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Vorwort - schule.at

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<strong>Vorwort</strong><br />

Die vorliegende Arbeit ist das Result<strong>at</strong> meiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Frage, wie<br />

verschieden die Stellung der Frau, je nach sozial-kulturellem und politischem Umfeld, sein kann.<br />

Es fällt auf, dass es nicht nur Unterschiede zwischen Kulturen gibt, sondern, dass auch innerhalb<br />

eines Kulturkreises das Rollenbild der Frau unterschiedlich bewertet wird. So zeigt sich allgemein,<br />

dass politische, soziale und kulturelle Entwicklungen auch in der Gesellschaft Auswirkungen<br />

haben. Diese gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich auch in meiner Familie. Meine Oma<br />

entspricht dem Bild der Hausfrau in den 50er-Jahren und meine Mutter versucht im Sinne der<br />

Forderungen in den 80er und 90er Jahren den Spag<strong>at</strong> zwischen Karriere und Mutterrolle zu<br />

schaffen. Für meine Gener<strong>at</strong>ion wird sich die Frage stellen, ob es wieder ein Revival des<br />

„Hausmütterchen-Images“ geben wird oder es in Richtung „Karriere mit Kind“ gehen wird.<br />

Während der letzten Jahrzehnte ist das Frauenbild in unserer westlichen Gesellschaft stark im<br />

Wandel. Weibliche Selbstentfaltung mit und ohne weibliche Berufstätigkeit versus Mutterrolle im<br />

traditionellen Sinne steht im Brennpunkt der Diskussionen. An Feiertagen wie Muttertag zeigt sich,<br />

wie verschieden die Zugänge zu diesem Thema sind. 1<br />

Meine Fachbereichsarbeit soll aufzeigen, dass sich auch in der antiken Gesellschaft das Rollenbild<br />

der Frau verändert h<strong>at</strong>. Ein weiterer Motiv<strong>at</strong>ionsgrund für das Verfassen einer Fachbereichsarbeit<br />

war, dass ich Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeiten sammeln wollte. In meiner gesamten<br />

Schulzeit war ich stets bemüht Refer<strong>at</strong>e und Präsent<strong>at</strong>ionen sorgfältig vorzubereiten. Nun konnte<br />

ich mit meiner Fachbereichsarbeit ein für mich interessantes Thema umfangreicher als bisher<br />

bearbeiten. Zudem durfte ich in Hinblick auf mein Studium bereits in Quellensuche,<br />

Inform<strong>at</strong>ionsverarbeitung und Zitieren Einblicke gewinnen. So kann ich, wie ich hoffe, mit meiner<br />

Fachbereichsarbeit mein Können unter Beweis stellen.<br />

Worte des Dankes möchte ich drei Personen aussprechen:<br />

Zum einen Herrn Mag. Martin Wöber, meinem L<strong>at</strong>einprofessor, der mich zu dieser<br />

Fachbereichsarbeit ermutigte, mir nötige Fachliter<strong>at</strong>ur zur Verfügung stellte und mir kompetente<br />

Hilfestellungen gab.<br />

Zum anderen Frau Dr. Petra Buchner, die mir im unverbindlichen Freifach „Einführung ins<br />

wissenschaftliche Arbeiten“ vor allem die Zitierregeln näher brachte.<br />

Zum dritten Frau Mag. Sonja Wiesinger, die mir mit Sachkenntnis und Geduld zur Seite stand.<br />

Ganz besonders danke ich ihr für viele persönliche und intensive Fachgespräche, durch die ich<br />

immer bestärkt wurde meinen Weg der Fachbereichsarbeit zu gehen.<br />

Dominique Alexandra Lackner, am 20. Februar 2008<br />

1 Gedanken zu diesem Thema finden sich bei:<br />

Müller, Daniela; „Fest der gemischten Gefühle“, Salzburger Nachrichten, S. V, Samstag, 12.Mai 2007<br />

Radisch, Iris; „Wie wollen wir leben?“. Interview in Buchjournal Sommer 2007; S. 12ff.<br />

Hechm<strong>at</strong>i, Jackie; „Schwestern, vereinigt euch!“; Woman Nr.10; 11.5.2007, S. 36


Römische Frauen im Lauf der Jahrhunderte<br />

anhand von ausgewählten Beispielen<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung .......................................................................................................................................3<br />

1. Rechtliche Stellung der Frau im historischen Abriss ........................................................5<br />

2. Die römische Frau in der Frühzeit ......................................................................................9<br />

a. Das Ideal der römischen M<strong>at</strong>rone ...................................................................................9<br />

b. Lucretia bei Livius I, 57,5-58,11.....................................................................................12<br />

c. Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes......................................................................17<br />

3. Frauen in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit.........................................21<br />

a. Geliebte in der Dichtung.................................................................................................22<br />

b. C<strong>at</strong>ull und seine Lesbia...................................................................................................23<br />

c. Ovid, der Dichter der „Frau von Welt“ ........................................................................26<br />

4. Familie in der späten Kaiserzeit bis zur Spätantike.........................................................30<br />

a. Formen der Ehe und des Zusammenlebens..................................................................31<br />

b. Plinius und seine Calpurnia, die ideale Ehefrau ..........................................................32<br />

5. Zusammenfassendes Schlusswort ......................................................................................36<br />

Liter<strong>at</strong>ur- und Quellenverzeichnis ............................................................................................37<br />

Abbildungsverzeichnis................................................................................................................40<br />

2


Einleitung<br />

„Auch die Geschichte der römischen Frau ist die Geschichte einer allmählichen<br />

Emanzip<strong>at</strong>ion.“ 2 In der Antike bedeutet das jedoch nur, dass sich die römische Frau im priv<strong>at</strong>rechtlichen<br />

Bereich zum Teil große Freiräume erschlossen h<strong>at</strong>. Juristisch gesehen ist sie aber<br />

bis in die Spätantike dem Mann nicht gleichgestellt. Auch in der Politik h<strong>at</strong>te sie keinerlei<br />

Mitspracherecht, sie konnte kein öffentliches Amt bekleiden und nicht wählen. Ihr Bereich als<br />

domina war das Haus. Weiters muss dazu gesagt werden, dass der Grad der Emanzip<strong>at</strong>ion<br />

sowohl in der Antike als auch in der jetzigen Gesellschaft von der Schichtzugehörigkeit<br />

abhängig ist. Die meisten Überlieferungen betreffen angesehene Frauen. Die große Masse der<br />

Römerinnen, die Fremden oder die Sklavinnen, wurden von den Geschichtsschreibern einfach<br />

vergessen. An ihnen wäre aber die Stellung der Frau in der Gesellschaft am besten zu<br />

erforschen, da einige wenige herausragende Persönlichkeiten niemals das ganze Spektrum<br />

einer Gesellschaft abdecken können. So gelten die meisten Aussagen der folgenden Seiten vor<br />

allem für die Frauen aus besseren Kreisen. Beim Lesen der Texte muss man auch<br />

berücksichtigen, dass sie von Männern geschrieben worden sind. 3<br />

Spätere Geschichtsschreiber und Biographen zeigen sich durchaus häufig von den<br />

Persönlichkeiten und T<strong>at</strong>en berühmter Frauen fasziniert. Doch dieser Bewertung liegen ihre<br />

Idealvorstellung von wahrer Weiblichkeit zugrunde. 4<br />

Gesicherte Erkenntnisse besitzen wir lediglich über die Frauen, die Einfluss zu gewinnen<br />

wussten und für die Männer von höchstem Interesse waren. Am meisten jedoch wissen wir<br />

über Prostituierte und über Frauen, die in der Politik eine Rolle spielten, Bescheid. „Eine<br />

„gute“ Frau in Rom wurde meist mit stereotypen, phrasenhaften Lobpreisungen bedacht – in<br />

Athen wurde sie gar schlicht vergessen.“ 5<br />

Nun möchte ich auch auf den gerade in unserer heutigen Zeit so viel verwendeten Begriff<br />

„Emanzip<strong>at</strong>ion“ zu sprechen kommen. In der Antike bedeutet Emanzip<strong>at</strong>ion (l<strong>at</strong>. emancip<strong>at</strong>io,<br />

-onis f.): Entlassung eines Kindes aus der väterlichen Gewalt. Emanzip<strong>at</strong>ion im heutigen<br />

Sprachgebrauch bedeutet: die Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit, Entrechtung<br />

oder Unterdrückung, besonders die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung<br />

benachteiligter Gruppen. Im Besonderen meint es, dass sich Frauen aus männlicher<br />

2 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.); Römische Frauen, Ausgewählte Texte, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, Stuttgart:<br />

Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 2001, S. 11-15<br />

³ vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: “Almost all inform<strong>at</strong>ion about women in antiquity comes to<br />

us from male sources. Much recent work on women in antiquity looks not <strong>at</strong> ‘the position of women’ but<br />

<strong>at</strong> the cre<strong>at</strong>ion of the concept ‘women’…. while seeing women as physically and mentally falling short of<br />

the ideal which is the adult male citizen.”<br />

4 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1985, S. X-XIII<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.); Römische Frauen, Ausgewählte Texte, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, S. 13<br />

5 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 359f.<br />

3


Abhängigkeit befreien. Die Erweiterung im Inhalt des Begriffes muss bei der Verwendung<br />

mitbedacht werden. Bei der Lektüre der Fachliter<strong>at</strong>ur stieß ich immer wieder darauf, dass auf<br />

die Einschränkung des Begriffes „Emanzip<strong>at</strong>ion“ aufmerksam gemacht wird. „Inwieweit<br />

t<strong>at</strong>sächlich von einer Emanzip<strong>at</strong>ion gesprochen werden kann, ist in der wissenschaftlichen<br />

Liter<strong>at</strong>ur umstritten“. 6 So möchte ich abschließend festhalten, dass ich den Begriff<br />

„Emanzip<strong>at</strong>ion“ in Anlehnung an die Fachliter<strong>at</strong>ur verwende. Der Leser möge sich aber des<br />

Bedeutungswandels des Begriffes bewusst sein: „Emanzip<strong>at</strong>ion“ der römischen Frau bedeutet<br />

daher keine Änderung ihres rechtlichen St<strong>at</strong>us, sondern mehr Rechte im priv<strong>at</strong>en<br />

Alltagsleben.<br />

Mit meiner Fachbereichsarbeit kann ich dem Leser nur einen ersten Einblick in die Stellung<br />

der Frau in der römischen Gesellschaft verschaffen. Ans<strong>at</strong>zweise wollte ich die vielen<br />

Gesichtspunkte des Frauenlebens aufzeigen. So stellt diese Arbeit einen Einstieg in das<br />

Thema dar und soll Neugierde und Interesse für dieses facettenreiche Thema erwecken. Das<br />

Liter<strong>at</strong>urverzeichnis bietet Möglichkeiten sich in die einzelnen Aspekte über die römischen<br />

Frauen zu vertiefen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch darauf hinweisen, dass ich in<br />

meiner Arbeit die römische Frau in der Arbeitswelt und im Kult nicht berücksichtige.<br />

In meiner Fachbereichsarbeit zeige ich in chronologischer Reihenfolge anhand von<br />

ausgewählten Texten Rollenverteilungen an die römische Frau und die Bandbreite weiblichen<br />

Verhaltens. Die Texte und Übersetzungen wurden von den in den Fußnoten angegebenen<br />

Herausgebern der Primärliter<strong>at</strong>ur übernommen. Zugleich stelle ich eigene Gedanken und<br />

Interpret<strong>at</strong>ionsansätze in der Fachliter<strong>at</strong>ur ausgehend von diesen Texten dar.<br />

6 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 11, Anm. 1<br />

vgl. Brockhaus. Die Enzyklopädie, S. 334<br />

vgl. Österreichisches Wörterbuch, S. 194<br />

vgl. Der kleine Pauly, Bd.2, S. 255: „emancip<strong>at</strong>io wurde nach den Zwölftafelgesetzen eingeführt und<br />

bedeutet die Entlassung aus der väterlichen Gewalt. Dies geschah bei Haussöhnen durch dreimaligen<br />

Verkauf (mancip<strong>at</strong>io) an einen Vertrauensmann. Bei Töchtern und Enkeln genügte die einmalige<br />

mancip<strong>at</strong>io.”<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 522: “emancip<strong>at</strong>ion of this sort is the release of a son or<br />

daughter from p<strong>at</strong>ria potestas by a voluntary renunci<strong>at</strong>ion by the p<strong>at</strong>er familias.”<br />

4


1. Rechtliche Stellung der Frau im historischen Abriss<br />

Wie bereits in der Einleitung erläutert, ist die rechtliche Stellung der Frau in der Antike mit<br />

der in unserer heutigen Gesellschaft nicht vergleichbar. Der wesentliche Unterschied ist, dass<br />

die Frau als Rechtsperson dem Mann nicht gleichgestellt war. 7 Die Frau h<strong>at</strong>te zudem keine<br />

politischen Rechte und war von der Erfüllung politischer Aufgaben ausgeschlossen.<br />

Begründet wurde diese rechtliche Minderstellung mit levitas animi und infirmitas sexus<br />

(Schwäche und Leichtsinn des weiblichen Geschlechts).<br />

In der römischen Frühzeit besaß das Familienoberhaupt, der p<strong>at</strong>er familias, die<br />

uneingeschränkte Macht über alle Mitglieder der Familie: Frau, Söhne, Töchter,<br />

Schwiegertöchter, Kinder der Söhne, Sklaven und Sklavinnen. Diese uneingeschränkte Macht<br />

bezog sich nicht nur auf alle Rechtsgeschäfte und das gesamte Vermögen, sondern auch auf<br />

das Recht, über Leben und Tod (ius vitae necisque) jedes einzelnen Mitgliedes dieses<br />

Familienverbandes zu entscheiden. Auf Grund der Rechtslage h<strong>at</strong>te die Frau nicht denselben<br />

Wert wie der Mann. In den Zwölftafelgesetzen stand u.a., dass ein V<strong>at</strong>er verpflichtet war alle<br />

seine Söhne aufzuziehen, nicht jedoch alle seine Töchter. Dies h<strong>at</strong>te zur Folge, dass es über<br />

das biologische Verhältnis hinaus mehr Männer als Frauen gab. Zuweilen bekamen auch<br />

Frauen weniger zu essen als Männer. Hauptaufgabe der Frau war es legitime<br />

Nachkommenschaft zu gebären. Weibliche Sexualität wurde daher kontrolliert. 8<br />

Die römische Gesellschaft gründete sich auf die Familie. „Domus und familia sind die<br />

zentralen Begriffe. Die Bezeichnung des Wohnhauses, domus, umfasste auch die Familie, die<br />

darin wohnte.“ 9 Unter diesem gemeinsamen Dach lebt die soziale Einheit familia unter der<br />

Gewalt des ältesten männlichen Familienmitglieds, die erst mit dessen Tod erlosch.<br />

Die Ehe diente häufig der politischen Verbindung zwischen zwei mächtigen Familien. Mit ca.<br />

13 Jahren wurden die jungen Mädchen bereits verheir<strong>at</strong>et. Eine Heir<strong>at</strong> beruhte in der<br />

römischen Oberschicht nur in den seltensten Fällen auf einer Liebesbeziehung.<br />

Sie wurde in der Regel von den Vätern oder einem männlichen Verwandten der Partner<br />

ausgehandelt. Dementsprechend distanziert war wohl auch das Verhältnis der Eheleute<br />

7 vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: ancient women lacked political rights<br />

vgl. Krefeld, Heinrich; Res Romanae, Cornelsen Hirschgraben, Bielefeld: Cornelsen<br />

Verlagsgesellschaft, 16. Auflage, 1998; S. 22<br />

vgl. Scheer, Rudolf, Römische Kulturkunde, Wien: Franz Deuticke, 4.Auflage, 1988; S. 34f.<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: “ancient women lacked political rights<br />

8 The Oxford Classical Dictionary, p. 1623: for all women, their main role was as bearers of legitim<strong>at</strong>e<br />

children. Women must be tamed, instructed, and w<strong>at</strong>ched.”<br />

9 Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der<br />

Familie. Band1 Altertum, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996, S. 277<br />

5


zueinander. 10 Der Ehe ging eine Verlobung voraus. Bei dieser Zeremonie (sponsalia) h<strong>at</strong>ten<br />

die Väter die Aufgabe vor Zeugen ihre Kinder einander zu versprechen.<br />

Es gab 3 Arten der römischen Eheschließung:<br />

1.) Die confarre<strong>at</strong>io (benannt nach dem Opferbrot - farreum), bei der die Eheg<strong>at</strong>ten in<br />

feierlicher Form einen Speltkuchen darbrachten, war eine sakrale Handlung in Gegenwart des<br />

pontifex maximus und des flamen dialis, des Priesters des obersten Gottes und 10 Zeugen.<br />

Diese aufwändige Zeremonie in der Gegenwart wichtiger Priester sollte primär dem Akt der<br />

Eheschließung und dem Treuegelöbnis Gewicht verleihen, sie bewirkte aber auch den<br />

Übertritt in die manus des Ehemannes. Die confarre<strong>at</strong>io wurde hauptsächlich von reichen<br />

und traditionsbewussten Familien gepflegt.<br />

2.) Die coemptio war ein fiktiver Verkauf. Dabei handelte es sich um einen regelmäßigen<br />

