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KNOTEN - Carolus-Magnus-Kreis eV

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seit 1954<br />

<strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong><br />

Vereinigung für deutsch-französische pädagogische und kulturelle Zusammenarbeit e.V.<br />

Association pour la coopération franco-allemande culturelle et pédagogique<br />

<strong>KNOTEN</strong>Info<br />

Ein Organ des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

Christine Theiß, Rüdiger Pfromm: Protokoll der Jahreshauptversammlung 2011 des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es,<br />

05.11.2011, InterCityHotel Rostock<br />

Joseph Jurt: La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

Kristian Raum: Deutsch-Französischer Kongress in Rostock vom 3.-7. November 2011<br />

Ouvrons les portes à la vie! Interkulturelles Lernen und bilinguale, fachübergreifende Module<br />

im Französischunterricht<br />

Hermann H. Dieter, Michèle Dieter: Bilinguale Erziehung: Wo und wie?<br />

Michèle Falzon: Un an de Jules Verne au „GyGo“ (Gymnasium Gonsenheim)<br />

Deutsch-Französischer Kongress <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong> vom 27. September bis 1. Oktober 2012<br />

in Kooperation mit dem Goethe-Institut Lille; Anmeldung<br />

Alexandre Michel: Etre assistant à Mayence<br />

Arnaud Rinié: Quand le CMK organise le Regionalseminar à Dresde…<br />

Norbert Becker: Vernetzte Literaturlektüre<br />

Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 ISSN 1435-4276


2<br />

Vorstand<br />

Gründer und Ehrenvorsitzender<br />

Dr. Rüdiger Hoffmann †<br />

Ehrenmitglieder<br />

Ulrich Barth Dr. Rüdiger Hoffmann † Dr. Barthold C. Witte<br />

Dr. Norbert Becker Helga Martienssen<br />

Hannelore Braun Dr. Rüdiger Pfromm<br />

Ingo Hertzstell Dr. Hans Stercken †<br />

1. Vorsitzender<br />

Hans-Günter Egelhoff<br />

Eickener Str. 287, 41063 Mönchengladbach<br />

Tel. 02161/963801, Fax 02161/631504<br />

egelhoff@carolus-magnus-kreis.de, Hans-Guenter.Egelhoff@t-online.de<br />

2. Vorsitzende<br />

Christine Theiß<br />

Postfach 2703, 35537 Wetzlar<br />

Tel. 06441/47123<br />

theiss@carolus-magnus-kreis.de, christine.theiss@gmx.de<br />

Schatzmeister<br />

Harald Lange<br />

Brentanostr. 37, 12163 Berlin<br />

Tel. 030/2219 32 98, Fax 030/2219 32 99<br />

h.lange@carolus-magnus-kreis.de, info@feinmechanik-berlin.de<br />

Mitglieder des erweiterten Vorstandes<br />

Paule Jane Albertini<br />

Résidence du Lac, Esc. 9, 57, rue Arnold Peyre, 34080 Montpellier<br />

Tel. 00334/67753038<br />

paalbertini1@hotmail.fr<br />

Académie Montpellier<br />

Claudine Bats<br />

Route des Parrots, 46090 Arcambal<br />

Tel.: 00335/65351544<br />

claudine.bats@wanadoo.fr<br />

Académie Nantes<br />

Uwe-Michael Fanio<br />

Einsteinstr. 33, 31787 Hameln<br />

Tel. 05151/80 34 37<br />

fanio@carolus-magnus-kreis.de, umifanio@kabelmail.de<br />

Tagungsleiter Jahrestagung<br />

Dr. jur. Gerhard Fleskes<br />

Justitiar<br />

Albrecht-Dürer-Str. 17, 97204 Höchberg<br />

Tel. 0931/407176<br />

fleskes@carolus-magnus-kreis.de, gefleskes@t-online.de<br />

Dominique Gérault<br />

Principal du Collège Louis Jouvet<br />

F- 07320 Saint Agrève<br />

domi.gerault@laposte.net<br />

Académie Grenoble<br />

Impressum<br />

Die Zeitschrift <strong>KNOTEN</strong> ist ein Organ des CAROLUS-MAGNUS-KREISES (CMK). Der<br />

Bezug ist für Mitglieder des CMK im Mitgliedsbeitrag enthalten. Zuständig für den<br />

Inhalt ist die Redaktion oder der Herausgeber. Die im <strong>KNOTEN</strong> veröffentlichten<br />

Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder und nicht unbedingt die der Herausgeber<br />

und der Redaktion.<br />

Herausgeber<br />

CAROLUS-MAGNUS-KREIS<br />

Vereinigung für deutsch-französische pädagogische und kulturelle<br />

Zusammenarbeit e.V.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

Michael Iba<br />

Höhenweg 5e, 66130 Saarbrücken, Tel. 0681/8761865<br />

iba@carolus-magnus-kreis.de, michael@iba-grimm.de<br />

Saarland<br />

Christoph Kodron<br />

DIPF<br />

Eckenheimer Landstraße 13, 60318 Frankfurt am Main, Tel. 069/556892<br />

kodron@carolus-magnus-kreis.de, kodron@gmx.de<br />

Hessen<br />

Frauke Lange<br />

Brentanostr. 37, 12163 Berlin, Tel. 030/22193298<br />

f.lange@carolus-magnus-kreis.de, fraukelange@aol.com<br />

Berlin<br />

Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink<br />

Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.2 Romanistik<br />

Lehrstuhl für Rom. Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation<br />

Im Stadtwald, 66123 Saarbrücken<br />

luesebrink@carolus-magnus-kreis.de, luesebrink@mx.uni-saarland.de<br />

Rita Müller-Hill<br />

Gottfried-Keller-Str. 8, 50931 Köln<br />

ritamuellerhill@carolus-magnus-kreis.de, Ritamuellerhill@yahoo.com<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Anke Oldenburg<br />

Tremser Weg 4, 23554 Lübeck, Tel. 0451/4055227<br />

ankeoldenburg@carolus-magnus-kreis.de, ao@anke-oldenburg.eu<br />

Schleswig-Holstein<br />

Dr. Rüdiger Pfromm<br />

Bendenweg 8, 53347 Alfter, Tel. 0228/645483<br />

pfromm@carolus-magnus-kreis.de, ruediger-pfromm@t-online.de<br />

Kristian Raum<br />

Gebergrundblick 48, 01728 Bannewitz, OT Gaustritz, Tel. 0351/2593415<br />

kristian-raum@carolus-magnus-kreis.de, kristian-raum@web.de<br />

Sachsen<br />

Irene Rössler<br />

Eichenring 9, 15745 Wildau, Tel.: 03375/212833,<br />

irene_roessler@carolus-magnus-kreis.de, irene_roessler@web.de<br />

Brandenburg<br />

Lutz Rüstow<br />

Auf der Trift 125, 50389 Wesseling-Urfeld<br />

Tel. 02236/3214531, Fax 02236/3214531<br />

ruestow@carolus-magnus-kreis.de, l-p.ruestow@t-online.de<br />

<strong>KNOTEN</strong><br />

Alexander Schröer<br />

Eisgrubweg 7, 55116 Mainz<br />

Tel. 06131/6223012<br />

alexschroeer@carolus-magnus-kreis.de, alexschroeer@hotmail.com<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Redaktion<br />

Lutz Rüstow, Auf der Trift 125, 50389 Wesseling-Urfeld, l-p.ruestow@t-online.de<br />

Fotos Hans-Günter Egelhoff, Alexander Schröer<br />

Lektorat Harald Görner, Françoise Wörndle<br />

Layout und Druck third eye media, www.third-eye-media.de<br />

ISSN 1435-4276, Auflage 450, Erscheinungsweise: zwei Ausgaben pro Jahr<br />

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 15.09.2012.


Editorial zum Knoten Nr. 1 · Frühjahr 2012 Hans-Günter Egelhoff<br />

Liebe CMK-ler,<br />

in Zukunft wollen wir nur noch zwei Ausgaben<br />

des Knoten in der Qualität und dem<br />

Umfang wie die des letzten herausgeben,<br />

dafür haben wir den Redaktionsschluss<br />

auf den 15. Januar 2012 gelegt.<br />

Im Folgenden eine chronologische Übersicht<br />

zu den Aktivitäten des CMK und der Teilnahme seiner Vertreter<br />

bei Veranstaltungen des dfi, der VDFG und des PAD.<br />

Vom 23. – 25. Juni 2011 fand in Ludwigsburg die XXVII. Jahrestagung<br />

des dfi statt, deren Thema „Frankreich als Kultur-<br />

Nation? – Kulturelle Dimensionen des gesellschaftlichen Wandels”<br />

war und an der auch unsere Mitglieder Claudine Bats und Dr. Norbert<br />

Becker teilgenommen haben. Von den 76 Teilnehmern, die<br />

auf der Teilnehmerliste standen, waren 17 vom dfi.<br />

Von den Vorträgen und Themen der Arbeitsgruppen habe ich den<br />

Vortrag von Prof. Dr. Joseph Jurt mit dem Titel „Frankreich –<br />

Staatsnation oder Kulturnation?” ausgewählt und die Erlaubnis<br />

zum Abdruck erhalten. Auf unserer Internetseite ist der Text unter<br />

Aktuelles ebenfalls zu finden.<br />

Im Jahr 2011 hat die DFG Kiel ihren 60. Geburtstag gefeiert und<br />

vom 22. – 25. September den 56. Jahreskongress der<br />

VDFG/FAFA mit dem Thema „Europa interkulturell vernetzen –<br />

Herausforderung an die deutsch-französische Zivilgesellschaft /<br />

Créer des réseaux interculturels en Europe – Un défi pour les associations<br />

franco-allemandes” organisiert. Die VDFG hat auf ihrer<br />

Internetseite www.vdfg.de diesen Kongress eindrucksvoll dokumentiert.<br />

Frédéric Auria, Hans-Günter Egelhoff und Dr. Brigitte Albrecht<br />

Ich habe das Atelier 4 mit Michel Salenson, Avignon, moderiert, in<br />

dem mit Hilfe der Experten Stefan Endell, Charlotte Suel und Frank<br />

Tentler das Thema „Bloggen, Facebook, Twittern – Deutsch-Französische<br />

Gesellschaften und Partnerschaftsvereine auf dem Weg<br />

in soziale Netzwerke / Blogs, facebook, twitter – Les associations<br />

franco-allemandes et les comités de jumelage à la découverte<br />

des réseaux sociaux interactifs” bearbeitet und eingehend diskutiert<br />

wurde.<br />

Wir haben seit drei Jahren einen neuen Internetauftritt und sollten<br />

uns den „Möglichkeiten und Visionen von interaktiver Kommunikation“<br />

stellen.<br />

Ein Teilnehmer des Kongresses war Theodor Jakumeit, der auch<br />

die Anwesenheit des Bürgermeisters von Nancy, wo der nächste<br />

Kongress 2012 stattfindet, nutzte, um auf den französischen Verein<br />

A.N.E.G. aufmerksam zu machen, der sich um Kriegskinder<br />

von deutschen Vätern und französischen Müttern kümmert. Seine<br />

Ansprache wird im <strong>KNOTEN</strong> 2/2012 erscheinen, sie ist bereits<br />

auf unserer Internetseite unter Aktuelles eingestellt.<br />

Kurz vor der 2. Einführungstagung des PAD vom 24. – 27. Oktober<br />

2011 für die frankophonen Assistenten in Altenberg ist die<br />

11. Auflage der neuen Broschüre „Frankophone Fremdsprachenassistenten<br />

an deutschen Schulen – L’assistant/e de langue<br />

française en Allemagne” in erstklassiger Qualität erschienen.<br />

Dafür möchte ich Lutz Rüstow einen besonderen Dank aussprechen,<br />

unter dessen Federführung die Autoren Dr. Norbert<br />

Becker, Gereon Böhner, Dr. Rüdiger Pfromm, Kristian Raum, Florence<br />

Schlupkothen und Alexander Schröer Inhalte aktualisiert<br />

oder neue Themen vorgestellt haben.<br />

Jedem frankophonen Assistenten ist ein Exemplar überreicht worden.<br />

Der PAD hat auf seine Kosten den Assistenten des 1. Termins<br />

der Einführungstagung vom 26. – 29. September dann ein Exemplar<br />

zugeschickt. Betreut und über den CMK informiert wurden<br />

die Assistenten von Eberhard Michael Iba und Alexander Schröer,<br />

denen unser Dank gilt, wie auch den beiden neuen Lektorinnen<br />

Doris Mielke und Françoise Wörndle.<br />

Höhepunkt des Jahres ist immer die Jahrestagung, die der CMK<br />

selbst organisiert.<br />

Vom 3. – 7. November 2011 fand im InterCityHotel Rostock<br />

unser Deutsch-Französischer Kongress mit dem<br />

Thema „Ouvrons les portes à la vie! Interkulturelles Lernen und bilinguale,<br />

fachübergreifende Module im Französischunterricht”<br />

statt, von Kristian Raum und seinem Dresdener Team mit<br />

großem Engagement organisiert. 13 Referenten aus Frankreich<br />

(Paris) und Deutschland (u.a. Saarbrücken, Freiburg) ergaben mit<br />

24 Teilnehmern die stattliche Zahl von 37. Es entstanden fruchtbare<br />

und lebhafte Diskussionen. Auf die Publikation der Dokumentation<br />

können wir gespannt sein. Ich danke ausdrücklich<br />

Kristian Raum, dessen Nachlese im Folgenden zu lesen ist, für<br />

seinen großen Einsatz.<br />

Kurze Zeit später kamen 34 junge Fremdsprachenassistenten vom<br />

18. – 20. November nach Dresden, um an dem ebenfalls von<br />

Kristian Raum organisierten Regionalseminar – siehe auch unsere<br />

Internetseite unter Aktuelles und Veranstaltungen – mit dem<br />

Thema „Kreative Ansätze im Französischunterricht mit Chansons,<br />

Spielen, Kunst & Poesie” teilzunehmen. So viele Assistenten<br />

haben noch nie teilgenommen, einer wurde Mitglied.<br />

Das von Alexander Schröer geplante Regionalseminar in<br />

Mainz am 3. Dezember wurde auf den 21. Januar 2012 verlegt<br />

– siehe unter Aktuelles.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

3


Editorial zum Knoten Nr. 1 · Frühjahr 2012 Hans-Günter Egelhoff<br />

Den 1. Preis des Prix Joseph Rovan hat im vergangenen Jahr<br />

2011 die DFG Halle gewonnen, eine kleine und noch sehr junge<br />

DFG, die sich besonders um Vorurteile und Klischees bei Jugendlichen<br />

gekümmert hat. Es gab 27 Bewerbungen und 65 Teilnehmer<br />

bei der Begegnung in der Französischen Botschaft in<br />

Berlin. Unser Beitrag – Prix Charlemagne II und die neue Fremdsprachenassistentenbroschüre<br />

– hat zwar große Beachtung gefunden,<br />

aber es scheint so, dass jedes Jahr offensichtlich eine<br />

andere DFG gewinnt. Wir können uns daher glücklich schätzen,<br />

dass wir diesen Preis 2007 gewonnen haben, nachdem er 2006<br />

ins Leben gerufen wurde, und über die Zusage des neuen Botschafters<br />

Maurice Gourdault-Montagne, dass er zu unserem 60.<br />

Geburtstag nach Freiburg kommen will.<br />

Vom 27. September bis zum 1. Oktober 2012 findet in Lille unsere<br />

nächste Jahrestagung statt. Zum ersten Mal haben wir einen<br />

Termin gewählt, der noch sommerliches Wetter verspricht, denn<br />

der November-Termin war wegen der französischen Austauschlehrer<br />

gewählt worden. Aber dieses PAD-Programm gibt es nicht<br />

mehr.<br />

Diesmal haben wir auf vielfältigen Wunsch die Behandlung von<br />

Literatur im Fremdsprachenunterricht gewählt. Dabei setzen wir<br />

unsere Tradition fort, Autoren zu Wort kommen zu lassen. Für unsere<br />

deutschen Teilnehmer ist sicherlich Cathy Ytak durch ihre<br />

Publikation im Klett Verlag von besonderem Interesse, für die französische<br />

Seite und für alle an der Nachkriegsgeschichte Interessierten<br />

die Lesung von Anna Tüne aus ihrem Buch „Von der<br />

Wiederherstellung des Glücks – eine deutsche Kindheit in Frankreich”.<br />

Mit großer Freude kann ich von der erstmaligen Kooperation mit<br />

einem Goethe-Institut berichten, dessen Direktorin Dorothee Ulrich<br />

uns in Lille empfängt.<br />

4 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

Durch ihre Vermittlung wird Joachim Jost vom Goethe-Institut<br />

Brüssel ein Atelier über Kreatives Schreiben im Rahmen seines<br />

Vortrages „Poesie im Fremdsprachenunterricht” durchführen.<br />

In Montpellier 2009 sollte bereits ein Vertreter des Spanischunterrichts<br />

zur Methodik sprechen, was aus technischen Gründen<br />

nicht möglich war. Nun hat der Bildungsreferent der Spanischen<br />

Botschaft in Berlin, Melchor Pérez Bautista, sein Kommen<br />

grundsätzlich zugesagt, was durchaus zu einer Kooperation zwischen<br />

den „Konkurrenten“ Französisch und Spanisch führen<br />

könnte.<br />

Im Folgenden sind das vorläufige Programm und die Anmeldemodalitäten<br />

abgedruckt, die sich deutlich von den bisherigen unterscheiden.<br />

Im Jahre 2014 wird der <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong> 60 Jahre<br />

alt.<br />

Um dieses Jubiläum würdig zu feiern, benötigen wir für einen angemessenen<br />

Rahmen – in Freiburg – ein solides finanzielles<br />

Pols ter. Ich bitte Sie/Euch daher, eine einmalige gebundene<br />

Spende zu leisten – ich denke da an 20,00 € oder mehr – , und<br />

zwar auf das von mir eingerichtete Sonderkonto: 60 Jahre CMK,<br />

Hans-Günter Egelhoff, Konto-Nr.: 1 101 665 050, Volksbank Mönchengladbach,<br />

BLZ: 310 605 17.<br />

Bei Erscheinen des Knoten wird der Winter zu Ende sein und wir<br />

freuen uns auf den Frühling und auf die Verwirklichung all unserer<br />

Pläne für das Jahr 2012. In diesem Sinn grüße ich Sie/Euch<br />

herzlich.<br />

Ihr/Euer<br />

Dorothee Ulrich Goethe-Institut Lille<br />

Hans-Günter Egelhoff<br />

Mönchengladbach, den 13. Januar 2012


Christine Theiß, Rüdiger Pfromm Protokoll der Jahreshauptversammlung 2011 des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es, 05.11.2011,<br />

Intercity-Hotel Rostock<br />

Anwesende: siehe Anwesenheitsliste<br />

Beginn: 14.05 Uhr, Ende: 15.55 Uhr<br />

TOP 1: Begrüßung<br />

Der 1. Vorsitzende, Hans-Günter Egelhoff, begrüßt die Anwesenden<br />

und stellt die Beschlussfähigkeit der Versammlung fest.<br />

Das Protokoll der letzten Jahreshauptversammlung vom 06.11.<br />

2010 (Essen) wird einstimmig ohne Enthaltungen genehmigt.<br />

Der 1. Vorsitzende stellt den Antrag, unter TOP 6 den Unterpunkt<br />

Knoten aufzunehmen. Dieser Antrag wird ebenfalls ohne Enthaltungen<br />

einstimmig angenommen.<br />

TOP 2: Bestimmung von 2 Protokollführern<br />

Zu Protokollführern werden Christine Theiß und Rüdiger Pfromm<br />

bestimmt.<br />

TOP 3: Berichte des Vorstands und Aussprachen<br />

Der Bericht des 1. Vorsitzenden war vorab per E-Mail verschickt<br />

worden. Er kann im Anhang eingesehen werden.<br />

Die 2. Vorsitzende, Christine Theiß, berichtet über ihre Tätigkeit,<br />

die im Wesentlichen die Organisation und Durchführung der<br />

Vorstandssitzungen sowie die Unterstützung des 1. Vorsitzenden<br />

und seine Vertretung in Abwesenheitszeiten beinhaltet.<br />

Der Schatzmeister, Harald Lange, verliest den Kassenbericht.<br />

Er kann im Anhang eingesehen werden. Es wird keine Aussprache<br />

zu den Berichten gewünscht.<br />

Die Referenten berichten in der Reihenfolge, wie sie im <strong>KNOTEN</strong><br />

aufgeführt werden:<br />

Uwe Fanio hat im Berichtsjahr keine besonderen Aktivitäten aufzuweisen.<br />

Der Justitiar, Gerhard Fleskes, ist entschuldigt. Seine Tätigkeiten<br />

werden vom 1. Vorsitzenden zusammengefasst (Vertretung<br />

des Vorstands bei Abwesenheit, juristische Beratung).<br />

Frauke Lange und Barbara Stutenbäumer berichten über<br />

Möglichkeiten und Schwierigkeiten bei der Assistentenbetreuung<br />

in Berlin und Brandenburg. Frauke Lange erklärt sich bereit, angesichts<br />

der Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnologie<br />

die Assistentenbetreuung im Raum Berlin fortzuführen,<br />

obwohl sie nicht mehr an einer Schule tätig ist. Sie bittet aber<br />

hierzu um Unterstützung.<br />

Kristian Raum berichtet über die FSA-Seminare in Dresden und<br />

über den Stand der Planungen für das kommende Seminar im<br />

November dieses Jahres. Er bietet auch an, anderen CMK-Mitgliedern<br />

behilflich zu sein, eine Online-Anmeldung zu gestalten,<br />

wenn diese es wünschen, ebenfalls ein FSA-Seminar zu organisieren.<br />

Er betont dabei ausdrücklich, dass die Anwesenheit des 1.Vorsitzenden<br />

beim Französischlehrertag in Dresden sehr hilfreich gewesen<br />

sei. Diese Veranstaltung soll am 24.03.2012 erneut<br />

durchgeführt werden. Raum berichtet über die diesbezüglichen<br />

Planungen und fragt an, ob der CMK sich auch wieder als Spon-<br />

sor beteiligen könne. Hierzu erklärt der 1. Vorsitzende, dass ein<br />

Sponsoring zwar schwieriger sei, aber dass durch zeitliche Umschichtung<br />

von geplanten Ausgaben der CMK eine, wenn auch<br />

geringere Sponsoringsumme zuschießen könne.<br />

Die Anstrengungen des CMK unter Federführung von Kristian<br />

Raum zur Verhinderung einer Zusammenlegung zweier Lehrstühle<br />

der Romanistik an der Hochschule in Dresden sind leider erfolglos<br />

geblieben.<br />

In diesem Jahr soll eine weitere Professur gestrichen werden, mit<br />

der Folge, dass das Québec-Forschungszentrum CIFRAQS wegfallen<br />

könnte. Der CMK bemüht sich, dies zu verhindern, eine endgültige<br />

Entscheidung steht aber noch aus.<br />

Raum stößt eine Diskussion zur Positionierung des CMK und zu<br />

den Reaktionen der Kongressteilnehmer auf die Vorträge der Referenten<br />

an. Diese wird zunächst recht leidenschaftlich geführt,<br />

aber auf Geschäftsordnungsantrag der 2. Vorsitzenden bei einer<br />

Gegenstimme auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.<br />

Der <strong>KNOTEN</strong> wird künftig nur noch zweimal im Jahr – dafür aber<br />

in besserer Qualität mit mehr Bildern – erscheinen, dies führt zu<br />

Kosteneinsparungen. Lutz Rüstow ist entschuldigt, hat sich aber<br />

bereits im Vorfeld bereit erklärt, die Redaktion weiterzuführen.<br />

Alexander Schröer berichtet über das jährlich stattfindende<br />

FSA-Seminar in Mainz, das eine positive Resonanz erfahren hat.<br />

Er beklagt aber, dass immer weniger französische Fremd sprachen<br />

assistenten überhaupt nach Deutschland kommen.<br />

TOP 4: Kassenprüfbericht<br />

Barbara Stutenbäumer verliest den Kassenprüfbericht. Sie und<br />

Helga Ulbrich bescheinigen dem Schatzmeister eine korrekte<br />

und übersichtliche Kassenführung und die satzungsgemäße Verwendung<br />

der CMK-Mittel. Die Kassenprüferinnen schlagen die<br />

Ent las tung des Vorstands und der Kassenführung vor.<br />

TOP 5: Entlastung des Vorstands<br />

Ein entsprechender Antrag von Judith Oberpenning wird einstimmig<br />

bei Enthaltung des geschäftsführenden Vorstands angenommen.<br />

TOP 6: Aktivitäten im laufenden Jahr<br />

Prix Charlemagne: Der 1. Vorsitzende verweist auf den Bericht im<br />

<strong>KNOTEN</strong>.<br />

Französischlehrertag Dresden und FSA-Regionalseminare:<br />

Kristian Raum und Alexander Schröer verweisen auf ihre vorangegangenen<br />

Berichte.<br />

Einführungstagungen Altenberg: Die Vertretung des CMK bei der<br />

ersten Veranstaltung im September hat Alexander Schröer übernommen,<br />

bei der zweiten Veranstaltung im Oktober war Michael<br />

Iba für den Verein als Repräsentant anwesend.<br />

Kongress Rostock: Zwei französische Firmen unterstützen uns mit<br />

insgesamt 700,- €, weil sie im Grußwort des OB in der aktuellen<br />

Kongressbroschüre erwähnt sind.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

5


6<br />

Christine Theiß, Rüdiger Pfromm Protokoll der Jahreshauptversammlung 2011 des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es, 05.11.2011,<br />

