
Seite 53 marion heidinger<br />
seite 55 thom delißen<br />
seite 57 hans jürgen gaiser<br />
seite 57 monika kafka<br />
seite 59 kurt rintelen<br />
seite 64 + 65 monika schudel<br />
seite 66 wolgang hofer<br />
seite71 thomas steiner<br />
<strong>Bilder</strong><br />
Essays, Kurzgeschichten, Textmaterial<br />
seite 03 editorial<br />
seite 06 monika kafka<br />
seite 09 + 10 + 11 sigrid wohlgemuth<br />
seite 13 ralf cislarzyk<br />
seite 17 ene meine mu<br />
seite 21 + 22 elsa rieger<br />
seite 25 -27 franziska hörner<br />
seite 31 + 32 jürgen landt”<br />
seite 38 wolfgang e. eigensinn<br />
seite 35 + 36 wolfgang hain<br />
Seite44 klaas klaasen<br />
seite 45 b 2 Wettbewerb<br />
seite 46 sophie sumburane<br />
Seite47 + 48 rüdiger saß<br />
seite 49 christine engel<br />
seite 54 + 55 thom delißen<br />
seite 56 ene meine mu<br />
seite 60 + 61 thom delißen<br />
seite 61 + 62 künstlerkreis kaleidoskop<br />
seite 63 yasmin shakarami<br />
Seite 67 - 70 ritch funke<br />
Lyrik<br />
2
Editorial<br />
Liebe Leserinnen/Leser,<br />
Welten tun sich auf, - geschlossene <strong>und</strong> verkannte, nie gesehene,<br />
verwirbelte, zerbrochene, brennende, fliegende, vergrabene, totgeschwiegene,<br />
verzerrte, verheimlichte, verleumdete, schillernde, duftende, dröhnende …<br />
Dem Realismus sind keine Grenzen gesetzt.<br />
Viele Künstler haben sich eingef<strong>und</strong>en, dem Thema Orte/Räume ein Gesicht zu<br />
geben.<br />
Und in einer Unmenge von Masken <strong>und</strong> Gesichtszügen an vielen verschiedenen<br />
Orten in einigen manchmal recht nebulösen Räumen, Zwischenräumen <strong>und</strong> Träumen<br />
haben sich die Gedanken der Kunstschaffenden dieser Ausgabe manifestiert.<br />
Kritisch hin zum Surrealismus, fragend, Antwort suchend, vielleicht sogar auf<br />
Hinweise deutend.<br />
Stellungsnahme <strong>und</strong> Traktat, Suche <strong>und</strong> F<strong>und</strong>.<br />
Erstmals bemühen wir uns auch die Grenzen zu überschreiten, Sprachbarrieren zu<br />
überwinden.<br />
Einen vergnügt nachdenklichen Lesegenuß wünscht <strong>für</strong> die Redaktion<br />
Thom Delißen<br />
Chefredakteur<br />
Impressum:<br />
Redaktion „SCHRIEB“<br />
<strong>Verlag</strong> <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong><br />
Alter Holzgarten 1<br />
85435 Erding<br />
Tel. 08122 18553<br />
E-Mail schriebinfo.@aol.com<br />
„schrieb“<br />
Redaktion:<br />
Elsa Rieger<br />
Thom Delißen<br />
Page: http://www.schrieb.com<br />
Ausgabe IIX 2010/02 by td textdesign<br />
Für den Inhalt der abgedruckten <strong>Texte</strong> <strong>und</strong> <strong>Bilder</strong> sind die Autoren <strong>und</strong> Künstler im Sinne des Presserechtes<br />
verantwortlich. Alle Rechte der <strong>Texte</strong> <strong>und</strong> <strong>Bilder</strong> liegen bei den Autoren <strong>und</strong> Künstlern. Vervielfältigung/Kopie <strong>und</strong><br />
Weiterverwendung nicht ohne Genehmigung des jeweiligen Urhebers.<br />
Adressen über den <strong>Verlag</strong>.<br />
Coverbild von Adnan Yahya<br />
3
monika kafka<br />
Via Domitia<br />
Verbrannter August. An deinen Rändern<br />
sonnt sich toute la France.<br />
Hier oben<br />
quillt aufgerissene Hitze.<br />
Stockiges Wasser. Thymianduft.<br />
Dazwischen ein Stück<br />
der verwaisten Römerstraße.<br />
Ich lege mein Ohr in die Spurrillen der <strong>Zeit</strong>.<br />
Stimmengewirr. In glasiger Luft<br />
Ächzen der Wagenräder <strong>und</strong> Pferde<br />
durchschnauben die taube garrigue.<br />
Jahrtausende veratmen<br />
über steiniger Erde. Wegezoll.<br />
In Seelenmünzen aufgewogen jeder Schritt.<br />
Am Pont Julien ein letzter Pfeiler.<br />
Kloster in den Karparten<br />
Zwischen Buchenwäldern<br />
<strong>und</strong> schroffdunklen Felsen geht<br />
die <strong>Zeit</strong><br />
schmalgewandet<br />
monoton<br />
reichen die Mönche<br />
ihr kleines Brot<br />
dazu eine Handvoll Gebet<br />
In die verkammerte Stille steigt<br />
der Wind<br />
<strong>und</strong> mit ihm ein hölzerner Ton<br />
Im Rhythmus der Toaca<br />
verglimmt das Licht<br />
<strong>und</strong> dem müden Wanderer<br />
wird der stummschwarze Himmel<br />
weit<br />
4
monika kafka<br />
Dahin<br />
Warum nicht zurückkehren<br />
zu den verschwiegenen<br />
Tannen den flüsternden<br />
Steinen meinen Brüdern<br />
im überschaubaren Land<br />
jenseits der Wälder?<br />
Warum nicht ablegen<br />
die viel zu weiten Kleider<br />
die Siebenmeilenstiefel <strong>und</strong><br />
den Narrenhut vielleicht<br />
waren die Vögel gnädig<br />
<strong>und</strong> sanft der Ostwind auch<br />
enden Märchen ja immer gut<br />
Ich vergaß<br />
Brotkrumen auszustreun ...<br />
summergarden<br />
for example blueberry tendrils<br />
above earthly summers<br />
deepsweet<br />
in the greenfaded light<br />
the bee humming its buzz<br />
between rosemary and phlox<br />
honeyclouds<br />
nesting in the mulberrytree<br />
while on thorned paths<br />
pans flute stays silent<br />
5
monika kafka<br />
Venezianische Notizen<br />
<strong>Die</strong> Serenissima empfängt mich kühl, fast schon gekränkt wie eine Diva, die man zu<br />
lange warten ließ. Sie ist gealtert, denke ich, <strong>und</strong> das nicht unbedingt in Würde.<br />
Wie lang schon blieb ich fern? Wolkenberge türmen sich im angestauten Atem der<br />
Lagune. Ich rechne langsam nach. Gewissenhaft. Und setze rasch die Sonnenbrille<br />
auf. Modisch. Teuer. Überdimensional. So muss das hier sein. Wieso nur hab ich das<br />
Gefühl, als lächle della Salute milde?<br />
Ihre sichtbaren Blessuren. Kein marmorweißer Gruß eilt dem vom Meere<br />
Kommenden entgegen. <strong>Die</strong> stets Garant <strong>für</strong> sichre Ankunft war, braucht heute selber<br />
Schutz. Und Hilfe. Unter ihren grauverpflasterten W<strong>und</strong>en weint steinern die <strong>Zeit</strong>.<br />
Wir verstehen uns. Und ich wage es, den Weg rückwärts zu gehen.<br />
Alla ferovia ... Alla ferovia ...<br />
Moderner Spießrutenlauf. Kein Durchkommen im Ausverkauf des Gutgeschmacks.<br />
Während zwischen schaukelnden Gondeln <strong>und</strong> kreischenden Touristen italienische<br />
Vokabeln flattern. Möwengleich. Frech. <strong>Die</strong> Preise, der Phantasie entsprungen. Wie<br />
damals schon. Vermutlich wie schon immer. Heut hätte ich das Geld da<strong>für</strong>, doch wer<br />
will schon durch abgestandene Gewässer rudern?<br />
Kosmetik auch am Dogenpalast. Vor blauem Hintergr<strong>und</strong> erstrahlt das neue Auto.<br />
Überdimensional. Teuer. Quer zur Jahreszeit. Das muss wohl so sein. Ich seufze an<br />
der falschen Stelle, die überall richtig erscheint.<br />
San Marco jetzt (fast) ohne Tauben. Ich lächle tapfer ins Objektiv. Und sehe mich am<br />
Canal Grande. Gewagte Shorts, verwirbeltes Haar, im Lachen ganz authentisch.<br />
Einziges Bild, das mir nicht nur Erinnerung blieb. Der einzige Beweis da<strong>für</strong>, dass ich<br />
hier schon einmal war. Als wenn es <strong>für</strong> das Glück Beweise bräuchte.<br />
Zumindest ging ich nicht ungeküsst ins Bett. Damals. Ganz abgesehn davon, dass es<br />
keins gab, war uns der Schlaf nicht mehr als unbestimmte Fremdvokabel.<br />
Nur den einen Löwen find ich nicht, zu dessen Füßen du gelegen. Das zweite Bild,<br />
das mir die <strong>Zeit</strong> gelassen hat, lebt weiter nur in mir. Dein Brombeerhaar legt sich wie<br />
Schleier über sommerliche Dunkelschwüle.<br />
Eingefrorne Bildsequenzen.<br />
<strong>Die</strong> dei Frari leuchtet noch. Abgehoben, kühn, wie ich sie damals gar nicht sah. Und<br />
das Fenice. Inszenierte Alterslosigkeit. Immer wieder auferstanden. <strong>Die</strong> Bühne wie<br />
das Leben.<br />
Alla ferovia, alla ferovia ...<br />
Wir feierten den Glanz im Untergang. Aus Lust <strong>und</strong> Überheblichkeit. Bronzene<br />
<strong>Zeit</strong>gesetze auszuhebeln, glaubt nur ein Dummkopf oder Jugend.<br />
Ich will es doch nochmal versuchen. Und nehm das Vaporetto, vom Bahnhof, zurück<br />
in die Lagune ...<br />
6
alf cislarzyk<br />
vorübergehend geschlossen<br />
(die alte schule)<br />
seit fünfzehn jahren<br />
nun schon<br />
risse im mauerwerk<br />
ziehn sich durch<br />
hakenkreuze, friedensparolen<br />
<strong>und</strong> liebesschwüre an lena …<br />
von gerd<br />
spuren obdachloser<br />
im chemiekabinett -<br />
misslungene experimente<br />
heutiger zeit<br />
ich höre frau meisels<br />
klavierspiel <strong>und</strong> meine<br />
stimmbrüchigen gesangsversuche<br />
auf dem schulhof<br />
zwischen glasscherben <strong>und</strong><br />
verkohltem holz<br />
steht luise<br />
ich spüre noch einmal<br />
den ersten kuss<br />
auf den m<strong>und</strong><br />
schmecke erinnerung<br />
am bach<br />
mit den kieseln singen<br />
das zittergemüt<br />
eintauchen<br />
ins murmelgebet<br />
der kalten zunge<br />
die haut reichen<br />
sich ergeben<br />
rein werden<br />
licht<br />
in der dunklen schlucht<br />
heute<br />
7
african queen<br />
8
sigrid wohlgemuth<br />
Vergrabener Traum<br />
„Guten Morgen, Doris. Könntest du dich bitte um diese Belege kümmern?“ Mein Chef<br />
Bernd legte den Ordner auf den Schreibtisch. „Schaffst du doch, einfach dazwischen<br />
schieben.“ Er zwinkerte mir zu. „<strong>Die</strong> Bilanz soll in vier Wochen stehen. Ist wirklich<br />
nicht viel, ein paar Kassenblätter, Kontoauszüge, nur wenige Rechnungen. Wie ich<br />
dich kenne, machst du das mit Links.“<br />
„Warum immer ich?“ Mit einer Handbewegung zeigte ich auf den Aktenstapel, der sich<br />
vor mir auftürmte.<br />
„Weil ich weiß, wenn ich dir diese Arbeit übergebe, dann wird sie zum gewünschten<br />
<strong>Zeit</strong>punkt fertig.“<br />
Bernd drehte sich um <strong>und</strong> verließ mein Büro. Dagegen konnte ich nichts erwidern, ich<br />
war stolz auf sein Vertrauen in meine Person <strong>und</strong> Arbeit. Seit einigen Jahren arbeitete<br />
ich freiberuflich in seiner Steuerberaterpraxis. Im Büro wurde offen über alles<br />
gesprochen <strong>und</strong> es herrschte ein gutes Klima. Wenn ich ’nein’ gesagt hätte, dann<br />
wäre es auch in Ordnung gewesen.<br />
Ich liebte meine Arbeit, ging förmlich darin auf. Jeden Morgen erwachte ich, erhob<br />
mich vom Schlafplatz, duschte, legte ein dezentes Make-up auf, streifte mir eines der<br />
Kostüme über, stieg in die Pumps <strong>und</strong> ging mit einem Lächeln auf den Lippen zur<br />
Arbeit. Ich verwöhnte meine Kolleginnen mit frisch aufgeschüttetem Kaffee <strong>und</strong> erhielt<br />
sogar hin <strong>und</strong> wieder von den Morgenmuffeln einen Gruß zurück. Zum Mittagessen<br />
bestellte ich eine Mahlzeit beim Italiener oder Griechen <strong>und</strong> hielt zwischendurch ein<br />
Schwätzchen mit den Mitarbeiterinnen. Wir waren ein reines Frauenbüro, außer<br />
unserem Chef Bernd. Hin <strong>und</strong> wieder gab es Überst<strong>und</strong>en, die mich nicht störten. Am<br />
Abend schaltete ich den Computer aus <strong>und</strong> ging zufrieden nach Hause, ins Café, ins<br />
Kino, besuchte die Familie oder meine Fre<strong>und</strong>e.<br />
Ich schaltete das Radio an <strong>und</strong> nahm mir die Buchhaltung, die Bernd mir gegeben<br />
hatte, vor. Im Verlauf des Vormittags musste ich mir selbst eingestehen, dass ich<br />
mich an jenem Tag nicht konzentrieren konnte. Ich stand auf <strong>und</strong> schaute aus dem<br />
Fenster. Der Himmel hing voller grauer, dicker Regenwolken, die mich traurig<br />
stimmten. Gleich dem trüben Wetter fühlte ich mich ausgelaugt <strong>und</strong> müde.<br />
„Liebe Hörerinnen, Liebe Hörer. <strong>Die</strong> Gruppe PUR hat ein neues Album namens<br />
’Abenteuerland’ auf den Markt gebracht. Sie hören nun die erste Auskoppelung. Das<br />
Lied trägt den gleichen Namen wie das Album“, vernahm ich die Ansage des<br />
Radiosprechers. Ich hob die Lautstärke an. PUR! Toll! Einige ihrer CDs versüßten mir<br />
seit Jahren den Feierabend.<br />
*Der triste Himmel macht mich krank, ein schweres, graues Tuch, das die Sinne fast<br />
erstickt, die Gewohnheit zu<br />
Besuch ...*, hörte ich Hartmut singen.<br />
Schon am frühen Nachmittag verließ ich den Arbeitsplatz <strong>und</strong> fuhr in die Stadt, um<br />
das neue Album zu erwerben. Was <strong>für</strong> ein Glück! Ich erhaschte die letzte CD. Zu<br />
Hause angekommen schob ich sie sofort ins Wiedergabegerät ein, ließ mich auf<br />
meinem Sitzkissen nieder <strong>und</strong> hörte mir das Lied in Ruhe an. Eine Gänsehaut nach<br />
der anderen lief wellenartig über meinen Körper. Der Song zog mich magisch an <strong>und</strong><br />
öffnete die fest verriegelten Tore meiner Seele.<br />
*Lange nichts mehr aufgetankt, die Batterien sind leer. In ein Labyrinth verstrickt. Ich<br />
sehe den Weg nicht mehr ...*<br />
9
sigrid wohlgemuth<br />
Nach einer St<strong>und</strong>e sang ich den Text auswendig mit <strong>und</strong> fühlte, er bewirkte etwas in<br />
mir. Mein geordnetes Leben, die Freude am Erwachen, der Spaß an der Arbeit, die<br />
Liebe zu meiner Familie <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong>en. Ich hatte keinen Gr<strong>und</strong>, mich zu beklagen<br />
oder unzufrieden zu sein. Oder machte ich mir Selbst etwas vor?<br />
In jener Nacht stellte sich der Schlaf nicht ein, ich war überdreht, meine Seele lag<br />
offen <strong>und</strong> verletzbar frei. Erst in den frühen Morgenst<strong>und</strong>en fiel ich in einen unruhigen<br />
Schlaf <strong>und</strong> ging erst gegen Mittag ins Büro. Zum Glück hatte ich als freie Mitarbeiterin<br />
keine festen <strong>Zeit</strong>en.<br />
Es würde Keiner bemerken, weil ich hin <strong>und</strong> wieder später kam oder früher ging.<br />
Dachte ich!<br />
Ausgerechnet an dem Tag fiel es auf. Der Kaffee war nicht aufgeschüttet <strong>und</strong> diese<br />
Gewohnheit wurde vermisst.<br />
„Bist du o.k.?“, fragte mich Katharina, unsere Chefsekretärin, mit der ich befre<strong>und</strong>et<br />
war.<br />
„Ich denke!“<br />
„Du denkst du bist o.k., oder du denkst über etwas nach?“<br />
Katharina ging in die Küche <strong>und</strong> kam mit zwei Kaffeetassen zurück.<br />
„Hast du Träume?“, fragte ich <strong>und</strong> nahm die mir gereichte Tasse entgegen.<br />
„Natürlich träume ich, doch wenn ich aufwache, erinnere ich mich nicht mehr daran.“<br />
Katharina nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. Ich setzte mich auf ihre Tischkante.<br />
„Solche Träume meine ich nicht.“<br />
„Jeder hat Träume. Wenn man aufhört zu träumen, dann stirbt man.“ Sie sah mir in<br />
die Augen <strong>und</strong> ich wusste sie würde die Tränen nicht übersehen.<br />
„Du hast Recht.“ Ich drehte mich um <strong>und</strong> ging in mein Büro. Als ich das Radio<br />
anstellte, lief gerade wieder das Lied von PUR. Ich schaute aus dem Fenster, hinauf<br />
zum Himmel, der seine Pforten geöffnet hatte, <strong>und</strong> ein strömender Regen sank auf<br />
die Erde nieder. Plötzlich fühlte ich, wie sich mein Brustkorb verengte.<br />
*Ich will weg, ich will raus, ich will – wünsch mir was <strong>und</strong> ein kleiner Junge nimmt mich<br />
an die Hand. Er winkt mir zu <strong>und</strong> grinst: Komm hier weg, komm hier raus, komm, ich<br />
zeig dir was, das du verlernt hast, vor lauter Verstand ...*<br />
„Keine Lust zum Arbeiten?“<br />
Erschrocken drehte ich mich zu meinem Chef um. Auch er sah meine Tränen.<br />
„Hast du Sorgen? Möchtest du reden?“ Er machte einen Schritt auf mich zu.<br />
„Hast du Träume? Ich meine richtige Träume?“<br />
„Ich träume von einer Segeljacht. Sie soll auf Mallorca vor Anker liegen, <strong>und</strong> ich fliege<br />
mit meiner Familie jedes Wochenende dorthin.“<br />
„Hast du das Gefühl, dein Traum wird jemals in Erfüllung gehen?“<br />
Er zuckte mit den Schultern.<br />
„Ich mache heute blau“, sagte ich, griff mir den Aktenkoffer <strong>und</strong> ließ meinen Chef mit<br />
einem verdutzten Gesichtsausdruck zurück.<br />
Angekommen in meiner Wohnung, stellte ich sofort die Anlage an <strong>und</strong> hörte PUR.<br />
*Komm mit ..., komm mit mir ins Abenteuerland, auf deine eigene Reise. Komm mit<br />
mir ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand. Komm mit mir ins<br />
Abenteuerland <strong>und</strong> tu’s auf deine Weise. Deine Fantasie schenkt dir ein Land, das<br />
Abenteuerland ...*<br />
Mit den Händen hielt ich mir die Ohren zu. Nicht nur, dass der Song in die Tiefe<br />
meiner Seele eindrang, er raubte mir langsam den Verstand. Ich kam nicht davon ab,<br />
mir das Lied anzuhören. Wochenlang ging es so weiter. Ich vernachlässigte die<br />
Arbeit, meine Familie, die Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> fand nachts keine Ruhe.<br />
*Neue Form, verspielt <strong>und</strong> wild, die Wolken malen ein Bild. Der Wind pfeift dazu<br />
dieses Lied, in dem sich jeder Wunsch erfüllt.*<br />
10
sigrid wohlgemuth<br />
„Hört auf, hört auf!“, schrie ich <strong>und</strong> zog den Stecker der Anlage aus der<br />
Verlängerungsschnur. Stille trat ein. Doch nur äußerlich, in mir wütete ein Vulkan, der<br />
kurz vor dem Ausbruch stand.<br />
Wann hatte es angefangen? Wann hatte ich den Traum verloren? Wann fing ich an zu<br />
funktionieren? War ich zu einem menschlichen Computer geworden, der selten<br />
abstürzte? Seit wann floss nicht mehr das heiße Blut durch meine Adern? Und wo war<br />
mein Aufbegehren gegen das System? Das Verlangen nach strahlend blauem<br />
Himmel? Wann war ich zu einem Gewohnheitstier geworden? Wann fing ich an, mich<br />
mit materiellen Dingen zufrieden zu geben? Der <strong>Zeit</strong>ungszusteller, die Verkäufer an<br />
der Wursttheke, die Kassiererin, der Postbote, meine Nachbarn <strong>und</strong> viele andere der<br />
Mitmenschen, seit wann fand sich keine <strong>Zeit</strong> mehr <strong>für</strong> ein fre<strong>und</strong>liches, nettes Wort?<br />
Wann fing ich mit dem Hasten <strong>und</strong> Eilen an? Schwamm ich stromabwärts?<br />
Wo war mein Traum?<br />
Wie tief hatte ich ihn in mir vergraben <strong>und</strong> jeglichen anderen Abfall darauf gelagert,<br />
damit er nicht mehr an die Oberfläche kommen konnte, sondern verrottete, starb.<br />
’Wenn man aufhört zu träumen, dann stirbt man’, vernahm ich Katharinas Worte.<br />
In meinem Alter?<br />
„Nein!“, schrie ich aus der Tiefe meines Herzens.<br />
Danach fühlte ich mich besser, die heiße Lava kühlte langsam ab.<br />
Da war er, hatte sich aus dem gewaltigen Müllhaufen befreit.<br />
Mein Traum!<br />
So viele Jahre waren vergangen, ich hatte ihn fast vergessen. Damals sagte ich oft:<br />
„Eines Tages werde ich in einem Haus in einem kleinen Dorf, das zwischen den<br />
Bergen <strong>und</strong> dem Meer auf einer Insel liegt, leben. Ich möchte nicht im Rentenalter auf<br />
einer Parkbank unter einer alten Eiche sitzen <strong>und</strong> den Enkelkindern sagen: ’Ich hatte<br />