Vorgang zum Erwerb der manus. Der p<strong>at</strong>er familias tr<strong>at</strong> seine Tochter in einem Libralakt vor<br />

Zeugen und um einen symbolischen Kaufpreis an den Ehemann ab. Die Formel ubi tu Gaius,<br />

ego Gaia (wo du Gaius bist, bin ich Gaia), die dabei gesprochen wurde, bewahrte die Frau<br />

davor, in einen sklavenähnlichen Rechtsst<strong>at</strong>us zu kommen.<br />

3.) Der usus, brachte durch einjähriges Zusammenleben dieselben Rechtsfolgen (wie bei 2.)<br />

hervor. 11<br />

Als m<strong>at</strong>er familias h<strong>at</strong>te die Römerin eine angesehene Stellung in der Gesellschaft. Der<br />

römischen Frau oblagen wichtige Aufgaben: sie führte den Haushalt, beaufsichtigte die<br />

Haussklaven, erzog die Kinder und kümmerte sich zusammen mit ihrem Ehemann um den<br />

Kult der häuslichen Götter. Wenn die römische Frau auch in der Regel mehr Zeit im Hause<br />

als der Ehemann verbrachte, war ihr Leben doch bei weitem nicht so eingeschränkt wie das<br />

der griechischen Frau, die das Haus nur selten verließ. Die Römerin besuchte<br />

The<strong>at</strong>ervorstellungen, Gladi<strong>at</strong>orenkämpfe und Circusspiele, machte Einkaufsbummel und<br />

Besuche bei Freunden und Bekannten.<br />

Starb der p<strong>at</strong>er familias, wurden die Frau und die Kinder zu Personen „eigenen Rechts“ (sui<br />

iuris) und durften damit zwar eigene Testamente abfassen, brauchten jedoch für ihr sonstiges<br />

Rechtshandeln weiterhin einen Vormund (tutor). 12<br />

Heir<strong>at</strong>ete eine Tochter - die Zustimmung des p<strong>at</strong>er familias war ursprünglich dafür<br />

unabdingbar - so blieb sie entweder weiter unter der potestas des V<strong>at</strong>ers oder wurde der<br />

10 vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel,<br />

Lehrplan 2004, Wien: Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung, 2005, S. 48f.<br />

11 vgl. Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit. Stuttgart 1977, 2. verbesserte Auflage<br />

1979 (Titel der inzwischen mehrfach überarbeiteten und erweiterten Originalausgabe: La Vie<br />

quotidienne à Rome à l' apogée de l' Empire. Paris 1939), S. 123ff<br />

vgl. Scheer, Rudolf; Römische Kulturkunde; S. 34f.<br />

12 vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 11ff<br />

Diese Arten der Eheformen beschreibt zusammenfassend der Jurist Gaius, Institutiones I, 109-113<br />

6


Gewalt ihres Ehemannes (oder Schwiegerv<strong>at</strong>ers) unterstellt. Im ersten Fall wurde die Ehe sine<br />

manu, im zweiten cum manu geschlossen. Auch das Vermögen der Frau, aus Erbschaften und<br />

Schenkungen, fiel bei der manus-Ehe an den G<strong>at</strong>ten. „Sicherlich war dieser ökonomische<br />

Aspekt auch ein Grund dafür, warum diese Rechtsform im Laufe der Zeit an Beliebtheit<br />

verlor.“ 13 Bei der Ehe mit manus schied die Braut aus der väterlichen Gewalt (p<strong>at</strong>ria potestas)<br />

aus und begab sich st<strong>at</strong>tdessen in die „Hand“ (manus) des G<strong>at</strong>ten. Entsprechend stark war ihre<br />

Abhängigkeit in einer solchen Beziehung. Bis zum Ende der Republik setzte sich deshalb<br />

zunehmend die manus-freie Ehe durch, bei der die Frau nicht in die Familie des Mannes<br />

eintr<strong>at</strong>, sondern ihren Familiennamen behielt und auch im Besitz ihres Vermögens blieb. Bei<br />

schlechter Behandlung durch ihren Mann konnte sich die Frau an ihre männlichen<br />

Verwandten um Hilfe wenden. In der Kaiserzeit war die manus-freie Ehe der Normalfall. 14<br />

Mit dem Rückgang der manus-Ehe seit dem Ende des 3. Jhdt.v. Chr. verbesserte sich auch die<br />

priv<strong>at</strong>rechtliche Stellung der Frau. In der manus-freien Ehe blieb die Frau, bis sie 25 Jahre alt<br />

war, unter der Gewalt ihres V<strong>at</strong>ers und unterstand danach nur noch formal einem tutor. Ab<br />

der späten Republik erhält die Frau volle Verfügungsgewalt über das von ihr in die Ehe<br />

eingebrachte Vermögen. „Die Ehe ist zu einer Beziehung auf Zeit“ 15 geworden.<br />

Sie konnte nun selbst die Scheidung einreichen und über ihr eigenes Vermögen selbstständig<br />

verfügen. So erweiterten sich, zumal im Zuge einer allgemeinen, durch hellenistisches<br />

Denken beeinflussten Liberalisierung der Gesellschaft, auch die Möglichkeiten ihrer<br />

Lebensgestaltung erheblich. Ab dem Ende der Republik im 1. Jhdt.v. Chr. und mit Beginn der<br />

frühen Kaiserzeit ist die Frau damit so weit „emanzipiert“, dass sie überall am römischen<br />

Gesellschaftsleben teilnehmen kann. In der Fachliter<strong>at</strong>ur wird aber vor allzu großer<br />

Begeisterung über die Erweiterung der Möglichkeiten der Frau gewarnt. „Die Gewalt h<strong>at</strong> sich<br />

nicht gelockert, … die Frauen werden nun gleichsam in Umlauf gebracht, sie bleiben dabei<br />

aber an das V<strong>at</strong>erhaus gebunden“. 16<br />

Scheidungen wurden mit wenig Aufheben durchgeführt. Frauen wurden gewissermaßen an<br />

andere Männer weitergegeben, um legitimen Nachwuchs in den aristokr<strong>at</strong>ischen Familien zu<br />

sichern. 17<br />

13<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12<br />

14<br />

vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 46<br />

15<br />

Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der<br />

Familie. Band1 Altertum, S. 289<br />

16<br />

Burguière, André, Klapisch Geschichte der Familie. Band1 S. 289<br />

vgl. Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und<br />

weibliche Lebenspraxis, Stuttgart: Verlag J.B. Metzler, Sonderausgabe, 2006, S. 32ff<br />

17<br />

Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise; Geschichte der<br />

Familie. Band1 Altertum, S. 289-320<br />

7


Von einem gewissen Liberalisierungsprozess kann man jedoch sprechen. In augusteischer<br />

Zeit bildet sich nämlich das „reaktionäre“ Ideal der gesitteten häuslichen M<strong>at</strong>rone heraus,<br />

„was nur Sinn macht, wenn man es als Gegenentwurf zur gelebten Realität begreift.“ 18 War<br />

die Ehe eigentlich als eine lebenslange Verbindung beider Partner ausgelegt, so kam es in der<br />

Praxis häufig zu Scheidungen, was bei der pragm<strong>at</strong>ischen Grundstruktur der meisten<br />

Verbindungen nicht verwunderlich erscheint. Eine Ehe konnte in beiderseitigem<br />

Einverständnis oder durch einseitige Willenserklärung eines Partners geschieden werden.<br />

Eine Begründung war formal ebenso wenig erforderlich wie die Einschaltung einer<br />

sta<strong>at</strong>lichen oder juristischen Instanz. Die traditionelle Formel einer einseitig gewollten<br />

Scheidung war tuas res tibi habeto (habe deine Sachen für dich) oder tuas res tibi agito<br />

(kümmere dich um deine Dinge). Bei einer Scheidung war der Mann verpflichtet, der Frau<br />

ihre Mitgift (dos) zurückzuerst<strong>at</strong>ten, außer er konnte seiner G<strong>at</strong>tin einen Ehebruch<br />

nachweisen. Von der römischen Ehefrau verlangte die Gesellschaft absolute moralische<br />

Untadeligkeit, während Männer diesen Anspruch nicht erfüllen mussten und ihnen im Falle<br />

einer Scheidung wegen eines Ehebruchs keine finanziellen Nachteile erwuchsen. 19<br />

In der Kaiserzeit verlor die Ehe an Reiz, und man musste Maßnahmen zu ihrer Förderung<br />

ergreifen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das ius trium liberorum zu nennen.<br />

Dieses „Drei-Kinder-Recht“ wurde ab Kaiser Augustus verliehen, um der sinkenden<br />

Geburtenr<strong>at</strong>e entgegenzuwirken. Für die Frauen bedeutete dieses Recht Befreiung von einigen<br />

Beschränkungen durch die Vormundschaft, für Männer Bevorzugung bei Ämtervergabe und<br />

Befreiung von gewissen Steuern. 20 Erst durch diese unter Kaiser Augustus erlassene lex Iulia<br />

et Papia konnten freigeborene Frauen, die drei oder vier Kinder geboren h<strong>at</strong>ten und die<br />

Personen „eigenen Rechts“ (sui iuris) waren, auf einen Vormund verzichten. 21<br />

Die zunehmende „Emanzip<strong>at</strong>ion“ zeigt sich auch an der - zwar nicht direkten - doch im<br />

Hintergrund gemachten politischen Einflussnahme. Einige schossen auch über das Ziel hinaus<br />

und eiferten den Männern auch in Verbrechen und Unsitten nach. Die Ehefrauen der Kaiser<br />

stellen hierbei die am besten untersuchte Gruppe dar. Die Kaiserzeit machte auch keine<br />

Ausnahmen in der allgemeinen juristischen Rechtslage für Frauen, zumindest offiziell;<br />

inoffiziell übten vor allem die Kaiserg<strong>at</strong>tinnen jedoch großen Einfluss auf die Tagespolitik<br />

aus. 22<br />

18 Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12-13<br />

19 vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 61<br />

20 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 235 und 314<br />

21 vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 40<br />

22 vgl. Scheer, Rudolf, Römische Kulturkunde, S. 34<br />

8


2. Die römische Frau in der Frühzeit<br />

In der Frühzeit h<strong>at</strong>te die römische Frau - wie die griechische - im öffentlichen Leben keinen<br />

Pl<strong>at</strong>z, denn politische Rechte und die Erfüllung politischer Aufgaben lagen beim Mann.<br />

Heldent<strong>at</strong>en stammten aus der Sagenzeit und galten als Ausnahme. Im priv<strong>at</strong>en Bereich<br />

hingegen besaß die römische Frau mehr Bewegungsfreiheit. Sie nahm Anteil an Liter<strong>at</strong>ur,<br />

Kunst und Wissenschaft und besaß oft einen hohen Bildungsgrad.<br />

Die junge Römerin wurde oft mit 12-14 Jahren verheir<strong>at</strong>et und trachtete danach als m<strong>at</strong>er<br />

familias zahlreiche Söhne auf die Welt zu bringen. Einfachheit, Sparsamkeit, Fleiß und<br />

Frömmigkeit, sowie Fürsorge für Kinder und Verwaltung des Hauswesens waren die<br />

Eigenschaften, die von der römischen Frau – aus der männlichen Sicht - in der Frühzeit<br />

erwartet wurden. Dazu kam als spezifisch weibliche Tugend die Keuschheit pudicitia, die auf<br />

weiblicher Seite der virtus des Mannes entsprach. Besonders muss weiters die Arbeit am<br />

Webstuhl, lanificium, als Stereotype für die römische Frau genannt werden. Im Wort<br />

lanificium steckt lana (Wolle) und facio (machen). Neben lanificium wird auch der Begriff<br />

dedita lanae (der Wollarbeit ergeben; bedacht auf Wollarbeit; mit Wollarbeit eifrig<br />

beschäftigt) verwendet. In allen bäuerlichen Gesellschaften sind Tätigkeiten, wie Wolle zu<br />

spinnen, Stoffe zu weben und Kleidung für die Familie zu nähen, Frauenarbeit. Dies galt als<br />

sehr ehrenwerte Tätigkeit selbst in vornehmen Kreisen, doch viele Frauen zogen es vor,<br />

fertige Stoffe zu kaufen oder die Kleiderfertigung Sklavinnen zu überlassen. Die Wollarbeit<br />

wird neben der praktischen Notwendigkeit „sozusagen der Inbegriff von Keuschheit<br />

(castitas).“ 23 Als weitere besondere Tugend galt es eine univira zu bleiben. 24 Viele<br />

Grabinschriften zeigen diese Ideale einer römischen M<strong>at</strong>rone.<br />

a. Das Ideal der römischen M<strong>at</strong>rone<br />

Um die obigen Ausführungen mit Texten zu belegen, habe ich drei Grabinschriften<br />

ausgewählt, die das Idealbild einer verheir<strong>at</strong>eten Frau, zeigen.<br />

I) Hospes, quod deico, paullum est; asta ac pellege:<br />

Heic es sepulcrum hau pulchrum pulcrai feminae.<br />

Nomen parentes nominarunt Claudiam.<br />

Suom mareitum corde deilexit souo.<br />

Gn<strong>at</strong>os duos creavit. Horunc alterum<br />

in terra linquit, alium sub terra loc<strong>at</strong>.<br />

23<br />

Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); L<strong>at</strong>ein-Lektüre aktiv: Livius; öbv&hpt; Wien;<br />

2002, S. 45<br />

24<br />

vgl. Krefeld, Heinrich, Res Romanae, Cornelsen Hirschgraben, Bielefeld: Cornelsen<br />

Verlagsgesellschaft, 16. Auflage, 1998, S. 22<br />

9


Sermone lepido, tum autem incessu commodo.<br />

Domum servavit, lanam fecit. Dixi, abei.<br />

Corpus Inscriptionum L<strong>at</strong>inarum (CIL)<br />

VI 15346<br />

Fremdling, was ich sage, ist kurz; bleib stehen und lies:<br />

Hier ist das nicht schöne Grab einer schönen Frau.<br />

Mit Namen nannten die Eltern sie Claudia.<br />

Ihren G<strong>at</strong>ten h<strong>at</strong> sie von ganzem Herzen geliebt.<br />

Zwei Kinder brachte sie zur Welt: eines von beiden<br />

lässt sie auf Erden zurück, eines unter der Erde beigesetzt.<br />

Ihre Rede war anmutig, ihr Gang indes gefällig.<br />

Sie hütete das Haus, spann Wolle. Ich bin zu Ende, geh! 25<br />

Claudia, der diese Grabinschrift gewidmet ist, entspricht dem Ideal einer römischen Frau: sie<br />

h<strong>at</strong> Kinder geboren, sie führte den Haushalt und spann Wolle.<br />

II) Incomparabilis coniux, m<strong>at</strong>er bona, avia piissima, pudica,<br />

religiosa, laboriosa, frugi, efficaxs, vigilans, sollicita, univira,<br />

unicuba, [t]otius industriae et fidei m<strong>at</strong>rona.<br />

Inscriptiones L<strong>at</strong>inae selectae (DE) 8444<br />

(Thelepete, Numidien)<br />

(Sie war) eine unvergleichliche G<strong>at</strong>tin, gute Mutter, überaus<br />

liebevolle Großmutter, züchtig, fromm, fleißig, brav,<br />

energisch, wachsam, besorgt; sie war nur einmal verheir<strong>at</strong>et,<br />

teilte nur mit einem das Lager; sie war eine Frau voller T<strong>at</strong>kraft<br />

und Verlässlichkeit. 26<br />

Neben den stereotypen Adjektiven piissima und pudica findet sich hier das Beispiel der<br />

vielgerühmten univira.<br />

III) Hic sita est Amymone Marci optima et pulcherrima,<br />

lanifica, pia, pudica, frugi, casta, domiseda.<br />

Corpus inscriptionum L<strong>at</strong>inarum (CIL)<br />

VI 11 602<br />

Hier ruht Amymone, die Frau des Marcus; sie war<br />

sehr gut und sehr schön, spann Wolle, war fromm,<br />

sittsam, sparsam, keusch, häuslich. 27<br />

Auch in dieser Inschrift werden die typischen Adjektive, die das Ideal einer römischen Frau<br />

kennzeichnen, verwendet, wie zum Beispiel: lanifica, pia und pudica.<br />

25<br />

Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte,<br />

S. 34<br />

26<br />

Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte,<br />

S. 36<br />

27<br />

Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte,<br />

S.17<br />

10


Bereits nach der Lektüre von einigen Grabinschriften sah ich die Ausführungen in der<br />

Fachliter<strong>at</strong>ur bestätigt. „Spinnen und Weben waren nach konserv<strong>at</strong>iver Auffassung die für<br />

eine ehrbare Frau angemessenen Tätigkeiten und das Symbol ihrer pudicitia. Dieses Stereotyp<br />

hielt sich bis in die Kaiserzeit, in der die häuslichen Textilarbeiten zumindest in der<br />

Oberschicht aber keine Rolle mehr spielten.“ 28 Obwohl im offiziellen Moralkodex der<br />

augusteischen Zeit von den Frauen vor allem keusche Sittsamkeit gefordert wurde, deckt sich<br />

„diese konserv<strong>at</strong>ive „Nestideologie“ mit dem betont erosfeindlichen Schema der römischen<br />

