bundesarbeitsblatt - Bundesministerium für Arbeit und Soziales
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<strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> www.<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong>.de<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong><br />
<strong>Arbeit</strong>sschutz B<strong>und</strong>esversorgungsblatt <strong>Arbeit</strong>s- <strong>und</strong> Sozialstatistik Heft 6-2004 E 1991<br />
Wettbewerb Vorbildliche Unternehmen prämiert<br />
Existenzgründungen<br />
Gründerzentren können helfen<br />
Verlag W. Kohlhammer ISSN 0007-5868
INHALT 6 04<br />
Top-Thema<br />
4 Der Wettbewerb „Beschäftigung<br />
gestalten – Unternehmen zeigen<br />
Verantwortung“: Ziele, Umsetzung,<br />
Ergebnisse<br />
Von Silke Gülker<br />
12 Die fünf prämierten Unternehmen<br />
im Porträt<br />
Existenzgründungen<br />
18 Die richtigen Typen sind gefragt<br />
Von Alexander Kritikos <strong>und</strong> Frank Wießner<br />
Internationales<br />
24 Blick über die Grenze<br />
News & Service<br />
27 Fachliteratur<br />
30 Impressum<br />
Amtliche Bekanntmachungen<br />
ab Seite 31<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
3
Von Silke Gülker. Die<br />
Autorin ist Projektleiterin<br />
im Bereich<br />
Beschäftigung, Personal<br />
<strong>und</strong> Qualifizierung<br />
des IFOK Institut<br />
<strong>für</strong> Organisationskommunikation<br />
<strong>und</strong><br />
zuständig <strong>für</strong> die<br />
fachliche Begleitung<br />
des Wettbewerbs.<br />
TOP-THEMA<br />
Der Wettbewerb<br />
„Beschäftigung gestalten – Unternehmen<br />
zeigen Verantwortung“:<br />
Ziele, Umsetzung <strong>und</strong> Ergebnisse<br />
Am 21. Mai 2004 wurden in Berlin fünf Preisträger im Wettbewerb „Beschäftigung<br />
gestalten – Unternehmen zeigen Verantwortung“ ausgezeichnet.<br />
Die Jury hatte im März 2004 elf Unternehmen <strong>für</strong> eine Auszeichnung<br />
nominiert (vgl. B<strong>und</strong>esarbeitsblatt 4/2004 <strong>und</strong> Porträts der Unternehmen<br />
in diesem Heft). Der Wettbewerb ist ein Kooperationsprojekt des <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong>s<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>und</strong> der Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!<br />
unter dem Dach der Initiative Team<strong>Arbeit</strong> <strong>für</strong> Deutschland. Der folgende<br />
Artikel untersucht Ziele, Prozess <strong>und</strong> Ergebnisse des Projektes. Es wird<br />
der Frage nachgegangen, ob <strong>und</strong> unter welchen Bedingungen ein solcher<br />
Wettbewerb zu einer positiven Entwicklung am <strong>Arbeit</strong>smarkt beitragen<br />
kann.<br />
Hintergr<strong>und</strong>: Eine gemeinsame Initiative<br />
von Politik <strong>und</strong> Wirtschaft<br />
Die Idee zu einem b<strong>und</strong>esweiten Wettbewerb <strong>für</strong><br />
engagierte Unternehmen war wesentlich inspiriert<br />
durch die Vorschläge der „Kommission <strong>für</strong> moderne<br />
Dienstleistungen am <strong>Arbeit</strong>smarkt“, der so genannten<br />
Hartz-Kommission. Modul 7 des Konzepts<br />
der Hartz-Kommission sah so genannte Beschäftigungsbilanzen<br />
vor, anhand derer Unternehmen<br />
von Sozialversicherungsabgaben entlastet<br />
werden sollten, wenn sie eine positive Beschäftigungsentwicklung<br />
nachweisen konnten. Der Gedanke<br />
von den „Profis der Nation“ (Modul 13)<br />
forderte zudem alle Akteure aus Wirtschaft, Politik<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft auf, in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich<br />
alle Möglichkeiten zur positiven<br />
Gestaltung des <strong>Arbeit</strong>smarktes zu nutzen.<br />
Der Wettbewerb „Beschäftigung gestalten – Unternehmen<br />
zeigen Verantwortung“ kombiniert diese<br />
beiden Gr<strong>und</strong>ideen <strong>und</strong> fokussiert sie neu. Ein<br />
4 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
neuer Bürokratismus bei der Einführung von Beschäftigungsbilanzen<br />
sollte vermieden <strong>und</strong> die<br />
Aufforderung an die Profis Unternehmen konkreter,<br />
verbindlicher werden.<br />
Mit der Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!, dem Ministerium<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>und</strong> dessen Initiative<br />
Team<strong>Arbeit</strong> <strong>für</strong> Deutschland haben sich<br />
Partner zur Zusammenarbeit gef<strong>und</strong>en, die den<br />
zur Umsetzung eines solchen Projektes nötigen<br />
gemeinsamen Gestaltungswillen <strong>und</strong> die Gestaltungskompetenz<br />
haben. Die Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!<br />
ist ein b<strong>und</strong>esweit getragenes Netzwerk<br />
von Vertretern aus Unternehmen, Gewerkschaften,<br />
Verbänden, Kammern, Politik, Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft, das sich seit 1998 in regionalen<br />
Netzwerken aktiv um die positive Entwicklung<br />
des <strong>Arbeit</strong>smarktes verdient macht.<br />
Die Initiative Team<strong>Arbeit</strong> <strong>für</strong> Deutschland ist eine<br />
Initiative des <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong>s <strong>für</strong> Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong> zusammen mit engagierten Bürgerin-
nen <strong>und</strong> Bürgern aus Politik, Kirche, Kultur, Wirtschaft<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft. Sie wurde im Juni 2003<br />
von B<strong>und</strong>esminister Clement ins Leben gerufen.<br />
Sie bringt Menschen <strong>und</strong> Organisationen zusammen,<br />
die neue Ideen <strong>und</strong> Konzepte gegen <strong>Arbeit</strong>slosigkeit<br />
entwickeln <strong>und</strong> umsetzen.<br />
Ziele: Positives sichtbar machen <strong>und</strong><br />
multiplizieren<br />
Mit dem Wettbewerb sollte deutlich werden, dass<br />
es auch in Zeiten von zum Teil schwierigen wirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen viele Unternehmen<br />
in Deutschland gibt, die sich ihrer Verantwortung<br />
stellen <strong>und</strong> sich <strong>für</strong> eine positive Gestaltung<br />
des <strong>Arbeit</strong>smarktes engagieren. In einer Zeit,<br />
in der Nachrichten über Beschäftigung <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>smarkt<br />
in aller Regel negative Nachrichten<br />
sind, sollte dieser Wettbewerb auch psychologisch<br />
einen Kontrapunkt bilden: Diejenigen Unternehmen,<br />
die sich bei allen Widrigkeiten immer wieder<br />
mit großer Kraft zum Beispiel gegen eine Standortverlagerung<br />
stellen, die sich <strong>für</strong> eine hochwertige<br />
Ausbildung von jungen Menschen <strong>und</strong> gegen eine<br />
Ausgrenzung von älteren Mitarbeiter/innen stark<br />
machen, sollten eine öffentliche Würdigung erfahren.<br />
Über die Würdigung von engagierten Unternehmen<br />
hinaus, ist es Ziel des Wettbewerbes, andere<br />
Unternehmen zur Nachahmung aufzufordern.<br />
Gute Beispiele sollen breit publiziert werden <strong>und</strong><br />
so Anregungen geben <strong>für</strong> Unternehmen, die in<br />
ähnlichen Situationen nach neuen Lösungen suchen.<br />
In einer mittelfristigen Wirkung soll der<br />
Wettbewerb damit einen Beitrag zu mehr personal-<br />
<strong>und</strong> arbeitsmarktpolitischen Innovationen in<br />
Deutschland leisten.<br />
Umsetzung: Lagerübergreifende Kooperation<br />
der <strong>Arbeit</strong>smarktpartner<br />
Die Aufgabe<br />
Eine mittelfristige Wirkung zur Gestaltung des<br />
<strong>Arbeit</strong>smarktes kann ein Wettbewerb nur erzielen,<br />
wenn es gelingt, breit alle Unternehmen in<br />
Deutschland anzusprechen, die sich in verschiedener<br />
Weise über das übliche Kerngeschäft hinaus<br />
<strong>für</strong> Beschäftigung engagieren. Eine zentrale Herausforderung<br />
<strong>für</strong> die umsetzenden Akteure des<br />
Wettbewerbs 1 ) war es deshalb, Unternehmen aller<br />
Betriebsgrößen, aller Branchen <strong>und</strong> Regionen <strong>für</strong><br />
den Wettbewerb zu interessieren <strong>und</strong> dann eine<br />
Bewertung von sehr unterschiedlichen Formen<br />
des Engagements vorzunehmen.<br />
TOP-THEMA<br />
Gleichzeitig stand aus Budgetgründen bereits zu<br />
Beginn des Prozesses fest, dass mit dem Wettbewerb<br />
kein Geldpreis verb<strong>und</strong>en sein würde. Der<br />
Preis <strong>für</strong> die Unternehmen war die öffentlichkeitswirksame<br />
Verbreitung ihres Engagements. Um so<br />
wichtiger war es, inhaltliche Anreize zur Beteiligung<br />
zu schaffen. Die Besetzung der Jury, die Art<br />
der Ausschreibung, die Transparenz der Auswahlkriterien<br />
<strong>und</strong> die Vermarktung sind die wesentlichen<br />
Erfolgsfaktoren eines Wettbewerbs <strong>und</strong><br />
sollen deshalb im folgenden kurz reflektiert werden.<br />
Die Jury<br />
Das zentrale Gremium eines solchen Wettbewerbes<br />
ist die Jury. Ob es gelingt, <strong>für</strong> diese Aufgabe<br />
geeignete Persönlichkeiten zu gewinnen, ist <strong>für</strong><br />
die Außenwirkung <strong>und</strong> <strong>für</strong> die kompetente Bearbeitung<br />
des Wettbewerbes von entscheidender Bedeutung.<br />
Die Jury dieses Wettbewerbs ist in mehrfacher<br />
Weise besonders <strong>und</strong> hat die Umsetzung<br />
wesentlich unterstützt:<br />
Prominent: Ob ein Unternehmen sich <strong>für</strong> die<br />
Teilnahme an einem Wettbewerb entscheidet,<br />
hängt davon ob, wie bekannt die Jury ist, die über<br />
die Beiträge entscheidet <strong>und</strong> schließlich einen<br />
Preisträger kürt. Dies gilt um so mehr, wenn ein<br />
Die Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!<br />
Prof. Dr. Jürgen Strube, Vorsitzender des Vorstands der BASF Aktiengesellschaft,<br />
Reinhard Mohn, Mitglied des Kuratoriums der Bertelsmann Stiftung,<br />
<strong>und</strong> Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie<br />
etablierten im Herbst 1998 die Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!. Ziel ist die enge<br />
Zusammenarbeit von Persönlichkeiten aus Unternehmen, Verbänden,<br />
Gewerkschaften, Kammern, wissenschaftlichen Einrichtungen, Verwaltungen,<br />
Kommunen <strong>und</strong> weiteren Akteuren im Rahmen regionaler Netzwerke,<br />
um konkrete Beschäftigungsprojekte zu entwickeln <strong>und</strong> umzusetzen. 2001<br />
übernahm Dr. Gunter Thielen den Stab von Reinhard Mohn.<br />
Bis Herbst 2001 konnten in 19 Regionen Deutschlands Netzwerke aufgebaut<br />
werden, in denen Persönlichkeiten sich zur Übernahme gesellschaftspolitischer<br />
Verantwortung, zur Eigeninitiative <strong>und</strong> zum Handeln im<br />
eigenen Wirkungsbereich verpflichten. Über 2.500 Aktive entwickeln<br />
innovative Beschäftigungsprojekte <strong>und</strong> setzen sie um, allein über 400<br />
Unternehmen beteiligen sich an der Initiative. Damit gilt sie als größte<br />
konzertierte Aktion der deutschen Wirtschaft zum Thema Beschäftigung.<br />
Die bislang durchgeführten r<strong>und</strong> 200 Projekte konzentrieren sich auf<br />
folgende Schwerpunktthemen: Integration von Jugendlichen in das Berufsleben,<br />
Förderung von Unternehmensgründungen, Integration von Benachteiligten<br />
sowie <strong>Arbeit</strong>splätze entwickeln, Beschäftigungsfähigkeit fördern.<br />
Weitere Informationen unter www.initiative-fuer-beschaeftigung.de.<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
5
TOP-THEMA<br />
Die Jury des Wettbewerbs<br />
Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Direktorin des Instituts <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong>smarkt- <strong>und</strong><br />
Berufsforschung (IAB)<br />
Dr. Nobert Bensel, Mitglied des Vorstands der Deutsche Bahn AG<br />
Dr. Hermann Borghorst, Mitglied des Vorstands Vattenfall Europe Mining<br />
AG <strong>und</strong> Generation AG <strong>und</strong> Co. KG<br />
Minister Wolfgang Clement, <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
Angela Fauth-Herkner, Partnerin des Beratungsunternehmens Fauth-Herkner<br />
& Partner<br />
Dr. h.c. Peter Hartz, Mitglied des Vorstands der Volkswagen AG<br />
Dr. Tessen von Heydebreck, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank AG<br />
Dr. Dieter H<strong>und</strong>t, Präsident der B<strong>und</strong>esvereinigung der Deutschen <strong>Arbeit</strong>geberverbände<br />
Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-<br />
Gaststätten (NGG)<br />
Harald Müsse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Verlagsgruppe<br />
Handelsblatt GmbH<br />
Hubertus Schmoldt, Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie<br />
Dr. Hartmut Seifert, Leiter des Wirtschaft- <strong>und</strong> Sozialwissenschaftlichen<br />
Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung<br />
Michael Sommer, B<strong>und</strong>esvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsb<strong>und</strong>es<br />
Dr. Gunter Thielen, Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann AG <strong>und</strong><br />
Sprecher der IfB!<br />
Dr. Ursula Weidenfeld, Leitende Redakteurin <strong>und</strong> Ressortleiterin Wirtschaft<br />
der Tageszeitung „Der Tagesspiegel“<br />
Kriterien zur Bewertung des besonderen Engagements:<br />
Innovationsgehalt<br />
• Wie neuartig bzw. besonders ist der Problemlösungsansatz?<br />
• Kann durch dieses Engagement etwas gelöst werden, was in anderen<br />
Unternehmen weniger gut gelingt?<br />
• Werden vorhandene Konzepte kreativ <strong>und</strong> intelligent verknüpft <strong>und</strong> so<br />
neue Lösungen eröffnet?<br />
Art <strong>und</strong> Weise der Umsetzung<br />
• Wie wird erreicht, dass das Engagement zielgerichtet umgesetzt wird?<br />
• Wie transparent sind Ziele <strong>und</strong> Vorgehen <strong>für</strong> die Beteiligten?<br />
• Wie ernsthaft werden die Beteiligten innerhalb (Betriebsrat, Mitarbeiter/innen,<br />
Führungskräfte) <strong>und</strong> außerhalb des Unternehmens (regionale<br />
Akteure, zum Beispiel <strong>Arbeit</strong>geberverbände, Gewerkschaften,<br />
Kommunen, Kirchen, Wissenschaft...) einbezogen?<br />
Ergebnisse<br />
• Gibt es einen messbaren Erfolg? Wie wird er festgestellt?<br />
• Werden die selbst gesetzten Ziele erreicht?<br />
• Gibt es über die eigentlichen Ziele hinaus weitere positive Effekte <strong>für</strong><br />
das Unternehmen?<br />
• Welche dauerhafte Wirkung ist abzusehen? Gibt es mittel- oder<br />
langfristige Planungen?<br />
Übertragbarkeit<br />
• Lassen sich die Ergebnisse <strong>und</strong> Erfahrungen auch auf Unternehmen anderer<br />
Größe oder Finanzstärke übertragen?<br />
6 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Wettbewerb zum ersten Mal durchgeführt wird,<br />
also keine Tradition hat. Mit B<strong>und</strong>esminister<br />
Clement <strong>und</strong> Dr. Gunter Thielen als Vorsitzende<br />
dieser Jury ist es gelungen, namhafte Führungspersönlichkeiten<br />
<strong>für</strong> die Mitwirkung zu gewinnen.<br />
Lagerübergreifend <strong>und</strong> integrierend: Mit den<br />
Spitzen von <strong>Arbeit</strong>geberverband <strong>und</strong> Gewerkschaften<br />
arbeiten die zwei zentralen <strong>Arbeit</strong>smarktparteien<br />
in der Jury zusammen. Gleichzeitig sind<br />
führende Unternehmensvertreter <strong>und</strong> weitere Vorsitzende<br />
von Einzelgewerkschaften Mitglieder.<br />
Mit dieser Zusammenarbeit ist das Signal verb<strong>und</strong>en:<br />
Neue Lösungen am <strong>Arbeit</strong>smarkt werden von<br />
Unternehmensleitung <strong>und</strong> Belegschaft gemeinsam<br />
vorangetrieben. Der Wettbewerb legt Wert auf diese<br />
Kooperation.<br />
Fachkompetent: Mit der Wettbewerbsteilnahme<br />
setzt sich ein Unternehmen einer externen Bewertung<br />
aus. Einer Jury muss man zutrauen können,<br />
dass sie das eigene Engagement fachkompetent<br />
<strong>und</strong> fair beurteilt. Für diesen Wettbewerb wurden<br />
deshalb Experten unterschiedlicher Disziplinen,<br />
aus Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis an der Bewertung der<br />
Unternehmensbeispiele beteiligt.<br />
Breiter Multiplikationsradius: Schließlich verfügt<br />
eine Jury immer über eigene Kontaktnetzwerke,<br />
die <strong>für</strong> eine Verbreitung des Wettbewerbs<br />
genutzt werden können. Die Netzwerke der hier<br />
beteiligten Häuser konnten zur unmittelbaren<br />
Ansprache zahlreicher Unternehmen in Deutschland<br />
genutzt werden, die einbezogenen Medienvertreter/innen<br />
haben breit <strong>für</strong> den Wettbewerb<br />
geworben.<br />
Die Ausschreibung<br />
Um der Zielsetzung des Wettbewerbs entsprechend<br />
Unternehmen aller Größen <strong>und</strong> Branchen<br />
in Deutschland anzusprechen, war eine Form der<br />
Ausschreibung nötig, die einerseits den Unternehmen<br />
möglichst wenig Aufwand bereitete, andererseits<br />
aber die Besonderheit des spezifischen Engagements<br />
leicht erfassbar machen konnte. Eine<br />
da<strong>für</strong> geeignete Form der Ausschreibung wurde in<br />
einem gemeinsamen Prozess mit Experten aller<br />
Jury-Häuser entwickelt. Im Ergebnis wurden die<br />
Unternehmen aufgefordert, ihre Bewerbung in<br />
drei Teilen zu verfassen:<br />
Skizze des besonderen Engagements: Anhand<br />
von Leitfragen <strong>und</strong> beispielhaften Themen sollten<br />
besondere Aktivitäten, Projekte <strong>und</strong> Initiativen
der Unternehmen formlos in wenigen Seiten zusammengefasst<br />
werden.<br />
Statistische Eckpunkte: Zentrale Daten zur Beschäftigungsentwicklung<br />
wurden in tabellarischer<br />
Form erfragt.<br />
Anlagen: Optional konnten der Bewerbung Flyer,<br />
Presseauswertungen <strong>und</strong> andere Anlagen beigelegt<br />
