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Tiefe Erschöpfung statt Mutterglück - Spital Netz Bern

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medizinaktuell<br />

Adipositas<br />

Volkskrankheit XXL,<br />

was die Chirurgie bietet<br />

Depression<br />

Wenn die Männerseele<br />

nicht mehr mag<br />

Herz und Sport<br />

Wer trainiert ist,<br />

lebt länger<br />

medizinaktuell – das regionale Gesundheitsmagazin<br />

Entstanden in Zusammenarbeit mit Gesundheits institutionen der Stadt und Region <strong>Bern</strong><br />

April 2012 | Ausgabe <strong>Bern</strong><br />

COPD<br />

Der Lunge geht<br />

die Luft aus


Wochenbett<br />

<strong>Tiefe</strong> <strong>Erschöpfung</strong> <strong>statt</strong> <strong>Mutterglück</strong><br />

Die Freude über das Neugeborene ist meistens riesig. Doch recht oft wird das grosse Glück<br />

durch depressive Stimmungswechsel getrübt.<br />

Die junge Mama präsentiert glücklich ihr rosiges<br />

Baby, den stolzen Papa an der Seite - dies das Fotosujet<br />

der meisten jungen Familien. Doch die Realität<br />

sieht nicht selten anders aus: Da markiert die Geburt<br />

eines Kindes den Beginn von Tränen und psychischen<br />

Störungen. Wir Fachleute unterscheiden nach<br />

Symptomatik, Dauer und Behandlung drei verschiedene<br />

Formen: die so genannten Heultage, den «Baby<br />

Blues»; die Wochenbettdepression, die auch postnatale<br />

Depression genannt wird, die Stressreaktion nach<br />

Geburt; und zuletzt die Wochenbettpsychose.<br />

Baby-Blues Die häufigste psychische Störung in der<br />

Zeit nach der Entbindung eines Kindes ist der «Baby<br />

Blues», wovon gemäss unterschiedlichen Studienergebnissen,<br />

40 bis 70 Prozent aller Mütter in den ersten<br />

drei bis fünf Tagen nach der Geburt betroffen<br />

sind. Sie ist gekennzeichnet von einem sehr raschen<br />

Stimmungswechsel und hoher Empfindlichkeit. Nach<br />

wenigen Tagen ist das Stimmungstief jedoch beendet.<br />

Der «Baby Blues» hängt unter anderem mit den Hormonveränderungen<br />

(starker Östrogenabfall nach der<br />

Geburt) im Körper zusammen. Allerdings gibt es auch<br />

Hinweise, dass Frauen, welche die Heultage stark oder<br />

verlängert erleben, auch ein höheres Risiko für eine<br />

Wochenbettdepression haben.<br />

Wochenbettdepression Dauert das Tief nach der<br />

Geburt länger an oder ist es besonders ausgeprägt,<br />

dann spricht man von einer Wochenbettdepression,<br />

unter der rund jede achte Frau leidet. Die Depression<br />

kann direkt nach der Entbindung beginnen, typischer<br />

aber ist das Auftreten erst sechs bis zwölf Wochen<br />

nach der Geburt. Der Krankheitsverlauf ist schleichend.<br />

Symptome sind häufiges Weinen, Minderwertigkeits-<br />

und Schuldgefühle, innere Unruhe, Antriebslosigkeit<br />

und Schwierigkeiten, Gefühle wie Liebe zu<br />

empfinden. Hinzu kommen meist Schlafstörungen,<br />

Appetitlosigkeit und Kopfschmerzen, Zittern. Häufig<br />

treten mehrere Symptome gemeinsam auf.<br />

Akute Stressreaktion nach der Geburt Gebären<br />

ist eine sehr intensive, oftmals auch schwierige Erfahrung<br />

für die Frau und – nicht selten – auch für ihren<br />

Partner, der manchmal Mühe bekundet, das Ausmass<br />

der Belastung seiner Partnerin richtig einzuordnen.<br />

10 medizin aktuell<br />

Treffen verschiedene Faktoren zusammen wie zum<br />

Beispiel ein unglücklicher Geburtsverlauf, geburtshilfliche<br />

Eingriffe, oder auch ein Trauma in der Vorgeschichte<br />

der Frau, dann kann die Wöchnerin eine<br />

akute Stressreaktion entwickeln, die – unbehandelt –<br />

nach sechs bis acht Wochen in ein so genanntes posttraumatisches<br />

Belastungssyndrom übergehen kann.<br />

Wochenbettpsychose An einer Wochenbettpsychose<br />

erkranken eine bis zwei von 1000 Gebärenden.<br />

Sie leiden unter Verhaltensveränderungen, Denkund<br />

Wahrnehmungsstörungen, Zwängen, Ängsten.<br />

Besonders quälend werden können Zwangsgedanken,<br />

etwa sich selbst oder seinem Kind etwas anzutun.<br />

Die Frau sieht darin den Beweis dafür, dass sie<br />