M<strong>at</strong>rone mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit so wenig wie mit der politischen.“ 29<br />

Kaiser Augustus, der diese Erziehungsgrundsätze bewusst förderte, wandte diese auch bei<br />

seiner Tochter und seinen Enkelinnen an. In der Biographie über Augustus, verfasst von C.<br />

Suetonius Tranquillius, heißt es in Kapitel 64,2: „Filiam et neptes ita instituit, ut etiam<br />

lanificio assuefaceret.“ 30 Auch hier taucht das Wort „lanificio“ auf. Das Erlernen dieser<br />

Fertigkeiten war ein Teil der klassischen Ausbildung von Mädchen, „wie es bis weit ins 20.<br />

Jahrhundert hinein das Sticken, Stricken und Häkeln gewesen sind“. 31<br />

Erwähnenswert ist, dass Theorie und Praxis auch in der Familie des Augustus<br />

auseinanderklaffen. Trotz seiner Bemühungen in seiner Familie das Tugendideal einer<br />

römischen Frau zu verwirklichen, scheiterte Augustus darin. Denn bereits in Kapitel 65<br />

schreibt Sueton:<br />

Iulias, filiam et neptem, omnibus probris contamin<strong>at</strong>as relegavit; …<br />

Aliquanto autem p<strong>at</strong>ientius mortem quam dedecora suorum tulit. Nam C. Lucique casu non<br />

adeo fractus, de filia absens ac libello per quaestorem recit<strong>at</strong>o notum sen<strong>at</strong>ui fecit abstinuitque<br />

congressu hominum diu prae pudore, etiam de necanda deliberavit.<br />

Die beiden Iuliae, seine Tochter und seine Enkelin, schickte er in die Verbannung, da sie sich<br />

mit allen nur denkbaren Schandt<strong>at</strong>en befleckt h<strong>at</strong>ten; …<br />

Augustus ertrug aber den Tod der Seinen weit gefasster als ihre Schandt<strong>at</strong>en; so trug er an<br />

dem Tod von Gaius und Lucius nicht allzu schwer, über seine Tochter aber unterrichtete er<br />

den Sen<strong>at</strong> in seiner Abwesenheit dadurch, dass er einen Quästor ein Schreiben vorlesen ließ;<br />

er selbst hielt sich aus Scham lange Zeit von einer Begegnung mit der Öffentlichkeit fern, ja<br />

er erwog sogar Selbstmord. 32<br />

28<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 191 Anmerkung 3<br />

29<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 192 Anmerkung 17<br />

30<br />

Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von<br />

Dietmar Schmitz; Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1988, S. 100<br />

31<br />

vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel,<br />

S. 45<br />

32<br />

Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von<br />

Dietmar Schmitz, S. 100-103<br />

11


Auf einen weiteren Aspekt des Frauenlebens in der Frühzeit möchte ich noch hinweisen.<br />

Nach altrömischem Recht konnte der Ehemann seine beim Ehebruch ertappe Frau straflos<br />

töten. Dies galt als Bestandteil seiner p<strong>at</strong>ria potestas, der Gewalt des Familienoberhauptes.<br />

Erst die Lex Iulia de adulteriis, erlassen unter Kaiser Augustus, machte Ehebruch zum<br />

Verbrechen: Eine Frau war des Ehebruchs schuldig, wenn sie verheir<strong>at</strong>et war und sexuelle<br />

Beziehungen mit irgendeinem anderen Mann als ihrem Eheg<strong>at</strong>ten h<strong>at</strong>te, ein Mann hingegen<br />

nur, wenn die Frau, mit der er Beziehungen unterhielt, verheir<strong>at</strong>et war; sein eigener<br />

Personenstand war nicht von Bedeutung. 33<br />

b. Lucretia bei Livius I, 57,5-58,11<br />

Der Autor Livius 34 , 59v.-17n.Chr., setzt in seinem Werk, in dem er<br />

die altrömischen Tugenden verherrlicht, die Politik von Kaiser<br />

Augustus fort. 35<br />

Er stellt in seiner praef<strong>at</strong>io (Vorrede) 36 dar, aus welchen<br />

moralischen Kräften heraus Rom zu seiner Größe heranwuchs und<br />

welche Sitten und Bräuche den moralischen Verfall Roms<br />

einleiteten. Zu diesen Römertugenden gehören virtus für die<br />

Männer und pudicitia für die Frauen.<br />

Livius zeichnet mit seiner Lucretia-Erzählung ein Genrebild der Marcantonio Raimondi,<br />

Lucretia, ca.1510/11,<br />

idealen Römerin, wie es eben auch von Augustus' Politik der Kupferstich<br />

moralischen Erneuerung propagiert wurde. Lucretia war die Tochter<br />

des Lucretius Spurius Tricipitinus, eines bei den Römern überaus angesehenen Mannes und<br />

G<strong>at</strong>tin des Tarquinius Coll<strong>at</strong>inus aus der königlichen Familie der Tarquinier. Sie war berühmt<br />

für ihre Schönheit und noch mehr für ihre Tugendhaftigkeit. Damals, im 6. Jhdt.v. Chr.,<br />

herrschte Tarquinius Superbus. Als Tarquinius Superbus die Stadt Ardea belagerte, nahm<br />

Lucretias´ Mann Coll<strong>at</strong>inus an dieser militärischen Aktion teil. Eines Abends setzten sich die<br />

Söhne des Königs bei einem Mahl im Zelte des Sextus Tarquinius, darunter auch Coll<strong>at</strong>inus,<br />

33<br />

vgl. Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); L<strong>at</strong>ein-Lektüre aktiv: Livius; öbv&hpt;<br />

Wien; 2002; S. 47<br />

34<br />

vgl. How<strong>at</strong>son, M. C.; Reclams Lexikon der Antike. Stuttgart 1996, bibliografisch ergänzte Auflage<br />

2006. (Titel der englischen Originalausgabe: The Oxford Companion to Classical Liter<strong>at</strong>ure. Second<br />

Edition. Oxford-New York 1989.), S. 178f.<br />

35<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 879: “He believed th<strong>at</strong> a serious moral decline had taken place<br />

by his own time, and appears to have lacked confidence th<strong>at</strong> Augustus could reverse it. Livy doubtless<br />

shared Augustus` ideals, …”<br />

36<br />

Livius; Ab urbe condita Liber I, Römische Geschichte 1. Buch, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und<br />

herausgegeben von Robert Feger, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1981, S. 4-9<br />

12


zusammen und beredeten, nachdem der Wein die Gemüter erhitzt h<strong>at</strong>te, die<br />

Tugendhaftigkeiten und Ehrbarkeiten ihrer jeweiligen Frauen. Man schloss eine Wette ab und<br />

ritt nach Hause. Lucretia entsprach den Beschreibungen ihres Mannes, denn man fand sie in<br />

schlichter Kleidung, umringt von ihren Mägden, am Spinnrad beschäftigt.<br />

57 (5) Regii quidem iuvenes interdum otium conviviis comis<strong>at</strong>ionibusque inter se terebant.<br />

(6) Forte potantibus his apud sex. Tarquinium, ubi et Coll<strong>at</strong>inus cenab<strong>at</strong> Tarquinius, Egeri<br />

filius, incidit de uxoribus mentio. Suam quisque laudare miris modis; (7) inde certamine<br />

accenso Coll<strong>at</strong>inus neg<strong>at</strong> verbis opus esse : paucis id quidem horis posse sciri, quantum<br />

ceteris praestet Lucretia sua. “Quin, si vigor iuventae inest, conscendimus equos invisimusque<br />

praesentes nostrarum ingenia? Id cuique spect<strong>at</strong>issimum sit, quod necopin<strong>at</strong>o viri adventu<br />

occurrerit oculis.” (8) Incaluerant vino; “Age sane” omnes; cit<strong>at</strong>is equis avolant Romam. Quo<br />

cum primis se intendentibus tenebris pervenissent, pergunt inde Coll<strong>at</strong>iam, (9) ubi Lucretiam<br />

haudquaquam ut regias nurus, quas in convivio luxuque cum aequalibus viderant tempus<br />

terentes, sed nocte sera deditam lanae inter lucubrantes ancillas in medio aedium sedentem<br />

inveniunt. Muliebris certaminis laus penses Lucretiam fuit. (10) Adveniens vir Tarquiniique<br />

excepti benigne; victor maritus comiter invit<strong>at</strong> regios iuvenes. Ibi Sex. Tarquinium mala<br />

libido Lucretiae per vim stuprandae capit; cum forma tum spect<strong>at</strong>a castitas incit<strong>at</strong>. (11) Et<br />

tum quidem ab nocturno iuvenali ludo in castra redeunt.<br />

58 (1) Paucis interiectis diebus Sex. Tarquinius inscio Coll<strong>at</strong>ino cum comite uno Coll<strong>at</strong>iam<br />

venit. (2) Ubi exceptus benigne ab ignaris consilii cum post cenam in hospitale cubiculum<br />

deductus esset, amore ardens, postquam s<strong>at</strong>is tuta circa sopitique omnes videbantur, stricto<br />

gladio ad dormientem Lucretiam venit sinistraque manu mulieris pectore oppresso “Tace,<br />

Lucretia”, inquint;”Sex. Tarquinius sum; ferrum in manu est; moriere, si emiseris vocem.“ (3)<br />

Cum pavida ex somno mulier nullam opem, prope mortem imminentem videret, tum<br />

Tarquinius f<strong>at</strong>eri amorem, orare, miscere precibus minas, versare in omnes partes muliebrem<br />

animum. (4) Ubi obstin<strong>at</strong>am videb<strong>at</strong> et ne mortis quidem metu inclinari, addit ad metum<br />

dedecus : cum mortua iugul<strong>at</strong>um servum nudum positurum ait, ut in sordido adulterio nect<strong>at</strong>a<br />

dic<strong>at</strong>ur. (5) Quo terrore cum vicisset obstin<strong>at</strong>am pudicitiam velut vi victrix libido,<br />

profectusque inde Tarquinius ferox expugn<strong>at</strong>o decore muliebri esset, Lucretia maesta tanto<br />

malo nuntium Romam eundem ad p<strong>at</strong>rem Ardeamque ad virum mittit, ut cum singulis<br />

fidelibus amicis veniant; ita facto m<strong>at</strong>ur<strong>at</strong>oque opus esse; rem <strong>at</strong>rocem incidisse.<br />

(6) Sp. Lucretius cum P. Valerio, Volesi filio, Coll<strong>at</strong>inus cum L. Iunio Bruto venit, cum quo<br />

forte Romam rediens ab nuntio uxoris er<strong>at</strong> conventus. (7) Lucretiam sedentem maestam in<br />

cubiculo inveniunt. Adventu suorum lacrimae obortae, quaerentique viro “S<strong>at</strong>in salve ?”<br />

“Minime”, inquint; “quid enim salvi est mulieri amissa pudicitia? Vestigia viri alieni,<br />

Coll<strong>at</strong>ine, in lecto sunt tuo; ceterum corpus est tantum viol<strong>at</strong>um, animus insons; mors testis<br />

erit. Sed d<strong>at</strong>e dexteras fidemque haud impune adultero fore. (8) Sex. est Tarquinius, qui hosits<br />

pro hospite priore nocte vi arm<strong>at</strong>us mihi sibique, si vos viri estis, pestiferum hinc abstulit<br />

gaudium.” (9) Dant ordine omnes fidem; consolantur aegram animi avertendo noxam ab<br />

coacta in auctorem delicti: mentem peccare, non corpus, et unde consilium afuerit, culpam<br />

abesse. (10) “Vos”, inquint, “videritis, quid illi debe<strong>at</strong>ur : ego me etsi pecc<strong>at</strong>o absolvo,<br />

supplicio non libero ; nec ulla deinde impudica Lucretiae exemplo vivet.” (11) Cultrum, quem<br />

sub veste abditum habet<strong>at</strong>, eum in corde defigit, procapsaque in volnus moribunda cecidit.<br />

57 (5) Die jungen Prinzen aber vertrieben sich bisweilen ihre freie Zeit mit gemeinsamen<br />

Banketten und Trinkgelagen. (6) Als sie einmal bei Sextus Tarquinius zechten, wo auch der<br />

Coll<strong>at</strong>iner Tarquinius, der Sohn des Egerius, speiste, kam das Gespräch auf die Ehefrauen.<br />

Jeder pries die eigene in den höchsten Tönen; (7) als daraufhin ein Streit entbrannte, sagte der<br />

13


Coll<strong>at</strong>iner, es bedürfe keiner Worte: Innerhalb weniger Stunden könne man wissen, wie sehr<br />

seine Lucretia den anderen Frauen überlegen sei: „Warum, wenn wir die Kraft der Jugend in<br />

uns haben, besteigen wir nicht die Pferde und überprüfen an Ort und Stelle den Charakter<br />

unserer Frauen? Für einen jeden soll das entscheidend sein, was bei der unvermuteten<br />

Ankunft des Ehemannes vor Augen tritt!“ (8) Der Wein h<strong>at</strong>te sie erhitzt: „Auf geht’s!“, riefen<br />

alle; im gestreckten Galopp ritten sie nach Rom. Als sie gleich nach Anbruch der Dunkelheit<br />

die Stadt erreicht h<strong>at</strong>ten, begaben sie sich sofort weiter nach Coll<strong>at</strong>ia, (9) wo sie Lucretia<br />

vorfanden. Anders als die Schwiegertöchter des Königs, die sich, wie sie gesehen h<strong>at</strong>ten, bei<br />

einem ausschweifenden Gastmahl mit ihren Gefährtinnen die Zeit vertrieben, war sie noch bis<br />

spät in die Nacht mit ihrer Wollarbeit beschäftigt und saß mitten im Haus unter ihren bei<br />

Licht arbeitenden Sklavinnen. Im Wettstreit der Frauen wurde Lucretia der Sieg<br />

zugesprochen. (10) Bei der Ankunft wurde der Ehemann und die Tarquinir zuvorkommend<br />

aufgenommen; der siegreiche G<strong>at</strong>te lud die königlichen Prinzen freundlich ein. Da packte den<br />

Sextus Tarquinius die schändliche Lust, Lucretia Gewalt anzutun; dazu reizte ihn ihre<br />

Schönheit, vor allem jedoch ihre über jeden Verdacht erhabene Keuschheit. (11) Damals<br />

indes kehrten sie von ihrem nächtlichen jugendlichen Wettspiel erst einmal ins Lager zurück.<br />

58 (1) Wenige Tage später begab sich Sextus Tarquinius ohne Wissen des Coll<strong>at</strong>iners mit nur<br />

einem Gefährten nach Coll<strong>at</strong>ia. (2) Nachdem er dort – man ahnte ja nichts von seinen<br />

Absichten- freundlich aufgenommen und nach dem Abendessen in ein Fremdenzimmer<br />

geführt worden war, begab er sich, als die Situ<strong>at</strong>ion ausreichend sicher und alle zu schlafen<br />

schienen, von Liebe verzehrt, mit gezücktem Schwert zu der schlafenden Lucretia, drückte<br />

seine linke Hand auf die Brust der Frau und sagte: „Schweige, Lucretia! Ich bin Sextus<br />

Tarquinius; in meiner Hand ist ein Schwert; du wirst sterben, wenn du ein Wort sagst!“ (3)<br />

Als die Frau aus dem Schlaf aufschreckte und sah, dass es keine Hilfe gab und ihr der Tod<br />

kurz bevorstand, da gestand ihr Tarquinius seine Liebe, b<strong>at</strong> sie, vermischte seine Bitten mit<br />

Drohungen und versuchte durch Überredungskünste aller Art, die Frau zum Nachgeben zu<br />

bewegen. (4) Doch als er sah, dass sie unbeugsam war und sich nicht einmal in ihrer<br />

Todesangst umstimmen ließ, fügte er zu ihrer Angst noch die Schande hinzu: Er werde, sagte<br />

er, wenn sie tot sei, einen Sklaven, dem er die Kehle durchgeschnitten habe, nackt neben sie<br />

legen, so dass es heißen werde, sie sei bei einem schändlichen Ehebruch getötet worden. (5)<br />

Nachdem aufgrund dieses Schreckbilds die Begierde über die standhafte Keuschheit<br />

sozusagen gewaltsam gesiegt h<strong>at</strong>te und Tarquinius, trotzig stolz auf seine Eroberung<br />

weiblicher Ehre, wieder abgereist war, schickte Lucretia, tiefbekümmert über ein solch großes<br />

Unglück, einen Boten nach Rom zum V<strong>at</strong>er und dann weiter nach Areda zu ihrem G<strong>at</strong>ten mit<br />

der Bitte, sie sollten mit je einem treuen Freund zu ihr kommen; dies müsse sein, und zwar<br />

rasch; etwas Entsetzliches sei geschehen.<br />

(6) Spurius Lucretius kam mit Publius Valerius, dem Sohn des Volericus, der Coll<strong>at</strong>iner mit<br />

Lucius Iunius Brutus, mit dem er gerade auf dem Rückweg nach Rom war, als ihm der Bote<br />

seiner Frau begegnete. (7) Sie fanden Lucretia voller Trauer in ihrem Schlafgemach sitzen.<br />