werden, die zur Illustration des besonderen<br />
Engagements beitrugen.<br />
Die Auswahlkriterien<br />
Bei der Ausschreibung des Wettbewerbes wurde<br />
Wert darauf gelegt, von Beginn an eine möglichst<br />
hohe Transparenz <strong>für</strong> alle Beteiligten zu erreichen.<br />
Deshalb wurden bereits mit der Veröffentlichung<br />
des Wettbewerbs auch die zentralen Kriterien zur<br />
Bewertung des besonderen Engagements bekannt<br />
gegeben. Auch diese Kriterien wurden im Rahmen<br />
eines gemeinsamen Workshops, an dem Experten<br />
aller Jury-Häuser teilnahmen, entwickelt.<br />
In der gemeinsamen Auseinandersetzung wurde<br />
deutlich, dass die Kriterien <strong>für</strong> einen solchen Wettbewerb<br />
überwiegend qualitativ formuliert werden<br />
müssen. Das zum Teil sehr unterschiedliche<br />
Engagement der Unternehmen würde sich quantitativ<br />
nicht sinnvoll vergleichen lassen. Die erfragten<br />
Daten zur Beschäftigungsentwicklung sollten<br />
aber gleichzeitig Auskunft über das Gesamtprofil<br />
des Unternehmens <strong>und</strong> die Konsistenz mit dem<br />
beschriebenen Engagement geben.<br />
Die Vermarktung<br />
Die Ausschreibungsphase des Wettbewerbes wurde<br />
durch eine Öffentlichkeitskampagne im Rahmen<br />
von Team<strong>Arbeit</strong> <strong>für</strong> Deutschland unterstützt.<br />
Durch gezielte Anzeigenwerbung wurden Unternehmensvertreter/innen<br />
in ganz Deutschland <strong>für</strong><br />
den Wettbewerb interessiert. Ein Internet-Auftritt<br />
<strong>und</strong> eine Service-Hotline boten die nötige Infrastruktur<br />
<strong>und</strong> Transparenz <strong>für</strong> einen solchen Prozess.<br />
Die Netzwerke der Initiative <strong>für</strong> Beschäftigung!<br />
sowie aller Jury-Häuser wurden aktiv zur<br />
Vermarktung genutzt.<br />
Ergebnisse: Breite Wahrnehmung <strong>und</strong><br />
hohe Qualität<br />
Die Resonanz-Gesamteinschätzung<br />
An dem Wettbewerb haben 229 Unternehmen<br />
teilgenommen. Alle Beteiligten werteten dies als<br />
erfreuliche Resonanz, insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong>,<br />
dass dieser Wettbewerb zum ersten Mal<br />
ausgeschrieben wurde <strong>und</strong> kein Geldpreis ausgelobt<br />
wurde.<br />
TOP-THEMA<br />
Eine statistische Auswertung der eingegangenen<br />
Bewerbungen zeigt überdies, dass das selbst gesetzte<br />
Ziel der Jury, nämlich Unternehmen aller<br />
Regionen, Größen <strong>und</strong> Branchen anzusprechen,<br />
im Wesentlichen erreicht werden konnte.<br />
Die regionale Verteilung der beteiligten<br />
Unternehmen<br />
Aus allen B<strong>und</strong>esländern haben sich Unternehmen<br />
am Wettbewerb beteiligt (Tabelle 1). Ein leichtes<br />
Übergewicht liegt in Nordrhein-Westfalen. Die<br />
hohe Industriedichte, starke Präsenz der Initiative<br />
<strong>für</strong> Beschäftigung! in diesem B<strong>und</strong>esland <strong>und</strong><br />
auch die langjährige Erfahrung der Akteure mit<br />
solchen <strong>und</strong> ähnlichen <strong>Arbeit</strong>smarktprojekten sind<br />
mögliche Ursachen hier<strong>für</strong>.<br />
Tabelle 1: Regionale Verteilung der eingegangenen Bewerbungen<br />
B<strong>und</strong>esland Anzahl der Bewerbungen<br />
Baden-Württemberg 29<br />
Bayern 22<br />
Berlin 12<br />
Brandenburg 6<br />
Bremen 2<br />
Hamburg 8<br />
Hessen 20<br />
Mecklenburg-Vorpommern 4<br />
Niedersachsen 24<br />
Nordrhein-Westfalen 58<br />
Rheinland-Pfalz 14<br />
Saarland 1<br />
Sachsen 9<br />
Sachsen-Anhalt 3<br />
Schleswig-Holstein 6<br />
Thüringen 11<br />
Die neuen B<strong>und</strong>esländer sind deutlich weniger im<br />
Wettbewerb vertreten. Dieses Ungleichgewicht<br />
findet sich auch in anderen Prozessen dieser Art,<br />
die Ursachen da<strong>für</strong> liegen aber nicht auf der Hand.<br />
Zwar stehen Unternehmen hier in vielen Regionen<br />
unter erheblichem wirtschaftlichen Druck, was<br />
die Bereitschaft zur Teilnahme an einem solchen<br />
Wettbewerb einschränken kann. Gleichzeitig arbeiten<br />
aber auch hier sehr viele Unternehmen mit<br />
außerordentlich hohem Engagement <strong>und</strong> vielfach<br />
in regionalen Kooperationen an der Verbesserung<br />
der <strong>Arbeit</strong>smarktsituation, so dass man auch eine<br />
höhere Beteiligung erwarten könnte.<br />
Die sektorale Verteilung der eingegangenen<br />
Bewerbungen<br />
Die Verteilung nach Branchen (Abbildung 1) zeigt,<br />
dass es gelungen ist, sehr unterschiedliche Unter-<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
7
TOP-THEMA<br />
nehmen an dem Wettbewerb zu beteiligen. Industrie-,<br />
Dienstleistungs-, Handels- <strong>und</strong> Handwerksunternehmen<br />
halten sich beinahe die Waage. Ausnahme<br />
bilden dabei die Unternehmensdienstleistungen,<br />
die deutlich überproportional beteiligt<br />
sind. Ein möglicher Hintergr<strong>und</strong> ist, dass hier auch<br />
solche Unternehmen zusammengefasst sind, die<br />
arbeitsmarktpolitische Projekte als ihr Kerngeschäft<br />
umsetzen 2 ).<br />
Abbildung 1: Verteilung der eingegangenen<br />
Bewerbungen nach Branchen<br />
Die Verteilung nach Betriebsgrößen<br />
Der Wettbewerb hat kleine wie große Unternehmen<br />
gleichermaßen angesprochen (Abbildung 2).<br />
Interessant ist vor allem, dass sich sehr viele<br />
Kleinstunternehmen mit weniger als 20 Beschäftigten<br />
beworben haben. Aber auch <strong>für</strong> Großkonzerne<br />
war offensichtlich die Anreizwirkung<br />
des Wettbewerbs groß genug, um sich zu beteiligen<br />
3 ).<br />
Abbildung 2: Verteilung der eingegangenen<br />
Bewerbungen nach Betriebsgrößen<br />
8 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Inhalte <strong>und</strong> Qualität der Bewerbungen<br />
Neben der Quantität überzeugt auch die Qualität<br />
der eingegangenen Bewerbungen. Deutlich wird<br />
die große Bandbreite innerhalb derer sich Unternehmen<br />
in Deutschland <strong>für</strong> eine Verbesserung am<br />
<strong>Arbeit</strong>smarkt engagieren.<br />
Die eingegangenen Bewerbungen wurden <strong>für</strong> eine<br />
Bewertung <strong>und</strong> bessere Vergleichbarkeit nach den<br />
Schwerpunkten ihres besonderen Engagements<br />
sortiert. Folgende Kategorien wurden so gebildet:<br />
• Aufbau <strong>und</strong> Stabilisierung von Beschäftigung<br />
durch flexible <strong>und</strong> neue <strong>Arbeit</strong>s(zeit)organisation,<br />
neue Finanzierungsformen, Eröffnung<br />
neuer Geschäftsfelder.<br />
• Erhaltung <strong>und</strong> Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit<br />
der Mitarbeiter durch neue<br />
Wege in der Personalentwicklung, individuelle<br />
Weiterbildungskonzepte, neue Methoden bei<br />
der Qualifizierung der Mitarbeiter, neue Führungsinstrumente,<br />
Unterstützung der Eigeninitiative,<br />
Vorsorgender Ges<strong>und</strong>heitsschutz.<br />
• Perspektiven <strong>für</strong> Jugendliche durch Ausbildung,<br />
Qualifizierung <strong>und</strong> Integration, durch<br />
Partnerschaften mit Schulen zur frühzeitigen<br />
Berufsorientierung, durch Zusammenarbeit mit<br />
Hochschulen zur Stärkung der Praxisorientierung<br />
<strong>und</strong> zur Integration von Fachkräften.<br />
• Integration besonderer Zielgruppen, z.B.:<br />
Geringqualifizierte, Behinderte, ältere <strong>Arbeit</strong>nehmer/innen,<br />
Langzeitarbeitslose, Berufsrückkehrer/innen,<br />
ausländische Beschäftigte, befristet<br />
Beschäftigte <strong>und</strong> Leiharbeitnehmer/innen.<br />
• Neue Chancen durch Zusammenarbeit<br />
durch Engagement in Netzwerken zur Sicherung,<br />
Schaffung <strong>und</strong> Gestaltung von Beschäftigung<br />
<strong>und</strong> regionalpolitische Verantwortung.<br />
Abbildung 3 macht deutlich, dass ein Großteil der<br />
eingegangenen Bewerbungen den Aufbau <strong>und</strong> die<br />
Stabilisierung zum Schwerpunktthema haben.<br />
Eine Erklärung <strong>für</strong> dieses Übergewicht ist der Charakter<br />
der Kategorie selbst. Wenn ein Unternehmen<br />
seine gesamte Firmenphilosophie zum Thema<br />
der Bewerbung macht, wurde dies in der Regel<br />
dieser Kategorie zugeordnet. Aber die Verteilung<br />
gibt auch einen Hinweis darauf, dass sich Unternehmen<br />
vielfach mit sehr vielen Ideen <strong>und</strong> mit<br />
großer Kraft da<strong>für</strong> einsetzen, <strong>Arbeit</strong>splätze an<br />
einem Standort nicht verloren zu geben, sondern
gemeinsam mit allen Beteiligten nach Alternativen<br />
zu suchen.<br />
Abbildung 3: Verteilung der eingegangenen<br />
Bewerbungen nach Kategorien des Engagements<br />
58 Unternehmen engagieren sich mit Schwerpunkt<br />
im Bereich „Perspektiven <strong>für</strong> Jugendliche“.<br />
Dies zeigt die Relevanz dieses Themas auch aus<br />
Unternehmensperspektive. Dabei beschränken sich<br />
die Beispiele nicht auf Ausbildungsaktivitäten der<br />
Unternehmen im eigenen Haus. Deutlich wird<br />
vielmehr eine breite Initiative, die bereits mit einer<br />
engen Zusammenarbeit mit Schulen <strong>und</strong> zum Teil<br />
mit Kindergärten beginnt, die die örtliche Jugend<strong>und</strong><br />
Stadtteilarbeit einbezieht <strong>und</strong> die mit höchst<br />
innovativen pädagogischen Konzepten arbeitet.<br />
In der Gruppe „Erhaltung <strong>und</strong> Steigerung der<br />
Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter“ wurden<br />
solche Unternehmen zusammengefasst, die Personalentwicklung<br />
<strong>und</strong> lebenslanges Lernen in den<br />
Mittelpunkt ihrer beschriebenen Aktivitäten gestellt<br />
haben (selbstverständlich hat dieses Thema<br />
auch Schnittstellen mit den anderen genannten<br />
Kategorien). Aus den dargestellten Projekten wird<br />
deutlich, dass viele Unternehmen etwa die Herausforderung<br />
des Know-how-Transfers von älteren<br />
auf jüngere Beschäftigte als zentral erkannt<br />
haben <strong>und</strong> sich ihr aktiv stellen. Auch zeigt sich,<br />
dass Themen wie vorsorgender Ges<strong>und</strong>heitsschutz<br />
in Unternehmen von steigernder Bedeutung sind<br />
<strong>und</strong> dass eine gut funktionierende Personalentwicklung<br />
auf die aktive Mitgestaltung der Mitarbeiter/innen<br />
angewiesen ist.<br />
Die Integration von besonderen Zielgruppen war<br />
<strong>für</strong> relativ wenige der Unternehmen ein Schwerpunktthema,<br />
die nicht selbst als professionelle<br />
<strong>Arbeit</strong>smarktträger tätig sind 4 ). Die wachsende<br />
Problematik der steigenden Sockelarbeitslosigkeit<br />
am deutschen <strong>Arbeit</strong>smarkt <strong>und</strong> die sich weiter<br />
öffnende Schere zwischen Insidern <strong>und</strong> Outsidern<br />
spiegelt sich auch in diesem Wettbewerb.<br />
TOP-THEMA<br />
Die Kategorie „Neue Chancen durch Zusammenarbeit“<br />
fällt zwar quantitativ nicht sehr stark ins<br />
Gewicht. Allerdings wurden hier Aktivitäten einsortiert,<br />
die weit über das eigene Unternehmen<br />
hinaus reichen <strong>und</strong> im besten Sinne als „Corporate<br />
Citizenship“ zu bewerten sind. Daher sind auch<br />
die 20 Bewerbungen, die es in diesem Feld gibt,<br />
durchaus als positiv zu bewerten.<br />
Nominierte, Preisträger <strong>und</strong><br />
Prämierung – Der Auswahlprozess<br />
Die eingegangenen Bewerbungen wurden anhand<br />
der eingangs dargestellten Kriterien Innovationsgehalt,<br />
Ergebnisse, Art <strong>und</strong> Weise der Umsetzung<br />
<strong>und</strong> Übertragbarkeit bewertet. Dabei erwies es<br />
sich als sinnvoll, die Bewertung der Innovationskraft<br />
<strong>und</strong> der Ergebnisse stärker zu gewichten als<br />
die anderen beiden Kriterien.<br />
Im Rahmen einer Erstbewertung wurden r<strong>und</strong> 50<br />
Unternehmen identifiziert, die <strong>für</strong> eine Nominierung<br />
in Frage kamen. In einem intensiven Austausch<br />
im Rahmen einer Veranstaltung von Experten<br />
aller Juryhäuser wurde dieser Kreis weiter<br />
eingeengt <strong>und</strong> schließlich aus allen Kategorien<br />
eine Anzahl an potenziellen Preisträgern bestimmt,<br />
die in einem nächsten Verfahrensschritt<br />
vor Ort besucht wurden 5 ).<br />
Im Rahmen einer Jurysitzung im März 2004 wurden<br />
11 Unternehmen nominiert <strong>und</strong> fünf Preisträger<br />
ausgewählt, die dann im Rahmen einer öffentlichen<br />
Prämierungsfeier im Mai bekannt gegeben<br />
wurden. Die Abstufung von nominierten Unternehmen<br />
<strong>und</strong> Preisträgern wurde bewusst gewählt,<br />
um so bis zur Prämierungsveranstaltung <strong>und</strong> auch<br />
darüber hinaus mehr Unternehmen öffentlich <strong>für</strong><br />
ihr Engagement zu würdigen als nur die Preisträger.<br />
Die ausgewählten Unternehmen<br />
Die Auswahl der nominierten Unternehmen <strong>und</strong><br />
schließlich der Preisträger macht deutlich, dass es<br />
mit dem Wettbewerb gelungen ist, genau solche<br />
Beispiele zu identifizieren, die auch <strong>für</strong> andere<br />
Unternehmen als Vorbild dienen können.<br />
Insbesondere zeigt sich,<br />
... dass die Kernthemen unternehmensstrategischer<br />
Fragestellungen angesprochen wurden:<br />
Wenn etwa ein betriebliches Bündnis ausgezeichnet<br />
wurde, mit dem eine Standortentscheidung<br />
<strong>für</strong> Deutschland ermöglicht <strong>und</strong> der<br />
nachhaltige Aufbau von Beschäftigung vorbereitet<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
9
TOP-THEMA<br />
Tabelle 2: Preisträger <strong>und</strong> Nominierte im Überblick<br />
Kategorie Preisträger Nominierte<br />
Aufbau <strong>und</strong> Stabilisierung von Be- Trumpf GmbH & Co. KG Gebäudeservice Menschel e. K. Ottweiler<br />
schäftigung Druckerei <strong>und</strong> Verlag GmbH, Print <strong>und</strong><br />
Mediengruppe Paul<br />
Erhaltung <strong>und</strong> Steigerung der Beschäf- KSB AG Schreiner Group GmbH & Co. KG<br />
tigungsfähigkeit der Mitarbeiter<br />
Perspektiven <strong>für</strong> Jugendliche MENNEKES Elektrotechnik FKT Formenbau <strong>und</strong> Kunststofftechnik<br />
GmbH & Co. KG GmbH<br />
Werkstätten <strong>für</strong> Denkmalpflege GmbH<br />
Neue Chancen durch Zusammenarbeit Tischlerei Sebastian Schulz Initiativkreis Ruhrgebiet Verwaltungs-<br />
GmbH<br />
Integration besonderer Zielgruppen Perspektiva gGmbH, Fördergemein- Keine<br />
schaft Theresienhof <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>und</strong><br />
Leben<br />
wurde, dann deutet dies darauf hin, dass im Rahmen<br />
des Wettbewerbes nicht die schnellen Öffentlichkeitskampagnen<br />
sondern das „Bohren auch dicker<br />
Bretter“ gewürdigt wurden.<br />
... dass die Zusammenarbeit von Unternehmensleitung<br />
<strong>und</strong> Belegschaft ein zentraler<br />
Erfolgsfaktor ist. Alle nominierten Unternehmen<br />
<strong>und</strong> auch sehr viele Beispiele darüber hinaus betonen<br />
die Notwendigkeit gemeinsamer Gestaltung<br />
von Unternehmensleitung <strong>und</strong> Betriebsrat beziehungsweise<br />
Belegschaft, um langfristig wirksame<br />
Erfolge zu erzielen.<br />
... dass die Unternehmensgröße nicht ausschlaggebend<br />
<strong>für</strong> die personal- <strong>und</strong> arbeitsmarktpolitische<br />
Innovationskraft ist. Dass unter<br />
den Preisträgern zwei mittelständische Unternehmen<br />
sowie ein Netzwerk, das stark von mittelständischen<br />
Unternehmen getragen wird, vertreten<br />
sind, macht deren Kompetenz deutlich.<br />
Die Prämierungsfeier<br />
Die Prämierungsfeier wurde in der Ankündigung<br />
des Wettbewerbes als ein Baustein im Rahmen der<br />
Öffentlichkeitsarbeit <strong>für</strong> die Preisträger angekündigt.<br />
Die Umsetzung hat deutlich gemacht, dass<br />
diese Veranstaltung auch durchaus als Preis von<br />
allen Beteiligten angenommen wurde.<br />
Eingeladen waren alle Unternehmen, die am Wettbewerb<br />
teilgenommen haben, sowie weitere Fachöffentlichkeit<br />
<strong>und</strong> Medien.<br />
10 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Bereits am Vorabend der Prämierung trafen sich<br />
200 Unternehmensvertreter/innen in der Berliner<br />
Repräsentanz von Bertelsmann zu einem informellen<br />
Empfang, zur offiziellen Prämierungsveranstaltung<br />
in den Räumen des <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong>s<br />
<strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong> waren es r<strong>und</strong> 250.<br />
Alle Festreden, so von B<strong>und</strong>esminister Clement,<br />
Dr. Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann<br />
AG, DGB-Chef Michael Sommer <strong>und</strong> von<br />
anderen Jurymitgliedern, würdigten das Engagement<br />
der Unternehmen. Beim ebenfalls gut besuchten<br />
„Markt der Möglichkeiten” im Anschluss<br />
an die Prämierung wurden Kontakte zwischen<br />
den beteiligten Unternehmen geknüpft <strong>und</strong> erste<br />
weitergehende Zusammenarbeit verabredet.<br />
Für alle Beteiligten erfreulich war zudem die gute<br />
Medienresonanz b<strong>und</strong>esweit <strong>und</strong> insbesondere in<br />
den Regionen der Nominierten <strong>und</strong> der Preisträger.<br />
Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />
Eingangs wurde die Frage formuliert, in wiefern<br />
ein Wettbewerb wie der hier vorgestellte einen<br />
Beitrag zu einer positiven Entwicklung am <strong>Arbeit</strong>smarkt<br />
leisten kann. Selbstverständlich sind wenige<br />
Wochen nach der Auszeichnung der Preisträger<br />
heute keine sinnvollen Aussagen dazu möglich, ob<br />
diese Initiative eine Beschäftigungswirkung hat.<br />
Wahrscheinlich werden zudem auch später die<br />
mittelbaren Effekte einer solchen Initiative nur<br />
schwer nachzuvollziehen sein.
