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360° Neuseeland
Das Magazin mit der Rundum-Perspektive für Urlauber, Auswanderer und Professionals
Der Geist unserer
Sprache S. 4
Writers & Readers
Festival – Auckland S. 8
Interviews und
Rezensionen S. 18
Spezial
Literaturspecial
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Liebe Leserin, lieber Leser,
Neuseeland als Gastland der Frankfurter Buchmesse wird uns eine neue, ungewohnte
Perspektive auf das begehrte Reiseziel bieten. Denn neuseeländisches
Geschichten-Erzählen bezieht einen weiten Raum ein: Nicht nur über verschiedene
Medien hinweg, sondern auch zeitlich, indem es das Gestern mit dem
Heute und dem Morgen verwebt.
Viele Orte in Neuseeland haben in der Maori Sprache klingende Namen, auch
das Land selbst: Die Bezeichnung „Land der langen weißen Wolke“, Aotearoa,
bezieht sich angeblich auf die Geschichte der Entdeckung Neuseelands. Die
Tochter des mythischen polynesischen Entdeckers Kupe soll demnach um das
Jahr 925 die erste gewesen sein, die vom Schiff aus weiße Wolken sah, und
damit die Landmasse Neuseelands entdeckte. Die Maori Kultur kennt verschiedene
Versionen dieser Entdeckungsgeschichte, und gab diese über Jahrhunderte
lang mündlich weiter an die nachfolgenden Generationen. Erst seit den
70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden diese Geschichten in Schrift festgehalten,
bildete sich eine „Maori Renaissance“ und damit auch die Öffnung der
Maori Kultur in einen postkolonialen Diskurs. Die Geschichten der pakeha – der
europäischen Siedler Neuseelands – mischen sich so heute mit denen der Maori,
hinzu kommen die Geschichten der jüngsten Zuwanderer aus China, Samoa,
Somalia und vielen anderen Ländern. In der Vergangenheit erzählten die Maori
Geschichten mit ihren traditionellen Tattoos, den Ta moko, ihren Flechtwerken,
ihren Schnitzereien oder in Tanz und Gesang. Heute werden diese Geschichten
weiter gesponnen und auch in Büchern, Filmen, Games, Apps und multimedialen
Performances erzählt –transmedial und multikulturell.
Internationale Stars wie Anthony McCarten, Alan Duff, Emily Perkins und Paul
Cleave, aber auch Newcomer wie Paula Morris, Kate de Goldi oder Dylan Horrocks
sind unter den mehr als 60 neuseeländischen Autoren, die im Oktober
nach Frankfurt kommen. Dank eines Übersetzungsförderungsprogramms der
neuseeländischen Regierung ist das Interesse der deutschsprachigen Verlage
an Übersetzungen groß: Rund 80 Titel wurden bislang übersetzt, und ich freue
mich, dass Sie hier im Heft Interviews, Rezensionen und Buchvorstellungen aus
den verschiedensten Sparten der neuseeländischen Literatur entdecken können.
Wir werden im Oktober ein neuseeländisches transmediales Gesamtkunstwerk
erleben. Ich bin gespannt und wünsche Ihnen viel Vergnügen auf der literarischen
Entdeckungsreise!
Ihr
Jürgen Boos
Direktor der Frankfurter Buchmesse
Inhalt
Editorial
RepoRts
4 Neuseeländische Literatur
Ein Überblick
8 Auckland Writers and Readers Festival
12 Die Pilcherisierung Neuseelands in
Literatur und Film
poRtRaits
14 Keri Hulme
15 Brian Turner
16 Patricia Grace
17 Lloyd Jones
iNteRviews
18 Witi Ihimaera und Joe Harawira
20 Sarah Quigley
22 Paul Cleave
23 Antonia Steeg
24 Greg Scouwen
RezeNsioNeN
26 Rebecca Maly
im tal des windes
27 Paul Cleave
Das Haus des todes
28 Rose Tremain
Die Farbe der träume
29 Laura Elliot
wiedersehen in Hevanswalk
30 Emily Perkins
Die Forrests – Roman einer Familie
31 Anthony McCarten
Ganz normale Helden
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 3
Literaturspecial Report
Der Geist unserer Sprache –
Neuseeländische Literatur
Neuseeland ist „Guest of Honour“ auf der Buchmesse
Frankfurt 2012. Das neuseeländische
Motto lautet: „Bevor es bei Euch hell wird“ (Im
Original heißt es: „While you were sleeping“). Die Faszination
die von Neuseeland ausgeht, besteht also u.a.
darin, dass es interessante Aktivitäten auf der anderen
Seite der Welt gibt. Während wir hier in Europa noch
in tiefem Schlaf liegen, erzählt man sich in Neuseeland
bereits Geschichten.
Manche Neuseeländer schreiben ihre Bücher in der
Nacht, wie der weltberühmte Witi Ihimaera („Whalerider“)
mir bei einem Spaziergang durch Berlin verraten
hat. Andere, wie die Autorin Sarah Quigley, die selbst
in Berlin lebt, bevorzugen humanere Zeiten und nutzen
den Tag zum Schreiben. Einige Autoren siedeln ihre
Geschichten in Russland an, andere in England, Neuseeland
oder spannen antipodische Geschichten, die
um die halbe Welt reichen. Neuseeländische Literatur
kann sehr vielseitig sein. Zur Buchmesse kommen zahl-
reiche neuseeländische Autoren zum ersten Mal in den
Genuss, ins Deutsche übersetzt zu werden. Über siebzig
neuseeländische Werke wurden, auch dank einer großzügigen
fi nanziellen Übersetzungshilfe zur Messe, neu
ins Deutsche übersetzt. Mittlerweile gibt es aber zahlreiche
Autoren, die Neuseeland nie verlassen haben
und eine solide Karriere in ihrem Land hingelegt haben,
das ja nur vier Millionen Einwohner hat. Aber der englischsprachige
weltweite Markt bietet auch vielen die
Chance auf eine große, internationale Karriere.