mal einen Traum’.“<br />
Wenige Monate später legte ich meinem Chef die Kündigung auf den Schreibtisch,<br />
eine weitere sendete ich per Einschreiben an den Wohnungsvermieter. Gespräche<br />
mit der Familie <strong>und</strong> den Fre<strong>und</strong>en folgten. PUR hörte ich zur Rückenstärkung.<br />
*Ich erfinde, verwandle mit Zauberkraft. <strong>Die</strong> Armee der Zeigefinger brüllt: ’Du<br />
spinnst!!!’ Ich streck den Finger aus, ich verhexe, verbanne, ich hab die Macht,<br />
solange der Kleine da im Spiegel noch grinst. Komm mit ...*<br />
Hartmut, was hat dein Text in mir ausgelöst!<br />
Dicke Steinbrocken räumte ich aus dem Weg bis zur Verwirklichung des Traumes.<br />
<strong>Die</strong> Insel hatte ich schon längst gef<strong>und</strong>en. Ich war nur zu blind <strong>und</strong> hatte nicht<br />
bemerkt, wie nah sie dem Erträumten kam.<br />
*Peter Pan <strong>und</strong> Captain Hook mit siebzehn Feuerdrachen, alles kannst du sehen,<br />
wenn du willst. Donnervögel, Urgeschrei, Engel, die laut lachen, alles kannst du<br />
hören, wenn du willst. Du kannst flippen, flitzen, fliegen <strong>und</strong> das größte Pferd kriegen.<br />
Du kannst tanzen, taumeln, träumen <strong>und</strong> die Schule versäumen. Alles das ist möglich<br />
in dir drin, in deinem Land, trau dich nur zu spinnen, es liegt in deiner Hand. Komm<br />
mit ...*<br />
Das Lied fand sein Ende. Ich fand den Feuerdrachen <strong>und</strong> die Engel, die laut lachten.<br />
Ich flippte <strong>und</strong> flog, ich tanzte <strong>und</strong> taumelte. Ich ging <strong>und</strong> fing an, meinen Traum zu<br />
leben.<br />
11
sunny<br />
De loin, un ange …<br />
Elle a jeté la clef de son cœur<br />
Dans les étoiles<br />
Et s’est assise au bord de l’océan.<br />
De loin, un ange veille sur elle.<br />
Il a posé des larmes à ses yeux,<br />
Des mots dans sa tête<br />
Et un sourire sur son âme.<br />
Il la berce d’embruns<br />
Pénétrants et légers comme la tendresse.<br />
Elle se perd dans ses rêves.<br />
Un jour, il lui rendra la clef …<br />
J’ai peint des ombres à tes nuages<br />
Et ils ont versé quelques pleurs,<br />
Tu as mis mes papillons en cage<br />
Dans les oubliettes de ton cœur,<br />
J’ai voulu danser sur les mirages<br />
Ils se sont transformés en peurs,<br />
Tu as gommé toutes nos images<br />
Mettant à nu la douleur,<br />
J’ai semé l’oubli dans ton paysage<br />
Et tu l’as cueilli comme une fleur.<br />
<strong>Die</strong> Liebe stirbt nie<br />
Ein flüchtiger Gedanke,<br />
Eine schöne Erinnerung,<br />
Ein Irrlicht im Herzen ...<br />
<strong>Die</strong> Liebe stirbt nie,<br />
Auch wenn sie bricht .<br />
Sterne in der Nacht,<br />
Ein schimmernder Regenbogen,<br />
Ein Aufruhr der Gefühle ...<br />
Das Leben stirbt nie,<br />
Auch wenn es so scheint.<br />
Ein Engel<br />
Sie warf den Schlüssel zu ihrem<br />
Herzen<br />
In die Sterne<br />
Und setzte sich ans Meer ...<br />
Von weitem, wacht ein Engel über sie.<br />
Er hat Tränen in ihre Augen gelegt,<br />
Worte in ihr Herz,<br />
Und ein Lächeln auf ihre Seele.<br />
Er wiegt sie in Gischt<br />
Einfühlend <strong>und</strong> leicht wie die<br />
Zärtlichkeit.<br />
Sie verliert sich in ihren Träumen.<br />
Er bewahrt den Schlüssel fûr sie auf ...<br />
Ich habe Schatten auf deine Wolken gemalt<br />
Und sie haben geweint ...<br />
Du hälst meine Schmetterlinge<br />
Im Verlies deines Herzens gefangen ...<br />
Ich wollte auf Illusionen tanzen<br />
Und sie wurden zu Aengsten ...<br />
Du hast unsere <strong>Bilder</strong> ausgelöscht<br />
Und den Schmerz blosgelegt ...<br />
Ich habe Vergessen in dein Leben gesät<br />
Und du hast es gepflückt, wie eine Blume .<br />
12
alf cislarzyk<br />
Frida<br />
Vor sieben Jahren. Meine Frau <strong>und</strong> ich wollten nach Rom. <strong>Die</strong> Freude in uns, dehnte<br />
sich mit jedem Kilometer aus wie Hefeteig. In Südtirol wollten wir Pause machen.<br />
Vom Brenner aus schauten wir auf eine kleine Stadt, die sich hinauf in die Berge<br />
ausdehnte. <strong>Die</strong> Häuser klebten an den Hängen. Sattgrüne Wiesen säumten die Höfe.<br />
Jedes der Häuser hatte Gott vielleicht persönlich dort hingestellt.<br />
Wir fädelten uns aus der Autolawine heraus. Bogen ab in die Stadt Chiusa. Hoch<br />
hinauf führte uns die Serpentinenstraße. An jeder Kehre wies uns der uralte Toyota<br />
meiner Frau stöhnend darauf hin, dass es nicht unbedingt seine Wunschregion sei.<br />
Dennoch hielten wir erst am letzten erreichbaren Haus. Dem abgelegensten von<br />
allen. Ich glaube, es stand direkt im Himmel <strong>und</strong> … es war ein Zimmer frei. Wir<br />
vergaßen Rom.<br />
Stattdessen eroberten wir die höchsten Berge. Besuchten entlegene Sennerhütten<br />
<strong>und</strong> schlichte Wallfahrtskapellen.<br />
Und immer erlagen wir ehr<strong>für</strong>chtig dem Zauber der Almwiesen <strong>und</strong> den Blumen<br />
darauf. <strong>Die</strong> van Gogh’sche Farbenpracht füllte unsere hungernden Seelen mit Frieden<br />
<strong>und</strong> Stille.<br />
Ein Tag gehörte dem Besuch des nahe gelegenen Kloster Säben.<br />
Ihm zu Füßen liegend fanden wir einen kleinen, scheinbar verwilderten Garten, an<br />
dessen Ende ein unscheinbares Häuschen stand.<br />
Der Wildwuchs entpuppte sich als liebevolle Ansammlung exotischster Kräuter.<br />
Vor dem Haus saß ein Mütterchen. Ihr faltiges, sonnengebräuntes Gesicht ließ ein<br />
langes Leben mit einer endlos scheinenden Erfahrungsspirale vermuten.<br />
Sie war 98. Vor zehn Jahren starb ihr Mann. Sie verkaufte das gemeinsame Haus.<br />
Zog in dieses Kleinidyll. Das übrige Geld ging an ihre Töchter <strong>und</strong> die<br />
Klosterverwaltung. Frida, so hieß das Mütterchen – sie sprach auch deutsch –<br />
begnügte sich seitdem nur mit dem Nötigsten.<br />
Da meine Frau der Kräuterk<strong>und</strong>e recht k<strong>und</strong>ig ist, hatten die zwei sich viel zu<br />
erzählen.<br />
Mir wurde gestattet, mich im Haus umzuschauen. <strong>Die</strong>s bestand aus zwei Räumen. Im<br />
ersten standen ein kleiner Herd, ein winziges Schränkchen <strong>und</strong> ein Tisch mit drei<br />
Stühlen daran. Ein kleines Fenster ließ spartanisch Licht herein.<br />
<strong>Die</strong> vielen Blumen im Raum, hüllten diesen in ein fre<strong>und</strong>liches, angenehmes<br />
Ambiente.<br />
Mein Blick fiel auf einem Hausaltar. Ruhte darauf. Zwei<strong>und</strong>vierzig Kerzen umspülten<br />
ihn mit warmem Licht. Frida achtete argusäugig darauf, dass keine der Kerzen lange<br />
erloschen blieb. Jede einzelne stand <strong>für</strong> ein gemeinsames Jahr mit ihrem Mann. Den<br />
Altar hatte dieser liebevoll aus einer Platanenwurzel geschnitzt.<br />
Im angrenzenden Raum verbargen sich ein winziges Sieben-Zwerge-Bettchen <strong>und</strong><br />
ein Handwaschbecken. Darüber ein halbblinder Spiegel. An einer Wand ein Bild ihres<br />
Mannes. An einer anderen <strong>Bilder</strong> ihrer Töchter, die unten in der Stadt verheiratet sind.<br />
Als ich wieder heraus kam, saßen Frida <strong>und</strong> meine Frau beim Kräuterschnaps <strong>und</strong><br />
ließen es sich gut gehen.<br />
Mir aber lag die Frage auf der Zunge, wie man mit diesem doch sehr eingeschränkten<br />
Lebensstil Zufriedenheit erlangt.<br />
Ich stellte die Frage nicht. <strong>Die</strong> vielen Gespräche, die wir im Laufe der verbleibenden<br />
<strong>Zeit</strong> noch mit ihr führen durften, waren mir Antwort genug.<br />
Viel mehr stellte sich mir nach unserem Urlaub die Frage, warum ich, in scheinbar viel<br />
günstigeren Umständen lebend es nicht schaffe, auch nur annähernd zufrieden zu<br />
sein.<br />
13
eatrix brockmann<br />
Reality Check II<br />
Füße, <strong>und</strong> immer die eigenen<br />
Füße auf verschiedenem Gr<strong>und</strong><br />
aus dem Un ins Bewusst<br />
zeigt sich das Hier <strong>und</strong> Jetzt<br />
Ob Schotter am Belvedere<br />
Kopfsteinpflaster im Harz<br />
Beton am Hamburger Hafen<br />
Fokus auf Schritte<br />
Auf Unter-/Ab-Gründe<br />
Grad heut Amerika entdeckt<br />
auf dampfendem<br />
sechsspurigem Asphalt<br />
Und so wird der<br />
tägliche Spaghat<br />
mal wieder zum Krampf<br />
birute rosman<br />
anschein<br />
der weg<br />
gewohnter<br />
vogelsang<br />
das haus<br />
an der ecke<br />
unverrückt<br />
jahresringe<br />
in pfützen<br />
tropfen fallen<br />
eh <strong>und</strong> jelich<br />
frau meier<br />
beim fleischer<br />
floskelt<br />
das leben geht weiter<br />
augen irren<br />
durch heimelige<br />
bühnenbilder<br />
suchen das loch<br />
hinterlassen<br />
von dir<br />
doch die kulisse<br />
ist nahtlos<br />
14
kocsis csaba<br />
mbsolat-bihartorda<br />
15
african queen<br />
Ritual im afrikanischen R<strong>und</strong>haus<br />
der Tag verabschiedet sich schnell <strong>und</strong> lautlos<br />
schwer fällt die Nacht herunter<br />
das R<strong>und</strong>haus in geheimnisvolles Licht getaucht<br />
die Geister der Ahnen verharren schweigend<br />
Irrlichtern gleich<br />
es ist die St<strong>und</strong>e der Mythen<br />
explosiv entlädt sich der Zauber<br />
die Macht der Rituale nimmt sich<br />
der verirrten Seelen an<br />
die Glut des Feuers erlischt<br />
leicht aufkommender Wind verwischt<br />
die Spuren der Nacht.<br />
Markttag in Afrika<br />
Sprachgewirr wie von ferner Radiostation<br />
nicht zu bestimmende Gerüche würzig fremdartig geheimnisvoll<br />
verführerische Düfte, mit Staub <strong>und</strong> Hitze sich mischen-<br />
Farben von Künstlerhand verteilt<br />
flatternde Tücher fallende Gewänder<br />
bunt fröhlich leicht geordnetes Chaos<br />
was die Natur hergibt fein säuberlich ausgebreitet<br />
roh belassen gesammelt gepfückt gebündelt<br />
geflochten sortiert der handelt floriert<br />
bearbeitet verarbeitet gemischt verfeinert<br />
getrocknet gepresst geformt<br />
in Hülle <strong>und</strong> Fülle<br />
an solchen Tagen ist Afrika reich, weil sich die Armut<br />
bis zum Abend hinter Mauern versteckt<br />
thom delißen<br />
militär<br />
fliegt<br />
krähe auf<br />
von totem<br />
fleisch<br />
kreischt<br />
dank dir<br />
gott<br />
dass du<br />
den tisch<br />
gedeckt<br />
so reich<br />
16
isabella kramer<br />
Waldgefühle<br />
federnde Schritte<br />
auf moosigen Pfadek<br />
sandklare Bäche<br />
murmeln in Moll<br />
Säulenriesen warten<br />
Äonen von Jahren<br />
wiegende Häupter wandeln<br />
Licht in Strahlenfinger<br />
Goldsprenkel im Farn<br />
Lippen voll Himbeersaft<br />
du hast Blätter im Haar!<br />
ein Häher warnt<br />
tiefgrüne Augen<br />
mooriger Seen<br />
Waldstimme flüstert<br />
Kommt wieder!<br />
Hinten im Park<br />
die alten Gärten<br />
ruhen gelassen<br />
kühles Feuchtgrün<br />
erwartet unsere Streifzüge<br />
im Dickicht der Geschichte<br />
folgen wir steinernen Spuren<br />
Schritt um Schritt<br />
vergessene Sorgfalt<br />
dämmerung<br />
atem hält zeit still<br />
senkt himmel blaugefühltes<br />
an den strand - träumen<br />
hüllt in ewigkeiten<br />
schwarz-weiß abgleich<br />
r<strong>und</strong>schleifen ließ ich mich<br />
äonen lag ich in der brandung<br />
fort mit ecken <strong>und</strong> kanten<br />
glatt <strong>und</strong> r<strong>und</strong> geworden<br />
äonen lag ich in der brandung<br />
zerrieben, gemahlen<br />
glatt <strong>und</strong> r<strong>und</strong> geworden<br />
wollte sein, wie alle<br />
zerrieben, gemahlen<br />
vergaß meine farbe<br />
wollte sein, wie alle<br />
sah nicht stärke im kontrast<br />
vergaß meine farbe<br />
r<strong>und</strong>schleifen ließ ich mich<br />
sah nicht stärke im kontrast<br />
fort mit ecken <strong>und</strong> kanten<br />
17
gerty ederer<br />
Des Flusses Rache ?<br />
Aug um Aug<br />
Zahn um Zahn -<br />
Toben sollt‘ ich<br />
<strong>und</strong> die Stadt überschwemmen !<br />
Betonieren würden sie mich -<br />
<strong>und</strong> Tiere müssten sterben ...<br />
Sollt‘ nicht mehr fließen<br />
<strong>und</strong> nur stille stehn<br />
bis zur Kloacke !<br />
Elend würd’ ich sterben.<br />
Und die Menschen hätten es noch immer nicht begriffen ...<br />
VERWANDLUNG<br />
Zur Puppe - zum Schmetterling -<br />
einmal gefräßige Raupe wie in unserer Kindheit,<br />
dann Puppe wie in unserer Jugend,<br />
wo wir uns wandeln, erwachsen werden.<br />
Verwandlung – Entfaltung – Verwirklichung bis zum Tod.<br />
Was ist alles Wissen gegen die Verwandlung eines Schmetterlings?<br />
Wenn wir einen Schmetterling betrachten –<br />
ihn <strong>und</strong> seine Verwandlung verstehen –<br />
haben wir genug vom Leben gelernt <strong>und</strong> begriffen.öcker<br />
Hagestolz<br />
abrücken<br />
aufs Kreuz legen<br />
hinterrucks<br />
kreuz <strong>und</strong> quer<br />
den erücken stärken<br />
ein Rückgrat haben<br />
schultert Verwandlung<br />
VERWANDLUNG - WIE EIN LICHT ANZÜNDEN<br />
Verwandle dich!<br />
Wieder <strong>und</strong> wieder.<br />
Verwandlung - das Entscheidende im Leben.<br />
Dass etwas weitergeht –<br />
dass wir glücklich sind –<br />
dass das Leben fließt -<br />
dass es lebendig bleibt –<br />
dass wir es genießen können.<br />
Mit jeder Verwandlung wird ein Stück mehr möglich<br />
<strong>und</strong> bringt uns dem Licht entgegen.<br />
18
isabella kramer<br />
Bonsoir Porquerolles<br />
von ihrer Bank am Hafen lauschen<br />
die beiden Alten frohgemut<br />
dem Gruß der letzten Abendfähre<br />
<strong>Zeit</strong> endlich <strong>für</strong> zwei petit rouge<br />
dann schlendern sie zu den Platanen<br />
ein neues Spiel, die Witze alt<br />
Salut ihr zwei, so lasst uns starten,<br />
sonst werden noch die Kugeln kalt!<br />
der Obststand öffnet seine Läden<br />
die Insel atmet Abendruh<br />
das alte Fort grinst zahnlos rüber<br />
Pierres H<strong>und</strong> nagt an `nem Badeschuh<br />
Segler studieren Speisekarten<br />
es duftet wohlig nach Baguette<br />
man lässt sich <strong>Zeit</strong> <strong>und</strong> denkt im Stillen<br />
hier immer leben, das wäre nett<br />
kein Auto stört den Inselfrieden<br />
es gibt nur zwei <strong>und</strong> die halbtot<br />
des Inselarztes Klapperkiste<br />
am Leuchtturm parkt der Rostpeugeot<br />
das Herz der Insel schlägt gelassen<br />
man ist hier gern mit sich allein<br />
Traumpunkt im großen Meer der Mitte<br />
nur schwer zu finden <strong>und</strong> winzig klein<br />
Markttag<br />
Blumenrausch in Zinkeimern<br />
Tomatenpyramiden unter gestreiften Markisen<br />
Hand in Hand schlendern<br />
Radieschenbouquet <strong>für</strong>s Wochenendglück<br />
Thymianhonig gegen Fernweh<br />
Kinderträume vom eigenen Küken<br />
wir kosten unsere Nähe<br />
Blumenkohlzeit <strong>für</strong> alle<br />
Glitzernde Heringe versprechen<br />
Fisch ist ges<strong>und</strong>!<br />
apfelduftgeschwängerte Luft<br />
<strong>für</strong> Dich die eingelegten Oliven<br />
Windträume<br />
bietest dem<br />
Sturm die Stirn<br />
flüchtest nicht<br />
dunkle Wolken<br />
nie lässt dein Blick<br />
unser Meer<br />
gleitest ohne<br />
jeden Flügelschlag<br />
furchtlos nah selbst<br />
größten Wellen<br />
gegen den Wind<br />
stets auf mich zu<br />
19
elsa rieger<br />
Vom Erinnern<br />
Es bröckelt. Niederlagen von früher. Traurigkeiten ~ die ums Haar getötet hätten ~<br />
sind leise geworden. Still die wilden Geschichten, die mit Lachen durch mich fluteten,<br />
mit Freude. Auch die Liebesangelegenheiten. Damals erschütterten sie ins Tiefste.<br />
Sind nur noch Hauch.<br />
Wird alles Jahr um Jahr dünner. Schichten platzen ab. Dummes altes Mauerwerk. <strong>Die</strong><br />
Türen klemmen, so vollgestopft sind die Räume mit Vergangenem. Und ich kanns<br />
kaum mehr fühlen! Doch Neues kommt nimmer dazu.<br />
aquilea<br />
im zypressenhain<br />
lieben wir uns zwischen<br />
römischen quadern<br />
zikaden<br />
empören sich<br />
lauthals<br />
luxeuil<br />
am eck das café<br />
– ouvert, madame? –<br />
– oui ! – tönt es rauchig<br />
aus rotem m<strong>und</strong> ausgemalt<br />
derweil hält der atlas<br />
aus holz in der eglise<br />
gegenüber die orgel hoch<br />
kreta<br />
La Provence<br />
Lavendel leuchtet<br />
in Büscheln duftend<br />
Blaues Feld um Feld<br />
umkreist das Land - Cézannes<br />
Sainte Victoire spielt<br />
hin zum Café der Alten<br />
in Aix Boule zwischen<br />
Platanen wirbelnd zum<br />
Markt der Blumenmädchen<br />
von Arles hinunter<br />
der Mistral<br />
trauben erfüllt von sonnenglast<br />
süß durch die kehle geschluckt<br />
unterm olivenbaum<br />
knorrig auch die küste<br />
vor dem weiten blau<br />
<strong>und</strong> der wind fegt die gipfel<br />
la mer<br />
eine handvoll seen<br />
dort <strong>und</strong> dort schaufeln<br />
mühlräder träge wasser –<br />
ohne leben die häuser<br />
am ufer – montag bis<br />
donnerstag arbeitet man<br />
20
elsa rieger<br />
Helene in Paris<br />
„Nach einer Trennung muss man sich doch einen neuen Blick gönnen!“ Helene<br />
bürstet ihr braunes Haar mit langen Strichen vor dem blindfleckigen Spiegel im Coupé<br />
über den Sitzlehnen in Weinrot. Der TGV fährt soeben in Paris Est ein. Helene wirft<br />
die Haarbürste in die Reisetasche, zieht den Zipp zu.<br />
Es ist kurz vor sieben Uhr morgens, als sie auf den Bahnsteig springt. Gleich will sie<br />
wieder zurück. Sich verstecken im Abteil unterm fadenscheinigen Sitz zwischen den<br />
Kaugummiklümpchen <strong>und</strong> Papierfetzen. Helene schnauft, sieht hoch zum Glasdach,<br />
über dem die Sonne aufgeht. Als sie ihren Blick erneut über den Perron schweifen<br />
lässt, ist der Typ nicht mehr da. Bestimmt ein Irrtum; der, den sie verlassen hat, sitzt<br />
zu Haus in der Kneipe <strong>und</strong> säuft. Garantiert! Zumindest ergibt dieses Bild <strong>für</strong> Helene<br />
Trost. Trotzdem wackeln ihr die Knie <strong>und</strong> so braucht sie lang, um den Ausgang des<br />
Bahnhofes zu erreichen.<br />
„Bon jour, Paris!“, ruft Helene <strong>und</strong> winkt einem Taxi. „Hotel Tour d’Eiffel, Monsieur.<br />
Rue ...“, wie hat sie nur die Straße vergessen können, „... Quartier Latin.“<br />
Sein: „Oui, Mademoiselle“ mit arabischem Akzent (dichtet sie dazu) entzückt sie. Er<br />
ist Tunesier, aber in Paris geboren, sagt er. Und so findet er das Hotel, das Helene<br />
daheim ausgewählt hat, weil es nahe dem Boulevard Saint Germain liegt <strong>und</strong> nur fünf<br />
Gehminuten vom Musée de Cluny entfernt, auf Anhieb.<br />
Helene freut sich über das lichte Zimmerchen im obersten Stockwerk. <strong>Die</strong> Bettdecke<br />
Chenille in altrosa, das Fenster reicht bis zum Boden, sie lehnt sich über das Gitter,<br />
das vor einem Sturz schützen soll. Es geht nur bis zur Scham Helenes, somit könnte<br />
sie sich ohne Probleme hinabfallen lassen. Sie stößt sich vom Gitter ab, sperrt das<br />
Zimmer zu <strong>und</strong> lässt sich vom Rezeptionisten den Weg zum Museum erklären.<br />