Dennoch lässt sich heute bilanzieren, dass die<br />
Gr<strong>und</strong>thesen, die mit dem Wettbewerb verb<strong>und</strong>en<br />
wurden, zutreffen:<br />
Unternehmen engagieren sich vielfältig <strong>für</strong> Beschäftigung.<br />
Dies gilt über Betriebsgrößen <strong>und</strong><br />
Branchen hinweg <strong>und</strong> auch unter zum Teil<br />
schwierigen Rahmenbedingungen.<br />
Die darüber hinaus möglicherweise zukunftsweisende<br />
Aussage hinter der Resonanz auf diesen<br />
Wettbewerb heißt: Es besteht ein großes Interesse<br />
in Deutschland, dieses Engagement öffentlich zu<br />
machen. Alle Unternehmen, die sich beworben<br />
haben, haben dies in dem Ansinnen getan, mit<br />
ihrem Engagement öffentlich dargestellt zu werden.<br />
Dies ist insbesondere nicht selbstverständlich,<br />
wenn man bedenkt, dass etwa an den<br />
Aktienmärkten Ankündigungen von Personalabbau<br />
in der Regel zu positiven Reaktionen führen.<br />
Und nicht allein die Unternehmen haben ein Interesse<br />
an positiven Nachrichten zum Thema Beschäftigung<br />
sondern auch die Medien. Die Resonanz<br />
auf die Prämierungsveranstaltung <strong>und</strong> die<br />
ausführliche Berichterstattung über die Preisträger<br />
machen Mut. Denn das Kernziel des Wettbewerbes,<br />
über eine Veränderung der Gr<strong>und</strong>stimmung<br />
am deutschen <strong>Arbeit</strong>smarkt auch eine positive Be-<br />
TOP-THEMA<br />
schäftigungswirkung zu erzielen, ist nur erreichbar,<br />
wenn auch in der Wahrnehmung der Medienverantwortlichen<br />
der Wert von positiven Nachrichten<br />
steigt.<br />
Neben diesen guten Ergebnissen, mit denen der<br />
Wettbewerb aufwarten kann, hat die Auswertung<br />
zugleich mindestens zwei zentrale Herausforderungen<br />
deutlich gemacht: Wenn der Wettbewerb<br />
künftig weiter am Kern der deutschen <strong>Arbeit</strong>smarktproblematik<br />
ansetzen will, ist der unterproportionalen<br />
Beteiligung von Unternehmen aus den<br />
neuen B<strong>und</strong>esländern ebenso nachzugehen wie<br />
der relativ geringen Bedeutung, die das Thema<br />
„Integration besonderer Zielgruppen“ in den Bewerbungen<br />
der Unternehmen hat.<br />
Die über den diesjährigen Wettbewerb identifizierten<br />
Beispiele können zu einer vertieften Auseinandersetzung<br />
Anlass geben: Was macht diese Beispiele<br />
erfolgreich? Welches Engagement von wem<br />
<strong>und</strong> welche politischen Rahmenbedingungen sind<br />
notwendig, um diese Beispiele zu multiplizieren?<br />
Der Wettbewerb kann so Ausgangspunkt <strong>für</strong> einen<br />
intensiven Dialog zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Politik<br />
sein.<br />
So entstehen neue Handlungsoptionen sowie personal-<br />
<strong>und</strong> arbeitsmarktpolitische Innovationen. ■<br />
1 ) Dies war neben den beteiligten Häusern der Jurymitglieder insbesondere eine Projektgruppe, der Mitarbeiter/innen des<br />
Ministeriums <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>, der Bertelsmann Stiftung <strong>und</strong> des Institut <strong>für</strong> Organisationskommunikation angehörten,<br />
<strong>und</strong> die zentrale Prozessschritte gemeinsam entwickelte.<br />
2 ) Im Einvernehmen aller Jurymitglieder konnten Unternehmen, die als arbeitsmarktpolitische Träger fungieren, <strong>für</strong> ihre am<br />
Markt oder bei der öffentlichen Hand als Kerngeschäft angebotenen Aktivitäten nicht ausgezeichnet werden. Wohl aber wurde<br />
dieses Engagement bewertet <strong>und</strong> konnten auch Träger <strong>für</strong> ihr besonderes Engagement als <strong>Arbeit</strong>geber ausgezeichnet werden.<br />
3 ) Die mit 20 Unternehmen relativ große Kategorie „keine Angaben“ umfasst zum Teil Initiativen, die von mehreren<br />
Unternehmen gemeinsam getragen werden <strong>und</strong> <strong>für</strong> die damit keine sinnvolle Beschäftigtenzahl angegeben werden konnte.<br />
Darüber hinaus finden sich hier auch die sehr wenigen Bewerbungen, die formale Mängel aufweisen <strong>und</strong> daher nicht in die<br />
Bewertung einfließen konnten.<br />
4 ) Der Anteil der Beschäftigungsträger ist in dieser Kategorie überproportional hoch.<br />
5 ) Die persönliche Begutachtung vor Ort ist zwar sehr aufwändig, aber <strong>für</strong> eine seriöse Beurteilung der Unternehmen unbedingt<br />
geboten. Die Besuche haben deutlich gemacht, dass die Schriftform allein nur Teilaspekte der Unternehmensrealität wiedergibt.<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
11
TOP-THEMA<br />
Die fünf prämierten<br />
Unternehmen im Porträt<br />
Prämiert in der Kategorie:<br />
Aufbau <strong>und</strong> Stabilisierung von<br />
Beschäftigung<br />
TRUMPF<br />
Wenn die IG Metall Gerhard Rübling Wirtschaftsjournalisten<br />
ins Haus schickt, um über <strong>Arbeit</strong>szeiten<br />
zu sprechen, kann sich der Trumpf-Personalchef<br />
entspannt zurücklehnen. Das Unternehmen<br />
hat längst geschafft, was bei den meisten<br />
Tarifverhandlungen unmöglich scheint: Geschäftsführung<br />
<strong>und</strong> Betriebsrat haben gemeinsam eine<br />
betriebsinterne Vereinbarung entwickelt, um die<br />
Lohnkosten zu senken – mit Billigung der Gewerkschaften.<br />
1995 stand der Hersteller <strong>für</strong> Werkzeugmaschinen<br />
<strong>und</strong> Lasertechnik mit Standorten in 23 Ländern<br />
weltweit vor der Entscheidung, eine neue Fabrik<br />
<strong>für</strong> die Entwicklung, Produktion <strong>und</strong> den Vertrieb<br />
von Laserstrahlquellen zu bauen. Ein Kostenvergleich<br />
zwischen Trumpf-Standorten in Deutschland,<br />
Frankreich <strong>und</strong> der Schweiz ergab, dass die<br />
deutschen Lohnkosten bis zu 38 Prozent höher<br />
lagen. Für den Standort in Deutschland sprach<br />
jedoch die Nähe zu bewährten Zulieferern <strong>und</strong> zu<br />
den Forschungsinstituten, mit denen Trumpf in<br />
der Lasertechnik eng zusammenarbeitet.<br />
12 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Geschäftsführung <strong>und</strong> Betriebsrat suchten gemeinsam<br />
nach einer Lösung <strong>und</strong> entwarfen ein betriebsinternes<br />
„Bündnis <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong>“: Um die <strong>Arbeit</strong>skosten<br />
zu senken, wurden Guthabenkonten<br />
eingeführt, auf denen Überst<strong>und</strong>en gesammelt<br />
werden. Trumpf bezahlt, je nach Vertrag, konstant<br />
35 oder 40 St<strong>und</strong>en die Woche, während die Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiter je nach Auftragslage<br />
zwischen 30-45 St<strong>und</strong>en arbeiten. Weiterhin verpflichtete<br />
sich die Belegschaft, 70 St<strong>und</strong>en pro<br />
Jahr zusätzlich zu arbeiten. Um den Krankenstand<br />
zu senken, wurde ein Maßnahmenbündel aus<br />
Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>sschutz entwickelt.<br />
Im Gegenzug versprach die Geschäftsleitung, die<br />
Laserfabrik in Ditzingen zu bauen, die dortige<br />
Stammbelegschaft nicht zu reduzieren, alle Auszubildenden<br />
zu übernehmen <strong>und</strong> 100 neue <strong>Arbeit</strong>splätze<br />
zu schaffen. „Wir gingen damals bis an<br />
den Rand der Tarifverträge <strong>und</strong> zum Teil auch<br />
darüber hinaus. Das war eine gewisse Form<br />
‚zivilen Ungehorsams‘ zur Standortsicherung“ sagt<br />
Gerhard Rübling. Doch wenn Trumpf es damals<br />
nicht gewagt hätte, „säße ich heute nicht hier,<br />
sondern vielleicht in Frankreich.“<br />
Inzwischen hat das Trumpf-Bündnis viele Nachahmer<br />
gef<strong>und</strong>en. „Nicht nur Vorstände reden miteinander,<br />
auch die Betriebsräte verschiedener
Unternehmen beraten sich“, sagt Rübling. Teile<br />
des Bündnisses sind Vorbild <strong>für</strong> entsprechende Öffnungsklauseln<br />
in den Tarifverträgen der badenwürttembergischen<br />
Metallindustrie.<br />
Die Zahlen sprechen <strong>für</strong> sich. Seit 1996 hat<br />
Trumpf (Umsatz Geschäftsjahr 2002/2003: 1,19<br />
Mrd. Euro) mehr als 40 Millionen Euro in den<br />
Standort Ditzingen investiert <strong>und</strong> die dortige<br />
Bruttonutzfläche mehr als verdoppelt. Statt 100<br />
wurden 501 neue <strong>Arbeit</strong>splätze geschaffen <strong>und</strong><br />
219 Auszubildende mit unbefristeten Verträgen<br />
übernommen. Die Krankenquote ist von 3,96 Prozent<br />
auf 2,73 Prozent gesunken.<br />
Seit Beginn des wirtschaftlichen Abschwungs der<br />
Branche 2001 schützen die <strong>Arbeit</strong>szeitkonten die<br />
Stellen der Belegschaft. Die Mitarbeiterinnen <strong>und</strong><br />
Mitarbeiter hatten jeweils durchschnittlich 200<br />
St<strong>und</strong>en angesammelt, die nun abgebaut werden.<br />
Ohne diesen Überst<strong>und</strong>en-Puffer müssten derzeit<br />
etwa 200 <strong>Arbeit</strong>splätze abgebaut werden.<br />
Natürlich sei bei der Entscheidung Lokalpatriotismus<br />
dabei gewesen, gibt der Personalchef zu.<br />
Berthold Leibinger, der Eigentümer des 1923 gegründeten<br />
Familienunternehmens, ist in der Nähe<br />
von Ditzingen aufgewachsen <strong>und</strong> fest in der Gemeinde<br />
verwurzelt. „Da packt man nicht einfach<br />
<strong>und</strong> geht.“ Als weiteren Gr<strong>und</strong> nennt er die Ausbildung<br />
der Beschäftigten <strong>und</strong> deren Fleiß. „In<br />
Deutschland werden <strong>Arbeit</strong>nehmer nie so billig<br />
sein wie im Ausland“, sagt Rübling, „damit es ein<br />
Argument gibt, hier zu bleiben, müssen sie besser<br />
sein.“<br />
Seit das Bündnis bis 2005 verlängert wurde, hat<br />
die gesamte Trumpf-Belegschaft Anspruch auf bis<br />
zu 25 St<strong>und</strong>en Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung im Jahr.<br />
Zudem können seitdem die St<strong>und</strong>enguthaben der<br />
Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter in Bausteine <strong>für</strong><br />
die betriebliche Altersversorgung umgewandelt<br />
werden. Etwa die Hälfte der Belegschaft nutzt<br />
diese Möglichkeit. In den vergangenen drei Jahren<br />
wurden so 5,65 Millionen Euro in Altersversorgungsbausteine<br />
umgewandelt.<br />
Dass das Bündnis in irgendeiner Form auch 2005<br />
wieder verlängert wird, daran zweifelt bei Trumpf<br />
niemand. Längst ist der Vertrag ein selbstverständlicher<br />
Teil der Unternehmenskultur. Eine<br />
Entwicklung, die Gerhard Rübling nicht nur positiv<br />
sieht. „Bei uns gilt zum Teil ‚Stell dir vor, es<br />
ist Krise – <strong>und</strong> keiner merkt´s’ “, sagt der Personalchef.<br />
Dadurch sei vielen nur schwer zu vermitteln,<br />
dass derzeit nicht so viel Personalkapazität<br />
benötigt wird. Er müsse die Belegschaft geradezu<br />
zwingen, weniger zu arbeiten. Also verordnet der<br />
TOP-THEMA<br />
Personalchef Freizeit: Urlaub an Brückentagen<br />
oder die 4-Tage-Woche. „Von allein machen die<br />
Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter das nicht – da<br />
muss ich mich morgens fast vor das Tor stellen,<br />
um niemanden reinzulassen.“<br />
Prämiert in der Kategorie:<br />
Erhaltung <strong>und</strong> Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit<br />
der Mitarbeiter<br />
KSB<br />
Jeder dritte Beschäftigte der KSB AG, Hersteller<br />
von Pumpen, Industriearmaturen <strong>und</strong> Systemlösungen,<br />
ist über 50 Jahre alt. Personalchef Armin<br />
Zisgen, 52, kann verstehen, dass man mit Ende 50<br />
von Nacht- <strong>und</strong> Sonderschichten <strong>und</strong> heftigem<br />
Termindruck nicht gerade begeistert ist. „Als wir<br />
alle unsere Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter über<br />
50 befragt haben, was sie davon abhalten könnte,<br />
jenseits der 60 bei uns weiterzuarbeiten, waren<br />
das die Hauptkritikpunkte.“ Die Älteren wünschten<br />
sich mehr Anerkennung <strong>und</strong> Respekt. „Wir<br />
mussten uns etwas einfallen lassen“, sagt Zisgen.<br />
Bis 2010 droht der KSB AG (Jahresumsatz 1,2<br />
Milliarden Euro) der Verlust der Erfahrung von<br />
1000 bis 1500 Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern.<br />
Knapp ein Drittel ihrer 4300 Beschäftigten in<br />
Deutschland zu verlieren, „darauf wollten wir es<br />
nicht ankommen lassen“, sagt Zisgen, Personalchef<br />
am größten deutschen Standort des Unternehmens<br />
in Frankenthal.<br />
Aus gutem Gr<strong>und</strong>: Es dauert, bis man sich mit der<br />
Entwicklung, der Montage <strong>und</strong> der Wartung von<br />
Pumpensystemen auskennt. „Die Lernzeit ist lang,<br />
aber da<strong>für</strong> hält das Wissen ein <strong>Arbeit</strong>sleben lang“,<br />
sagt Guido Wambold, im Konzernpersonalwesen<br />
<strong>für</strong> Gr<strong>und</strong>satzfragen verantwortlich. Ebenso käme<br />
es beim Verkauf der Systeme auf dem heiß umkämpften<br />
globalen Markt sehr auf die Kontakte<br />
<strong>und</strong> die Erfahrung der Verkäufer <strong>und</strong> Manager an.<br />
„Wir wollten die Altersteilzeit nicht abschaffen“,<br />
sagt Wambold, „aber wir können uns Abwanderungen<br />
einfach nicht leisten.“ Um die Alten nicht<br />
nur zu halten, sondern auch zu motivieren <strong>und</strong><br />
weiter zu qualifizieren, entwickelte die KSB das<br />
vom Land Rheinland-Pfalz mit dem Innovationspreis<br />
2002 ausgezeichnete Projekt „Ältere Mitarbeiter“.<br />
Ab 55 Jahren wird nun mit jedem Beschäftigten im<br />
Rahmen des Beurteilungsgesprächs ein persönliches<br />
Gespräch über seine Zukunft geführt. „Darin<br />
wird offen darüber gesprochen, wann sie in Rente<br />
gehen wollen, ob noch Versetzungen anstehen<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
13
TOP-THEMA<br />
oder nicht.“ Außerdem gibt es von nun an kostenlose<br />
Ges<strong>und</strong>heitschecks <strong>und</strong> auf Wunsch der<br />
Senioren spezielles EDV-Training. „Darüber waren<br />
wir überrascht, aber viele ältere Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiter wollten nicht länger neben jungen<br />
Computercracks sitzen“, sagt Zisgen.<br />
Ab 58 können sich Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
von der Nachtschicht befreien lassen <strong>und</strong><br />
die <strong>Arbeit</strong>szeit aus Beständen ihres Langzeit-<br />
<strong>Arbeit</strong>szeitkontos reduzieren. Nach 25 Jahren im<br />
Unternehmen kann das Gehalt nach einer Versetzung<br />
nicht mehr sinken. Und wenn eine Führungskraft<br />
mit 60 ihre Abteilung abgeben möchte,<br />
sucht die KSB einen anderen Einsatzort ohne<br />
Status- <strong>und</strong> Geldverlust. Ab 63 gibt es drei Tage<br />
mehr Urlaub im Jahr. Wer länger krank ist, erhält<br />
trotzdem drei Monate lang sein letztes Netto-<br />
Gehalt weiter. „Das ist keine Schongruppe, aber<br />
wenn ein älterer Dreher einen jungen Facharbeiter<br />
einarbeitet, wird sein Pensum reduziert“, erklärt<br />
Zisgen. Das Konzept scheint zu funktionieren.<br />
2003 sanken erstmals die Anträge auf Altersteilzeit.<br />
Doch die Förderung der Älteren allein reicht<br />
nicht, um ein Unternehmen zukunftsfähig zu halten.<br />
Zwar sei die Zahl der Auszubildenden seit<br />
2001 von 168 auf 239 gestiegen <strong>und</strong> die Azubis<br />
gehörten regelmäßig zu den Kammerbesten, aber<br />
bei den Ingenieuren werde es enger, sagt Armin<br />
Zisgen. Um die Besten zu locken, lässt sich die<br />
KSB einiges einfallen. Als Trainees können bis zu<br />
sechs Studierende im Jahr parallel zum Studium<br />
an KSB-Projekten mitarbeiten. Der feste Job nach<br />
dem Diplom ist ihnen garantiert, vorher geht es<br />
bei vollem Gehalt sechs Monate an einen KSB-<br />
Standort im Ausland. Die KSB AG ist in 39 Ländern<br />
vertreten <strong>und</strong> beschäftigt weltweit 12.000<br />
Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter. Zudem bildet<br />
die KSB an der Berufsakademie in Mannheim<br />
Nachwuchsingenieure <strong>und</strong> -kaufleute aus. Für<br />
zukünftige Managerinnen <strong>und</strong> Manager gibt es das<br />
18-monatige internationale Traineeprogramm.<br />
Die gewerblichen <strong>und</strong> kaufmännischen Auszubildenden<br />
hingegen lernen im Young Business Center<br />