Bei der Ankunft ihrer Angehörigen brach sie in Tränen aus und auf die Frage ihres Mannes<br />

„Ist bei dir alles in Ordnung?“ antwortete sie: „Überhaupt nicht. Wie könnte nämlich für eine<br />

Frau alles in Ordnung sein, wenn sie ihre Ehre verloren h<strong>at</strong>? Die Spuren eines fremden<br />

Mannes sind, Coll<strong>at</strong>iner, in deinem Bett; doch nur der Körper ist geschändet, das Herz ist<br />

unschuldig; mein Tod wird dafür Zeuge sein! Gebt mir aber eure Rechte und das<br />

Versprechen, den Ehebrecher nicht straflos davonkommen zu lassen! (8) Sextus Tarquinius ist<br />

der Mann, der sich als Feind und nicht als Gast in der vergangenen Nacht mit Gewalt und<br />

bewaffnet eine mir und – wenn ihr Männer seid - auch ihm Verderben bringende Freude hier<br />

genommen h<strong>at</strong>.“ (9) Der Reihe nach gaben sie ihr ihr Wort; sie trösteten sie in ihrem<br />

Kummer, indem sie der Genötigten die Schuld nahmen und sie dem Urheber des Verbrechens<br />

zuwiesen: Der Geist sündige, nicht der Körper, und wo die Absicht gefehlt habe, gebe es auch<br />

keine Schuld. (10) „Ihr“, sagte sie, „mögt zusehen, was jener verdient. Auch wenn ich mich<br />

von Schuld losspreche, so befreie ich mich nicht von der Strafe; von nun an wird keine<br />

14


unsittliche Frau unter Berufung auf das Beispiel der Lucretia mehr leben können!“ (11) Und<br />

sie stieß sich das Messer, das sie unter ihrem Gewand verborgen h<strong>at</strong>te, ins Herz, fiel nach<br />

vorn auf die Wunde und brach sterbend zusammen. 37<br />

In der gesamten Liter<strong>at</strong>ur, insbesondere der antiken, wurde Lucretia zum Idealtypus einer<br />

keuschen und sittsamen Frau emporgehoben. 38 Denn die Geschichte von Lucretia verdeutlicht<br />

die Wichtigkeit der idealen Eigenschaften einer römischen Frau in der Antike. „Ideale<br />

Eigenschaften“ meint wohl aus der Sicht derer, die sie verherrlichen. Vergewaltigungen<br />

waren in der Antike nur in juristischer Hinsicht interessant. Die Gefühle des Opfers fanden<br />

keine Beachtung, vielmehr ging es bei vergewaltigten Frauen um die Garantie der Legitimität<br />

der Nachkommen. 39 „Für Lucretia bedeutet ihr Freitod Wiedergutmachung des an der Familie<br />

entstandenen Schadens.“ 40<br />

Das Recht des Ehemannes oder eines männliches Verwandten, eine beim Ehebruch<br />

überraschte Frau zu töten, ist Teil der p<strong>at</strong>ria potestas. Indem Lucretia ihre männlichen<br />

Verwandten zusammenruft, versammelt sie diejenigen ihrer Verwandten, die sie im Falle<br />

eines Ehebruchs aburteilen durften. Lucretia brachte sich um, damit künftig keine untreue<br />

Frau sich auf ihr Schicksal berufen könne und somit unbestraft davon komme konnte. Durch<br />

ihren Tod h<strong>at</strong>te sie ihre Ehre wiederhergestellt, damals, wie es scheint, der einzige Weg.<br />

„Die Vergewaltigung stellt eine menschliche Extremsitu<strong>at</strong>ion dar, Lucretias Selbstmord eine<br />

nicht weniger extreme, heroische T<strong>at</strong>.“ 41 So heroisch wie Lucretia dürften aber wohl die<br />

wenigsten römischen Frauen gewesen sein. 42<br />

Diese Idealisierung entspricht, so denke ich, auch einer Suche nach Vorbildern in einer Zeit,<br />

in der es entsprechende Mangelerscheinungen gab. 43<br />

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Biographie über Augustus (Kap.65)<br />

verweisen:<br />

certe cum sub idem tempus una ex consciis liberta Phoebe suspendio vitam finisset, maluisse<br />

se ait Phoebes p<strong>at</strong>rem fuisse.<br />

37<br />

Text und Übersetzung aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte,<br />

S. 70ff<br />

38<br />

vgl. Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 220f.<br />

39<br />

vgl. Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); L<strong>at</strong>ein-Lektüre aktiv: Livius; S.49<br />

40<br />

Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt; . Rezeptionsdokumente und ihre Behandlung<br />

im L<strong>at</strong>einunterricht, in: Ianus. Inform<strong>at</strong>ionen zum altsprachlichen Unterricht Nr. 26/2005, Graz:<br />

Manumedia Verlag Schnider, 2005, S. 27<br />

41<br />

Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 20<br />

42<br />

vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, S. 58<br />

43<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 888: “Particularly in Livy, Lucretia becomes a paradigm of the<br />

Roman m<strong>at</strong>rona (married woman), heroic in her resolute adhesion to the code of female castity. In<br />

reality, however she is the victim not only of male violence but also of the ideology of a p<strong>at</strong>riarchal<br />

society.”<br />

15


Jedenfalls meinte er, als ungefähr zu derselben Zeit die Vertraute Iulias, eine Freigelassene<br />

mit Namen Phoebe, ihrem Leben durch Erhängen ein Ende gesetzt h<strong>at</strong>te, er hätte lieber der<br />

V<strong>at</strong>er von Phoebe sein wollen. 44<br />

Für den Leser liegt es nun nahe zu vermuten, dass sich Augustus gewünscht hätte, seine<br />

Tochter und seine Enkelin wären dem mahnenden exemplum Lucretiae gefolgt und hätten<br />

sich umgebracht. Für mich noch interessanter war es dann bei Sueton weiter zu lesen, denn<br />

wenn der Leser so von Augustus´ Seitensprüngen und der Vorliebe für junge Mädchen<br />

erfährt, wird deutlich, wie sehr das Frauen- und Männerbild auseinanderklafft. Daran h<strong>at</strong> sich<br />

bis heute nicht viel verändert: Für junge Mädchen gilt es „ehrbar“ zu bleiben, um, wie es im<br />

Volksmund heißt, „geheir<strong>at</strong>et zu werden“, für junge Männer gilt es sexuelle Erfahrungen vor<br />

der Ehe zu machen. Deutlich wird, dass außereheliche geschlechtliche Beziehungen nach wie<br />

vor konträr bewertet werden.<br />

Die Gestalt der Lucretia h<strong>at</strong> mich persönlich dazu angeregt, allgemein über Sexualität, Gewalt<br />

und Freitod nachzudenken und zu recherchieren. Beim Lesen der Lektüre wurde mir verstärkt<br />

bewusst, wie sehr eine Vergewaltigung die Frau als Opfer in ihrem Selbstwert zerstört.<br />

„Vergewaltigung ist in erster Linie kein sexueller Akt, sondern h<strong>at</strong> die Erniedrigung des<br />

Opfers, die Zerstörung der sozialen Existenz zum Ziel.“ 45 Diesen S<strong>at</strong>z habe ich im Kopf,<br />

wenn ich über Frauenschicksale und Gewalt an Frauen in Büchern, Zeitschriften und<br />

Tageszeitungen lese oder in Nachrichten höre. Auch Lucretias Folgereaktion auf die<br />

Vergewaltigung wirft Fragen auf, die immer wieder gestellt werden. Warum bringt sie sich<br />

um? War ihr Selbstmord eine „gute“ oder eine „schlechte“ T<strong>at</strong>? Welches Frauenbild haben<br />

wir, welche Vorstellung von Schuld, wenn wir ihre T<strong>at</strong> billigen oder ablehnen?<br />

Persönlich möchte ich anmerken, dass für mich das Lob an Lucretia überzogen ist. Denn ich<br />

finde, dass damit der „Wert“ einer Frau über die „Person“ gestellt wird. Aus der Sicht einer<br />

heutigen Frau in unserer modernen Gesellschaft ist es „eigenartig“, dass sich Lucretia nicht<br />

mehr wertvoll fühlt, wenn sie durch die Vergewaltigung Eigenschaften wie keusch, sittsam<br />

und univira verliert. Doch andererseits, wenn man bedenkt, dass auch noch heute viele<br />

Vergewaltigungen nicht angezeigt werden, gewinnt man den Eindruck, dass Frauen<br />

Vergewaltigungen nach wie vor als „Schande“ empfinden.<br />

44<br />

Text und Übersetzung aus: Sueton; Augustus, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von<br />

Dietmar Schmitz, S. 102-103<br />

45<br />

Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 23<br />

16


Literarisch gesehen wird Lucretia ein Denkmal gesetzt, historisch gesehen löste diese<br />

Gewaltt<strong>at</strong> des Sextus Tarquinius beim Volk einen Aufruhr aus. Die Königsgegner aus dem<br />

Hause der Tarquinier nutzten diese Gelegenheit und stürzten das unbarmherzige Regime. Dies<br />

markierte 510 v.Chr. die Vertreibung einer etruskischen Königsdynastie und den Anfang der<br />

römischen Republik. Somit gehört "Die Schändung der Lucretia" zum Gründungsmythos der<br />

Römischen Republik. Einen geschichtlichen Nachweis für diesen Mythos oder die beteiligten<br />

Personen gibt es nicht.<br />

Am Einzelschicksal der Lucretia spiegelt sich auch in übertragenem Sinn die politische<br />

Geschichte Roms. „In Lucretia wird die res publica vergewaltigt, die Rache für das ihr<br />

zugefügte Verbrechen bedeutet die Befreiung von der Unrechtsherrschaft.“ 46<br />

c. Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes<br />

Die Rezeption des Lucretia-Stoffes in Liter<strong>at</strong>ur, Kunst und Musik zieht sich bis in die heutige<br />

Zeit. „Die Interpret<strong>at</strong>ionen und Wertungen, die die Gestalt erfährt, entsprechen der Vielzahl<br />

der Adaptionen. Sie reichen von der orthodoxen Verurteilung der Selbstmörderin über die<br />

politische Aktualisierung, die ehedikt<strong>at</strong>ische Assimilierung bis zur karik<strong>at</strong>uristischen<br />

Verzerrung, die aus der keuschen Lucretia die Hure Lucretia macht“. 47<br />

Einen hervorragenden Überblick über die Rezeptionsgeschichte des Lucretiastoffes bietet<br />

Elisabeth Frenzel in ihrem Nachschlagewerk „Stoffe der Weltliter<strong>at</strong>ur“. 48<br />

In meiner Arbeit kann ich nur einige Beispiele anführen.<br />

• Ovid (43v. - 17n. Chr.) stellt in seinem Werk Fasti eher die Erotik der Fabel in den<br />

Mittelpunkt als die Gefühle der Lucretia.<br />

• Augustinus (354 - 430n. Chr.) kommentiert in seinem Werk De civit<strong>at</strong>e dei<br />

Lucretias’ Selbstmord mit folgenden Worten:<br />

„Wenn sie sich also, obwohl selbst keine Ehebrecherin, das Leben nahm, weil sie sich des<br />

Ehebrechers nicht erwehren konnte, so t<strong>at</strong> sie es nicht aus Liebe zur Keuschheit, sondern aus<br />

schwächlichem Schamgefühl. Denn sie schämte sich der fremden Schandt<strong>at</strong>, die gegen ihren<br />

Willen an ihr begangen ward und fürchtete als allzu ehrgeizige Römerin, wenn sie lebend<br />

46 Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 25<br />

47 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, Die Großen Frauen, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, ausgewählt,<br />

übersetzt und kommentiert von Irene Erfen und Peter Schmitt,<br />

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1995, S. 244<br />

48 Frenzel, Elisabeth; Stoffe der Weltliter<strong>at</strong>ur, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 9.Auflage, 1998,<br />

S. 471-475; dieser Liter<strong>at</strong>urhinweis gilt für das gesamte Kapitel Rezeptionsgeschichte<br />

17


ertrüge, was ihr lebend widerfuhr, man möchte glauben, sie habe es sich nicht ungern,<br />

sondern gern gefallen lassen. Darum meinte sie, den Menschen als Zeugnis ihrer reinen<br />

Gesinnung, selbstvorgezogenes Strafgericht vor Augen führen zu müssen, da sie ihnen reines<br />

Gewissen nicht vorweisen konnte. Denn sie schämte sich, für mitschuldig gehalten zu<br />

werden, [...].“ 49<br />

Im christlichen Kontext wird Lucretia gerne als exemplum für unbedingte Keuschheit und<br />

konsequente Selbstopferung herangezogen. Doch Augustinus leitet, wie aus der obigen<br />

Übersetzung zu entnehmen ist, aus Lucretias Selbstmord den Verdacht ab, sie selbst sei nicht<br />

von Schuld bzw. Mitschuld frei. „Dieser Text ist einer der provok<strong>at</strong>ivsten in der ganzen<br />

Lucretia-Rezeption“. 50 Aber ist sie wirklich provok<strong>at</strong>iv? Oder spiegelt sich darin nur<br />

männliche Argument<strong>at</strong>ion, welche mir beim Lesen der Lektüre auffiel? In so vielen Berichten<br />

über Frauenschicksale wird immer wieder erwähnt, wie bei Befragungen (zum Beispiel durch<br />

die Polizei) oder Interviews unterschwellig Fragen nach Bekleidung und eigenem Verhalten<br />

gestellt werden. So oft wird die Opfer- mit der Täterrolle vertauscht. 51 Mindern mögliche<br />

Lustempfindungen des Opfers die Schuld des Täters? Solche Fragestellungen finden sich<br />

regelmäßig bei Vergewaltigungsprozessen und verwirren auch Opfer.<br />

• In den Gesta Romanorum (13. Jhdt.n. Chr.) 52 wird die Erzählung allegorisch<br />

gedeutet. Lucretia steht für Seele und ihr Selbstmord für Buße und somit Erlösung der<br />

sündhaften Seele.<br />

Moralisacio: Carissimi, Lucretia nobilis domina est anima a deo per baptismum lota et deo<br />

conjuncta. Sextus est diabolus, qui nititur minis et muneribus animam violare. … et tunc<br />

gladio penitencie te ipsum occide i.e. vicia et pecc<strong>at</strong>a exstirpa, …<br />

Moralis<strong>at</strong>ion: Meine liebsten Freunde, Lucretia, die edle Frau, ist die in der Taufe durch Gott<br />

gereinigte und mit Gott verbundene Seele. Sextus ist der Teufel, der darauf aus ist, die Seele<br />

mit Drohungen und Geschenken zu vergewaltigen. … und dann töte dich selbst mit dem<br />

Schwert der Buße, d.h., rotte deine Fehler und Sünden aus, … 53<br />

Die Lucretia-Geschichte war ein Lieblingsstück der Renaissance.<br />

• Dante (1265 -1321) lässt die Römerin Lucretia zur Heldin der n<strong>at</strong>ionalen Geschichte<br />

werden. Lucretia wird am Ende des 4. Gesanges der Göttlichen Komödie gemeinsam<br />

mit anderen großen Persönlichkeiten der Antike erwähnt. Sie gehört zu denen, die sich<br />

49 zitiert nach: Rogge, Ina, Lektüre L<strong>at</strong>ein, Die Frau im Antiken Rom, S. 56-57, Anm. 4<br />

50 Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 26<br />

51 Äußerungen wie diese: „Selber schuld, wenn sie sich so anzieht“ ; „ Frauen wollen das so!“<br />

52 Tusculum Lexikon, S. 289: Gesta Romanorum sind eine anonyme Sammlung erbaulicher, besonders der<br />

römischen Geschichte und Legende entnommener und für Predigten bestimmte Erzählungen, deren<br />

Kern am Ende des 13. Jhdts. vermutlich in England oder Deutschland entstanden ist.<br />

53 Text und Übersetzung aus: Gesta Romanorum, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, ausgewählt, übersetzt und<br />

herausgegeben von Rainer Nickel, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1991, S. 162/163<br />

18


nichts zuschulden kommen h<strong>at</strong> lassen, nur leider das Pech h<strong>at</strong>te, zu früh (vor<br />

Christus) geboren worden zu sein.<br />

• Boccaccio (1313-1375), erzählte die Lucretia-Geschichte nach Livius.<br />

Er gestaltete sie mehrfach in seinen Werken und zitierte sie auch wiederholt in seinem Werk<br />

De claris mulieribus. Dieses Werk ist für das 14. bis 16. Jhdt.n. Chr. ein historischmythologisches<br />

Kompendium, dient aber auch als Ausgangspunkt für moralische Fragen. „Es<br />

dient dabei der frauenfreundlichen Diskussion wie der misogynen Propaganda“. 54 Boccaccio,<br />

mit persönlicher pessimistischer Grundhaltung zu Frauen, versucht in seinem Werk eine<br />

umfassende Darstellung des weiblichen Charakters. Anhand der Frauengestalten werden<br />

weibliche Laster und Tugenden dargestellt und bewertet. So entwirft er an positiven und<br />

neg<strong>at</strong>iven Beispielen „einen orthodoxen Moralkodex für Frauen“. 55 Er lobt die tugendhafte<br />

