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NS-Belastete von der Ostalb - Informationsmittel für Bibliotheken

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D GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE<br />

DGAA Deutschland<br />

BADEN-WÜRTTEMBERG<br />

Regionen und Orte<br />

<strong>Ostalb</strong><br />

1933 - 1945<br />

LEBE<strong>NS</strong>BILDER<br />

12-1 Täter, Helfer, Trittbrettfahrer : <strong>NS</strong>-<strong>Belastete</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostalb</strong> /<br />

hrsg. <strong>von</strong> Wolfgang Proske. - Münster ; Ulm : Klemm +<br />

Oelschläger, 2010. - 295 S. : Ill. ; 21 cm. - ISBN 978-3-86281-<br />

008-6 : EUR 19.80<br />

[#2094]<br />

Der hier zu rezensierende Sammelband setzt die Aufarbeitung <strong>der</strong> biographischen<br />

Dimension <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-Herrschaft in Land und Region mit erfreulichem<br />

Schwung fort. Wichtige Vorgängerpublikationen waren u.a. Die Führer <strong>der</strong><br />

Provinz (1997) 1 und Stuttgarter <strong>NS</strong>-Täter (2009) 2 sowie Christine Arbogasts<br />

Tübinger Dissertation Herrschaftsinstanzen <strong>der</strong> württembergischen<br />

<strong>NS</strong>DAP (1998), 3 die sich mit den <strong>NS</strong>-Kreisleitern beschäftigte.<br />

Der <strong>von</strong> dem Geschichtslehrer Wolfgang Proske herausgegebene Band<br />

nimmt 16 „<strong>NS</strong>-<strong>Belastete</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostalb</strong>“ in den Blick, wobei die biographische<br />

Verortung <strong>der</strong> dargestellten Persönlichkeiten in dieser Region Ostwürttembergs<br />

unterschiedlich stark ausgeprägt ist - am geringsten sicherlich bei<br />

Erwin Rommel (1891 - 1944), den Proske selbst zum Gegenstand eines kritischen<br />

Textes macht. Jeglicher Heroisierung abhold, zeichnet Proske das<br />

Bild eines „gewöhnlichen Kriegsverbrechers“ (S. 218), <strong>für</strong> „Rommellegen-<br />

1 Die Führer <strong>der</strong> Provinz : <strong>NS</strong>-Biographien aus Baden und Württemberg / hrsg.<br />

<strong>von</strong> Michael Kißener ; Joachim Scholtyseck. - Konstanz : UVK, Universitätsverlag<br />

Konstanz, 1997. - 875 S. : Ill. ; 24 cm. - (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des<br />

Nationalsozialismus ; 2). - ISBN 3-87940-566-2 : DM 98.00 [4284]. - Rez.: IFB 99-<br />

B09-448 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz04598106Xrez.htm<br />

2 Stuttgarter <strong>NS</strong>-Täter : vom Mitläufer bis zum Massenmör<strong>der</strong> / Hermann G. Abmayr<br />

(Hg.). - 1. Aufl. Stuttgart : Schmetterling-Verlag, 2009. - 383 S. : Ill. ; 23 cm. -<br />

Lizenz des Verl. Abmayr, Stuttgart. - ISBN 978-3-89657-136-6 : EUR 19.80.<br />

3 Herrschaftsinstanzen <strong>der</strong> württembergischen <strong>NS</strong>DAP : Funktion, Sozialprofil<br />

und Lebenswege einer regionalen <strong>NS</strong>-Elite 1920 - 1960 / Christine Arbogast. -<br />

München : Oldenbourg, 1998. - 295 S. ; 23 cm. - (Nationalsozialismus und Nachkriegszeit<br />

in Südwestdeutschland ; 7). - Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1996/97. -<br />

ISBN 3-486-56316-5.