(YBC) der KSB AG nicht nur ihr Handwerk,<br />
sondern werden zusätzlich in Rhetorik, Moderation,<br />
Präsentation sowie Englisch <strong>und</strong> Französisch<br />
geschult. Outdoortraining soll die Persönlichkeitsbildung<br />
stärken <strong>und</strong> das Programm „Azubi-Fit“<br />
kümmert sich um die Ges<strong>und</strong>heitsvorsorge. Ausgewählte<br />
Lehrlinge werden ins Ausland geschickt.<br />
Neben dem intensiven Nachwuchstraining <strong>und</strong><br />
dem Projekt <strong>für</strong> Ältere, wird seit 1999 im KSB-<br />
14 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Trainingscenter das Wissen der Belegschaft auf<br />
dem neuesten Stand gehalten.<br />
Alle Führungskräfte sind verpflichtet, an Seminaren<br />
teilzunehmen, um ihren Führungsstil auf den<br />
neuesten Stand zu bringen. Neben Fachseminaren<br />
werden in dem Profitcenter auch Zeitmanagement-Kurse<br />
<strong>und</strong> persönliche Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />
Entspannungsprogramme angeboten. Damit die<br />
Fluktuation der Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
auch in Zukunft so gering wie möglich bleibt,<br />
plant die KSB AG zudem einen Betriebskindergarten.<br />
„Das Konzept hat Erfolg“, sagt Guido<br />
Wambold. „Nur 0,5 Prozent kündigen selbst.“<br />
Prämiert in der Kategorie:<br />
Perspektiven <strong>für</strong> Jugendliche<br />
Mennekes Elektrotechnik<br />
Walter Mennekes musste lange suchen, bis er eine<br />
passende Lehrstelle fand. Sich ins gemachte Nest<br />
setzen <strong>und</strong> die Ausbildung in der Firma des Vaters<br />
machen, wollte er nicht; also schrieb er Bewerbung<br />
um Bewerbung. Am Ende verschlug es ihn<br />
aus dem heimischen Sauerland nach Baden-Württemberg.<br />
Später holte er auf dem zweiten Bildungsweg<br />
das Abitur nach <strong>und</strong> studierte Maschinenbau.<br />
Das war vor gut 30 Jahren.<br />
Heute hat der gelernte Werkzeugmacher den Betrieb<br />
des Vaters längst übernommen. Aus dem ehemaligen<br />
Lehrstellensucher wurde Mitte der 70er-<br />
Jahre der Geschäftsführer eines überaus florierenden<br />
Unternehmens. Die Mennekes Elektrotechnik<br />
GmbH & Co. KG ist einer der führenden Hersteller<br />
von Elektrosteckern <strong>und</strong> Steckvorrichtungen, im<br />
Volksm<strong>und</strong> Steckdosen genannt, die weltweit passen.<br />
Walter Mennekes beschäftigt über 600 Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiter, davon 350 im<br />
sauerländischen Kirchh<strong>und</strong>em, die übrigen im<br />
sächsischen Neudorf <strong>und</strong> im chinesischen<br />
Nanjing. Der Jahresumsatz 2003 betrug 65<br />
Millionen Euro. Fünfzig Prozent des Umsatzes<br />
werden im Ausland erzielt – ganz analog zum<br />
Firmenslogan „Mennekes – Plugs for the World.“<br />
Wenn es allerdings darum geht, der nachwachsenden<br />
Generation eine Chance zu geben, könnte der<br />
56-jährige Mennekes seiner Region nicht verb<strong>und</strong>ener<br />
sein. Mit 26 Auszubildenden – alleine<br />
2003 begannen 16 das erste Lehrjahr – bildet die<br />
Elektrotechnik-Gruppe nicht nur über Durchschnitt<br />
aus. Der Betrieb lädt auch regelmäßig<br />
ganze Schulklassen aus den umliegenden Schulen<br />
Kirchh<strong>und</strong>ems ein, damit sie in einen etwaigen<br />
späteren Beruf hineinschnuppern. Mennekes gibt<br />
die Möglichkeit zum anschließenden Betriebs-
praktikum. Letzteres wird übrigens nicht nur<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern angeboten. Auch Lehrerinnen<br />
<strong>und</strong> Lehrer können sich bei Mennekes<br />
weiterbilden – um dann später einen praxisnäheren<br />
<strong>und</strong> <strong>für</strong> die Schüler effizienteren Unterricht<br />
anbieten zu können.<br />
Weil Walter Mennekes das alles noch nicht reicht,<br />
wirbt er auch bei anderen <strong>Arbeit</strong>gebern darum,<br />
sich stärker der Ausbildung zu widmen. Allein<br />
2003 hat er zwölf weitere Lehrstellen im Umkreis<br />
von Kirchh<strong>und</strong>em akquiriert – vor allem indem er,<br />
wie er sagt, bei einem Unternehmer-Stammtisch<br />
„mächtig auf den Tisch gehauen“ habe. Mit Hilfe<br />
einer 30.000 Euro-Spende aus dem Hause Mennekes<br />
konnte die nordrhein-westfälische Landesregierung<br />
dann noch fünf weitere Lehrstellen in<br />
Betrieben unterstützen, die sich sonst keinen<br />
Azubi hätten leisten können.<br />
Die gängigen Argumente, Ausbildung sei zu teuer<br />
<strong>und</strong> besonders Hauptschüler seien häufig nicht<br />
ausbildungsreif, lässt Mennekes nicht gelten. Ausbildung<br />
sei eine unverzichtbare Investition in die<br />
Zukunft. Mennekes: „Ich habe es meinen Ausbildern<br />
früher auch nicht immer leicht gemacht.“<br />
Immer wieder tritt das Unternehmen den Beweis<br />
da<strong>für</strong> an, dass auch lernschwache oder (ehemals)<br />
sozial auffällige Jugendliche zu engagierten Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeitern werden können,<br />
wenn man ihnen eine Aufgabe gibt, die ihnen<br />
gerecht wird: Keiner darf verloren gehen!<br />
Dabei ist Mennekes nicht nur Idealist, sondern<br />
auch Pragmatiker. Wenn in ein paar Jahren die<br />
geburtenschwachen Jahrgänge auf den Markt<br />
kämen, rechnet er vor, stünde die deutsche Wirtschaft<br />
vor einem enormen Fachkräftemangel. „Wir<br />
werden noch hinter jedem Einzelnen herlaufen,<br />
der die Schule verlässt“, sagt er, „da wäre es doch<br />
völlig kurzsichtig, nicht jetzt schon so viele wie<br />
möglich auszubilden.“ Auch wenn jeder Auszubildende<br />
das Unternehmen in jedem Jahr 18.000<br />
Euro kostet, auch in wirtschaftlich schwierigen<br />
Zeiten? Schwierige Zeiten, konstatiert Mennekes<br />
nüchtern, erforderten besondere Anstrengungen –<br />
<strong>und</strong> nicht Selbstmitleid <strong>und</strong> Pessimismus. „Die<br />
Zeiten werden auch mal wieder besser“, sagt<br />
Mennekes, <strong>und</strong>: „Bildung wird <strong>für</strong> uns zur nationalen<br />
Überlebensfrage werden – schade, dass viele<br />
das immer noch nicht verstanden haben.“<br />
Und weil das so ist, bekommen in seinem Elektrotechnik-Unternehmen<br />
nicht nur Jugendliche die<br />
Chance, etwas zu lernen. Auch der Rest der Belegschaft<br />
kann sich ständig weiterbilden. In ihren<br />
Berufen, aber auch zum Beispiel ihren Fremdsprachenkenntnissen.<br />
Mennekes zahlt seinen Mit-<br />
TOP-THEMA<br />
arbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeitern nicht nur die<br />
Sprachkurse, sondern rechnet ihnen die Hälfte der<br />
Zeit als <strong>Arbeit</strong>szeit an. So wurde das Weiterbildungs-Konzept<br />
der Firma Mennekes vom TÜV<br />
Rheinland als „vorbildhaft“ ausgezeichnet.<br />
Prämiert in der Kategorie:<br />
Neue Chancen durch Zusammenarbeit<br />
Tischlerei Sebastian Schulz<br />
Elbe-Hochwasser, Ärger mit Banken, Kurzarbeit –<br />
Sebastian Schulz lässt sich nicht so leicht aus der<br />
Ruhe bringen. Schlimmer als damals im volkseigenen<br />
Betrieb kann es nicht werden, sagt sich<br />
der Chemnitzer Tischler immer. Als er dort 1989<br />
als Jungmeister anfing, war er mit seinen 23 Jahren<br />
jünger als die meisten Gesellen, gehörte aber<br />
zur Geschäftsleitung. „Das waren fast alles Stasileute.<br />
Ich bekam also Druck von allen Seiten.“<br />
Selbstständig machen wollte sich Sebastian Schulz<br />
schon immer. Schon vor der Wende stellte er<br />
einen Antrag auf eine eigene Werkstatt. Als er<br />
seinen Betrieb 1990 eröffnete, gehörte er zu den<br />
jüngsten Chefs des Landes. Der traditionsbewusste<br />
Tischler hat sich auf die Restaurierung <strong>und</strong> Rekonstruktion<br />
historischer Bauelemente spezialisiert.<br />
Sein bislang größter Auftrag: der Innenausbau der<br />
Dresdner Frauenkirche 2003. Jetzt hat er dort<br />
wieder einen Auftrag bekommen – <strong>für</strong> das Gestühl.<br />
„Das ist phantastisch. Nicht nur, weil jeder<br />
stolz ist, an der Frauenkirche mitarbeiten zu<br />
dürfen. Das Auftragsvolumen von 1,6 Millionen<br />
Euro garantiert uns <strong>Arbeit</strong> bis August 2005“, sagt<br />
Schulz. Nun kann er die Zeitarbeiter wieder einstellen,<br />
die er entlassen musste, nachdem die Betstuben<br />
<strong>und</strong> die Empore der Frauenkirche fertig<br />
<strong>und</strong> eingebaut waren.<br />
Zwanzig feste Mitarbeiterinnen <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />
hat Sebastian Schulz. Zwar musste er, bis die<br />
K<strong>und</strong>en bezahlt hatten, ihre Gehälter nach dem<br />
Elbe-Hochwasser 2002 mit Kurzarbeit <strong>und</strong> Krediten<br />
von Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Verwandten sichern, aber<br />
bis jetzt hat er es geschafft, alle <strong>Arbeit</strong>splätze zu<br />
erhalten. „Angefangen habe ich fast nur mit Lehrlingen“,<br />
erzählt er. Doch ohne qualifizierte Kollegen<br />
sei es schwer, Termine <strong>und</strong> Qualität zu halten.<br />
„Altgesellen bringen allein durch ihre Erfahrung<br />
Ruhe rein.“<br />
Schwierigkeiten, Auszubildende zu finden, hat er<br />
nicht. Neben Praktikumsplätzen <strong>für</strong> Studierende,<br />
bietet Schulz Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern an, in<br />
den Ferien bei ihm eine „Schnupperlehre“ zu<br />
machen. Sie lernen die Abläufe kennen <strong>und</strong> sehen,<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
15
TOP-THEMA<br />
ob ihnen die <strong>Arbeit</strong> mit Holz liegt. Es sei wichtig,<br />
schon vor der Suche nach einer Lehrstelle zu<br />
wissen, was man will, sagt Schulz. Auch müssten<br />
seine Facharbeiter anders über ihre <strong>Arbeit</strong> nachdenken,<br />
wenn sie ständig erklären müssen, was<br />
sie machen, so Schulz. Außerdem habe er so die<br />
Chance, die Jugendlichen zu beobachten. Dann<br />
könne er spätere Bewerber besser einschätzen.<br />
„Unsere Azubis gehören zu den besten in Sachsen.“<br />
Seit 1991 hat Schulz sieben Meister <strong>und</strong> 47<br />
Lehrlinge ausgebildet. Und wenn im Winter nicht<br />
so viel los ist, bietet Schulz in seiner Werkstatt<br />
zusätzlich Volkshochschulkurse an – Lehrgänge<br />
über historische <strong>Arbeit</strong>stechniken, Möbelstilk<strong>und</strong>e<br />
oder -restaurierung sowie Führungen auf ehemaligen<br />
Baustellen, wie zum Beispiel der Esche-Villa in<br />
Chemnitz oder der Frauenkirche in Dresden.<br />
Einzelkämpfer will Sebastian Schulz nicht sein. Er<br />
setzt auf Netzwerke. Zusammen mit zehn anderen<br />
Handwerkern gründete er 1993 den Verein<br />
„Junioren des Handwerks Südwestsachsen“. Zimmermeister<br />
sind dabei, Maurer oder Klempner. Es<br />
sei einfacher, ein Netzwerk mit Kollegen aus anderen<br />
Branchen zu bilden, sagt der Vereinsvorsitzende<br />
Schulz. Sonst sei die Konkurrenz einfach zu<br />
groß. „Als ich mit 27 Jahren der Innung beitrat,<br />
war das schlimm “, sagt er. Statt ihm zu helfen,<br />
hätten ihm die alteingesessenen Tischlermeister<br />
Steine in den Weg gelegt <strong>und</strong> seien zu plötzlichen<br />
Werkstattkontrollen erschienen, um zu sehen, ob<br />
er alles ordnungsgemäß mache.<br />
Der Juniorenverband hingegen regt Gesellen an,<br />
sich selbstständig zu machen <strong>und</strong> steht jungen<br />
Meistern während der Ausbildung <strong>und</strong> Betriebsgründung<br />
zur Seite. In der Ausbildung lerne man<br />
nicht, wie man Personal führt, Angebote <strong>für</strong> öffentliche<br />
Aufträge schreibt, Forderungen eintreibt<br />
oder K<strong>und</strong>en ordentlich pflegt, so Schulz. „Das ist<br />
aber <strong>für</strong> jeden Handwerker sehr wichtig.“ Zudem<br />
seien die sächsischen Junioren schon früh dem<br />
B<strong>und</strong>esverband beigetreten. Dabei ging es nicht<br />
nur um die politischen Interessen des Handwerks,<br />
sondern auch um Kontakte in der ganzen B<strong>und</strong>esrepublik.<br />
„Ein Tischler in Regensburg oder Flensburg<br />
ist keine Konkurrenz, da ist der Erfahrungsaustausch<br />
sehr nützlich“, sagt Schulz.<br />
Bei Betriebsbesichtigungen <strong>und</strong> in Seminaren erfahren<br />
die Handwerker mehr über die jeweils anderen<br />
Gewerke, bekommen Informationen über<br />
anstehende Projekte <strong>und</strong> eventuelle Aufträge, <strong>für</strong><br />
die man sich bewerben kann. Einer empfiehlt den<br />
anderen. Wie die meisten arbeitet auch Schulz am<br />
liebsten <strong>für</strong> öffentliche Bauherren. Nicht, dass<br />
andere Aufträge schlechter seien, aber „da weiß<br />
16 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
man, dass das Geld irgendwann kommt.“ Mit privaten<br />
Auftraggebern habe er, wie alle, schon ganz<br />
andere Erfahrungen gemacht. Auch da<strong>für</strong> ist der<br />
Juniorenverband gut. „Wenn einer nicht zahlt,<br />
warnen wir uns gegenseitig. Denn dann bezahlt er<br />
seine anderen Rechnungen auch nicht.“<br />
Prämiert in der Kategorie:<br />
Integration besonderer Zielgruppen<br />
Perspektiva<br />
Wolfgang Langer hat es geschafft. Seit über zwei<br />
Jahren arbeitet er im Lager der DaimlerChrysler-<br />
Niederlassung in Fulda <strong>und</strong> sortiert <strong>und</strong> stapelt<br />
Ersatzteile. Damit hat der 29-Jährige, der seit<br />
seiner Geburt mit einer leichten geistigen Behinderung<br />
lebt, endlich eine Beschäftigung gef<strong>und</strong>en,<br />
die zu ihm passt. Schrauben <strong>und</strong> Metall, das lag<br />
ihm schon immer. Und auch wenn Lesen nicht<br />
seine Stärke ist, kann er sich die Nummern, wie<br />
sie auf den Regalen geschrieben stehen, gut merken.<br />
Dennoch hätte er diesen Job ohne die Fuldaer Perspektiva<br />
gGmbH nie bekommen. In der gemeinnützigen<br />
Gesellschaft sind 45 Unternehmen <strong>und</strong><br />
zwei soziale Einrichtungen zusammengeschlossen.<br />
Ihr Ziel ist es, Jugendliche unter 27 Jahren<br />
mit Lernbeeinträchtigungen oder Behinderungen<br />
in den ersten <strong>Arbeit</strong>smarkt zu integrieren. Mit<br />
ihren Sonder- oder schwachen Hauptschulabschlüssen<br />
haben die meisten ohne fremde Hilfe<br />
dort kaum eine Chance. Vielen bleibt nur die <strong>Arbeit</strong><br />
in einer Behindertenwerkstatt. „Dabei können<br />
viele einer normalen <strong>Arbeit</strong> nachgehen“, ist<br />
Perspektiva-Geschäftsführer Michael Becker überzeugt,<br />
„man muss sie nur darauf vorbereiten.“<br />
Perspektiva bereitet sie darauf vor – <strong>und</strong> befreit<br />
damit so manchen nicht nur aus der Abhängigkeit<br />
von Sozialhilfe, sondern verhilft auch zu einer<br />
Lebensperspektive. „Einen richtigen Job zu haben“,<br />
sagt Becker, „das hat auch etwas mit Würde<br />
<strong>und</strong> Selbstwertgefühl zu tun.“<br />
Vom ersten Kontakt bis zur Integration in den<br />
ersten <strong>Arbeit</strong>smarkt dauert es allerdings. Drei<br />
Jahre lang werden die Jugendlichen – 50 sind es<br />
zurzeit – bei Perspektiva gefördert. Etwa ein Jahr<br />
lang arbeiten sie auf dem Perspektiva-eigenen<br />
Theresienhof. Sie kümmern sich um die hofeigene<br />
Baumschule oder erledigen einfache Auftragsarbeiten.<br />
Die Förderung handwerklichen Geschicks<br />
ist aber nur ein Ziel der Orientierungsphase.<br />
Die meisten müssen nach Jahren in betreuten<br />
Einrichtungen erst lernen, ihr Leben oder
zumindest Teile davon selbst in die Hand zu<br />
nehmen. „Ordnung, Pünktlichkeit, soziales Verhalten<br />
– diese Dinge sind nicht selbstverständlich“,<br />
sagt Michael Becker.<br />
Auf das „Orientierungsjahr“ – das auch kürzer<br />
oder länger als ein Jahr sein kann – folgen zwei<br />
Jahre der Qualifizierung <strong>und</strong> Einarbeitung in<br />
einem Betrieb. Nach drei Jahren soll der Jugendliche<br />
als fest Angestellter übernommen werden.<br />
Das klappt allerdings nicht immer. Nicht wenige<br />
brauchen ein Jahr länger oder fühlen sich der<br />
Selbstständigkeit nicht gewachsen <strong>und</strong> brechen<br />
ab. Dennoch, sagt Michael Becker, lohne sich die<br />
Mühe: „Jeder, den wir aus der Abhängigkeit<br />
holen, ist ein großer Erfolg.“<br />