eine schlechte Mutter sei. Derart schwere Erkrankkungen<br />

sind häufig von Selbstmordgedanken begleitet.<br />

Innerhalb der ersten beiden Wochen<br />

nach der Entbindung ist die Gefahr,<br />

eine Wochen bettpsychose zu erleiden, am Die Hormone spielen<br />

Grössten. In diesem Zusammenhang sei da-<br />

eine Rolle. Aber<br />

rauf hingewiesen, dass heutzutage in den<br />

modernen westlichen Gesellschaften die auch Veranlagung,<br />

postpartale Suizidalität der Frau – vor Blu- Beziehungs umfeld und<br />

tung, Schwangerschaftsvergiftung, Infek-<br />

Erwartungsdruck.<br />

tion, Lungenembolie – die wichtigste Ursache<br />

für Todesfälle im Zusammenhang mit<br />

Mutterschaft geworden ist.<br />

Risikofaktoren bekannt Bei allen genannten Formen<br />

von Befindlichkeitsstörungen (Depression, Stressreaktion<br />

oder Psychosen) spielen – auf der Basis von<br />

Hormonveränderungen und körperlicher Anstrengung<br />

bei der Geburt – auch eine ganze Reihe weiterer<br />

auslösender Faktoren eine Rolle. Besonders anfällig<br />

für psychische Erkrankungen in der Perinatalzeit sind<br />

zum Beispiel Frauen, die schon vorher unter depressiven<br />

Beschwerden, Verstimmungen litten, und die<br />

in ihrer Lebensgeschichte sehr belastende, oder traumatische<br />

Erfahrungen machten wie sexuellen Missbrauch<br />

oder den Verlust einer wichtigen Bezugsperson<br />

während der Kindheit. Bei rund einem Drittel der<br />

betroffenen Frauen scheint auch die erbliche Veranlagung<br />

eine Rolle zu spielen, also dass Mutter, Vater<br />

oder Geschwister auch bereits psychische Probleme<br />

hatten. Ebenfalls gefährdet sind wahrscheinlich


www.photocase.de<br />

Frauen, die stark auf Hormonschwankungen reagieren,<br />

wie etwa beim prämenstruellen Syndrom («Tage<br />

vor den Tagen» mit Symptomen wie etwa starker Müdigkeit,<br />

<strong>Erschöpfung</strong>, Reizbarkeit, Gefühlsschwankungen<br />

zwischen Wut, Trauer und Freude, etc.).<br />

Daneben können auch familiäre Belastungen, Partnerschafts-<br />

oder Berufsprobleme, Komplikationen<br />

und Belastungen während des Geburtsvorganges sowie<br />

die Sorge um die Gesundheit des Babys (Behinderungen)<br />

begünstigende Umstände sein. Und nicht<br />

zu vergessen, der Erwartungsdruck, der oft auf den<br />

jungen Frauen lastet; er kommt vielleicht von einem<br />

selbst, oder auch von der eigenen Mutter, der tüchtigen<br />

Nachbarin, der Schwägerin, die in ihrer Mutterrolle<br />

völlig aufgeht.<br />

Diagnose oft schwierig Obwohl man die Risikofaktoren<br />

kennt, werden die psychischen Probleme<br />

nicht immer erkannt. Während Psychose-Patientinnen<br />

in ihrem Wahn eine Behandlung oft rundweg<br />

ablehnen, ist es bei der Wochenbettdepression meist<br />

die Scham der Mutter, welche die Therapie verhindert.<br />

Viele Frauen, insbesondere in einer verlängerten<br />

akuten Stress-Reaktion, die häufig nicht mit depressiven<br />

Symptomen einher geht, bemerken auch gar<br />

nicht, dass sie krank sind, sondern fühlen sich vielleicht<br />

sogar als «Rabenmütter», wenn sie beim Anblick<br />

ihres Neugeborenen nicht überglücklich sind.<br />

Sie sind gereizt, aber auch bedrückt, teilnahmslos, alltägliche<br />

Dinge wachsen ihnen über den Kopf. Schlafstörungen,<br />

körperliche Beschwerden, Partnerschafts-<br />

und sexuelle Probleme sind keine Seltenheit. Einige<br />

beginnen sich unter den ständigen Schuldgefühlen<br />

übermässige Sorgen um ihr Kind und die Zukunft zu<br />

machen.<br />

<strong>Spital</strong> Riggisberg:<br />

Geburt in familiärer Umgebung<br />

Wenn die Geburt und die erste Wochenbettzeit in ruhiger,<br />

wohnlicher und sicherer Atmosphäre <strong>statt</strong>finden<br />

können, ist ein wichtiger Baustein für die gute<br />

Entwicklung des Babys und die Beziehung zwischen<br />

Eltern und Kind gelegt. Geborgenheit und Sicherheit<br />

stehen denn auch im Mittelpunkt der Geburtshilfe<br />

des <strong>Spital</strong>s Riggisberg. Die werdenden Eltern und ihr<br />

Kind geniessen die persönliche Betreuung eines eingespielten<br />