Helene kommt an einem tunesischen Restaurant vorbei. Ein enger, langer Schlauch<br />
mit Tischen an der einen Seite, die Wände schilfgrün gestrichen. Dort würde sie<br />
abends essen.<br />
Musée de Cluny, ein graues Schlösschen. Romanisch gedrungen. Helene pfeift leise<br />
angesichts des r<strong>und</strong>en Raums mit den Gobelins, hockt sich auf die kühle Treppe,<br />
flüstert das Auswendiggelernte: „So schön war sie noch nie. W<strong>und</strong>erlich ist das Haar<br />
in zwei Flechten nach vorn genommen <strong>und</strong> über dem Kopfputz oben<br />
zusammengefasst, so dass es mit seinen Enden aus dem B<strong>und</strong> aufsteigt wie ein<br />
kurzer Helmbusch. Verstimmt erträgt der Löwe die Töne, ungern, Geheul verbeißend.<br />
Das Einhorn aber ist schön, wie in Wellen bewegt.“<br />
Hinter ihr ertönt: „Ja, er konnte es beschreiben. Nur Rilke in seinem Cornet.“<br />
Männlich.<br />
Helene antwortet: „Abelone, ich bilde mir ein, du bist da. Begreifst du, Abelone? Ich<br />
denke, du musst begreifen.“ Sie springt auf <strong>und</strong> rennt an dem Fremden vorbei hinaus.<br />
Läuft bis zum Boulevard Saint Michel <strong>und</strong> weint immer weiter. Ihr Handy piepst eine<br />
Kurznachricht: Komm nach Hause, Helene.<br />
Es gibt nur einen freien Tisch im Chez Paul. Chez Jendoubi gefiele Helene, sie<br />
kannte einen in Marrakesch, der so hieß. Sie bestellt Cous-Cous mit Meeresfrüchten<br />
<strong>und</strong> tunesischen Wein. An den Tischen des schlauchförmigen Restaurants sitzen nur<br />
Pariser. Eine Frau sieht aus, wie Helene gern wäre. Wenigstens äußerlich. Man ist<br />
immer drei: Wie man meint, zu sein, wie die anderen meinen, dass man ist <strong>und</strong> wie<br />
man wirklich ist. <strong>Die</strong> Frau ist laut <strong>und</strong> groß, sie trägt ihr karottenrotes Haar<br />
streichholzkurz. Lacht mit heiserer Stimme, durch ihre Ohrläppchen sind goldene<br />
Kreolen gefädelt.<br />
Helene schrumpft, rutscht das Stuhlbein hinab, läuft über den buckeligen<br />
Plastikboden zur Frau hinüber, klettert deren Gabardinehose hoch, krallt sich in die<br />
Strickjacke <strong>und</strong> schließlich sitzt sie im goldenen Ohrring <strong>und</strong> schaukelt bei jedem<br />
21
elsa rieger<br />
Auflachen hin <strong>und</strong> her.<br />
„Enchanté“, sagt Helene <strong>und</strong> trinkt. In der Hirse auf ihrem Teller kringeln sich<br />
Tintenfischärmchen um altrosa Krabben, die ihrerseits Kichererbsen besteigen.<br />
Der arabische Kellner tritt an Helenes Tisch <strong>und</strong> fragt, ob alles in Ordnung sei.<br />
„Oui, trés bien“, antwortet sie <strong>und</strong> sticht die Gabel in die Mitte des blauroten Kranzes<br />
aus Armen. Sie kaut auf den Saugnäpfen herum, speit den Bissen dann in die<br />
Stoffserviette.<br />
Später besucht Helene den Friedhof Père Lachaise. Sie schaut zu Jim Morrison, dann<br />
kniet sie vor dem Grab der Marie Trintignant. Sie wurde von ihrem Geliebten<br />
erschlagen. Im Streit.<br />
Nach einem Spaziergang am nächsten Vormittag entlang des linken Seineufers steht<br />
Helene auf dem Pont Neuf. <strong>Die</strong> Sonne geht unter. Helene winkelt die Ellenbogen an<br />
<strong>und</strong> bedeckt die Augen mit den Händen. So macht sie sich auf den Weg über die<br />
Brücke. Menschen eilen heimwärts. Manche rammen ihre Arme, schimpfen:<br />
„Imbécile!“<br />
Doch Helene läuft blind weiter bis zum Brückenende. Sie überquert die Fahrbahn,<br />
wird nicht überrollt <strong>und</strong> geht sehend zurück.<br />
Auf der Höhe der Ile de la Cité sitzt ein Clochard <strong>und</strong> streckt ihr seine Schale<br />
entgegen, in der ein paar Cent liegen.<br />
„Wollen Sie mit mir essen gehen?“, fragt Helene ihn.<br />
Er lacht, sie kann bis zu den faulenden Backenzähnen sehen, dabei ist er sicher nicht<br />
älter als sie. Dann deutet er auf die Fetzen, in die er gekleidet ist.<br />
„Und ich bin nicht Juliette Binoche, ich weiß“, sagt Helene, legt fünf Euro in die Schale<br />
<strong>und</strong> geht weiter.<br />
Auf dem Heimweg kehrt Helene ins Deux Magots ein, bestellt Absinth <strong>und</strong> erstickt fast<br />
an der Frage, warum sie nicht lieben kann.<br />
Weanaleut`, Weanafreud`, da liegt was<br />
drin<br />
Glutwind treibt durchs Straßengrau<br />
im bleiernen Luftgemisch verwesen<br />
müde Begegnungen<br />
heut kommen d’Engerln auf Urlaub nach Wean<br />
Sommer in versmogter Beckenlage<br />
Touristen wälzen sich vom Stephansplatz übern Graben<br />
auf dem weder Flieder noch Rosen<br />
Palmen in Blechtöpfen neben der Pestsäule<br />
Wien: Weltstadt very hip <strong>und</strong> ein altes Palais<br />
erschauert in der Tropenhitze<br />
22
andreas lehmann<br />
moritat<br />
unter uns<br />
es war der tag, an dem<br />
die motten starben. eine lag<br />
in meinem tee, die andre trat<br />
ihre letzte reise<br />
auf dem teppichboden an.<br />
von all dem tod umgeben<br />
<strong>und</strong> überwölbt von nichts<br />
als einer schlecht gefügten decke,<br />
saß ich da <strong>und</strong> machte mich<br />
bereit – wo<strong>für</strong>,<br />
das wusst’ ich nicht. doch es war zeit,<br />
die schuhe zog ich an <strong>und</strong> band<br />
zwei schleifen, fest <strong>und</strong> schön.<br />
dann sah ich aus dem fenster<br />
(es rieselt sand aus einer<br />
kammer in die andere),<br />
ich sah die wolken schwinden,<br />
<strong>und</strong> was sich himmel nennt,<br />
das wurde blau.<br />
wenn nicht mal das schlechte<br />
wetter hält,<br />
was bleibt dann noch?<br />
es ist nicht schwer zu leben,<br />
seien wir ehrlich. die zeit<br />
vergeht von selbst, auch wind <strong>und</strong> wetter<br />
brauchen keine unterstützung, <strong>und</strong> die sonne<br />
scheint weitgehend<br />
unabhängig.<br />
nach wie vor<br />
gibt es hitzefrei, holz<br />
<strong>für</strong> den ofen<br />
<strong>und</strong> jede menge staub<br />
<strong>und</strong> über die tage<br />
<strong>und</strong> zwischen den st<strong>und</strong>en<br />
wächst immer noch<br />
jede menge gras.<br />
23
michel jakot<br />
24
franziska hörner<br />
Federwelt<br />
Angespannt stehe ich vor dem niedrigen, schmiedeeisernen Tor, das sich bald öffnen<br />
wird. Neben <strong>und</strong> hinter mir stehen einige Gestalten, die ebenso in ihrer Unsicherheit<br />
gefangen sind wie ich. Was wird uns erwarten? Weshalb gerade uns?<br />
Ein Schatten zieht an mir vorbei. "<strong>Die</strong> Tiere", flüstert der Wind. "Sie können eure<br />
Angst riechen. Habt Zweifel, zeigt Erschöpfung, wenn ihr euch machtlos fühlt. But<br />
show no fear!"<br />
Fear of the dark.<br />
Geräuschlos gleiten die Flügeltüren auf. Eine unermessliche Schwüle, schlägt uns<br />
entgegen <strong>und</strong> verschlägt uns den Atem. Ich fasse instinktiv an das, was mich retten<br />
soll: Einen Füller.<br />
Hoffmann hebt zum ersten Mal den Kopf. Ich kenne ihn nur flüchtig, ein<br />
schweigsamer, intelligenter Mensch, ein höflicher noch dazu. Bescheiden in seinem<br />
Tun. Doch ein Kämpfer?<br />
Der erste Mann schreitet vorwärts, lauernd, die Waffe gezückt. <strong>Die</strong> Feder glänzt fahl<br />
<strong>und</strong> stumpf, sollte wohl einen lächerlichen Eindruck erwecken - wenn dieses Thema<br />
nur nicht so verflucht ernst wäre!<br />
Leben oder Leben, Leidenschaft steht gegen Aufgabe. Weshalb wir?<br />
Eine Hand voll erfolgloser Schriftsteller, so sehr in ihrem Tun <strong>und</strong> ihrer Welt gefangen,<br />
dass die Hoffnung auf Beachtung mit jedem Kratzen der Feder stirbt. Jeder von uns<br />
bekam dieses Angebot unabhängig unterbreitet, schöpfte Hoffnung daraus, bereitete<br />
sich mental auf einen wissenschaftlich-geistlichen Schriftwechsel vor. Und nun das!<br />
Worin besteht unsere Aufgabe?<br />
Ein Kraftfeld, unsichtbar, doch unaufheblich, saugt uns sanft in die Welt hinter der<br />
Türe. Lautlos schließt sie sich. Hoffmann neben mir atmet tief ein. Während andere<br />
gelähmt agieren, tut er ein paar Schritte, erst zögernd, dann bestimmt. Bleibt stehen,<br />
besinnt sich.<br />
Ich kann ihn nur aus den Augenwinkeln beobachten, darf ihn nicht direkt ansehen.<br />
Kein Kontakt. Kein Blick.<br />
Jeder ist auf sich gestellt.<br />
Wenn du stirbst, stirbst du allein.<br />
So lauten die Regeln, die sie uns stellten. Regeln, die mir lächerlich erschienen. Ein<br />
Schriftstück! Ein Blatt Papier, verseucht mit roter Tinte soll unser Tod sein? Nein.<br />
Unser letzter Auftrag.<br />
Tod ist so ein schmutziges Wort. Verbraucht. Unromantisch.<br />
Der letzte Gang.<br />
Hoffmann dreht sich um, mustert uns. Sucht unsere Augen, doch wir sehen fort. Ich<br />
kann mich nicht entziehen, blicke ihn in meiner Unsicherheit fest an. Ob er weiß, was<br />
er tut? Ich habe bereits verdrängt, was mir aufgetragen wurde.<br />
Gescheitert, bevor die Feder nur Papier berührte, bevor sie nur die Hand<br />
umschmeichelte.<br />
Sein Blick ist von solcher Intensität, dass ich impulsiv auf ihn zutrete. Er nickt still,<br />
lockt mit der Feder. Komm. Folg mir nicht, doch komm.<br />
Jeder Schritt zerbricht die Stille unbarmherziger, die Stille, die keine Stille mehr ist.<br />
Geräusche umgeben uns, umweben uns wie ein wollener Mantel, schlucken alles, nur<br />
die Furcht nicht.<br />
Herzrasen in der Feder. Weiße Knöchel, die sich fest an alles Wirkliche pressen.<br />
Ein Schrei. Unmenschlich. Hinter mir entflammen Bewegungen, Zuckungen. Poe<br />
windet sich, findet den Ursprung des Getöses nicht. Ein Wall aus Lärm umringt ihn,<br />
wir entfernen uns.<br />
25
franziska hörner<br />
Jeder auf sich selbst gestellt.<br />
Eine schwarze Masse bewegt sich auf ihn zu, bläst Eiswind aus lüsternen Nüstern.<br />
Komm.<br />
Ich wende mich ab.<br />
Und bin allein.<br />
Gefühlskalt, als wabere der Eiswind in mir weiter, bewege ich mich durchs Geäst. Ein<br />
Ort aus Metall <strong>und</strong> Natur. <strong>Die</strong> Feder klackert unaufhörlich gegen meinen Gürtel. Alle<br />
Sinne sind geschärft, doch die <strong>Zeit</strong> rinnt mir davon. Was tue ich?<br />
Show no fear.<br />
Ich bin umringt von Moosranken, komme nicht mehr voran. Sehe den Himmel nicht,<br />
vernehme nicht einen Laut. Nur eine innere Stimme. Schreibe dich frei. Lebe mit der<br />
Feder.<br />
Bebend jage ich die Feder in das Kleid aus Moos. Weiche. Weiche. Immer wieder<br />
schreibe ich dieses Wort, apathisch, in Panik, Erwartung. Der nie endend wollende<br />
Strom aus Tinte rinnt an dem ausdörrenden Grün herunter wie ein Wasserfall aus<br />
Blut. Der Vorhang blutet aus. Ich komme frei.<br />
Keuchend blicke ich auf meine unversehrte Hand, stiere den Füller in ihr an. Welche<br />
Aufgabe hast du?<br />
Schreibe dich frei. Lebe mit der Feder.<br />
Was bedeutet Freiheit? <strong>Die</strong>s ist die letzte Freiheit, die ich mir nehme. Sie mag<br />
hoffnungslos sein, doch erlebe ich sie nach all den Jahren von träumender<br />
Verzweiflung wieder bewusst. Meine Lunge füllt sich mit Luft, lässt mich die Augen<br />
schließen. Nimm den letzten Gang mit Würde.<br />
Meine Beine sind bereits klamm, als Hoffmann wieder neben mir auftaucht.<br />
Ungezügelte Freude durchströmt mich, ich will ihm entgegentreten, doch er senkt den<br />
Blick. Jeder <strong>für</strong> sich.<br />
Ein Stich durchfährt mich, ich muss ohne ihn gehen. Hoffmann nickt mir zu, entfernt<br />
sich wieder. Er lebt. Ich lebe. Ich bin nicht allein.<br />
<strong>Die</strong> Schlucht, die sich vor mir auftut, ist grenzenlos. Auf dem Gr<strong>und</strong> steht ein<br />
Stahlkollos, scheinbar ausgebrannt <strong>und</strong> von Efeu überwuchert. Hier möchte ich<br />
begraben liegen, wenn es geschieht. Was auch immer geschehen mag.<br />
Meine Hand trifft auf kaltes Metall, ich komme in Bedrängnis, kann sie nicht erklären.<br />
Wende mich.<br />
Ich realisiere das Tier erst, als es über mir thront, mir seinen keifender Kiefer vor die<br />
Stirn hebt. Frei beweglich bin ich, doch denke ich nicht. Was soll ich denken? Soll ich<br />
denken? Kann ich? Ich?<br />
Ich besehe mir das Ungetüm wie abwesend. Der Korpus eines H<strong>und</strong>es, kräftig, mit<br />
weichem Fell überzogen, das grün schimmert. Und Grau. Schwanzlos. Den Kopf<br />
eines Raubtieres, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Katzenartig <strong>und</strong> größer als der<br />
Kopf eines Löwen. Ohne Mähne. Mit einem winzigen Gebiss voll feiner, nadelartiger<br />
Zähne. Ein Geschöpf, das in jeder anderen Situation <strong>für</strong> stummes, bedächtiges<br />
Staunen gesorgt hätte; wohl hätte ich ihn mit einer Geschichte bedacht, es heldenhaft<br />
sterben lassen. Nun ist es meine Bestie, die Ausgeburt meiner inneren Furcht.<br />
Meine Hand umklammert den Stahl nun mit beiden Händen <strong>und</strong> zieht mich unter den<br />
Korpus des Tieres. Es folgt, die Muskeln angespannter, keifender. Meine Schreibhand<br />
krallt sich in das Holz des Füllers. Ihn darf ich nicht verlieren, um nicht selbst verloren<br />
zu sein. Er darf brechen, knacken, zerbersten. <strong>Die</strong> Feder ist, was mich hält.<br />
Würde. Ich ziehe die Kappe fort, lasse vom Gestänge ab. Lasse mich packen, greife<br />
sacht nach etwas, das Widerstand bietet. Das Maul. Eine fleischige Zunge schabt rau<br />
über meine Haut, saugt mich an die Zähne, in die Zähne, die meine Hand<br />
umschlingen. Ich bin vollkommen ruhig.<br />
Drei Finger graben sich in den Nacken des Viehs, ziehen mich an ihm empor auf den<br />
wolligen Rücken. Kahle Stellen leuchten mir entgegen, schimmern silbern <strong>und</strong> blass<br />
in meinem Blick. Es ist nackt.<br />
26
franziska hörner<br />
So nackt wie meine Angst.<br />
Show no fear.<br />
Mit gespreizten Fingern fahre ich über das Fell. Mein linker Arm ist taub, taut ab,<br />
zerfließt. Ich werde ihn nicht mehr gebrauchen können. Nimm ihn mir. Zähne bohren<br />
sich tiefer in mein Fleisch.<br />
Mit dem Federrücken streiche ich über die bloße Haut, ruppige Haut, wie Pergament.<br />
Der letzte Gang, doch ich gehe nicht allein. Ich setze die Feder an. Und spinne eine<br />
Geschichte, die fortan die meine sein soll.<br />
Mit jedem Federstrich schlaffen die Muskeln des Geschöpfes ab, schrumpfen<br />
scheinbar unter meiner Bewegung. Ich komme frei – <strong>und</strong> gehe nicht. Bleibe, bis jede<br />
Stelle des kahlen Rückens mit Tinte überzogen ist. Ein Grollen an meiner Brust, das<br />
wohlwollendem Atem folgt. Ein Laut, der aus meinem Herzen in seines dringt. Wir<br />
lassen voneinander ab.<br />
Kraftlos sacke ich in mich zusammen, fühle mich selbst wie mit Tinte überzogen.<br />
Schweiß auf meiner Brust, meinem Bauch. Auf Geist <strong>und</strong> Herz.<br />
Meine Finger streicheln fahrig über das zerzauste Fell, das neben mir kauert. Beide<br />
sind wir geschrumpft, liegen nass in alter Haut <strong>und</strong> vergehen nicht allein.<br />
Ich erliege der letzten Fre<strong>und</strong>schaft, die meine erste war.<br />
Karmesinrot weckt mich. Ein feuchtheißer Luftzug leckt an meinen Bauch. Etwas<br />
streift mein Bein <strong>und</strong> als ich die Augen öffne, bemerke ich, dass ich aufrecht stehe.<br />
Poe <strong>und</strong> Hoffmann treten vor mich, den Blick zu Boden gerichtet. Ein Lächeln<br />
umspielt ihre zerfurchten Lippen, während sie auf einen Fleck zu meinen Füßen<br />
starren, der sich zu bewegen scheint. Ich folge mit den Augen.<br />
Unter mir räkelt sich ein junges Katzentier, rot wie das Haar einer schönen Frau <strong>und</strong><br />
blickt mit schwarzen Augen zu mir empor. Mühsam bücke ich mich <strong>und</strong> klaube es auf,<br />
streichle den Rücken des verängstigten Tieres. Fange mit den Fingern Nässe. Es<br />
blutet.<br />
Nein, es blutet nicht.<br />
Es trieft vor Tinte.<br />
Ungläubig hebe ich den schmerzenden Kopf <strong>und</strong> wende mich den beiden<br />
Schriftstellern zu, welche ebenfalls ein Tier auf dem Arme tragen.<br />
Hoffmann lächelt bedacht <strong>und</strong> hebt zum Gruße zaghaft den Arm, auf dem ein<br />
prachtvoller, w<strong>und</strong>erschöner Schmetterling ruht, von Ausmaßen, die ich noch nie<br />
zuvor erblickt habe. Farben in aller Reinheit, die sanft ineinander übergehen<br />
umspielen strahlenden, samtenen Pelz.<br />
Poes Züge sind gefasster, schärfer. Beängstigend verständliches Verlangen dringt<br />
aus seinen Augen, während er liebevoll ein Flügeltier streift, welches nicht von dieser<br />
Welt zu sein scheint. Schwarzschillernd wie die Nacht spannt es seine fast<br />
durchsichtigen, pelzigen Flügel <strong>und</strong> zeigt harte, stählern schimmernde Zähne<br />
zwischen einem weichen, feinen Kiefer, den es besitzergreifend an seinen Halter<br />
schmiegt.<br />
Hoffmann in bescheidener Schönheit.<br />
Poe in romantisch anmutender Gefahr.<br />
Und ich, auf den Boden der Tatsachen zurück gekehrt, mit der alltäglichen,<br />
unentdeckten Liebe der zwischenmenschlichen Begegnung.<br />
„Ihr werdet nicht allein sein. Euer Weg endet nicht hier.“<br />
Wir verbeugen uns <strong>und</strong> schreiten gemeinsam durch das sich öffnende Tor, das uns in<br />
eine Welt entlässt. Eine Welt, die sich ein Herz <strong>für</strong> unsere Federführung fassen wird.<br />
27
african queen<br />
hudson river , mit skyline N.Y.<br />
Isabella kramer<br />
angekommen<br />
28
ené steininger<br />
Marocco via Bologna<br />
<strong>Die</strong> Farben:<br />
titian- oder marrakeschrot<br />
siena oder henna<br />
Legt sich Staub<br />
auf die Markisen<br />
oder Sand<br />
<strong>und</strong> wo bleiben<br />
die Gewürzhändler<br />
in den Arkaden?<br />
<strong>Die</strong>sem Arkadien<br />
aus Stein<br />
fehlen die Palmen<br />
Aus der Stadt<br />
verschw<strong>und</strong>en selbst<br />
der Wald der Türme<br />
<strong>Die</strong> zwei<br />
in ihrer Mitte<br />
die noch stehen<br />
sind unbewohnt<br />
<strong>und</strong> stumm<br />
wie versetzte Minarette<br />
Oben dann<br />
sehe ich<br />
weithin nur Kirchen<br />
<strong>und</strong> Bergketten<br />
statt einem Meer<br />
aus beweglichem Land<br />
Bologna<br />
In den Souks<br />
Direkt unter der Haut war er<br />
wie ein Ballettänzer im Trikot.<br />
V.S.Naipaul<br />
Den Schwanensee<br />
geben sie<br />
nicht<br />
die gehäuteten<br />
Ziegen<br />
Schafe<br />
& Lämmer<br />
die aufgehakt<br />
in Reihen<br />
vor den kleinen<br />
Metzgerläden<br />
hängen<br />
Aber<br />
ein Hauch<br />
von Bolschoi<br />
ist schon<br />
in den Gesten<br />
der Verkäufer<br />
die zwischen<br />
den Vorhängen<br />
aus Fleisch<br />
salbungsvoll<br />
feilschen<br />
Marrakesch<br />
29
ené steininger<br />
Nach Genezareth<br />
Auf der plaza mayor<br />
humpelt<br />
der Klumpfüßige<br />
im Kreis<br />
Tagaus<br />
tagein<br />
wer weiß<br />
wie lange schon?<br />
Der Orthopäde<br />
der es<br />
in Zentimetern<br />
einer Passform<br />
berechnet?<br />
<strong>Die</strong> zufälligen<br />
Passanten<br />
die es an der Höhe<br />