Schon die Suche nach einem passenden Job verläuft<br />
anders als bei anderen <strong>Arbeit</strong>nehmerinnen<br />
<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>nehmern. Die Unternehmerinnen <strong>und</strong><br />
Unternehmer ermitteln in ihren Betrieben Hilfsarbeiten,<br />
die die besonderen Schwächen <strong>und</strong> Stärken<br />
der Jugendlichen berücksichtigen. Meist übernehmen<br />
die Jugendlichen einfache Tätigkeiten,<br />
die vorher nebenbei oder gar nicht erledigt wurden.<br />
Sie helfen in einer Großbäckerei mit oder<br />
übernehmen Garten- oder Reinigungsarbeiten.<br />
Ihre Bezahlung erfolgt angepasst an die <strong>Arbeit</strong>sleistung.<br />
Sie kann z. B. im Einzelfall – mit Duldung<br />
der Gewerkschaften – bei siebzig Prozent<br />
des Tariflohns eines Hilfsarbeiters liegen. Das mag<br />
TOP-THEMA<br />
nach wenig klingen, ist aber mehr als der Sozialhilfesatz,<br />
den sie ansonsten bekämen.<br />
Bisher greift Perspektiva bei der Suche nach <strong>Arbeit</strong>splätzen<br />
vor allem auf die 45 beteiligten Unternehmen<br />
zurück. Einen wesentlichen Anstoß <strong>für</strong><br />
das Netzwerk, das im Jahre 1999 gegründet wurde,<br />
gab das Fuldaer „Antoniusheim“, ein heilpädagogisches<br />
Zentrum <strong>für</strong> Menschen, die eine geistige<br />
Behinderung haben. Der Appell an bürgerschaftlichen<br />
Gemeinsinn <strong>und</strong> soziale Verantwortung<br />
kam nicht von ungefähr. Vor genau einh<strong>und</strong>ert<br />
Jahren entstand auch das Antoniusheim als Projekt<br />
engagierter Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger, die sich <strong>für</strong><br />
Menschen mit einer Behinderung einsetzen<br />
wollten, ohne an ihnen zu verdienen.<br />
Etwa 50 Prozent seiner Mittel erwirtschaftet Perspektiva<br />
inzwischen über die Leistungen der<br />
Jugendlichen <strong>und</strong> die beteiligten Unternehmen.<br />
Jedes Unternehmen zahlt 760 Euro an Perspektiva<br />
<strong>für</strong> jeden Jugendlichen, der in dem Betrieb<br />
hospitiert. Die andere Hälfte übernehmen zu etwa<br />
gleichen Teilen die B<strong>und</strong>esagentur <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong> <strong>und</strong><br />
der Europäische Sozialfonds. Becker hofft, dass<br />
der Anteil der Eigenmittel in den kommenden<br />
Jahren noch steigen wird. Aber: „Wir sind schon<br />
sehr glücklich, dass so viele Unternehmen bereit<br />
sind, Zeit <strong>und</strong> Geld <strong>für</strong> einen guten Zweck zu<br />
investieren.“ ■<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
17<br />
� Information<br />
Die Portäts der Prämierten<br />
<strong>und</strong> der Nominierten<br />
Unternehmen<br />
finden Sie auch in der<br />
Broschüre „Unternehmen<br />
handeln! – Für<br />
mehr <strong>Arbeit</strong> <strong>und</strong> Ausbildung“.<br />
Die Broschüre<br />
ist erhältlich<br />
über die Bestelladresse<br />
Postfach<br />
30 02 65, 53182 Bonn.<br />
Bestelltelefon<br />
01888/6154171.<br />
Bestellfax:<br />
0228/4223 462
Von Alexander<br />
Kritikos (Europa-Universität<br />
Viadrina,<br />
Frankfurt/Oder) &<br />
Frank Wießner (IAB),<br />
dieser Beitrag wurde<br />
zunächst als IAB-<br />
Kurzbericht Nr.<br />
3/2004 veröffentlicht.<br />
Abbildung 1<br />
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
Die richtigen Typen sind<br />
gefragt<br />
„Sicherheit einlösen – Eigeninitiative auslösen“ lautet die Devise der neuen<br />
aktivierenden <strong>Arbeit</strong>smarktpolitik, die die Kommission „Moderne Dienstleistungen<br />
am <strong>Arbeit</strong>smarkt“ um Peter Hartz im Sommer des Jahres 2002<br />
präsentierte. Auch wenn das Leitbild des „eigenverantwortlichen Bürgers“<br />
den „<strong>für</strong>sorgenden Sozialstaat“ zunehmend verdrängt, so bleibt auf der<br />
konkreten Maßnahmeebene gleichwohl noch viel Handlungs- <strong>und</strong> Steuerungsbedarf,<br />
um das neue Paradigma in den Köpfen <strong>und</strong> Programmen zu<br />
verankern. Nachfolgend wird gezeigt, wie gezielte Interventionen die<br />
richtigen Förderteilnehmer erreichen <strong>und</strong> so deren Eingliederung effizient<br />
gestalten können.<br />
Gründung <strong>und</strong> Förderung<br />
Im Jahre 2003 hat sich fast eine Viertelmillion vormals<br />
<strong>Arbeit</strong>sloser mit Unterstützung des <strong>Arbeit</strong>samtes<br />
selbständig gemacht. Gut drei Fünftel davon<br />
starten mit Hilfe des Überbrückungsgeldes (§ 57<br />
SGB III). Die restlichen fast 93.000 Geförderten<br />
gründen eine Ich-AG, die seit Anfang 2003 mit<br />
dem neuen Existenzgründungszuschuss (§ 421 l<br />
SGB III) gefördert wird. Gegenüber dem Vorjahr<br />
hat sich die Zahl der Förderfälle damit fast verdoppelt<br />
(vgl. Abbildung 1). Gemeinsam ist diesen<br />
Personen das Ziel, mit der Gründung einer selbständigen<br />
Existenz ihre <strong>Arbeit</strong>slosigkeit zu beenden<br />
<strong>und</strong> ihren Lebensunterhalt künftig wieder<br />
selbst zu erwirtschaften.<br />
18 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Paradoxerweise stagniert gleichzeitig die Zahl der<br />
Gründungen (vgl. Abbildung 2). Dies bedeutet,<br />
dass mittlerweile fast jeder zweite Existenzgründer<br />
in der B<strong>und</strong>esrepublik den Weg über das<br />
<strong>Arbeit</strong>samt nimmt. Eine Erklärung <strong>für</strong> diese Flaute<br />
des Gründungsgeschehens mag in der wachsenden<br />
Zahl von Insolvenzen in den vergangenen Jahren<br />
(Grotz/Otto, 2003) <strong>und</strong> – daraus resultierend –<br />
einer zunehmenden Angst vor dem Scheitern<br />
liegen. Der Anstieg der Pleiten zeigt auch deutlich,<br />
dass berufliche Selbständigkeit eben keine<br />
Option <strong>für</strong> jedermann ist. Die Folgen eines Bankrotts<br />
sind allseits bekannt: Durch die vorangegangene<br />
<strong>Arbeit</strong>slosigkeit ohnehin geschwächt,<br />
wird die finanzielle Situation des gescheiterten<br />
Gründers in vielen Fällen durch zusätzliche Schulden<br />
noch weiter belastet. Zugleich schwinden die<br />
Hoffnung auf Rückkehr in den <strong>Arbeit</strong>smarkt <strong>und</strong><br />
das Selbstvertrauen, wieder eigenes Geld verdienen<br />
zu können.<br />
Bereits Mitte der Neunziger Jahre wurde erkannt,<br />
dass – neben finanziellen Hilfen zur Sicherung des<br />
Lebensunterhaltes während der Startphase – zusätzlich<br />
flankierende Unterstützung die Aussichten<br />
der Gründer auf ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen<br />
verbessern kann. Knapp ausgedrückt<br />
basiert der Erfolg einer Gründung auf Start<strong>und</strong><br />
Humankapital.<br />
Schon lange bevor die heute gebräuchlichen Förderinstrumente<br />
– Trainingsmaßnahmen, ESFfinanziertes<br />
Coaching <strong>und</strong> als nachrangiges Instrument<br />
die Freie Förderung, – ins Standardreper-
toire der Gründungshilfen aufgenommen wurden,<br />
hatte das <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong> („BMA<br />
alt“) eine Reihe von Förderprogrammen aufgelegt<br />
<strong>und</strong> die B<strong>und</strong>esanstalt <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong> (BA) mit deren<br />
Umsetzung beauftragt 1 ). Mit diesen Mitteln wurde<br />
seit 1995 eine größere Zahl von Gründerzentren<br />
ins Leben gerufen, um verschiedene innovative<br />
Wege der Gründerbegleitung zu testen. Nach<br />
einer knappen Dekade sind davon heute noch die<br />
Modellprojekte „EXIS“ (Dresden), „EXZET“<br />
(Stuttgart) <strong>und</strong> „ENIGMA“ (Hamburg; mit den<br />
Folgeprojekten „Garage“ <strong>und</strong> „Gründerwerft“) aktiv.<br />
Gemeinsam ist den drei Ansätzen das Ziel, die<br />
Gründungsrisiken zu minimieren, wenn auch auf<br />
verschiedenen Wegen.<br />
Im Rahmen eines IAB-Forschungsprojektes werden<br />
gegenwärtig die Wirksamkeit <strong>und</strong> die Wirkungsweise<br />
dieser drei Einrichtungen untersucht.<br />
Bislang wurden in den Gründerzentren vor Ort<br />
Beobachtungen <strong>und</strong> Expertengespräche durchgeführt,<br />
sowohl mit internen wie externen <strong>Arbeit</strong>smarktakteuren<br />
als auch mit den Gründern selbst.<br />
Darüber wird im Folgenden berichtet. Geplant ist<br />
bis Mitte 2004 noch eine quantitative Analyse<br />
unter Berücksichtigung von Kontrollgruppen auf<br />
Basis der so genannten Maßnahmeteilnehmer-<br />
Gr<strong>und</strong>datei (MTG) des IAB.<br />
Gründungsrisiken<br />
Im wesentlichen gehen Insolvenzen von Unternehmen<br />
auf zwei Ursachen zurück: Die internen<br />
<strong>und</strong> die externen Risken der Gründung. Externe<br />
Risiken liegen dann vor, wenn die Produkte oder<br />
Dienstleistungen trotz durchdachter Entwicklung<br />
<strong>und</strong> strukturierter Vermarktung von den K<strong>und</strong>en<br />
nicht angenommen werden. Dies kann gerade bei<br />
innovativen Geschäftsideen der Fall sein. Mithin<br />
sind externe Risiken weitgehend durch die Unternehmensidee<br />
vorbestimmt. Sie können von den<br />
Gründern nur insoweit beeinflusst werden, wie<br />
diese bereit <strong>und</strong> fähig sind, ihr Geschäftskonzept<br />
zu modifizieren. Da bei einem Großteil der Gründungen<br />
aus der <strong>Arbeit</strong>slosigkeit der Innovationsgrad<br />
nicht besonders stark ausgeprägt ist, 2 ) soll<br />
dieses Risiko in der weiteren Untersuchung, ebenso<br />
wie exogen bedingte Konjunkturschwankungen,<br />
nicht weiter behandelt werden.<br />
Stattdessen liegt der Fokus auf der zweiten Ursache<br />
vieler Insolvenzen, den internen Risiken.<br />
Häufig entwickeln Gründer gute Produkte, haben<br />
jedoch Defizite beim Marketing: Entweder können<br />
die K<strong>und</strong>en den Produktnutzen nicht erkennen<br />
<strong>und</strong> kaufen deshalb das Produkt nicht, oder<br />
die Unternehmung arbeitet trotz gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
Abbildung 2<br />
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
positiver K<strong>und</strong>enresonanz schlichtweg nicht profitabel<br />
genug. 3 ) Der Ursprung des internen Risikos<br />
liegt also in der operativen Ausgestaltung der<br />
Gründungsphase, den Monaten vor <strong>und</strong> nach der<br />
Gründung. Dies macht klar, warum nur manchen<br />
Personen eine erfolgreiche Gründung gelingt. Denn<br />
die Wahrscheinlichkeit, ein existenzsicherndes Einkommen<br />
zu erwirtschaften, ist um so höher, je<br />
besser die Markteintrittsstrategie 4 ) entwickelt ist.<br />
Die Erfolgsaussichten steigen dabei, je besser<br />
• es dem Gründer gelingt, ein Produkt zu entwickeln<br />
<strong>und</strong> zu vertreiben, das zu seiner<br />
anvisierten Zielgruppe passt,<br />
• die vom Gründer anvisierte Zielgruppe den<br />
Nutzen seines Angebots erkennt <strong>und</strong><br />
• die vom Gründer entwickelte Preisstrategie<br />
zum Produkt (abgeleitet von den Produktionskosten)<br />
<strong>und</strong> zu den Preisvorstellungen der<br />
anvisierten Zielgruppe passt.<br />
Um diesen Dreiklang aus Produkt, Zielgruppe <strong>und</strong><br />
Preisstrategie 5 ) harmonisieren zu können, müssen<br />
die Gründer entsprechende Entscheidungen treffen.<br />
Erforderlich sind da<strong>für</strong> zum einen Kenntnisse<br />
(„Know-How“) über betriebswirtschaftliche Abläufe<br />
wie Marketing, Vertrieb, Kostenrechnung,<br />
Buchhaltung, Finanzierung, Steuern 6 ) etc. Zum<br />
anderen gehören dazu auch Fähigkeiten („Skills“),<br />
diese Kenntnisse so einzusetzen, dass im Sinne des<br />
„magischen Dreiecks“ (Abbildung 3) optimierte<br />
Entscheidungen getroffen werden. Ganz besonders<br />
kommt es darauf an, Entscheidungen auch<br />
rechtzeitig zu revidieren oder zu modifizieren,<br />
wenn sie sich als falsch erweisen. 7 )<br />
Dem Marketing-Mix aus Produkt, Zielgruppe <strong>und</strong><br />
Preisstrategie sind verschiedene Komponenten der<br />
„Unternehmerpersönlichkeit“ zuzuordnen, die<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
19
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
Abbildung 3<br />
ihrerseits abhängig sind vom individuellen Fähigkeits-<br />
<strong>und</strong> Kenntnisgrad.<br />
Eine Ursachenanalyse von Insolvenzen in der<br />
jüngeren Vergangenheit zeigt vor allem Mängel<br />
bei Vorbereitung <strong>und</strong> Planung der Gründungen –<br />
interne Risiken also. 8 ) Daraus folgt, dass die Gründer<br />
über unterschiedliche Kenntnis- <strong>und</strong> Fähigkeitsniveaus<br />
verfügen. Im Wesentlichen können<br />
vier Gründertypen unterschieden werden (vgl.<br />
Abbildung 4): 9 )<br />
• Personen, die ein ausreichendes Fähigkeitsniveau<br />
besitzen <strong>und</strong> nur wenige zusätzliche<br />
Kenntnisse benötigen. Sie können eine erfolgreiche<br />
Gründung auch ohne Unterstützung<br />
eines Gründerzentrums realisieren („Start-Typ“).<br />
• Personen, die bereits weitgehend über die<br />
erforderlichen Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse <strong>für</strong><br />
eine erfolgreiche Gründung verfügen. Sie<br />
können mit geringer, aber gezielter Unterstützung<br />
bald „Gründungsreife“ erlangen („Stayshort-Typ“).<br />
Diese Art der Flankierung gibt es<br />
bei den Kenntnissen in konventioneller Seminarform<br />
praktisch überall. Dagegen ist das Angebot<br />
zur Entwicklung von Fähigkeiten hierzulande<br />
noch immer weitaus geringer.<br />
Abbildung 4<br />
20 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
• Personen mit erfolgversprechenden Geschäftsideen,<br />
deren Kenntnis- <strong>und</strong> Fähigkeitsniveau<br />
eher niedrig aber gr<strong>und</strong>sätzlich „entwicklungsfähig“<br />
ist. Sie können eine erfolgreiche Gründung<br />
nur mit einer längeren prozessorientierten<br />
Unterstützung realisieren („Stay-long-<br />
Typ“).<br />
• Personen ohne ausbaufähige Gründungsidee<br />
oder mit niedrigem, nicht entwickelbarem<br />
Fähigkeitsniveau. Sie können trotz flankierender<br />
Unterstützung in absehbarer Zeit keine<br />
oder allenfalls eine wenig aussichtsreiche<br />
Gründung schaffen. Dieser Personengruppe ist<br />
von einer Gründung abzuraten („Stop-Typ“).<br />
Die Besonderheiten der Modellprojekte<br />
Aus diesen vier Gründertypen lassen sich Schwerpunkte<br />
<strong>und</strong> Methoden der untersuchten Gründerzentren<br />
ableiten. Ihr Hauptziel ist es, die Fähigkeit<br />
zu trainieren, vermittelte Kenntnisse auf die<br />
eigene Gründung anzuwenden. Damit unterscheiden<br />
sich die drei Zentren elementar von der „konventionellen“<br />
Gründungsberatung.<br />
Um die Integration von Kenntnissen <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />
zu gewährleisten, haben die Gründerzentren<br />
einen strukturierten Ablaufplan entwickelt,<br />
nach dem ihre Angebote ineinander greifen. Eine<br />
zentrale Rolle spielt dabei eine Vielzahl aufeinander<br />
folgender Filter, die gleichzeitig verschiedene<br />
Funktionen ausüben.<br />
Bei EXIS Dresden, das aufgr<strong>und</strong> seines Angebotsspektrums<br />
– bedingt durch Budget- <strong>und</strong> Kapazitätsrestriktionen<br />
– ausschließlich „Stay-Short-<br />
Typen“ zur Zielgruppe hat, beginnt die Auswahl<br />
mit einem persönlichen Erstgespräch. Dabei werden<br />
den Gründern Aufgaben zur Weiterentwicklung<br />
ihrer Geschäftspläne gestellt (etwa eigenständige<br />
K<strong>und</strong>engewinnung). Diese können in<br />
erster Linie von „Stay-short-Typen“ erfüllt werden.<br />
Gründertypen mit geringeren Fähigkeiten scheitern<br />
daran gewöhnlich. Gründer, die diese Anforderungen<br />
erfüllen, erhalten Einzelberatungen <strong>für</strong><br />
bis zu 12 Monate nach der Gründung. Parallel<br />
werden Seminare zur gezielten Kenntnisvermittlung<br />
angeboten.<br />
Ziel der Einzelberatungen ist es, den Gründern<br />
Feedback zu geben auf ihre strategischen Entscheidungen<br />
im Gründungsprozess <strong>und</strong> auf eine<br />
vollständige Planung zu achten. Kurz gefasst geht<br />
es beim Angebot von EXIS darum, „Stay-short-<br />
Gründer“ zu erkennen, zu unterstützen <strong>und</strong><br />
die Nachhaltigkeit ihrer Gründungen zu verbessern.