Frau und die Vorbildlichkeit Lucretias. 56 Boccaccio beginnt seine Geschichte über Lucretia<br />

mit den Worten:<br />

Lucretia romane pudicitie dux egregia, <strong>at</strong>que sanctissimum vetuste parsimonie decus, [...]<br />

Lucretia, die große Fürstin römischer Keuschheit und heiligster Zier altehrwürdiger<br />

Bedürfnislosigkeit [...]. 57<br />

Das Lob Lucretias bei Boccaccio impliziert den Vorwurf, dass in der Gegenwart (von<br />

Boccaccio) solche keuschen Frauen fehlen.<br />

Im deutschsprachigen Raum war das Werk des Boccaccio sehr beliebt und daher steht die<br />

Tugendhaftigkeit der Lucretia im Mittelpunkt.<br />

• Shakespeare (1564 – 1616) nimmt in seinem Epos The rape of Lucrece den Lucretia-<br />

Stoff auf. Ausgangspunkt für sein Epos ist die Schilderung des Coll<strong>at</strong>inius über die<br />

Tugend seiner G<strong>at</strong>tin. In diesem Zusammenhang wird die Begierde des Sextus<br />

geweckt. Sextus geht zugrunde, während Lucretia unter die Ritter tritt und Rache<br />

fordert.<br />

Im Zeitalter des Barock schwinden die scharfen Gegensätze der Lucretia und des Sextus und<br />

die inneren Kämpfe und Leiden werden sichtbar.<br />

In der Zeit der Aufklärung wird Lucretias Selbstmord als Unvernunft dargestellt und die<br />

heroischen Ideale herabgesetzt. Das 18. Jhdt.n. Chr. würdigte die sozialpolitische<br />

54 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 263<br />

55 Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 274<br />

56 Frenzel, Elisabeth, Stoffe der Weltliter<strong>at</strong>ur, S. 473<br />

57 Text und Übersetzung aus: Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, S. 158-159<br />

19


Komponente des Lucretia-Stoffes. Während der französischen Revolutionszeit entstehen<br />

Werke mit republikanischer Gesinnung.<br />

• Das befreite Rom (1756/57) von Lessing (1729 – 1781) stellt Lucretia als rasende<br />

Rächerin dar, welche das Volk gegen die Herrscherfamilie aufwiegelt und sich<br />

schließlich ersticht.<br />

Im 19. Jhdt.n. Chr. besteht vermehrt Interesse an den psychologischen Aspekten der<br />

Lucretiageschichte.<br />

• Im Werk Brutus und Coll<strong>at</strong>inus (1865) von A. Lindner hetzt die Mutter des Sextus<br />

aus Eifersucht den Sohn zur Notzucht auf.<br />

Im 20. Jhdt.n. Chr. ist dieses Thema nur noch von geringem Interesse, da sich die sittlichen<br />

Anschauungen stark gewandelt haben.<br />

Abschließend komme ich nun zu einem Beispiel für eine bildliche Rezeption. Ausgewählt<br />

habe ich:<br />

Die Lektüre des Artikels von Martin Holtermann h<strong>at</strong> mir erst die<br />

Augen geöffnet, wie sehr im Bild eine Textinterpret<strong>at</strong>ion steckt.<br />

Auffallend bei Cranach ist die Nacktheit Lucretias´ und interessant fand ich diesen<br />

Deutungsans<strong>at</strong>z:<br />

„Die Nacktheit wird als Symbol für die keusche Reinheit ihres Körpers, als Andeutung der<br />

erotischen Komponente des Geschehens oder als Merkmal, um Lucretia von anderen<br />

suizidalen m<strong>at</strong>ronae unterscheiden zu können. … Sie wird somit als Anreiz für den<br />

(männlichen) Betrachter verstanden, der seine begehrlichen Blicke auf die Frau als Objekt<br />

richtet – nicht viel anders als Tarquinius seine Blicke auf Lucretia gerichtet h<strong>at</strong>te.“ 58<br />

58 Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 28<br />

20


3. Frauen in der späten Republik und in der<br />

frühen Kaiserzeit<br />

Mit der Expansion des römischen Weltreiches kommt es auch zu<br />

Veränderungen in Gesellschaft und Kultur. Der Sta<strong>at</strong> der Römer<br />

wird von einem Bauernsta<strong>at</strong> zu einem modernen Weltreich.<br />

Mit dem Rückgang der manus-Ehe seit dem Ende des 3. Jhdt. v. Chr.<br />

verbesserte sich auch die priv<strong>at</strong>rechtliche Stellung der Frau. In der<br />

manus-freien Ehe blieb die Frau, bis sie 25 Jahre alt war, unter der Gewalt ihres V<strong>at</strong>ers und<br />

unterstand danach nur noch formal einem tutor. Sie konnte nun selbst die Scheidung<br />

einreichen und über ihr eigenes Vermögen selbstständig verfügen. So erweiterten sich, zumal<br />

im Zug einer allgemeinen, durch hellenistisches Denken beeinflussten Liberalisierung der<br />

Gesellschaft, auch die Möglichkeiten ihrer Lebensgestaltung erheblich. „Obwohl in der<br />

Oberschicht die von der gens verfügten politischen Zweckehen [...] so wenig aussterben wie<br />

Frühverheir<strong>at</strong>ungen der Töchter durch den V<strong>at</strong>er oder Vormund [...] kann doch im<br />

allgemeinen die Frau eine Ehe selbstständig schließen und lösen“. 59<br />

Römisches Mädchen (um<br />

50 n.Chr.)<br />

Ab dem Ende der Republik im 1. Jhdt.v. Chr. und mit Beginn der frühen Kaiserzeit ist die<br />

Frau damit so weit „emanzipiert“, dass sie überall am römischen Gesellschaftsleben<br />

teilnehmen kann. 60 Die Frauen der Oberklasse erhielten auch ausreichende Ausbildung, um<br />

am intellektuellen Leben der Männer teilzunehmen. „Intellektuelle und künstlerische<br />

Fähigkeiten waren dem guten Ruf einer Frau keineswegs abträglich.“ 61<br />

Im Zuge der größer gewordenen priv<strong>at</strong>rechtlichen Freiräume in der späten Republik gewinnt<br />

aber auch das Rechtshandeln der Frauen an Boden und die Gesetzgebung des Augustus<br />

befreite eine freigeborene Frau, die drei Kinder zur Welt gebracht h<strong>at</strong>te (ius liberorum)<br />

offiziell von der männlichen Bevormundung. 62 Weiterhin bleibt aber römischen Frauen, die<br />

das römische Bürgerrecht besaßen, sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht versagt.<br />

Offiziell konnten sie somit nicht Einfluss nehmen, doch gibt es viele Beispiele für politische<br />

Aktivitäten von Frauen der Oberschicht.<br />

Herauszuheben ist hier unter anderem Fulvia, die, in dritter Ehe mit Marcus Antonius<br />

verheir<strong>at</strong>et, an den Proskriptionen nach Caesars Tod beteiligt gewesen sein soll und die<br />

Interessen ihres Mannes nach dessen Abreise in den Osten in Rom vertr<strong>at</strong>. Auch im<br />

59<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 196, Anmerkung 64.<br />

60<br />

61<br />

vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 12<br />

Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 260ff.<br />

62<br />

vgl. Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S.230ff.<br />

21


Perusinischen Krieg gegen Octavian spielte sie eine aktive Rolle. „Die Feindseligkeit, die sie<br />

hervorrief, ist ein Gradmesser für die reale politische Macht, die Frauen ihres Schlages, sei es<br />

durch ihren Reichtum oder durch ihren Einfluss auf wichtige politische Persönlichkeiten,<br />

ausübten.“ 63 In der Kaiserzeit ist bei den Frauen der privilegierten Schichten das Interesse an<br />

Liter<strong>at</strong>ur und Kunst genauso verbreitet wie bei den Männern. Auch gibt es nicht wenige<br />

Zeugnisse von Frauen, die Gedichte oder Memoiren schreiben. 64<br />

Mit dem Ende der Republik erweiterten sich die Rechte der Frau auf ihre Kinder. Denn bis<br />

jetzt blieben die Kinder nach einer Scheidung beim V<strong>at</strong>er, nun wurde auch der Mutter das<br />

formelle Recht hinsichtlich der Kinder im gleichen Maße wie dem V<strong>at</strong>er zugesprochen. So<br />

bekam neben der agn<strong>at</strong>io, also der männlichen und vorerst einzigen legitimen<br />

Verwandtschaft, nach dem Ende der Republik auch die cogn<strong>at</strong>io, die Verwandtschaft auf<br />

weiblicher Seite, eine Bedeutung zugeschrieben.<br />

a. Geliebte in der Dichtung<br />

Frauen, die nicht dem Klischeebild des tugendhaften „Heimchens am Herd“ entsprachen,<br />

erregten das Missfallen, aber auch das Interesse ihrer männlichen Zeitgenossen.<br />

Dementsprechend voll ist die l<strong>at</strong>einische Liter<strong>at</strong>ur von „lasterhaften Emanzen“. Hochgebildet,<br />

politisch interessiert, finanziell unabhängig, schön und sich in ihren Beziehungen nicht<br />

unbedingt auf einen einzigen Mann beschränkend, erschütterten sie die Grundfesten des<br />

idealtypischen Normensystems. 65 Einer solchen schillernden Frauenpersönlichkeit begegnen<br />

wir bei Sallust in der Gestalt der Sempronia, der man maßgebliche Beteiligung an der so<br />

genannten „C<strong>at</strong>ilinarischen Verschwörung“ des Jahres 63 v.Chr. nachsagt.<br />

Sed in iis er<strong>at</strong> Sempronia, quae multa saepe virilis audaciae facinora commiser<strong>at</strong>. haec mulier<br />

genere <strong>at</strong>que forma, … fortun<strong>at</strong>a fuit; litteris Graecis L<strong>at</strong>inis docta, psallere et saltare<br />

elegantius quam necesse est probae, … sed ei cariora semper omnia quam decus <strong>at</strong>que<br />

pudicitia fuit; pecuniae an famae minus parceret, haud facile discerneres; lubido si adcensa, ut<br />

saepius peteret viros quam peteretur. … verum ingenium eius haud absurdum: posse versus<br />

facere, iocum movere, sermone uti vel modesto vel molli vel procaci; prorsus multae facetiae<br />

multusque lepos iner<strong>at</strong>.<br />

Übrigens befand sich unter ihnen auch Sempronia, die schon viele Unt<strong>at</strong>en geliefert h<strong>at</strong>te,<br />

welche oft männlichen Wagemut verlangten. Diese Dame war durch ihre Abkunft und<br />

Schönheit, … in einer recht glücklichen Lage; sie war wohlunterrichtet in griechischer und<br />

l<strong>at</strong>einischer Liter<strong>at</strong>ur, konnte kunstgerechter musizieren und tanzen, als es für eine anständige<br />

Frau nötig ist, … Doch war ihr immer schon alles andere lieber als Ehrbarkeit und<br />

Keuschheit. Ob sie mit ihrem Geld oder ihrem guten Ruf weniger schonend umging, hätte<br />

63 Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, S. 284<br />

64 vgl. Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen, Ausgewählte Texte, S. 197, Anmerkung 72.<br />

65 vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, S. 65<br />

22


man nicht leicht entscheiden können; ihre Sinnlichkeit war so entfacht, daß sie häufiger<br />

Männer begehrte als selbst begehrt wurde. … Dabei war sie kein ungeschickter Kopf: sie<br />

verstand es, Verse zu machen, Scherz zu treiben, ein Gespräch sittsam oder schnippisch oder<br />

auch anzüglich zu führen; kurz sie besaß viel Witz und viel Charme. 66<br />

Bei der Lektüre zu Frauengestalten in der Republik fiel mir auf, dass die meisten Frauen, die<br />

sich, so scheint es, aus ihrer begrenzten Welt befreit haben, neg<strong>at</strong>iv dargestellt werden.<br />

„Möglicherweise wollte Sallust in dieser einen Frau auch die Emanzip<strong>at</strong>ion vieler vornehmer<br />

Damen treffen, die seinen strengen Moralbegriffen widerstrebte.“ 67<br />

Aber auch heute, finde ich, werden diese Frauen oft mit abschätzigen Beurteilungen wie<br />

„Emanze“, „Partyluder“, „Femme f<strong>at</strong>ale“ und ähnlichen abgeurteilt.<br />

Eine weitere prominente „Emanze“, die sich nicht mit einem einzigen Mann begnügen wollte,<br />

war Clodia, G<strong>at</strong>tin das Metellus Celer. Clodia stammte aus einem der angesehensten<br />

Adelshäuser der Stadt. Sie galt als eine der engagiertesten Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit, der<br />

späten Republik, und war schon deshalb den konserv<strong>at</strong>iven Kräften suspekt. Cicero, der dem<br />

weiblichen Geschlecht insgesamt sehr kritisch gegenüberstand, klagte sie heftig an: wegen<br />

ihrer Ausschweifungen, ihrer Liebhaber und ihrer Aufenthalte im mondänen Badeort Baiae. 68<br />

Cicero bezeichnet sie als Quadrantaria (Viergroschenhure). Clodia galt als die „Lebedame“<br />

in Roms Gesellschaft und war für ihre zahlreichen Liebschaften berüchtigt, unter anderem<br />

h<strong>at</strong>te sie eine leidenschaftliche Affäre mit dem um elf Jahre jüngeren Dichter C<strong>at</strong>ull.<br />

b. C<strong>at</strong>ull und seine Lesbia<br />

C<strong>at</strong>ull 69 stammte aus Verona, ging nach Rom und schloss sich dem Dichterkreis der<br />

Neoteriker an. In Rom verliebte er sich in eine verheir<strong>at</strong>ete, offenbar ziemlich prominente<br />

Frau, die er in seinen Gedichten „Lesbia“ nennt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war diese<br />

Geliebte Clodia. Mit dem Pseudonym Lesbia - das heißt Frau von der Insel Lesbos - erinnert<br />

C<strong>at</strong>ull an die griechische Dichterin Sappho. „Der Name Lesbia soll uns sagen, die so benannte<br />

Frau stehe in Nähe zur geistigen Sphäre jener begnadeten Lyrikerin aus archaischer Zeit.“ 70<br />

C<strong>at</strong>ull richtete 25 Gedichte an Lesbia, die sein Liebesabenteuer von den idyllischen Anfängen<br />

bis zum bitteren Ende aufzeichnen.<br />

66 Text und Übersetzung aus: Sallust; Werke; L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, von Werner Eisenhut und Josef<br />

Lindauer; Zürich: Artemis & Winkler; 2. Auflage; 1994, C<strong>at</strong>ilinae Coniur<strong>at</strong>io 25, 1-5<br />

67 Sallust; Werke; L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, von Werner Eisenhut und Josef Lindauer, Anmerkung, S. 404<br />

68 vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, S. 66<br />

69 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 133/134<br />

70 Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur. L<strong>at</strong>einisch/Deutsch,<br />

Stuttgart: Philipp Reclam Jun. GmbH&Co., 1998, S. 137<br />

23


Er war der erste antike Poet, der die Entwicklung eines tiefempfundenen Liebesverhältnisses<br />

beschrieb. 71 „Leben, Lieben und diese Liebe in verzückten Versen bedenken und preisen und<br />

feiern war für C<strong>at</strong>ull eins.“ 72<br />

Aus seinen Gedichten kann man schließen, dass C<strong>at</strong>ull davon geträumt h<strong>at</strong>, mit ihr eine<br />

dauerhafte Beziehung abseits der gesellschaftlichen Normen führen zu können. 73<br />

Doch die Liaison zu seiner Herzensdame wurde zum einen dadurch erschwert, dass Clodia<br />

verheir<strong>at</strong>et war, und zwar mit ihrem Vetter Quintus Caecilius Metellus Celer - dieser Mann, in<br />

der Politik und in Heeresdiensten bewährt, im Jahre 60 sogar Konsul, war ein amusischer,<br />

spröder Mann, den C<strong>at</strong>ull als „Maultier“ (C<strong>at</strong>ull, c.83) verunglimpft, und zum anderen<br />

dadurch, dass Clodia sich nicht nur bei C<strong>at</strong>ull entschädigte. 74<br />

In seinen Gedichten beschreibt er glückliche Liebe, Eifersucht und bittere Enttäuschung.<br />

Ausgesucht habe ich zwei Gedichte, die gewissermaßen Anfang und Ende dieser Liebe, die,<br />

so finde ich, voll widersprüchlicher Gefühle war, auf sehr emotionale Weise zeigt.<br />

I) C<strong>at</strong>ull, c.5, 1-9 Vivamus, mea Lesbia, <strong>at</strong>que amemus,<br />

rumoresque senum severiorum<br />

omnes unius aestimemus assis!<br />

soles occidere et redire possunt:<br />

nobis cum semel occidit brevis lux,<br />

nox est perpetua una dormienda.<br />

da mi basia mille, deinde centum,<br />

dein mille altera, dein secunda centum,<br />

deinde usque altera mille, deinde centum.<br />

Leben wollen wir, meine Lesbia, und uns lieben<br />

Und für alles Gemunkel allzu strenger Greise<br />

Nicht einen einzigen Heller geben!<br />

Sonnen können sinken und wiederkehren:<br />

Doch wenn uns einmal das kurze Lebenslicht untergegangen ist,<br />

müssen wir eine einzige ewige Nacht schlafen.<br />

Gib mir tausend Küsse, dann hundert,<br />

dann noch tausend und noch mal hundert Küsse,<br />

dann in einem fort weitere tausend, dann hundert. 75<br />

71<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 303/304: He depicts her (Lesbia) as self-assured, beautiful, and<br />

cultured. But when he realizes th<strong>at</strong> she had been false to him with a succession of partners, his<br />

happiness turns to despair. The ups and downs of this affair provide C<strong>at</strong>ullus with the central theme of<br />

his poetry. The Lesbia cycle telling the story of C<strong>at</strong>ullus` love affair from their first courtship through<br />

the height of passion to estrangement and the final break up of the affair.<br />