ihrer Almosen<br />
messen?<br />
Jesus<br />
der ihn<br />
auf seinem Weg<br />
nach Genezareth<br />
gesegnet hat<br />
vor 2000 Jahren?<br />
Oder das Pflaster<br />
auf dem er<br />
täglich<br />
doppelt so viele<br />
schiefe<br />
Schritte setzt?<br />
Oaxaca, Mexiko<br />
Hier <strong>und</strong> dort<br />
Ein Dorf<br />
zwei Welten:<br />
Hier<br />
die Ansässigen<br />
<strong>und</strong> dort<br />
die Zigeuner<br />
In den Häusern<br />
oben<br />
manchmal<br />
ein Vorhang<br />
der sich<br />
einen Spalt weit<br />
öffnet<br />
In den Hütten<br />
unten<br />
ganzjährig<br />
nur Fenster<br />
die nicht<br />
schließen<br />
Jasov, Ostslowakei<br />
Im Zugrestaurant<br />
Während<br />
draußen<br />
die Karawanken<br />
als spektakuläre<br />
Kulisse<br />
vorbeiziehen<br />
fotografiert<br />
der Japaner<br />
den Kaiserschmarren<br />
auf dem Foto<br />
der Speisekarte<br />
Berge<br />
gibt es<br />
auch<br />
am Kawaguchi<br />
EuroCity, Villach –Wien<br />
30
jürgen landt<br />
6 liter milch -<br />
im beutel unterm stammtisch<br />
sie schleppt mich mit in ihre dunkle stammkneipe,<br />
erzählt mir von ihren beschwerden während der periode,<br />
von der klapsmühle,<br />
von ihren geschiedenen ehemännern,<br />
von ihrem sohn,<br />
der so alt sei wie ich <strong>und</strong> der sie kapitalistensau schimpft,<br />
<strong>und</strong> von heinz,<br />
der einen BMW fährt.<br />
sie küßt mich am stammtisch.<br />
nach dem vierten schoppen wein, <strong>und</strong> alle ringsum erzählen<br />
kriegsgeschichten <strong>und</strong> von ihren operationen,<br />
in einer ecke steht ein mann ohne beine <strong>und</strong> macht<br />
irgendwie musik.<br />
sie reißt mich hoch <strong>und</strong> tanzt mit mir,<br />
es schließt sich ein lebendiger ring<br />
aus im takt klatschenden körperteilen um uns.<br />
ich schaffe es, mich zum WC DURCHZUSCHLAGEN <strong>und</strong> höre:<br />
"cornelia, der ist bestimmt 30 jahre jünger...!"<br />
"oh, er bringt es so gut!"<br />
dann ist sie auf dem klo - eine gelähmte prostet mir zu.<br />
ich finde mich mit meinem mantel in der dunkelheit, <strong>und</strong><br />
einige häuserreihen entfernt, erreicht mich mein vorname:<br />
"jürgen! J Ü R G E N! jürgen! jür...!"<br />
es verliert sich, <strong>und</strong> ich weiß:<br />
irgendwo muss hier der bus abfahren.<br />
erstarrte ziele<br />
diesmal war es schlimmer. ich hockte in der geschlossenen station der psychiatrie<br />
<strong>und</strong> wartete auf gar nichts, <strong>und</strong> ein riesiger taubstummer kerl kloppte das inventar im<br />
aufenthaltsraum entzwei <strong>und</strong> grunzte dazu. ich blieb einfach sitzen <strong>und</strong> hoffte doch<br />
noch, daß mich irgendein schweres schrankteil oder ein tisch oder eine zierpalme traf<br />
<strong>und</strong> auslöschte.<br />
irgendwann hatten sie den kerl überwältigt <strong>und</strong> bewegungslos gemacht, sein grunzen<br />
war in ein <strong>für</strong>chterliches wimmern übergegangen, <strong>und</strong> ich saß immer noch <strong>und</strong><br />
achtete nun auf eine frau, die mich schon vier- oder fünfmal mit der flachen hand auf<br />
den hinterkopf geschlagen hatte <strong>und</strong> nach jedem schlag einen kurvigen reißaus<br />
gelaufen war. der rummel musste zu viel <strong>für</strong> sie gewesen sein, jedenfalls lief sie<br />
aufgescheucht durch den raum, nur mit riesigen pampers bekleidet, <strong>und</strong> diese<br />
pampers hochgezogen bis zur frei abhängenden brust. wieder <strong>und</strong> wieder nahm sie<br />
anlauf <strong>und</strong> stürzte mit erhobener hand auf mich zu. jedes mal sprang ich auf <strong>und</strong><br />
schrie: "WEHE DU!!!!" so laut ich konnte, <strong>und</strong> sie stoppte, verharrte mit erhobener<br />
hand, erstarrte einige sek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> drehte dann wieder ab, um sich nach einer weile<br />
erneut mit einem anlauf <strong>und</strong> erhobener hand auf mich zu stürzen. merkwürdig war<br />
nur, daß sie niemand anderen zwischendurch attackierte, obwohl ich im<br />
aufenthaltsraum nicht alleine war. "HAU AB!!! WEHE DU!!!" rief ich über st<strong>und</strong>en.<br />
31
jürgen landt<br />
als mir endlich ein zimmer zugeteilt wurde, saß schon jemand auf dem zweiten bett.<br />
abwesend <strong>und</strong> schreibend, vollkommen vertieft große plus- <strong>und</strong> minuszeichen aufs<br />
papier bringend.<br />
"tach', ich bin jürgen!" schrie ich ihn vorsichtshalber an.<br />
"stör' mich nicht, du!!!" schrie er zurück.<br />
"da ist ihr schrank, da können sie ihre sachen einräumen!" sagte der pfleger zu mir.<br />
"ich hab' doch gar keine sachen." antwortete ich.<br />
"na dann die, heute nacht, die sie jetzt anhaben!" <strong>und</strong> dann war der typ<br />
verschw<strong>und</strong>en.<br />
alles war ich los, gürtel, schnürsenkel, mein feuer.<br />
"ich hab die aidsformel entdeckt!" löste mein zimmerpartner plötzlich mein dösen auf.<br />
"ECHT! IST JA DOLL!" schrie ich ihn sofort an.<br />
mein schreien störte ihn nicht. wie ein ewiger fre<strong>und</strong> saß er blitzschnell mit mir<br />
zusammen auf meinem bett <strong>und</strong> zeigte mir seine bekritzelten blätter, stellte mir die<br />
mathematischen zeichen dar.<br />
"ganz einfach! plusmenschen müssen zu plusmenschen, denn minusmenschen plus<br />
minusmenschen machen aids wenn sie miteinander plussen! minusmenschen minus<br />
minusmenschen machen auch aids, wenn sie miteinander minussen müssen! nur<br />
wenn plusmenschen plus plusmenschen miteinander nicht minussen sondern<br />
plussen, wird aids nicht weiter verbreitet <strong>und</strong> ausgerottet! denn plusmenschen sind<br />
gute menschen <strong>und</strong> minusmenschen sind böse menschen! <strong>und</strong> wenn böse menschen<br />
miteinander plussen <strong>und</strong> minussen geht das mit dem aids weiter! nur wenn gute<br />
menschen miteinander plussen geht aids weg. selbst wenn gute menschen manchmal<br />
minussen!"<br />
"ja, das kann hinhauen." sagte ich leise.<br />
"man kann menschen aber auch teilen!" sagte er.<br />
"ich weiß." sagte ich.<br />
"<strong>und</strong> du bist ein guter mensch, ein plusmensch. das habe ich gleich bemerkt!" sagte<br />
er <strong>und</strong> rutschte ein bißchen näher.<br />
"danke!" sagte ich <strong>und</strong> fühlte mich ein klein wenig besser als vor meiner einlieferung<br />
<strong>und</strong> dem st<strong>und</strong>ensitzen im aufenthaltsraum. wie gut es doch tat, nach jahren des<br />
zerstolperten daseins einmal als plusmensch empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bezeichnet zu werden.<br />
"<strong>und</strong> wenn du schläfst", durchfuhr er mein gefühl, "dann werde ich dir dein blut<br />
ablassen <strong>und</strong> eine gefrierflüssigkeit einfüllen, dich einfrieren <strong>und</strong> nach fünftausend<br />
jahren wieder auftauen lassen! du bekommst dann eine plusfrau, <strong>und</strong> ihr müßt kinder<br />
machen! die zukünftige welt wird dann durch euch rein <strong>und</strong> plussig <strong>und</strong> vollkommen<br />
aidsfrei!"<br />
entgeistert sprang ich auf, stieß ihn mit der faust gegen die brust, schubste ihn vom<br />
bett <strong>und</strong> schrie: "HAU AB HIER!!! WEHE DU KOMMST MIR AUCH NUR EINEN<br />
ZENTIMETER NAHE!! WEHE, WENN DU HEUTE NACHT AUCH NUR IN DIE NÄHE<br />
VON MEINEM BETT KOMMST!! ICH SCHLAG DICH TOT, DAS SAG ICH DIR!!<br />
WEHE DIR, AUCH NUR EINEN MILLIMETER, DU KAPUTTES ARSCHLOCH!!! HAU<br />
AB, DU!!! HAU AB...!!!"<br />
der typ sammelte seine zettel auf <strong>und</strong> ging zu seinem bett, verstaute sich <strong>und</strong> die<br />
formeln unterm zudeck, zeigte nur noch seinen haarschopf her <strong>und</strong> schluchzte.<br />
trotz beruhigender medikamente machte ich nachts kein auge zu, stand immer wieder<br />
auf, hielt mich in einem taumligen schrittempo wach, äugte immer wieder zum<br />
anderen bett, setzte mich auf einen stuhl, nickte ein, hatte angst, dass er mir im liegen<br />
mit seiner zahnbürste den hals aufreißen würde, legte mich im hellen zurück aufs bett<br />
<strong>und</strong> spürte die pampersfrau auf mich zurasen, schrie sie an, sah ihr erstarren im<br />
schlagen, sah wie sie sich umdrehte, um abermals in einem anlauf zielvoll zu<br />
erstarren...,<br />
schreckte hoch, fragte mich warum ich hier liegen mußte, <strong>und</strong> dann fiel es mir sofort<br />
ein: weil's draußen schlimmer war.<br />
32
abdul-hay mosallam zarara<br />
Wurde 1933 in Palästina geboren, in einem Dorf namens Dawaimeh, nicht weit von<br />
Hebron. Nach einem langjährigen Aufenthalt in Damaskus lebt er nun in Amman in<br />
seinem Atelier in Madaba. Seine <strong>Bilder</strong> sind stark beeinflusst von volkstümlichen<br />
Motiven <strong>und</strong> wurden weltweit in über 35 Ausstellungen präsentiert. Besondere<br />
Aufmerksamkeit erregte seine Technik, in welcher er Sägemehl <strong>und</strong> Leim benutzt.<br />
Nach dem Massaker von Sabrah <strong>und</strong> Schatilla im Jahr 1982 stellte er seine Arbeiten<br />
in Tokyo aus. Weitere Ausstellungen in Lybien, Libanon, Norwegen, Dänemark,<br />
Schweiz <strong>und</strong> auch an der Philadelfia-Universität in USA. Er ist Mitglied des<br />
Jordanischen Künstlerverbandes, der Palästinensischen Künstlerunion, der<br />
Arabischen Künstlervereinigung <strong>und</strong> der Syrischen Künstler-Union.<br />
Weitere Informationen: www.abdulhay.org<br />
Das Bild zeigt in eindringlicher Weise die große Qual <strong>und</strong> das Leid der Menschen in<br />
Ghaza.<br />
Marta Melniczuk<br />
(Bildgröße 65x90, Technik Relief, Öl)<br />
Massaker<br />
in Ghaza<br />
33
jörg kleemann<br />
IN DEN KORRIDOREN<br />
imaginärer dunkelheit<br />
lauern mondes gedanken<br />
schattenfragezeichen werfend<br />
: wohin mit der handvoll licht<br />
die in pupillen verglüht<br />
wie sternenbrand<br />
am rande der krater blühn worte<br />
über ihre unmöglichkeit<br />
hinaus<br />
khairy hirzalla<br />
IN DER<br />
ZEITTROPFSTEINHÖHLE<br />
einen augenblick von hier gleich nebenan<br />
haust ein schöngeist mit ohrwurm<br />
ominösen lichtpunkten am blickfeldrand<br />
<strong>und</strong> sepia in der iris<br />
helle nagelbetten abgekochte<br />
vitamindragees traumschiffe<br />
aus notizblöcken auf bierdosen<br />
als krönung der materie<br />
in den atomen der einsamkeit<br />
gibt es kein verschwinden<br />
: das erkennen des gegebenen<br />
durch nicht steckenbleiben darin<br />
hält er <strong>für</strong> machbar doch<br />
im draußen ist nur ein draußen<br />
: es bedarf keines beweises<br />
dabeigewesen zu sein<br />
so mit ohrwurm<br />
lichtpunkt<br />
sepia<br />
34
wolfgang hain<br />
niemand<br />
viele sind inspiriert durch mozart (die schuldigkeit des ersten gebotes), thomas<br />
bernhard (ein fest <strong>für</strong> boris), felix mitterer (ein jedermann), hugo von hoffmannsthal<br />
(jedermann) den weltweiten stumpfsinn <strong>und</strong> zeitgenössische reiz(darm)überflutung.<br />
auch wir (niemand).<br />
allwissenderzähler:<br />
der schöpfer erschöpfte: den löffel<br />
ein sähmann säte: die zwietracht<br />
eins: ist eine nur durch sich selbst teilbare ganze primzahl; monotheistisch <strong>und</strong><br />
widersprüchlich.<br />
zwei: ist eine nur durch sich selbst <strong>und</strong> eins teilbare ganze primzahl; durch<br />
egoismus begründet altruistisch, widersprüchlich.<br />
vier: ist ein vielfaches von zwei; <strong>und</strong> damit die durch solitarität<br />
gekennzeichnete: stimme aus dem off.<br />
null: durch eins, zwei, sowie vielfache teilbare mystische zahl; teilt eins, zwei,<br />
sowie vielfache nur relativ zur unendlichkeit ihres seins.<br />
der löffel: sohn des schöpfers, ein werkzeug<br />
die gabel: stieftochter des schöpfers, einst werkzeug<br />
niemand: kein herr höchstselbst; nirgends<br />
niemand:<br />
allwissenderzähler: weiß alles; sagt aber nur nötigstes<br />
3. BILDNIS:<br />
allwissenderzähler.<br />
ein richterspruch, so hart so recht, rückt wahre ehre gut aus schlecht. ein<br />
richterwort sagt an, was ist. sei’s mohammeds, shivas oder jesu christs.<br />
sähmann.<br />
die akten haben gesprochen.<br />
niemand.<br />
dann bin ich wohl schuldig. (spöttisch) in eurem sinn! im namen der akten! so<br />
soll dieser wahnsinn an mir vorüber geh’n! aber nicht wie ihr es wollt, wie ich<br />
es will, soll es gescheh’n!<br />
(zieht sich sein hemd aus <strong>und</strong> stürzt sich in den baum der bekenntnis, damit in die<br />
unschuldlosigkeit <strong>und</strong> verantwortung. schreit:)<br />
ich bin unschuldlos!!<br />
(von allen seiten tönt’s:)<br />
unschuldlos!<br />
der löffel. (richtet sich auf, die verteidigungsrede anstimmend, räuspert<br />
sich <strong>und</strong> sagt:)<br />
schuldig im sinne der anklage.<br />
der schöpfer. (trägt im ton einer predigt vor:)<br />
siehe – oh niemand (!) – dir habe ich alles samentragende kraut gegeben, das auf der fläche<br />
der ganzen erde ist, <strong>und</strong> jeden baum: du solltest es zur nahrung haben!<br />
35
wolfgang hain<br />
(ans publikum gewandt:)<br />
du aber, hast dich gegen mich gewandt! gegen mich! (pause.)<br />
diese suppe hast du. hast dir selber eingebrockt. selber auszulöffeln. meine rache<br />
wird übel riechen. mit haut <strong>und</strong> haaren werde ich dich verspeisen, wie jeden<br />
anderen, der meine sprache nicht spricht!<br />
(von ringsum hallt es:)<br />
niemand!<br />
allwissenderzähler.<br />
der schöpfer sah, dass es gut war.<br />
die gabel. (tritt herrisch auf.)<br />
wie sehr ich meine herkunft liebe, weiß jedermann. diesen tag aber, an dem<br />
verantwortung mit schuld verwechselt wurde, verfluche ich! verflucht sei dieses<br />
land, verflucht dein wort. lagetodesschlächternot!<br />
allwissenderzähler.<br />
das letzte wort der gabel bleibt unverständlich. es entstammt einer der drei eiligen<br />
sprachen, wie sie in kapitalistischen industriestaaten gerne gesprochen werden.<br />
die gabel.<br />
nicht länger bin ich eure tochter nicht. nie gewesen nicht. selbst in der hölle, dem<br />
andern ort, dem ausland, nicht schlimmer es kann sein! nicht nit ist meine wahl!<br />
niemand soll sie heißen!<br />
(reißt den schöpfer hinfort. schafft sie es?)<br />
niemand. (im kampf um die verantwortung an die gabel gewandt)<br />
lasst mich in eurer gnade schein, der ich niemand (!), nicht christgeist, nicht<br />
bereuend bin, liebe <strong>und</strong> auch sehnsucht sein. ihr seid mein heim, mein heil, mein<br />
licht! <strong>und</strong> fand ich auch die gastfre<strong>und</strong>schaft nicht, in euch sie liegt, gegabelte<br />
dreispaltigkeit, unser frieden sieg heißt unschuldlosigkeit! unschuldlosigkeit!<br />
stumpfsinn, furcht <strong>und</strong> acht, sei ins vergessen gebracht! <strong>und</strong> hinfort mit der<br />
grenze!<br />
hinfort mit dem hass! verantwortung ist kein spaß!<br />
(niemand wird grob abtransportiert von: der löffel. stille. nachdem alle ein wenig in der<br />
gegend herumgeschaut haben, tritt plötzlich allwissenderzähler parteiergreifend<br />
in den mittelpunkt des szenarios <strong>und</strong> ruft:)<br />
die düsternis! die finsternis! packt sie euch! so packt sie euch!<br />
(der löffel missinterpretiert den aufruf von allwissenderzähler, packt die<br />
gabel <strong>und</strong> ersticht sie, mit dem sie definierenden instrument.)<br />
allwissenderzähler.<br />
du hast mich missverstanden!<br />
(die gabel schreit, bevor sie getötet wird)<br />
lieber tot, als migrant in diesem himmelreich!<br />
(<strong>und</strong> flüstert hingebungsvoll)<br />
jedermann ein niemand! überall-all-überall!<br />
(gemeinsames hände–in–unschuld–waschen <strong>und</strong> vorhang.)<br />
36
wolfgang e. eigensinn<br />
A kalggulazzion<br />
Waunn I<br />
Waunn I a gruabn<br />
Waunn I a gruabn grobn miassad<br />
Fia oiszz<br />
Wos mi ozipfdd<br />
Fia oiszz<br />
Wos mi steadd<br />
Waunn I<br />
Waunn I a loch<br />
A gruabn ebn grobn miassad<br />
Fia olle trottln<br />
Wöchane ma mei lebn<br />
So unnedig schwea mochn<br />
Do standdad I<br />
Ned in zwa st<strong>und</strong>d<br />
Ned ibamuaggn<br />
Na<br />
Do standdad I<br />
In a poa wochn<br />
A nu<br />
Do<br />
gnadenlos<br />
DREIEINIGKEIT<br />
Heute ist der Mond<br />
eine Brustwarze<br />
der Himmel ihr Hof<br />
die Welt<br />
eine weiche, r<strong>und</strong>e Frau<br />
Mutter,<br />
Hure<br />
<strong>und</strong> Geliebte<br />
zugleich …<br />
SUCK THE FUCK UP<br />
FUCK THE SUCK UP<br />
sabbakaltscha<br />
sabberkultur<br />
supakaltscha<br />
suppe oder pussi?<br />
(wer hat meine<br />
unterhose?)<br />
EAT UP YOUR<br />
OPOSSUM!<br />
37
wolfgang e. eigensinn<br />
DONAUWELLENDIALEKT – ein Dramolett<br />
Vor ein paar Tagen, weit nach Mitternacht, zu reichlich fortgeschrittener St<strong>und</strong>e. Am<br />
Ufer des Donaukanals, ganz in der Nähe des Anlegeplatzes des schnittigen Schiffes,<br />
welches die Hauptstädte zweier Republiken einander näher bringt, tänzelt, sichtlich<br />
bestgelaunt, ein in Schwarz gekleideter Mensch, mit Schal <strong>und</strong> prächtiger<br />
Haarmähne, der, wie sich nach kurzer Weiterführung eingehender Betrachtung, als<br />
der weithin bekannte, gerne gesehener Gast gehobener Gesellschaften, Haarkünstler<br />
<strong>und</strong> Kolumnist, gegen das herannahende Morgengrauen hin nun deutlicher<br />
abzeichnet <strong>und</strong> als ebendiese Person entpuppt.<br />
Übersprudelnd vor gehobener Laune schmettert diese nun dem anbrechenden Tag<br />
ein aus tiefster Brust hervorgelocktes, volltönendes „Figaro, Figaro, Fi-garo!“<br />
entgegen.<br />
<strong>Die</strong> Fauna des ehemaligen Augebietes nimmt dies als Weckruf auf <strong>und</strong> echot die<br />
Tonfolge als mannigfaltige Variation. Durch die Reaktion der Umwelt (Umgebung)<br />
bestätigt, bestärkt <strong>und</strong> beflügelt, dreht sich das drollige Männlein nun ein paar Mal um<br />
die eigene Achse, mangels vollkommener Körperbeherrschung durch den<br />
angeheiterten Zustand, einen dezenten Schwips, sind die beschriebenen Kreise<br />
jedoch eher unregelmäßig <strong>und</strong> führen den durch die Summe der Eindrücke höchst<br />
inspirierten, morgendlichen Einzelgänger manchmal gefährlich nahe an den Rand der<br />
Mole, so, dass zu be<strong>für</strong>chten ist, eine weitere kleine Unachtsamkeit, ein minimaler<br />
Fehltritt würde unweigerlich zu einer Konfrontation mit den noch recht kühlen, träge<br />
dahin ziehenden, dunkel <strong>und</strong> gespenstisch anmutenden Fluten führen, Gesang <strong>und</strong><br />
Tanz jäh unterbrechen.<br />
Eben da kommen einige Wassermoleküle, noch im Verb<strong>und</strong>, gerade einmal eine<br />
handvoll Wasser, vorbei, welche den langen Weg aus den Ursprüngen der Traun bis<br />