Im Unterschied zu EXIS verfügen ENIGMA<br />
Hamburg <strong>und</strong> EXZET Stuttgart über ein<br />
breiteres Angebotsspektrum, das sich sowohl an<br />
„Stay-short“- als auch „Stay-long-Gründer“ richtet.<br />
Dabei stellt die trennscharfe Unterscheidung von<br />
„Stay-long-Gründern“ <strong>und</strong> „Stop-Gründern“ hohe<br />
Anforderungen an den Auswahlprozess. Gilt es<br />
doch zu erkennen, bei welchen Gründern in ausreichendem<br />
Maße Fähigkeiten entwickelt werden<br />
können, um die geplante Unternehmung erfolgreich<br />
zu gestalten. Dementsprechend verwenden<br />
EXZET <strong>und</strong> ENIGMA zur Auswahl „förderungsfähiger“<br />
Gründertypen ein ganzes System aufeinander<br />
aufbauender Filter (vgl. Abbildung 5).<br />
Die stufenweise Aktivierung beginnt mit einer<br />
halbtägigen Informationsveranstaltung <strong>für</strong> gründungsinteressierte<br />
Personen. Die Aufklärung über<br />
Anforderungen <strong>und</strong> Risiken in Verbindung mit<br />
dem Schritt in die Selbständigkeit setzt zunächst<br />
einen Selbstselektionsprozess in Gang. 10 ) Wer nach<br />
dieser ersten Selbstprüfung die Angebote der<br />
beiden Gründerzentren noch immer nutzen will,<br />
muss sich zuvor einem weiteren Filter unterziehen<br />
– einem Assessment Center in Hamburg <strong>und</strong><br />
einem multimodalen Interview in Stuttgart. Dieser<br />
zweite Filter versetzt die Zentren schon frühzeitig<br />
in die Lage, ihre Klientel mit gewisser Sicherheit<br />
auf die vier Gründertypen aufzuteilen. In anschließenden<br />
Feedback-Gesprächen wird „Start-<br />
Typen“ zu einer Gründung ohne weitere Unterstützung<br />
geraten – <strong>für</strong> diese Gruppe fungieren die<br />
ersten beiden Filter lediglich als externe Validierung<br />
ihres Unternehmenskonzeptes. „Stay-short-<br />
Typen“ werden Kurzseminare in Kombination mit<br />
zeitlich begrenztem Einzelcoaching empfohlen,<br />
wobei diese Angebote in Stuttgart <strong>und</strong> Hamburg<br />
dem oben skizzierten Ablauf von EXIS Dresden<br />
ähneln. „Stop-Typen“ wird von einer Gründung<br />
abgeraten. Konsequenterweise werden sie von den<br />
beiden Zentren auch nicht weiter betreut. „Staylong-Typen“<br />
– die wichtigste Zielgruppe der beiden<br />
Zentren – werden dazu eingeladen, innerhalb<br />
moderierter Gruppenprozesse (in Stuttgart) bzw.<br />
innerhalb eines „Inkubators“ mit informellen<br />
Gruppenprozessen (in Hamburg) ihre Gründung<br />
zu planen <strong>und</strong> zu realisieren. 11 )<br />
Ziel der Zentren in Stuttgart <strong>und</strong> Hamburg ist es,<br />
die Gründer so zu begleiten, dass sie bis zum Ende<br />
der Überbrückungsgeld-Förderung ein möglichst<br />
existenzsicherndes Einkommen erwirtschaften<br />
können. Dazu wurden Gruppenprozesse mit folgender<br />
Struktur entwickelt:<br />
Zunächst werden bestimmte Aufgaben festgelegt,<br />
die jeder Gründer im nächsten <strong>Arbeit</strong>sschritt bear-<br />
Abbildung 5<br />
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
beiten muss (z.B. Marktanalyse oder Befragung<br />
potenzieller K<strong>und</strong>en). Begleitend können den<br />
Gründern in Seminaren die da<strong>für</strong> notwendigen<br />
Kenntnisse vermittelt werden.<br />
Während einer solchen Phase werden in informellen<br />
Kleingruppen Informationen ausgetauscht<br />
oder in moderierten Workshops Methoden zur<br />
Anwendung der Kenntnisse auf die eigene Unternehmung<br />
vermittelt.<br />
In regelmäßigen Abständen werden die Ergebnisse<br />
der letzten <strong>Arbeit</strong>sschritte vor der Gruppe präsentiert.<br />
Gruppe <strong>und</strong> Moderator geben darauf ein<br />
Feedback <strong>und</strong> illustrieren dem Gründer den aktuellen<br />
Entwicklungsstand seines Vorhabens.<br />
Die strukturierte Abfolge der einzelnen <strong>Arbeit</strong>sschritte<br />
(Seminar, Workshop, eigenes Handeln,<br />
Vorstellung der Zwischenergebnisse, Feedback<br />
durch Coach <strong>und</strong> Gruppe) sowie die knappen Zeitvorgaben<br />
beschleunigen <strong>und</strong> intensivieren die Vorbereitung<br />
(„Kaskadenmodell“, vgl. Abbildung 5).<br />
Dabei lernen entwicklungsfähige Personen, die<br />
Entscheidungsprozesse <strong>für</strong> ihre eigene Unternehmung<br />
erfolgreich zu gestalten. In den Hamburger<br />
Inkubatoren <strong>und</strong> den Stuttgarter Gründerzirkeln<br />
werden Gründer auf diese Weise <strong>für</strong> bis zu sechs<br />
Monate nach der formellen Gründung betreut.<br />
Gründer, die sich weitaus schneller als die anderen<br />
entwickeln (also eigentlich „Stay short“-Typen),<br />
oder solche, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Persönlichkeitsstrukturen<br />
<strong>für</strong> gruppendynamische Prozesse weniger<br />
geeignet sind („Einzelgänger“) steigen aus<br />
der Gruppe aus <strong>und</strong> organisieren ihre Gründung in<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
21
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
eigener Regie. Umgekehrt erkennen auch die<br />
meisten „Stop-Typen“, die nicht schon im Anfangsfilter<br />
identifiziert werden konnten, dass sie<br />
<strong>für</strong> eine selbständige Existenz ungeeignet sind.<br />
Zusammengefasst geht es bei EXZET Stuttgart <strong>und</strong><br />
ENIGMA Hamburg also vor allem darum, „Gründerpotenziale“<br />
zu erkennen, Personen zu formen<br />
<strong>und</strong> zu entscheidungsfähigen Unternehmern auszubilden.<br />
Lehren <strong>für</strong> effektive <strong>und</strong> effiziente<br />
Gründungsförderung<br />
Die Forderung „Mehr Gründer <strong>für</strong> Deutschland“<br />
als wirtschaftspolitisches Ziel geht einher mit einer<br />
arbeitsmarktpolitisch motivierten Betonung selbständiger<br />
Erwerbstätigkeit als Ausweg aus der<br />
<strong>Arbeit</strong>slosigkeit. Dies zeigt sich auch in den erleichterten<br />
Zugangsbedingungen zu Überbrückungsgeld<br />
<strong>und</strong> Existenzgründungszuschuss. So genannte<br />
„niedrigschwellige“ Angebote wie der neue Existenzgründungszuschuss<br />
(§ 421 l SGB III) <strong>und</strong> eine<br />
expansive Förderpolitik ziehen aber neben den<br />
„guten Risiken“ auch verstärkt „Stay-long“-Gründer<br />
<strong>und</strong> „Stop-Typen“ an. In früheren Untersuchungen<br />
(Wießner 2000) konnte jedoch gezeigt<br />
werden, dass eine komfortablere Förderung allein<br />
die Nachhaltigkeit <strong>und</strong> die Erfolgsaussichten von<br />
Existenzgründungen nicht verbessert.<br />
Eine volkswirtschaftlich sinnvolle Allokation von<br />
Fördermitteln wie von Humankapital erfordert<br />
deshalb auch, die entsprechenden Gründertypen<br />
richtig zu erkennen, passgenau zu betreuen <strong>und</strong><br />
den „Stop-Typen“ von einer Gründung abzuraten.<br />
Gelingen kann dies nur, wenn auf breiter Basis<br />
Intermediäre tätig werden, die anders als im<br />
reinen Seminarbetrieb nicht nur Wissen transferieren,<br />
sondern zugleich auch die Fähigkeiten<br />
der Gründer aus- <strong>und</strong> weiterbilden. Eine effiziente<br />
Unterstützung besteht darin, den jungen Unternehmern<br />
gezieltes Feedback auf ihre Entscheidungen<br />
im Gründungsprozess zu geben <strong>und</strong> sie in<br />
die Lage zu versetzen, ihre Planungsschritte „zu<br />
Ende zu denken“. Im Ergebnis wird so das interne<br />
Risiko der Gründung minimiert – <strong>und</strong> damit auch<br />
die Angst vor dem Scheitern.<br />
Die skizzierten Abläufe unterstreichen die zentrale<br />
Bedeutung mehrstufiger Filter: Ein ungefiltertes<br />
Angebot der Gründerzentren würde bei<br />
„Start-Typen“ zu Mitnahmeeffekten führen <strong>und</strong><br />
bei „Stop-Typen“ wirkungslos verpuffen. Eine<br />
frühzeitige Identifizierung des individuellen Gründerprofils<br />
stellt sicher, dass in erster Linie die entwicklungsfähigen<br />
<strong>und</strong> damit förderwürdigen<br />
22 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
„Stay-Typen“ Unterstützung bei ihrer Gründung<br />
erhalten.<br />
Zudem ermöglichen die Filter eine frühzeitige Zuordnung<br />
<strong>und</strong> Anpassung der einzelnen Angebote<br />
in den Gründerzentren an die unterschiedlichen<br />
„Stay-Typen“. Erst dadurch kann ein angemessener<br />
Grad an Aktivierung erreicht werden.<br />
Gründerzentren der hier beschriebenen Art liefern<br />
damit ein Vorbild <strong>für</strong> eine aktivierende <strong>Arbeit</strong>smarktpolitik,<br />
das auch bei der Ausgestaltung<br />
anderer Instrumente genutzt werden könnte.<br />
Mit dieser Form der Unterstützung ist darüber<br />
hinaus ein marktkonformes Instrument entwickelt<br />
worden, das kaum Wettbewerbsverzerrungen verursacht.<br />
Denn die öffentlichen Mittel fließen ausschließlich<br />
in die Weiterentwicklung persönlicher<br />
Fähigkeiten, hier speziell in die Entwicklung eines<br />
Alleinstellungsmerkmals 12 ) junger Unternehmen.<br />
Die Produkte der Gründer werden in keiner Weise<br />
subventioniert, Verdrängungseffekte somit gering<br />
gehalten. Mitnahmeeffekte durch „Start“-Gründer<br />
sind ebenso wie Fehlallokationen durch intensive<br />
Betreuung von „Stop“-Typen durch die geschickt<br />
miteinander verzahnte Fremd- <strong>und</strong> Selbstselektion<br />
kaum zu erwarten.<br />
Gründerzentren dieses neuen Typs erfordern aber<br />
auch ein Umdenken, wenn es um die Finanzierungsstrukturen<br />
der Einrichtungen geht. Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> die Aufrechterhaltung der notwendigen<br />
Mehrfachfilter in den Gründerzentren ist eine<br />
differenzierte Förderstrategie. Ziel muss z.B. sein,<br />
die bisherigen Förderschienen des SGB III<br />
(Trainingsmaßnahmen – ESF-BA-Programm – Freie<br />
Förderung) noch stärker als bisher miteinander zu<br />
verzahnen.<br />
Die Lösung der Finanzierungsfrage durch so genannte<br />
„Globalbudgets“, wie man sie etwa aus<br />
den USA kennt, erscheint zumindest zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt unter haushaltsrechtlichen<br />
Gesichtspunkten als unerreichbar. Ein „deutscher<br />
Weg“ könnte vielleicht in einer segmentierten<br />
Unterstützung bestehen, die verschiedene Module<br />
miteinander kombiniert <strong>und</strong> so eine flexible<br />
Durchführung gewährleistet. Zu untermauern<br />
wäre dieser Ansatz durch klar definierte Qualitätsstandards<br />
<strong>und</strong> durch Zielvereinbarungen hinsichtlich<br />
der Zahl der Gründungen von „Stay-short“<strong>und</strong><br />
„Stay-long“-Gründern.<br />
Fazit<br />
Eine auf Teilnehmer bezogene Abrechnung der<br />
Träger (z.B. über Gutscheine oder Beratungs-
Schecks) ließe die Typisierung der Gründer unberücksichtigt<br />
<strong>und</strong> würde Fehlanreize setzen: Ohne<br />
Zielvereinbarung würden die Zentren dann einmal<br />
gewonnene Teilnehmer gr<strong>und</strong>sätzlich bis zum Ende<br />
der „Maßnahme“ betreuen, länger <strong>und</strong> kostenintensiver<br />
als eigentlich erforderlich. Auch „Stop“-<br />
Typen, denen schon zu ihrem eigenen Schutz von<br />
einer Gründung abgeraten werden sollte, würden<br />
die Förderprogramme bis zum „bitteren Ende“<br />
durchlaufen. Mit Zielvereinbarung – z.B. zum Eingliederungserfolg<br />
– wäre eine Konzentration auf<br />
„Start-Typen“ <strong>und</strong> „Stay-Short-Typen“ wahrscheinlich<br />
(„Creaming-Effekt“). Diese verursachen nämlich<br />
den geringsten Betreuungsaufwand, da sie im<br />
Prinzip schon alle Voraussetzungen <strong>für</strong> einen erfolgreichen<br />
Start in die Selbständigkeit mitbringen.<br />
Ein solches Verfahren wäre nicht nur mit den fortschrittlichen<br />
Abläufen in den Gründerzentren mit<br />
ihren Mehrfachfiltern unvereinbar. Auch aus der<br />
Förderperspektive wäre es fatal. Denn Gründerzentren<br />
würden „Start-Typen“ dann nicht mehr<br />
EXISTENZGRÜNDUNGEN<br />
zur sofortigen Gründung ermuntern <strong>und</strong> „Stop-<br />
Typen“ nicht mehr sofort von der Gründung<br />
abraten. Der Anreiz <strong>für</strong> eine differenzierte Betreuung<br />
<strong>und</strong> Aktivierung unterschiedlicher Gründertypen<br />
ginge so verloren.<br />
Ein ähnlicher Effekt ist zu be<strong>für</strong>chten, wenn bei<br />
Ausschreibungen im Wettbewerb Entscheidungen<br />
ausschließlich über den Preis getroffen würden<br />
<strong>und</strong> die jeweiligen Zielgruppen außer Acht<br />
blieben. Die Zuschläge würden an die preisgünstigsten<br />
Träger mit den meisten „Start“- oder „Stayshort-Typen“<br />
gehen, die am wenigsten Unterstützung<br />
benötigen. Gründungsförderung hätte sich so<br />
selbst ad absurdum geführt.<br />
Eine Gr<strong>und</strong>finanzierung der Gründerzentren, die<br />
die Fixkosten (bei „Stay-long-Gründern“) angemessen<br />
berücksichtigt, wäre in Verbindung mit<br />
einer Zielvereinbarung, die nach Gründertypen<br />
differenziert, die beste Lösung <strong>für</strong> alle drei Beteiligten,<br />
<strong>für</strong> Gründer, <strong>Arbeit</strong>samt <strong>und</strong> Träger. ■<br />
1 ) Auf das erste Sonderprogramm, „Förderung <strong>und</strong> Erprobung neuer Wege in der <strong>Arbeit</strong>smarktpolitik“ (1995 – 1998) folgte 1998<br />
die „Förderung von Maßnahmen zur Erprobung zusätzlicher Wege in der <strong>Arbeit</strong>smarktpolitik“. Ab dem Jahr 2000 konnten aus<br />
dem B<strong>und</strong>eshaushalt im Rahmen der „Förderung der Erprobung <strong>und</strong> Entwicklung innovativer Maßnahmen zur Bekämpfung der<br />
<strong>Arbeit</strong>slosigkeit“ im Teilbereich „innovative Einzelprojekte“ nur noch neue Modellansätze erprobt <strong>und</strong> gefördert werden. Zugang<br />
zu den Sonderprogrammen bzw. zur nächsten Förderetappe erhielten nur Vorhaben mit nachweislich innovativem Charakter.<br />
In der b<strong>und</strong>esdeutschen Förderlandschaft sind solche aufeinander folgenden Sonderprogramme die Ausnahme. Da der Modellcharakter<br />
stets eine zeitliche Befristung impliziert, haben die Projekte kaum jemals Chancen, sich über einen längeren Zeitraum<br />
kontinuierlich zu entwickeln, zu verbessern <strong>und</strong> zu bewähren.<br />
2 ) Frühere IAB-Untersuchungen zeigen, dass die Geförderten weit überwiegend „konventionelle“ Gründungen tätigen. Auf einen<br />
eher geringen High Tech-Anteil lassen auch die anfänglichen Investitionsvolumina schließen, die in den ersten drei Jahren in<br />
90% aller Fälle unter 50.000 Euro liegen, siehe etwa Struck et al. [1998].<br />
3 ) Natürlich kann auch ein schlecht entwickeltes Produkt Ursache <strong>für</strong> eine Pleite sein. Auf diese offensichtliche Ursache <strong>für</strong> eine<br />
Pleite wollen wir hier jedoch nicht weiter eingehen.<br />
4 ) In Shrader/Simon (1997) finden sich verschiedene Markteintrittsstrategien, unter denen die im folgenden beschriebene<br />
Strategie als Nischenstrategie zu verstehen ist.<br />
5 ) Aus dem Überblicksartikel von Mellewigt/Witt (2002) geht in ähnlicher Weise hervor, daß gerade die Verknüpfung der drei<br />
Punkte zentrales Anliegen einer jeden Gründung sein muß, um erfolgreich zu werden.<br />
6 ) Für einen Überblick über die Details zum Gründungswissen siehe inter alia Reynolds/Miller (1992).<br />
7 ) Bereits in Röpke (1977) wurde erkannt, daß das Fähigkeitsniveau eines Gründers von ausschlaggebender Bedeutung <strong>für</strong> die<br />
Erfolgswahrscheinlichkeit einer Gründung ist. Lazear (2003) bezeichnet erfolgreiche Gründertypen, die Fähigkeiten in vielen<br />
Bereichen entwickelt haben sollten, als „Jacks of all Trades“.<br />
8 ) Siehe dazu etwa Struck et al. (1998) sowie die Jahresberichte der Deutschen Ausgleichsbank zum Gründungsgeschehen.<br />
9 ) Trotz einer völlig unterschiedlichen Genese weist diese Kategorisierung deutliche Analogien auf zu den jüngst spezifizierten<br />
K<strong>und</strong>engruppen der neuen Organisationseinheit „Produkte <strong>und</strong> Programme“ in der <strong>Arbeit</strong>sverwaltung. Hier wird künftig<br />
unterschieden zwischen „Marktk<strong>und</strong>en“, „Beratungsk<strong>und</strong>en“ („Intervention“/„Investition“) <strong>und</strong> „Betreuungsk<strong>und</strong>en“.<br />
10 ) In einer parallelen US-amerikanischen Studie (siehe Cox et al., 2002) zeigte man sich erstaunt, daß die pure Information über<br />
Anforderungen an Gründungen den Kreis potentieller Gründer nicht erweitert sondern einschränkt.<br />
11 ) Anders als EXIS <strong>und</strong> EXZET bietet ENIGMA den Gründern zusätzlich die Möglichkeit, <strong>für</strong> die Dauer des Überbrückungsgeld-<br />
Bezuges innerhalb des Inkubators Räumlichkeiten <strong>und</strong> Infrastruktur kostenfrei zu nutzen.<br />
12 ) Ein Alleinstellungsmerkmal oder „Unique Selling Proposition“ (USP) bezeichnet die Unterscheidung des Anbieters von<br />
(möglichst allen) anderen Marktteilnehmern. Die daraus resultierende „Nischenstrategie“ im Markt verringert den Verdrängungswettbewerb<br />
zwischen gleichartigen Angeboten.<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
23<br />
Literatur<br />