InterCityHotel Rostock<br />

TOP 7: Planung Lille 2012<br />

Thema: „Die Behandlung von Literatur im Fremdsprachenunterricht“<br />

Termin: 27. 09. bis 01. 10. 2012. Leider kollidiert dieser Termin<br />

mit der VDFG-Tagung in Nancy. Dies war aber bei Terminfestlegung<br />

noch nicht bekannt. Frühbucher werden vom Hotel bei Vorkasse<br />

einen Rabatt erhalten, über eine analoge Regelung bei der<br />

Tagungsgebühr des CMK wird derzeit noch nachgedacht. Es sind<br />

verschiedene französische und deutsche Referenten angefragt,<br />

unter anderem ist bereits eine Autorenlesung geplant. Der 1. Vorsitzende<br />

ist noch auf der Suche nach Sponsoren für Lille, angefragt<br />

ist u. a. Familie Mehdorn (Bezug zur VDFG).<br />

TOP 8: Haushalt 2012<br />

Der Schatzmeister stellt die Haushaltsplanung für 2012 vor. Die<br />

genauen Zahlen können im Anhang eingesehen werden. Auf Antrag<br />

des 1. Vorsitzenden wird der Haushalt einstimmig bei einer<br />

Enthaltung verabschiedet.<br />

TOP 9: Anträge<br />

Es liegen keine Anträge vor.<br />

TOP 10: Verschiedenes<br />

Rüdiger Pfromm hat einen Vorschlag für die Jahrestagung in Erfurt<br />

2013 eingereicht: „Mehrsprachige Förderung vom Kindergarten<br />

bis zur Hochschulreife“ (Arbeitstitel). Ein Termin steht noch<br />

nicht fest, möglich wäre 07.-11.11.2011. Uwe Fanio schlägt als<br />

Tagungsstätte das Augustinerkloster vor, weil es gut gelegen und<br />

finanziell sehr attraktiv ist. Der 1. Vorsitzende begrüßt diese Idee,<br />

weil die Tagung in Freiburg 2014 deutlich teurer werden wird. Ein<br />

Meinungsbild der Teilnehmer ergibt eine breite Mehrheit für die<br />

terminlichen und örtlichen Vorschläge.<br />

Hans-Jürgen Lüsebrink schlägt vor, die FSA (und die Austauschlehrer,<br />

so vorhanden) stärker in die künftigen Tagungen einzubinden,<br />

indem man sie z.B. als Leiter von Ateliers einlädt und auch<br />

die Thematik entsprechend modifiziert, damit die aktuellen bzw.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

gerade aus dem Assistentenjahr zurückgekehrten FSA, die ja die<br />

ursprüngliche Zielgruppe des CMK sind, wieder näher an den Vereingeführt<br />

werden können. Kristian Raum betont, dass die Thematik<br />

so benannt werden muss, dass sich auch die „normalen“<br />

Französischlehrer angesprochen fühlen. Dies wird auch von Uwe<br />

Fanio unterstützt, der darauf hinweist, dass Lehrer sich unmittelbar<br />

verwertbare Impulse für die praktische Arbeit (vor allem hinsichtlich<br />

der „Kerncurricula“ und „Kernkompetenzen“ in den<br />

Lehrplänen) erhoffen. Verschiedene Teilnehmer sprechen das Problem<br />

der Frühförderung an und regen an, dies stärker in die Thematik<br />

einzubinden. Hans-Günter Egelhoff verweist darauf, dass<br />

der Titel der nächsten Tagung nicht wieder das Hauptschlagwort<br />

der vergangenen Tagung enthalten sollte, allenfalls als Untertitel.<br />

Hans-Günter Egelhoff berichtet noch einmal detaillierter über<br />

seine Teilnahme am VDFG/FAFA-Kongress (siehe auch den schriftlichen<br />

Bericht). Der deutsch-französische Jugendverband Viersen<br />

und der CMK sind gegenseitig korporatives Mitglied geworden.<br />

Der CMK wird diesen Verband aber nicht finanziell unterstützen.<br />

Uwe Fanio spricht das Problem der stagnierenden bzw. sogar<br />

nach unten weisenden Teilnehmerzahlen an, beispielhaft am Kongress<br />

in Rostock, wo nur 25 zahlende Teilnehmer angemeldet<br />

waren. Hierzu werden von den Anwesenden verschiedene Gründe<br />

angeführt, wie z. B. sehr weite Anreise, finanzielle Belastung, „uninteressante“<br />

oder „falsch verstandene“ Themen (wie bei dieser<br />

Tagung, bei der viele glaubten, dass es nur etwas für „Bili-Spezialisten“<br />

sei), Terminprobleme (was für Lille 2012 bei zahlreichen<br />

Personen jetzt schon klar ist), Ablehnung anderer Fachverbände,<br />

die Tagungen mit zu bewerben (Konkurrenzangst, schleppende<br />

Zusammenarbeit u.a.), allgemein weniger Mitglieder, Dauer der<br />

Tagung (evtl. Verkürzung der Tagung auf drei Tage) etc. Das Für<br />

und das Wider dieser Thesen wird kontrovers diskutiert und erstreckt<br />

sich nach einer Ausweitung der Diskussion auch auf die<br />

allgemeine Mitgliederwerbung, die zu verstärken der 1. Vorsitzende<br />

anmahnt.


Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

(Conférence annuelle du dfi ‘La France, une nation culturelle ? La<br />

dimension culturelle dans les transformations sociales’, Ludwigsburg<br />

23.-25.06.2011)<br />

1. Chaque nation détermine les critères de son fondement. L’historien<br />

allemand Meinecke a distingué en 1908 à travers une opposition<br />

idéaltypique deux formes de fondation de la nation: la<br />

Kulturnation (‘nation de culture’) et la Staatsnation (‘nation<br />

d’Etat’).[1] On a souvent associé l’Allemagne au premier type,<br />

alors que la France semble représenter une parfaite illustration<br />

de la ‘nation d’Etat’. A première vue, il peut paraître paradoxal<br />

que dans le pays où les écrivains et les intellectuels définissent en<br />

quelque sorte les fondements de la nation ceux-ci semblent se<br />

désintéresser plutôt de la politique – à savoir en Allemagne – alors<br />

qu’en France où la nation s’est constituée à travers des structures<br />

étatiques, la littérature est beaucoup plus intégrée dans la vie<br />

politique. Loin de nous l’idée de prôner une opposition ontologique<br />

entre les deux conceptions et le statut de la littérature à<br />

l’intérieur de la nation. Il importe plutôt d’expliquer cette opposition<br />

à travers une analyse historique sans pourtant vouloir nier<br />

des évolutions qui ont différencié les données de départ.<br />

En opposition à une prétention universelle de la civilisation<br />

française exprimée par Rivarol, l’identité nationale se définissait en<br />

Allemagne à travers la voix de Herder comme une sorte d’être<br />

(Wesen), comme une force intérieure inconsciente, l’essence du<br />

peuple (Volksgeist) se manifestant à travers la langue, les coutumes,<br />

transmis par des mythes et des chansons populaires. A partir<br />

du second tiers du XVIII e siècle s’était formée la conscience<br />

d’une communauté culturelle allemande transcendant les frontières<br />

étatiques et religieuses, l’esquisse d’une ‘nation culturelle’<br />

animée aussi par le renouveau de la littérature allemande –<br />

antérieure à la ‘nation politique’. Si le terme ‘allemand’ était alors<br />

surtout un terme linguistique, mais aussi géographique et ethnique,<br />

il s’élargissait à l’époque du classicisme et du romantisme<br />

vers une dimension culturelle. L’idée de la ‘nation culturelle’,<br />

chère au classicisme allemand, impliquait comme l’a rappelé Conrad<br />

Wiedemann, celle d’un âge d’or initié par la culture allemande<br />

ainsi que celle d’une dissolution de l’Etat au profit d’une représentation<br />

nationale par une République des Lettres d’inspiration<br />

universelle et cosmopolite. Cette option pour la ‘nation culturelle’<br />

contre la ‘nation d’Etat’, même comme substitut de l’Etat-nation<br />

a été une voie spécifique allemande.[2]<br />

Toujours est-il que la conscience nationale s’est éveillée en Allemagne<br />

à travers l’affrontement avec le régime d’occupation napoléonien.<br />

Le cosmopolitisme affiché du classicisme devait céder<br />

à une réaction nationaliste avec les guerres de libération. L’opposition<br />

entre ce qui était proprement allemand et l’étranger, identifié<br />

avec la France napoléonienne, ne pouvait pas se réclamer de<br />

structures politiques. Il ne restait qu’à se fonder sur ce qui avait<br />

été ressenti dès le XVIII e siècle comme déterminant pour la ‘nation<br />

de culture’: la langue, la culture et l’histoire.[3] „De ce fait,<br />

la culture, et par là-même, la littérature se trouvent investies d’une<br />

fonction fondatrice, qui lui fait défaut en France, a remarqué à<br />

bon droit Michael Werner, elles cristallisent une pensée nationale<br />

pré-étatique et servent de lieu d’identification et de projection à<br />

un sentiment national en devenir. Le concept même de littérature<br />

nationale, essentiel pour fonder une histoire littéraire qui confère<br />

une légitimité historique à l’idée de nation allemande, n’a pas d’équivalent<br />

en France.“[4] La Chanson de Roland n’y a pas joué<br />

dans la conscience collective le rôle qui a été attribué en Allemagne<br />

au Chant des Nibelungen; car ici on construisait une identité<br />

nationale à partir d’une continuité allant du Moyen âge à l’époque<br />

moderne représentée par les oeuvres littéraires dès l’époque<br />

courtoise. L’Allemagne est une nation de culture dans ses fondements,<br />

vit l’absence de structures politiques. Mais elle est devenue<br />

ensuite une nation d’Etat à part entière, notamment après<br />

l’unification de l’Allemagne en 1871, sous l’égide de la Prusse. Or<br />

en Prusse, l’Etat a joué un rôle central. C’est la Prusse qui apparaît<br />

alors aux interprètes français de l’époque comme le modèle<br />

de l’Etat-nation. Selon Fustel de Coulanges le patriotisme comme<br />

base de la nation se manifeste dans la relation à l’Etat. « Le patriotisme<br />

consiste dans le respect de l’Etat, dans la confiance à<br />

son égard, et dans la disposition à lui sacrifier tout intérêt et même<br />

tout amour-propre »[5]. Cette disposition face à l’Etat on la trouverait,<br />

selon Fustel guère en France, où l’Etat « n’est jamais qu’un<br />

parti au pouvoir », alors qu’elle serait courante en Prusse C’est en<br />

Prusse qu’il y aurait véritablement une fusion de l’Etat et de la<br />

patrie.[6] Si Fustel de Coulanges est certainement marqué par<br />

son idéologie, il n’est pas moins vrai que l’Allemagne est devenue<br />

à la suite de son unification une nation d’Etat.<br />

2. En France, la conscience nationale s’est définie – contrairement<br />

à l’Allemagne – à travers des institutions politiques, se fondant<br />

sur la conviction de l’excellence des institutions politiques,<br />

notamment la constitution monarchique dont la perennité serait<br />

garantie, selon Claude de Seyssel, par le rôle fondateur des lois<br />

fondamentales.[7] C’est encore aux instances politiques qu’on<br />

doit le fait que la langue nationale se soit imposée en France – par<br />

les ordonnances de Villers-Cotterêts (1539) qui prescrivaient que<br />

toutes les affaires juridiques devaient être traitées en langue<br />

française. La langue est ainsi devenue un attribut important de la<br />

conscience nationale. Ce patriotisme linguistique s’exprimait à<br />

travers Défense et Illustration de langue française (1549) de Jo-<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

7


8<br />

Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

achim du Bellay ou De la précellence du langage français (1579)<br />

de Henri Estienne.<br />

Le nouveau système littéraire avait la nation comme espace qui<br />

devait dépasser les particularismes féodaux. On reconnaissait<br />

pour cette raison à la cour également une fonction ordonnatrice<br />

dans le domaine littéraire et linguistique. Ainsi le roi François I er<br />

chargera le Collège de France de traduire les ouvrages de l’Antiquité<br />

en français. Pour du Bellay, l’hégémonie politique était liée<br />

à l’apparition d’un grand poète épique. Si les théoriciens de la<br />

Pléiade plaidaient pour des emprunts de formes non-françaises<br />

(comme l’ode ou le sonnet) c’était aussi pour fonder une nouvelle<br />

tradition nationale qui devait dépasser les anciennes formes<br />

autochtones de l’ère féodale.<br />

3. A l’époque de la transition de l’ère féodale vers la structure plus<br />

englobante de l’Etat-nation, la littérature était devenue l’expression<br />

représentative de l’Etat-nation; ceci ne signifiait pas purement<br />

et simplement l’instrumentalisation de la littérature. La<br />

littérature a acquis un prestige qui lui permettra de s’émanciper.<br />

Ceci a été démontré pour le 17 e siècle, notamment par Alain Viala<br />

dans son ouvrage Naissance de l’écrivain.[8] L’auteur y a très<br />

bien montré que le ‘Grand Siècle’ avait été dominé par le conflit<br />

entre les deux principes de l’autonomie et de l’hétéronomie et<br />

qu’on ne saurait parler de l’instrumentalisation totale de la culture<br />

par la monarchie absolue. Un fait important a été sans conteste<br />

la fondation, sous Richelieu, de l’Académie française (1635) qui<br />

était loin d’être le seul instrument de la domestication aux mains<br />

du pouvoir central. Ce fut aussi l’institutionnalisation d’une instance<br />

législatrice dans le domaine linguistique et littéraire qui<br />

marquait la professionnalisation des agents du champ, se désignant<br />

désormais écrivains et non plus lettrés (dilettants). Viala a<br />

bien établi un inventaire des moyens d’émancipation (relative) des<br />

écrivains: les droits d’auteur reconnaissant aux écrivains une propriété<br />

morale et matérielle des textes garantie par l’Etat et lui ouvrait<br />

ainsi une possibilité de contrôle, voire de censure, mais aussi<br />

le nouveau public, constitué par les lecteurs de la presse (naissante)<br />

et les assidus des salons, le mécénat et clientélisme. Il permettait<br />

enfin matériellement une activité littéraire et distinguait la<br />

fonction d’écrivain, le rendant par là même dépendant. La création<br />

de l’Académie française faisait partie d’un mouvement académique<br />

dans le pays entier: 71 Académies ont été alors crées<br />

dont 56 Académies littéraires, 9 Académies des Sciences et 4<br />

Académies de peinture. Le résultat de cette institutionnalisation<br />

académique de la littérature et de la ‘naissance de l’écrivain’ fut<br />

une modification de la structure globale du champ intellectuel: le<br />

champ littéraire devenait en France, depuis le ‘siècle classique’ le<br />

champ culturel le plus important et distançait celui de la musique<br />

et de la peinture. Ernst Robert Curtius a décrit ce phénomène<br />

historique, né au XVII e siècle, quand il affirme dans son Essai sur<br />

la France que la littérature est devenue en France l’expression<br />

représentative de la nation. « La littérature joue un rôle capital<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

dans la conscience que la France prend d’elle-même et de sa civilisation.<br />

Aucune autre nation ne lui accorde une place comparable.<br />

Il n’y a qu’en France où la nation entière considère la<br />

littérature comme l’expression représentative de ses destinées.<br />

Peut-être est-il possible de comprendre l’Angleterre en partant<br />

de certaines données morales et politiques: l’empire, l’Eglise anglicane,<br />

les sectes religieuses, les sports, la structure sociale, etc..<br />

Mais les idées maîtresses de la civilisation anglaise ne se trouvent<br />

ni dans Shakespeare, ni dans Keats […] La littérature assume, en<br />

France, les fonctions dévolues chez nous [en Allemagne] à la philosophie<br />

et à la science, à la poésie et à la musique. »[9]<br />

4. Si la littérature est devenue en France au XVII e siècle une instance<br />

importante de la société, elle a en illustrant et défendant<br />

l’idéal de l’Honnête homme en même temps légitimé l’ordre<br />

monarchique, identifiant la raison avec le bon sens.<br />

Au XVII e siècle, la raison est devenue un critère critique et se sont<br />

les écrivains qui ont été les porte-parole d’un espace public en<br />

train de se constituer. En marge des Académies élitistes vont se<br />

multiplier de nouvelles plate-formes: cafés, clubs, musées, cercles<br />

de lecture, loges maçonniques. Vers le milieu du siècle, on peut<br />

constater un basculement d’un espace public et esthétique vers<br />

un espace littéraire et politique. Ce tournant a été marqué par la<br />

parution de l’ouvrage fondamental de Montesquieu De l’esprit des<br />

lois (1748) qui fondait la législation suur des normes générales<br />

abstraites et non plus sur la volonté du monarque. En 1750 parut<br />

le prospectus de Diderot annonçant la publication de l’Encyclopédie<br />

dont l’intention morale se transforma au moins indirectement<br />

en finalité politique. Avec les Physiocrates qui se<br />

constituèrent en 1756 comme groupe se réveilla pour la première<br />

fois l’intérêt des ‘philosophes’ pour des questions économiques.<br />

En ordonnant tout le savoir de l’époque selon l’ordre alphabétique,<br />

les Encyclopédistes mettaient l’idée d’une hiérarchie du cosmos,<br />

ordonnées par des principes théologiques, d’une manière subtile<br />

en question.. Les écrivains-philosophes entraient ainsi en rivalité<br />

avec les théologiens; ils ne se définissaient plus comme des spécialistes<br />

responsables d’un petit domaine circonscrit, mais revendiquaient<br />

une dimension universelle en réunissant le spirituel<br />

et le temporel. Si les écrivains du XVIII e siècle se désignaient<br />

comme des ‘philosophes’, ils entendaient par là mettre en relief<br />

leur fonction critique. S’ils ne cessait pas d’écrire des œuvres de<br />

fiction, c’est qu’ils voulaient être à la fois ‘littérateurs’ et ‘philosophes’<br />

pour reprendre la définition de Diderot. Ne se contentant<br />

pas de formuler leur critique sur le niveau discursif, ils se proposaient<br />

d’en appeler à la conscience de leurs lecteurs, justement<br />

par le biais de la fiction. La légitimité des écrivains-‘philosophes’<br />

du XVIII e siècle se fondait d’une part sur le savoir, d’autre part sur<br />

l’impact qu’ils exerçaient sur l’opinion publique. Sur la base de<br />

cette double légitimité, ils se croyaient autorisés à jeter un regard<br />

critique sur les affaires politiques.


Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

Alexis de Tocqueville devra souligner dans L’ancien régime et la<br />

Révolution le rôle des écrivains dans la lutte contre les privilèges<br />

et pour l’égalité. Il met le fait singulier en relief que les ‘intellectuels’<br />

étaient devenus en France, à la veille de la Révolution<br />

française une autorité importante: « Comment des hommes de<br />

lettres qui ne possédaient ni rangs, ni honneurs, ni richesses, ni<br />

responsabilité, ni pouvoir, devinrent-ils, au fait, les principaux<br />

hommes politiques du temps, et même les seuls, puisque tandis<br />

que d’autres exerçaient le gouvernement, eux seuls tenaient<br />

l’autorité » [10] Et l’auteur constate ainsi une transformation importante<br />

des rapports entre le champ politique et le champ littéraire<br />

en parlant d’une « politique littéraire » ou d’une « direction<br />

des intelligents.»<br />

5. L’influence des écrivains sur la vie publique a été encore plus<br />

importante après la Révolution française, de nouvelles possibilités<br />

de participant se développant. Depuis les années 1830 les écrivains<br />

avaient gagné davantage d’autonomie grâce aux possibilités<br />

offertes par le marché et la presse. Tocqueville avait, de<br />

nouveau, saisi la nouvelle importance sociale de la littérature :<br />

« Peu à peu, les lumières se répandent; on voit se réveiller le goût<br />

de la littérature et des arts; l‘esprit devient alors un élément de<br />

succès; la science est un moyen de gouvernement, l‘intelligence<br />

une force sociale; les lettrés arrivent aux affaires »[11]. Selon Tocqueville,<br />

l’extension des domaines du savoir et de l’art contribue<br />

en même temps à la démocratisation parce qu’on met ses<br />

« armes de l’esprit » à la portée de tout le monde :„Depuis que les<br />

travaux de l‘intelligence furent devenus des sources de force et de<br />

richesses, on dut considérer chaque développement de la science,<br />

chaque idée neuve, comme un genre de puissance mis à la portée<br />

du peuple. La poésie, l‘éloquence, la mémoire, les grâces de<br />

l‘esprit, les feux de l‘imagination, la profondeur de la pensée, tous<br />

ces dons que le ciel répartit au hasard, profitèrent à la démocratie<br />

[...]. »[12] Christophe Charle a constaté pour cette période<br />

l’émergence progressive d’un groupe social qui désigne des individus<br />

qui se consacrent è des activités considérées auparavant<br />

comme hétérogènes: savants, hommes de lettres, enseignants,<br />

journalistes, médecins, avocats, groupe défini à la fin de siècle<br />

dans les statistiques comme celui des professions libérales.[13]<br />

Les intellectuels se situent dans un champ intellectuel au sein duquel<br />

ils luttent pour le pouvoir symbolique et culturel à travers un<br />

combat pour l’établissement des conditions de possibilité de ce<br />

pouvoir qu’on englobe sous la notion générique de liberté (de la<br />

presse, de réunion, d’expression, d’enseignement. Cet espace<br />

des luttes culturelles est en même temps inséré dans l’espace<br />

des luttes politiques qui forcent les intellectuels du XIX e siècle à<br />

des prises de position directement politiques.[14]<br />

Le nouveau type de l’écrivain qui exerçait une influence au-delà<br />

de son propre champ a été incarné par Alphonse de Lamartine<br />

(1790-1869) qui se fit élire en 1833 dans la chambre des dé-<br />

putés, contribuant par son Histoire des Girondins (1843-47) à la<br />

réhabilitation de la Ière République, pour devenir au moment de<br />

la Révolution de février 1948 un des membres importants du Gouvernement<br />

Provisoire. Lui aussi assuma cette double fonction, définie<br />

par les écrivains-philosophes du XVIIIe siècle en luttant par<br />

exemple sur le niveau parlementaire pour l’abolition de l’esclavage,<br />

mais également par le biais de la littérature, par exemple par<br />

sa pièce de théâtre Toussaint Louverture (1850). C’est par ailleurs<br />

Lamartine qui a lancé le terme de « poète responsable, actif<br />

et engagé ».<br />

L’importance que la conscience collective a attribué en France au<br />

XIX e siècle se perçoit également à travers les commémorations.<br />

Parmi les cinq grandes commémorations que Pierre Nora recense<br />

dans le tome 1 des Lieux de mémoire, il y en au moins deux qui<br />

ont été consacrés à de grands écrivains: le centenaire de la mort<br />

de Voltaire et de Rousseau commémoré solennellement en 1878<br />

et les funérailles de Victor Hugo en1885, un événement d’une<br />

portée nationale avec l’exposition du corps de l’écrivain sous l’Arc<br />

de Triomphe, accompagné par un million et demi de citoyens et<br />

citoyennes. Après la défaite de 1871 cet hommage extraordinaire<br />

à un poète était en même temps l’expression de la conviction que<br />

la grandeur de la France ne résidait pas dans la puissance militaire,<br />

mais la littérature, l’art et l’historiographie.[15] Victor Hugo<br />

avait incarné la France du XIX e siècle comme Voltaire le siècle des<br />

Lumières, en assumant le double rôle d’un grand écrivain et d’une<br />

conscience politique. Le Victor Hugo politique est resté en Allemagne<br />

peu familier alors qu’il était devenu une instance républicaine<br />

en France.[16]<br />

Vu cette importance de la culture et notamment de la littérature<br />

et des écrivains au sein de la société française, on est peut-être<br />

étonné que Renan, dans sa célèbre conférence de 1882 « Qu’est<br />

qu’une nation? » définisse la nation non pas par des critères culturels,<br />

mais politiques en affirmant que la nation est constituée par<br />

le consentement actuel, le désir de vivre ensemble » qu’il traduit<br />

par la formule célèbre: « l’existence d’une nation est […] un plébiscite<br />

de tous les jours. » Cette réponse s’explique par le fait<br />

qu’elle se cristallisait au sujet de l’annexion de l’Alsace-Lorraine<br />

par les Allemands Certains écrivains et historiens avaient entendu<br />

légitimer l’annexion des territoires d’Alsace-Lorraine au nom<br />

d’une conception de la nation reposant essentiellement sur les<br />

impératifs de la langue et de la culture qui étaient en effet germaniques<br />

dans ces deux provinces. Renan oppose à cette conception<br />

objectiviste de la nation une conception ancrée dans la<br />

volonté politique des citoyens et non pas dans la langue et la culture<br />

Mais Renan n’oublie pas le deuxième élément constitutif de<br />

la nation : « la possession en commun d’un riche legs de souvenirs<br />

», « l’aboutissement d’un long passé d’efforts, de sacrifices<br />

et de dévouements. ». La volonté politique et la tradition culturelle<br />

semblent être ainsi, pour Renan, les éléments constitutifs de la<br />

conscience identitaire en France, mais la dimension politique<br />

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10<br />

Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

prime. Ceci correspond aussi à cette double définition de l’écrivain<br />

comme créateur littéraire et instance politique.<br />

En Allemagne en revanche, après l’échec des mouvements de<br />

1848, l’écart entre littérature et politique se creusait davantage.<br />

Les écrivains tentaient de se maintenir à l’écart des luttes, estimant<br />

que la littérature doit être préservée de ce qui relève du basmonde<br />

prosaïque et temporel. La sacralisation de la ‘haute<br />

littérature’ n’empêchait pas nombre de poètes romantiques, du<br />

fait même de leur attitude apolitique, de se situer du côté du conservatisme<br />

idéologique et social.[17] Le clivage partiel et temporaire<br />

entre Geist et Politik en Allemagne qui a perduré en quelque<br />

sorte jusqu’en 1945 constitue, selon Michael Werner, à l’échelle<br />

européenne une exception. Cette évolution n’est certainement<br />

pas due à une essence allemande, mais à des conditions historiques<br />

spécifiques.<br />

Le poids des écrivains charismatique qui se fondait sur une longue<br />

tradition se manifesta en France d’une manière imposante<br />

avec l’intervention de Zola pour Dreyfus. Son intervention<br />

s’insérait dans la logique de l’intervention prophétique d’un écrivain<br />

célèbre tel Voltaire ou Victor Hugo. Ce qui était nouveau ce fut<br />

la solidarisation de centaines d’écrivains et d’universitaires avec<br />

l’acte courageux de Zola. Cette nouvelle conception d’un groupe<br />

social, désigné par le néologisme collectif les intellectuels caractérise<br />

des écrivains, des artistes, des universitaires qui ont acquis<br />

dans leur domaine une notoriété et qui prennent, sur la base des<br />

valeurs républicaines fondamentales, position au sujet de causes<br />

importantes de la société. L’intervention des intellectuels en<br />

France est devenue un modèle. Les conditions de possibilité de<br />

cette intervention ont été à la fois structurelles et conjoncturelles<br />

; elle était due à une longue tradition démocratique, à l’impact<br />

d’une opinion publique grâce à une presse nationale, à la<br />

concentration de l’élite politique et culturelle dans la capitale et<br />

enfin au mode méritocratique de la reproduction des élites.<br />

Dans des situations de crise analogues, les intellectuels n’ont pas<br />

cessé d’intervenir et de prendre position au sujet de problèmes<br />

graves. Ce furent, après l’expérience meurtrière de la Première<br />

Guerre mondiale, les interventions pour le pacifisme, et puis contre<br />

(ou pour) le fascisme, pour (ou contre) le Front populaire, pour<br />

la Résistance ou la Collaboration.<br />

Un rôle important incomba aux intellectuels au moment de la<br />

guerre d’Algérie. C’est Jean-Paul Sartre qui incarna la figure du<br />

grand intellectuel et il lança dans sa revue Les Temps Modernes<br />

le célèbre ‘Manifeste des 141’ justifiant l’insubordination des appelés<br />

de la guerre d’Algérie.<br />

La conception de l’intellectuel universel a été poursuivie et modifiée<br />

par la conception de l’intellectuel spécifique de Foucault et<br />

l’intellectuel spécifique collectif de Bourdieu.<br />

Il y a ainsi une très longue tradition de l’intégration des écrivains,<br />

des philosophes, des penseurs dans la société française qui y jouissent<br />

d’une grande reconnaissance et qui, sur la base de cette<br />

autorité peuvent intervenir et sont écoutés.<br />

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6. Si les écrivains et les penseurs, jouissant d’un statut social<br />