hierher gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> sehen das sich in derartige Gefahr leichtsinnig begebende<br />
Menschenkind. Sie sind rasch einig, dass Handlungsbedarf besteht <strong>und</strong>, um seine<br />
Aufmerksamkeit buhlend, raunen sie dem Maestro zu: er-ICH, er-ICH …<br />
Aus den Tiefen seiner Verklärung hoch tauchend, nimmt er einen tiefen Atemzug der<br />
frischen, morgendlichen Brise, schüttelt sich <strong>und</strong> glaubt, da weit <strong>und</strong> breit keine<br />
Person zu sehen, einer Täuschung erlegen zu sein, doch … da sind die Stimmen<br />
wieder: er-ICH, er-ICH,<br />
<strong>Die</strong>ser, zum Teil konsterniert, zum Teil ungehalten darüber, dass man ihn der<br />
entrückten Stimmung beraubt hat: „Geh, lasst doch den Blödsinn, was wollt ihr<br />
überhaupt von mir?“<br />
Darauf geben diese, ohne ihre Herkunft zu verleugnen, in der ihnen eigenen M<strong>und</strong>art,<br />
die sehr direkte Antwort: „Geh Jo Ham“!<br />
Für den Er-ICH,<br />
38
adnan yahya<br />
geboren 1960 im Wihdat Flüchtlingslager bei Amman. Er studierte<br />
zunächst an der Lehrerakademie <strong>und</strong> später am Institut <strong>für</strong> Bildende<br />
Kunst in Amman. Er lebt <strong>und</strong> arbeitet in seinem Atelier in Amman.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Bilder</strong> Adnans Yahyas schildern nicht spezielle Ereignisse, sondern drücken<br />
Tyrannei <strong>und</strong> Vernichtung aus.<br />
Als besondere Technik gilt seine Verwendung vieler Grau töne, nur diem Farbe des<br />
Blutes <strong>und</strong> der Blumen heben sich ab.<br />
In seinem Werk finden sich zahlreiche Anspielungen auf historische<br />
Strömungen des sozialen Realismus, wie z.B. auf die Arbeiten von<br />
Hyronymus Bosch, Francisco Goya <strong>und</strong> Käthe Kollwitz.<br />
Sowohl die Quellen als auch die Ambitionen von Adnan Yamaya sind von<br />
internationaler Gültigkeit.<br />
www.palestine-art.com<br />
Marta Melcniczuk<br />
Technik Öl auf Leinwand<br />
Bildgröße 120x180<br />
39
adnan yahya<br />
Bildgröße 120 x 200<br />
Technik Öl auf Leinwand<br />
40
khairy hirzalla<br />
Ghaza 3 + 4<br />
41
ernhard erich kaute<br />
gesichterstrom<br />
die gesichter fließen von den schädeln<br />
ein rinnsal bildend auf dem boden der tatsachen<br />
verbinden sich zu einem gefüge<br />
einem homogenen ganzen<br />
ob dies nun genüge sich dahinter zu verschanzen<br />
ein reißender strom aus augen, haut <strong>und</strong> haaren<br />
eine brühe, cremefarben<br />
wenn der einzelne auch versagt<br />
so ist die masse doch unaufhaltbar<br />
die strasse unbegehbar<br />
meine welt wird plötzlich klein<br />
ich schwimme in gesichtern<br />
tausende berührungen<br />
ich habe nie gesagt, dass ich das will<br />
jörg kleemann<br />
DURCH DAS O<br />
hinter die sprache gelangen<br />
in den wortlosen<br />
unbenannten orbit<br />
wo die schockgefrosteten<br />
tagmonde dieses jahrgangs<br />
kopfständisch wurzelschlagen<br />
üben im außenraumschweigen<br />
: von dort zum innenraumlicht<br />
schneeweißer augapfelaufgänge<br />
EINRAUMWOHNUNG<br />
blackbox mit stromkreis<br />
: der phasenprüfer<br />
zeigt ein energiefeld an<br />
: auf dem stuhl<br />
vor dem schreibtisch<br />
mitten in der nacht<br />
42
yvonne höller<br />
Versucht zu...<br />
Mein Kind des Flusses<br />
beugt sich über das Ufer.<br />
Es liegt bäuchlings auf den Steinen.<br />
<strong>Die</strong> blasse Hand baumelt im Wasser.<br />
Seine feuchten Augen weinen.<br />
Sie blicken dem Unfassbaren nach<br />
das zwischen schmalen Fingern zerbricht.<br />
Lebendes Wasser, verunreinigt befleckt...<br />
betrübt die Reinheit meines Lichts.<br />
Das Ekel, herumgrausigend in Tropfen<br />
feuchter Lust, dunkel vom aufgewühlten Gr<strong>und</strong>sand.<br />
Den hat der Sturm einst in die Wogen gesäht.<br />
Heute schwappen Wellen über meinem Kopf zusammen<br />
mit offenem M<strong>und</strong> atme ich schmerzvoll<br />
das Wasser des Lebens in meine Lungen<br />
doch verschmähe das Knirschen des Flusssandes<br />
zwischen meinen Zähnen.<br />
Da liegt mein Kind des Wassers,<br />
liegt allein vor dem Spiegel vertaner Unschuld.<br />
Sie fließt über seine Handballen<br />
verdunstet in der Hitze seiner Sonne<br />
<strong>und</strong> küsst anderswo als Tropfen einem anderen die Stirn.<br />
*_Ich kann es nicht_*<br />
Man schreibt kaum wirklich<br />
über sich<br />
denn liest man sein Sein<br />
dann erkennt man<br />
wie das ist,<br />
wenn man ich ist.<br />
Ich sage dir nicht,<br />
ich bin manchmal man,<br />
weil ich mich nicht ertrage.<br />
Dir zu sagen, ich sei das,<br />
wäre nicht gut <strong>für</strong> dich.<br />
Du verlörest die Hoffnung,<br />
ich könnte dir helfen.<br />
Ich kann dir nichts zeigen.<br />
Aber man kann es<br />
wenn du dich manchmal<br />
von mir täuschen lässt.<br />
43
klaas klaasen<br />
<strong>Die</strong> Welt ist r<strong>und</strong><br />
Meine erste Erinnerung ist, dass ich unter dem Tisch lag. Braune Höschen <strong>und</strong><br />
hungrige Strumpfhosen, gelöchert wie ein Schweizer Käse, sahen mich betäubt an<br />
<strong>und</strong> ich griff nach ihnen. Ein Tritt ins Auge <strong>und</strong> meine erste Erinnerung war dahin.<br />
Irgendwer zog mich aus der Fischdose <strong>und</strong> stellte mich kerzengerade in eine<br />
Mülltonne. Natürlich stand ich nicht lange <strong>und</strong> fiel der Länge nach mit meiner Tonne<br />
zu Boden <strong>und</strong> rollte nun bergab ins Nachbardorf. Da lag ich dann, wiederum einige<br />
St<strong>und</strong>en herum. Mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, dass ich als<br />
Saftspritzer in einer Bar meinen ersten Austausch mit einer Vollbusigen hatte. Erna,<br />
so hieß sie. Konnte nicht genug von mir kriegen. Sie leckte mich auch dann ab wenn<br />
ich angezogen war. Reinigung <strong>für</strong> meine Kleider konnte ich mir zu dieser <strong>Zeit</strong> sparen.<br />
Sie leckte einfach alles sauber. Ich wollte die Welt bereisen, sie totquatschen mit<br />
meinen Gedanken <strong>und</strong> ein berühmter Schriftsteller werden. Aber es kommt immer<br />
anders als man denkt. Gelandet bin ich im Obstgeschäft. Morgens um halb drei die<br />
Brummis von ihrem Gemüse <strong>und</strong> Obst befreien. Harte Arbeit. Dann gegen 5 Uhr<br />
kamen die Händler. Feilschten hier <strong>und</strong> da <strong>und</strong> zogen wieder von dannen.<br />
Aufräumen, auskehren <strong>und</strong> das faule Obst <strong>und</strong> Gemüse kannst du dann mitnehmen.<br />
Ein Fünfziger <strong>für</strong> 7 St<strong>und</strong>en Arbeit. So hatte ich mir das aber nicht vorgestellt. Mit dem<br />
Fünfziger ging ich auf die Zeil <strong>und</strong> lungerte so herum. Schrieb meinen Kopf voll <strong>und</strong><br />
nach dem Absturz waren die genialen Zeilen wieder verschw<strong>und</strong>en. Am nächsten<br />
Morgen das gleiche Spiel. Irgendwann dann kratzte ich Platten. Ging nach Darmstadt<br />
<strong>und</strong> arbeitet in der ”Nachtschicht” als DJ. <strong>Die</strong> hatten mich gerne <strong>und</strong> schon bald<br />
kamen sie von überall her, nur um mich zu sehen. <strong>Die</strong> Superschlangen gaben mir<br />
einen Wodka Tonic nach dem anderen aus <strong>und</strong> anschließend fuhr ich meine eroberte<br />
wie Kieselsteine einige Meter den Berg hinunter. Sie flog bei <strong>Zeit</strong>en aus dem Wagen<br />
<strong>und</strong> kam mit einer kleinen Prellung am Kopf davon. Ich saß eingeklemmt hinterm<br />
Lenkrad <strong>und</strong> schlief erst einmal meinen Rausch aus. Ute hieß sie die Gute. Haben<br />
uns aber nie wieder gesehen. Tagsüber war ich Stammgast im Sportcafe <strong>und</strong><br />
verliebte mich unsterblich in Claudia. Sieben Monate musste ich warten bis sie mich<br />
ran ließ. Zuvor musste ich erst ihre Eltern kennen lernen. <strong>Die</strong> zeigten mir dann ihren<br />
Schatz. Goldbarren im Wert von einigen tausend Mark. Da waren die richtig stolz<br />
drauf. Dann mussten wir alle zusammen, Vater, Mutter Tochter <strong>und</strong> ich uns ihre<br />
Sexfilme ansehen. Dachte, ich steh im Walde. So was Verrücktes. Ich fuhr einen alten<br />
Simca. Ich war gerade 16 <strong>und</strong> hatte noch keinen Führerschein .Der Wagen rasselte<br />
wie blöd <strong>und</strong> ich dachte schon ?Scheiße, mit der Karre schaffe ich es nicht mehr bis<br />
zu ihr nach Hause.“ So war’s dann auch. <strong>Die</strong> restlichen Kilometer mussten wir durch<br />
den Wald tappen. <strong>Die</strong> gruselige Stimmung törnte sie scheinbar an <strong>und</strong> sie hüpfte auf<br />
mich drauf. Ich dachte nur an das Getier unter mir <strong>und</strong> war so gar nicht sexbereit.<br />
Aber irgendwie kam sie zum Ende <strong>und</strong> mir war klar, der heiße Draht war kalt<br />
geworden. Hatte einfach nicht gefunkt. Trotzdem, versuchten wir uns einzureden es<br />
sei Liebe. Vergessen habe ich sie nie. Denke heute noch an sie. Wieso <strong>und</strong> warum ist<br />
mir schleierhaft. Vielleicht weil sie so bildhübsch <strong>und</strong> verdorben war. Ich verließ<br />
Darmstadt <strong>und</strong> fing als DJ im Dorian Gray, Frankfurter Flughafen an. Das ist aber eine<br />
andere Geschichte.<br />
44
khairy hirzalla<br />
marion heidinger<br />
Ghaza 1<br />
45
sophie sumburane<br />
Ich bin so glücklich<br />
“Ich bin so glücklich!” dachte das junge Mädchen.<br />
Und das war sie auch. Denn sie gehörte zu denen, die zur Schule gingen.<br />
Mit Stolz trug sie ihre Uniform auch auf dem Weg nach Haus.<br />
Sie mochte die Farben. Eine weinrote Hose, oder einen Rock konnte sie tragen, dazu<br />
eine Krawatte in der gleichen Farbe. <strong>Die</strong> Bluse war weiß, der Stoff so dünn, dass er<br />
leicht durchsichtig war, doch das störte sie nicht. Sie trug einfach ein anderes Top<br />
darunter. Auf der linken Brusttasche war in der Farbe der Hose der Name ihrer Schule<br />
aufgedruckt.<br />
Sie war stolz die Uniform tragen zu dürfen. In die Schule gehen zu dürfen. Sie liebte<br />
den Unterricht, lernte fleißig <strong>und</strong> viel, denn sie wusste, gerade als Frau bist du nichts<br />
wert, in einem Land voller Armut, wenn du nicht gebildet bist.<br />
Doch sie wollte etwas wert sein. Sie wollte etwas gelten in ihrer Gesellschaft, etwas<br />
bewegen, die Armut bekämpfen <strong>und</strong> die Politik verbessern. Sie träumte davon, einmal<br />
in die Politik zu gehen. Mitreden, Kämpfen, besser machen.<br />
Ihre Fre<strong>und</strong>e lachten sie aus.<br />
Du bist eine Frau!<br />
Sie wäre nicht die erste afrikanische Frau!<br />
Sie war so glücklich, mit jedem Tag ihrem Ziel näher zu kommen. Mit jedem bisschen<br />
Wissen das sie aufnahm fühlte sich sich sicherer in ihrem Traum.<br />
<strong>Die</strong> Tasche auf dem Rücken verließ sie die Schule <strong>und</strong> machte sich zu Fuß auf den<br />
sieben Kilometer langen Heimweg. Den Bus konnte sie sich nicht leisten. Doch das<br />
machte ihr nichts. Während sie ging lernte sie Gedichte auswendig oder sprach<br />
Vokabeln vor sich her. Keine Sek<strong>und</strong>e ihres Lebens sollte verschwendet werden.<br />
So ging sie nach Hause, nahm ihre Umwelt kaum wahr, in Gedanken verloren, bis die<br />
Stimme ihrer Mutter sie weckte.<br />
„Nimm deine Schwester <strong>und</strong> geh.“, wies sie sie an <strong>und</strong> ging zurück zu ihrer Wäsche.<br />
Wie jeden Tag.<br />
Das junge Mädchen, sie war kaum sechzehn, ließ ihre Tasche auf den Boden fallen,<br />
holte sich zwei afrikanische Stoffe, die man hier Capulana nannte <strong>und</strong> schlang sich<br />
den ersten um die Hüfte. Mit einer Sicherheitsnadel festgesteckt, damit nichts<br />
rutschte, ging sie hinaus <strong>und</strong> hob ihre kleine Schwester auf, die vor dem Haus auf<br />
dem Boden mit zwei Steinen gespielt hatte. Sie war noch ein Baby. Gekonnt legte sie<br />
sich das Mädchen auf den Rücken, wobei sie sich vorbeugte <strong>und</strong> fast gleichzeitig den<br />
zweiten Capulana um das Kind herum schlang. Fest unter dem kleinen Po, die Beine<br />
kamen links <strong>und</strong> rechts an ihrem Körper vorbei, richtete sie sich wieder auf. Ein Ende<br />
des Stoffes zog sie über ihre Schulter, das andere um ihre Taille <strong>und</strong> verknotete es<br />
vor der Brust.<br />
Nun fehlte nur noch das Kopftuch, welches sie sich von der Leine nahm <strong>und</strong> damit<br />
ihre Haare <strong>und</strong> Schultern verdeckte. Sie wollte nicht, dass man sie erkannte.<br />
Sie sollte so glücklich sein, denn sie geht ja zur Schule. Dachte das junge Mädchen<br />
als es mit ihrer Schwester auf dem Rücken an einer Ampelkreuzung stand. Mit<br />
leidigem Gesicht ging sie bei rot auf der Straße von Auto zu Auto, hielt die Hand auf<br />
<strong>und</strong> bettelte um Geld. Bettelte bei denen, die es nicht nötig hatten. <strong>Die</strong> schon ihre<br />
Schulbildung hatten. Schon etwas wert waren in diesem Land. Darunter waren auch<br />
viele Frauen.<br />
Sie sollte glücklich sein. Glücklich, dass sie genug Geld erbetteln konnte um in die<br />
Schule zu gehen.<br />
Um irgendwann nicht mehr betteln zu müssen. Um irgendwann denen die betteln ein<br />
glänzendes Geldstück in die Hände zu legen <strong>und</strong> zu sagen, geh zur Schule. Denn du<br />
solltest so glücklich sein, wie ich es bin!<br />
46
0rüdiger saß<br />
Der Unantastbare<br />
I.<br />
Ranft Freiherr von Sinnsturz, buchentsprungener Bettelbube, ein Verfaulender mit Maden<br />
<strong>und</strong> Würmern in den Waden, ein Asselgespenst, dessen Schmutzrunzeln das Fürchten<br />
lehren, dessen Gesichtsgeschwüre aber das Fauchen, das Frieren, Gruseln <strong>und</strong> Laufen,<br />
ein Saufhans <strong>und</strong> Tollhäusler, der sich in jahrzehntelanger Kleinarbeit um Leber <strong>und</strong> Hirn<br />
gesoffen hat, ein Denkwerk, das er nie benutzte, das sich in Schmerz <strong>und</strong> Schnaps<br />
aufgelöst hat; Freiherr von Sinnsturz, ein Töner <strong>und</strong> Trompeter, ein Kapricenkapitän, der<br />
jede Schamschwelle überflutet, ein Flegeleiathlet, der alle Peinlichkeitsbarrieren<br />
überspringt; ein Sabbergeselle, dessen Schlürfen, dessen Schlappern <strong>und</strong> Schmatzen<br />
dermaßen die Sinne säuern, daß Menschen <strong>und</strong> Tiere, belebte <strong>und</strong> unbelebte Natur sich<br />
vor Ekel winden, wanken <strong>und</strong> würgen.<br />
Um die Mittagszeit eines halb besonnten Wochentags, als alle Arbeitsstiere zum<br />
Futtertrog trotten, als allerhand Sklavenvolk wogt <strong>und</strong> wallt, da hebt sich Sinnsturz aus<br />
seinem toten Winkel heraus. Der Raubritter schlurft in die Fußgängerzone. Kaum hat er<br />
seine Bühne betreten, beginnt er zu schallen, zu schollen <strong>und</strong> zu schellen: „Gebt mir zu<br />
essen! Ich habe Hunger. Und zu trinken. Ich will trinken, hört Ihr! Meine Kehle brüllt nach<br />
Schnaps, mein Bauch nach Bier, <strong>und</strong> meine Nieren verlangen Wein. Ich will Schnaps <strong>und</strong><br />
Bier <strong>und</strong> Wein. Auf der Stelle! Hierhin. Und wenn ich satt bin <strong>und</strong> keinen Durst mehr habe,<br />
dann sollt Ihr mich betten. Bringt mich zu Bett! Bettet den Bettler. Und legt mir eine Frau<br />
bei, eine dicke, feiste Frau mit breitem Becken. Seid gut zu mir! Gebt mir, was mir zusteht!<br />
Behandelt mich, wie ich es verdiene, wie eine durchleuchtete Hoheit.“<br />
Alkoholstürme schütteln den Saufaus. Dabei kratzt er sich den Schorf einer Kopfw<strong>und</strong>e<br />
auf. Blutbäche rinnen über die Stirn, sie rieseln die Nasenflügel entlang, zwischen<br />
zerrissene Lippen <strong>und</strong> vom Stoppelkinn auf den Schmierbauch. Dort versickert das<br />
Weinrot im Krustenpulli. Das geschieht, ohne daß sich der Asselartige unterbricht. Seine<br />
Traktorstimme kräht <strong>und</strong> kratzt: „Ich will essen, gebt mir zu essen!“<br />
Seine Rede richtet der Tollhäusler an Tausende <strong>und</strong> Abertausende Passivpassanten.<br />
Niemand hört dem Grindigen zu, dem Eiternden <strong>und</strong> Skrofeligen, dem Stinkstein,<br />
niemand, der seinen Schlenderschritt verlangsamt, niemand, der stehenbleibt <strong>und</strong><br />
mitleidet. „Ich will Fleisch, ein kurzgebratenes Steak mit Zwiebeln, buttergesottene<br />
Zwiebeln, her mit Schweinesteak <strong>und</strong> ganzen Champignons, erste Wahl, dazu Kartoffeln<br />
<strong>und</strong> Petersilie. Das will ich. Gebt mir, was ich will, <strong>und</strong> was ich brauche! Ich habe Hunger.<br />
Hunger hab’ ich, hört Ihr? Und Wein dazu, einen 61er Margaux. Ja“, schmatzt Sinnsturz,<br />
Speichelblasen vor dem Madenm<strong>und</strong>. Der Bettelaristokrat schließt seine Augen, er legt<br />
den Kopf in den Nacken <strong>und</strong> schnüffelt, als ob er Edelrebentropfen koste.<br />
Lärmorchester spielen auf, Geräuschwinde mit Orkangewalt, mit Sturmlautstärke. Den<br />
Verfaulenden umbrausen Menschen <strong>und</strong> Maschinen, Ameisenmenschen, die in alle<br />
Richtungen zugleich streben, irgendwohin, irgendwoher. Es ist ein Kommen <strong>und</strong> Gehen,<br />
ein Hetzen, Rennen <strong>und</strong> Rauschen. Doch den Freiherrn ficht das nicht an. Er greift einen<br />
Strauchler am Kragen. Der Angewiderte entwindet sich <strong>und</strong> schwindet im mitreißenden<br />
Fußgängerfluß. Ranft Freiherr von Sinnsturz steht allein. Der Alkoholentstellte entleert<br />
sich vor aller Welt. Es spritzt <strong>und</strong> sprüht aus allen Körperöffnungen. Dann schreit er, daß<br />
er müde sei <strong>und</strong> ruhen wolle. „Bringt mir ein Bett! Stellt Lakaien zu beiden Seiten! Morgen<br />
dürft Ihr mich zu meinem Thron geleiten, auf daß ich euch regiere.“<br />
Der Grätzköpfige gerät außer sich. Er nestelt einen schwarzen Bruchnagel aus der Hose.<br />
Dann stellt er sich einer Angstoma in den Weg <strong>und</strong> schrillt: „Saug! Los, wird’s bald! Ich<br />
hab’s nötig.“ Angstopa zieht Angstoma mit sich fort. Der Volksstrom schluckt sie wie ein<br />
Ozean die Regentropfen. „Ficken will ich!“ schreit es aus dem Wahnverzerrten, aus<br />
seinem Asselantlitz heraus. „Gebt mir ein Loch, das ich stopfen kann! Ich ficke <strong>für</strong> mein<br />
Leben gern...“<br />
Der Zerfressene, der Himmelhochstinkende besonnt sich. Dann fährt er fort: „Davor will<br />
ich essen. Ich habe Hunger <strong>und</strong> Durst. Mein Magen knurrt wie ein Wolf. Hört Ihr? Hört<br />
mich! Hört endlich auf, nur euch <strong>und</strong> auf euch selbst zu hören! Das führt ins Nichts.<br />
47
üdiger saß<br />
Gebt mir einen Knochen, bevor ich euch benage. Reicht mir ein Steak, außen rußig, innen<br />
rohrot. Dazu einen Wein. Einen 37er Sauterne. Schnell, schnell! Mich dürstet. Habt Ihr<br />
keine Augen?“ sabbert der Sinnstürzer. Der Freiherr streckt seinen M<strong>und</strong>lappen in die<br />