den“ bestehe daher im „demokratischen Rechtsstaat keinerlei Veranlassung.<br />

Konsequenzen aus dieser Einsicht wären wünschenswert“ (S. 219).<br />

Angesichts aktueller medienwirksamer Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen<br />

den Produzenten eines Rommel-Spielfilms und <strong>der</strong> Familie Rommel sowie<br />

befremdlicher Diskussionen um das Rommel-Denkmal in Rommels Geburtsstadt<br />

Heidenheim an <strong>der</strong> Brenz ist ablesbar, daß diese Konsequenzen<br />

wohl noch eine Weile auf sich warten lassen werden. Um so wichtiger bleibt<br />

die Bedeutung gut dokumentierter, kluger Texte, wie Proske ihn über Rommel<br />

o<strong>der</strong> Wolfgang Mährle im neuesten Band <strong>der</strong> Württembergischen<br />

Biographien 4 vorgelegt hat. Letztlich kommen beide Autoren zu dem Befund,<br />

daß die Diskussion um Rommel so zäh und heftig ist, weil sich in ihm<br />

jahrzehntelang das mittlerweile falsifizierte Bild <strong>von</strong> <strong>der</strong> „sauberen Wehrmacht“<br />

idealtypisch verdichtete. Generationenübergreifende Lebenslügen<br />

sind schwer zu liquidieren.<br />

Proskes Einleitungsaufsatz Soll man das Vergangene ruhen lassen? wirft<br />

mehrere Fragen auf, die pointierter kaum sein könnten - wie etwa „Sozialer<br />

Friede durch Amnes(t)ie?“ (S. 9), womit ein Leitmotiv des Bandes dokumentiert<br />

ist: unangenehme Fragen zu stellen und sich um nüchterne Antworten<br />

zu bemühen. Das ist immer ein heikles Unterfangen, dem we<strong>der</strong> Proske<br />

noch die an<strong>der</strong>en Autoren aus dem Wege gehen. Nein, man soll, man darf<br />

das Vergangene nicht ruhen lassen, und nur das Wissen um die Fakten<br />

führt zur Selbstbesinnung.<br />

Zu den vorgestellten „<strong>NS</strong>-<strong>Belastete</strong>n <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostalb</strong>“ gehören <strong>der</strong> aus Gerstetten<br />

stammende und <strong>von</strong> Alfred Hoffmann porträtierte Gottlob Berger<br />

(1897 - 1975), Chef des SS-Hauptamts und General <strong>der</strong> Waffen-SS, ein bie<strong>der</strong>er<br />

Lehrer, <strong>der</strong> zu höchsten Würden im Dritten Reich aufstieg. Wolfgang<br />

Proske demaskiert den aus Ellwangen stammenden „Blutrichter schlimmster<br />

Sorte“ Hermann Cuhorst (1899 - 1991) als den perversen „furchtbaren Juristen“,<br />

<strong>der</strong> er war. Als Senatspräsident beim Oberlandesgericht Stuttgart und<br />

(1937 - 1944) Vorsitzen<strong>der</strong> des „Son<strong>der</strong>gerichts“ erfüllte <strong>der</strong> einstige „Freikorpskämpfer“<br />

Cuhorst alle Hoffnungen, die seitens <strong>der</strong> Parteileitung in ihn<br />

gesetzt wurden. Seine Entnazifizierungsgeschichte liest sich wie ein Stück<br />

aus dem Lehrbuch. Obwohl 1949 zu Arbeitslager verurteilt, erfolgte bereits<br />

1950 seine Entlassung. Cuhorsts Rehabilitierungsversuche scheiterten jedoch<br />

- letzteres im Gegensatz zu vielen an<strong>der</strong>en Justizmör<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-Zeit.<br />

In <strong>der</strong> Todesanzeige hieß es „Selig, die um <strong>der</strong> Gerechtigkeit willen verfolgt<br />

werden; denn ihnen gehört das Himmelreich“.<br />

4 Württembergische Biographien : unter Einbeziehung hohenzollerischer Persönlichkeiten<br />

/ im Auftrag <strong>der</strong> Kommission <strong>für</strong> Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg<br />

hrsg. <strong>von</strong> Maria Magdalena Rückert. - Stuttgart : Kohlhammer. -<br />

25 cm [9129]. - Bd. 2 (2011). - XXV, 358 S. - XXV, 358 S. - ISBN 978-3-17-<br />

021530-6 : EUR 27.00. - Hier S. S. 233 - 237. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen.