élevé, sont intervenus au sujet des grandes questions de la société,<br />

les hommes politiques, en revanche entendaient aussi se<br />

dis tinguer par la qualité littéraire de leurs interventions, un fait qui<br />

a été déjà relevé par Curtius dans son essai prénommé: « Jamais<br />

les connaissances techniques et la précision scientifique ne suppléeront,<br />

en France, au manque de culture littéraire. Il n’y a qu’en<br />

France, où nous rencontrions cette catégorie de livres qui entraînent<br />

par leur forme, l’adhésion du lecteur littéraire, et, par leurs<br />

formules, celle de l’homme politique […] Les politiciens ont en<br />

France, le droit d’écrire des romans, et les romanciers, des essais<br />

politiques, sans cesser pour cela d’être pris au sérieux. Chateaubriand<br />

fut à la fois un ministre et l’inventeur d’une prose nouvelle.<br />

Claudel, un des plus grands poètes de la France contemporaine,<br />

est en même temps, ambassadeur de la république. »[18] On<br />

pourrait continuer cette liste en évoquant Saint-John Perse, Jean<br />

Giraudoux et bien sûr André Malraux qui tout en étant écrivains<br />

étaient en même temps au service de l’Etat. Il semble que des<br />

hommes politiques cherchent une légitimation supplémentaire par<br />

la qualité littéraire de leurs écrits. Le Général de Gaulle étaient en<br />

rapport avec un certain nombre d’écrivains, outre Malraux; il était<br />

familier de la littérature [19] et il écrivit ses Mémoires de guerre<br />

avec une intention esthétique. On ne s’étonne pas que le tome III<br />

ait figuré en 2010 sur le programme du bac L en 2010 à côté de<br />

l’Odyssée, de Fin de partie et de Tous les matins du monde. On<br />

a pu douter de l’utilité pédagogique de ce choix comme l’a fait un<br />

collectif de professeurs de lettres. «La posture du mémorialiste et<br />

l’autorité avec laquelle celui-ci délivre son propos contrastent<br />

fortement avec tout ce à quoi la littérature contemporaine les [les<br />

élèves] a familiarisés: les errances ou la dissolution des personnages,<br />

la temporalité bousculée, la topologie indéfinie, la vanité de<br />

l’action. »[20] Si l’on a pu critiquer la position du Général, on a<br />

pourtant peu critiqué la qualité littéraire de ses Mémoires. Claude<br />

Lanzmann pouvait ainsi écrire: « Qui lit de Gaulle sans œillères et<br />

préjugés se convainc qu’il mérite pleinement d’appartenir à la littérature<br />

française […] et d’être enseigné en tant qu’écrivain. Ce<br />

n’est pas là, comme on tend à le faire croire, une simple question<br />

de belle langue et de style, c’est infiniment plus radical : la littérature,<br />

ou si l’on préfère l’écriture, a toujours été le deuxième fer<br />

au feu de l’existence du Général[…] »[21] Jugement qui rejoint<br />

celui de Gilles Philippe: « Pour parler de et à la France, de Gaulle<br />

déploya un style qui correspondait tout simplement à l’image qu’il<br />

avait (et qu’on avait encore largement) du génie de la Nation et de<br />

son idiome: sec et brillant. Sur un point au moins il faut donner<br />

raison à Roland Barthes: de Gaulle est d»abord un ‘homme qui se<br />

soucie de bien écrire le français’. »[22] Giscard d’Estaing devait<br />

déclarer que son rêve avait été d’être un second Flaubert ou Maupassant.<br />

Mitterand a son tour a été un fin connaisseur de la littérature<br />

et la photo officielle le montra un livre dans ses mains :<br />

les Essais de Montaigne. Son ouvrage L’abeille et l’architecte<br />

(1978) a été salué comme un événement littéraire. Lorsqu’il se


Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

rendait en 1993 en Allemagne, il tenait à rendre visite à un écrivain,<br />

Ernst Jünger. Ce fait illustre, selon le sociologue Wolf Lepenies,<br />

la relation spécifique des hommes politiques français avec<br />

la littérature : »Les hommes politiques allemands écrivent aussi<br />

des livres, mais, en règle générale, ce ne sont pas des auteurs politiques,<br />

encore moins des hommes de lettres. En France, un livre<br />

bien écrit a toujours valeur de billet d’entrée en politique, alors<br />

qu’en Allemagne un style brillant laisse planer le soupçon qu’il ne<br />

faut pas prendre l’auteur au sérieux, qu’il n’est pas fait pour la politique<br />

et qu’il a trop de temps pour les à-côtés. Quand un homme<br />

politique allemand va rendre visite à un écrivain de renom, il s’y<br />

mêle toujours soit de l’administration soit de la condescendance.<br />

En France, les choses sont différentes: l’homme de lettres et<br />

l’homme politique sont de même nature et se rencontrent sur le<br />

même terrain. Tous deux le savent bien: il leur serait si facile<br />

d’échanger leurs places!»[23] On peut cependant se demander<br />

si cette relation privilégie des hommes politiques avec la littérature<br />

perdure avec un Président de la Rèpublique qui considère<br />

que c’est « un sadique ou un imbécile, choisissez, [qui] avait mis<br />

dans le programme [d’un concours] d’interroger les concurrents<br />

sur « La Princesse de Clèves». »<br />

7. On pourrait en plus évoquer la forte présence de la littérature<br />

dans la vie quotidienne en France, si bien inventoriée par Fritz<br />

Nies dans son article « Literatur als Lebensmittel. Literarisches<br />

im Alltag » ou par Priscilla Parkhurst Ferguson, La France, nation<br />

littéraire [24] « Le champ littéraire français aime », écrivit cette<br />

dernière, à se signaler à l’attention, comme pour transmettre à<br />

la société son capital d’idées et d’idéaux, par toutes sortes de représentations<br />

emblématiques ou symboliques. C’est ainsi que les<br />

billets de banque français assignent une place privilégiée aux<br />

classiques de la littérature […] Et Paris peut se laisser lire au gré<br />

des noms de rue, dont beaucoup sont des noms d’écrivains. A<br />

nouveau, on pourrait parier sur l’existence de résonances profondes<br />

dans la conscience collective, mais Edmond Wilson n’est<br />

certainement pas le seul Américain à trouver ‘tout à fait merveilleux’<br />

qu’il y ait à Paris une rue portant le nom de l’un de ses écrivains<br />

préférés, tout en déplorant qu’à new York, l’on ne soit pas<br />

parvenu à faire débaptiser Washington Square au profit de Henry<br />

James, qui y naquit. Quelle différence avec la France, où le jeune<br />

Jean-Paul Sartre était assuré qu’une fois le succès venu, il aurait<br />

‘ses’ rues, tant en province qu’à Paris. »[25] Et en effet, le nombre<br />

des rues portant un nom d’écrivain est sept fois supérieur<br />

qu’à Londres. On pourrait aussi évoquer les plus de cent maisons<br />

d’écrivains qu’on trouve en France – un chiffre record. Georges<br />

Poisson leur a consacré un ‘Que sais-je’?’[26] et Gallimard les<br />

présente dans un guide La France des écrivains.[27] En 1996,<br />

les Journées du patrimoine ont été consacrées aux lieux d’écriture[28]<br />

On pourrait mentionner également les 210 Associations<br />

d’amis d’un auteur qui existent en France et qui sont répertoriées<br />

dans un Guide spécifique.[29]<br />

Nous avons mis en relief les traits qui font en effet de la France<br />

une nation littéraire. Si la littérature joue un rôle primordial à<br />

l’intérieur du système de la culture, la culture en tant que telle est<br />

un attribut que les observateurs étrangers ne cessent de reconnaître<br />

à la France. André Wilmots, un ancien Haut Fonctionnaire<br />

français à l’ONU relève dans son livre Le défi français que la culture<br />

française garde toujours son aura Outre-Atlantique. Even Galbraith,<br />

dans ses Mémoires d’Ambassadeur américain à Paris<br />

reconnaissit que la France était « incontestablement le salon intellectuel<br />

de l’Europe»[30]<br />

A la suite de la première guerre en Irak, le magazine L’Express<br />

a organisé en 1991 une enquête dans cinq pays en posant la<br />

question si la France était encore une grande puissance. Pour les<br />

Français c’était toujours le cas à cause de la technologie, de ses<br />

industries de pointe, de son armée et sa force nucléaire. Mais<br />

pour les gens interrogés dans les autres pays, la France avait<br />

cessé d’être une grande puissance, avec une seule exception : le<br />

rayonnement culturel. 59 % des interrogés aux Etats-Unis reconnaissent<br />

une certaine grandeur à la France pour son rayonnement<br />

culturel, 58 % en Israel, 52 % en Allemagne et 50 % en<br />

Grande-Bretagne. Pour les Français aussi le rayonnement culturel<br />

figure à la première place des arguments (avec 86 %) avant<br />

la technologie de pointe (80 %) et la force nucléaire (72 %). Cette<br />

image que la France se fait d’elle-même est corroborée par sa<br />

politique culturelle très active, par exemple dans sa Zone d’Occupation<br />

en Allemagne, par ses 135 Instituts Français et Centres<br />

Culturels Français, par son Ministère de la Culture créé en 1959<br />

par le Général de Gaulle avec un budget pour 2011 en hausse de<br />

2,1 % à savoir 153 millions d’Euros de plus qu’en 2010. Mais<br />

cela serait une autre histoire.<br />

Je termine. La France est et reste une nation d’Etat, mais elle est<br />

aussi dans une mesure très élevée une nation de culture et surtout<br />

une nation littéraire.<br />

Literatur:<br />

[1] Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat. München,<br />

Oldenbourg, 1908.<br />

[2] D’après Conrad Wiedemann, „Deutsche Klassik und nationale<br />

Identität. Eine Revision der Sonderwegs-Frage“, in: Wilhelm<br />

Voss kamp (éd.), Klassik im Vergleich. Normativität und Historizität<br />

europäischer Klassiker, Stuttgart, Metzler, 1993, p. 541-569.<br />

[3] Voir à ce sujet Joseph Jurt, «Allemagne-France: débat sur la<br />

nation. Les Français vus d’Allemagne», Commentaire, n°74, été<br />

1996, p. 335-339; id., «Identité», in: Au jardin des malentendus.<br />

Le commerce franco-allemand des idées, Arles, Actes Sud, 1997,<br />

p. 159-166.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

11


12<br />

Joseph Jurt La France – nation d’Etat ou nation de culture?<br />

[4] Michael Werner, «La place relative du champ littéraire dans<br />

les cultures nationales. Quelques remarques à propos de l’exemple<br />

franco-allemand», in: Michel Espagne / Michael Werner (éd.),<br />

Philogogiques III. Paris, Editions de la Maison des Sciences de<br />

l’Homme, 1994, p. 18-19.<br />

[5] Fustel de Coulanges, Fragments de l«Essai historique sur la<br />

guerre et la Commune», publié par F. Hartog, p. 240, cité par<br />

Michael Werner, „La nation revisée en 1870-1871. Visions et redéfinitions<br />

de la nation en France pendant le conflit franco-allemand“,<br />

Revue germanique internationale, 4, 1995, p. 199.<br />

[6] Ibidem, p. 199.<br />

[7] Voir Claude de Seyssel, La Grand‘ Monarchie de France<br />

(1519); voir Herfried Münkler, „Nation als politische Idee“, in: Klaus<br />

Garber (Hrsg.), Nation und Literatur im Europa der frühen Neuzeit.<br />

Tübingen, Niemeyer, 1989, p. 56-86.<br />

[8] Les Editions de Minuit, 1985.<br />

[9] Ernst-Robert Curtius, Essai sur la France. Paris, Grasset, 1932,<br />

p. 157, 159.<br />

[10] Alexis de Tocqueville, L’ancien régime et la Révolution. Paris,<br />

Gallimard, 1967, p. 23.<br />

[11] Alexis de Tocqueville, Oeuvres, papiers et correspondances.<br />

Tome 1: De la démocratie en Amérique. Paris, Gallimard, 1951,<br />

p.2.<br />

[12] Ibidem, p. 3.<br />

[13] Christophe Charle, Les intellectuels en Europe au XIXe siècle.<br />

Paris, Seuil, 1996, p. 25f.<br />

[14] Ibidem, p. 25.<br />

[15] Lüsebrink, H.-J., «La nation-spectacle. Zur Bedeutung des<br />

Literarischen in der Selbstdarstellung der Grande Nation», Literatur-Magazin,<br />

28, 1991, p. 40-50<br />

Prof. Dr. Jurt bei seinem Vortrag in Ludwigsburg<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

[16] Fritz Nies, „Victor Hugo“, in: Jacques Leenhardt et Robert<br />

Picht (éd.), Au Jardin des Malentendus. Le commerce franco-allemand<br />

des idées. Arles, Actes Sud, 1997, p. 86-91.<br />

[17] Ibidem, p. 19.<br />

[18] Ernst Robert Curtius, op. cit., p. 158.<br />

[19] Jean Serroy (éd.), De Gaulle et les écrivains. Presses universitaires<br />

de Grenoble, 1991.<br />

[20] Isabelle Guary, Marie-Françoise Leudet, Agnès Vinas, „Les<br />

Mémoires de guerre au baccalauréat: un ‚salut‘ pour la littérature?“,<br />

Les Temps Modernes, no. 661, novembre-décembre<br />

2010, p. 31.<br />

[21] Ibidem, p. 2.<br />

[22] Gilles Philippe, „De Gaulle, une certaine idée de la langues“,<br />

Les Temps Modernes, no. 661, novembre-décembre 2010, p. 59.<br />

[23] Wolf Lepenies, “Le siècle de Jünger”, Le Monde, 20 février<br />

1998, p. 12.<br />

[24] Parkhurst Ferguson, Priscilla, La France, nation littéraire. Bruxelles,<br />

Labor, 1991;<br />

Nies, Fritz, „Literatur als Lebensmittel”, in: J. Kolboom/H.J. Neyer<br />

(Hg.), Frankreich. Menschen. Landschaft. Berlin, 1988.<br />

[25] Priscilla Parkurst Ferguson, op. cit., p. 32-33.<br />

[26] Georges Poisson, Les Maisons d’écrivain. Paris, P.U.F., 1997<br />

(Que sais-je? 3216).<br />

[27] La France des écrivains. Paris, Gallimard, 1997.<br />

[28] ‚Un Guide des lieux d’écriture‘, Le Monde, 13 septembre<br />

1996.<br />

[29] Guide Nicaise des Associations d’Amis d’Auteurs, établi par<br />

J.-E. Huret. Paris, Librairie Nicaise, 2001.<br />

[30] André Wilmots, Le défi français. Paris, 1991.


Kristian Raum Deutsch-Französischer Kongress in Rostock vom 3.-7. November 2011<br />

Ouvrons les portes à la vie! Interkulturelles Lernen und bilinguale, fachübergreifende Module im Französischunterricht<br />

„Ouvrons les portes à la vie!“ – angesichts der vielfältigen Herausforderungen,<br />

vor denen wir als Französischlehrer stehen,<br />

scheint das Motto unserer Tagung in Rostock geradezu provozierend<br />

zu sein, werden doch immer wieder und das meist von mehreren<br />

Seiten Erwartungen an uns herangetragen in Bezug auf<br />

einen Unterricht, der interdisziplinäres Denken anregt, womöglich<br />

neuere Erkenntnisse der Hirnforschung berücksichtigt und eine<br />

differenzierende Förderung aller Schüler gleichzeitig ermöglicht.<br />

Die Forderung nach einer „Öffnung hin zum Leben“ soll angesichts<br />

dieser hohen, oft unerfüllbar scheinenden Ansprüche Mut<br />

machen zu einem Blick über den berühmten „Tellerrand“ – und<br />

damit kleine und große Erfolge auf dem Gebiet fremdsprachlichen<br />

Lernens in den Blick holen, von denen wir als Französischlehrer<br />

profitieren können. Zu diesen positiven Beispielen gehört der<br />

bilinguale Sachfachunterricht, wie er sich in den letzten vier Jahrzehnten<br />

in Deutschland etabliert hat, aber auch die vielversprechende<br />

Einrichtung bilingualer Kindertagesstätten mit ihren<br />

überwältigenden Erfolgen.<br />

Ziel unserer Tagung mit ihrem Motto war es nun zu zeigen, dass<br />

der reguläre Französischunterricht aus diesen Erfahrungen Nutzen<br />

ziehen kann und dass sich hierfür vor allem der Einsatz von interdisziplinären<br />

bzw. fachübergreifenden Ansätzen z.B. in Form<br />

von Modulen lohnt – dies letztlich, um die kommunikativen und interkulturellen<br />

Kompetenzen der Schüler zu fördern. Dazu hatten<br />

wir erfahrene Referenten eingeladen, wie Paul Palmen, den Vorsitzenden<br />

der Arbeitsgemeinschaft der Gymnasien mit bilingualem<br />

Zweig, und Prof. Dr. Henning Wode, der die von ihm erforschten<br />

Erfolge von Immersionsprogrammen an Kindergärten und<br />

Grundschulen vorstellte. Beide zeigten in verschiedenen Zusammenhängen,<br />

wie schnell Kinder eine Sprache erwerben, wenn sie<br />

als „Arbeitssprache” in einem authentischen Kontext gebraucht<br />

wird. Den Bezug zum regulären Französischunterricht stellte Prof.<br />

Dr. Olivier Mentz her, der in seinem Beitrag wichtige Impulse zu<br />

einem Überdenken der bisherigen Fremdsprachendidaktik setzte<br />

und damit intensive Diskussionen auslöste.<br />

Konkrete Beispiele aus und für die Unterrichtspraxis brachten<br />

Prof. Dr. Hans-Jürgen Lüsebrink in seinem Vortrag zu interkulturellem<br />

Lernen und kontrastiver Landeskunde, Dr. Martine<br />

Paquin-Lienig mit der Vorstellung eines Moduls zum Thema „Le<br />

Québec en classe” und drei Kolleginnen aus der Schulpraxis:<br />

Anja Taschenberger (Kunst), Anne-Lise Dainat (Geographie)<br />

und Frauke Jöckel (Politik). Im kleineren Rahmen ihrer Ateliers<br />

wurden Möglichkeiten der didaktischen Umsetzung unter den<br />

Aspekten von Kommunikationsförderung, Lernerautonomie und<br />

Selbstevaluation vorgestellt und diskutiert.<br />

Besonders spannend wurde es dann am späten Samstag Nachmittag,<br />

als mehrere Referenten und auch ein ehemaliger Schüler,<br />

Nikolaj Gründer, in der von Sonja Hannemann und Alexander<br />

Schröer geleiteten Table Ronde über die Chancen und Risiken<br />

der Öffnung des Französischunterrichts hin zu sachfachlichen<br />

Themen diskutierten. Die Debatte zeigte schnell, dass allenfalls<br />

ein Anstoß gegeben werden konnte, sich mit den unterschiedlichen<br />

Erfahrungen und Argumenten auseinanderzusetzen. Es<br />

bleibt zu hoffen, dass die geplante Publikation zur Rostocker Tagung<br />

der konstruktiven Fortführung der Debatte zu dieser Thematik<br />

dienen wird.<br />

Die Beiträge von Henning Wode und nicht zuletzt der Besuch der<br />

von Petra Otto geleiteten bilingualen Rostocker Kindertagesstätte<br />

„Rappelkiste“ boten einen beeindruckenden Blick in die bilinguale<br />

Praxis und zeigten auf, was alles möglich ist, wenn die entsprechenden<br />

Rahmenbedingungen geschaffen werden – und vor<br />

allem: wenn sich Eltern und Vereine für die Kinder und Einrichtungen<br />

starkmachen. Ein wichtiger Impuls der Rostocker Tagung<br />

könnte es daher sein, sich im Rahmen des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es<br />

verstärkt für die Schaffung bilingualer Angebote im vorschulischen<br />

und schulischen Bereich einzusetzen.<br />

Mut zu ehrenamtlichem Engagement für die Verbreitung der französischen<br />

Sprache in Deutschland hatte uns Charles Malinas,<br />

Conseiller culturel der Französischen Botschaft in Berlin, in seiner<br />

Begrüßungsansprache gemacht.<br />

Die Rostocker Tagung brachte die Teilnehmer nicht nur zum Nachdenken<br />

über didaktische Aspekte, sondern auch zu einer „Öffnung”<br />

hin zur Stadt und ihrer Geschichte. Unser ehemaliger Erster<br />

Vorsitzender, Lutz Rüstow, zeichnete in seinem Vortrag ein<br />

Pa norama der deutsch-französischen Geschichte Rostocks und<br />

bewies, wie lohnenswert und überraschend die Auseinandersetzung<br />

mit der gemeinsamen Vergangenheit sein kann.<br />

Besonders bleibende Eindrücke werden darüber hinaus sicher der<br />

Empfang bei Oberbürgermeister Roland Methling, die Stadtführung<br />

mit Carola Matthews, selbst ehemalige Französischlehrerin,<br />

und der Abschiedsabend mit Fisch und Gesang im<br />

Warnemünder Teepott hinterlassen.<br />

Rostock hat aber auch wieder einmal gezeigt, wie viele Menschen<br />

es gibt, die sich für unsere Anliegen interessieren und bereit sind<br />

sich zu engagieren. So hat uns die tatkräftige Unterstützung von<br />

Stéphanie Queudet vom Centre franco-allemand de Rostock<br />

z. B. nicht nur einen wunderschönen Chanson-Abend mit Mélinée<br />

ermöglicht. Vier französische Fremdsprachenassistenten und eine<br />

französische Austauschlehrerin aus Mecklenburg-Vorpommern<br />

schlossen sich außerdem unserer Gruppe an.<br />

Für mich wird der Rostocker Kongress daher nicht nur wegen seiner<br />

spannenden Denkanstöße, interessanten Gespräche und der<br />

engagierten Unterstützung meiner Kolleginnen aus Dresden und<br />

Paris bei der Vorbereitung in Erinnerung bleiben, sondern auch<br />

wegen seiner besonders herzlichen und vertrauensvollen Atmosphäre.<br />

Ich danke allen Teilnehmern und Referenten sehr, dass sie<br />

sich im November auf den Weg in den Norden gemacht und damit<br />

zum Erfolg der Tagung beigetragen haben.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

13


Hermann H. Dieter und Michèle Dieter [1] Bilinguale Erziehung: Wo und wie? [2]<br />

Persönliche Erfahrungen und didaktische Betrachtungen<br />

In der EU leben viele Millionen Elternpaare unterschiedlicher Muttersprache.<br />

Un ter Beachtung einiger einfacher, leicht zu beherrschender<br />

sprachlicher und erzie herischer Verhaltensregeln wäre<br />

es entsprechend aufgeschlossenen Paaren mög lich, ihre Kinder<br />

unmittelbar von der Geburt an in eine perfekte aktive und passive<br />

Bilingualität hineinwachsen zu lassen. Obwohl die staatlichen und<br />

privaten Bildungseinrich tungen dies nicht einmal etwas kosten<br />

würde, tun sie nichts, um den hier schlum mernden Schatz an Bilingualität<br />

der nächsten Generation zu fördern. Stattdessen legen<br />

sie ständig neue und teure, jedoch uneffektive und didaktisch umstrittene<br />

Programme für Frühenglisch u.ä. in Kindergarten und<br />

Schule auf.<br />

1 In Sprache eintauchen – und schwimmen!<br />

Seit ihrer Geburt hörten unsere Kinder Mélanie und Harald ihre<br />

Mutter nur Französisch und ihren Vater nur Deutsch sprechen.<br />

Dieser Regel unterwerfen sich ihre Eltern nicht nur aus einer gewissen<br />

Sprachbequemlichkeit. Ausschlaggebend war vielmehr ihr<br />

Studium verschiedener Untersuchungen zum Thema „bilinguale<br />

Erziehung“ und die strikte Beachtung der wichtigsten daraus destillierbaren<br />