Welt hinaus. „Seht her, sage ich! Ich habe Hunger. Seht mich an, vedammt nochmal!“<br />
Ranft stampft auf. Dabei verliert der Verfaulende das Gleichgewicht, er stürzt <strong>und</strong> bleibt<br />
liegen.<br />
Es tönt <strong>und</strong> tost, es schnauft <strong>und</strong> schnaubt um den Gefallenen herum. Er liegt da wie eine<br />
Insel der Not, wie ein Eiland der Verzweiflung in einem Meer aus gleichgültiger<br />
Geschäftigkeit. Maschinen <strong>und</strong> Bauchbürger wogen hin <strong>und</strong> her, her <strong>und</strong> hin, sie branden<br />
auf <strong>und</strong> ab. Ein Mädchen im Alter eines Engels, mit Engelsgesicht <strong>und</strong> von Engelsgestalt,<br />
dieses Mädchen besinnt sich. Sie löst sich aus der Obhut ihrer Mutter. Dann legt sie ihr<br />
angebissenes Gebäck vor den Schläfer in den Staub.<br />
II.<br />
Als Ranft Freiherr von Sinnsturz aufwacht, ist es Abend. Es ist der Abend eines halb<br />
besonnten Wochentags, ein Abend, da alle Arbeitsstiere zu ihren Heimatkoppeln trotteln,<br />
eine ausgelaufene <strong>Zeit</strong>konserve, um die allerhand Konsumvolk umherwirbelt,<br />
Schnellwelkgewächse, die von der Strömung mitgerissen werden. Der Freiherr sieht<br />
neben sich die Leiche eines zertretenen Gebäcks liegen. Dann erhebt er sich aus seinem<br />
Elend <strong>und</strong> brüllt: „Tötet mich! Schenkt mir eine Kugel!“ Leise, mit sich selbst redend, fügt<br />
er hinzu: „Das ist besser, als zu verhungern.“ Plötzlich bricht aus dem Grabrandtänzer ein<br />
Wortvulkan hervor. Er wirft heiße Lava über eine kalte Menschenmasse aus. „Warum laßt<br />
Ihr mich verhungern?“ schrillt der Schreihals. Niemand hört den Hilferuf des<br />
Schiffbrüchigen, niemand, der stehenbleibt <strong>und</strong> ihn vor dem Ertrinken rettet. „Ihr<br />
Leiseschleicher!“ schimpft der Übersäuerte. „Habt Ihr Angst vor mir? Oder <strong>für</strong>chtet Ihr<br />
meine Haustiere?“ Der Blutschreier kratzt sich seinen Körper, eine W<strong>und</strong>enweide, die von<br />
einer Juckreizbrandung überschwemmt wird. „Wenn Ihr wollt“, giftet der Tollhäusler, „dann<br />
vergiftet mich!“<br />
Sinnstörzer Sinnsturz schwankt. Dann wankt er die Wendeltreppe in sein Innerstes hinab.<br />
Dort beleuchtet er sein Gemüt. Der Freiherr folgt Vergangenheitspfade. Vor einer<br />
Vorortvilla bleibt er stehen. Darin sieht er sich <strong>und</strong> seine Familie. Sein altes Ich wiegt sich<br />
in Sicherheit, eine Selbstsicherheit, die auf Goldkissen gebettet ist. „Rechenhaftigkeit“,<br />
brabbelt der Bettler vor sich hin, „Bilanzieren. Bewerten sämtlicher Lebenserscheinungen:<br />
nach Kosten, Nutzen <strong>und</strong> Gewinn. Das ist Krämerei, Krämerherrschaft in einer<br />
Krämergesellschaft, in einer Krämerwelt.“ Der Morastmensch schüttelt seinen Schädel wie<br />
ein Federbett. Er fegt alle Erinnerungen, alle noch so kleinen Fetzen aus der Gedächtnuß:<br />
Vorortvillen, Gewinnergrinsen, Familienidylle. „Tötet mich!“ schallt der Schaller, von<br />
Zornstürmen geschüttelt. „Tötet mich, Ihr Krämer, allein schaff’ ich’ s nicht so schnell.“<br />
Ein Kopf taucht aus dem Menschenmeer auf, ein Klotzkopf. Es ist Groschentrine, die<br />
Unförmige. Sie schwimmt gegen den Strom, sie schwimmt zu einer Insel, zu Ranft<br />
Freiherr von Sinnsturz. „Warum schreist du?“ schreit das Groschenweib. „Halt’s Maul!“<br />
echot der Großgrollende <strong>und</strong> „Verpiß dich! Das ist mein Arbeitsplatz. Hau ab! Du verdirbst<br />
mir das Geschäft.“ Nikotinschnuller <strong>und</strong> Feuerwasser besänftigen den Geiferer,<br />
Löschwasser gegen die Gluthitze im Kopf, gegen die Krämpfe in den Eingeweiden.<br />
Nachdem sie den Freiherrn beruhigt hat, schreitet die Unförmige zur<br />
Scheiterkönigskrönung. Sie öffnet eine Plastiktüte mit der Aufschrift „Pandora“. Daraus<br />
blitzt ein Dolch hervor, eine zischende Stahlschlange, die sie dem Sinnsturz in den<br />
Rücken rammt. Danach schneidet sie dem Opfer das noch schlagende Herz aus der<br />
Brust. Sie schlägt es ihm zweimal um den M<strong>und</strong>, bevor sie es verschlingt. Niemand nimmt<br />
davon Notiz, es rührt sich keine Neugier, kein Aufschrei, kein Schrecken, kein Entsetzen.<br />
<strong>Die</strong> Augen der Menschen sind nur äußerlich nach außen gerichtet. Ihr Blick richtet sich<br />
nach innen. Sie sehen nur sich selbst, sie sehen auf eine Wand hinter den Netzhäuten,<br />
auf eine Wand voller Wünsche <strong>und</strong> Sorgenzettel. Groschentrine plündert den Bettler bis<br />
auf die Knochen aus. Doch ihr Magen knurrt wie ein unzufriedener Gott, wie ein Löwe, der<br />
immer mehr verlangt. Er zwingt die Unförmige auf die Beine, er zwingt sie, ihren M<strong>und</strong>,<br />
eine Müllkippe, zu öffnen <strong>und</strong> zu brüllen: „Ich habe Hunger. Gebt mir zu essen!“<br />
48
christine engel<br />
<strong>Die</strong> Sonnentöchter<br />
oder „Ein wiedergef<strong>und</strong>enes Paradies“<br />
Eine tiefenpsychologische Beobachtung von Christine Engel<br />
<strong>Die</strong> Sonnentochter Prinzessin Sonnenschein, erlebt ihre Umwelt als gefühllos, kalt<br />
<strong>und</strong> unfruchtbar <strong>und</strong> macht sich Gedanken, wie dem Abhilfe zu leisten wäre. Eine<br />
Begegnung mit einem Mann, dem<br />
Prinzen Diamant, ein Sohn des<br />
Mondes, ermuntert sie den<br />
gefährlichen Weg durch die Unterwelt<br />
zu gehen. <strong>Die</strong> Ansichten <strong>und</strong> Ziele<br />
dieses Mannes decken sich mit den<br />
Ihrigen, er ist jedoch zu Beginn der<br />
Geschichte handlungsunfähig, so dass<br />
sie ihm helfen will.<br />
Auf ihrem Weg hat sie viele Gefahren<br />
zu bestehen <strong>und</strong> mehr als einmal gerät<br />
sie dabei in höchste Lebensgefahr.<br />
Getragen von der Energie der Liebe<br />
<strong>und</strong> unter Mithilfe ihrer Röcke, welche<br />
den Mythos der großen Muttergöttin<br />
aufgreifen, gelingt es ihr zum Schluss<br />
im Reigen mit anderen Sonnentöchtern<br />
den geliebten Prinzen zu<br />
befreien <strong>und</strong> ein Königreich zu<br />
gründen – das ewige Königreich der<br />
Liebe <strong>und</strong> Fruchtbarkeit, das<br />
wiedergef<strong>und</strong>ene Paradies.<br />
Christine Engel ist es gelungen, eine<br />
sehr f<strong>und</strong>ierte psycholgische Interpretation<br />
zu diesem Märchen zu<br />
verfassen, in der sie die verschiedenen<br />
Komponenten, übertragbar auf unsere<br />
schnelllebige Gesellschaft, den Konsumzwang, der sich ebenfalls in Beziehungen<br />
spiegelt, scharfsinnig seziert <strong>und</strong> dem interessierten Leser näher bringt.<br />
Es wird deutlich, dass letzten Endes immer die Weisheit <strong>und</strong> die Liebe relevant sind,<br />
in Mann – Frau Beziehungen, wie überall in unserem täglichen Leben.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Bilder</strong> des Märchens werden intellektuell erfasst, auf ihre tatsächliche Bedeutung<br />
zurücktransformiert, werden sichtbar. Strukturen des Menschseins, des<br />
Gesellschaftskonfomismusses geben sich zu erkennen.<br />
....die Große Mutter...Du trägst sie in dir, eine noch im Werden begriffene weise Frau,<br />
die das scheinbar Unlogische, aber äußerst Nützliche sowie die großen Fähigkeiten<br />
der tiefen Psyche miteinander verknüpft.<br />
Clarissa Pinkola Estés<br />
Erhältlich in allen Buchhandlungen, bei Amazaon, Libri der Autorin <strong>und</strong> beim <strong>Verlag</strong><br />
<strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong> Mail: <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong>@aol.com<br />
Pages: www.sonnentoechter.de , www.tdtextdesign.org<br />
Das Buch wird mit beigefügter Märchen-Hör-CD ausgeliefert.<br />
49
csaba kocsis<br />
(partly)<br />
12X12 Sentences about Friendship<br />
translated from the Hungarian by Paul Sohar<br />
I lost two friends within one year.<br />
One of them died, but his presence still haunts me.<br />
The temple of heavens cannot be far.<br />
Lajos Körmendi is here beside me.<br />
I hear, or seem to hear him advising me.<br />
I try to live by his wisdom and moderation.<br />
There was also someone else in my life.<br />
He said: “I’m your friend”.<br />
He’s still alive but dead for me.<br />
Who’s there for me to talk to?<br />
I’m alone.<br />
“Alone?” asked God as I was trudging home alone.<br />
I too was a child once and an introverted teenager.<br />
When I got hurt, I felt like running away from home.<br />
But I didn’t; it could have hurt my parents.<br />
I didn’t want to cause them pain.<br />
Now I’m a grownup, a grownup again.<br />
My worries are multiplying.<br />
I’ve thought about taking my life.<br />
Taking a fistful of sleeping pills.<br />
Jumping off a high floor.<br />
Driving my tiny Trabant into an eighteen-wheeler.<br />
But I didn’t want to cause pain to my loved ones.<br />
“And did you think of me?” asked God.<br />
Friendship is essential, but at what price?<br />
Every contact I’ve made was hot-wired.<br />
My soul was on fire in love as well as in friendship.<br />
Without glowing embers they’re just a game, playacting.<br />
As a grownup I’m more bashful and careful.<br />
I weigh my choices.<br />
Who is important and why?<br />
I humble myself if I’ve hurt anyone.<br />
I confess my sins to God.<br />
They’re teeming like pimples.<br />
It wasn’t the Lord, but Satan who cursed Job with warts.<br />
Give me wisdom, Lord, so that I can distance myself from evil! …<br />
50
waltraud weiß<br />
Menschen<br />
Aller Art<br />
Lächeln<br />
Mich an.<br />
Warum<br />
Frage ich<br />
Mein Spiegelbild.<br />
Es lächelt!<br />
martin schlosser<br />
Nacht am Meer<br />
Wenn Wellen an das Ufer schlagen,<br />
der Sturm die Flut heraufbeschwört,<br />
die Wogen Mächte mit sich tragen,<br />
der Klang des Meeres mich betört.<br />
Dann denke ich an meine Seele,<br />
vergleiche sie mit einem Meer,<br />
ein salz'ger Tropfen in der Kehle,<br />
kam mit dem letzten Stoß daher.<br />
thom delißen<br />
auf<br />
auf!<br />
wind des seins!<br />
fahr mir in die flügel<br />
umhülle leicht<br />
mein ich<br />
ich will<br />
nun fordre<br />
mich<br />
zu schweben<br />
über hügel<br />
seicht<br />
durch Lotusblütenduft<br />
durchs leben<br />
51
monika kafka<br />
translated by thom delißen<br />
Grandfathers<br />
The one carried his cross<br />
painted in red (they told me)<br />
not only up to Stalingrad<br />
Fare away from Hippokrates<br />
broken since a long time<br />
The baton of Aeskulap<br />
healing sipperd in the snow<br />
(how does his stringplay so<strong>und</strong>s then?)<br />
The other one escaped<br />
for the time being<br />
Between drawing-board and machine-dreams<br />
an assembly line pushed<br />
Bombs<br />
not only ink –<br />
A crowded miss<strong>und</strong>erstanding<br />
(history – they told us later)<br />
finally carried him away<br />
forever<br />
behind discarded frontiers<br />
into the new brotherland<br />
full of dark snow<br />
Fathers<br />
so they both were great<br />
only leaves the question<br />
what would they have been telling me?<br />
departure<br />
reshaped<br />
the thoughts<br />
the feet<br />
and the heart<br />
bleeding<br />
frontierexperience<br />
Behind the barrier<br />
wind in the air<br />
made of lead<br />
In the glaring light of the spots<br />
The field is breathing<br />
Fear<br />
Even craws<br />
take their heels<br />
Barbed wire drills<br />
into the heart<br />
Along the trail<br />
crouches hope<br />
blind<br />
in the grass<br />
Armed<br />
with guttural voice<br />
milkface asks:<br />
”Have you got a god cigarette?”<br />
In the shine of his eyes<br />
the night<br />
planted her stars …<br />
it was bad to lay on the pebbles<br />
too conform<br />
too hard<br />
too black<br />
and even<br />
a trace is left<br />
far down<br />
the waiting woods<br />
52
mayrose sentimilla<br />
A phillipinian Girl-dream<br />
The Pain Inside<br />
The memories are still in my mind<br />
The day you say hello and that moment u say goodbye<br />
I knew it should never be in this way,<br />
but what can i do is just to face this mystery.<br />
Happiness is what i felt when i met you<br />
Contentment is what i have when im with you<br />
I have it all,worthy to treasure<br />
'coz all u have given to me is a pleasure.<br />
But time has come f0r you to go<br />
Somewhere down the road I may just know<br />
Saying goodbye is not that easy,<br />
Seeing u leave makes my life unworthy.<br />
How? How can i cure the pain?<br />
I dont even know if you'll come back again<br />
All i have to do is to wait f0r you<br />
and aspire that u will l0ve me too.<br />
I've waited for you every second of my life<br />
I pray for u not just in night<br />
i've cried for u more than a h<strong>und</strong>red times<br />
and i will caress u for the rest of my life.<br />
marion heidinger<br />
haucht der wind<br />
die Blätter weiß<br />
geht die Glut<br />
der Hitze unter<br />
in der Kälte der Tage<br />
wird das Licht<br />
des Tages<br />
sich verdunkeln<br />
dann leuchtet<br />
der Mond<br />
in der Kälte<br />
seine Antlitzes.<br />
53
thom delißen<br />
<strong>Die</strong> Halterin<br />
<strong>Die</strong> seltsame Kraft spürte Melody das erste Mal einen Tag nach dem großen Beben.<br />
Sie hatte tief geschlafen <strong>und</strong> geträumt, es würden sich Risse in der Wand des<br />
Schlafraumes auftun, spürte ganz intensiv ein erstaunliches Rütteln <strong>und</strong> Schütteln,<br />
sah wie das komplette Haus wie im Tanz auf <strong>und</strong> wieder hinunter hüpfte.<br />
Als sie erwachte lag sie, bis hin zur Taille mit großen Mauerstücken bedeckt, in einem<br />
finsteren Hohlraum, der ihr gerade genug Platz zum atmen ließ.<br />
Ihr Alb hatte sich in Wirklichkeit gewandelt.<br />
Anfangs war es lediglich ein leichtes Ziehen in den Händen, dass jedoch schnell<br />
Verbreitung in ihrem Körper fand, die Arme zu den Schultern hinaufschlich, über die<br />
Nackenmuskulatur den Rücken hinab wanderte um schließlich ihre Beine <strong>und</strong> Füße<br />
erreichte.<br />
Ein angenehmes, prickelndes Gefühl. Als etwa eine St<strong>und</strong>e vergangen war, bewegte<br />
sie probeweise ihre Füße, spannte die Muskeln ihrer Waden, die der dünnen<br />
Oberschenkel. Tatsächlich fühlte sie, wie die Gesteinsbrocken nachgaben, spürte wie<br />
die Mauerreste, nahezu explodierend, von ihr fort strebten, das Blut in ihren<br />
gequetschten Adern wieder zu rinnen begann.<br />
Mit äußerst ungewöhnlicher Leichtigkeit, das empfand sie selber, gelang es ihr, sich<br />
vollkommen aus der Umarmung des eingestürzten Elternhauses zu befreien, räumte<br />
sie mühelos schwere Trümmer zur Seite, wühlte sich behände durch Schuttmassen,<br />
bis sie endlich einen fahlen Lichtschein erkannte. Sie stieß einen letzten Stein zur<br />
Seite <strong>und</strong> kletterte an die seltsam süßlich riechende Luft im Freien.<br />
Rings um sie Zerstörung, Menschen mit bizarr verrenkten Gliedmaßen, die<br />
regungslos, teilweise nur der Torso oder aber die Beine sichtbar, vor den Häusern<br />
<strong>und</strong> auch in den Trümmern lagen.<br />
Ihre Mutter erkannte sie nur an dem geblümten Kleid, dass sie noch vor kurzer <strong>Zeit</strong><br />
mit ruhiger Hand genäht hatte. Der Stoff billig, hatte die gesamte Familie Kleidung in<br />
demselben Muster von ihr erhalten.<br />
Auch Vater lag dort, er sah eigenartig friedlich aus, die Verw<strong>und</strong>erung schien in<br />
seinen Gesichtszügen eingefroren.<br />
Auch ihr Schwesterlein ruhte auf einem Handtuch, den Kopf im Schoß der Mutter, als<br />
versuche sie, dorthin zu fliehen.<br />
Ihre Beine schienen Melody seltsam flach, einer ihrer Arme lag etwa zwanzig<br />
Zentimeter entfernt neben ihr.<br />
Den Bruder konnte sie nicht entdecken.<br />
Dann sah sie die Nachbarin, den Kopf in ein blutverschmiertes Hemd gewickelt,<br />
lamentierend auf sich zukommen, wurde gestreichelt <strong>und</strong> umarmt.<br />
Sie bat um ein wenig Wasser, denn ihr Durst schien unendlich groß.<br />
Niemand konnte ihr welches anbieten.<br />
Auf der Suche nach ein wenig Flüssigkeit wanderte sie an eingestürzten Häuserzeilen<br />
vorbei, an Bewohnern jeden Alters, allesamt mit einem Ausdruck der Verzweiflung<br />
<strong>und</strong> viele von ihnen mit Tränen im Gesicht. Etwas, dass sie nie zuvor erlebt hatte.<br />
In den Trümmern der eingestürzten Wohnräume des Elendsviertels von Port au<br />
Prince erblickte sie verzweifelt wühlende Menschen. Immer wieder Leichen, zum Teil<br />
bereits unförmig aufgebläht, die schwülheiße Luft roch <strong>und</strong>efinierbar zuckerähnlich,<br />
beinahe wie das Weizengebäck, das ihre Mama an Feiertagen in Öl ausbuk. Es<br />
mussten Tausende sein, die da, <strong>für</strong> immer verstummt, in <strong>und</strong> neben den Resten ihrer<br />
Quartiere lagen.<br />
54
thom delißen<br />
Als sie einen der überlebenden Verzweifelten um den Tag <strong>und</strong> die Uhrzeit bat, war sie<br />
in der Lage sich auszurechnen, dass sie volle zwei Tage verschüttet gelegen hatte.<br />
Gerade als sie die Tür entdeckte, die da unerklärlich schimmernd, inmitten der<br />
Überreste einer der schäbigen Hütten stand, hörte sie entsetztes Schreien, die Leute<br />
liefen wild durcheinander, erneut erschütterten Stöße wie aus ihrem Traum die<br />
nahezu völlig zerstörte Stadt.<br />
Melody ließ sich nicht beirren. Sie wusste, woher war sie nicht in der Lage<br />
nachzuvollziehen, dass sie durch dieses leuchtende Portal hindurch musste – wohin<br />
blieb ihr ein Rätsel.<br />
Hinter der Pforte fand sich eine Treppe, hinunter in den Keller des zerstörten Hauses.<br />
Am Ende der Stufen erneut eine unbegreiflich helle Tür, eine weitere Treppe. Melody<br />
verspürte keine Angst, sie ahnte dass eine große Aufgabe vor ihr lag, sie bestimmt<br />
dazu war, diese Obliegenheit zu erfüllen.<br />
Weiter <strong>und</strong> immer tiefer drang sie in den Schoß der Erde vor, Stufe um Stufe,<br />
schwebend fast, beschreitend.<br />
Schon lange war alles vollkommen still um sie herum, da war nur noch diese<br />
unendliche Treppe, die sie führte.<br />
Weg von all den Toten <strong>und</strong> Verletzten, den hoffnungslos Gebeugten, den Weinenden<br />
<strong>und</strong> Schreienden dort oben.<br />
Nach langer <strong>Zeit</strong>, Melody erfasste, diese Begrifflichkeit fand nun keinen Platz mehr,<br />
erkannte sie diese zwei großen Erdplatten, hörte ein furchtbares Knirschen als sie<br />
sich wie liebkosend aneinander rieben, sich wieder voneinander entfernten. Sie trat<br />
näher.<br />
Sofort war ihr klar: Hier lag die Ursache <strong>für</strong> all das Elend an der Oberfläche.<br />
In dem Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e, als sich ein kleiner Spalt zwischen den beiden<br />
Massen auftat, griff sie hinein, erweiterte den Riss bis sie sich hineinzwängen konnte.<br />