Cox, L.W./Mueller, S.L./<br />
Moss, S.E. (2002): The<br />
Impact of Entrepreneurship<br />
Education on<br />
Entrepreneurial Self-<br />
Efficacy, International<br />
Journal of Entrepreneurship<br />
Education<br />
1, S. 229-245<br />
Grotz, R./Otto, A.<br />
(2003): Betriebsgründungen<br />
in der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik<br />
Deutschland: Überlebenschancen<br />
<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>smarkteffekte,<br />
Bonn<br />
Koch, S./Wießner, F.<br />
(2003): Ich-AG oder<br />
Überbrückungsgeld?<br />
Wer die Wahl, hat die<br />
Qual, IAB-Kurzbericht<br />
Nr. 2<br />
Lazear, E.P. (2003):<br />
Entrepreneurship, IZA<br />
Disc. Paper No. 760<br />
Mellewigt, T./Witt, P.<br />
(2002): Die Bedeutung<br />
des Vorgründungsprozesses<br />
<strong>für</strong> die<br />
Evolution von<br />
Unternehmen: Stand<br />
der empirischen<br />
Forschung, Zeitschrift<br />
<strong>für</strong> Betriebswirtschaft<br />
72, S. 81-110<br />
Reynolds, P./Miller, B.<br />
(1992): New Firm<br />
Gestation: Conception,<br />
Birth, and Implications<br />
for research, Journal<br />
of Business Venturing<br />
7, S. 405-417<br />
Röpke, J. (1977): Die<br />
Strategie der<br />
Innovation, Mohr Verlag<br />
Tübingen<br />
Shrader, R.C./Simon,<br />
M. (1997): Corporate<br />
versus Independent<br />
new Ventures:<br />
Resource, Strategy,<br />
and Performance<br />
Differences, Journal of<br />
Business Venturing 12,<br />
S. 47-66<br />
Struck, J./Thomsen,<br />
U./Kuhn, C. (1998):<br />
Gründungsfinanzierung<br />
<strong>und</strong> Überbrückungsgeld<br />
– zwei Förderansätze,<br />
eine Zielgruppe?<br />
Wissenschaftliche<br />
Reihe der DtA, Bd. 8<br />
Wießner, F. (2000):<br />
Masse statt Klasse?.<br />
IAB-Materialien 2,<br />
S. 14 –15<br />
Wießner, F. (2001):<br />
<strong>Arbeit</strong>slose werden<br />
Unternehmer, Nürnberg
INTERNATIONALES<br />
Blick über die Grenze<br />
Brasilien<br />
Mindestlohn erhöht<br />
Am Vorabend des 1. Mai hat<br />
die Regierung Lula den Mindestlohn<br />
erhöht. Er soll von<br />
240 auf 260 Reais angehoben<br />
werden, was inflationsbereinigt<br />
einer realen Zunahme<br />
um gut 1 Prozent entspricht.<br />
Im Wahlkampf hatte Lula eine<br />
reale Verdoppelung des Mindestlohnes<br />
bis 2006 versprochen.<br />
Die Entscheidung wurde<br />
erwartungsgemäss vom Unternehmerverband<br />
CNI gelobt,<br />
während sich die Gewerkschaften<br />
kritisch äußerten.<br />
Unterstützung hatte die Regierung<br />
von den hochverschuldeten<br />
Gemeinden <strong>und</strong> Ländern<br />
erhalten, denn die Höhe des<br />
Mindestlohnes hat vor allem Bedeutung<br />
bei der Festsetzung<br />
von Rentenansprüchen.<br />
Der vorgeschlagene Wert bedarf<br />
noch der Bestätigung durch den<br />
Kongress. Dabei sind Änderungen<br />
noch möglich, obgleich er<br />
sich nahe dem Wert bewegt, der<br />
vom Kongress gemeinsam mit<br />
dem Haushalt 2004 gebilligt<br />
worden war (256 Reais).<br />
Viele Beobachter haben die Frage<br />
aufgeworfen, warum Präsident<br />
Lula die bis zum 1. Mai zu treffende<br />
Entscheidung so lange hinausgezögert<br />
hat, wenn schon in<br />
der Höhe kein Spielraum gewesen<br />
sei. Die wochenlange Debatte<br />
über die Höhe des Mindestlohns<br />
habe nur die Märkte beunruhigt<br />
<strong>und</strong> generell <strong>für</strong> ein Klima der<br />
Unsicherheit gesorgt. Diese Auffassung<br />
wurde auch von Vertretern<br />
der deutsch-brasilianischen<br />
Handelskammer geäußert, die sich<br />
24 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
am 30.04. in der Botschaft zum<br />
Handelsrat versammelt hatten.<br />
Planungs- <strong>und</strong> Haushaltsminister<br />
Guido Mantega hat der Öffentlichkeit<br />
gegenüber diese<br />
Frage damit beantwortet, dass<br />
die Regierung es sich mit der<br />
Entscheidung eben nicht einfach<br />
gemacht habe. Man habe<br />
bis zuletzt warten wollen, wie<br />
die Steuereinnahmen sich entwickelten,<br />
um wirklich soviel<br />
zu genehmigen, wie möglich<br />
sein wird. Leider sei die Einnahmeentwicklung<br />
nicht so positiv<br />
verlaufen, wie man es sich<br />
erhofft habe. Mantega, der ursprünglich<br />
selbst <strong>für</strong> einen höheren<br />
Wert eingetreten war,<br />
räumte außerdem ein, dass die<br />
Entdeckung einer neuen Leiche<br />
im brasilianischen Schuldenkeller<br />
(hier „Skelett” genannt) Zurückhaltung<br />
angezeigt erscheinen<br />
ließ. Ein brasilianisches Gericht<br />
hatte einer Klage von Rentenberechtigten<br />
stattgegeben,<br />
der zufolge bei der Berechnung<br />
der Ansprüche in den 90er Jahren<br />
ein – höherer – Inflationsindex<br />
hätte zugr<strong>und</strong>e gelegt werden<br />
sollen. Diese Entscheidung<br />
verpflichtet die brasilianische<br />
Rentenkasse, INSS nachträglich<br />
einen Betrag an die Rentner auszugeben,<br />
der immerhin 1 % PSB<br />
entspricht. Vom früheren Finanzminister<br />
Pedro Malan wird<br />
das geflügelte Wort zitiert: „In<br />
Brasilien ist nicht einmal die<br />
Vergangenheit sicher!”<br />
Die Entscheidung über den<br />
Mindestlohn zeigt, dass die Regierung<br />
Lula in der Wirtschaftspolitik<br />
verantwortungsvoll vorgeht<br />
<strong>und</strong> unpopuläre Entscheidungen<br />
nicht scheut. Diese Linie<br />
kennzeichnet die Finanz<strong>und</strong><br />
Geldpolitik der Regierung<br />
seit Amtsantritt. Be<strong>für</strong>chtungen<br />
über ein Nachlassen der Haushaltspolitik,<br />
wie sie im März<br />
von amerikanischen Investmenthäusern<br />
geäußert worden waren,<br />
entbehren der Gr<strong>und</strong>lage.<br />
Tatsächlich erwirtschaftete die<br />
öffentliche Hand im ersten<br />
Quartal 2004, wie jetzt bekannt<br />
gegeben wurde, einen Primärüberschuss<br />
(Vorzahlung der Zinsen<br />
auf Kredite <strong>und</strong> Tilgungen)<br />
in Höhe von 20,5 Mrd Reais.<br />
Dies entspricht 5,4 Prozent des<br />
Bruttoinlandsprodukts <strong>und</strong> stellt<br />
gleichzeitig den höchsten Wert<br />
seit 1991 dar, als in Brasilien<br />
mit der Berechnung des Indikators<br />
begonnen wurde. Das mit<br />
dem IWF vereinbarte Ziel von<br />
4,25 Prozent könnte damit um<br />
rd. 6 Mrd. Reais übertroffen<br />
werden. Im März sank der<br />
Schuldenstand nicht nur relativ,<br />
sondern auch absolut auf 57,4<br />
Prozent des BIP bzw. 924,4<br />
Mrd Reais.<br />
Die Entscheidung über den<br />
Mindestlohn ist eine Richtungsentscheidung<br />
<strong>für</strong> die brasilianische<br />
Wirtschaftspolitik <strong>und</strong> gilt<br />
als Sieg Paloccis. Seine Stellung<br />
in der Regierung ist – trotz aller<br />
öffentlich geäußerten Kritik –<br />
derzeit stärker denn je. Nächster<br />
Test wird die <strong>für</strong> Ende Juni<br />
anberaumte Sitzung des Nationalen<br />
Geldrates sein, der über das<br />
Inflationsziel 2006 zu entscheiden<br />
hat. Bei dieser Gelegenheit<br />
möchten einige Vertreter des Regierungslagers<br />
– wie Senator<br />
Mercadante oder Minister Dirceu<br />
– das bereits im vergangenen Jahr<br />
festgelegte Inflationsziel 2005<br />
aufweichen <strong>und</strong> von 4,5 auf 5,5<br />
Prozent anheben. Finanzminister<br />
Palocci, der den Nationalen Geldrat<br />
leitet, sagte hierzu lediglich,<br />
das Inflationsziel 2005 sei bereits<br />
entschieden <strong>und</strong> stehe daher<br />
nicht auf der Tagesordnung.
Schweden<br />
Reichstag lehnt<br />
Übergangsfrist ab<br />
Der Regierungsvorschlag, <strong>für</strong><br />
<strong>Arbeit</strong>nehmer aus den<br />
neuen EU-Mitgliedstaaten eine<br />
zweijährige Übergangsfrist<br />
<strong>für</strong> die Herstellung der<br />
Freizügigkeit einzuführen,<br />
wurde am 28.4.2004 vom<br />
schwedischen Reichstag<br />
mehrheitlich abgelehnt.<br />
Gleichzeitig sprachen sich die<br />
Abgeordneten der Sozialdemokraten,<br />
der Linkspartei <strong>und</strong> der<br />
Umweltpartei <strong>für</strong> die Schaffung<br />
von Maßnahmen aus, mit denen<br />
Lohndumping <strong>und</strong> Schwarzarbeit<br />
verhindert sowie die Einhaltung<br />
von Tarifverträgen<br />
sichergestellt werden soll. Diese<br />
vor allem vom Dachverband der<br />
<strong>Arbeit</strong>ergewerkschaften, LO,<br />
geforderten Maßnahmen sollen<br />
möglichst rasch beschlossen<br />
werden. Sollten wider Erwarten<br />
durch einen größeren Zustrom<br />
von Wanderarbeitnehmern aus<br />
den zehn neuen EU-MS erhebliche<br />
Störungen auf dem <strong>Arbeit</strong>smarkt<br />
auftreten, behält sich<br />
der Reichstag vor, die Frage der<br />
Übergangsfristen nochmals auf<br />
die Tagesordnung zu setzen. Somit<br />
können <strong>Arbeit</strong>nehmer aus<br />
den neuen EU-MS ab dem<br />
01.05.2004 nach Schweden<br />
einreisen, um <strong>für</strong> die Dauer von<br />
drei Monaten eine <strong>Arbeit</strong>sstelle<br />
zu suchen. Für die <strong>Arbeit</strong>saufnahme<br />
ist keine <strong>Arbeit</strong>sgenehmigung<br />
erforderlich. Schweden<br />
gehört damit zu den wenigen<br />
„alten“ EU-MS, die keine Übergangsregelungen<br />
<strong>für</strong> die Freizügigkeit<br />
einführen.<br />
Migrationsministerin Barbro<br />
Holmberg sagte, dass die Entwicklung<br />
nun genau beobachtet<br />
werden würde, um ggf. schon im<br />
Herbst neue Vorschläge zu Übergangsregeln<br />
vorzulegen. Auch<br />
Volkspartei <strong>und</strong> Moderate stell-<br />
ten in Aussicht, sich konstruktiv<br />
an einer späteren erneuten Diskussion<br />
zu beteiligen.<br />
Die Frage der Übergangsregelungen<br />
war <strong>für</strong> mehrere Parteien<br />
eine Art Zerreißprobe, was<br />
sich auch bei der Abstimmung<br />
zeigte. Mehrere Abgeordnete<br />
der Volkspartei wichen von der<br />
Mehrheitsmeinung ihrer Partei<br />
ab, zwei Angeordnete der Linkspartei<br />
stimmten <strong>für</strong> den Antrag<br />
der Sozialdemokraten.<br />
Das zentrale Argument der Sozialdemokraten,<br />
dass man eine<br />
weitere Belastung des schwedischen<br />
Wohlfahrtssystems sowie<br />
den ausufernden Export<br />
von Sozialleistungen („Sozialtourismus“)<br />
verhindern wolle,<br />
war sehr problematisch <strong>und</strong><br />
provozierte Proteste von Seiten<br />
der neuen EU-Mitgliedstaaten<br />
<strong>und</strong> der anderen Parteien. Kritisiert<br />
wurde v.a. die ausschließliche<br />
Diskriminierung der <strong>Arbeit</strong>nehmer<br />
aus den neuen EU-<br />
Mitgliedsstaaten <strong>und</strong> dass die<br />
Regierung damit Populismus<br />
<strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit schüre.<br />
Schließlich kämen seit vielen<br />
Jahren auch zahlreiche qualifizierte<br />
<strong>Arbeit</strong>skräfte, wie Ärzte<br />
<strong>und</strong> Ingenieure, aus diesen<br />
Ländern nach Schweden, die<br />
man hier auch dringend brauche.<br />
Aufgr<strong>und</strong> der zukünftigen<br />
demographischen Entwicklung<br />
Schwedens würden auch weiterhin<br />
<strong>Arbeit</strong>skräfte aus dem<br />
Ausland benötigt.<br />
Alle wissenschaftlichen Untersuchungen<br />
<strong>und</strong> historische Erfahrungen<br />
würden zudem zeigen,<br />
dass EU-Erweiterungen<br />
nicht zu massiven Einwanderungen<br />
von <strong>Arbeit</strong>skräften führen.<br />
Außerdem wurde verschiedentlich<br />
die Auffassung vertreten,<br />
dass die sofortige Freizügigkeit<br />
<strong>für</strong> das Wirtschaftswachstum<br />
sowohl im Herkunftsland<br />
als auch im Beschäftigungsland<br />
positiv sei.<br />
Dennoch konnte die Regierung<br />
insofern einen Teilerfolg verbuchen,<br />
als sie zusammen mit<br />
den Unterstützungsparteien einen<br />
Reichstagsbeschluss <strong>für</strong> verschärfte<br />
Regelungen bei der Beschäftigung<br />
von Ausländern auf<br />
dem <strong>Arbeit</strong>smarkt zustande<br />
brachte. Durch noch zu konkretisierende<br />
Maßnahmen sollen<br />
Lohndumping <strong>und</strong> Schwarzarbeit<br />
entgegengewirkt werden.<br />
Auch soll den Gewerkschaften –<br />
wie von LO gefordert – das<br />
Recht eingeräumt werden, die<br />
Einhaltung von Tarifverträgen<br />
auch in den Unternehmen zu<br />
prüfen, in denen sie nicht vertreten<br />
seind.<br />
Frankreich<br />
INTERNATIONALES<br />
Einwanderung nahm<br />
zu<br />
Zwischen 1999 <strong>und</strong> 2002 hat<br />
die Einwanderung in Frankreich<br />
um 36 % zugenommen.<br />
Der Anteil an Zuwanderern<br />
aus Drittländern ist um 50 %<br />
gestiegen.<br />
Außerdem hat die Zahl von<br />
Asylanträgen in Frankreich zugenommen.<br />
Inzwischen nimmt<br />
Frankreich hierbei in Europa<br />
den 1. Rang ein. Eine noch<br />
unveröffentliche Studie des Sozialministeriums<br />
zur Zuwanderung<br />
nach Frankreich wird,<br />
nach vorzeitig bekanntgewordenen<br />
Informationen, eine<br />
deutliche Zunahme beschreiben.<br />
In 2001 waren 140 953<br />
neue Einwanderer auf französischem<br />
Gebiet gezählt worden,<br />
im Jahre 2002 waren es 156<br />
243. Die Zahl der Zuwanderer<br />
nach Frankreich steigt regelmäßig<br />
<strong>und</strong> hat zwischen 1999<br />
<strong>und</strong> 2002 um 36 Prozent zugenommen.<br />
Nach ersten Schätzungen<br />
ist <strong>für</strong> 2003 eine weitere<br />
Zunahme anzunehmen.<br />
Die Zahl der ausländischen Studenten<br />
(aus Staaten außerhalb<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
25
INTERNATIONALES<br />
des Schengen-Raums), die nicht<br />
in diesen Zahlen mitgezählt sind,<br />
erreichten in 1998 23 502 <strong>und</strong> in<br />
2002 55 498. Deren Zahl ist also<br />
ebenfalls erheblich gestiegen.<br />
Nach den einschränkenden Reformen<br />
des Asylrechtes in Großbritannien<br />
<strong>und</strong> Deutschland ist<br />
Frankreich <strong>für</strong> Asylbewerber<br />
besonders attraktiv geworden.<br />
Im Jahre 2002 gingen in Frankreich<br />
51 000 Anträge auf politisches<br />
Asyl ein, im Jahre 2003<br />
52 000. Dies bedeutet eine Zunahme<br />
um 1,5 Prozent nach<br />
starkem Aufstieg in den letzten<br />
Jahren (im Jahre 1996 wurden<br />
weniger als 20 000 Anträge<br />
26 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
registriert). Es ist besonders<br />
bemerkenswert, dass diese Zahl<br />
immer noch leicht ansteigt,<br />
während die Asylanträge überall<br />
sonst in Europa zurückgehen.<br />
Zum Beispiel hat die Anzahl der<br />
Anträge in Großbritannien in<br />
einem Jahr um 44,9 Prozent<br />
<strong>und</strong> in Deutschland um 29 Prozent<br />
abgenommen. Letztlich<br />
werden aber in Frankreich<br />
weniger als 20 Prozent der<br />
Anträge positiv entschieden.<br />
Den Umfang der illegalen Einwanderung<br />
kann naturgemäß<br />
niemand genau einschätzen. Es<br />
werden von verschiedenen Seiten<br />
sehr unterschiedliche Grö-<br />
ßenordnungen angegeben, die<br />
nicht alle gleich glaubwürdig<br />
scheinen. Nicht nur illegale<br />
Neueinwanderer fallen unter<br />
diese Kategorie, sondern auch<br />
die abgelehnten Asylbewerber,<br />
die in der Hoffnung auf eine<br />
inkonsequente Abschiebepraxis<br />
illegal in Frankreich bleiben,<br />
sind hierunter einzuordnen. Die<br />
Zahl der illegalen Immigranten<br />
wird auf ca. 100 000 im Jahr<br />
geschätzt. Die Schätzungen<br />
schwanken jedoch zwischen<br />
300 000 (von Sarkozy genannt<br />
beim Antritt seines Amtes als<br />
Innenminister), 700 000 (von<br />
verschiedenen Politikern genannt)<br />
<strong>und</strong> über 1 Million. ■
Neue Fachliteratur<br />
Von Erlaucht bis Spektabilis.<br />
Kleines Lexikon der Titel<br />
<strong>und</strong> Anreden. Von Otto<br />
Krabs, München 2004 (C.<br />
H. Beck), 167 Seiten, Preis<br />
9,90 EUR.<br />
Zugegeben – die Wahrscheinlichkeit,<br />
dem japanischen Tenno<br />
vorgestellt zu werden, ist recht<br />
gering. Daher dürfte sich <strong>für</strong> die<br />
Mehrheit der Leser das Problem,<br />
mit welcher korrekten<br />
Formulierung ein Kaiser anzureden<br />
bzw. anzuschreiben ist,<br />
nicht stellen. Anders sieht es<br />
freilich im Umgang mit akademischen,<br />
diplomatischen, geistlichen<br />
<strong>und</strong> militärischen Amtsbzw.<br />
Würdenträgern <strong>und</strong> Adeligen<br />
aus: Wer hat heute noch<br />
einen Titel inne? Wer ist Durchlaucht,<br />
Exzellenz, Spektabilis<br />
oder Rat? Wie lautet die richtige<br />
persönliche bzw. schriftliche<br />
Anrede? Wie ist zu verfahren,<br />
wenn eine Person gar über<br />
mehrere Titel verfügt?<br />
Diese Fragen des korrekten gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> beruflichen<br />
Umgangs behandelt der handliche<br />
<strong>und</strong> informative Band von<br />
Otto Krabs, der gekonnt – <strong>und</strong><br />
mit zuweilen deutlichem Augenzwinkern<br />
– durch die nichtduzbaren<br />
Problemgruppen aus<br />
Adel, Kirche, öffentlicher Verwaltung<br />
<strong>und</strong> diplomatischem<br />
Dienst führt. In fünf ausführlichen<br />
Kapiteln werden die<br />
Feinheiten alphabetisch angegangen:<br />
Zunächst wird jeweils<br />