Regel „Eine Person – eine Spra che“. Der Erfolg?<br />

Hierzu einige persönliche Beobachtungen:<br />

1) Mélanie ist etwa 1 ½ Jahre alt. Sie babbelt je nach sprachlicher<br />

Umgebung eindeutig erkennbar entweder auf deutsch oder auf<br />

französisch. Ihr französischer Vetter Jérôme weilt mit seinen französischen<br />

Eltern, die beide in Frankreich wohnen, bei uns in Konstanz<br />

zu Besuch. Er ist zwei Tage älter als Mélanie. Er hat bis zu<br />

diesem Tag nie eine andere Sprache als Französisch gehört.<br />

Die beiden Kinder haben sich schnell aneinander gewöhnt und<br />

babbeln munter drauflos, und dies umso heftiger, als sie bemerken,<br />

dass uns ein begeistertes Lachen Jérômes in Beschlag<br />

nimmt. Der Grund: Mélanie „unterhält“ ihren Cousin auf deutsch!<br />

Tatsächlich besitzt ihr „Wortfluss“ weder das typische französische<br />

Tempo noch die Flüssigkeit der französischen Sprache, und<br />

die Laute klingen deutlich „kehlig“.<br />

Als Jérômes Mutter Mélanie fragt, was sie denn so Lustiges erzähle,<br />

schaut Mélanie sie kurz an und verfällt wieder in ein französisches<br />

Gebabbel. Jérôme ist sichtlich enttäuscht.<br />

2) Selbst Kinder in Frankreich, die zu Hause noch nie ein Dienstmädchen<br />

sahen, kennen hierfür das Wort „la bonne“, z. B. aus<br />

Märchen und Erzählungen oder als ein letztes Schlagwort, wenn<br />

in ei nem Streit andere Argumente als „Je ne suis pas ta bonne“<br />

nicht mehr wei terhelfen. Als Mélanie, die mit ihrem Vater immer<br />

nur Deutsch spricht, ihm einmal behilflich sein soll, dies aber nicht<br />

ein sieht, wehrt sie sich nach einigem Hin und Her tatsächlich mit<br />

dem Argument „Ich bin nicht deine Güterin“ (aus bonne = Femininform<br />

von bon = gut).<br />

3) Auf ähnlich struktursicherem Boden bewegt sich Harald im Alter<br />

von 3½ Jahren souverän in beiden Sprachen. Als er bei einem<br />

Ausflug mit seinem Vater und ausschließlich französischspra chigen<br />

Spielkameraden am Wegrand eine besonders prachtvolle<br />

Fenchelpflanze (fe-nouille) ent deckt, zeigt er sie ihm stolz mit den<br />

Worten: „Guck mal, eine Feuernudel!“ (phonetisch aus feu/Feuer<br />

und nouille/Nudel).<br />

4) Die ganze Weite der Möglichkeiten, sprachlich zu schwimmen<br />

statt unterzugehen, erfuhren beide Kinder sehr früh auch durch<br />

14 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

ihre Großmutter, die ihnen unendlich viele Geschichten auf französisch<br />

erzählte und sie Jahr für Jahr oft ohne uns wochenlang in<br />

Frankreich bei sich hatte. Niemand aus der fran zösischen Verwandtschaft<br />

verstand oder sprach dort jemals auch nur ein Wort<br />

Deutsch mit ihnen. Sie besuchten die französische Vorschule und<br />

tauchten tatsächlich ins Französische ein, aber nicht künstlich und<br />

gewollt, sondern quasi natürlich, sinnlich und sozial erfahrbar.<br />

Als ihre „Mami“ dann auch noch Deutsch lernte, lasen sie ihr aus<br />

dem SPIEGEL vor und wurden so mit ihrer perfekten Bilingualität<br />

zum beiderseitigen Nutzen und Vergnügen zu Botschaftern des<br />

kulturellen Austauschs.<br />

5) Als beide Kinder mit uns 1980 in Kalifornien ankommen, ist<br />

Harald 5 Jahre alt und beherrscht schon nach zwei Wochen viele<br />

englische Wörter, vor allem aber den typischen kalifornischen<br />

Slang. Mélanie ist schon 8½, hat es wesentlich schwerer und ist<br />

zunächst sprachlich isoliert. Doch schon nach vier Monaten ist<br />

auch ihr Amerikanisch von dem ihrer Klassenkameraden nicht<br />

mehr zu un terscheiden. Die Erzieherin staunt über den Umfang<br />

ihres Vokabulars und die Leichtigkeit, mit der sie sich in der für sie<br />

neuen Sprache schriftlich und mündlich bewegt.<br />

2 In Sprache eintauchen – und untergehen?<br />

Die Aneignung von Sprache geschieht im allgemeinen so selbstverständlich,<br />

dass dieser komplexe Prozess kaum Beachtung findet.<br />

Daraus speist sich ein gesell schaftlich verallge meinerter<br />

Grundkonsens darüber, was bei der Sprach aneignung als „normal“<br />

gelten kann. Bei der Abweichung der Entwicklung eines Kindes<br />

von rigiden Normalitätsvor stellungen entsteht schnell eine Art<br />

Alarmismus – oft in Verbin dung mit Patentrezep ten für das elterliche<br />

Handeln. [3]<br />

Ein alarmistisches Rezept für frühes Sprachenlernen heißt heute<br />

„Immer sion“ – Ein- und Untertauchen.<br />

Englisch für Babys, Musikstunden für Säuglinge: Wer heute etwas<br />

auf sich hält, schleppt seinen Goldschatz von einem Förderkurs<br />

zum nächsten. Fremdsprachen, Länderkunde, Museumsbesuche<br />

stehen auf dem Erziehungsplan. Jeder Fortschritt wird fast<br />

wissenschaftlich protokolliert. Die Kinder werden ausgewogen<br />

ernährt. Werden sie auch ausgewogen erzogen?<br />

Die Antwort vieler Pädagogen: Was Kleinkinder wirklich stark<br />

macht für das Le ben, das können ihnen die Krippen, neun Stunden<br />

am Tag, nicht bieten. [4]<br />

3 Auch die Landessprache geht unter – oder: Wie bilingual<br />

sind bilinguale Schulen?<br />

Ein wichtiger Nebenaspekt ist hier nicht zu vergessen. Wenn die<br />

Praxis der früh kindlichen Fixierung auf das Englische „Schule<br />

macht“, werden dabei nicht nur die Kinder sprachlich „untergehen“,<br />

sondern perspektivisch auch alle europäischen Lan dessprachen<br />

außer Englisch, in unserem Fall also Deutsch.<br />

Dies ist bereits heute nicht erst in den Universitäten und überhaupt<br />

der Wissen schaft zu beobachten, sondern bereits davor in<br />

sogenannten bilingualen Gymnasien, die unter diesem Etikett<br />

allerdings Schwindel betreiben. Bilingualität gibt es dort im Sach -<br />

fach unterricht nicht einmal im Sinne von „Englisch + Deutsch“.<br />

Ohne jedes politische Mandat ist das bisherige Lernziel „Völkerverständigung“<br />

de facto dem Lernziel „Ver drängung von Deutsch<br />

als Fachsprache durch Englisch“ gewichen. [5]


Hermann H. Dieter und Michèle Dieter [1] Bilinguale Erziehung: Wo und wie? [2]<br />

Schüler, die sich für einen so etikettierten Zug entscheiden, lernen<br />

dort keine deutschsprachige Terminologie mehr. Sie können selbst<br />

ihre eigenen Körperorgane, sobald diese den alltäglichen sinnlichen<br />

Erfahrungshori zont überschreiten, nicht mehr auf Deutsch<br />

benennen.<br />

4 Private und öffentliche Immersionskurse<br />

4.1 Private Kurse<br />

Gutsituierte Eltern interessieren sich für bilinguale Kinderkrippen<br />

vor allem, um ih ren Kin dern einen Startvorteil zu geben. Sie sind<br />

ein gutes Geschäft für Bildung mit Kindern, die eben oder noch gar<br />

nicht sprechen können. Ihre Krippen-Alumni entwi ckeln spä ter<br />

vorgeblich „bessere Schulleistungen“ und ein „höheres Selbstvertrauen“,<br />

schon früh akademische Leistungen und ein „gestärktes<br />

Bewusstsein für andere und fremde Kulturen“. Auch heißt<br />

es: „Sich in ein Team einzugliedern, zu führen, aber auch sich unterzuordnen<br />

sind Fähigkeiten, die in der frühesten Kindheit gelernt<br />

wer den“, um dann ein Leben lang für den Erfolg<br />

beziehungsweise Misserfolg maßgeb lich zu sein.<br />

Die weit über 100 Helen-Doron-Learning Centers in Deutschland<br />

werben gar mit „Best-developed brains“ durch „Early English“.<br />

Private Institute wie die „Fast Track Kids“ oder das „China Coaching<br />

Center“ locken mit Englisch- oder Mandarinunter richt, Geometrie<br />

und Sprachen, die Wartelisten sind voll.<br />

Wissenschaftliche Erziehung heißt die Devise, denn den Eltern<br />

fehle doch meist das „päda gogische Fachwissen“. Die professionelle<br />

Frühbetreuung könne viel mehr Anreize geben. Die frühe<br />

Trennung von ihren Eltern sei der Selbständigkeit der Kinder nur<br />

förderlich.<br />

Anders beschreibt der Pädagoge W. Bergmann in seinem Buch<br />

„Halt mich fest, dann werd ich stark“, was Säuglinge und Kleinkinder<br />

brauchten. Ein Kind müsse erst ein mal glücklich werden,<br />

dann werde es von selber schlau. In der Missachtung dieses Zusammenhanges<br />

sieht er die „Fatalität“ der neuen Kleinkindpädagogik.<br />

Auch weiß man längst, dass „Early English“ aus den Kleinsten<br />

keine Sprachta lente macht. Kinder, die von ihren Eltern schulvorbereitend<br />

mit Fremdsprachen trak tiert wurden, verlieren ihren Vorsprung<br />

schon kurze Zeit nach der Einschulung wie der.<br />

Wenn schon Frühenglisch, sagen Fachleute, dann Learning by<br />

Doing. Doch das bietet „Early English“ nicht, selbst wenn die Eltern,<br />

wie von Helen Doron angewie sen, ihrem Kind täglich eine<br />

oder die Lern-CD vorspielen. Diverse Studien ha ben längst gezeigt,<br />

dass Lernen durch elektronische Medien, ob Fernsehen<br />

oder Kas sette, nahezu wirkungslos ist.<br />

Das Gras wächst nur schneller, wenn man es düngt, statt an ihm<br />

he rumzu(er)ziehen. Doch davon wollen die alarmistischen Methoden<br />

nichts wissen. Sie beruhigen nur das Gewissen erfolgsgieriger<br />

Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder haben.<br />

Etwas anderes ist es, wenn ein Kind von Geburt an zweisprachig<br />

aufwächst. Dann ist die Fremdsprache Bestandteil des Alltags und<br />

wird ganz selbstverständlich aufgesogen. Es ist eben etwas völlig<br />

anderes, ob ein Kind eine zweite Sprache prosodisch [6] beispielsweise<br />

durch seine Mutter lernt, in ständigem intensiven<br />

Sprachbad, oder ob es dies in der Kita oder im Klassenzimmer<br />

tut, zwei Stunden pro Tag oder Woche und womöglich nur von<br />

einem Lerngerät.<br />

Es sei „leider eindeutig, dass der frühe Start allein“ nicht zu den<br />

erhofften Ergeb nissen führe, sagen frühere Befürworter des „Kita-<br />

Immersionismus“. Die Wirkung sei bestenfalls „schwach“. Selbst<br />

ein Kind, das schon im Kindergarten Englisch gelernt habe, könne<br />

später „keinerlei Vorteil“ aufweisen. [7]<br />

4.2 Öffentliche Kurse<br />

Die neue Rahmenstrategie der EU für Mehrsprachigkeit [8] kennt<br />

in ih rem Bereich II „Eine Multilinguale Gesellschaft“ zwar auch<br />

den Schlüsselbereich „Früher Fremd sprachenerwerb“, doch die<br />

Unterstützung bilingualer Paare dabei, ihre Kinder von Geburt an<br />

in eine echte Zweisprachigkeit hineinwachsen zu lassen, kommt<br />

darin nicht vor.<br />

In der EU gibt es aktuell 30 unterschiedliche Programme zur Förderung<br />

des kultu rellen Austauschs mit sprachlichen Mitteln.[9]<br />

Auch hier sucht man vergeblich nach einem Programm zur Unterstützung<br />

bilingualer Paare bei der Förderung der individu ellen<br />

Bilingualität ihrer Kinder.<br />

5 „Natürlich“ schwimmen lernen<br />

5.1 Bevölkerungspolitische Fakten<br />

Jahr für Jahr beginnen in Deutschland knapp 700.000 Menschen<br />

spätestens mit ihrer Geburt, vielleicht aber auch schon davor, sich<br />

die Sprache ihrer Umgebung anzueig nen. Ein Viertel dieser Kinder<br />

eignet sich eine andere Erstsprache als das Deutsche an. Ein Achtel<br />

aller in Deutschland geborenen Kinder stammt von Paaren mit<br />

nur einem deutschen Elternteil. [8]<br />

So viele Kitas, in denen Kinder intuitiv und fast kostenlos von Geburt<br />

an eine andere Spra che als Deutsch erlernen oder erlernen<br />

könnten, könnte man also gar nicht bauen.<br />

5.2 Neurologische Fakten<br />

Es erstaunt immer wieder, wie leicht und schnell Kinder sich innerhalb<br />

weniger Jahre nicht nur eine, sondern sogar zwei und<br />

mehr Sprachen aneignen. Dies gelingt ihnen vor allem, wenn<br />

dabei gleichzeitig mehrere Nervenzellareale des Ge hirns aktiviert<br />

wer den, z. B. für akustische und optische oder klangliche und<br />

emotio nale Wahrneh mung. Komplexe Wahrnehmungen dieser Art<br />

sind nur im sozialen und natürlichen Alltagsumfeld herzustellen,<br />

nicht in Kitas oder Schulen [9] oder von CD-Abspielgeräten.<br />

Reizzufuhren in den ersten acht Monaten sind demnach entscheidend<br />

für den Vernet zungserfolg. Alle Lernanstrengungen sind<br />

zwar noch bis ins hohe Alter mög lich, jedoch nicht mehr in der<br />

direkt nachgeburtlichen Unbewusstheit, Geschwindig keit und Effizienz.<br />

5.3 Was tun?<br />

Obwohl ca. ein Achtel der Ehen in der EU zwischen verschiedensprachigen<br />

Part nern mit einem landessprachlichen Elternteil geschlossen<br />

wird und sogar insge samt ein Viertel der pro Jahr in<br />

der EU neugeborenen Kinder binationalen Elternpaaren entstammt,<br />

sind Kinder, denen ernsthaft die Gelegenheit geboten<br />

wird, sich jeweils beide Sprachen wie eine Erstsprache anzueignen,<br />

die Ausnahmen.<br />

Es ist höchste Zeit, diese Tatsachen sprachpolitisch und didaktisch<br />

zu thematisieren. Bisher nimmt die EU mangels zielgenauer<br />

Förderung und Informa tion solcher Elternpaare das Scheitern von<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

15


Hermann H. Dieter und Michèle Dieter [1] Bilinguale Erziehung: Wo und wie? [2]<br />

interkultureller Mehrsprachigkeit genau dort in Kauf, wo sie wortwörtlich<br />

„in statu nascendi“ entstehen könnte. Entscheidende<br />

Störfaktoren sind ein zu geringer Sprachinput und das Fehlen<br />

einer unterstützenden Sprachförderung seitens der Eltern und des<br />

sozialen Umfeldes – Fehler, die keine noch so „viel“ versprechende<br />

und entsprechend teure Kita wettmachen kann.<br />

Sofort zu verwirklichen wäre eine kleine Informationsbroschüre in<br />

allen Sprachen der Union. Sie sollte über die sprachdidaktisch<br />

längst abgesicherten sprachlichen Verhaltensregeln informieren,<br />

an die sich binationale Paare halten sollten, wenn sie wollen, dass<br />

ihre Kinder individuell bilingual aufwachsen. Diese Broschüre wäre<br />

großflächig gezielt dort auszulegen, wo binationale Paare, die<br />

jüngst Eltern gewor den sind, ein- und ausgehen, also beispielsweise<br />

in Entbindungsstatio nen, Spiel zeugläden und Kinderarztpraxen.<br />

Die wichtigste zu beachtende Regel ist das Prinzip „Eine Person<br />

– eine Sprache“. Eine weitere ist, die Sprachen in Gesprächen mit<br />

dem Kind nicht zu vermischen. Des Weiteren sollte das Kind jedes<br />

Jahr mindestens mehrere Wochen im Land der Mut tersprache<br />

desjenigen Partners verbringen, dessen Aufenthaltsland nicht sein<br />

Her kunftsland ist. Über weitere Regeln wäre zu diskutieren. Auffallendes<br />

Lob für sprachliche Leistungen sollte unterbleiben, weil<br />

es der Situation rasch die Selbstverständlichkeit nimmt.<br />

Insgesamt muss allerdings der Partner, dessen Muttersprache<br />

nicht auch die Sprache des Landes ist, in dem er oder sie wohnt,<br />

sehr viel sprachliche Verhaltenskonsequenz und Liebe zur eigenen<br />

Sprache aufbringen. Der Erfolg wird diesen Einsatz jedoch reichlich<br />

lohnen.<br />

Einige persönliche Anmerkungen<br />

Nach wie vor bestehen nicht nur in Deutschland starke Vorbehalte<br />

gegen die unmittelbar postnatale bilinguale Erziehung. Wir jedenfalls<br />

hatten selbst in unserem eher bildungsnahen persönlichen<br />

Umfeld häufig mit oft ignoranten Vorurteilen zu tun. Sie behaupteten,<br />

ein Kind könne sich mit zwei sprach lichen Systemen nicht<br />

harmonisch entwickeln, es werde dadurch zwangsläufig zum<br />

Spät entwickler oder es werde ihm ein Leben lang an sprachlicher<br />

Kompetenz fehlen.<br />

Behördliche Arroganz verweigerte unserem Sohn nach der Rückkehr<br />

1981 aus Kalifor nien sogar die sofortige Einschulung in die<br />

Grundschule, weil er doch „sicher nicht richtig Deutsch spre chen“<br />

könne. Später im Gymnasium langweilte er sich „tödlich“ im Französischunterricht,<br />

weil die Lehrkraft mit ihm als Muttersprachler<br />

im Unterricht nichts anzufangen wusste.<br />

Unsere Tochter Mélanie äußerte bei unserem Umzug 1987 nach<br />

Berlin – sie sprach nach wie vor fließend Englisch neben ihren<br />

Muttersprachen Französisch und Deutsch – den Wunsch, endlich<br />

einmal, so wie ihre Mitschüler, eine Fremdsprache zu erlernen.<br />

Sie entschied sich für Russisch, doch leider nahm das damals<br />

einzige erreichbare Gymnasium sie nicht auf, weil sie als Voraussetzung<br />

kein reguläres „schulisches Curriculum“ für Französisch<br />

nachweisen konnte. Dafür erntete sie anschließend reihenweise<br />

schlechte Englischnoten, weil ihr fließendes, allerdings amerikani<br />

sches Englisch eben nicht gerade britisch klang.<br />

Die Frage sei erlaubt, aus welcher didaktischen Motivation die<br />

16 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

Schulen damals (und heute?) ihren Sprachunterricht überhaupt<br />

anbieten: zur internen Selbstbestätigung von Lehrern und Schule<br />

– oder zur Schaffung kommunikativer Kompetenz nach außen?<br />

6 Ausblick<br />

Kinder binationaler Eltern sind eine riesige sprachliche Ressource<br />

zur Überwin dung der kulturellen Heterogenität unserer immer heterogener<br />

werdenden Gesell schaft. Damit aus sprachlichen Ressourcen<br />

ebensolche Kompetenzen werden, be darf es eines<br />

sozialen Umfeldes, in dem sprachliche Vielfalt gelebt statt gelehrt<br />

wird. Nur als selbstverständlicher Bestandteil des Alltags wird Vielfalt<br />

zur Normalität.<br />

Kinder, die wahrhaft mehrsprachig aufwachsen, haben mehr Freiheitsgrade<br />

sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten als andere.<br />

Voraussetzung ist, dass sie jede Sprache in Verbindung mit einmaligen<br />

Gefühlen, Orten, Handlungen oder Personen aufsaugen.<br />

Dies bedarf fester Bezugspersonen. Dies werden in aller Regel,<br />

müssen aber wohl nicht unbedingt, die leiblichen Eltern sein.<br />

Ein europaweit gestreuter Sprachratgeber für bilinguale Paare<br />

könnte den Weg dorthin freimachen. Bis dahin werden Fehlleistungen<br />

wie die einer in Berlin-Zehlendorf zufällig von uns belauschten<br />

Mutter immer häufiger werden. Sie sprach mit ihrem<br />

Kind in breitem Berliner Akzent ein eher rudimentäres Englisch, bis<br />

das Kind sie endlich anflehte: „Bitte Mama, sprich doch Deutsch<br />

mit mir!“<br />

[1] Stellvertr. Vorsitzender des Arbeitskreises Deutsch als Wissenschaftssprache<br />

(www.adawis.de).<br />

[2] Vortrag aus Anlass des 4. Köthener Sprachtages der Neuen<br />

Fruchtbringenden Gesellschaft am 21./22. August 2010<br />

(www.fruchtbringende-gesellschaft.de).<br />

[3] K. Ehlich, U. Bredel, H. R. Reich (2008): Sprachaneignung –<br />

Prozesse und Modelle. In: Referenzrahmen zur altersspezifischen<br />

Sprachaneignung, Bildungsforschung 29/1 (Hrsg.:<br />

BMBF, Referat Bildungsforschung, 11055 Berlin), Berlin 2008,<br />

S. 9–34.<br />

[4] Merkmale: Klang, Rhythmus, Intensität, Betonung, Geschwindigkeit.<br />

[5] Ph. Gut (2009): Mythos Frühförderung. WELTWOCHE (Zürich)<br />

29.04.09.<br />

[6] KOM (2005): Eine neue Rahmenstrategie für Mehrsprachigkeit.<br />

KOM (2005) 596 endgültig. Brüssel, den 22.11.2005.<br />

[7] „Sprachen für Europa – 30 Projekte zur Förderung des<br />

Spracherwerbs“, Internetpräsenz des Sprachkommmissars der<br />

EU (Mai 2009).<br />

[8] IAF (Verband binationaler Familien und Partnerschaften, 2010):<br />

http://www.verband-binationaler.de/seiten/file/zahlen_und_<br />

fakten.shtml.<br />

[9] H. Küls (2009): Gehirnforschung, Lernen und Spracherwerb. In:<br />

M. Textor (Hrsg.): Online-Handbuch zur Kindergartenpädagogik<br />

(www.kindergartenpaedagogik.de/1024.html).<br />

Der Abdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr.<br />

Uta Seewald-Heeg, Erste Vorsitzende, Neue Fruchtbringende Gesellschaft<br />

(2011): Verstand zeigt sich im klaren Wort, S. 37-46.