72<br />

Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur S. 136<br />

73<br />

vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel,<br />

S. 67<br />

74<br />

vgl. Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur, S. 136f.<br />

75<br />

Text und Übersetzung aus: Steinmann, Kurt, Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur.<br />

L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, S. 137/138<br />

24


II) C<strong>at</strong>ull, c.11, 15-24 pauca nunti<strong>at</strong>e meae puellae<br />

non bona dicta.<br />

cum suis viv<strong>at</strong> vale<strong>at</strong>que moechis,<br />

quos simul complexa tenet trecentos,<br />

nullum amans vere, sed identidem omnium<br />

ilia rumpens;<br />

nec meum respectet, ut ante, amorem,<br />

qui illius culpa cecidit velut pr<strong>at</strong>i<br />

ultimi flos, praetereunte postquam<br />

tactus ar<strong>at</strong>ro est.<br />

Meldet meinem Mädchen ein paar<br />

nicht freundliche Worte:<br />

Pack sie sich und lebe mit ihren Hurenböcken,<br />

deren sie aufs Mal dreihundert in ihren Armen hält,<br />

keinen wahrhaft liebend, sondern nur immerfort die Lenden<br />

aller zerrüttend!<br />

Nicht rechne sie wie früher mit meiner Liebe,<br />

die durch ihre Schuld dahinsank, wie die Blume<br />

am Wiesenrand, nachdem der Pflug sie<br />

gestreift h<strong>at</strong>. 76<br />

In Clodia sieht C<strong>at</strong>ull ein würdiges Spiegelbild seiner selbst. Sie besitzt einen unabhängigen<br />

Geist, literarische Bildung, Witz, Schlagfertigkeit, kultivierte Umgangsformen,<br />

Empfindsamkeit und Schönheit. Clodia lässt sich eine Zeitlang von C<strong>at</strong>ulls Liebe ganz in<br />

Besitz nehmen. Doch h<strong>at</strong> sie schon vor C<strong>at</strong>ulls Erscheinen eine selbstbewusste Rolle in der<br />

Gesellschaft gespielt. C<strong>at</strong>ull musste einen hohen Preis für seine Liebe zahlen, die ihm<br />

gesetzlich nicht gehörte. Entgegen seiner einfühlsamen Haltung zur Ehe glaubte er an<br />

„aeternum hoc sanctae foedus amicitiae“ (immerwährenden Bund heiliger Freundschaft) 77 ,<br />

der neben Clodias Ehe bestehen könne. Doch diese ideale Überhöhung hielt auf Dauer der<br />

konkreten Wirklichkeit nicht stand. C<strong>at</strong>ull schrieb sich seine eigene Tragödie – und der<br />

Nachwelt unsterbliche Gedichte.<br />

76<br />

Text und Übersetzung aus: Steinmann, Kurt, Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur.<br />

L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, S. 150/151<br />

77<br />

C<strong>at</strong>ull, Sämtliche Gedichte L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, carmen 109<br />

25


c. Ovid, der Dichter der „Frau von Welt“<br />

Nachdem Rom im 2. und 1. Jhdt. v. Chr. die unumstrittene Vorherrschaft im Mittelmeerraum<br />

errungen h<strong>at</strong>te, etablierte sich unter der reichen Oberschicht ein Trend zum Luxus. Man<br />

sammelte wertvolle Kunstgegenstände, kaufte erlesenen Schmuck - besonders beliebt waren<br />

Perlen - und exquisite Parfums, trug Kleider gefärbt mit wertvollem Purpur oder hauchzarte<br />

und durchsichtige aus Seidengaze. 78 Mit Hilfe ihrer Sklavinnen putzten sich die Römerinnen<br />

heraus, entfernten die Körperhaare, benutzten duftende Cremes, schminkten sich stark, ließen<br />

sich komplizierte Frisuren – auch mit Hilfe von Echthaarteilen - machen, trugen kostbare<br />

Gewänder und auffallenden Schmuck. Die Römerinnen der Kaiserzeit hielten es mit der<br />

Toilette so wie die Orientalinnen noch heute: das Drum und Dran galt ihnen als Hauptsache. 79<br />

Die Damen der Gesellschaft widmeten sich der Musik,<br />

der Liter<strong>at</strong>ur, der Wissenschaft und dem Sport - so<br />

füllten sie ihre Mußestunden aus. „Sie hätten es als<br />

unwürdig empfunden, hätten sie daraus einen Beruf<br />

gemacht.“ 80<br />

Für die „Frau von Welt“ war Ovid der Dichter<br />

schlechthin. Er gibt den Frauen Schönheitstipps zu den<br />

Themen Frisuren, Kleidung und Körperpflege.<br />

Ovid (43v.-17n.Chr.) gilt allgemein als Dichter der Liebe. 81 Folgende Werke sind in diesem<br />

Zusammenhang zu nennen:<br />

• Amores (erotische Liebesgedichte)<br />

In den Elegien der Amores in 3 Büchern ist Corinna (puella), die umworben wird,<br />

Hauptperson. Sehr freizügiges, erotisches und zärtliches Stück, in dem es darum geht,<br />

wie man einen Partner gewinnt und die Zeichen des anderen Geschlechts zu verstehen<br />

weiß, zugleich aber auch Widerspiegelung von Dichtungstheorie. Es herrscht ein<br />

Spannungsfeld zwischen am<strong>at</strong>or (Liebender) und poeta (Dichter). Geschrieben im<br />

Alter von etwa 30 Jahren.<br />

• Ars am<strong>at</strong>oria (Liebeskunst)<br />

Die Ars am<strong>at</strong>oria ist ein parodistisches Lehrgedicht in 3 Büchern über die Kunst der<br />

78<br />

vgl. Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela, Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis Zirkusspiel,<br />

S. 44, Anmerkung 9<br />

79<br />

Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit S.234f und 237<br />

80<br />

Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit, S. 255<br />

81<br />

vgl. Reclams Lexikon der Antike, S.79 und S. 456/457. Diese „Liebesdichtung“ war Mitgrund dafür,<br />

dass 8n. die releg<strong>at</strong>io über Ovid verhängt wurde. Ovid spricht von carmen et error. Die Ars am<strong>at</strong>oria<br />

verstößt gegen Augustus´ Moralgesetzen und Ovid war verwickelt oder informiert über einen Skandal<br />

der Kaiserenkeltochter Julia, die ebenfalls um 8n. verbannt wurde.<br />

26


Verführung, das Ovid für eine gebildete und vergnügungshungrige Gesellschaft<br />

schrieb. Die ersten beiden Bücher geben Anleitungen für Männer, das dritte für<br />

Frauen, wie sie Männer verführen können. Das Werk war äußerst beliebt.<br />

• Medicamina faciei femineae (Mittel der weiblichen Gesichtspflege)<br />

(nur der Anfang erhalten) Hilfsmittel für das (weibliche) Gesicht, Schminktipps<br />

• Remedia amoris (Heilmittel gegen die Liebe)<br />

Gegenstück zu Ars am<strong>at</strong>oria<br />

Ovid gibt ganz detaillierte R<strong>at</strong>schläge für ein perfektes Make-up, für Körperpflege und<br />

Korrekturen körperlicher Schwachstellen. Es h<strong>at</strong> mich fasziniert, wie modern diese<br />

R<strong>at</strong>schläge wirken. Inhaltlich sind sie kaum zu unterscheiden von heutigen<br />

Frauenzeitschriften, Tipps und Anwendungen in Schönheitssalons und Beauty-Farmen.<br />

Was Ovid festgestellt h<strong>at</strong>, gilt heute als stylisches „Muss“ für Frauen:<br />

• nicht jede Frisur passt zu jedem Gesicht<br />

• Kleidung kann Schwächen und Stärken in St<strong>at</strong>ur und Körpergröße<br />

hervorheben oder kaschieren<br />

• gepflegtes Äußeres verbessert den Gesamteindruck<br />

• Gesichtsschminke ist von Gesichtsform und Hauttyp abhängig<br />

Nun zwei Beispiele aus dem 3. Buch der Ars am<strong>at</strong>oria, die im Inhalt auch heute noch<br />

volle Gültigkeit haben.<br />

I) Ars Am<strong>at</strong>oria, III 193-204: zum Thema Körperpflege<br />

Quam paene admonui, ne trux caper iret in alas,<br />

Neve forent duris aspera crura pilis!<br />

Sed non Caucasea doceo de rupe paellas,<br />

Quaeque bibant undas, Myse Caice, tuas.<br />

Quid, si praecipiam, ne fuscet interia dentes,<br />

Oraque suscepta mane laventur aqua?<br />

Scitis et inducta candorem quaerere creta.<br />

Sanguine quae vero non rubet, arte rubet.<br />

Arte supercilii confinia nuda reletis,<br />

Parvaque sinceras vel<strong>at</strong> aluta genas.<br />

Nec pudor est oculos tenui signare favilla,<br />

Vel prope te n<strong>at</strong>o, lucide Cydne, croco.<br />

Fast hätte ich euch noch ermahnt: Laßt den trotzigen Bock unter die Achseln nicht kommen;<br />

das Bein sei nicht von Borstenhaar rauh. Doch nicht vom Kaukasusfeld sind die Mädchen, die<br />

ich unterrichte, trinken, Caicus, aus dir mysisches Wasser ja nicht. Soll ich euch etwa auch<br />

lehrn, daß ihr nicht eure Zähne durch Trägheit braun werden laßt, daß den Mund morgens mit<br />

Wasser ihr spült? Ihr versteht euch darauf, mit Kreide dieHaut euch zu weißen; Wangen, die<br />

nicht durch ihr Blut rot sind, die rötet die Kunst. Kunst füllt den leeren Raum zwischen Augen<br />

und Brauen aus, und ein Schönheitspflästerchen sitzt auf einem reinen Gesicht. Ihr umrahmt<br />

27


ohne Scheu euch mit feiner Asche die Augen oder mit Krokus (er wächst, schimmernder<br />

Cydnus, bei dir). 82<br />

II) Ars am<strong>at</strong>oria, III 261-280: zum Thema Schönheitspflege<br />

Rara tamen menda facies caret. occule mendas,<br />

Quaque potes, vitium corporis abde tui.<br />

Si brevis es, sedeas, ne stans videare sedere:<br />

Inque tuo iaceas quantulacumque toro.<br />

Hic quoque, ne possit fieri mensura cubantis,<br />

Iniecta l<strong>at</strong>eant fac tibi veste pedes.<br />

Quae nimium gracilis, pleno velamina filo<br />

Sum<strong>at</strong>, et ex umeris laxus amictus e<strong>at</strong>.<br />

Pallida purpureis tang<strong>at</strong> sua corpora virgis,<br />

Nigrior ad Pharii confuge piscis opem.<br />

Pes malus in nivea semper celetur aluta:<br />

Arida nec vinclis crura resolve suis.<br />

Conveniunt tenues scapulis analemptrides altis.<br />

Angustum circa fascia pectus e<strong>at</strong>.<br />

Exiguo signet gestu, quodcumque loquetor,<br />

Cui digiti pingues et scaber unguis erit.<br />

Cui gravis oris odor, numquam ieiuna loqu<strong>at</strong>ur,<br />

Et semper sp<strong>at</strong>io distet ab ore viri<br />

Si niger, aut ingens, aut non erit ordine n<strong>at</strong>us<br />

Dens tibi, ridendo maxima damna feres.<br />

Selten doch ist ein Gesicht frei von Fehlern: Verbirg diese Fehler, und, soweit’s möglich ist,<br />

halt die Mängel des Körpers versteckt. Sitz, wenn du klein bist, damit, wenn du stehst, man<br />

nicht annimmt, du strecke, so klein du auch bist, aufs weiche Polster dich hin. [säßest;] Hier<br />

auch, damit, wenn du daliegst, man ja nicht, wie groß du bist, messe, schau, daß mit deinem<br />

Gewand du deine Füße bedeckst. Die, die zu mager ist, trage nur Stoffe aus dichtem Gewebe;<br />

weit sei der Mantel im Schnitt, der von den Schulter ihr fällt. Ist eine blaß, dann trage sie<br />

Kleider mit purpurnen Streifen, doch bei dem pharischen Fisch such, bist zu dunkel du, R<strong>at</strong>.<br />

Schneeweißes Leder soll einen häßlichen Fuß stets verbergen; sind deine Beine zu dürr, lös<br />

ihre Bänder nie ab. Sind die Schultern zu hoch, dann kleiden sie Schnallen, die flach sind; um<br />

eine schmächtige Brust schlinge ein Band sich herum. Nur mit sparsamen Gesten bekräftigt<br />

die ihre Worte, bei der die Finger zu dick, spröde die Nägel auch sind. Wenn eine<br />

Mundgeruch h<strong>at</strong>, rede nie sie mit nüchternem Magen, und von des Mannes Gesicht halt’<br />

weiten Abstand stets. Sind deine Zähne schwarz oder gar zu groß oder wachsen schief sie im<br />

Mund dir, dann bringt Lachen dir große Gefahr. 83<br />

Wir haben einige Kenntnisse über Körperpflege und Schmuck römischer Frauen. 84<br />

Zum Schminken waren Spiegel aus poliertem Metall mit aufwendigen Verzierungen auf der<br />

Rückseite unabdingbar. N<strong>at</strong>ürlich war nicht nur das Make-up populär: Lidsch<strong>at</strong>ten aus Ruß,<br />

Wimperntusche und Lippenstift, dessen Farbe aus Ocker gewonnen wurde, waren genauso<br />

82<br />

Text und Übersetzung aus: Ovid; Liebeskunst, Ars Am<strong>at</strong>oria, l<strong>at</strong>./dt., Heilmittel gegen die Liebe,<br />

Remedia Amoris; herausgegeben von Holzberg, Niklas; Darmstadt: Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft; 3.Auflage; 1992, Ars Am<strong>at</strong>oria, III 193-204<br />

83<br />

Text und Übersetzung aus: Ovid; Liebeskunst, Ars Am<strong>at</strong>oria, l<strong>at</strong>./dt., Heilmittel gegen die Liebe,<br />

Ars Am<strong>at</strong>oria, III 261-280<br />

84<br />

Agnete, 31. Jul. 2007, http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Frauen#Quellen.<br />

28


eliebt. Kalkweiß oder weißes Blei wurden als Puder verwandt, da braune Haut wie im<br />

Mittelalter schwere Landarbeit angezeigt hätte und als ordinär galt. Cremes, Salben, Masken<br />

aus Eselsmilch, Honig und Mehl erfreuten sich großer Beliebtheit. Hirschmarksalbe galt als<br />

ein durchaus gängiges Mittel zur Zahnpflege. Unabdingbar waren lackierte Finger- und<br />

Fußnägel, die die Füße in schicken Schuhen noch anziehender wirken ließen. Die Frisuren der<br />

Römerinnen änderten sich im Laufe der Zeit und hingen von Alter und sozialem St<strong>at</strong>us ab.<br />

Die römische Frau trug die Haare nie kurz, außerdem wurden die Haare oft kunstvoll<br />

hochgesteckt, geglättet, mit einer Art Lockenstab (calamistrum) gelockt, aufwändig mit<br />

Nadeln, Haarnetzen und Bändern geschmückt, als Knoten gebunden, mit Haarteilen oder<br />

Perücken versehen, als Pferdeschwanz getragen und gefärbt. Manchmal wurden die Haare in<br />

großmaschigen Haarnetzen (reticulum) zusammengebunden und mit Goldeinsätzen<br />

verschönert. Traditionsgemäß mussten die Haare der Frau durch Stoff- oder Wollbänder<br />

(vittae) gehalten werden und bedeckt sein. Zu diesem Zweck gab es verschiedene Schleier.<br />

Sich ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zu zeigen, wurde als Zeichen großer<br />

Schamlosigkeit erachtet. Zur Zeit der frühen Republik mussten sich die Frauen so verhüllen<br />

wie heute nur noch Nonnen. Sulpicius Gallus ließ sich sogar von seiner Frau scheiden, weil<br />

sie ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit unterwegs war. Allerdings hielten sich schon in<br />

der späten Republik die wenigsten Frauen daran.<br />

A B C D<br />

Münzdarstellungen:<br />

A: Iulia Domna (um 200 n.Chr.) B: Iulia Domna (um 215 n.Chr.) C: Plautilla (um 205n.Chr.)<br />

D: Iulia Soaernias (um 220 n.Chr.) 85<br />

Frauen schmückten sich oft mit Diademen, Ringen, Spangen, geschmückten Bändern,<br />