<strong>Die</strong> ungeheure Kraft, die sie bereits verspürt hatte, als sie selber noch verschüttet<br />
war, schien sich ins Unzählbare zu steigern. Mit all ihrem Willen, ihren Schultern,<br />
ihrem Kopf, ihren Armen hielt sie nun die bewegte Erde, wohl wissend, dass jeder<br />
Augenblick, den sie standhielt Rettung <strong>für</strong> die Bewohner des Landes bedeutete.<br />
Dort steht sie auch heute noch – doch Niemand weiß, wie lange ihre Energien<br />
vorhalten, ihr Kraft ausreichend ist. Denn Melody ist nur ein kleines, schmächtiges<br />
Mädchen, auch wenn sie magische Kräfte hat – Mutter Erde zu wiederstehen ist ein<br />
nahezu selbstmörderisches Unterfangen.<br />
balsam<br />
so schweb<br />
hinein<br />
in diesen<br />
trost<br />
der<br />
kühle<br />
sattsein<br />
dir<br />
verspricht<br />
lauf<br />
die träume<br />
kannst<br />
sie essen.<br />
55
ene mene muh <strong>und</strong> kind bist du<br />
Eine Frage, viele Antworten. Warum ausgerechnet dieses Buch? Weil es mir gut geht<br />
<strong>und</strong> ich helfen möchte. Weil es zu viel Ungerechtigkeit <strong>und</strong> Elend gibt. Weil die einen<br />
alles haben <strong>und</strong> die anderen wenig bis gar nichts. Weil ich frei bin <strong>und</strong> andere sind<br />
versklavt. Weil ich <strong>und</strong> alle, die ich kenne, genug zu essen haben, aber entsetzlich<br />
viele Menschen verhungern. Weil es Freude macht, anderen eine Freude zu machen.<br />
Natürlich kann ein Buch nicht<br />
wirklich das Elend der Welt<br />
nachhaltig zum Guten<br />
verändern, aber es ist ein<br />
Tropfen Hoffnung <strong>und</strong> Hilfe in<br />
einem Meer der Gleichgültigkeit.<br />
Ich machte die Erfahrung, dass<br />
oft-mals bei noch so gut<br />
gemeinten Spendenanthologien,<br />
das mühsam eingelesene<br />
Geld nur zu einem kleinen Teil<br />
die eigentlich Betroffenen<br />
erhalten. Zu viele administrative<br />
Handlungen dazwischen führen<br />
zu einem jähen Schrumpfungsprozess,<br />
was uns in jüngster<br />
Vergangenheit mediengeil vor<br />
Augen geführt wurde.<br />
Geld 1:1 an die Hilfsbedürftigen weiterleiten.<br />
Da erinnerte ich mich an Otto<br />
Tausig, der seit unzähligen<br />
Jahren seine dazuverdienten<br />
Honorare an die Entwicklungshilfe<br />
der Künstler des<br />
Entwicklungshilfeklubs spendet.<br />
Der sogar im Rollstuhl in der<br />
Wiener Oper mit dem Körberl<br />
Geld sammelte <strong>und</strong> stets<br />
betont, dass sie (der Klub) das<br />
Jahre, ja, jahrelang sah ich das Ehepaar Tausig im Park Wertheimstein <strong>und</strong> wir<br />
unterhielten uns fre<strong>und</strong>lich über unsere H<strong>und</strong>erln, aber das war’s dann auch schon.<br />
Doch eines schönen Sonnentages nahm ich allen Mut zusammen <strong>und</strong> sprach Herrn<br />
Tausig, den fabelhaften Humanisten, an. Erzählte ihm, dass wir schon einige<br />
Anthologien gemacht haben, Spenden aufgetrieben haben <strong>und</strong> er zeigte sich<br />
interessiert. Na w<strong>und</strong>erbar, dachte ich mir.<br />
Ich denke, wir haben ein gutes Buch gemacht, <strong>und</strong> hoffe, dass Sie viel Freude beim<br />
Lesen haben werden. Für uns wäre die größte Freude <strong>und</strong> Anerkennung, nicht den<br />
Olymp der Dichter zu erobern, sondern so viele Bücher wie möglich zu verkaufen,<br />
damit wir unsererseits das eingenommene Geld 1:1 an die Entwicklungshilfe der<br />
Künstler <strong>und</strong> den Entwicklungshilfeklub weitergeben können, die dann ihrerseits echte<br />
<strong>und</strong> direkte Hilfe den Bedürftigen angedeihen lassen können.<br />
Bestellungen: rintelen@aon.at<br />
56
hans-jürgen gaiser<br />
Lose<br />
monika kafka<br />
Auf dem Jahrmarkt der Gesellschaft<br />
gibt es Lose zu ersteh'n.<br />
Aber jenem, der sie anschafft,<br />
winkt kein Glück im Handumdreh'n.<br />
Arbeits-Lose, Obdach-Lose,<br />
sind dort in der Trommel drin.<br />
Ziehst du sie, bekommst du große<br />
Schwierigkeiten statt Gewinn.<br />
Hoffnungs-Lose, Mittel-Lose<br />
bilden einen Bodensatz,<br />
leben dumpf, wie in Hypnose.<br />
Für sie findet sich kein Platz.<br />
Keiner will die Lose haben.<br />
Mitleid-Lose schau'n herab<br />
auf das Los der Unglücksraben,<br />
brechen über sie den Stab.<br />
Und der Loser ohne Frage<br />
nimmt sein Los als Schicksal an.<br />
Glaubt nicht, dass er je die Lage,<br />
da er drinsteckt, ändern kann.<br />
Auf dem Markt der Wirtschaftsbosse<br />
sind Erlöse erste Pflicht.<br />
Für die Menschen in der Gosse<br />
ist Erlösung nicht in Sicht.<br />
translated by thom delißen<br />
in grannys gardens<br />
from time to time<br />
in hut of leaves<br />
reminders frame<br />
for changing pictures<br />
in moons halflight<br />
and the lupinen falls<br />
my name through open window<br />
the voice is singing me<br />
heartwide<br />
poplar wind so rough<br />
out of the woods the call<br />
of owl<br />
and behind the gardens<br />
yearning on rails<br />
when I went<br />
the rosestock winded<br />
<strong>und</strong>erneath grannys eyes<br />
earthward<br />
57
michel jakot<br />
58
hk.rintelen<br />
Turnhalle<br />
die Sprossenwand ist morsch<br />
– zerfällt –<br />
demontiert sind längst – die Ringe<br />
zerschlissen auch die grauen Matten<br />
zerplatzt der Völkerball – wie all<br />
die Träume<br />
Leben in einem alten Haus<br />
<strong>Die</strong> Holzfußböden<br />
blank gescheuert<br />
die ich überschwellig<br />
getreten habe<br />
auf knarrendem Leben<br />
gezimmert aus <strong>Die</strong>len<br />
wo selbst die Astlöcher<br />
bedeutungsschwanger waren<br />
bin ich umher gegangen<br />
treppab gestiegen<br />
<strong>und</strong> aus dem Haus gerannt<br />
bis mich die Sehnsucht<br />
irgendwann zurück getrieben hat<br />
Ödland<br />
Gräser stehen hoch<br />
Honigduft durchzieht das Land<br />
<strong>und</strong> zwischen satten Weiden<br />
– liegen tote Kühe –<br />
wo sind die Senner hin<br />
die Hirten oder Schäfer<br />
wer melkt nun<br />
die prallen Euter<br />
59
thom delißen<br />
In die Farben Afghanistans<br />
Alle waren angespannt, auch der kleine, bebrillte Unteroffizier neben mir, dem sein<br />
Befinden in großen Tropfen von der Stirn perlte.<br />
Der Abflug <strong>und</strong> die Landung. <strong>Die</strong> gefährlichsten Momente eines Fluges. Was <strong>für</strong> ein<br />
ausgemachter Hohn! Von dem, was nach der Landung, vor dem nächsten Start<br />
passiert, redet niemand. Heimkommen tun sie nämlich alle. Es ist nur eine Frage der<br />
Form. Mal in sehr kleinen Stückchen, mal komplett, mit einem verw<strong>und</strong>erten Ausdruck<br />
im Gesicht <strong>und</strong> einem kleinen Loch in der Stirn. Mal in einem Bodypack, mal in<br />
Zinkeimern.<br />
Dann gibt es die anderen, Söldner ihrer selbst eigentlich, denen all das nichts<br />
anzuhaben scheint, die, wohl mit unerschrockener Unsterblichkeit gesegnet,<br />
unversehrt am Körper, die Seele schon lange tot, grinsend auf den harten Sitzen über<br />
die, die nicht mehr lächeln können, wachten. <strong>Die</strong> Wächter, die überlebt , die ihre<br />
Pflicht getan, ihr Soll dem eigenen Ego gegenüber erfüllt hatten. Stumpfe Hüter des<br />
Blutzolls.<br />
Wieder andere, die neben ihnen, wachen ebenfalls über Zinkbehältnisse, unsichtbare<br />
allerdings.<br />
Säuberlich verknäult in diesen Urnen, ganze Welten des Bewusstseins. Nicht dazu<br />
bestimmt, mit Erde überhäuft zu werden, nein kleberig <strong>und</strong> schleimig haftend an der<br />
Wirklichkeit, sie verhüllend, zur Fratze gestaltend.<br />
Doch ich greife vor.<br />
Zuerst stiegen wir aus, in ein Spiegelpanorama heißer Luft hinein, Staubkristalle<br />
inhalierend. Wie tumbe Enten, einer hinter dem anderen. Wie Ameisen, unsere Last<br />
auf dem Buckel <strong>und</strong> im Hirn schleppend.<br />
<strong>Die</strong> Unterkünfte. Deutsche Ordentlichkeit.<br />
„Kameraden! Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe!“<br />
Ja, Fre<strong>und</strong>e, Mitmenschen, Enten <strong>und</strong> Ameisen <strong>für</strong> die Sache des Todes.<br />
Wir alle sollen ihn geben, den Tod. Sollen morden oder gemeuchelt werden. <strong>Die</strong><br />
Hauptsache, der Sensenmann bekommt genug zu saufen, von dem roten,<br />
dickflüssigen, heißen Wein.<br />
<strong>Die</strong> erste Patrouille. Zu Fuß. Hieroglyphen, unter Schädeln, turbanverhüllt, löchrigem,<br />
gelben Grinsen. Seltsam, wie sie wissen, dass wir Frischfleisch sind.<br />
Ein helles Beige der Ort, fast gelb, nein weiß schon.<br />
Lehmige Fassaden, die sich gegenseitig stützen.<br />
Blaue Tüchertupfer <strong>und</strong> metallisch erdige Sturmgewehre an fadenscheinigen Kitteln<br />
schwingend.<br />
Das Leben eines Mannes ist voller Schmerzen, sieh! Wir lachen drüber.<br />
An den Feuern die Kinder. Braunäugig, einäugig, einarmig, dünnhäutig.<br />
An den Brüsten der schalen Mütter Babys, ahnungslos <strong>und</strong> glücklich, sollte man<br />
meinen, die hineinwachsen in eine Welt des Trübsals, die schon ihre Eltern nicht<br />
mehr verstanden.<br />
Was ist der Sinn? So schreien ihre Blicke.<br />
<strong>Die</strong> Antwort sind ein paar Knaben. Ratatata! So spielen sie.<br />
Ratatata! <strong>Die</strong> Essenz. Was sollte daneben nicht verblassen?<br />
Der Wind hüllt unsere Uniformen ein, zerrt an Ihnen, als wolle er sie hinüberziehen,<br />
mitsamt dem erbärmlichen Inhalt, in die Wüste, die Gott <strong>für</strong> die Oberschlauen, die<br />
Überheblichen gedacht hat. <strong>Die</strong> Geröllfelder des Gewissens, die jeder zu durchqueren<br />
gezwungen ist, die niemals enden.<br />
Göttergleich marschieren wir durch die Straße, das Verderben in den Händen, am<br />
Gürtel.<br />
Olivgrüne Käfer, die ihre Kinder mit Scheiße füttern.<br />
Eintopfmentalität im Land der Shishas. <strong>Die</strong> Augen rechts! Ab Null Uhr schießen wir<br />
zurück! Verteidigt euer Vaterland!<br />
60
thom delißen<br />
Braun ist sie, die Landschaft, braun von unsren schweren Stiefeln, braun <strong>und</strong><br />
schmutzig rot. <strong>Die</strong> Luft erfüllt von Stahlpaketen. Wen triffts? Doch nur Abstraktes!<br />
„Kameraden! Wir stehen vor einer schwierigen Aufgabe!“<br />
Wohlan, so hat der Herr <strong>für</strong> mich beschlossen, nicht weilen soll er hier.<br />
Keine zwei Tage verbringe ich in diesem hohlen Traum, dann explodieren alle<br />
Farben, scheinbar nur <strong>für</strong> mich.<br />
Liege diesmal in dem Flugzeug, den rechten Fuß in Gips. Heimatschuss.<br />
Doch meine Farbpalette, die bunte, hat man mit dunklem Grau getüncht, <strong>für</strong> den Rest<br />
der <strong>Zeit</strong>. Da helfen keine Orden. Dunkles Grau.<br />
kaleidoskop<br />
Künstlertreff mit Vergangenheit <strong>und</strong> Ambitionen<br />
“Kaleidoskop“<br />
in Münchens Südwesten.<br />
Im Theatersaal der Gaststätte Prinzregenten Garten, Pasinger Bühne<br />
Benedikterstraße 35 (Ecke Weinbergerstraße)<br />
81241 München, bei der Haltestelle MetroBus 57<br />
Eintritt frei!<br />
Auf eine mehr als zwanzigjährige Tradition kann die Künstlerbühne „Kaleidoskop“<br />
zurückblicken, von den Journalisten <strong>und</strong> Schriftstellern Bernhard Ganter <strong>und</strong> Werner<br />
Schlierf gegründet im Luitpoldpark in den turbulenten 80 zigern,.<br />
Namen wie Charly Antolini , Roy Etzel, Willy Michl , Bruno Jonas <strong>und</strong> Gisela<br />
Schneeberger sind nur die bekanntesten der Vielzahl von Künstlern, die sich gerne<br />
dem Publikum des „Künstlerkreises Kaleidoskop“ stellten.<br />
Im September 2003 übernahm das Künstler-Ehepaar Katja Kortin <strong>und</strong> Conrad Cortin<br />
den Künstlerkreis in eigener Regie bis sie Mitte dieses Jahres, aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Gründen die Leitung an den Liedermacher <strong>und</strong> Gitarristen Csaba Gal abgaben.<br />
61
kaleidoskop<br />
<strong>Die</strong> neue Leitung seit dem Oktober 2009, - ab dem Februar 2010 auch mit dem<br />
Pressesprecher <strong>und</strong> Moderator Thom Delißen, hat vor, dem Künstlertreff einen<br />
weiteren Schubs nach vorne zu geben <strong>und</strong> zur paneuropäischer Kunstarbeit<br />
aufzurufen.<br />
Das Verzeichnis der Mitglieder <strong>und</strong> Gäste des Künstlerkreises Kaleidoskop liest sich<br />
wie ein Who is who der künstlerischen Tätigkeit in München <strong>und</strong> daran soll sich auch<br />
nichts ändern.<br />
Neue Gesichter tauchen auf, frische Literatur <strong>und</strong> neue Lieder werden geschrieben.<br />
Mit professionellem Equipment <strong>und</strong> unverbrauchter Energie soll daran gegangen<br />
werden, Traditionen fort zu setzen <strong>und</strong> Neues einfließen zu lassen.<br />
Seit dem Juli 2004 trifft sich der KKK an jedem ersten Montag im Monat ab 19 Uhr in<br />
seinem Domizil, dem Theaterraum der Gaststätte „Prinzregent Garten“ (bekannt auch<br />
unter dem Namen „Pasinger Bühne“) in der Benedikterstraße 35/Ecke<br />
Weinbergerstraße in Pasing.<br />
Der Eintritt ist frei – die Künstler erhalten keine Gage.<br />
Idealismus <strong>und</strong> der Wille, der Kunst, ob in Lyrik, Prosa, als Lied oder Musik-stück ein<br />
Stückchen Öffentlichkeit zu geben, sind gefragt.<br />
Das dankbare, doch durchaus auch verwöhnte <strong>und</strong> kritische Publikum weiß dies<br />
durchaus zu schätzen.<br />
<strong>Die</strong> Zahl von 70 – 100 H<strong>und</strong>ert Gästen, die jeden Monat ihren Weg nach Pasing<br />
finden, spricht <strong>für</strong> sich <strong>und</strong> das abwechslungsreiche Programm.<br />
So traten im Oktober neben dem Gitarristen <strong>und</strong> Sänger Csaba Gal die aus den<br />
Siebzigern bekannte Schlagersängerin Bibi Jones, sowie das Ensemblemitglied der<br />
„Primatonnen“ Edeltraut Rey, als auch der kritische Erdinger Literat Thom Delißen auf<br />
die Bühne <strong>und</strong> präsentierten ein professionelles Programm.<br />
Im Dezember traten auf: Elfie Schulz Querflöte, <strong>und</strong> Csaba Gál Gitarre. Ouvertüre<br />
<strong>und</strong> Finale aus dem „SINGSTÜCK“ „ Der Ritter <strong>und</strong> der kleine Floh“ Anne-Marie<br />
Sprotte las mit Peter Zörner aus dessen Buch „Zauberhafte Geschichten“.Hannes S.<br />
Macher Autor, las aus der von ihm herausgegebenen Anthologie „Liebeserklärung an<br />
München“ Der Textmacher Teja Bernardy trug aus seinem noch unveröffentlichten<br />
Band „Lichterglanz zu kaufen gesucht“vor..Der gemischte Chor CHORMÄLEON sang<br />
unter der Leitung von Jörg Göller.<br />
Für den 4. Januar 2010 waren dann angesagt u.a. Elke Deuringer, Hermann<br />
Bogenrieder, Jürgen Schwilski <strong>und</strong> Pia Richter Haaser.<br />
Im kürzesten Monat des Jahres präsentierte der Künstlerkreis den Schriftsteller<br />
Jürgen O. Brauerhoch mit einer Episode aus seinem Buch “Der Hitler, die Russen<br />
<strong>und</strong> ich“. Wolfgang Kreiner trug Geschichten aus seinem im März erscheinenden<br />
Buch "morgen ist's noch früh genug zu spät" vor..<br />
Katja Kortin & Conrad Cortin waren mit Auszügen aus ihren Werken vertreten.<br />
„Frisch gestohlen“ von der Pasinger Bühne demonstrierte das Duo<br />
„Knöpf <strong>und</strong> Soatn“ den innigen Zusammenhalt von diatonischer Knopf-<br />
Harmonika <strong>und</strong> Gitarre <strong>und</strong> hält die Beiträge musikalisch beieinander.<br />
Für den Montag im März ist ein Werner-Schlierf-Abend mit großem Erfolg gelaufen.<br />
Der bekannte Autor starb vor 3 Jahren am 1. März.<br />
Im April sind Konstantin Wecker mit einer Lesung aus seiner Biografie; Regine<br />
Luczak; (Autorin) Ayuko Taguchi; (Mezzosopran) mit Jörg Göller, (Klavier) <strong>und</strong><br />
Csaba Gál. (Gitarre <strong>und</strong> Gesang) angesagt.<br />
…<br />
KünstlerKreis KALEIDOSKOP Leitung:<br />
<strong>Die</strong>ser Kreis ist <strong>für</strong> jeden offen, der Kunst schafft <strong>und</strong> Kunst oder Künstler erleben<br />
möchte. Autoren, Liedermacher, Musiker, bildende Künstler präsentieren ihre Werke.<br />
Kontakt:<br />
E-Mail: info@csabagal.de<br />
Tel./Fax: 089 – 361 84 34<br />
www.kkkaleidoskop.de www.csabagal.de<br />
62
yasmin shakarami<br />
Schwarzweißaufnahme einer verflossenen Liebe<br />
Das gesamte Bild zittert in einem unbestimmten, geisterhaften Licht.<br />
Schwarze Risse verwischen die zarten Umrisse seines Gesichtes, das eisblaue<br />
Strahlen seiner Augen verschwimmt zu einem fahlen Glimmern silberner<br />
Schneeflocken. Ich schmecke das Rot seiner Lippen, spüre die prickelnde Feuchte<br />
seines Atems, ziehe die geometrischen Formen, Schleifen <strong>und</strong> Wirbel seiner Worte<br />
nach. Jede seiner Hautporen pocht, pulsiert, brennt <strong>und</strong> wellt glühende Lavaströme<br />
über die zarten Wangenknochen, hinab in die halbmondförmigen Gruben seiner<br />
M<strong>und</strong>winkel, um deren Schatten sich kleine Krater bilden. Sein wildes Lächeln sprüht<br />
Funken, spuckt Diamanten, speit hohe Fontänen aus blitzendem Sternenstaub.<br />
Ein tiefer Zauber umhüllt seine Gestalt, macht sie schwerelos, öffnet schwarze<br />
Löcher, stiehlt Raum <strong>und</strong> <strong>Zeit</strong>, formt schauriggschöne Nebel <strong>und</strong> blendet Galaxien in<br />
das Zentrum seiner Seele.<br />
<strong>Die</strong> Momentaufnahme seiner Bewegung gleicht dem Himmelssprung eines<br />
geflügelten Löwen: Starr, festgefroren, leblos <strong>und</strong> doch entfesselt, unbeugsam,<br />
endgültig. Eine formvollendete Leichte bleierner Schwere, eine engelsgleiche<br />
Regung, deren Ausdruck mich überwältigt <strong>und</strong> in den Abgr<strong>und</strong> unbekannter<br />
W<strong>und</strong>erwelten stößt.<br />
Seine Schönheit höhlt mich aus, raubt mir den Atem, lässt mich zu einer körperlosen<br />
Substanz zergehen, zerreißt mein Inneres mit gleißendem Licht <strong>und</strong> tobendem<br />
Gewitter. Im Eisregen verharre ich wie ein hüllenloses Atom, eine klanglose Melodie,<br />
eine gegenwartslose Realität, ein explodierender Klumpen schwarzer Materie.<br />
Das bittersüße Wispern seines Schweigens häutet Dimensionen, zerstückelt das<br />
Vergehen, lähmt die Ewigkeit <strong>und</strong> ertränkt das All in goldenen Tränen.<br />
Er tropft in mein Kopf, zerwühlt ihn, verstreut meine Gedanken, wirbelt Illusionen auf,<br />
leckt an Sehnsüchten <strong>und</strong> spaltet meine Gefühle in alle Himmelsrichtungen.<br />
Wie ein Regenbogen streckt er mir seine Farben entgegen, winkt mit Weltw<strong>und</strong>ern<br />
<strong>und</strong> Piratenschätzen, lockt mit tänzelndem Wimpernschlag, dem verwegenen Flug<br />
querströmender Locken, dem honigsüßen Flattern seiner Zunge <strong>und</strong> dem<br />
geheimnisvollen Sog stürzender Pupillen.<br />
Sein Anblicks peitscht mir ins Gesicht, schreit mir entgegen, seufzt, weint, fleht <strong>und</strong><br />
entfacht ein schwarzweißes Feuerwerk fortgeträumter Hoffnungen.<br />