Michèle Falzon Un an de Jules Verne au „GyGo“ (Gymnasium Gonsenheim)<br />

Pour nombre d’entre vous, fins connaisseurs de la langue<br />

française, Jules Verne est loin d’être un inconnu. Mais le Jules<br />

Verne dont je parle n’est pas l’auteur du „Tour du Monde en 80<br />

Jours“! Il s’agit, ici, du programme mis en place en 2009 par le<br />

ministère de l’Éducation nationale français qui permet aux en -<br />

seignants titulaires d’enseigner leur matière dans un établissement<br />

étranger en Europe ou dans le reste du monde, pendant une<br />

durée de un an.<br />

La majorité de ces professeurs enseignent une matière non linguistique<br />

(DNL), comme les mathématiques, les Sciences et Vie<br />

de la Terre ou l’histoire-géographie et se destinent à le faire, en<br />

France dans une SELO (Section Européenne Langue orientale),<br />

dans une langue étrangère qu’ils maîtrisent.<br />

Les principaux objectifs de ce programme sont d’acquérir une<br />

connaissance du système éducatif du pays d’accueil, ainsi que<br />

de ses pratiques pédagogiques; de perfectionner ou de consolider<br />

ses connaissances linguistiques, nécessaires à l’enseignement<br />

d’une DNL, afin de pouvoir enseigner sa matière dans cette<br />

langue.<br />

En 2010-2011, 160 enseignants ont été sélectionnés pour participer<br />

à ce programme dont 21 en Allemagne. Je faisais partie de<br />

ces 21 qui ont été accueillis en Allemagne.<br />

Participer au Jules Verne a été pour moi une évidence après l’obtention<br />

de ma certification complémentaire en DNL, il me fallait<br />

consolider mes connaissances linguistiques pour enseigner<br />

en section européenne, notamment dans celle qui doit s’ouvrir à<br />

la rentrée scolaire 2012-2013 dans mon lycée de la côte<br />

réunionnaise.<br />

Mon établissement d’accueil est le Gymnasium Mainz-Gonsenheim<br />

où je suis chaleureusement accueillie par Mme Desch-<br />

Eppelmann, son proviseur, et les équipes des sections bilingues,<br />

d’histoire et de géographie. C’est un établissement relativement<br />

jeune puisqu’il fête ses 40 ans en juin de cette année et ses points<br />

forts sont les sections bilingues français et la préparation à l’Abi-<br />

Bac, l’enseignement des matières scientifiques dans le cadre du<br />

MINT, ainsi que le sport. Enfin, l’établissement dispose aussi d’une<br />

section pour les élèves „intellectuellement précoces“.<br />

J’ai en charge durant l’année des classes de 9e et de 11e<br />

bi lingues auxquelles j’enseigne soit l’histoire, soit la géographie en<br />

français, et j’interviens une heure par semaine auprès de jeunes<br />

franco-allemands pour enrichir leur vocabulaire. Comme mes<br />

collègues allemands, j’ai effectué des surveillances, des heures<br />

d’étude surveillée et des remplacements. À ces tâches classiques<br />

s’est ajoutée la préparation des élèves au DELF du niveau A1 au<br />

niveau B2 avec l’aide de l’assistante de français: „ILS L’ONT TOUS<br />

EU“.<br />

J’ai été parfaitement intégrée au sein du lycée, participant à de<br />

nombreuses activités (projets de classes, sorties scolaires....), aux<br />

activités traditionnelles d’un établissement en Allemagne à la veille<br />

de Noël, ou plus spécifiques au „GyGo“ comme les projets sur le<br />

Rwanda.<br />

Mon emploi du temps et le nombre d’heures de présence dans<br />

l’établissement m’ont laissé la possibilité de suivre des cours à la<br />

VHS de Mayence afin d’obtenir un niveau C1 avant mon retour à<br />

la Réunion. J’ai apprécié ces heures qui ont porté leurs fruits puisque<br />

comme mes élèves je l’ai eu.<br />

Je ne peux qu’insister sur la nécessité de maîtriser la langue<br />

étrangère dans laquelle on doit enseigner une DNL, il est difficile<br />

d’improviser en tout cas en ce qui me concerne et je passe de<br />

longues heures à préparer mes premiers cours d’histoire et de<br />

géographie en allemand.<br />

Cette année à Mayence m’a fait prendre conscience de l’importance<br />

du rapport à la langue, de la nécessité de rassurer les<br />

élèves, d’éviter toute situation de blocage et de favoriser la spontanéité<br />

à l’oral. L’important est de participer au cours, peu importe<br />

au départ les fautes.<br />

Cette réflexion sur la langue s’impose aussi au moment de la<br />

notation: quelle part accorder à la matière? Quelle part à la<br />

maîtrise de la langue?<br />

Cette année permet aussi d’avoir un „regard croisé“ sur les thèmes<br />

majeurs de notre histoire commune ou d’envisager une autre<br />

approche de l’enseignement de la géographie.<br />

Une année d’une grande richesse qui m’a apporté beaucoup sur<br />

le plan humain, mais aussi sur le plan professionnel.<br />

Cet accueil chaleureux, je l’ai retrouvé en ce début d’année 2012<br />

au „GyGo“ devenu le Otto-Schott-Gymnasium Mainz-Gonsenheim,<br />

auprès des collègues qui m’accueillent à nouveau dans leurs<br />

cours que j’observe et auprès de mes anciens élèves avec lesquels<br />

je travaille sur la Réunion en géographie pendant deux semaines.<br />

Michèle Falzon (professeur d’histoire-géographie et de DNL au<br />

Lycée Amiral Pierre Bouvet de St Benoît, Académie de la Réunion)<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

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Deutsch-Französischer Kongress <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong> vom 27. September bis 1. Oktober 2012<br />

in Kooperation mit dem Goethe-Institut Lille<br />

Deutsch-Französischer Kongress des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es<br />

vom 27. September bis 1. Oktober 2012 im All Seasons Lille Centre<br />

in Kooperation mit dem Goethe-Institut Lille, 98, rue des Stations, 59000 Lille<br />

ALL SEASONS LILLE CENTRE, 172, rue de Paris, 59000 Lille, Tel.: 0033(0)3 20 30 00 54, www.all-seasons-hotels.com<br />

Die Behandlung von Literatur im Fremdsprachenunterricht in Europa<br />

als Fortbildungsveranstaltung von der KMK/PAD besonders empfohlen, akkreditiert als Fortbildungsanbieter beim Institut für Qualitätsentwicklung<br />

Hessen<br />

Vorläufiges Programm:<br />

Donnerstag, den 27.09.2012<br />

bis 15.00: Anreise der Teilnehmer<br />

15.30: Kaffeetrinken<br />

16.00: Tagungseröffnung: Hans-Günter Egelhoff, 1. Vorsitzender (Mönchengladbach): Der Europäische Referenzrahmen und Literatur<br />

16.30: Cathy Ytak (Paris): Lesung (Les murs bleus) im Hotel: Vortrag mit Diskussion<br />

18.30: Abendessen<br />

20.30: Soirée amicale zum Kennenlernen<br />

Freitag, den 28.09.2012<br />

ab 8.00: Frühstück<br />

9.15: Stadterkundung von Lille unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Geschichte<br />

12.00: Empfang im Hôtel de Ville durch Madame Martine Filleul, Adjointe au Maire de Lille: relations internationales,<br />

affaires européennes<br />

13.00: Mittagessen<br />

14.30: Museumsbesuch: Palais des Beaux Arts: Frankreichs zweitgrößtes Kunstmuseum von Rubens bis Rodin<br />

17.00: Veranstaltung im Goethe-Institut Lille: Begrüßung durch die Leiterin Dorothee Ulrich – Vorstellung des Goethe-Instituts<br />

Lille mit Einblicken in das europäische Netzwerk der Goethe-Institute und die Projektarbeit mit Schülern,<br />

anschließend ein Umtrunk<br />

19.00: Abendessen<br />

20.00: für Interessierte: Kino-/Theaterbesuch<br />

Samstag, den 29.09.2012<br />

ab 8.00: Frühstück<br />

9.15: Joachim Jost (Goethe-Institut Brüssel): Poesie im Fremdsprachenunterricht<br />

Atelier Kreatives Schreiben – im All Seasons<br />

12.30: Mittagessen<br />

14.00: Jahreshauptversammlung des CMK<br />

16.00: HG-VinArt präsentiert die Lesung der deutschen Schriftstellerin Anna Tüne: Von der Wiederherstellung des Glücks<br />

– eine deutsche Kindheit in Frankreich<br />

Einladung an Schüler des Lycée Baudelaire Roubaix mit ihrem Deutschlehrer Christophe Martin zur Teilnahme<br />

(angefragt und zugesagt)<br />

18.30: Abendessen<br />

20.00: Podiumsdiskussion zur europäischen Dimension der Literaturbehandlung:<br />

Referenten und Autoren, Moderation: Hans-Günter Egelhoff im All Seasons<br />

Sonntag, den 30.09.2012<br />

ab 8.00: Frühstück<br />

9.30: Exkursion zum Museum La Coupole in Wizernes-Helfaut bei St. Omer (Produktionsstätte und unterirdische<br />

Abschussrampe der V2) und nach Bergues (Befestigungsanlagen von Vauban)<br />

19.00: Abendessen<br />

20.30: Europäischer Abschiedsabend (Gestaltung durch Teilnehmer)<br />

18 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de


Deutsch-Französischer Kongress <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong> vom 27. September bis 1. Oktober 2012 – Anmeldung<br />

Montag, den 01.10.2012<br />

ab 8.00: Frühstück<br />

9.30: Melchor Pérez Bautista (Bildungsreferent der Spanischen Botschaft in Berlin): Die Behandlung von Literatur im<br />

Spanischunterricht im All Seasons<br />

13.00: Mittagessen<br />

15.00: Ende der Tagung und Abreise der Teilnehmer<br />

Der Beginn der Referentenvorträge, der Essenszeiten und der anderen Veranstaltungspunkte sind noch nicht definititiv.<br />

Das Lycée Baudelaire in Roubaix ist die Partnerschule der Gesamtschule Hardt aus der Stadt Mönchengladbach, die Partnerstadt von Roubaix<br />

ist. Mönchengladbach ist der aktuelle Sitz des <strong>Carolus</strong>-<strong>Magnus</strong>-<strong>Kreis</strong>es. Lille und Erfurt sind Partnerstädte.<br />

Anmeldung zum Kongress in Lille<br />

Hiermit melde ich mich für den Deutsch-Französischen Kongress in Lille vom 27. 09. – 01. 10. 2012 im All Seasons Lille Centre Gare an.<br />

Anreisedatum: 27. September 2012<br />

Abreisedatum: 01. Oktober 2012<br />

Übernachtung:<br />

Der Preis für ein EZ inkl. Frühstück für die Nacht vom 27.9. 105,00 € (zuzüglich Taxe de Séjour 1,00 €; seit dem 3.1.2012 hat das Hotel<br />

3 Sterne!), für ein DZ inkl. Frühstück 57,50 €.<br />

Für die Nächte vom 28., 29. und 30.9. bietet das Hotel zwei Optionen, immer inkl. Frühstück:<br />

1. EZ: 70,00 €, DZ: 40,00 € oder<br />

2. EZ: 59,50 €, DZ: 34,00 € Sonderkondition (conditions spécifiques)<br />

Der Tarif der Sonderkondition ist weder annulierbar oder veränderbar noch erstattungsfähig (tarif non annulable ni modifiable ni remboursable).<br />

Wer die Sonderkondition bucht, muss bis zum 9. August 2012 (Eingang) den Gesamtbetrag im Voraus auf das Konto des CMK,<br />

Nr.: 72 541 758, Postbank Karlsruhe, BLZ: 66010075, überweisen.<br />

Teilnehmer, die die Sonderkondition nicht buchen wollen, müssen die beiden ersten Nächte ebenfalls im Voraus auf das Konto des CMK<br />

überweisen.<br />

Die kostenfreie Stornierungsfrist für den CMK ist der 16. August 2012, die Anmeldefrist für alle Teilnehmer ist aus den o.g. Gründen<br />

der 9. Juli 2012.<br />

Die Tagungsgebühr – Umlage für Stadtführung, Museum, Ausflug und Referenten – beträgt 98 Euro und ist mit den Übernachtungskosten<br />

zu überweisen.<br />

Die Verpflegungskosten werden diesmal individuell gehalten. Restaurants, z.B. das Estaminet des Ibis Centre Gare, sind im Umkreis von<br />

500 m erreichbar.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

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Alexandre Michel Etre assistant à Mayence<br />

Arnaud Rinié Quand le CMK organise le Regionalseminar à Dresde…<br />

Alexandre Michel<br />

Etre assistant à Mayence<br />

Je m’appelle Alexandre Michel, je viens de Bordeaux et je suis<br />

assistant de langue au Otto-Schott-Gymnasium Mainz-Gonsenheim.<br />

Après une licence d’économie, il s’est imposé à moi le besoin<br />

de faire une pause et de partir une année à l’étranger. J’ai<br />

trouvé dans le format de l’assistanat une bonne solution pour<br />

améliorer mon allemand tout en découvrant un nouveau pays.<br />

Alexandre Michel vor dem frühlingshaften Otto-Schott-Gymnasium Mainz<br />

Le rôle de l’assistant est assez complexe du fait que l’on doit être<br />

à la fois une impulsion pour les élèves (pour les faire parler) tout<br />

en devant transmettre et faire découvrir notre culture. Il a été difficile<br />

personnellement de s’adapter au départ aux spécificités du<br />

travail.<br />

Malgré une formation avec le PAD, la vision de l’enseignement «à<br />

la française» que l’on «subit» depuis notre enfance doit être mise<br />

de côté. L’enseignement en France est constitué essentiellement<br />

de cours magistraux tout à fait différents de ce que l’on demande<br />

à un assistant. L’adaptation au début est difficile mais doit tout de<br />

même être rapide. Il faut ainsi revoir notre modèle de réflexion, on<br />

ne doit plus faire apprendre mais faire découvrir. C’est ici que le<br />

travail trouve toute sa difficulté, on doit concevoir un sujet qui permet<br />

aux élèves de s’approprier le savoir tout en participant au<br />

maximum.<br />

L’autre difficulté résulte dans la capacité à percevoir le niveau des<br />

élèves, souvent hétérogène, il est parfois masqué (timidité, peur<br />

de mal faire...) ce qui rend encore plus difficile au départ le choix<br />

d’un sujet approprié.<br />

Une fois l’état d’esprit trouvé et le niveau perçu, il reste encore à<br />

trouver des sujets et des thèmes. L’éventail d’élève (de la 5 ième à<br />

la 13 ième ) demande de varier et d’adapter ses choix. Chez les plus<br />

jeunes la disparité apparaît au sein de la classe même, en 7 ième<br />

si certains sont encore des enfants d’autres sont beaucoup plus<br />

engagés dans l’adolescence; ce qui exige de trouver un sujet consensuel<br />

pour ne désintéresser personne. Chez les plus âgés à<br />

partir de la 11 ième la difficulté se ressent dans la façon de présenter<br />

les sujets. Un exemple celui des banlieues, un sujet de<br />

nombreuses fois abordé par les professeurs, dont les élèves sont<br />

las, mais qui relève d’une importance primordiale pour bien comprendre<br />

la France. La vision qu’on leur a offert souvent caricaturale<br />

est totalement différente de celle que la plupart des jeunes<br />

20 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

peuvent avoir en France. Dans ce type de situation il faut donc<br />

pouvoir amener une vision autre à travers différents supports pour<br />

proposer une solution alternative sur un sujet sur lequel les élèves<br />

sont persuadés de tout connaître.<br />

Je trouve que le travail d’assistant trouve tout son sens (en tout<br />

cas avec les élèves les plus âgés) dans cette problématique, en<br />

plus de pouvoir et devoir amener le débat, on peut offrir une ouverture<br />

d’esprit aux élèves. Même s’il n’existe pas «UNE France»<br />

à proprement parler, on a la possibilité de faire découvrir celle que<br />

l’on connaît de l’intérieur en tant qu’acteur du quotidien. L’intérêt<br />

naît aussi des débats avec les élèves qui font apparaître des différences<br />

fondamentales entre nos deux pays que ce soit sur<br />

l’éducation, la société et même la fête. Une diversité constructive<br />

autant pour l’élève que l’assistant et qui donne tout son sens à ce<br />

dernier par ce qu’il apporte et ce qu’il reçoit.<br />

La première partie de mon assistanat malgré les difficultés initiales<br />

reste une formidable aventure, autant dans le travail avec les<br />

élèves que dans la découverte d’un nouveau pays et d’une culture<br />

totalement différente.<br />

*Alexandre Michel, Otto-Schott-Gymnasium Mainz-Gonsenheim<br />

Arnaud Rinié<br />

Quand le CMK organise le Regionalseminar à Dresde…<br />

A Dresde, les 18, 19 et 20 novembre 2011 se sont retrouvés des<br />

assistants de français des quatre coins de l’Allemagne. L’occasion<br />

pour eux de partager leurs expériences acquises au cours des<br />

deux mois passés. Mais bien plus encore! Porté par des professeurs<br />

volontaires, le Regionalseminar a proposé une palette d’activités<br />

tout à même de les guider dans leur travail. Kristian Raum,<br />

Anja Taschenberger, Alexander Schröer et Kristin Protze ont animé<br />

avec dynamisme leurs ateliers respectifs : chansons, art pictural,<br />

interactivité/communication et enfin, apprentissage ludique par le<br />

jeu. Un panel de thèmes dont la variété a su encourager la motivation<br />

des jeunes assistants. Ces derniers sont repartis confiants<br />

et débordants de créativité! Preuve en est:<br />

«Le séminaire à Dresde était vraiment bénéfique […] les documents<br />

ainsi que les ateliers qui nous y ont été proposés étaient<br />

complets, et surtout pratiques […] je m’y réfère régulièrement<br />

pour planifier mes cours.» Josiane affectée à Verden (Basse-Saxe)<br />

«J’ai vraiment apprécié le séminaire de Dresde. Je n’ai qu’une<br />

remarque à faire: c’est bien dommage qu’il n’y en ait pas davantage<br />

dans le reste de l’Allemagne, car en plus d’enrichir notre<br />

formation, cela nous permettrait aussi de nous enrichir culturellement<br />

en découvrant de nouvelles régions.» Hélène affectée à<br />

Weimar (Thuringe).


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

Problemstellung<br />

Literarische Texte nur für sich zu lesen, die Lektüre streng nur auf<br />

eine Sprache oder auf einen Zeitpunkt – nämlich die jeweilige Gegenwart<br />

– zu beschränken, nicht aber den gestalterischen Kontext<br />

im weitesten Sinne zu sehen, z. B. seinen eventuellen<br />

Widerspruch gegenüber anderen, Vorläufern oder anderen Beziehungspersonen<br />

zu erkennen, reduziert oft den Verständniswert<br />

einer Lektüre auf eine bedauerliche Weise. In einem solchen Falle<br />

wird der Leser durch die Horizontreduktion dem Autor, der eben<br />

in einem viel umfangreicheren Beziehungsgeflecht – sei es<br />

sprachlicher oder historischer Art – schreibt, in keiner Weise gerecht.<br />

Textimmanente Interpretation ist zum Teil zu Recht als Gegenreaktion<br />

gegen theoretische Faselei, gegen abgehobene<br />

ideengeschichtliche Großraumbetrachtung und anderes ausschließende<br />

allgemeine Einordnungen entstanden. Sie will zwar den<br />

jeweils vorliegenden Text in den Mittelpunkt stellen. Dabei kann<br />

man bisweilen aber auch hier bereits ein deutliches Ungenügen<br />

feststellen. Wer z. B. Fabeln von Gotthold Ephraim Lessing oder<br />

James Thurber liest, wird von diesen Autoren auf andere Fabeldichter,<br />

sogar gelegentlich namentlich verwiesen. Ähnlich ist es<br />

bei Fabeln von Jean Anouilh, die ja Antworten oder gar Korrekturen<br />

von Fabeln früherer Autoren wie z.B. La Fontaine oder Phaedrus<br />

darstellen. Man kann sie nur verstehen, würdigen oder gar<br />

genießen, wenn man den ganzen Vorgang der Bezugnahme wahrnimmt,<br />

also die Antwort auf eine andere, vorgängige These, deren<br />

Ergänzung oder gar deren Korrektur (Anouilh). Diese scheinbare<br />

„Zusatzlektüre“ birgt Überraschungen, die die Neugier anregen<br />

und sogar Grundlagen für eigenes kreatives Tun schaffen können,<br />

wie noch zu zeigen sein wird. Eine solche Lektüre, die sprachliche<br />

und/oder historische Vernetzungen berücksichtigt, ist also ganz<br />

im Sinne der Autoren angelegt, die eben auch nicht von jeglichen<br />

Einflüssen isoliert geschrieben haben. Die entsprechend vernetzte<br />

Lektüre bringt Schreiben und Lesen zusammen, stellt also die<br />

beste Verbindung von Autor und Leser her und ist somit didaktisch<br />

sehr wertvoll. Für den Leser ist dieser Erkenntsniszugewinn auf<br />

jeden Fall motivierend und reizt die Neugier im Sinne weiteren Lesens.<br />

In der Literaturwissenschaft trägt dieses Verfahren den<br />

Namen „Intertextuelle Lektüre“. Die gegenseitige Befruchtung der<br />

europäischen Autoren ist sehr häufig festzustellen. Dies gilt für<br />

alle Textsorten, wobei die Kurztexte wie Fabeln, Märchen, Comics,<br />

Essays, Aphorismen, aber auch das Theater – Komödien und Dramen<br />

- eine herausragende Rolle spielen. Das Erleben und Nachvollziehen<br />

dieses Phänomens ist – wie erwähnt – schulisch sehr<br />

motivierend. Die Vertreter der Alten Sprachen stellen dabei die<br />

Adaptation und Verwandlung der existentiellen Grundfragen in der<br />

Gegenwart fest, die Neueren Sprachen erleben eine in die Vergangenheit<br />

reichende Vertiefung, Entwicklung und Besonderheit<br />

der gegenwärtigen Problematik. Dies gilt für alle europäischen<br />

Sprachen und alle Epochen. Man denke z. B. an Goethes Italienische<br />

Reise, an die zentrale philosophische Figur des Sisyphus bei<br />

Camus, an Homer für James Joyce oder Christa Wolf, an Basile,<br />

Perrault und Brüder Grimm und viele weitere moderne Autoren<br />

bei den Märchen. Hier jedes Werk nur für sich ohne den gewoll-<br />

ten Bezug lesen zu wollen, bildet letztlich eine sachlich unzulässige<br />

interpretatorische Beschränkung der Lektüre.<br />

Organisatorische Konsequenzen<br />

Natürlich muss darüber nachgedacht werden, wie man in der<br />

Schule an diese Dinge herangeht, wie man dies realisieren kann.<br />

Selbstverständlich kann es sich nicht darum handeln, eine Art Literaturgeschichte<br />

im Unterricht zu entwickeln oder das Studium<br />

vorwegzunehmen. Qui vise haut tombe bas. Es kann sich nur um<br />

gelegentliche vernetzte und gut ausgewählte Lektüren handeln.<br />

Daher sollte ein exemplarisches, modellhaftes, plurimethodisches<br />

Vorgehen und Angebot sorgfältig geplant werden. Auch die Auswahl<br />

sollte gut bedacht werden, wobei die mögliche Zusammenarbeit<br />

der verschiedenen Fächer bzw. Fachlehrer sehr anzuraten<br />

ist. Insgesamt gesehen sollte andererseits natürlich auch die Gefahr<br />

der Übersättigung vermieden werden. Das Kultusministerium<br />

Rheinland-Pfalz hat aus den genannten Gründen eine Kommission<br />

ins Leben gerufen, in der die verschiedenen sprachlichen Fachbereiche<br />

vertreten sind, um diesen europäischen Ansatz anhand<br />

von geeigneten Unterrichtsmodellen sichtbar zu machen und dann<br />

den interessierten Schulen anzubieten. Ende Mai wird im Übrigen<br />

das Pädagogische Landesinstitut von Rheinland-Pfalz eine Fortbildungstagung<br />

in Speyer anbieten, in der Materialien besprochen<br />

werden, die eine solche Vernetzung literarischer Lektüren ermöglichen.<br />

Es handelt sich dabei unter anderem auch um den<br />

Amphitryonstoff, der von Plautus ausgehend über Molière hin zu<br />

J. Giraudoux kommt, der eben in Amphitryon 38 die 38. Bearbeitung<br />

vorgenommen hat und ganz bewusst neue Akzente in dem<br />

Verhältnis Zeus – Amphitryon – Alkmene gesetzt hat, sich also<br />

deutlich von den vorausgegangenen Bearbeitungen abhebt. Auch<br />

Kleist wäre da unter Umständen noch zu erwähnen. Das Genus<br />

der Fabel, das ich bereits erwähnt habe, ist hier ein weites und<br />

dankbares Feld, ebenso die Märchen, aber auch Theaterstoffe wie<br />

Antigone, Medea usw. Es ist in diesem Zusammenhang vielleicht<br />

interessant zu wissen, dass das Kultusministerium von Rheinland-<br />

Pfalz bereits Materialien für Schüler mit Latein und Englisch hatte<br />

entwickeln lassen. Das schulische Echo davon war positiv. Jetzt<br />

aber sind nicht nur zwei Fächer an diesem Projekt beteiligt, sondern<br />

die sprachlichen Fächer, in denen es zur Lektüre von literarischen<br />

Stoffen kommt. Auf jeden Fall sollte derjenige, der ein<br />

solches Projekt durchführen will, sich zweckmäßigerweise mit<br />

einem oder zwei anderen Fachkollegen absprechen. Besonders<br />

Germanisten. Altphilologen, Frankoromanisten, aber durchaus<br />

auch gelegentlich Hispanisten und Italianisten kommen da in<br />

Frage.<br />

Beispiele: Fabeln<br />

Die Fabeln gehören aus mehreren Gründen zu denjenigen Gattungen,<br />

mit deren Hilfe man Schüler besonders gut in die Betrachtung<br />

literarischer Werke einführen kann. Je nach Dauer und<br />

Intensität des vorausgegangenen Unterrichts kann dies bereits<br />

am Ende des 3. Lernjahres der Fall sein. Diese Texte sind überschaubar,<br />

entmutigen also nicht. Der narrative Teil erzählt eine<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 21