Teams von Hebammen, Gynäkologen und<br />

Pflegenden. Sie alle unterstützen während der Geburt<br />

und dem Wochenbett den Prozess so individuell wie<br />

möglich.<br />

Bestens umsorgt Von der Badewanne bis zum konventionellen<br />

Gebärbett, vom Majahocker bis zum Romarad:<br />

Im <strong>Spital</strong> Riggisberg stehen den Frauen alle<br />

Hilfsmittel zur Verfügung, um die Wehen in möglichst<br />

angenehmer Position verarbeiten, den Geburtsprozess<br />

sanft unterstützen zu können. In behaglich gestalteten<br />

Geburtszimmern wird der intensive Gebärprozess<br />

im intimen Rahmen erlebt - im Vertrauen darauf, dass<br />

für die Sicherheit von Mutter und Kind medizinische<br />

Einrichtungen auf modernem Stand bereitstehen.<br />

Dazu gehört auch, dass im <strong>Spital</strong> Riggisberg bei Bedarf<br />

jederzeit eine Periduralanästhesie zur Schmerzlinderung<br />

oder eine Kaiserschnitt-Geburt durchgeführt<br />

werden können.<br />

Nach der Geburt finden Mütter und Babys die wohlverdiente<br />

Ruhe. Sie werden bestmöglich umsorgt und<br />

können sich so gut auf den neuen Lebensabschnitt<br />

einstellen. Damit die Eltern diese erste und intensive<br />

Zeit gemeinsam erleben können, stehen nebst den<br />

Wochenbett- auch Familienzimmer zur Verfügung,<br />

so dass die Väter von Anfang an in die neue Familie<br />

integriert werden. Und während dem <strong>Spital</strong>aufenthalt<br />

machen wir die Mütter, Eltern vertraut mit Themen<br />

wie Stillen, Babypflege, Umgang mit dem neuen<br />

Wach-Schlaf-Rhythmus, damit der jungen Familie<br />

dann zu Hause ein guter Start möglich wird.<br />

medizin aktuell 11


Therapie Die ersten Schritte zur Heilung sind das<br />

frühe Erkennen einer Wochenbettdepression und das<br />

Annehmen von Hilfe. Wenn betroffene Frauen beizeiten<br />

mit ihrer Hebamme, ihrer Ärztin, ihrem Arzt über<br />

die Beschwerden sprechen, dann stehen die Chancen<br />

gut, dass die Begleitung und Verarbeitung innerhalb<br />

weniger Wochen oder Monate erfolgreich abgeschlossen<br />

werden kann. Dauern aber depressive Verstimmungen,<br />

<strong>Erschöpfung</strong>, Angst oder Schlafschwierigkeiten<br />

länger an, können sie chronisch werden. Die<br />

Verhinderung dieser Chronifizierung ist besonders<br />

auch für das Baby wichtig, denn eine Beeinträchtigung<br />

des Mutter-Kind-Zusammenspiels, welches sich<br />

notwendigerweise in Folge der Schwäche der Mutter<br />

einstellt, hat eventuell auch Auswirkungen auf seine<br />

Entwicklung.<br />

Gute Prognose Bei einer fortgeschrittenen Erkrankung<br />

kann der Aufenthalt in der Mutter-Kind-Abteilung<br />

eines <strong>Spital</strong>s nötig sein. Im <strong>Spital</strong> Riggisberg<br />

wird in solchen Situationen ein interdisziplinäres<br />

Team eingeschaltet. Das ermöglicht der Mutter, sich<br />

zu erholen, die Probleme anzugehen, sich selber wieder<br />

positiv zu erfahren und die Beziehung zu ihrem<br />

Kind mit Unterstützung weiter entwickeln zu können.<br />

12 medizin aktuell<br />

Leidet eine Mutter unter einer schweren Wochenbettdepression,<br />

kann auch eine medikamentöse Behandlung<br />

(mit Medikamenten, wie sie auch bei anderen<br />

Formen von Depression eingesetzt werden) notwendig<br />

werden. Der Einsatz der Medikamente muss bei<br />

stillenden Müttern gegen den Wert des Stillens abgewogen<br />

werden. Ein Abstillen ist aber in vielen Fällen<br />

nicht notwendig. Bei einer sorgfältigen Behandlung<br />

der Wochenbettdepression ist die Prognose für eine<br />

vollständige Heilung gut.<br />

Der Autor<br />

Werner Stadlmayr, Dr. med.<br />

Chefarzt<br />

Fähigkeitsausweis für Psychosomatische<br />

und Psychosoziale Medizin<br />

Kontakt:<br />

<strong>Spital</strong> Riggisberg, <strong>Spital</strong> <strong>Netz</strong> <strong>Bern</strong><br />

Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

Eyweg 2, 3132 Riggisberg<br />

Tel. 031 808 71 71<br />

werner.stadlmayr@spitalnetzbern.ch

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