Er steht mit dem Rücken zum Weltraum, entschwindet ins flammende Zwielicht des<br />
wabernden Nichts <strong>und</strong> hinterlässt eine duftende Spur weltfremden Irrsinns.<br />
Ich ringe mit der Unendlichkeit, taste nach neuen Sphären, schmecke die<br />
unermessliche Weite ab, nur um wiederzukehren <strong>und</strong> mich erneut auf meine Reise in<br />
dein Herz zu begeben.<br />
63
monika schudel<br />
Pfade<br />
Jahrelang auf gleichen<br />
Wegen längst schon<br />
spurentief<br />
lockt das Unbekannte<br />
– noch verschlungen –<br />
durch ein Astwerk wirr<br />
doch dazwischen strahlt<br />
schon Weisheit neuer<br />
Räume – morgenhell<br />
Silberstreifen<br />
Horizont im ersten Schimmern<br />
kündet an den Tag<br />
nachtverträumt erwacht alles<br />
was im Schatten lag<br />
Aus der Stille fließt lebendig<br />
Klang aus Morgenlicht<br />
der noch taubeglänzte Blüten<br />
öffnet <strong>und</strong> durchbricht<br />
Selbst durchs Tal verlorner Träume<br />
fließt ein Silberschein<br />
trägt ein Glitzern hoffnungsfroh<br />
in die <strong>Zeit</strong> hinein<br />
<strong>und</strong> zerfließt himmelsweit<br />
wenn die Sonne steigt<br />
als erneute Lebenskraft<br />
die sich zu uns neigt<br />
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monika schudel<br />
Nebelimpression<br />
Überm Dunst vergessner Felder<br />
ziehen Krähen unscheinbar<br />
streuen Rufe in die Stille<br />
steigen lichtwärts – unsichtbar –<br />
<strong>für</strong> den Blick Zurückgebliebner<br />
die sich tasten durch die <strong>Zeit</strong><br />
nur im Geist Traumvisionen<br />
einer Grenzenlosigkeit<br />
aufzusteigen weltumspannend<br />
wenn ihr Blindsein einmal weicht<br />
Vögeln gleich in die Freiheit<br />
unbeschwert – flügelleicht<br />
Hunger<br />
Wir im Raum verloren – noch –<br />
tasten uns durch Glitzerwelten<br />
einer Weltzeit Untergang<br />
suchen nach verlornen Träumen<br />
wühlen in Vergänglichkeiten<br />
halten fest an unsrer Blindheit<br />
<strong>und</strong> verhungern an den Mängel<br />
voller Sehnsucht nach Berührung<br />
einer tiefen Herzlichkeit<br />
Ankommen<br />
Wenn wir tief im Urton<br />
unsrer Seele singen<br />
Mit den Melodien<br />
leise aufwärts schwingen<br />
alles still begreifen<br />
-wer <strong>und</strong> was wir sind –<br />
staunend lichtwärts träumen<br />
bis zum Kosmos hin<br />
dann uns ein ewig<br />
Liebeslied berührt<br />
Und uns Suchende<br />
Weise heimgeführt<br />
65
wolfgang hofer<br />
Illusion<br />
Was hier steht,<br />
schreibt sich von oben,<br />
weil nur die Illusion<br />
behauptet,<br />
dass ich es bin.<br />
Manche Illusion<br />
braucht<br />
unser Leben,<br />
aber es ist gut<br />
zu wissen,<br />
das auch ohne alles,<br />
alles ist.<br />
Traum<br />
Das Licht verschwimmt<br />
in den Pupillen,<br />
der Nebel legt sich<br />
wie ein Schleier<br />
von weißem Farn<br />
über die Wolken,<br />
du dämmerst rüber,<br />
fliegst,<br />
wie ein Ballon<br />
auf tausend Stelzen<br />
in andre Welten,<br />
die voll Farben<br />
<strong>und</strong> Magie,<br />
voll Melodien sind,<br />
aus <strong>Bilder</strong>n, bunt<br />
<strong>und</strong> zauberhaft,<br />
besteh’n,<br />
lässt los <strong>und</strong> locker<br />
deinen Körper,<br />
schwebst im Raum,<br />
nimmst Worte mit<br />
<strong>und</strong> schöne Weisen,<br />
imaginierst dir<br />
deinen Lieben,<br />
in deiner Welt<br />
des Seins<br />
<strong>und</strong> kommst zurück<br />
du aus der Weite,<br />
ist alles weg,<br />
du hast geträumt.<br />
66
itch funke<br />
Tamas Wald<br />
„Ist es noch weit?“, fragte ich den Führer.<br />
„Wir sind bald da“, erwiderte Ruan. Das sagte er bereits seit St<strong>und</strong>en.<br />
Für mich sah der Dschungel überall gleich aus. Wir hätten ebenso gut im Kreis laufen<br />
können, ohne dass ich es bemerkt hätte. Längst achtete ich nicht mehr auf Schlangen<br />
<strong>und</strong> Spinnen <strong>und</strong> zuckte auch nicht mehr zusammen beim Kreischen <strong>und</strong> Brüllen<br />
wilder Tiere. Wenn ich in der kommenden Nacht die Augen schloss, würde mein<br />
Traum wahrscheinlich grün sein – in allen nur vorstellbaren Nuancen.<br />
Ruan bereitete den Weg mit seiner Machete. Hier war noch nie ein Mensch zuvor<br />
gewesen – zumindest kein Weißer – <strong>und</strong> Ruan kannte die Richtung nur vom<br />
Hörensagen der Älteren. Wir waren auf der Suche nach Tama, der Göttin des ewigen<br />
Waldes … den Resten unberührter Natur, die noch nicht dem Kahlschlag erlegen war.<br />
„Tama weint um ihren Wald“, hatten die Älteren gesagt, „<strong>und</strong> wenn sie das tut, dann<br />
ergießen sich ihre Tränen wie Sturzbäche, so dass die verw<strong>und</strong>enen Mangroven<br />
einem Ozean gleichen.“<br />
Regenzeiten <strong>und</strong> Überschwemmungen hatte es in diesem Teil der Welt immer schon<br />
gegeben, doch die Wurzeln der tausendjährigen Bäume hatten die Erde fest im Griff<br />
<strong>und</strong> nach dem langen Regen explodierte das Leben in einer Pracht <strong>und</strong> Vielfalt, die<br />
beinahe vermuten ließ, dass ein höheres Wesen am Werk sein musste. <strong>Die</strong> Älteren<br />
nannten dieses Wesen Tama, <strong>und</strong> mein Job als Ethnologin bestand darin, diesen<br />
mündlich überlieferten Glauben <strong>für</strong> die Nachwelt nieder zu schreiben. Bald würde es<br />
keine Eingeborenen mehr geben. <strong>Die</strong> Rodungen zerstörten ihren angestammten<br />
Lebensraum – dann folgten Orientierungslosigkeit, Verelendung, Alkoholismus,<br />
Gewalt, Krankheiten <strong>und</strong> Tod. Keine Schlange oder Spinne war so giftig wie die Gier<br />
der Konzerne.<br />
„Wehe ihnen, wenn Tama erwacht“, sagten die Älteren.<br />
„Hörst du das?“, fragte Ruan.<br />
Ich vernahm ein fernes Plätschern. Wir folgten dem Geräusch, das sich zu einem<br />
Brausen <strong>und</strong> schließlich zu einem Donnern entwickelte. Plötzlich lichtete sich der<br />
Wald <strong>und</strong> wir standen am Fuße eines riesigen Wasserfalls. Ruan küsste den<br />
Anhänger an seinem Hals, fiel auf die Knie, breitete die Arme aus <strong>und</strong> rief: „Tama!“<br />
„Tama ist ein Wasserfall?“, schrie ich gegen das Tosen an.<br />
„Nein, sie lebt darin. Folge mir.“<br />
Wir balancierten auf einem schmalen Pfad moosüberwachsener glitschiger Steine.<br />
Der Weg schien von Menschen gemacht.<br />
„Dort muss der Eingang sein“, sagte Ruan <strong>und</strong> schritt durch eine dünne Wasserwand.<br />
Ich folgte ihm. Wir befanden uns in einer Höhle. Das Licht brach sich im Schleier des<br />
Sturzbaches <strong>und</strong> produzierte tänzelnde Lichtspiele an den Wänden. Es war ein<br />
überraschend ruhiger Ort, denn das herab fallende Wasser des Eingangs schirmte die<br />
Geräusche der Außenwelt ab.<br />
Im hinteren Teil der Höhle stand eine Art Altar mit allerlei kunstvoll gefertigten<br />
Opfergaben.<br />
<strong>Die</strong> hintere Wand bestand aus menschlichen Schädeln <strong>und</strong> erst jetzt bemerkte ich mit<br />
einem Grausen, dass auch der Fußboden auf dem wir gingen aus Schädeln gefertigt<br />
war.<br />
Eine kultische Opferstätte, dachte ich. <strong>Die</strong> Löcher in den Köpfen deuteten auf<br />
Gewalteinwirkung hin. Starben sie dennoch freiwillig?<br />
Auf dem Altar lagen zwei exotische Früchte. Eine war verschrumpelt <strong>und</strong> bereits<br />
versteinert – die andere Frucht war frisch <strong>und</strong> roch betörend. Es musste somit<br />
jemanden geben, der diesen heiligen Ort pflegte. Bald würde die Sonne untergehen<br />
<strong>und</strong> wir entschieden, in der Höhle zu nächtigen, da draußen durch das Tosen nicht an<br />
Schlaf zu denken war.„Wir sollten abwechselnd Wache halten, Ruan, denn wir<br />
67
itch funke<br />
scheinen hier nicht allein zu<br />
„Natürlich sind wir nicht allein“, erwiderte er zu meinem Erstaunen, „Tama ist bei uns<br />
<strong>und</strong> sie wacht über uns, wenn wir ihr etwas da<strong>für</strong> geben.“ Er zog einen Schokoriegel<br />
aus der Tasche, entfernte die Folie <strong>und</strong> legte ihn auf den Altar. „Nun ist es der<br />
sicherste Ort auf Erden – das sagen zumindest die Älteren.“<br />
Er rollte seinen Schlafsack aus <strong>und</strong> pfiff ein Lied, als befände er sich in einem<br />
Pfadfinderlager <strong>und</strong> nicht in einer Gruft. Ich suchte mir einen Platz, der nicht von<br />
Schädeln bedeckt war <strong>und</strong> entzündete neben meinem Schlafsack die Gaslaterne. Es<br />
machte keinen Unterschied, die Gebeine zu sehen oder gar nichts zu sehen. Ich<br />
empfand ein kindliches Unbehagen wie früher, als ich darum bettelte, nicht das<br />
Nachtlicht zu löschen, weil die Scheinwerfer der Autos durch mein<br />
Kinderzimmerfenster strahlten <strong>und</strong> bizarre Geister an die Wände warfen. Damals<br />
wusste man noch nicht, welche Drogen sich im Hustensaft befanden <strong>und</strong> welche<br />
Horrortrips sie produzieren konnten.<br />
Ruan schien bereits zu schlafen. Sein Urglaube verlieh ihm Gelassenheit. Vielleicht<br />
sollte ich seinem Beispiel folgen … ich legte ebenfalls einen Schokoriegel auf den<br />
Altar. „Verzeih mir, lieber Gott, aber dies scheint nicht dein Ort zu sein“, flüsterte ich<br />
schmunzelnd <strong>und</strong> stieg in meinen Schlafsack. Das Licht ließ ich an <strong>und</strong> schloss die<br />
Augen. Der Duft der Opferfrucht begleitete mich in die Traumwelt …<br />
Ich schreckte auf. Etwas berührte mein Gesicht. Ruan? Eine Schlange? Es waren<br />
Finger, die mich betasteten. Ich schaute in ein schneeweißes Antlitz, das von ebenso<br />
weißem, langen, seidigen Haar umkränzt war.<br />
Eine Frau starrte mich aus grünen Augen an – so grün wie der Dschungel. Sie schien<br />
interessiert – nicht feindselig. Sie öffnete ihren M<strong>und</strong>, doch statt eines Lautes<br />
entwichen ihm bunte Schmetterlinge, so als formte sie eine Comic-Sprechblase. <strong>Die</strong><br />
Schmetterlinge umkreisten sie ein paar Sek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> lösten sich dann mit dem<br />
Funkeln von Glühwürmchen auf. Ihr Vergehen erzeugte Klänge, wie das Läuten<br />
kleiner Glocken.<br />
Ich schaute zu Ruan herüber, der noch immer schlief, wollte ihm etwas zurufen, doch<br />
das Wesen legte den Zeigefinger auf meine Lippen <strong>und</strong> gebot mir zu schweigen.<br />
Sie ging zum Ausgang der Höhle. <strong>Die</strong> Wasserwand war verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> außer den<br />
Schmetterlingen, die ihr wieder entwichen, schien es keine Geräusche zu geben.<br />
Sie deutete mir mit einer Geste, zu ihr zu kommen, nach draußen, in eine Welt<br />
absoluter Stille.<br />
Das Land zu Füßen des Wasserfalls war rot-glühend. Blasen flüssigen Gesteins<br />
stiegen auf, zerplatzten an der Oberfläche <strong>und</strong> verbreiteten einen stechenden Geruch.<br />
Durch die Schwaden zeichnete sich die Silhouette des Mondes ab, doch er besaß<br />
nicht die gewohnt markanten Krater.<br />
Das Wesen beugte sich über den Abgr<strong>und</strong>. Ich be<strong>für</strong>chtete, sie wolle springen <strong>und</strong><br />
ergriff ihre Hand. Sie schaute mich mit einem Lächeln an <strong>und</strong> weinte zugleich. <strong>Die</strong><br />
Träne löste sich an ihrer Wange ab <strong>und</strong> fiel in die kochende Lava. Dort, wo sie auf<br />
traf, erstarrte das Gestein <strong>und</strong> bildete einen schwarzen, zerklüfteten Pfad bis zum<br />
Horizont.<br />
„Tama?“, fragte ich.<br />
Wieder entwichen Schmetterlinge ihrem M<strong>und</strong>, doch diesmal nur kurz, was ja oder<br />
nein bedeuten konnte. Dann bestieg sie den dunklen Pfad – rechts <strong>und</strong> links eine<br />
brodelnde urzeitliche Hölle – riss sich einzelne Haare aus <strong>und</strong> entließ sie in den<br />
heißen Wind wie ein Sämann. Dort, wo sie landeten, wicht das Rot dem Grün.<br />
Lavaschlieren erstarrten zu Wurzelgebilden aus denen wiederum Stämme, Äste,<br />
Blätter <strong>und</strong> Blüten hervor wuchsen.<br />
68
itch funke<br />
Es begann zu regnen. Schwefel wich dem Duft eines Waldes im Morgentau. Ich<br />
schaute ihr nach, bis sie sich am Horizont in einen<br />
Schwarm von Schmetterlingen auflöste, die wiederum kurz aufglühten <strong>und</strong> wie kleine<br />
Glocken den Beginn der Schöpfung einläuteten.<br />
Plötzlich stand ich vor der Wasserwand am Ausgang der Höhle. <strong>Die</strong> Strahlen der<br />
Morgensonne tänzelten an den Wänden. Ruan hatte Kaffee aufgesetzt. Es<br />
übertünchte den süßlichen Geruch der Opferfrucht.<br />
Ruan kam mit einem Becher zu mir. „Hast du von ihr geträumt?“, fragte er, „dann<br />
muss es ein guter Traum gewesen sein, denn sonst befände sich nun dein Schädel<br />
an der Wand. Tama liebt nur jene, die den Wald lieben.“<br />
Er griff zu meiner Schulter, zog ein schneeweißes Haar von meiner Jacke ab <strong>und</strong><br />
übergab es mir. „Sieh an, sie hat dich erwählt. Verwahre es gut, du wirst es sicher<br />
noch brauchen ...“<br />
Ich fühlte mich benommen <strong>und</strong> erst der zweite Becher Kaffee ließ mich wieder<br />
einigermaßen klar denken.<br />
Der Dschungel kam mir auf dem Rückweg verändert vor. Nichts schien mir mehr<br />
bedrohlich. Ich meinte sogar, das Grün spräche zu mir mit einem feinen Läuten. Tama<br />
war der Wald, <strong>und</strong> der Wald war Tama. Es hatte ein W<strong>und</strong>er oder eine Ewigkeit<br />
gebraucht, solch ein filigranes Ökosystem zu etablieren, doch es dauerte nur eine<br />
Generation, um es wieder zu vernichten, wenn … ja, wenn nicht etwas geschah.<br />
<strong>Die</strong> Rodungsmaschinen hatten in unserer Abwesenheit bereits wieder einige<br />
fußballfeldgroße Flächen planiert. Ohne Bäume besaß der Boden keinen Halt mehr<br />
<strong>und</strong> die direkte Sonneneinstrahlung verdunstete die Restfeuchtigkeit. <strong>Die</strong> Verwüstung<br />
schritt unaufhörlich voran.<br />
<strong>Die</strong> Älteren empfingen uns. Ihre Augen leuchteten erwartungsvoll. „Hast du das Haar<br />
der Göttin <strong>und</strong> hast du gesehen, was ihre Tränen vermochten?“, fragten sie.<br />
Ich entnahm das Haar meiner Jackentasche <strong>und</strong> hielt es in den staubigen,<br />
dieselgeschwängerten Wind. Von Fern vermischte sich das unheilvolle Grollen der<br />
Maschinen mit dem Donner einer sich anzukündigen Regenzeit. Tamas Tränen<br />
benetzten die menschgewollte Wüste. Es goss wie aus Kübeln <strong>und</strong> eine Wolke buntschillernder<br />
Schmetterlinge stieg am Waldesrand empor. Ihr Läuten glich einem<br />
Sturm – der Sturm der Vertriebenen, Entrechteten <strong>und</strong> Heimatlosen brach über die<br />
Handlanger der Holzkonzerne hinein. <strong>Die</strong> Älteren begannen zu tanzen – die Jüngeren<br />
zerschlugen die Maschinen … <strong>und</strong> ich entließ das Haar seiner Bestimmung.<br />
Wo es den Boden berührte, schossen Bäume in den Himmel <strong>und</strong> auf den<br />
Satellitenbildern erkannte man das Ausmaß Tamas Macht: Ein von Küste zu Küste<br />
grüner Kontinent.<br />
Ich habe den Wald nie verlassen, habe der Welt des Betons abgeschworen <strong>und</strong><br />
glaube nur noch an eine Göttin. Vor meiner Blätterhütte ragen die Reste der<br />
sogenannten Zivilisation moosbewachsen aus dem fruchtbaren Boden. Der Kraft<br />
einer Pflanze ist weder Asphalt noch Stahl gewachsen. Schlangen, Spinnen <strong>und</strong><br />
Raubkatzen kreuzen meinen Pfad zum Tempel der Waldgöttin, doch nichts an ihnen<br />
ist bösartig <strong>und</strong> nichts gibt es zu be<strong>für</strong>chten, wenn ich Tama etwas opfere, damit sie<br />
über mich wacht. So verbringe ich mein zweites Leben damit, die eingeschlagenen<br />
Schädel jener zu suchen, die den Wald nicht liebten, um sie an den Wänden der<br />
Höhle aufzubahren. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich das Grün in allen<br />
Nuancen <strong>und</strong> ein Wesen, weiß <strong>und</strong> zart wie eine Lilie, die das Leben auf unseren<br />
einst unwirklichen Himmelskörper brachte.<br />
69
itch funke<br />
Und irgendwann, wenn ich in die Erde gehe, werde ich sinnvoll <strong>und</strong> gänzlich Eins sein<br />
mit ihr <strong>und</strong> der Natur aller Dinge, denn das W<strong>und</strong>er neuen Lebens nährt sich stets aus<br />
der Vergänglichkeit des alten.<br />
Doch eines Tages vertrocknete auch die zweite Frucht mit dem betörenden,<br />
halluzinogenen Duft <strong>und</strong> ein schwarzes Tuch legte sich über die grüne Welt. Tama<br />
zerrann trocken zwischen meinen Fingern, als ich nackt <strong>und</strong> orientierungslos in der<br />
Realität der Verwüstung grub <strong>und</strong> plötzlich erwachte. Ruan <strong>und</strong> die Älteren lagen<br />
erschlagen <strong>und</strong> erschossen rechts <strong>und</strong> links der staubigen Piste, auf der r<strong>und</strong> um die<br />
Uhr Schwertransporter mit Holzstämmen fuhren.<br />
Nur Eines ist mir geblieben: Meine Aufzeichnungen des uralten Naturglaubens eines<br />
ausgerotteten Volkes, denen die Gier der Blinden den Lebensraum stahl. Und <strong>Die</strong>ses<br />
sei hiermit <strong>für</strong> die Nachwelt <strong>und</strong> jene bezeugt, die den großen Wald nur noch aus den<br />
Geschichtsbüchern kennen werden.<br />
Auszug aus der Anthologie „Heldinnen <strong>und</strong> andere Wesen“, die demnächst<br />
erscheint.<br />
sonja lenz<br />
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thomas steiner<br />
sternenhimmel / ungetrübt<br />
der gedanke / auf dem mond zu sterben<br />
(auf dem mond auf dem mond auf dem / mond)<br />
erfreut mich schon lange (erfreut)<br />
seit jahren / seit jahren träume ich davon.<br />
davon / auf dem mond zu liegen (tot also)<br />
auf dem rücken<br />
& in den himmel zu schauen<br />
der dort ungetrübt ist / ungetrübt von luft<br />
& staub & zugleich scheint die sonne<br />
die sonne scheint / & die sterne<br />
(ohne flimmern ! unverschwommen !<br />
ungetrübt !) / so viele sterne ! bilder ! bilder ! farben !<br />
das ist ein gedanke / bilder ! / der mich noch / der mich<br />
noch / aufrecht hält. / das flimmern mag ich nicht.<br />
er stellte den sessel<br />
mitten ins zimmer / genau<br />
vor den fernseher<br />
im rücken der tisch<br />
links das bett<br />
rechts das fenster.<br />
dort saß er also.<br />
neben dem sessel stand<br />
kein tisch / keine bank<br />
nichts<br />
um essen & flaschen<br />
abzustellen / nichts.<br />
deshalb die flecken<br />
auf dem teppich neben dem sessel<br />
& darunter<br />
manchmal<br />
fiel 1 flasche um.<br />
er lebte lange so.<br />
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Neuerscheinungen im <strong>Verlag</strong> <strong>TD</strong> <strong>Textdesign</strong><br />
(Zu bestellen unter www.tdtextdesign.org)<br />
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