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

kleine Geschichte, die inhaltsmäßig auf die entscheidenden<br />

Punkte hin gerafft bzw. konzentriert ist. Die Struktur ist im Aufbau<br />

der einzelnen Teile und auch für den Gesamttext klar gegliedert.<br />

Das erklärte oder manchmal zunächst nur angedeutete Ziel des<br />

jeweiligen Verfassers ist meist leicht einsehbar, vor allem mit Hilfe<br />

der ausgesprochenen morale, die mannigfach gestaltet sein kann.<br />

Die Entsprechungen zwischen récit und morale erlauben sehr oft<br />

eine relativ klare Deutung und regen zu gründlicher Textbetrachtung<br />

an. Sie wenden sich direkt an den Leser und versuchen ihn<br />

zu beeinflussen. Im affektiven Lernbereich können Fabeln dazu<br />

beitragen, Vorurteile abzubauen, menschliche Verhaltensweisen<br />

darzulegen, Kritik zu äußern und zum Gespräch einzuladen. Die<br />

Grundspannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit fordert heraus,<br />

sich der eigenen, persönlichen Haltung bewusst zu werden<br />

und den eigenen Standpunkt zu vergleichen, zu relativieren bzw.<br />

ihn überhaupt erst zu erwerben. Sehr oft gibt die Fabel die Möglichkeit,<br />

den historischen und gesellschaftlichen Kontext ihres Entstehens<br />

zu berücksichtigen. Dies ist bereits bei klassischen<br />

Fabeldichtern der Fall. So erscheinen z.B. in manchen Fabeln La<br />

Fontaines das Leben am Hof und die damit verbundenen Probleme.<br />

Die Möglichkeit der Zeitkritik bei Fabeln ist eine durchgängige<br />

Erscheinung von der Antike bis in die jüngste Gegenwart,<br />

wobei angedeutete oder ausgesprochene Zeitkritik leicht mit allgemeinen<br />

bildhaften Begründungen versehen wird, um Überzeugungskraft<br />

und Zustimmung zu erhalten.<br />

Die Fabeln gehören zweifellos zu den Gattungen, die immer wieder<br />

die Schriftsteller von der Antike bis in die Gegenwart und in<br />

allen europäischen Sprachen angeregt haben, wobei uns hier<br />

natürlich nur die gängigen Schulsprachen interessieren. Autoren<br />

haben die Texte ihrer Vorgänger gekannt und sich durch sie zu<br />

einer Modernisierung oder zum Widerspruch anregen lassen.<br />

Kürze, Beziehungsgeflecht, häufige strukturelle und gehaltliche<br />

Eindeutigkeit, Erleichterung des Erkennens des Sinngehaltes, kontextuelle<br />

Erkennbarkeit tragen zur Möglichkeit bei, im Unterricht<br />

viele Unterrichtsformen anzuwenden wie z.B. Gruppenarbeit, Vorbereitung<br />

durch Hausaufgaben, Stillarbeitsphasen, Vergleichen<br />

usw. Wir legen hier im <strong>KNOTEN</strong> natürlich bewusst den Schwerpunkt<br />

auf die französische Komponente, wobei gerade bei den<br />

Fabeln die Beeinflussung durch die Vorgänger besonders deutlich<br />

feststellbar ist.<br />

Wir konzentrieren uns hier auswahlweise im Wesentlichen auf<br />

zwei Motivlinien: „Der Wolf und das Lamm“ und „Die Eiche und<br />

das Schilfrohr“. Am Ende gehen wir noch kurz auf „Der Fuchs und<br />

der Rabe“ ein, um auf einige Möglichkeiten kreativen Vorgehens<br />

hinzuweisen. Eine große Anzahl anderer Motivlinien wäre möglich.<br />

So hat z.B. bereits Brigitta Coenen-Mennemeier bei Anouilh<br />

acht La Fontaine-Fabeln aufgespürt. Hartmut Krämer und Hugo<br />

Blank haben diese Liste (La Fontaine – Anouilh) noch erheblich erweitert.<br />

Bei vier Fabeln weist bereits die Titelwahl auf die Beziehung<br />

zwischen den beiden hin: Le chêne et le roseau, La cigale,<br />

La fourmi et la cigale, Les deux pigeons. Aber auch bei Le loup<br />

attendri ist der Bezug deutlich. Seine Funde beschreibt Hugo<br />

Blank eingehend und überzeugend (S. 33 ff.)<br />

22 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

Unterrichtliches Vorgehen<br />

A. Der Wolf und das Lamm<br />

Phaedrus<br />

Es ist in unserem Zusammenhang sinnvoll, wenn die Schüler zuerst<br />

die Fabeln von Phaedrus kennenlernen. Auf diese Weise werden<br />

sie zunächst an die Grundthematik herangeführt und<br />

vermögen so in der Folge besser die Intention des Autors der<br />

anschließenden Lektüre zu erkennen. Der Lateinkollege kann sich<br />

bei seiner Interpretation auf die konkreten Vorschläge von Karl-<br />

Heinz Niemann stützen (1979,3). Der Zugang zum französischen<br />

Autor, hier La Fontaine, wird so erleichtert. Außerdem bietet es<br />

die Möglichkeit der Erweiterung der oralen Kompetenz dadurch,<br />

dass man den Inhalt der interpretierten lateinischen Fabel in französischer<br />

Sprache nacherzählen lässt. Natürlich wird der Unterrichtende<br />

dabei die eine oder andere Hilfestellung leisten müssen.<br />

Zunächst sei hier Phaedrus im Originaltext (latein.) angeführt:<br />

Ad rivum eundem lupus et agnus venerant / siti compulsi: superior<br />

stabat lupus / longeque inferior agnus. Tunc fauce improba<br />

/ latro incitatus iurgii causam intulit. / „cur“, inquit, „turbulentam<br />

fecisti mihi / aquam bibenti?“ laniger contra timens: / „qui possum,<br />

quaeso, facere, quod quereris, lupe?<br />

A te decurrit ad meos haustus liquor.“ / repulsus ille veritatis viribus:<br />

/„ante hos sex menses male“, ait, „dixisti mihi.“ / respondit<br />

agnus: „equidem natus non eram.“ / „pater hercle tuus ibi“,<br />

inquit, „maledixit mihi.“ / atque ita correptum lacerat iniusta nece.<br />

Die Übersetzung lautet in der Prosafassung:<br />

Zum selben Bache waren Wolf und Lamm gekommen, von Durst<br />

getrieben: oberhalb stand der Wolf, weit unterhalb das Lamm. Da<br />

begann von schändlicher Gier erregt der Räuber einen Streit.<br />

„Warum“, sagt er, „hast du mir das Wasser getrübt, als ich es<br />

trank?“ Das wolltragende Tier dagegen voller Angst: „Wie kann<br />

ich, bitte, machen, Wolf, was du beklagst? Das Wasser, das ich<br />

schöpfe, fließt von dir zu mir.“ Geschlagen von den Kräften der<br />

Wahrheit sagt jener: „Vor sechs Monaten hast du mich beschimpft.“<br />

Das Lamm antwortete: „Aber da lebte ich noch nicht.“<br />

„Beim Herkules, dein Vater dort hat mich beschimpft.“ Und so ergreift<br />

er es und zerfleischt das unschuldige Lamm.<br />

Phaedrus fügt dann noch zwei Zeilen hinzu, die die Deutung enthalten:<br />

Die Fabel zielt auf alle jene Menschen, die mit erfundenen,<br />

ausgeklügelten Gründen Unschuldige bedrängen.<br />

Die Fabel von Phaedrus betont eindeutig die moralische Ebene.<br />

Dies ist leicht an den Adjektiven improbus, iniustus festzumachen;<br />

aber auch die anderen Ausdrücke passen sich dem vorzüglich an:<br />

latro, iurgium, veritas, nex, lacerare, timere, male dicere, maledicere.<br />

Sie geben nachdrückliche Wertungen – negativ oder positiv<br />

– an. Mehrdeutig in diesem Sinne ist auch superior, inferior. Die<br />

Geschichte insgesamt stellt eine allgemein menschliche Erfahrung<br />

dar, die die Spannung zwischen Starken und Schwachen,<br />

moralisch Bedenkenlosen und Unschuldigen betrifft und damit zu<br />

Vorsicht rät. Diese Wirkung wird durch die relative Kürze der Fabel<br />

unterstützt, die so das Wesentliche hervorhebt. Lässt nun der Unterrichtende<br />

– mit verbaler Unterstützung wo erforderlich durch<br />

eben den Unterrichtenden – die Geschichte in der Fremdsprache


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

(französisch) nacherzählen, wird schon einmal der sprachliche<br />

Rahmen für die Interpretation von La Fontaine und Anouilh geschaffen<br />

und gleichzeitig die Grundlage für das Herausarbeiten<br />

der Besonderheiten der beiden französischen Fabeln bereitet.<br />

La Fontaine<br />

Le Loup et l’Agneau<br />

La raison du plus fort est toujours la meilleure,// Nous l’allons<br />

montrer tout à l’heure.// Un agneau se désaltérait // Dans le courant<br />

d’une onde pure. // Un loup survient à jeun qui cherchait<br />

aventure, // Et que la faim en ces lieux attirait. // «Qui te rend si<br />

hardi de troubler mon breuvage? // Dit cet animal plein de rage:<br />

// Tu seras châtié de ta témérité. // - Sire, répond l’agneau, que<br />

votre Majesté // Ne se mette pas en colère; // Mais plutôt qu’elle<br />

considère // Que je me vais désaltérant // Dans le courant, // Plus<br />

de vingt pas au-dessous d’elle, // Et que par conséquent en aucune<br />

façon // Je ne puis troubler sa boisson. // - Tu la troubles,<br />

reprit cette bête cruelle, // Et je sais que de moi tu médis l’an<br />

passé. // - Comment l’aurais-je fait, si je n’étais pas né? // Reprit<br />

l’agneau, je tette encor ma mère. // - Si ce n’est toi, c’est<br />

donc ton frère. // - Je n’en ai point. - C’est donc quelqu’un des<br />

tiens: // Car vous ne m’épargnez guère, // Vous, vos bergers et<br />

vos chiens. // On me l’a dit: il faut que je me venge. » // Là-dessus<br />

au fond des forêts // Le loup l’emporte, et puis le mange //<br />

Sans autre forme de procès.<br />

Der Unterrichtende wird sich bei der Wahl seines Vorgehens ganz<br />

nach den sprachlichen und methodischen Voraussetzungen seiner<br />

Lerngruppe richten können. So schlägt z.B. Sigrid Fischbach<br />

in ihrem praxisorientierten Beitrag vor, in Gruppenarbeit Arbeitsaufträge<br />

mit fünf verschiedenen Schwerpunkten behandeln zu<br />

lassen: Aufbauangabe; Handlungswiedergabe; Charakteristik der<br />

beiden Protagonisten; Anspielungen auf die Epoche und Sprachund<br />

Stilbeobachtungen. Die Moral steht im Gegensatz zu<br />

Phaedrus zu Beginn (Promythion), sodass die Fabel als Beweis<br />

für die Richtigkeit der These dient. Sehr ausführlich ist bei La Fontaine<br />

der Dialog, wobei die Tiere sehr anthropomorph argumentieren.<br />

Dieser rhetorisch durchgeformte gereimte Dialog ist von<br />

einer Situationsangabe – am Anfang – und Handlungsbeschreibung<br />

– am Ende – umschlossen. Der Wolf ist sehr hungrig und<br />

draufgängerisch, während das unschuldige Lamm, das im Recht<br />

ist, argumentiert und sich dabei auf sein Recht und den gesunden<br />

Menschenverstand zu stützen versucht. Offensichtlich geht dem<br />

Lamm, dessen Redeteile immer kürzer werden, das Vertrauen in<br />

seine Argumente aus. Es spürt, dass es schnell unterliegen wird.<br />

Sein Widerstand erlahmt. La Fontaine, der etwa 20 Fabeln zu politischen<br />

und sozialen Ereignissen seiner Zeit verfasst hat, hat<br />

auch hier die Gesellschaft seiner Epoche im Blick. Seine recht<br />

nachdrücklichen Andeutungen betreffen Adel / König einerseits<br />

und ihre Untertanen andererseits. Letztere sprechen die anderen<br />

an mit Sire, votre Majesté und elle, während sie selbst geduzt<br />

werden. Sie werden auch ohne irgendeinen Prozess ohne weiteres<br />

beseitigt. Es ist also ein deutlicher Klassenunterschied zwischen<br />

beiden Bevölkerungsgruppen festzustellen. Gleichzeitig<br />

impliziert dies auch eine Kritik am Gerichtswesen des Absolutismus.<br />

Anouilh<br />

Auch für die Fabel Le loup attendri von Jean Anouilh, die den beiden<br />

anderen Fabeln entspricht, macht Sigrid Fischbach sehr konkrete,<br />

gut nachvollziehbare Vorschläge; Hugo Blank bietet dazu<br />

eine eingehende, detaillierte Interpretation. Doch zunächst betrachten<br />

wir den Text dieser Fabel, die die beiden ersten Fabeln an<br />

Umfang deutlich übertrifft und eine überraschende, sehr interessante<br />

Variation bietet.<br />

Le loup attendri<br />

Un loup un jour regardait // Une jeune agnelle endormie. // Obscurément<br />

il regrettait // Que leur race fût ennemie: // Quelle<br />

grâce et quelle douceur! // Ce loup rêvait d’une âme soeur, //<br />

D’une affectueuse présence, // Qui lui permit de débonder son<br />

coeur …, // Les loups sont plus sentimentaux qu’on pense, mais<br />

personne ne les comprend. C’est une tradition en France // D’ignorer<br />

l’envie de tendresse // Qui dort au coeur des assassins. //<br />

Hélas! Ce sont le plus souvent // les innocents, // Se méprenant<br />

sur leurs desseins, // Qui, par l’idée qu’ils ont de leur scélératesse,//<br />

Les obligent à les tuer. // Ce loup-là était tout amour. //<br />

Il était saint François d’Assise. // Il était au point de pleurer; //<br />

Quand la sotte le voit et appelle au secours. // Que voulez-vous<br />

que je vous dise? // Un malheur est vite arrivé. // Et il arrive qu’on<br />

se vexe... // Ce cri, tant entendu, réveille un vieux réflexe. // Un<br />

bond, un coup de dent, et notre loup, navré, // La tue. // Après,<br />

d’ailleurs, il la trouve très tendre... // Pourtant, si elle l’avait vue<br />

// Cette lueur d’amour au fond de sa prunelle! // Si elle avait fait<br />

confiance, une fois, // À la bonté universelle! // Ah! si elle avait eu<br />

la sagesse d’attendre // L’éveil du sentiment chez ce loup aux<br />

abois; // Légère, elle courrait encore dans les bois...// Il faut dire<br />

que les agnelles // Ont l’esprit un peu étroit, // Ne lisant pas assez<br />

les journaux progressistes // Où l’on se penche sur l’âme des assassins.<br />

// Voilà ce que l’on gagne à être conformiste! // On doute<br />

qu’un tueur puisse être un petit saint; // Qu’est-ce qu’on y récolte?<br />

- Un mauvais coup. // D’un autre côté, je crois // Qu’il faut<br />

avouer que les loups // N’ont pas la tête de l’emploi.<br />

Da der situative Ansatz in dieser Fabel gegenüber den anderen<br />

leicht geändert ist, wird man in Klassen/Kursen mit (noch) geringen<br />

sprachlichen und methodischen Kenntnissen entsprechende<br />

kleine Hilfen bieten. Dazu könnten z. B. gehören: débonder son<br />

coeur (sein Herz ausschütten), aux abois ( in die Enge getrieben),<br />

avoir la tête de l’emploi (danach aussehen, zu einer Arbeit geeignet<br />

erscheinen). Die Arbeitsaufträge können mehr oder weniger<br />

entsprechend den früheren Arbeitsaufträgen gestellt werden. Sie<br />

sollten vor allem die Ausgangssituation betreffen, das anfängliche<br />

Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander und dann die<br />

Entwicklung der Handlung. Wichtig ist in dieser Fabel die Charakterisierung<br />

der beiden, da die Deutung der Moral davon abhängig<br />

ist. Das Zentralproblem spielt auf der psychologischen<br />

Ebene. Das Überraschende ist zweifellos die zunächst sehr posi-<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 23


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

tive Zeichnung des Wolfes, der scheinbar gar nicht in das überkommene<br />

Schema passt. Er ist zärtlich, ja sogar tierlieb (Saint<br />

François), sentimental, sehnt sich nach Liebe und scheint darunter<br />

zu leiden, nicht verstanden zu werden. Dann aber fällt das<br />

Lamm in seine (in der Fabel seit altersher) angestammte Rolle<br />

zurück und erschrickt laut, so dass auch der Wolf in seine überkommene<br />

Rolle zurückgeworfen wird. Vordergründig scheint also<br />

zunächst das Lamm der schuldige Teil zu sein. Es wird als oberflächlich<br />

gesehen, als dumm, gefühllos, ohne Intuition und Verständnis<br />

dargestellt. Das Faktum, dass beide Protagonisten ihre<br />

Rolle, wie sie auch in den vorgängigen Fabeln erscheinen, instinktiv<br />

annehmen, führt zur Katastrophe. Die Ausgangsbasis<br />

überrascht den Leser und macht ihn neugierig. Mit einem spöttischen<br />

und ironischen Ton wird die neue Beurteilung der Protagonisten<br />

und der Handlung relativiert und in den letzten Zeilen sogar<br />

aufgehoben. Gleichzeitig wird die Gedankenführung erweitert, bestimmte<br />

sozio-politische Haltungen und vor allem die bunte, sentimentale,<br />

pseudoprogressive Presse in die Kritik einbeschlossen.<br />

Anouilh kritisiert, wie Hugo Blank schreibt, diejenigen, die den<br />

Schutz des Verbrechers höher einstufen als den Schutz des wehrlosen,<br />

einfachen, ja schwachen Bürgers. Wichtig für die Deutung<br />

der Fabel ist zu erkennen, dass eine vordergründige Moralität<br />

zunächst angegeben wird, dann allerdings als absurd hingestellt<br />

wird. Die Doppelbödigkeit der Fabel macht gerade ihren Reiz aus.<br />

Sigrid Fischbach drückt es wie folgt aus: Il n’y a pas de morale<br />

explicite. De l’hypothèse (30-36) on pourrait dégager une première<br />

morale implicite. Comporte-toi de manière à ne réveiller<br />

d’instincts endormis! Mais il ne faut pas prendre cette morale<br />

trop au sérieux. L’auteur se moque des tendances de son temps<br />

vis-à-vis du droit criminel pénal. C’est pourquoi il y a d’après moi<br />

une seconde morale plus sérieuse: Un meurtrier reste un meurtrier<br />

même si on essaie de trouver une explication psychologique<br />

pour son crime. Les trois dernières lignes montrent bien que l’auteur<br />

parle sur un ton ironique quand il se plaint des vues étroites<br />

des agnelles et qu’il critique en vérité plus les pratiques trop progressistes<br />

que les conformistes. (S.54)<br />

Da die entsprechenden Fabeln von Gotthold Ephraim Lessing und<br />

James Thurber von germanistischen und/oder anglistischen Kollegen<br />

besprochen werden sollten, seien sie hier nur relativ knapp<br />

erwähnt. Sie enthalten indes hochinteressante Variationen des<br />

Stoffes. Ich habe die Fabel von Jean Anouilh vorgenommen, da sie<br />

wohl unmittelbar auf La Fontaine und Phaedrus antwortet.<br />

Gotthold Ephraim Lessing<br />

Der Wolf und das Schaf<br />

Der Durst trieb ein Schaf an den Fluss, eine gleiche Ursache führte<br />

auf der anderen Seite einen Wolf herzu. Durch die Trennung des<br />

Wassers gesichert und durch die Sicherheit höhnisch gemacht,<br />

rief das Schaf dem Räuber hinüber: «Ich mache dir doch das Wasser<br />

nicht trübe, Herr Wolf? Sieh mich recht an, habe ich dir nicht<br />

etwa vor sechs Wochen nachgeschimpft? Wenigstens wird es<br />

mein Vater gewesen sein.» Der Wolf verstand die Spötterei; er betrachtete<br />

die Breite des Flusses und knirschte mit den Zähnen.<br />

24 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

„Es ist dein Glück”, antwortete er, „dass wir Wölfe gewohnt sind,<br />

mit euch Schafen Geduld zu haben” und ging mit stolzen Schritten<br />

weiter.<br />

Die Fabel von Lessing wird dadurch gekennzeichnet, dass die beiden<br />

Protagonisten nicht auf der gleichen Seite des Ufers stehen,<br />

so dass die Fabel dadurch von vornherein durch zwei wichtige<br />

Elemente sich von den anderen Fabeln der gleichen Thematik unterscheidet:<br />

Die angebliche Argumentation des Wolfes, die aus<br />

den vorhergegangenen Fabeln hier aufgegriffen wird, hier aber<br />

gar nicht ausgesprochen wird (!), würde ohne Kenntnis der vorausgegangenen<br />

Fabeln sinnloser wirken und eine Gefährdung des<br />

Schafes durch eine Attacke des Wolfes besteht zudem nicht. Die<br />

Konsequenz ist die Änderung des Verhaltens des Schafes gegenüber<br />

den „Vorläufern“. Es zeigt sich höhnisch hier, während es<br />

in den anderen Fabeln ängstlich ist. Die Folge davon ist auch eine<br />

Verhaltensänderung des Wolfs. Er gibt vor, Geduld zu haben, und<br />

mimt am Ende den Stolzen. In Wirklichkeit ist er sehr zornig über<br />

diese für ihn aussichtslose Situation, in der er auf sein Fressen<br />

umständehalber verzichten muss und dazu noch vom Schaf gereizt<br />

wird. Für die Interpretation ist die eigentlich unerwartete und<br />

in der Sache unbegründete Argumentation zu Beginn von Bedeutung.<br />

Die Argumentation, die in den anderen Fabeln als Vorwand<br />

vom Wolf vorgetragen wird, um das Lamm fressen zu können,<br />

wird jetzt in den Mund des Schafes gelegt und wäre ohne Bezug<br />

auf die anderen Fabeldichter eigentlich unangebracht. Jetzt aber<br />

erhält es gerade dadurch seinen Reiz und steht in einer langen Fabeltradition<br />

mit einem neuen Akzent.<br />

James Thurber<br />

Der Wolf an der Haustür<br />

Herr und Frau Schaf und ihre Tochter, ein hübsches, sehr sportliches<br />

Mädchen, saßen im Wohnzimmer, als es an der Haustür<br />

klopfte. «Draußen steht ein Herr», sagte die Tochter.<br />

«Es ist der Bürstenhändler», behauptete die Mutter.<br />

Der vorsichtige Vater erhob sich und blickte aus dem Fenster. «Es<br />

ist der Wolf», sagte er. «Ich kann seinen Schwanz sehen.»<br />

«Red keinen Unsinn», schalt die Mutter. «Es ist der Bürstenhändler,<br />

und was du siehst, ist eine Bürste.» Sie ging hinaus und öffnete<br />

die Tür, und der Wolf kam herein, packte die Tochter und lief<br />

mit ihr davon.<br />

Die Mutter senkte beschämt ihren Schafskopf. «Du hast doch<br />

recht gehabt», gab sie zu.<br />

Moral: Mutter weiß es nicht immer am besten. (Kursiv vom Vater,<br />

von der Tochter und von mir.)<br />

Das Grundmuster – Bedrohung eines Schwachen bzw. Wehrlosen<br />

durch einen Aggressiven – hat James Thurber auf eine Situation<br />

der Gegenwart übertragen, wobei der Bezug auf Texte<br />

früherer Fabeldichter wiederum eindeutig ist. So trägt die Familie<br />

den Namen des einen der bisherigen Protagonisten. Die Bedrohung<br />

wird sehr nachdrücklich hervorgehoben dadurch, dass es<br />

bei dem Anklopfenden sich nicht um „Herrn“ Wolf handelt, sondern<br />

um ein Tier, das Menschenähnlichkeit hat, die eben Anlass<br />

zur Diskussion ist. Diese spielt sich nicht zwischen Tochter Schaf


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

und Wolf ab, sondern zwischen Mutter und Vater, wobei erstere,<br />

die die Gefahr nicht erkennt, Unrecht hat. Was der Wolf mit der<br />

Tochter Schaf, die er entführt, machen wird, wird nicht expressis<br />

verbis ausgeführt. Das ist für die Pointe/Moral aber letztlich auch<br />

gleichgültig. Die Transposition in den menschlichen Bereich wird<br />

nicht mit letzter Konsequenz und total durchgeführt, sondern verbleibt<br />

im symbolhaften, bildlichen Bereich, wobei sich der Autor<br />

wohl mit einem gewissen Schmunzeln unausgesprochen auf die<br />

vorausgegangenen Fabeln (Antike und La Fontaine) bezieht, sie in<br />

seine eigene Zeit versetzt, sie aber deutlich als Gleichnis belässt,<br />

wobei auch auffällt, dass die Moral der Fabel geändert worden<br />

ist. Handelte es sich früher um eine Auseinandersetzung zwischen<br />

Schaf und Wolf, zwischen einem unmittelbar Bedrohten und dem<br />

Aggressiven, so wird jetzt eine Streitfrage in der Familie in den<br />

Mittelpunkt gestellt, wobei die Mutter, die die Gefahr nicht rechtzeitig<br />

erkennt, den Kürzeren zieht. Unterrichtlich gesehen ist es<br />

sehr vorteilhaft, wenn James Thurber etwa zeitgleich zu den anderen<br />

Fabeln gelesen wird. Er bietet auch viele interessante<br />

Sprechanlässe.<br />

B. Die Eiche und das Schilfrohr<br />

Die beiden folgenden Fabeln, die aus dem griechischen Bereich<br />

kommen, werden hier gleich in der Übersetzung von Johannes<br />

Irmscher, Berlin, gebracht.<br />

Aesop<br />

Die Eiche und das Schilfrohr<br />

Die Eiche und das Schilfrohr stritten miteinander, wer der Stärkere<br />

sei. Als sich ein heftiger Sturm erhob, schwankte und beugte<br />

sich zwar das Schilfrohr unter dessen Stößen, in den Wurzeln aber<br />

blieb es fest. Die Eiche dagegen widerstand wohl im großen und<br />

ganzen, wurde aber dennoch aus den Wurzeln gehoben.<br />

Die Fabel lehrt, dass man mit Stärkeren nicht streiten soll.<br />

Äsop gelingt es, mit ganz wenigen Strichen das Wesentliche zu<br />

zeichnen. Die Natur ist so nahe, dass man es, wäre nicht die Personifikation,<br />

fast für eine realistische Naturschilderung halten<br />

könnte. Dennoch ist klar, dass das Geschehen nur als ein Beleg<br />

für die These der Moral dient, die aus der Fabel gezogen wird.<br />

Beim Streit mit Stärkeren riskiert man schnell eine Niederlage.<br />

Anpassung an die Situation, nicht Herausforderung der Gefahr ist<br />

wohl klüger. Rund sieben Jahrhunderte später nimmt Babrios die<br />

Thematik wieder auf.<br />

Babrios<br />

Die Eiche und das Schilfrohr<br />

Ein Sturm riss eine Eiche mit den Wurzeln aus am Bergesabhang<br />

// und stürzt sie in den Fluss. Hoch trugen da die Wellen // den<br />

Baum, den Menschen einst vor alters angepflanzt. // An beiden<br />

Ufern stand viel Rohr, das leichte, // das Wasser aus des Flusses<br />

Böschung trinkt. // Und Staunen fasst die Eiche, wie das dünne,<br />

// so schwache Rohr dem Sturme standhielt, // indes sie selbst,<br />

ein mächt’ger Baum, entwurzelt wurde. // Da sagte klug das Rohr:<br />

„Du brauchst dich nicht zu wundern! // Weil du dem Sturme trotz-<br />

test, wurdest du besiegt; // wir aber beugen uns in kluger Einsicht,<br />

// sobald ein Windstoß unsre Spitzen zart bewegt.“ //<br />

Soweit das Schilfrohr! Doch die Fabel zeigt: / Nicht trotze du den<br />

Mächtigen, gib lieber nach!<br />

Aus der antagonistischen Diskussion macht Babrios, der im 1.<br />

Jahrhundert n. Chr. lebte, ein Geschehen, das zu einer Deutung<br />

ausgenutzt wird. Die Meinung des Autors wird anhand der verwendeten<br />

Adjektive und des Ereignisses eindeutig gezeigt. Einerseits<br />

ist das Schilfrohr leicht, dünn, schwach. Es ist andererseits<br />

aber auch klug (2x) und bewegt sich oben zart, so dass die Wurzeln<br />

nicht beeinträchtigt werden. Es stellt also einen Gegensatz zur<br />

mächtigen (2x) Eiche dar. Babrios, der in der römischen Kaiserzeit<br />

lebte, plädiert also für Anpassung, Verzicht auf Widerstand. Wir<br />

dürfen dabei wohl auch eine politische Aussage annehmen. Die<br />

sprachliche Gestaltung der Fabel ist gegenüber Äsop etwas stärker<br />

betont (Vers, Wortwahl, Personifikation, ausführlichere Schilderung,<br />

Bildwelt). Auch La Fontaine nimmt diesen Fabelstoff auf,<br />

gibt ihm aber eine andere Nuance, ohne den Gehalt grundlegend<br />

zu ändern.<br />

La Fontaine<br />

Le Chêne et le Roseau<br />

Le chêne un jour dit au roseau: // «Vous avez bien sujet d’accuser<br />

la nature: // Un roitelet pour vous est un pesant fardeau. // Le<br />

moindre vent qui d’aventure // fait rider la face de l’eau // Vous<br />

oblige à baisser la tête; // Cependant que mon front, au Caucase<br />

pareil, // Non content d’arrêter les rayons du soleil, // Brave l’effort<br />

de la tempête. // Tout vous est aquilon, tout me semble zéphyr.<br />

// Encor si vous naissiez à l’abri du feuillage // Dont je couvre<br />

le voisinage, // Vous n’auriez pas tant à souffrir: // Je vous défendrais<br />

de l’orage. // Mais vous naissez le plus souvent // Sur les<br />

humides bords des royaumes du vent. // La nature envers vous<br />

me semble bien injuste. // – Votre compassion , lui répondit l’arbuste,<br />

// Part d’un bon naturel; mais quittez ce souci. // . Les<br />

vents me sont moins qu’à vous redoutables. // Je plie, et ne<br />

romps pas. Vous avez jusqu’ ici // Contre leurs coups épouvantables<br />

// Résisté sans courber le dos; // Mais attendons la fin.»<br />

Comme il disait ces mots, // Du bout de l’horizon accourt avec<br />

furie // Le plus terrible des enfants // Que le Nord eût portés jusque-là<br />

dans ses flancs. // L’arbre tient bon, le roseau plie; // Le<br />

vent redouble ses efforts, // Et fait si bien qu’il déracine // Celui<br />

de qui la tête au ciel était voisine, // Et dont les pieds touchaient<br />

à l’empire des morts.<br />

Sofort, ohne lange Situationsbeschreibung lässt La Fontaine die<br />

stolze Eiche herablassend zum Antagonisten, dem Schilfrohr, sprechen.<br />

Sehr geschickt ist es, dass die vielen Redeanteile – 16 –<br />

dem eingebildeten Charakter der Eiche entsprechen. Sie beschreibt<br />

ausführlich den Unterschied zwischen den beiden, indem<br />

sie den eigenen Wert übermäßig hervorhebt und das Schilfrohr<br />

kleinredet. Der umfangreichen Rede der Eiche stehen nur 6 ½<br />

Einheiten beim Schilfrohr entgegen, noch nicht einmal die Hälfte.<br />

Der Redeanteil des Schilfrohrs ist also unvergleichlich geringer.<br />

Sehr umfassend rühmt die Eiche sich: Sie vergleicht sich einem<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 25


