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Vision

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<strong>Vision</strong><br />

der Moderne durch einen religiösen Pluralismus und Relativismus 43 verdrängt; der Mensch wird auf<br />

seine Verwertbarkeit in ökonomischen Prozessen und Bildungsanliegen reduziert; die im letzten Viertel<br />

des 20. Jahrhunderts mühsam erkämpften ökologischen Wahrnehmungen der Welt und Mitwelt<br />

des Menschen geraten unter den Zwängen der neoliberaler Globalisierung erneut aus dem Blick. Die<br />

„visionäre Theologie der <strong>Vision</strong>en“, die Hildegard in ihre Zeit stellt, kann deshalb in unserer Zeit ihre<br />

Anschlussfähigkeit an heutigen Diskussionslagen erweisen und als Bereicherung und Erweiterung der<br />

Denkhorizonte dienen.<br />

22 © kfw GmbH 2010<br />

Die besondere Mystik der Hildegard von Bingen<br />

oder: Wie haben wir uns ihre <strong>Vision</strong>en vorzustellen? 44<br />

Das Selbstverständnis der Hildegard zeigt, dass sie zwar teil hat an der mystischen Frömmigkeit und<br />

Theologie ihrer Zeit, aber dennoch im Vergleich zu den klassischen Mystikern und Mystikerinnen „aus<br />

dem Rahmen“ fällt.<br />

Hildegard hat immer wieder betont, dass sie nicht in traumhaften Zuständen, nicht im Schlaf und<br />

nicht im Zustand der Geistesgestörtheit ihre <strong>Vision</strong>en gehabt hat, sondern wachend, besonnen und<br />

klaren Geistes, jedoch mit den Augen und Ohren des inneren Menschen. 45<br />

Diese drei Miniaturen deuten den Entstehungsprozess ihrer <strong>Vision</strong>en an. Als Medium des Heiligen<br />

Geistes erfährt sie ihre <strong>Vision</strong>en als Gaben Gottes. Jene „Einflüsse“ bringt sie in einem ersten Rezeptionsvorgang<br />

zur Aufzeichnung (Bild 1). Sie benutzt dabei eine Wachstafel mit Griffel, die damalige<br />

Form des „Diktiergeräts“. Ihr Sekretär Volmar („Die Feile“) verfasst die Reinschrift ins Buch, allerdings in<br />

deutlicher Distanz zur <strong>Vision</strong>ärin: Ihm ist nur „wie durch eine Mauer“, der Blick auf die empfangenen<br />

<strong>Vision</strong>en gewährt, nicht auf die <strong>Vision</strong>en selbst (Bild 2). Die Nonne Richardis schließlich ist zwar dabei,<br />

sie „stärkt Hildegard den Rücken“, ihre gekreuzten Hände zeigen aber, dass sie selbst zum Empfang<br />

der <strong>Vision</strong>en keinen Beitrag leistet (Bild 3). Die <strong>Vision</strong>en selbst werden später durch Erläuterungen und<br />

Interpretationen Hildegards ergänzt und erfahren damit eine erste Interpretation. Später werden die<br />

Rupertsberger Nonnen die Aufzeichnungen Volmars in einem dritten Rezeptionsvorgang aufschreiben<br />

und schließlich im Kodex mit „gemalter Theologie“, aus denen diese drei Miniaturen stammen,<br />

verbinden.<br />

So ist der Rezeptionsvorgang der <strong>Vision</strong>en Ergebnis eines intensiven Nachdenkens und Reflexionsprozesses.<br />

Sie deshalb als „Schreibtisch-<strong>Vision</strong>en“ abzuurteilen und abzuwerten, kann nicht gelingen. Das<br />

weiterhin Besondere an Hildegard ist, dass eine Korrespondenz besteht zwischen einer intensiven<br />

43 Vgl. Beck, Ulrich (2008): Der eigene Gott. Verlag der Weltreligionen im Inselverlag.<br />

44 Den folgenden Ausführungen liegen Gedanken aus den nachgelassenen Schriften von Dr. Ursula Früchtel (gest. 2008)<br />

zugrunde.<br />

45 Die drei folgenden Miniaturen stammen sind Illustrationen aus Kodex-Handschriften der ersten und der letzten <strong>Vision</strong>sschrift.

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