Können Rommel, Berger und Cuhorst 5 als vergleichsweise gut „aufgearbeitete“<br />

<strong>NS</strong>-Täter gelten, so sind alle an<strong>der</strong>en Personen im Sammelband erstmals<br />

Gegenstand einer monographischen Arbeit. Hermann Wenz holt die<br />

Biographie des Leiters des KZ Welzheim, des gebürtigen Ebingers Hermann<br />

Eberle (1909 - 1949) ans Licht, <strong>der</strong> durch Suizid endete. Peter Stadlbauer<br />

bietet ein faszinierendes Doppelporträt <strong>von</strong> Christian Ehrlinger (1884<br />

- 1970) und dessen Sohn Erich Ehrlinger (1910 - 2004). Während Christian<br />

Ehrlinger an <strong>der</strong> „Heimatfront“ als Beamter und eifriger „Arisierer“ in Giengen/Brenz<br />

zur Stabilisierung des Hitler-Staates beitrug, engagierte sich <strong>der</strong><br />

Sohn bei <strong>der</strong> SS und stieg zum Amtsleiter des Reichssicherheitshauptamtes<br />

auf. „Bestehende Netzwerke ehemaliger Nazis“ (S. 118) ermöglichten die<br />

krankheitsbedingte Haftentlassung des Sohnes Ehrlinger, <strong>der</strong> immerhin ein<br />

Lebensalter <strong>von</strong> 94 Jahren erreichte.<br />

Heiner Jestrabeks Beitrag über den aus Neubolheim stammenden Karl Götz<br />

(1903 - 1989) ist eines <strong>der</strong> charakteristischen Kernstücke des Bandes. Der<br />

Heidenheimer Lehrer und Aktivist <strong>der</strong> Volkstumsbewegung erwies sich als<br />

mäßig begabter Schriftsteller, über dessen Werk ein „brauner Schatten“ lag<br />

(S. 137), was aber offenkundig niemanden störte, denn er war unter an<strong>der</strong>em<br />

Träger <strong>der</strong> Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und<br />

wurde <strong>von</strong> Lothar Späth 1991 mit dem Professorentitel geehrt. Der <strong>von</strong><br />

Wolfgang Proske porträtierte Johann Haßler (geboren 1906 in Dischingen<br />

bei Neresheim) war Gaswagenfahrer im Osten und Mör<strong>der</strong> zahlreicher<br />

Menschen, jedoch reichte das Beweismaterial nie aus, um ihn dauerhaft zur<br />

Verantwortung zu ziehen. Seine Spur verliert sich in den 1970er Jahren, <strong>der</strong><br />

gewissenhafte Autor Proske vermochte es nicht, seinen Todesort und das<br />

Datum seines Todes zu eruieren. Der ebenfalls <strong>von</strong> Proske beschriebene<br />

Ernst Kapphahn (1895 - 1983), Gymnasiallehrer in Heidenheim und „Obertruppführer“<br />

des <strong>NS</strong>-Fliegerkorps, vermochte sich ein Leben lang als <strong>der</strong><br />

bürgerliche Bie<strong>der</strong>mann zu präsentieren, <strong>der</strong> zugleich Brandstifter war, was<br />

ihm jedoch niemand anlastete. Gebhard Klehr widmet sich in seinem Aufsatz<br />

Adolf Mauer (1899 - 1978), dem aus Bayern stammenden <strong>NS</strong>-<br />

Kreisleiter in Heidenheim und später in Stuttgart. Der Hauptverantwortliche<br />

<strong>für</strong> die „Reichspogromnacht“ in Stuttgart im November 1938 durchlief die<br />

Entnazifizierung wie so viele mit <strong>für</strong> sich durchschlagendem Erfolg und mokierte<br />

sich im Alter öffentlich über mo<strong>der</strong>ate geschichtswissenschaftliche<br />

Darstellungen wie Paul Sauers Württemberg in <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />

(1975). Bei <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-Geschichte Württembergs solle<br />

man doch bitte „die Kirche im Dorf lassen“ (S. 157), gab <strong>der</strong> einstige <strong>NS</strong>-<br />

Gewaltige zu Protokoll - und es gab keinen Aufschrei <strong>der</strong> Empörung, 30<br />

Jahre nach Kriegsende.<br />

Wolfgang Proskes Text über Heidenheims <strong>NS</strong>-Oberbürgermeister Dr. Rudolf<br />

Meier (1901 - 1961) ruft eine Persönlichkeit in Erinnerung, über die vergleichsweise<br />

wenig bekannt ist. Wie Mauer bei Voith in Heidenheim angestellt,<br />

kam er ungeachtet seiner fachlichen Nicht-Befähigung 1935 in das<br />

5 Mit Cuhorst beschäftigen sich Beiträge in Führer <strong>der</strong> Provinz (Anm. 1), S. 111 -<br />

142 (Stefan Baur) und in Stuttgarter <strong>NS</strong>-Täter“ (Anm. 2), S. 332 - 345 (Fritz Erdmann).


Amt des Stadtvorstands und erwies sich als getreuer lokaler Statthalter des<br />

<strong>NS</strong>-Staates.<br />

Weitere Texte befassen sich mit Johann Warak (1914 - 1989) <strong>von</strong> Karlheinz<br />

Bauer, Johannes Thümmler (1906 - 2002; Spitzenfunktionär <strong>der</strong> SS und<br />

Gestapo-Chef in Dresden, Chemnitz und Kattowitz) <strong>von</strong> Sybille Steinbacher,<br />

Dr. Oswald Molsen (1902 - 1965; Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes<br />

Heidenheim), Josef Remmele (1903 - 1948; Lagerführer in drei Außenlagern<br />

des KZ Auschwitz und als einzige <strong>der</strong> vorgestellten Personen als<br />

Kriegsverbrecher hingerichtet) und Jakob Wöger (1897 - 1962; Standesbeamter<br />

in Grafeneck), die letztgenannten drei alle <strong>von</strong> Wolfgang Proske. Johann<br />

Warak war SS-Wachmann in einem Lager bei Wasseralfingen. Bauers<br />

Ausführungen beruhen auf einem Interview mit Warak und erschienen erstmals<br />

im Aalener Jahrbuch (1984). In <strong>der</strong> überarbeiteten Fassung des Aufsatzes<br />

sind Bauers Bemerkungen über die Reaktionen nach <strong>der</strong> Erstveröffentlichung<br />

<strong>von</strong> größtem Interesse, da er dokumentiert, wie ablehnend viele<br />

dieser Reaktionen waren und wie versucht wurde, ihn einzuschüchtern und<br />

zu diffamieren.<br />

Es macht Freude, einen rundum gelungenen Band wie den vorliegenden zu<br />

rezensieren. Vorbildlich ist <strong>der</strong> durchgängige Mut zum klaren Urteil, <strong>der</strong> alle<br />

Beiträge prägt, angefangen bei Wolfgang Proske, Herz und Motor des Bandes.<br />

Die hohe Qualität <strong>der</strong> Texte legt es nahe, in <strong>der</strong> Region nach weiteren<br />

<strong>NS</strong>-<strong>Belastete</strong>n wie dem Aalener Kreisleiter Adolf Kling, dem Ellwanger<br />

Kreisleiter Adolf Kölle o<strong>der</strong> dem Neresheimer Kreisleiter Gottlieb Gröner zu<br />

forschen und auf diese Weise das Wissen um die dunkelste Zeit <strong>der</strong> <strong>Ostalb</strong><br />

zu mehren. Proske hat das Zeug dazu, das hat er mit vorliegendem Band<br />

eindrucksvoll unter Beweis gestellt.<br />

Frank Raberg<br />

QUELLE<br />

<strong>Informationsmittel</strong> (IFB) : digitales Rezensionsorgan <strong>für</strong> Bibliothek und<br />

Wissenschaft<br />

http://ifb.bsz-bw.de/<br />

http://ifb.bsz-bw.de/bsz335150365rez-1.pdf

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