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

hohen Gebirge (Caucase), sie halte die Sonne zurück, sie bilde<br />

einen Schutz für andere, der Wind sei nur ein warmes Säuseln<br />

für sie, da ihr der Wind nichts ausmache, im Gegensatz zum<br />

Schilfrohr, das sich sofort biege schon bei einem Zaunkönig, dem<br />

mehr oder weniger kleinsten Vögelchen. Das Schilfrohr vermag<br />

nur kurz jegliches Mitleid abzulehnen und verweist auf ein eventuelles<br />

Ende. Erst da werde sich zeigen, was besser ist. Unmittelbar<br />

nach diesem kontrastiven Dialog kommt Wind auf, wird dann<br />

zum Sturm und entwurzelt schließlich als Orkan die großsprecherische<br />

Eiche. Die Szene in ihrer Entwicklung hat hochdramatischen<br />

Charakter. Gegenüber den beiden antiken Fabeln hat die<br />

von La Fontaine in Wortwahl, Ausführlichkeit, Bildwelt und Struktur<br />

eine starke rhetorische Gestaltung erfahren. Sie ist in dieser<br />

Hinsicht ein typisches “Kind“ der französischen Klassik. Die unausgesprochene,<br />

aber doch eindeutig wahrzunehmende Moral<br />

kann durchaus auf die Gesellschaft der Zeit von La Fontaine angewandt<br />

werden. Wer oben steht und sogar sich dessen rühmt,<br />

riskiert in den Stürmen der Zeit oder wenn er die Gunst des Himmels<br />

verliert, in schlechten Zeiten also, den tiefen und bedrohlichen<br />

Sturz. Man hat dies – wie auch Hugo Blank (S. 125-127) –<br />

auf Fouquet bezogen. Die Fabel möge zwar persönliche Erfahrungen<br />

in jener Gesellschaft ausdrücken, hat aber dennoch<br />

allgemeine Geltung und Gültigkeit. Gerade dies ist ein charakteristisches<br />

Element dieser literarischen Gattung.<br />

Gotthold Ephraim Lessing<br />

Die Eiche<br />

Der rasende Nordwind hatte seine Stärke in einer stürmischen<br />

Nacht an einer erhabenen Eiche bewiesen. Nun lag sie gestreckt,<br />

und eine Menge niedriger Sträuche (sic) lagen unter ihr zerschmettert.<br />

Ein Fuchs, der seine Grube nicht weit davon hatte,<br />

sah (sic) sie des Morgens darauf. Was für ein Baum, rief er. Hätte<br />

ich doch nimmermehr gedacht, dass er so groß gewesen wäre.<br />

Eine neue Nuance gegenüber seinen Vorgängern bringt Lessing in<br />

die Deutung hinein. Jetzt ist das Schicksal der mächtigen Eiche<br />

mit dem des um sie herum befindlichen Schilfrohrs eng verknüpft.<br />

Bei ihrem Sturz zerschmettert sie nämlich das Schilfrohr, so dass<br />

es nicht mehr als Sieger aus dem bekannten Antagonismus hervorgehen<br />

kann. Wie bei den anderen Fabeln ist die weit herausragende<br />

Größe der Eiche der Grund für ihr vorzeitiges Ende. Ein<br />

Tier, das für seine Schlauheit bekannt ist, deutet die Moral an.<br />

Lessing verzichtet also auf eine Auseinandersetzung der beiden<br />

betroffenen Protagonisten, fügt aber noch eine beurteilende „Person“,<br />

eben den Fuchs, hinzu, der ja eigentlich nur indirekt zufällig<br />

damit etwas zu tun hatte, deshalb weil seine Grube sich in der<br />

Nähe befindet. Zur sprechenden „Person“ wird nur der eigentlich<br />

unbeteiligte schlaue Fuchs, nicht aber die beiden betroffenen Vertreter<br />

der Flora, Eiche und Schilfrohr, wie sonst in der Tradition<br />

der Fabeln.<br />

26 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

Jean Anouilh<br />

Le chêne et le roseau<br />

Le chêne un jour dit au roseau: // «N’êtes-vous lassé pas d’écouter<br />

cette fable? // La morale en est détestable; // Les hommes<br />

bien légers de l’apprendre aux marmots. // Plier, plier toujours,<br />

n’est-ce pas déjà trop // Le pli de l’humaine nature?» // «Voire,<br />

dit le roseau, il ne fait pas trop beau; // Le vent qui secoue vos<br />

ramures / (Si je puis en juger à niveau de roseau) // Pourrait vous<br />

prouver, d’aventure, // Que nous autres, petites gens, // Si faibles,<br />

si chétifs, si humbles, si prudents, // Dont la petite vie est<br />

le souci constant, // Résistons pourtant mieux aux tempêtes du<br />

monde, // Que certains orgueilleux qui s’imaginent grands.»<br />

Le vent se lève sur ses mots, l’orage gronde, // Et le souffle profond<br />

qui dévaste les bois, // Tout comme la première fois, // Jette<br />

le chêne fier qui le narguait par terre. // «Hé bien, dit le roseau,<br />

le cyclone passé – // Il se tenait courbé par un reste de vent – //<br />

Qu’en dites-vous donc mon compère? // (Il ne se fût jamais permis<br />

ce mot avant) // Ce que j’avais prédit n’est-il pas arrivé?» //<br />

On sentait dans sa voix sa haine // Satisfaite. Son morne regard<br />

allumé. // Le géant, qui souffrait, blessé, // De mille morts, de<br />

mille peines, // Eut un sourire triste et beau; // Et, avant de mourir,<br />

regardant le roseau, // Lui dit: «Je suis encore un chêne.»<br />

Wenn man die Fabel von La Fontaine im Unterricht gelesen hat,<br />

dürfte die von Jean Anouilh keine größeren Schwierigkeiten bereiten.<br />

Dennoch ist es bei den vermutlich unterschiedlichen<br />

Sprachniveaus der Klassen/Kurse angebracht, eine Anhäufung<br />

von eventuellen Schwierigkeiten zu vermeiden und daraufhin den<br />

Text zu überprüfen. Will man die Fabel in Gruppenarbeit behandeln,<br />

was aufgrund der Vorkenntnisse sehr gut möglich ist, sollten<br />

sich die entsprechenden Fragen dafür auf die Charakteristik<br />

der Antagonisten, ihre typische Entwicklung während der Geschehnisse<br />

und besonders auf die Moral der Fabel beziehen. Hat<br />

man ein Drama von Jean Anouilh gelesen, wird man ohne weiteres<br />

Verbindungslinien dazu ziehen können.<br />

Jean Anouilh bezieht sich in seiner Fabel sofort ohne Situationsangabe<br />

auf die Moral der Vorgänger in der gleichen Thematik. Er<br />

setzt also diese als bekannt voraus und findet die konformistische<br />

Folgerung aus dem Ereignis letztlich ermüdend, langweilig, zumal<br />

diese Moral der Anpassung, des Sichverleugnens, des Nachgebens<br />

um des Vorteils willen in seinen Augen verabscheuungswürdig<br />

ist. Sein Standpunkt hier berührt sich sehr eng mit den<br />

Tendenzen in seinen Dramen. Sehr geschickt pointiert sind die<br />

Redeanteile der beiden Dialogpartner. Die Diskussion wird durch<br />

ein relativ kurzes Statement der Eiche eingeleitet, das sich, wie<br />

gesagt, auf andere Fabeln bezieht und deren Moral gegenüber<br />

eine ablehnende Stellung einnimmt, sie als feige ansieht. Die Gegenrede<br />

des Schilfrohrs ist mehr als doppelt so lang und betont<br />

zweimal herablassend und voll höhnischer Ablehnung anderer die<br />

eigene, scheinbar erfolgreiche Position. Die äußere und innere<br />

Verfasstheit der beiden Protagonisten wird eingehend beschrieben.<br />

Die längeren Redeanteile des Schilfrohrs müssen im Zusammenhang<br />

vor und nach dem Ereignis – Sturz der Eiche –<br />

betrachtet werden. Dadurch wird der Leser ja auch zunächst in


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

der Richtung der Argumentation des Schilfrohrs geführt. Umso<br />

nachdrücklicher wirkt dann der letzte Satz, der die wesentliche<br />

Aussage der Fabel ausdrückt. Selbst wenn ihr Leben zu Ende<br />

geht, so hat die Eiche sich doch trotz aller Bedrohung und Not<br />

nicht verleugnet. Sie ist so groß geblieben, wie sie war. Sie hat<br />

innerlich standgehalten wie manche Helden in den Dramen von<br />

Jean Anouilh.<br />

C. Der Fuchs und der Rabe<br />

Nicht ganz unähnlich ist die Moral einer anderen thematischen<br />

Linie: „Der Fuchs und der Rabe“<br />

Sie zählt bereits in der Antike zu den am weitesten verbreiteten Fabelstoffen,<br />

betrifft sie doch eine häufig festzustellende und das<br />

Zusammenleben störende menschliche Charakterschwäche: Eitelkeit,<br />

große Freude am Lob der eigenen Person, das alles andere<br />

vergessen lässt, nämlich die Wahrnehmung der Wirklichkeit, zutreffende<br />

Selbsteinschätzung und echte Kontaktfähigkeit.<br />

Aesop<br />

Der Rabe und der Fuchs<br />

Ein Rabe hatte ein Stück Fleisch gestohlen und saß damit auf<br />

einem Baume. Der Fuchs sah ihn, und weil er sich das Fleisch<br />

aneignen wollte, lief er herbei und lobte den Raben. Er sei stattlich<br />

und schön, sagte er, und müsse deshalb König der Vögel werden,<br />

und das würde durchaus geschehen, wenn er eine Stimme<br />

hätte. Der Rabe nun wollte beweisen, dass er eine Stimme besitze;<br />

er ließ darum das Fleisch fallen und krächzte laut. Da sprang<br />

der Fuchs herzu, packte das Fleisch und sagte: „O Rabe, wenn du<br />

auch Verstand besäßest, so hätte nichts gefehlt, und du wärest<br />

König über alle geworden.“<br />

Auf einen dummen Kerl passt die Fabel sehr gut.<br />

Der Fuchs – ein schlaues Tier, wie wir bereits sahen – lobt den<br />

Raben in mancher Hinsicht und reizt seinen Ehrgeiz und Machttrieb,<br />

König der Vögel zu werden. In dieses Lob mancher positiver<br />

Eigenschaften packt er aber vom Raben unbemerkt den<br />

Hinweis auf ein Defizit ein, das dieser freilich nicht stehen lassen<br />

will, da er ja zu Recht der Meinung ist, dass ein König der Vögel<br />

auch mit seinen Untertanen sprechen können müsse und sich<br />

daher auch stimmlich durchsetzen müsse. Die Moral der Fabel<br />

wird durch die beiden letzten Sätze – einmal vom Fuchs, aber<br />

auch vom Kommentar des Erzählers – ausgedrückt. Die Fabel<br />

konzentriert sich knapp auf das Wesentliche: Situationsangabe,<br />

Angabe der Gedanken bzw. der Absicht des einen Protagonisten;<br />

Entwicklung des Geschehnisses und Angabe der Moral der Geschichte.<br />

Die Lehre aus der Geschichte ist eine Art Warnung vor<br />

Schmeichlern und auch persönlicher Eitelkeit.<br />

La Fontaine<br />

Le Corbeau et le Renard<br />

Maître corbeau, sur un arbre perché, // Tenait en son bec un fromage.<br />

// Maître renard, par l’odeur alléché // Lui tint à peu près<br />

ce langage: // «Et bonjour, Monsieur du Corbeau. // Que vous êtes<br />

joli! Que vous me semblez beau! // Sans mentir, si votre ramage<br />

// se rapporte à votre plumage, // Vous êtes le phénix des hôtes<br />

de ces bois.» // A ces mots, le corbeau ne se sent pas de joie; //<br />

Et pour montrer sa belle voix, // Il ouvre un large bec, laisse tomber<br />

sa proie. // Le renard s’en saisit, et dit: «Mon bon monsieur,<br />

// Apprenez que tout flatteur // Vit aux dépens de celui qui l’écoute.<br />

// Cette leçon vaut bien un fromage sans doute.» // Le corbeau<br />

honteux et confus, // Jura, mais un peu tard, qu’on ne l’y<br />

prendrait plus.<br />

Dieser klassische Fabelstoff hat auch La Fontaine gereizt. Er hat<br />

ihn aufgegriffen und hervorragend gestaltet. Wie häufig bei La<br />

Fontaine ist die gesellschaftliche Relevanz deutlich, da man mit<br />

Maître Angehörige der Schicht der Notabeln ansprach. Im Übrigen<br />

hat der genannte Fabelstoff auch bei vielen späteren Schriftstellern<br />

Interesse geweckt, die ihn in verschiedener, sehr persönlicher<br />

Weise interpretierten. Bei der Kürze der Fabel sind die<br />

eventuellen Schwierigkeiten im Unterricht leicht beherrschbar. Einige<br />

zunächst noch unbekannte Ausdrücke können ohne weiteres<br />

auf der Basis des Kontextes oder der Wortfamilien erschlossen<br />

werden. Natürlich kann man auch einige wenige Termini wie z.B.<br />

le phénix vorher angeben. Anregungen für Gruppenarbeit oder<br />

auch individuelle Vorbereitung können betreffen: die beiden Protagonisten<br />

(vor allem Charakter), die Situation zu Beginn, die Entwicklung<br />

des Geschehens, den Parallelismus der beiden Reden<br />

des Fuchses, die doppelte Gestaltung der Moral (ironisch, verbal<br />

und Handlung). Reizvoll ist die Situation zu Beginn: Der Rabe<br />

thront oben, stolz, majestätisch und macht sich daran, seine Beute<br />

zu verzehren. Claude Dreyfus weist darauf hin, dass Maître im<br />

Echo das Krächzen eines Raben lautlich imitieren könnte. Der<br />

schlaue Fuchs überlegt, wie er die unüberbrückbare Höhendistanz<br />

überwinden könnte, und greift dann zu dem psychologischen<br />

Trick. Wichtig ist es dann, die facettenreiche schmeichlerische<br />

Rede auf verschiedenen Ebenen zu betrachten. Anlass zur Diskussion<br />

oder gar kreativen Gestaltung könnte der letzte Vers bilden.<br />

Hat sich die Lektion für den Raben gelohnt? Wird er wirklich<br />

nicht mehr hereinfallen? Wie könnte man sich unter Umständen<br />

ein andermal verhalten, um bei ihm sein Ziel zu erreichen? Doch<br />

betrachten wir zunächst einige andere Gestaltungen dieses interessanten<br />

Fabelstoffes.<br />

Gotthold Ephraim Lessing<br />

Der Rabe und der Fuchs<br />

Ein Rabe trug ein Stück vergiftetes Fleisch, das der erzürnte Gärtner<br />

für die Katzen seines Nachbarn hingeworfen hatte, in seinen<br />

Klauen fort. Und eben wollte er es auf einer alten Eiche verzehren,<br />

als sich ein Fuchs herbeischlich und ihm zurief: Sei mir gesegnet,<br />

Vogel des Jupiter! – Für wen siehst du mich an?, fragte der<br />

Rabe. – Für wen ich dich ansehe? erwiderte der Fuchs. Bist du<br />

nicht der rüstige Adler, der täglich von der Rechten des Zeus auf<br />

diese Eiche herabkömmt, mich Armen zu speisen? Warum verstellst<br />

du dich? Sehe ich denn nicht in der siegreichen Klaue die<br />

erflehte Gabe, die mir dein Gott durch dich zu schicken noch fortfährt?<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 27


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

Der Rabe erstaunte und freute sich innig, für einen Adler gehalten<br />

zu werden. Ich muss, dachte er, den Fuchs aus diesem Irrtume<br />

nicht bringen. – Großmütig dumm ließ er ihm also seinen<br />

Raub herabfallen und flog stolz davon. Der Fuchs fing das Fleisch<br />

lachend auf und fraß es mit boshafter Freude. Doch bald verkehrte<br />

sich die Freude in ein schmerzhaftes Gefühl; das Gift fing an zu<br />

wirken, und er verreckte.<br />

Möchtet ihr euch nie etwas anders als Gift erloben, verdammte<br />

Schmeichler!<br />

Gegenüber seinen „Vorgängern“ wählt Lessing einen anderen<br />

Zielpunkt für seine Kritik. Während vorher versucht wurde, die<br />

Leser gegen Eitelkeit, Selbstgefälligkeit, Egozentrik usw. zu immunisieren,<br />

wird jetzt der Schmeichler attackiert, der Worte benutzt,<br />

um einen anderen zu beeindrucken, um ihn gefügig zu<br />

machen und um damit eigene Ziele zu verfolgen. Der Schmeichler<br />

verdreht die Wahrheit. Eigentlich ist er der Egoist, nicht der<br />

eitle Angesprochene. Der Rabe hier ist sogar eher zunächst ein<br />

bisschen in Verlegenheit und will den Sprecher nicht aus seinem<br />

Irrtum befreien. Dadurch lässt er sich auf die beschriebene Situation,<br />

auf die ihm zugewiesene Rolle festlegen. Allerdings verkennt<br />

auch der Fuchs die Situation, da er nicht weiß, dass der<br />

Käse vergiftet ist. So geht er an seinem eigenen Irrtum und unehrlichen,<br />

allzu raffinierten Tun selbst zugrunde.<br />

James Thurber<br />

Der Fuchs und der Rabe<br />

Der Anblick eines Raben, der auf einem Baum saß, und der Geruch<br />

des Käses, den er im Schnabel hatte, erregten die Aufmerksamkeit<br />

eines Fuchses. «Wenn du ebenso schön singst, wie du<br />

aussiehst», sagte er, «dann bist du der beste Sänger, den ich je erspäht<br />

und gewittert habe.» Der Fuchs hatte irgendwo gelesen –<br />

und nicht nur einmal, sondern bei den verschiedensten Dichtern –,<br />

dass ein Rabe mit Käse im Schnabel sofort den Käse fallen lässt<br />

und zu singen beginnt, wenn man seine Stimme lobt. Für diesen<br />

besonderen Fall und diesen besonderen Raben traf das jedoch<br />

nicht zu.<br />

«Man nennt dich schlau, und man nennt dich verrückt», sagte der<br />

Rabe, nachdem er den Käse vorsichtig mit den Krallen seines<br />

rechten Fußes aus dem Schnabel genommen hatte. «Aber mir<br />

scheint, du bist zu allem Überfluss auch noch kurzsichtig, Singvögel<br />

tragen bunte Hüte und farbenprächtige Jacken und helle<br />

Westen, und von ihnen gehen zwölf aufs Dutzend. Ich dagegen<br />

trage Schwarz und bin absolut einmalig.»<br />

«Ganz gewiss bist du einmalig», erwiderte der Fuchs, der zwar<br />

schlau, aber weder verrückt noch kurzsichtig war. «Bei näherer<br />

Betrachtung erkenne ich in dir den berühmtesten und talentier -<br />

tes ten aller Vögel, und ich würde dich gar zu gern von dir erzählen<br />

hören. Leider bin ich hungrig und kann mich daher nicht länger<br />

hier aufhalten.»<br />

«Bleib doch noch ein Weilchen», bat der Rabe. «Ich gebe dir auch<br />

etwas von meinem Essen ab.» Damit warf er dem listigen Fuchs<br />

den Löwenanteil vom Käse zu und fing an, von sich zu erzählen.<br />

«Ich bin der Held vieler Märchen und Sagen», prahlte er, «und ich<br />

28 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

gelte als Vogel der Weisheit. Ich bin der Pionier der Luftfahrt, ich<br />

bin der größte Kartograph. Und was das Wichtigste ist, alle Wissenschaftler<br />

und Gelehrten, Ingenieure und Mathematiker wissen,<br />

dass meine Fluglinie die kürzeste Entfernung zwischen zwei<br />

Punkten ist. Zwischen beliebigen zwei Punkten», fügte er stolz<br />

hinzu.<br />

«Oh, zweifellos zwischen allen Punkten», sagte der Fuchs höflich.<br />

«Und vielen Dank für das Opfer, das du gebracht, indem du mir<br />

den Löwenanteil vermacht.» Gesättigt lief er davon, während der<br />

hungrige Rabe einsam und verlassen auf dem Baum zurückblieb.<br />

Moral: Was wir heut wissen, wussten schon Äsop und La Fontaine:<br />

Wenn du dich selbst lobst, klingt’s erst richtig schön.<br />

Die Nennung der beiden Schriftsteller am Ende und auch der Hinweis<br />

zu Beginn zeigen eindeutig, in welcher Tradition Thurber<br />

seine Fabeln geschrieben hat. Der Schriftsteller spricht also selbst<br />

ähnlich wie Lessing und Anouilh von intertextuellem Arbeiten.<br />

Außerdem geht der Fuchs ja zu Beginn auf die Tendenzen anderer<br />

Fabeln ein, die er zwar zunächst indirekt, aber doch in den Anspielungen<br />

eindeutig erwähnt. Seine Absicht geht aus dem Titel<br />

seiner Fabeln hervor, wie wir bereits gesehen haben: Fables for<br />

Our Time. Dem entspricht auch die „Modernisierung“ in der Argumentation<br />

und dennoch gibt es auch einen deutlichen Unterschied,<br />

der vielleicht auch mit der Moderne zusammenhängt:<br />

Beide einigen sich, den Käse zu teilen. Das ist neu, entspricht vielleicht<br />

modernem teamwork, einem gewissen Sozialverhalten.<br />

Dennoch ist es wichtig zu betrachten, wie es dazu kommt. Der<br />

Rabe weist das Kompliment des Fuchses zurück und verweist auf<br />

die Schönheit anderer Vögel. Er selbst sei nur schwarz, also nicht<br />

bunt. Der Rabe ist also vernünftiger, realistischer als seine Vorläufer,<br />

die auf unberechtigte Komplimente schnell hereinfielen.<br />

Als der schlaue Fuchs merkt, dass der Rabe nicht auf seine<br />

Schmeichelei reagiert, versucht er es mit einer anderen Variante,<br />

vor allem aber mit einem Appell an sein Mitleid. Positiv gestimmt<br />

gerät der Rabe nun doch ins Prahlen über seine Aktivitäten und Erfolge.<br />

Der Fuchs, der den Löwenanteil des Käses erhalten hatte,<br />

hat sein Ziel, die Sättigung, erreicht. Sehr erfreut, weil er dieses<br />

sein Ziel erreicht hatte, lässt der Fuchs den Raben einsam zurück,<br />

der ihm eigentlich ja auch gleichgültig gewesen wäre, hätte er<br />

nicht Hunger verspürt.<br />

Bei der unterrichtlichen Lektüre wird man zweckmäßigerweise die<br />

Elemente, mit denen der Erzähler die Fabel in die moderne Welt<br />

einbettet, hervorheben. Wichtig ist ebenfalls die Abgrenzung gegenüber<br />

den früheren Fabeln. Diskussionsstoff ist zweifellos die<br />

Moral der Fabel, die eng mit der Motivation der Protagonisten zusammenhängt.<br />