Ohrringen, Armbändern und Ketten. Die Frauen trugen regelrechte Schätze mit sich herum,<br />

besonders betraf dies die Ohren, an denen meistens mehrere Ohrringe gleichzeitig hingen. Oft<br />

wurden Bronze und Glas verwendet. Fibeln wurden neben der Zierwirkung vor allem zum<br />

Zusammenhalten der Kleider benutzt.<br />

85 Siever, Stefanie, Juli 1999 http://www.info-antike.de/frisur1.htm.<br />

29


4. Familie in der späten Kaiserzeit bis zur Spätantike<br />

Unsere westliche Gesellschaft ist geprägt vom Begriff „Kernfamilie“, deren Basis ein<br />

liebevolles Paar bildet. Die römische Familie beschränkt sich in der klassischen Zeit nicht auf<br />

die Familie als Ehegemeinschaft, sondern ist auf drei Gener<strong>at</strong>ionen erweitert. Die<br />

Aufspaltung dieser erweiterten Familie erfolgt nicht bei der Heir<strong>at</strong> oder Volljährigkeit der<br />

Söhne, sondern beim Tod des Urgroßv<strong>at</strong>ers. Diese „drei Vorväter“ sind in der Anbetung der<br />

Vorfahren wichtig, aber auch in aristokr<strong>at</strong>ischen Kreisen für den Nachweis von Legitimität.<br />

„Die Ehe ist der V<strong>at</strong>erschaft untergeordnet und die Zirkul<strong>at</strong>ion der Frauen der Perpetuierung<br />

der Rechte der Männer.“ 86 Eine Ehe wurde somit eingegangen, um Nachkommen zu zeugen.<br />

Diese legitimen Kinder tr<strong>at</strong>en das Erbe an und sorgten für den Fortbestand des Sta<strong>at</strong>es, indem<br />

sie die Reihen der Sta<strong>at</strong>sbürger auffüllten. Die Politiker appellierten an die Bürger, ihrer<br />

„sta<strong>at</strong>sbürgerlichen Pflicht“ zu genügen und Kinder in die Welt zu setzen. 87 Hebammen<br />

wurden ausgeschickt, um die Braut zu begutachten und dazu gehörte auch eine<br />

gynäkologische Untersuchung der Scheide, Muttermund und Gebärmutter.<br />

In der Regel sind Zuneigung und eine liebevolle Beziehung in unserem heutigen Sinn in der<br />

römischen Ehe nicht von Bedeutung. Das Ideal dessen, was man in Rom eheliche<br />

Gemeinschaft nennen könnte, war nicht Liebe, sondern concordia – das gegenseitige<br />

Einvernehmen oder besser: das Vermeiden von Zwietracht. Die Ehe war wenig durch eros<br />

angesteckt, sie wurde manchen vorwiegend als Bürgerpflicht auferlegt. 88 Mit der Frau ein<br />

gemeinsames Schlafzimmer zu haben ist unüblich, nur auf Verabredung teilten sich die<br />

Eheg<strong>at</strong>ten einen gemeinsamen Schlafraum.<br />

In der Kaiserzeit ändern sich mit den politischen<br />

Verhältnissen auch die gesellschaftlichen.<br />

Philosophische Einflüsse bestimmen die allgemeinen<br />

Merkmale der römischen Familie. Einige Historiker<br />

gehen davon aus, dass „in der Kaiserzeit die Familie<br />

nicht mehr, wie ursprünglich, p<strong>at</strong>riarchal und autoritär<br />

organisiert gewesen ist, sondern zu einer reinen<br />

Gruppe wurde, die bereits mit der modernen<br />

Kleinfamilie verglichen werden kann“. 89<br />

86<br />

vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 286-291; S. 320<br />

87<br />

Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens. 1. Band: Vom römischen Imperium zum Byzantinischen<br />

Reich, S.Fischer, 1989, S. 47<br />

88<br />

vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 321f.<br />

89<br />

Cantarella, Eva; Pompeij, Liebe und Erotik in einer römischen Stadt, S. 52<br />

30


a. Formen der Ehe und des Zusammenlebens<br />

Bis in die Zeit der späten Republik verstand sich der Ehemann als Sta<strong>at</strong>sbürger, der seiner<br />

bürgerlichen Pflicht nachkam. Im 1. Jhdt.n. Chr. h<strong>at</strong> er „sich als guter G<strong>at</strong>te zu verstehen und<br />

seine Frau offiziell zu respektieren“. 90 Als Grund dafür wird in der Fachliter<strong>at</strong>ur<br />

angenommen, dass sich die Rolle des Mannes änderte, als das Kaiserreich an die Stelle der<br />

Republik tr<strong>at</strong>. Die Ehe verlor zunehmend ihren politischen Charakter und gewann mehr und<br />

mehr an häuslicher Anerkennung. 91 Die neue eheliche Moral verlangte nicht mehr die<br />

fügsame Erfüllung einer Reihe ehelicher Aufgaben, sondern forderte von den G<strong>at</strong>ten, als<br />

ideales Paar zusammenzuleben, und zwar auf der Grundlage einer ständig bewiesenen<br />

freundschaftlichen Gesinnung, die hinreichen sollte, die Pflicht zu tun.<br />

In der Kaiserzeit finden sich Ehepaare, die in gegenseitiger Liebe bis in den Tod verbunden<br />

waren. Solche Ehegemeinschaften sind Zeichen politischen Widerstandes. „Die gegenseitige<br />

Treue der Eheleute wird in diesem Fall zum Topos der Beziehung zwischen Bürgerschaft und<br />

Familie im Bürgerkrieg. In diesem Fall unterschieden sich Ehefrauen jedoch nicht von<br />

Söhnen, Sklaven oder Freigelassenen, sondern diese Ehefrauen verkörpern die Kraft der<br />

Solidarität einer domus gegen die Übergriffe der Mächtigen.“ 92 Beispiele dafür sind vor allem<br />

in der stoischen Opposition zu finden. Zu diesen berühmten Ehefrauen gehören Arria, die<br />

G<strong>at</strong>tin des Caecina Paetus, und Paulina, die G<strong>at</strong>tin des Philosophen Seneca. Der jüngere<br />

Plinius h<strong>at</strong> dem Andenken Arrias einen ganzen Brief (III, 16) gewidmet, in dem er die Liebe<br />

und Treue der Arria zu ihrem Mann beschreibt. Tacitus schildert in seinen Annalen (XV 63.1-<br />

64,2) den erzwungenen Selbstmord Senecas. Seine G<strong>at</strong>tin Paulina ließ sich ebenfalls die<br />

Adern öffnen und wollte mit ihrem Mann in den Tod gehen. Nero jedoch befahl Paulinas Tod<br />

zu verhindern.<br />

Abgesehen von diesem Sonderfall der G<strong>at</strong>tenliebe als politischen Akt zeigt sich in der<br />

Kaiserzeit eine veränderte Einstellung zur Ehe. In der alten Moral war die G<strong>at</strong>tin sozusagen<br />

nur ein Instrument des Sta<strong>at</strong>sbürgers und Familienoberhauptes; sie setzte die Kinder in die<br />

Welt. Nach der neuen Moral ist die Frau eine Freundin. Sie steht auf der Stufe mit den<br />

Freunden des Mannes. Für Seneca ist das eheliche Band mit dem Freundschaftsbund<br />

vergleichbar. Die Stoa wird zum Hauptvermittler veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse.<br />

Das sich liebende Paar h<strong>at</strong> aber damit noch nicht den Einzug ins Abendland gehalten. Denn<br />

eheliche Einigkeit wird gelobt, wenn sie vorkommt, sie ist jedoch keine Norm, die in der<br />

90 Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens, S. 48<br />

91 vgl. Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 322f.<br />

vgl. Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens, S. 48f.<br />

92 Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 321<br />

31


Institution Ehe zu verwirklichen ist. Auswirkungen h<strong>at</strong> die neue Ehemoral auch auf die<br />

Sexualität. Da die Eheleute moralische Subjekte sind und einen Vertrag, also eine Sache auf<br />

Gegenseitigkeit, geschlossen haben, ist der Ehebruch des Mannes nun ebenso gravierend wie<br />

derjenige der Ehefrau. 93 Aber auch innerhalb der Ehe h<strong>at</strong> die neue Moral Auswirkungen. Da<br />

die Ehe Freundschaft ist, dürfen die G<strong>at</strong>ten miteinander nur dann ehelich verkehren, wenn sie<br />

Kinder haben wollen, und sie sollen dabei nicht ungebührlich in Ekstase ger<strong>at</strong>en. Diese<br />

Vernunftgründe, die in der Stoa freien Individuen zum Zwecke ihrer Autonomie als<br />

R<strong>at</strong>schläge mitgegeben werden, werden in der christliche Ehemoral zum Zwang. 94<br />

In der Spätantike waren die Einflüsse des Christentums für den gesellschaftlichen Umgang<br />

mit den Frauen maßgeblich. Im Grunde genommen h<strong>at</strong> sich für sie allerdings wenig geändert,<br />

denn auch die Bibel lehrte die Untertänigkeit der Frau gegenüber dem Mann. 95<br />

Das Schicksal der Frau ist wie bei den „Philosophenpaaren“ verknüpft mit dem ihres G<strong>at</strong>ten,<br />

erst allmählich lehnen sich Christinnen als Töchter oder als Ehefrauen gegen die Sta<strong>at</strong>smacht,<br />

aber auch gegen den Willen eines V<strong>at</strong>ers oder G<strong>at</strong>ten auf und entwickeln eine eigene Ethik.<br />

b. Plinius und seine Calpurnia, die ideale Ehefrau<br />

Plinius der Jüngere, römischer Sen<strong>at</strong>or und Schriftsteller, lebte im 1. Jhdt.n. Chr. In dritter<br />

Ehe war er mit Calpurnia verheir<strong>at</strong>et. Calpurnias Großv<strong>at</strong>er Gaius Calpurnius Fab<strong>at</strong>us war ein<br />

römischer Ritter, der wie die Familie des Plinius aus Comum (jetzt Como) stammte. Sie<br />

wurde nach dem Tod ihrer Eltern von ihrer Tante Calpurnia Hispulla erzogen. Plinius, der mit<br />

der Familie schon seit seiner eigenen Jugend bekannt war, heir<strong>at</strong>ete die noch sehr junge<br />

Calpurnia um das Jahr 98.n. Chr. An die Tante Hispulla schrieb er (IV,19), dass seine Frau<br />

ein Muster an Tugend, Fleiß und Treue sei. Er stellt seine Frau als die ideale Ehefrau dar. 96 In<br />

der Briefsammlung des Plinius sind drei Briefe an sie enthalten (VI,4; VI,7; VII,5), in<br />

weiteren wird sie erwähnt. In einem der Briefe (VIII,10) berichtet Plinius auch von einer<br />

Fehlgeburt, die Calpurnia erlitten h<strong>at</strong>te. Die Ehe blieb kinderlos. Kaiser Trajan verlieh ihm<br />

aber die Privilegien eines V<strong>at</strong>ers von drei Kindern (ius trium liberorum).<br />

93 Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens, S. 57<br />

94 vgl. Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens, S. 55-59<br />

95 vgl. Der Kleine Pauly, Bd.2, S.610: Im Christentum behält die Frau ihre untergeordnete Stellung:<br />

mulier tace<strong>at</strong> in ecclesia NT 1.Kor. 14,34<br />

96 vgl. Reclams Lexikon der Antike, S. 507-509: Plinius ( 61/62n.-113n.Chr.) … „seine Briefe<br />

belegen, dass er eine sehr glückliche dritte Ehe mit Calpurnia führte“.<br />

vgl. The Oxford Classical Dictionary, p. 279: His affection<strong>at</strong>e letters to her established the theme of<br />

conjugal love in L<strong>at</strong>in liter<strong>at</strong>ure.<br />

32


C.PLINIUS CALPURNIAE HISPULLA SUAE S.<br />

(1) Cum sis piet<strong>at</strong>is exemplum fr<strong>at</strong>remque optimum et amantissimum tui pari carit<strong>at</strong>e<br />

dilexeris, filiamque eius ut tuam diligas nec tantum amitae ei adfectum, verum etiam p<strong>at</strong>ris<br />

amissi repraesentes, non dubito maximo tibi gaudio fore, cum cognoveris dignam p<strong>at</strong>re,<br />

dignam te, dignam avo evadere. (2) Summum est acumen, summa frugalitas; am<strong>at</strong> me,<br />

quod castit<strong>at</strong>is indicium est. Accedit his studium litterarum, quod ex mei carit<strong>at</strong>e<br />

concpit. Meos libellos habet, lectit<strong>at</strong>, ediscit etiam. (3) Qua illa sollicitudine, cum videor<br />

acturus, quanto, cum egi, gaudio adficitur! Disponit, qui nuntient sibi, quem adsensum, quos<br />

clamores excitarim, quem eventum iudici tulerim. Eadem, si quando recito, in proximo<br />

discreta velo sedet laudesque nostras avidissimis auribus excipit. (4) Versus quidem meos<br />

cant<strong>at</strong> etiam form<strong>at</strong>que cithara non artifice aliquo docente, sed amore, qui magister est<br />

optimus. (5) His ex causis in spem certissimam adducor perpetuam nobis maioremque in dies<br />

futuram esse concordiam. Non enim aet<strong>at</strong>em meam aut corpus, quae paul<strong>at</strong>im occidunt ac<br />

senescunt, sed gloriam diligit. (6) Nec aliud decet tuis manibus educ<strong>at</strong>am, tuis praeceptis<br />

instiutam, quae nihil in contubernio tuo viderit nisi sanctum honestumque, quae denique<br />

amare me ex tua praedictione consueverit. (7) Nam, cum m<strong>at</strong>rem meam parentis loco<br />

vererere, me a pueritia st<strong>at</strong>im formare, laudare talemque, qualis nunc uxori meae videor,<br />

ominari solebas. (8) Cert<strong>at</strong>im ergo tibi gr<strong>at</strong>ias agimus, ego, quod illam mihi, illa, quod me sibi<br />

dederis, quasi invicem elegeris. Vale.<br />

Plinius, Epistulae 4,19<br />

Calpurnia, eine ideale Ehefrau<br />

C. Plinius grüßt seine Calpurnia Hispulla.<br />

(1) Da dein Familiensinn beispielhaft ist, da du deinen besten und dir überaus ergebenen<br />

Bruder mit derselben Wertschätzung geliebt hast und dessen Tochter wie deine eigene<br />

magst und ihr nicht nur die Zuneigung einer Tante, sondern auch die des verlorenen V<strong>at</strong>ers<br />

entgegenbringst, wird es dich zweifellos außerordentlich freuen, wenn du erfährst, dass sie<br />

sich würdig ihres V<strong>at</strong>ers, würdig deiner Person und würdig ihres Großv<strong>at</strong>ers entwickelt. (2)<br />

Sie besitzt höchste Intelligenz, ganz daneben höchste Anspruchslosigkeit; sie liebt mich,<br />

was ein Zeichen ihrer Reinheit ist. Zu allem diesem kommt ein Interesse an der<br />

Liter<strong>at</strong>ur, das sie aus Liebe zu mir gewonnen h<strong>at</strong>. Sie besitzt meine Büchlein, liest sie<br />

immer wieder, lernt sie sogar auswendig. (3) Wie besorgt ist sie, wenn ich vor Gericht<br />

auftreten soll, wie freut sie sich, wenn mein Auftritt vorbei ist! Sie verteilt Leute (unter den<br />

Zuhörern), die ihr berichten sollen, welche Zustimmung, welchen Beifall ich bekommen<br />

habe, welchen Ausgang mein Prozess genommen h<strong>at</strong>, ebenso sitzt sie, wenn ich einmal etwas<br />

rezitiere, ganz in der Nähe, nur von einem Vorhang abgetrennt, und nimmt ganz begierig die<br />

Komplimente, die mir zuteil werden, auf. (4) Sie singt auch meine Verse und begleitet sie<br />

auf der Kithara – sie h<strong>at</strong> das nicht von einem Musiker gelernt, sondern aus Liebe, die ja<br />

die beste Lehrmeisterin ist. (5) Aus all diesen Gründen hoffe ich ganz zuversichtlich, dass<br />

unser harmonisches Einvernehmen dauern und täglich wachsen wird. Sie liebt nämlich nicht<br />

mein jugendliches Alter oder meinen Körper – beides wird mit der Zeit hinfällig und alt -,<br />

sondern ihre Wertschätzung gilt meinem Ruhm. (6) Und dies war auch nicht anders zu<br />

erwarten, da sie in deinen Händen erzogen, nach deinen Weisungen unterrichtet wurde und da<br />

sie im Zusammenleben mit dir nur Tugendhaftes und Ehrbares gesehen und sich schließlich<br />

daran gewöhnt h<strong>at</strong>, mich so zu lieben, wie du es ihr nahegelegt h<strong>at</strong>test. (7) Denn da du meine<br />