die persönliche <strong>und</strong> schriftliche<br />
Anrede <strong>und</strong> der Name im Anschriftenfeld<br />
genannt. Wie so<br />
oft, liegt auch hier die Krux im<br />
Detail: bei Herzögen ist beispielsweise<br />
zu prüfen, ob sie bis<br />
1918/19 zu den regierenden<br />
Häusern zählten oder nicht;<br />
denn hiernach richtet sich ihre<br />
korrekte Anrede „Königliche<br />
Hoheit“ oder „Durchlaucht“.<br />
Auch die Anrede eines baltischen<br />
Barons kann zu einer verwickelten<br />
Angelegenheit werden.<br />
Im Anschluss folgt jeweils ein<br />
Überblick über die historische<br />
Entwicklung des Titels <strong>und</strong> seiner<br />
Träger. So erfährt der Leser<br />
im Kapitel der akademischen<br />
Titel <strong>und</strong> Anreden zum Beispiel,<br />
dass im 18. Jhd. die Herren<br />
Doktoren wegen begangener<br />
Verbrechen „nicht in öffentliche<br />
oder tiefe Gefängnisse, unter<br />
der Erde geleget, sondern in<br />
leidlicher Verwahrung gehalten“<br />
werden sollten. Vom Undank<br />
verfolgt sind hingegen<br />
heute die Minister: Ihnen kam<br />
die vormals übliche Anrede<br />
„Exzellenz“ abhanden – korrekt<br />
ist: „Herr Minister“ bzw.<br />
„Frau Ministerin“ – nicht aber<br />
die Last des Amtes <strong>und</strong> die Abhängigkeit<br />
vom Regierungschef,<br />
der Fraktion, der Presse <strong>und</strong><br />
nicht zuletzt den „wankelmütigen<br />
Wählern“. An solchen Stellen<br />
entwickelt sich das Werk<br />
zum fulminanten Kulturlexikon.<br />
Es folgen einige kürzere Kapitel<br />
über Amtsbezeichnungen in der<br />
öffentlichen Verwaltung, in der<br />
Justiz, in den jüdischen <strong>und</strong><br />
muslimischen Religionsgemeinschaften<br />
sowie über die Dienstgrade<br />
der B<strong>und</strong>eswehr. Eine<br />
Übersicht mit Hinweisen zum<br />
Gebrauch von Titeln <strong>und</strong> Anreden<br />
einschließlich des Problems<br />
von „Titelgirlanden“ r<strong>und</strong>et den<br />
Band schließlich ab.<br />
Insgesamt ein köstlicher, vor<br />
allem aber nützlicher Lesestoff<br />
<strong>für</strong> alle, die karriereabträgliche<br />
Fettnäpfchen geschickt umgehen<br />
wollen. Zur entspannenden<br />
Lektüre unbedingt empfohlen.<br />
(D. J. Blesgen)<br />
NEWS & SERVICE<br />
Medizinisches Lexikon der<br />
beruflichen Belastungen <strong>und</strong><br />
Gefährdungen – Definitionen<br />
– Vorkommen – Gefährdungen.<br />
Herausgegeben von<br />
Kurt Landau <strong>und</strong> Gerhard<br />
Pressel unter Mitarbeit von<br />
Yvonne Ferreira <strong>und</strong> ca. 70<br />
Fachautoren; Gentner Verlag<br />
Stuttgart, 1. Aufl. 2004. 728<br />
Seiten. Preis 128 EUR.<br />
Das medizinische Fachgebiet<br />
„<strong>Arbeit</strong>smedizin“ befasst sich<br />
mit der Wechselwirkung zwischen<br />
Mensch <strong>und</strong> Beruf. Berufswelt,<br />
Umwelt <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
unterliegen einem tief<br />
greifenden Wandel. Die Komplexität<br />
<strong>und</strong> die damit wechselnden<br />
Anforderungen der <strong>Arbeit</strong>sprozesse<br />
<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>ssysteme<br />
nehmen ständig zu. Im<br />
globalisierten Wettbewerb steigt<br />
der Anpassungsdruck <strong>und</strong> somit<br />
sind der ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> leistungsbereite<br />
Mitarbeiter, der ges<strong>und</strong>e<br />
<strong>und</strong> menschengerechte Betrieb<br />
<strong>und</strong> deshalb der <strong>Arbeit</strong>smediziner<br />
zunehmend gefragt <strong>und</strong><br />
gefordert.<br />
Ziel der <strong>Arbeit</strong>smedizin ist die<br />
Prävention. <strong>Arbeit</strong>smediziner<br />
<strong>und</strong> Betriebsärzte haben den gesetzlichen<br />
Auftrag die Beschäftigten<br />
<strong>und</strong> die im Unternehmen<br />
Verantwortlichen im Hinblick<br />
auf die ges<strong>und</strong>heitlichen Gefahren<br />
<strong>und</strong> Gefährdungen umfassend<br />
zu begleiten <strong>und</strong> zu beraten.<br />
Dies erfordert hohe Kompetenz,<br />
aktuelles Fachwissen<br />
<strong>und</strong> eine adäquate Methodik<br />
zur Problemerkennung <strong>und</strong> Problemlösung.<br />
Die Herausgeber sind als hochkompetente<br />
Wissenschaftler<br />
<strong>und</strong> Praktiker der <strong>Arbeit</strong>smedizin<br />
<strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong>swissenschaft<br />
bekannt. Es ist Ihnen gelungen,<br />
ein Lexikon zu entwickeln, das<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
27
NEWS & SERVICE<br />
den direkten Zugriff auf eine<br />
konzentrierte, wissenschaftlich<br />
f<strong>und</strong>ierte Information auf dem<br />
kaum überschaubaren breiten<br />
Fachgebiet der <strong>Arbeit</strong>smedizin<br />
ermöglicht.<br />
Das Lexikon umfasst ca. 200 zentrale,<br />
arbeitsmedizinisch <strong>und</strong><br />
beruflich besonders relevante<br />
Belastungs- <strong>und</strong> Gefährdungsbereiche.<br />
Die Beiträge zu den<br />
jeweiligen Sachgebieten sind<br />
nach einem methodisch einheitlichen<br />
Konzept aufgebaut.<br />
Das Lexikon gibt konkreten Rat<br />
bei täglich zu treffenden Entscheidungen<br />
in Fragen der<br />
<strong>Arbeit</strong>s- bzw. Erwerbsfähigkeit,<br />
Rehabilitationsmaßnahmen <strong>und</strong><br />
Umschulungen, bei <strong>Arbeit</strong>splatzwechsel<br />
der durch Alter oder<br />
Krankheit leistungsgewandelter<br />
Mitarbeiter, beim Jugendarbeits<strong>und</strong><br />
Mutterschutz, aber auch bei<br />
der Ursachensuche <strong>und</strong> Behandlung<br />
von arbeitsbedingten Erkrankungen<br />
einschließlich der<br />
Berufskrankheiten.<br />
Das Lexikon ist umfassend,<br />
durchgängig gegliedert <strong>und</strong> enthält<br />
ein ausführliches Register,<br />
was dem breiten Spektrum des<br />
<strong>Arbeit</strong>smedizinischen Fachgebietes<br />
gerecht wird. Der Nutzer<br />
erhält ein modernes Basiswerk<br />
<strong>für</strong> Studium, Wissenschaft <strong>und</strong><br />
Praxis der <strong>Arbeit</strong>smedizin. Es<br />
wendet sich an <strong>Arbeit</strong>smediziner,<br />
Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure<br />
<strong>und</strong> Fachkräfte <strong>für</strong><br />
<strong>Arbeit</strong>ssicherheit ebenso wie an<br />
Gewerbeärzte, Umwelt- <strong>und</strong> Sozialmediziner<br />
sowie Ärzte aller<br />
Fachrichtungen. Der medizinische<br />
Sachverständige, <strong>Arbeit</strong>s<strong>und</strong><br />
Sozialjuristen Versicherungsträger<br />
sowie Führungskräfte<br />
oder <strong>Arbeit</strong>nehmervertreter<br />
hat mit dem Lexikon ein kompetentes<br />
Nachschlagewerk in<br />
der Hand. Es kann bestens empfohlen<br />
werden. (T. Giesen)<br />
Handbuch Mobbing-Rechtsschutz.<br />
Peter Wickler (Hrsg.)<br />
28 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Verlag C.F.Müller, Verlagsgruppe<br />
Hüthig Jehle Rehm.<br />
2004. 454 Seiten. Preis<br />
59,80 EUR.<br />
Ähnlich wie Stress ist Mobbing<br />
schon zu einem stehenden<br />
Begriff gewoerden, der viel <strong>und</strong><br />
gerne im M<strong>und</strong>e geführt wird –<br />
zu viel <strong>und</strong> zu gerne, um den<br />
ernsten Folgen echten Mobbings<br />
<strong>für</strong> die Betroffenen gerecht<br />
zu werden. Tritt Mobbing<br />
in Firmen auf, so handelt es sich<br />
um eine vielschichtiges Problem,<br />
das mit Personen ebenso<br />
wie mit <strong>Arbeit</strong>sbedingungen zusammenhängen<br />
kann, <strong>und</strong> das<br />
ohne Hilfe von außen oft nicht<br />
zu lösen ist. Zunehmend suchen<br />
Mobbing-Opfer juristische Hilfe<br />
als Ausweg aus ihrer Notsituation.<br />
Die rechtliche Aufarbeitung von<br />
Mobbingfällen allerdings ist<br />
äußerst schwierig. Das vorliegende<br />
Buch schließt eine Lücke<br />
in der juristischen Literatur <strong>und</strong><br />
bietet Anwälten, Richtern, Beratern<br />
<strong>und</strong> Rechtsanwendern in<br />
Behörden, Verbänden <strong>und</strong> Gewerkschaften,<br />
aber auch Personalverantwortlichen<br />
<strong>und</strong> Betriebsräten<br />
einen Überblick<br />
über alle Aspekte des Mobbing,<br />
die im Rechtsstreit eine Rolle<br />
spielen. Zunächst vermittelt der<br />
Band gr<strong>und</strong>legende Kenntnisse<br />
etwa über Kennzeichen, Ursachen<br />
<strong>und</strong> Folgen von Mobbing,<br />
rechtsstaatlichen Handlungsbedarf<br />
oder Mobbing in der<br />
Rechtsentwicklung. Im zweiten<br />
Teil werden die Rechtsgr<strong>und</strong>lagen<br />
der Mobbingbekämpfung<br />
dargestellt, die Teile 3 <strong>und</strong> 4<br />
widmen sich den aktiven Maßnahmen<br />
des Mobbingrechtsschutzes<br />
im <strong>Arbeit</strong>sverhältnis<br />
<strong>und</strong> im Beamtenverhältnis; Teil<br />
5 schlileßlich betrachtet Berührungspunkte<br />
des Sozialrechts<br />
mit dem Mobbingrechtsschutz,<br />
etwa wenn Mobbing zu Berufskrankheit<br />
oder <strong>Arbeit</strong>slosigkeit<br />
führt, oder es zu Entschädi-<br />
gungsleistungen kommt. Im Anhang<br />
finden sich ergänzend<br />
aktuelle Urteile zum Thema<br />
Mobbing sowie eine ausführliches<br />
Literaturverzeichnis.<br />
(Red.)<br />
50 Jahre B<strong>und</strong>esarbeitsgericht.<br />
Hartmut Oetker, Ulrich<br />
Preis, Volker Rieble.<br />
Verlag C.H. Beck 2004. 1417<br />
Seiten Preis: 198. EUR.<br />
Im Mai 2004 feierte das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />
den 50. Jahrestag<br />
seiner Errichtung. Aus<br />
diesem Anlass haben sich 70<br />
Autoren zusammengef<strong>und</strong>en,<br />
um zu aktuellen Problemen des<br />
<strong>Arbeit</strong>srechts Stellung zu nehmen<br />
<strong>und</strong> hierbei auch den Beitrag<br />
des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />
<strong>für</strong> die Entwicklung der <strong>Arbeit</strong>srechtsordnung<br />
zu würdigen.<br />
Die in der Festschrift zusammengefassten<br />
Beiträge wurden<br />
von namhaften <strong>Arbeit</strong>srechtlern<br />
verfasst. Neben <strong>Arbeit</strong>srechtwissenschaftlern<br />
zählen insbesondere<br />
auch Vertreter der arbeitsrechtlichen<br />
Praxis zu den<br />
Autoren. Hierzu gehören nicht<br />
nur Repräsentanten der Fachanwaltschaft<br />
<strong>und</strong> der Verbände,<br />
sondern auch Unternehmensjuristen.<br />
Das Werk wendet sich an alle<br />
Interessierten, die sich mit arbeitsrechtlichenFragestellungen<br />
auseinandersetzen, insbesondere<br />
Personen aus der arbeitsrechtlichen<br />
Praxis. (Red.)<br />
Taschenlexikon mobil – dier<br />
<strong>Arbeit</strong>sschutz-Software <strong>für</strong><br />
Mobilcomputer Wegweiser<br />
Gefahrstoffe 7.0 – alle aktuellen<br />
Gr<strong>und</strong>daten <strong>und</strong> Einstufungen.<br />
Version 7.0. Universum<br />
Verlag Wiesbaden.<br />
Preis 36,50 EUR<br />
Mit dem Taschenlexikon mobil<br />
macht Universum das <strong>Arbeit</strong>sschutzwissen<br />
nun auch <strong>für</strong> mo-
ile Computer, so genannte<br />
PDAs oder Handhelds, zugänglich.<br />
Der in der Praxis bewährte<br />
Wegweiser Gefahrstoffe ist in<br />
der Version 7.0 auf CD-ROM<br />
erschienen. Alle Stoffangaben<br />
wurden auf ihre Aktualität<br />
geprüft <strong>und</strong> entsprechend neuer<br />
Regelungen ergänzt. Wichtige<br />
Aktualisierungen betraffen in<br />
dieser Ausgabe insbesonder die<br />
TRGS 900 <strong>und</strong> TRGS 905. Die<br />
Anwendung enthält somit wieder<br />
alle relevanten <strong>und</strong> aktuellen<br />
Informationen zu über 3800<br />
Gefahrstoffen, mehr als 5800<br />
Synonymen <strong>und</strong> deren Einstufungen.<br />
Die Gefahrstoffinformationen<br />
lassen sich schnell <strong>und</strong> komfortabel<br />
anzeigen, ausdrucken<br />
<strong>und</strong> bieten die Vorraussetzung<br />
<strong>für</strong> den sicheren Umgang mit<br />
Gefahrstoffen, die Festlegung<br />
technischer <strong>und</strong> persönlicher<br />
Schutzmaßnahmen, die Genehmigung<br />
von Anlagen, den<br />
Brand- <strong>und</strong> Explosionsschutz,<br />
den Gewässerschutz <strong>und</strong> die <strong>Arbeit</strong>splatz-Konzentrationsmessungen.<br />
NEWS & SERVICE<br />
Zu jedem Stoff werden unter<br />
anderm die R- <strong>und</strong> S-Sätze, Gefahrensymbole<br />
sowie Hinweise<br />
auf MAK, TRK <strong>und</strong> BAT angezeigt.<br />
Außerdem enthalten sind<br />
die aktuellen Luftgrezwerte (TA<br />
Luft) Aggregatzustände, Wasserlöslichkeiten,<br />
Angaben zur Entzündlichkeit<br />
<strong>und</strong> EWG-Nummern.<br />
Die CD-ROM erlaubt<br />
eine komfortable Suche der<br />
Stoffe sowohl über die Stoffbezeichnung/Synonym<br />
als auch<br />
über die CAS-, Index-, UN- oder<br />
EWG-Nummer. (Red.) ■<br />
�� Neues Veröffentlichungsorgan <strong>für</strong> Informationen aus dem <strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale Sicherung<br />
Mit der Neuorganisation der B<strong>und</strong>esministerien hat das<br />
<strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziale<br />
Sicherung das „Gemeinsame Ministerialblatt“ als<br />
künftiges Veröffentlichungsorgan ausgewählt. Wenn Sie<br />
künftig an Informationen aus dem Bereich des BMGS<br />
interessiert sind, können sie diese Publikation beim<br />
Carl-Heymanns-Verlag <strong>für</strong> jährlich 29 Euro bestellen.<br />
Adresse:<br />
Carl Heymanns Verlag<br />
Luxemburger Straße 449<br />
50939 Köln<br />
Tel: 02 21-9 43 73-0<br />
Fax: 02 21-9 43 73-90<br />
www.carl-heymanns-verlag.de<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
29
NEWS & SERVICE<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong><br />
Herausgeber<br />
<strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
(BMWA), Scharnhorststraße 34-37, 10115 Berlin<br />
Internet: http://www.bmwa.b<strong>und</strong>.de<br />
V.i.S.d.P.<br />
Susanne Gasde<br />
<strong>B<strong>und</strong>esministerium</strong> <strong>für</strong> Wirtschaft <strong>und</strong> <strong>Arbeit</strong><br />
(BMWA), 11019 Berlin<br />
Redaktion<br />
Heike Helfer (Leitung), Thomas Gitt<br />
BMWA, 11019 Berlin<br />
<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong>@bmwa.b<strong>und</strong>.de<br />
Autoren <strong>und</strong> Mitarbeiter dieser Ausgabe<br />
Silke Gülker, Projektleiterin beim Institut <strong>für</strong> Organisationskommunikation,<br />
Alexander Kritikos, Europa-<br />
Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, Frank Wießner,<br />
Institut <strong>für</strong> <strong>Arbeit</strong>smarkt <strong>und</strong> Berufsforschung, Nürnberg<br />
Verlag<br />
W. Kohlhammer GmbH, 70549 Stuttgart,<br />
Telefon (0711) 7863-7299, Telefax (0711) 7863-8434,<br />
Internet: http://www.<strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong>.de<br />
Satzherstellung / Druck<br />
SZ Offsetdruck-Verlag,<br />
Herbert W. Schallowetz GmbH, Sankt Augustin<br />
Grafiken<br />
IFOK, IAB<br />
Bezug<br />
Das B<strong>und</strong>esarbeitsblatt erscheint monatlich.<br />
Das Jahresabonnement kostet 2004 EUR 114,30<br />
(zzgl. Versandkosten EUR 6,15);<br />
das Einzelheft EUR 12,60 zzgl. Versandkosten.<br />
Die angegebenen Preise enthalten<br />
die z.Z. geltende Mehrwertsteuer.<br />
Bestellungen <strong>und</strong> Abbestellungen (sechs Wochen vor<br />
Jahresende) sind an den Verlag zu richten.<br />
Die Zeitschrift kann auch<br />
über den Buchhandel bezogen werden.<br />
Anzeigenmarketing<br />
Verlag W. Kohlhammer GmbH, 70549 Stuttgart,<br />
Telefon (0711) 7863-7260, Telefax (0711) 7863-8393<br />
30 <strong>b<strong>und</strong>esarbeitsblatt</strong> 6-2004<br />
Kohlhammer<br />
Lauterbach<br />
Unfallversicherung –<br />
Sozialgesetzbuch VII<br />
4. völlig neu bearbeitete Auflage<br />
Loseblattausgabe<br />
Ca. 4.652 Seiten, incl. 3 Ordner. 1 170,–<br />
ISBN 3-17-018010-X<br />
Kohlhammer Kommentare<br />
In langjähriger Kommentierungspraxis hat sich<br />
das Werk zum großen Spezialkommentar <strong>für</strong> die<br />
gesetzliche Unfallversicherung unter Einbeziehung<br />
aller relevanten Nebenvorschriften entwickelt.<br />
Das ständig aktualisierte Werk wird so<br />
den Ansprüchen von Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis<br />
gerecht. Aktuelle Informationen <strong>und</strong> eine ausgewogene<br />
Rechtsinterpretation haben dem<br />
Werk das Ansehen eines Standard-Kommentars<br />
verliehen. Die hochkarätigen Verfasser stammen<br />
aus der gesetzlichen Unfallversicherung <strong>und</strong><br />
verfügen über langjährige Erfahrung, die auf<br />
diese Weise dem Benutzer zugute kommt.<br />
Begründet von Dr. Herbert Lauterbach (†) <strong>und</strong><br />
Dr. Friedrich Watermann.<br />
Fortgeführt von Dr. Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer<br />
des Hauptverbandes der gewerblichen<br />
Berufsgenossenschaften (Herausgeber)<br />
<strong>und</strong> Mitgliedern aus dem Kreis der Versicherungsträger<br />
<strong>und</strong> ihrer Verbände.<br />
www.kohlhammer.de<br />
W. Kohlhammer GmbH · 70549 Stuttgart