Anregungen zum Verfassen von Fabeln<br />

Unter dem Begriff „Kreativer Literaturunterricht“ werden sehr verschiedene<br />

didaktisch-methodische Verfahrensweisen verstanden.<br />

So kann z.B. die Lerngruppe vor der Behandlung eines Gedichtes,<br />

einer Kurzgeschichte oder einer Fabel angeregt werden, zum<br />

Thema des betreffenden Textes eigene Vorstellungen zu entwickeln<br />

und (fremd-)sprachlich zu formulieren. Diese von den


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

Schülern in Prosa verfassten Texte können einen normalerweise<br />

zu erwartenden Gedankengang darstellen oder das Thema gemäß<br />

dem Vorwissen der Schüler zu entwickeln versuchen. Ein solches<br />

Verfahren dient dazu, den Erwartungshorizont zu umschreiben<br />

und gleichzeitig die Schüler für die sprachliche und inhaltliche Gestaltung<br />

des zu behandelnden Textes zu sensibilisieren. Werden<br />

die (in Gruppenarbeit oder auch einzeln) erarbeiteten Textfassungen<br />

mit dem anschließend vorgelegten literarischen Text verglichen,<br />

kann leicht das Spezifische der Gattung, des Autors, der<br />

literarischen Formulierung und der Absicht erkannt und beschrieben<br />

werden.<br />

Nicht selten wird der behandelte literarische Text als Ausgangspunkt<br />

für daran anschließende Sprachproduktion benutzt.<br />

Dramatisierung, Dialogisierung unter Berücksichtigung pragmalinguistischer<br />

Erfordernisse oder narrative Umformung, Perspektivierung<br />

und dergleichen mehr sind bewährte Verfahrensweisen.<br />

Freude am Spiel der Phantasie kompensiert dabei die vorausgegangene<br />

auf Sprachrezeption und Analyse gerichtete Mühe. Einen<br />

Schritt weiter unternimmt man, wenn man die Schüler im Anschluss<br />

an stärker markierte Kleingattungen wie Fabeln, Sketche,<br />

Märchen, Kurzgeschichten (à la Sternberg) zur selbständigen Textproduktion<br />

anregen will. Kreative Literaturbehandlung in dieser<br />

Hinsicht bedeutet nicht, dass der Unterrichtende die Schüler wie<br />

im Märchen nur mit einer baguette magique zu berühren braucht<br />

und dann lauter kleine Dichter aus ihnen werden. Kreative Literaturbehandlung<br />

setzt Kenntnisse voraus, eventuell auch gemeinsames<br />

Üben. Selbst wenn spielerische Elemente, Phantasie oder<br />

Einfühlungsvermögen in eine menschliche Situation gelegentlich<br />

dominieren, sollte man doch wenigstens ungefähre Vorstellungen<br />

von den Strukturen haben, die das kennzeichnen, was man zu<br />

schaffen beabsichtigt. Dies bedeutet, dass die Schüler, wenn sie<br />

Texte literarischer Kleinformen wie Fabeln entwerfen sollen bzw.<br />

wollen – und nur diese eignen sich eigentlich für kreative Literaturbehandlung<br />

im engeren Sinne –, wissen müssen, welches<br />

deren wichtigste Charakteristika sind. Bei den Fabeln handelt es<br />

sich im Allgemeinen um einen Kurztext, oft mit zwei Antagonisten,<br />

einem Geschehnis mit einer mehr oder weniger eindeutigen Bewertbarkeit,<br />

der sich eine manchmal ausgesprochene, manchmal<br />

nur angedeutete Moral anschließt. Gelegentlich hat sie sogar<br />

etwas Überraschendes an sich.<br />

Freilich kann gegenüber einer allzu mechanischen, programmierten<br />

Verfahrensweise gefragt werden, ob eine solche kreative<br />

Sprachverwendung durch unterrichtliche Maßnahmen erreicht<br />

werden kann. Besteht nicht ein Widerspruch zwischen der Kreativität,<br />

die eher einem persönlichen, individuellen Bereich zuzuordnen<br />

ist, womit manch Unwägbares und Unberechenbares<br />

verbunden ist, und einem eher systematischen Aufbau des Unterrichts?<br />

Diese Spannung ist sicher richtig gesehen und wird<br />

wohl nie ganz zu beseitigen sein. Die Stimmung, Frische oder Müdigkeit,<br />

das Interesse oder Desinteresse, die Sympathie oder Antipathie,<br />

die Situation, die Umgebung, Einfälle usw., also<br />

Menschlich-Allzu-Menschliches spielen zweifellos auch eine Rolle.<br />

Das Lehrerverhalten ist dazu eminent wichtig. Ein gelassener op-<br />

timistischer Unterricht fördert Kreativität. Dort wo der Lehrer hinter<br />

der Aufgabe zurücktritt, gibt er dem Schüler Raum zur Eigenproduktion.<br />

Auch wird es günstig sein, solche Unterrichtsversuche<br />

nicht in der sechsten Stunde zu beginnen. Als Sozialform des Unterrichts<br />

ist Kleingruppenarbeit besonders vorteilhaft. Da diese Arbeitsform<br />

zeitaufwendiger ist als das gezielt vorgehende<br />

fragend-entwickelnde Verfahren, sind Doppelstunden dafür besonders<br />

günstig. Natürlich sind bei deutlichem Interesse oder<br />

Wetteifer auch Hausaufgaben möglich, wobei anregende Fragepunkte<br />

förderlich sind, ohne dass sie zu sehr lenken dürfen. Dennoch<br />

kann auf die zu Beginn erwähnten objektiven Voraus -<br />

setzungen nicht verzichtet werden. Der Schüler, der zur modellorientierten<br />

Sprachproduktion angeleitet werden soll, muss das zugrundeliegende<br />

Modell kennen. In unserem Falle der Gattung der<br />

Fabel (eventuell auch der Fabelparodie oder -variation) gilt, dass<br />

im Unterricht die konstitutiven Elemente der Gattung herauszuarbeiten<br />

sind, bevor man an das Entwerfen von eigenen Fabeln geht.<br />

Von der Rezeption kommt man zur Produktion gattungsgleicher<br />

Texte.<br />

Mehrere Gesichtspunkte sollten bei der Erarbeitung der Fabelmerkmale<br />

Berücksichtigung finden. Einerseits ist induktives Vorgehen<br />

wirksamer als deduktive Präsentation. Des Weiteren sollte<br />

man sich bei der Induktion nicht auf einen Autor allein beschränken,<br />

sondern vielmehr mehrere Variationsmöglichkeiten dieser<br />

Gattung kennenlernen, da sonst leicht eine einzige autorentypische<br />

Realisierung mit der gesamten Gattung verwechselt werden<br />

kann. Wir sahen bei unserer vielseitigen Lektüre, dass die Fabel<br />

versucht, mit Hilfe der Fiktion im Erzählteil (récit: action/dialogue)<br />

Aussagen für das menschliche Verhalten, also den realen Bereich<br />

(moralité) zu machen. Sie ist im Allgemeinen kurz und auf einen<br />

Konflikt beschränkt, der durch zwei Antagonisten oder einen Protagonisten<br />

veranschaulicht wird, die nur in Bezug auf den Grundkonflikt<br />

hin charakterisiert werden. Dies sollte an verschiedenen<br />

Beispielen konkret erarbeitet werden. Themengleiche Fabeln verschiedener<br />

Autoren, wie in dem vorliegenden Falle, bieten sich<br />

dafür ganz besonders an. Im Übrigen hat auch James Thurber<br />

dieses Verfahren bereits praktiziert. Aber auch moderne Fabeln<br />

wie z.B. von Pierre Gamarra oder J.L. Dabadie u.a. sind dafür besonders<br />

geeignet. Aus diesem Grunde illustrieren wir diese Angaben<br />

mit mehreren themengleichen Fabeln zu dem letzten<br />

Thema vom Fuchs und dem Raben. Hinzugefügt sei noch, dass<br />

man für die Grundlegung der kreativen Tätigkeit natürlich nicht<br />

mit der Parodie beginnen sollte, sondern mit einer oder mehreren<br />

„Basisfabeln“.<br />

James Thurber<br />

Variationen über das Thema Fuchs und Rabe<br />

1. Von einem lieblichen Duft angelockt, ging ein Fuchs immer der<br />

Nase nach und kam zu einem Baum, auf dem ein Rabe mit einem<br />

Käse im Schnabel saß. «Käse?», sagte der Fuchs verächtlich.<br />

«Das ist ja Mäusefutter.» Der Rabe hob die Krallen und nahm den<br />

Käse aus dem Schnabel. «Du verabscheust immer das, was du<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 29


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

nicht haben kannst», bemerkte er. «Trauben zum Beispiel.»<br />

«Trauben sind etwas für Vögel», erwiderte der Fuchs sehr von<br />

oben herab. «Ich bin ein Epikureer, ein Gourmet, ein Gastronom.»<br />

Der Rabe schämte sich, dass ein so großer Feinschmecker ihn<br />

Mäusefutter essen sah, und in seiner Verlegenheit ließ er den Käse<br />

fallen. Der Fuchs schnappte den Bissen geschickt auf, verschlang<br />

ihn mit Behagen, sagte höflich «merci» und trollte sich.<br />

2. Der Fuchs hatte alle sein Überredungskünste spielen lassen,<br />

ohne dass es ihm gelungen war, den Raben auf dem Baum mit<br />

schmeichlerischen Reden dahin zu bringen, dass er den Schnabel<br />

öffnete, in dem er ein Stück Käse hatte. Plötzlich aber plumpste<br />

der Käse vor dem erstaunten Fuchs ins Gras, und gleich darauf<br />

erschien der Bauer, aus dessen Küche der Rabe den Leckerbissen<br />

gestohlen hatte. Er trug ein Gewehr in der Hand und hielt Ausschau<br />

nach dem Räuber. Der Fuchs machte schleunigst kehrt und<br />

flüchtete in den Wald. «Da rennt er, der diebische Sohn einer<br />

Füchsin!», rief der Rabe, der – wie vielleicht nicht allgemein bekannt<br />

ist – aus größerer Entfernung als sonst jemand das Glitzern<br />

eines Gewehrlaufs im Sonnenlicht sehen kann.<br />

3. Diesmal war der Fuchs entschlossen, den Raben gründlich hereinzulegen.<br />

Er blieb seelenruhig stehen, als der Bauer mit einem<br />

Gewehr erschien und Ausschau nach dem Räuber hielt. «Die<br />

Zahnabdrücke in dem Käse sind meine», sagte der Fuchs, «aber<br />

die Schnabelabdrücke stammen von dem wahren Schuldigen dort<br />

oben im Baum. Ich überreiche hiermit ergebenst Beweisstück A,<br />

nämlich den Käse, und wünsche Ihnen sowie dem Übeltäter einen<br />

wunderschönen guten Tag.» Damit zündete er sich eine Zigarette<br />

an und schlenderte davon.<br />

4. Der ehrwürdigen Tradition folgend, ließ sich der Rabe, der mit<br />

einem Stück Käse im Schnabel auf dem Baume saß, zum Singen<br />

überreden, und sogleich fiel der Käse dem Fuchs vor die Füße.<br />

«Du singst wie eine rostige Säge», sagte der Fuchs grinsend, aber<br />

der Rabe tat, als hätte er nichts gehört. «Schnell», rief er, «gib mir<br />

den Käse zurück! Dort hinten kommt der Bauer mit seinem Gewehr!»<br />

«Warum soll ich dir denn den Käse zurückgeben?», fragte<br />

der schlaue Fuchs. «Weil der Bauer auf den schießen wird, der<br />

den Käse hat, und ich kann ihm leichter entwischen als du.» In<br />

seiner Angst warf der Fuchs den Käse zu dem Raben hinauf. Der<br />

schwarze Vogel verzehrte ihn mit Genuss und sagte: «Du meine<br />

Güte, entweder spielen meine Augen mir einen Streich, oder ich<br />

spiele dir einen Streich. Welche Möglichkeit hältst du für wahrscheinlicher?»<br />

Er bekam keine Antwort, denn der Fuchs hatte sich<br />

still und heimlich davongeschlichen.<br />

Die vier Texte variieren die Ereignisse um die beiden Antagonisten<br />

herum auf sehr verschiedene Weise. Im ersten Text spielt der<br />

Fuchs den Küchensachverständigen, Gourmet und wertet den<br />

Käse als Mäusefutter ab. In der Diskussion aber hält der Rabe<br />

zunächst stand und versucht den Fuchs mit den Mitteln einer<br />

Fabel, nämlich vom Fuchs, dem die Trauben zu hoch hingen, zu<br />

schlagen. Der Fuchs versteht diese Anspielung – er kennt also<br />

die Fabel Le Renard et les Raisins – und wendet eine andere List<br />

an. Er bezeichnet sich als jemand, der nur das Allerbeste isst,<br />

während der Käse etwas Minderwertiges ist, worauf der Rabe<br />

reinfällt. Für uns ist neben der pseudoargumentativen Diskussion<br />

30 <strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de<br />

letztlich zweimal auf eine bekannte Fabel Bezug genommen worden.<br />

Im Übrigen werden auch hier wie im Allgemeinen die Charaktere<br />

der Tiere beibehalten: Der Fuchs ist schlau, der Rabe fällt<br />

aufgrund einer Schwäche herein. Er will auch als Feinschmecker<br />

angesehen werden, was er freilich nicht ist.<br />

Im zweiten Text wird ebenfalls indirekt auf die Grundfabel angespielt,<br />

indem von schmeichlerischen Reden gesprochen wird. Nur<br />

fällt der Rabe diesmal nicht darauf rein. Und doch fällt für den<br />

Leser völlig überraschend der Käse herunter. Der Leser kann sich<br />

das zunächst nicht erklären und ist gespannt, was wohl der Grund<br />

dafür sein möge. Gleich erscheint der bestohlene Bauer mit einem<br />

Gewehr, um den Räuber zu bestrafen. Der Rabe, der Täter also,<br />

lenkt den Verdacht auf den Fuchs, der zwar im Augenblick wohl<br />

den Käse hat, ihn aber keineswegs gestohlen hat. Der Täter<br />

schiebt mit einer Lüge einen Verdächtigen vor, der sich im Übrigen<br />

auch der großen, ja tödlichen Gefahr bewusst ist und schnellstens<br />

flieht.<br />

Im dritten Text wird auf den Vortext Bezug genommen. Der Fuchs<br />

ersinnt eine Strategie, den Raben für sein Verhalten – wie in der<br />

vorigen Fabel beschrieben – büßen zu lassen und ihn hereinzulegen.<br />

Umgekehrt beschuldigt er jetzt den Raben vor dem bewaffneten<br />

Bauern und gibt auch ein Beweisstück an, die<br />

Schnabelabdrücke des Raben am Käse. Er selbst spielt den völlig<br />

Ruhigen, Unschuldigen und tut so, als ginge ihn dies alles gar<br />

nichts an. Überraschend ist in dieser Fabel auch das äußerliche<br />

Zeichen für Ruhe und Gelassenheit: die Zigarette, die schon fast<br />

etwas Provokatives hat. Diese Selbstinszenierung soll dem Bauern<br />

die Unschuld und Unbeteiligtheit des Fuchses signalisieren.<br />

Auch die vierte Version der Fabel geht auf die ursprüngliche Version<br />

der Fabel zurück. Sie kombiniert diese, nämlich die zunächst<br />

erfolgreiche List des Fuchses, der den Käse „erobert“, mit einer<br />

Gegenlist des Raben, der die Ankunft einer großen Gefahr signalisiert,<br />

den Bauern mit einem Gewehr, der den Käse zurückhaben<br />

will. Mit einer solch intelligenten List hatte der Fuchs nicht gerechnet<br />

und fällt darauf herein. Bemerkenswert ist an dieser Fabel,<br />

dass das Motiv – bestohlener Bauer mit Gewehr – von dem anderen<br />

Protagonisten, dem Raben, erfolgreich genutzt wird.<br />

Das Verfahren von James Thurber, ein Element zu ändern und<br />

dann das bisherige Handlungsgerüst dementsprechend mit neuer<br />

Konsequenz folgen zu lassen, kann kreativ für viele andere Fabeln<br />

angewandt werden. Jean Anouilh hat von dieser Möglichkeit<br />

wiederholt Gebrauch gemacht, auch um der Moral einer vorausgegangenen<br />

Fabel zu widersprechen. Einen ganz anderen Ansatz<br />

zu kreativer Fabelbehandlung entwickelt Pierre Gamarra, dessen<br />

Fabel Le Renard et le Cordeau in der Folge kurz vorgestellt wird.<br />

Pierre Gamarra<br />

Le renard et le cordeau<br />

Un renard aperçut, pas très loin d’un village, // un cordeau de<br />

jardinier. // Il avait chu d’un panier. // Je parle du cordeau perdu<br />

dans ces parages. // Le renard s’approche en douceur, // flaire<br />

l’objet et l’examine. // C’était une corde assez fine. // Un vieux<br />

moineau savant perché dans la hauteur // d’un arbuste du voisinage,<br />

// lui dit: – Cet instrument, utile au jardinage, // permet des


Norbert Becker Vernetzte Literaturlektüre<br />

plantations et des semis parfaits. // On le fixe, on l’étire et voici<br />

qu’en effet, // en suivant le tracé de cette cordelette // poussent<br />

l’oignon, la ciboulette, // la scarole et l’épinard. // On peut travailler<br />

avec art, // c’est pratique, économique // autant que<br />

géométrique. // – Oui, oui, dit le renard, ce discours est fort beau<br />

// et j’accepte bien de te croire, // mais j’ai vu, l’autre jour, qu’on<br />

menait à la foire // une poule aux deux pieds liés par ce cordeau.<br />

// Cette ficelle-là ne me dit rien qui vaille: // puisqu’elle attache<br />

la volaille, // elle peut m’attacher aussi.// Éloignons-nous de<br />

par-ici.<br />

Was zunächst dem Leser auffällt, der Le Renard et le Corbeau<br />

kennengelernt hat, ist die Ähnlichkeit des Wortklangs des Titels,<br />

eine gewisse Homophonie hinsichtlich der beiden Fabeln, ein spielerisches<br />

Element, das im Übrigen in der Fabelsammlung von<br />

Pierre Gamarra häufig auftritt. So trägt sein illustriertes Fabelbuch<br />

den Titel la mandarine et le mandarin. Darin findet man dann z. B.:<br />

le cigare et la fourmi; le ballon baladeur; le cosmonaute et son<br />

hôte; le lapin et le latin; le moqueur moqué etc. Zum Teil verraten<br />

die Titel Freude am Wortspiel oder es werden ein, zwei Laute<br />

verändert gegenüber Fabeln von La Fontaine und dadurch neue<br />

Fabelpersonen geschaffen. Reizvoll ist es, wenn dann die Handlungsfolge<br />

mit Konsequenz durchgeführt wird. Doch zunächst<br />

zurück zum vorliegenden Text von Pierre Gamarra. Nachdem er<br />

eine der beiden Hauptpersonen durch eine klangähnliche ersetzt<br />

hat, spielt er die neue Konstellation konsequent durch. Aus dem<br />

Raben wird ein Sperling, der natürlich wesentlich kleiner ist. Seine<br />

Stimme hat wesentlich weniger Gewicht als die eines Raben. Er<br />

erkennt auch nicht die Gefahr, die sich aus dem Auffinden der<br />

Schnur für den Fuchs ergibt. Er sieht in ihr lediglich den Nutzen<br />

für die Arbeit eines Bauern. Es ist vielmehr der Fuchs selbst, der<br />

die Gefahr wittert, die sich aus der Schnur für die Tierwelt ergibt.<br />

Er erinnert sich gesehen zu haben, wie der Bauer ein Huhn damit<br />

band und wohl wegbrachte zum Schlachten. Zur Schläue des<br />

Fuchses gehört es konsequenterweise, dass er selbst die richtigen<br />

Folgerungen daraus für sich ableitet. Interessant sind die bildhaften<br />

und wörtlichen Anspielungen an die bekannte Fabel von<br />

La Fontaine. Dies ist auch eine lohnende Aufgabe für die Schüler.<br />

Weitere Möglichkeiten für kreative Fabelbehandlung bestehen in<br />

der Vorgabe einer Moral und dem Suchen und Beschreiben einer<br />

Handlung oder in der Vorgabe moderner technischer Begriffe und<br />

dem konsequenten Entwickeln einer Handlung mit einer Pointe<br />

am Ende oder Handlungsfortführung oder Erweiterung, wie es<br />

James Thurber gemacht hat. On a vraiment l’embarras du choix.<br />

Bei der kreativen Entwicklung einer neuen, eigenen Fabel sollten,<br />

wie zu Beginn betont, die Strukturelemente dieser Textsorte (exposition<br />

(situation initiale, personnages), récit, dialogue, morale)<br />

berücksichtigt werden und eine gewisse abgestimmte Folgerichtigkeit<br />

der Darstellung beachtet werden. Die Arbeit daran bietet<br />

der Lerngruppe viele Sprechanlässe. Jeder kann mit seinen Einfällen<br />

und Kenntnissen zum Gelingen beitragen.<br />

Gleichzeitig bieten die Fabeln aber auch in anderer Hinsicht hervorragende<br />

Sprech- und Schreibanlässe und zwar in mehreren<br />

Zielrichtungen. Natürlich kann die Moral, mit der der Autor den<br />

Leser beeinflussen will, Widerspruch bei Letzterem erregen. Manche<br />

Konsequenzen können bisweilen anders gezogen werden.<br />

Dies kann bereits bei der Lektüre einer einzelnen Fabel der Fall<br />

sein. Wir sahen bereits, dass Fabeldichter nicht selten aus ihrer eigenen<br />

Kritik und ihrem Widerspruch gegen frühere Fabeln Motivation<br />

für eigenes Tun ziehen (s. La Fontaine – Anouilh). Umso<br />

anregender, ja fast zwingender ist die vergleichende Stellung -<br />

nahme, die man nach der Lektüre zweier oder mehrerer Fabeln<br />

verschiedener Autoren vornehmen kann. Die Unterschiede, die<br />

sich dabei ergeben, regen so auf eine eigentlich natürliche Weise<br />

zur Diskussion an, die man im Unterricht persönlich-spontan oder<br />

in Argumentationsgruppen durchführen kann. Sprachliche Hilfestellungen<br />

können dabei die Ausdrucksfähigkeit in formaler oder<br />

inhaltlicher Hinsicht unterstützen. So bietet die Behandlung von<br />

Fabeln im Unterricht viele fruchtbare Möglichkeiten, die wir nutzen<br />

sollten.<br />

Bibliographie<br />

Wilfried Bartenstein: Arbeit mit französischen Sachtexten. Von der<br />

Textrezeption zur Textproduktion. Stuttgart, Klett 1976.<br />

Norbert Becker: Fabeln unserer Zeit – Unsere Zeit in Fabeln.<br />

Schülerbuch und Lehrerheft, Frankfurt, Verlag Moritz Diesterweg<br />

1978.<br />

Norbert Becker: Ein „neuer“ französischer Fabeldichter: Pierre Gamarra.<br />

In: Französisch heute, 11 (1980) S. 283 – 293.<br />

Norbert Becker: Fabel und sprachliches Spiel. In: Der fremdsprachliche<br />

Unterricht 65 (1983), S. 22 – 30<br />

Norbert Becker: Kreativer Literaturunterricht. Anregungen zum<br />

Verfassen von französischen Fabeln. In: Praxis des neusprachlichen<br />

Unterrichts 1988,4 , S. 388 – 398.<br />

Norbert Becker: Politische Fabeln im Unterricht. In: Französisch<br />

heute 1988,1; S. 62 ff.<br />

Brigitta Coenen-Mennemeier: Fabeln bei La Fontaine und Anouilh.<br />

In: Praxis des neusprachlichen Unterrrichts 1971,1, S. 12 ff.<br />

Hugo Blank: Die Fabeln von Jean Anouilh, Texte und Kommentar,<br />

Wilhelmsfeld, Gottfried Egert Verlag 1996.<br />

Dieter Ewald: Die moderne französische Fabel. Rheinfelden,<br />

Schäuble Verlag 1977.<br />

Sigrid Fischbach: Latein und Französisch. Überlegungen zu einer<br />

Kooperation beider Fächer. In: Altsprachlicher Unterricht 1986.<br />

Pierre Gamarra: La mandarine et le mandarin. Paris, Éditions la<br />

Farandole 1970.<br />

Johannes Irmscher: Sämtliche Fabeln der Antike. Köln, Anaconda<br />

Verlag 2011.<br />

La Fontaine: Œuvres complètes, Paris, Gallimard nrf 1954.<br />

Erwin Leibfried: Fabel, Sammlung Metzler Nr. 66, München, Metzler<br />

1976.<br />

Gotthold Ephraim Lessing: Fabeln, Köln, Anaconda 2008.<br />

Hermann Lindner: Fabeln der Neuzeit, München, Fink Verlag 1978.<br />

Karl-Heinz Niemann: Die Fabel als Spiegel menschlichen Verhaltens<br />

und als Anstoß zur Verhaltensänderung. In: Altsprachlicher<br />

Unterricht, 1979, 3.<br />

James Thurber: 75 Fabeln für Zeitgenossen. Deutsch von U. Hengst,<br />

H. Reisiger und H.M. Ledig-Rowohlt. Hamburg, Rowohlt 1967.<br />

<strong>KNOTEN</strong> · Jahrgang 25, Nr. 1 · Frühjahr 2012 · www.carolus-magnus-kreis.de 31


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