Mutter wie deine eigene verehrtest, hast du dich stets von Kindheit an um meine Bildung<br />

gekümmert, mich gelobt und erwartet, dass ich so werden würde, wie mich meine Frau jetzt<br />

sieht. (8) Um die Wette sagen wir dir also Dank, ich, weil du mir sie, sie, weil du ihr mich<br />

gegeben hast, so als hättest du uns füreinander ausgewählt. Lebe wohl.<br />

Plinius Briefe 4,19<br />

33


C. PLINIUS CALPURNIAE SUAE S.<br />

(1) Scribis te absentia mea non mediocriter adfici unumque habere solacium, quod pro me<br />

libellos meos teneas, saepe etiam in vestigio meo colloces. (2) Gr<strong>at</strong>um est, quod nos requiris,<br />

gr<strong>at</strong>um, quod his fomentis adquiescis; invicem ego epistulas tuas lectito <strong>at</strong>que indentidem<br />

in manus quasi novas sumo. Sed eo magis ad desiderium tui accendor. (3) Nam, cuius littera<br />

tantum habent suavit<strong>at</strong>is, huius sermonibus quantum dulcedinis inest! Tu tamen quam<br />

frequentissime scribe, licet hoc ita me delectet, ut torque<strong>at</strong>. Vale.<br />

Plinius, Epistulae 6,7<br />

Gegenseitige Sehnsucht<br />

C. Plinius grüßt seine Calpurnia.<br />

(1) Du schreibst, dass du unter meiner Abwesenheit nicht wenig leidest und dich nur<br />

eines tröstet: St<strong>at</strong>t meiner hast du meine Büchlein und legst sie auch oft auf meinen Pl<strong>at</strong>z. (2)<br />

Es ist schön, dass du mich vermisst, es ist schön, dass du gerade durch die Tröstungen Ruhe<br />

findest. Umgekehrt lese ich immer wieder deine Briefe und nehme sie, so als seien sie<br />

neu, unaufhörlich zur Hand. Doch dadurch wird meine Sehnsucht nach dir nur umso<br />

größer. (3) Denn wessen Briefe schon so viel Liebenswürdigkeit besitzen, wie viel Charme<br />

haben dann erst dessen Gespräche! Schreibe du mir trotzdem so oft als möglich, mag ich mich<br />

darüber auch so freuen, dass es mich quält. Lebe wohl.<br />

Plinius Briefe 6,7 97<br />

Plinius’ Einstellung zur Ehe und seine Gefühle zu Calpurnia entsprechen den allgemeinen<br />

Forderungen der stoischen Moral. Die Briefe zeigen die freundschaftliche Haltung gegenüber<br />

der Frau. Beim Lesen der Briefe habe ich, trotz der Worte voller Zuneigung, doch den<br />

Eindruck gehabt, dass die beiden nicht auf einer Stufe stehen. Bestätigt fand ich diesen<br />

persönlichen Eindruck in der Fachliter<strong>at</strong>ur. Die Ehe wird als gegenseitige Hilfe und<br />

Freundschaft, welche die G<strong>at</strong>ten einander entgegenbrachten, gesehen. Die Frau wird zur<br />

„Gefährtin ein ganzes Leben lang, muss aber ihre n<strong>at</strong>ürliche Unterlegenheit anerkennen und<br />

dem Mann gehorchen.“ 98<br />

Plinius lobt, dass seine gebildete, junge Frau seine Schriften auswendig lernt, seine Verse<br />

vertont und sie zur Lyra sang. Seine Frau und ihre Wertschätzung ihm gegenüber braucht er,<br />

so meine ich, salopp formuliert, um „sein Ego zu polieren“. „Frauen weihten ihr Leben der<br />

Unterstützung und Förderung des Ehemannes. … Die Frau lebte durch ihren Mann und h<strong>at</strong>te<br />

ganz für ihn da zu sein.“ 99 Die Worte des Wohlwollens und der Zuneigung, die Plinius in<br />

seinen Briefen für seine Frau findet, sind für mich wie Worte eines V<strong>at</strong>ers zu seiner „braven“<br />

Tochter. Es ist eine gängige Vorstellung, dass die junge römische Frau vom Ehemann oder<br />

seiner Familie erzogen wird. 100 Die Ehe von Plinius mit Calpurnia scheint diesen<br />

97<br />

Text und Übersetzung beider Briefe aus: Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.), Römische Frauen,<br />

Ausgewählte Texte, S. 104ff.<br />

98<br />

Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens, S. 49<br />

99<br />

Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 40<br />

100<br />

Burguière, André; Geschichte der Familie, Band1, S. 340ff<br />

34


pädagogischen Zweck erfüllt zu haben. „Calpurnia erfüllte Plinius’ Erwartung nicht nur, weil<br />

sie sich ihm unterordnete, sondern weil sie sich formbar zeigte.“ 101<br />

Diesem Verhältnis entspricht auch der große Altersunterschied zwischen den beiden. Plinius<br />

war zur Zeit der Abfassung dieses Briefes (an die Tante) ca. 36-39 Jahre alt, während<br />

Calpurnia noch keine zwanzig Jahre alt war. Die Gründe, warum Plinius Calpurnia geheir<strong>at</strong>et<br />

h<strong>at</strong>te, waren nicht tiefe Gefühle oder sexuelle Anziehung, sondern gesellschaftliche. Im Brief<br />

I,14 beschreibt Plinius, wie und aus welchen Gründen in der Oberschicht Ehen arrangiert<br />

wurden. Die Befriedigung sexueller Bedürfnisse war kein vorrangiger Ehezweck. Die<br />

Partnerschaften wurden hinsichtlich „spezifischer m<strong>at</strong>erieller Interessen … oder soziopolitischer<br />

und familialer Str<strong>at</strong>egien in Form nützlicher Netzwerke für eine politische Karriere<br />

oder des Bestätigen von Allianzen unter Familien“ 102 geschlossen.<br />

Für mich empfindet Plinius keine tiefen Gefühle zu Calpurnia als Person, sondern er stellt in<br />

seinen Briefen voller Stolz dar, dass er mit Calpurnia das exemplum einer musterhaften Ehe<br />

führt. Dazu gehören auch liebevolle Worte. Denn zur Zeit Trajans und Hadrians forderte die<br />

öffentliche Meinung, dass die gewalttätige Strenge der Vergangenheit angehören sollte und<br />

fromme Zärtlichkeit vorherrschen sollte. 103<br />

101 Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 40<br />

102 Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike, S. 41<br />

103 Carcopino, J., Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit, S. 122<br />

35


5. Zusammenfassendes Schlusswort<br />

Meine Arbeit zeigt, dass der römischen Frau über Jahrhunderte persönliche Freiheiten und<br />

Rechte zugestanden wurden. Gebildete Frauen der Oberschicht h<strong>at</strong>ten „mit dem Übergang<br />

vom ersten vorchristlichen zum ersten nachchristlichen Jahrhundert den Moment ihrer<br />

größten Emanzip<strong>at</strong>ion.“ 104 Sie genoss Bewegungsfreiheit, nahm sich auch sexuelle Freiheiten<br />

heraus, war finanziell autonom und dachte eigenständig. Römische Frauen h<strong>at</strong>ten durchaus<br />

Zugang zu Macht und Geld. Trotz all dieser Freiheiten war die römische Frau juristisch nie<br />

dem Mann gleichgestellt. In diesem Punkt unterscheidet sie sich wesentlich von der Frau in<br />

der heutigen westlichen Gesellschaft.<br />

Durch die Analyse der ausgewählten Texte wurde klar herausgearbeitet, dass die Ansprüche<br />

an Frauen im Allgemeinen sich nicht wesentlich verändert haben. Daher wird in älteren<br />

Büchern die Stellung der römischen Frau oft als völlig gleichberechtigt beschrieben, heute<br />

verweist man aber auf Einschränkungen. Der Grund für diesen Wandel ist einfach. Verglichen<br />

nicht nur mit ihren griechischen Zeitgenossinnen, sondern auch mit den Frauen in Mittelalter<br />

und Neuzeit bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, waren die Frauen der römischen Antike<br />

t<strong>at</strong>sächlich sehr frei und „emanzipiert“. 105 Ich konnte es kaum glauben, dass in Österreich erst<br />

1977(!) die p<strong>at</strong>riarchale Familienordnung durch ein „partnerschaftliches“ Familienrecht<br />

ersetzt wurde. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch in heutiger Zeit die Frau in<br />

Männerköpfen noch immer stark mit „Heim und Herd“ verbunden wird. Eher<strong>at</strong>geber aus den<br />

60er Jahren, mit denen sogar noch meine Mutter groß wurde, geben Aufschluss über die<br />

damaligen Rollenerwartungen an junge Ehefrauen. „Die Bestimmung der Frau lag demnach<br />

in angepasster Zurückhaltung und Verfügbarkeit für die Bedürfnisse des Mannes. Übertr<strong>at</strong> sie<br />

die eng gesteckten Grenzen ihres Aufgabenbereiches, wurde sie schnell mit abwertenden<br />

Etiketten bedacht und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt.“ 106<br />

Daher finde ich es kaum mehr verwunderlich, dass sich auch meine Frauengener<strong>at</strong>ion mit<br />

diesen Rollenbildern umgehen muss. Insofern unterscheidet sich der Alltag der römischen<br />

Frau von dem der heutigen, wenn man die Zeitspanne berücksichtigt, erst in Ansätzen.<br />

Für mich als junge Frau ergibt sich folgende conclusio: die juristische Gleichstellung von<br />

Mann und Frau ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine demokr<strong>at</strong>ische Gesellschaft, die<br />

Umsetzung im Alltag wird wohl immer eine Frage der beteiligten Personen bleiben.<br />

Wird sich daran in der nächsten Gener<strong>at</strong>ion etwas ändern?<br />

104 Cantarella, Eva; Homann, Cornelia (Übersetung); Pompeij, S. 141<br />

105 Agnete, 31. Jul. 2007, http://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Frauen#Quellen.<br />

106 Heistracher, Eva Maria; „Von der Mutti zur Partnerin“; Welt der Frau. Die österreichische<br />

Frauenzeitschrift, Jänner 2008; Seite 9<br />

36


Primärliter<strong>at</strong>ur:<br />

Liter<strong>at</strong>ur- und Quellenverzeichnis<br />

Blank-Sangmeister, Ursula (Hg.); Römische Frauen, Ausgewählte Texte, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch,<br />

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 2001.<br />

Boccaccio, Giovanni; De claris mulieribus, Die Großen Frauen, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch,<br />

ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Irene Erfen und Peter Schmitt,<br />

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1995.<br />

C<strong>at</strong>ull; Sämtliche Gedichte L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von<br />

Michael v. Albrecht, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1995.<br />

Gesta Romanorum, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Rainer<br />

Nickel, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1991.<br />

Livius; Ab urbe condita Liber I, Römische Geschichte 1. Buch, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt<br />

und herausgegeben von Robert Feger, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1981.<br />

Ovid; Liebeskunst, Ars Am<strong>at</strong>oria, l<strong>at</strong>./dt., Heilmittel gegen die Liebe, Remedia Amoris;<br />

herausgegeben von Holzberg, Niklas; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft;<br />

3.Auflage; 1992.<br />

Ovid; Ars Am<strong>at</strong>oria, Liebeskunst, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von<br />

Michael v. Albrecht, Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1992.<br />

Plinius; Briefe, Epistularum libri decem L<strong>at</strong>einisch/Deutsch; herausgegeben von Helmut<br />

Kasten, Zürich: Artemis & Winkler; 1995.<br />

Hausmaninger, Herbert (Hg.); Römisches Recht, Textband; Wien: Verlag Hölder-Pichler-<br />

Tempsky, 1992.<br />

Sallust; Werke; L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, von Werner Eisenhut und Josef Lindauer; Zürich:<br />

Artemis & Winkler; 2. Auflage; 1994.<br />

Sueton; Augustus, L<strong>at</strong>einisch/Deutsch, übersetzt und herausgegeben von Dietmar Schmitz;<br />

Stuttgart: Philipp Reclam jun. GmbH & Co., 1988.<br />

Tacitus; Annalen L<strong>at</strong>einisch/Deutsch; herausgegeben von Erich Heller, Zürich: Artemis &<br />

Winkler; 1982.<br />

Sekundärliter<strong>at</strong>ur (in alphabetischer Reihenfolge):<br />

Burguière, André, Klapisch-Zuber, Christiane, Segalen, Martine, Zonabend, Françoise;<br />

Geschichte der Familie. Band1 Altertum, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft,<br />

1996.<br />

Cantarella, Eva; Homann, Cornelia (Übersetung); Pompeij, Liebe und Erotik in einer<br />

römischen Stadt; Milan: Arnoldo Mondadori Editori S.p.A., 1998.<br />

37


Carcopino, J.; Rom. Leben und Kultur in der Kaiserzeit, Stuttgart 1977, 2. verbesserte<br />

Auflage, 1979 (Titel der inzwischen mehrfach überarbeiteten und erweiterten<br />

Originalausgabe: La Vie quotidienne à Rome à l' apogée de l' Empire. Paris 1939).<br />

Frenzel, Elisabeth; Stoffe der Weltliter<strong>at</strong>ur, Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 9.Auflage, 1998.<br />

Gschwandtner, Helfried; Brandstätter, Christian (Hg.); L<strong>at</strong>ein-Lektüre aktiv: Livius;<br />

öbv&hpt; Wien; 2002.<br />

Hechm<strong>at</strong>i, Jackie; „Schwestern, vereinigt euch!“; Woman Nr.10; 11.5.2007, Seite 36.<br />

Heistracher, Eva Maria; „Von der Mutti zur Partnerin“; Welt der Frau. Die österreichische<br />

Frauenzeitschrift, Jänner 2008; Seite 9.<br />

Holtermann, Martin; Die Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt. Rezeptionsdokumente und ihre<br />

Behandlung im L<strong>at</strong>einunterricht, in: Ianus. Inform<strong>at</strong>ionen zum altsprachlichen Unterricht Nr.<br />

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12.Mai.2007.<br />

Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom, von Arbeitsteilung bis<br />

Zirkusspiel, Lehrplan 2004, Wien: Wilhelm Braumüller, Universitäts-Verlagsbuchhandlung,<br />

2005.<br />

Pomeroy, Sarah B.; Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart: Alfred Kröner<br />

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Radisch, Iris; „Wie wollen wir leben?“. Interview in Buchjournal Sommer 2007; Seite 12ff.<br />

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Späth, Thomas – Wagner, Hasel, B. (Hgg.); Frauenwelten in der Antike.<br />

Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart: Verlag J.B. Metzler,<br />

Sonderausgabe, 2006.<br />

Steinmann, Kurt; Meisterstücke der griechischen und römischen Liter<strong>at</strong>ur.<br />

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Veyne, Paul, Geschichte des priv<strong>at</strong>en Lebens. 1. Band: Vom römischen Imperium zum<br />

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Nachschlage- & allgemeine Standardwerke:<br />

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3.Auflage, 1982.<br />

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(reprinted 1997).<br />

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Hornblower, S. - Spawforth, A.; The Oxford Classical Dictionary. Oxford-New York 1949,<br />

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How<strong>at</strong>son, M. C.; Reclams Lexikon der Antike. Stuttgart 1996, bibliografisch ergänzte<br />

Auflage 2006. (Titel der englischen Originalausgabe: The Oxford Companion to Classical<br />

Liter<strong>at</strong>ure. Second Edition. Oxford-New York 1989.)<br />

Krefeld, Heinrich; Res Romanae, Cornelsen Hirschgraben, Bielefeld: Cornelsen<br />

Verlagsgesellschaft, 16. Auflage, 1998.<br />

Scheer, Rudolf; Römische Kulturkunde, Wien: Franz Deuticke, 4.Auflage, 1988.<br />

Dr. Westphalen, Klaus & Utz, Clement & Dr. Rainer Nickel; Felix. Das Sachbuch, Bamberg:<br />

Buchners Verlag, 2.Auflage, 2005.<br />

Ziegler, K. - Sontheimer, W. (Hg.); Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden,<br />

München:dtv, Taschenbuchausgabe München 1979.<br />

Internetseiten (August 2007)<br />

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C., Stefan, 13. Aug. 2007, http://de.wikipedia.org/wiki/Ovid.<br />

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Die Frau in der Römischen Antike; http://www.eduhi.<strong>at</strong>/gegenstand/l<strong>at</strong>ein/d<strong>at</strong>a/L<strong>at</strong>ein-<br />

Spezialgebiet_(Halbmayr).doc; 2002.<br />

Siever, Stefanie, Juli 1999 http://www.info-antike.de/frisur1.htm.<br />

39


Abbildungsverzeichnis<br />

• Seite 13<br />

Lucretia von Marcantonio Raimondi (1510/11) aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Lucretia<br />

• Seite 21<br />

Lucretia von Lucas Cranach dem Älteren (1533) aus: Holtermann, Martin; Die<br />

Faszin<strong>at</strong>ion der Lucretia-Gestalt, S. 29<br />

• Seite 23<br />

Römisches Mädchen (um 50 n.Chr.) aus: Wikipedia unter: Frauen im röm. Reich<br />

• Seite 27<br />

Frau bei der Toilette aus: Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom,<br />

S. 55<br />

• Seite 30<br />

Frisuren aus: www.info-antike.de/frisur1.htm (Siever, Stefanie, Juli 1999)<br />

• Seite 31<br />

Kernfamilie aus: Oswald, Ren<strong>at</strong>e & Schuller, Michaela; Alltag im antiken Rom,<br />

Coverabbildung<br />

40

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