In meinem Arbeitszimmer stapeln sich allein an die
dreißig Werke, die zu diesem neuseeländischen
Bücherherbst gehören. Wenige davon enttäuschen
auf ganzer Linie (ich werde sie erst gar nicht erwähnen),
einige sind wahre Überraschungen (von denen
hier noch die Rede sein wird) und andere waren so gut,
dass ich sie fast in einem Zug ausgelesen habe (u.a.
„Rangatira“ von Paula Morris und „Abends um 10“ von
Kate de Goldi). Es gibt wunderschöne Bücher in neuer
Ausstattung (z. B. von Katherine Mansfi eld) und hübsche,
kleine Anthologien, die eine erste gute Übersicht
über neuseeländische Literatur verleihen („Neuseeland
erzählt“, Fischer Taschen Bibliothek).
storyteller gehören dazu
Geboren wurde die neuseeländische Literatur in den
Marae, den traditionellen Versammlungsstätten. Hier
wurden die Geschichten der Vorfahren erzählt und,
wie der Storyteller Joe Harawira es nennt, die Integrität
dieser Mythen, Gesänge, Legenden und Sagen eingeübt.
Wichtig war die Pfl ege der oralen Kultur, die in
erster Linie als Wissensvermittlung und Bewahrung des
alten gesprochenen Erbes diente. Geschichten wurden
aber nicht nur erzählt, sondern auch, so Witi Ihimaera,
„gewebt, getanzt, gesungen und geschnitzt“. Vor
allem die Kultur der Waiata, der Lieder, geht auch heute
bei den modernen Geschichtenerzählern, noch Hand
in Hand mit der Kunst des Erzählens. Bei der langen
Nacht der Maori in Berlin im September 2012 verfi el
Joe Harawira beim Erzählen seiner englischen Maori-
Geschichten immer wieder in die Gesänge, weil eben
die Sprache der Maori, wie er es sagt, den Geist seines
Volkes unmittelbar transportiert.
Wer sich literarisch in diese Welten vertiefen möchte,
dem seien die Bücher von Patricia Grace empfohlen und
hier, allen voran, das wunderbare Buch „Potiki“ (Unionsverlag).
Der Pionierin der zeitgenössischen Maori-
Literatur Patricia Grace gelingt es darin wunderbar, die
Sprache der Maori (Grace selbst kann auf vier verschiedene
Stämme als Wurzel verweisen) in eine klare, uns
4 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Die autoren patricia Grace
verständliche Form zu
bringen, die die Vi -
sionen des hellseherisch
begabten Kindes
Toko erweckt. Ein
starkes poetisches,
aber auch politisches
Buch, denn die Visionen
von Toko betreffen
die Zukunft seines
Dorfes. Ein gerade in
Zeiten des Raubtier-
Kapitalismus wichtiges
Buch, das einen zur
Frage bringt, inwieweit
moderner Fortschritt
Verheißungen
weckt, die wir tief in
unserem Innern gar
nicht wollten oder
brauchen.
Der derzeit wohl bekannteste Maori-Autor Witi Ihimaera
geht in seinem Roman „Whalerider“ noch einen
Schritt weiter und hinterfragt, inwieweit sich die Tradition
der Maori selbst ändern, also fortschreiten und
sich entwickeln sollte, wenn sie offensichtlich Defi zite
in sich trägt. Die Gleichberechtigung zwischen Männern
und Frauen beispielsweise – eine starke Diskrepanz
zwischen der Tradition der Maori und der
Moderne. Die sehr anrührende Geschichte, in der es
dem Maori-Mädchen Pai gelingt, ihren Großvater durch
Geduld, Ausdauer und Mut davon zu überzeugen, dass
sie seine auserwählte Nachfolgerin ist, hat bei vielen
Maori kulturell einiges in Bewegung gebracht, ist aber
anfangs als Buch in den Regalen fast verstaubt. Erst
die Verfi lmung und Oscar-Nominierung machte auch
das Buch zu einem Welterfolg und Ihimaera quasi über
Nacht berühmt. Witi Ihimaera arbeitete im diplomatischen
Dienst in New York, als er von einem Hochhaus
aus unten im Hudson River einen Wal entdeckte. Die
Initialzündung eines Welterfolgs, den Ihimaera in nur
30 Tagen niederschrieb (mehr dazu im Interview mit
Witi Ihimaera auf den Seiten 18 und 19).
Die Frage, ob die Gleichheit zwischen den Geschlechtern
Wirklichkeit ist oder eben nur Lippenbekenntnis, hat
jedoch kein anderer Maori-Autor so drastisch beleuchtet
wie Alan Duff. Auf dem Literaturfestival in Berlin berichtete
Alan Duff davon, dass sein Buch „Warriors“ (Unionsverlag)
, das schonungslos aus der wahren, harten
Wirklichkeit der Maori berichtete, nach der Veröffentlichung
in ganz Neuseeland, vor allem aber bei Maori auf
starken Widerstand stieß. Die Pakeha (neuseeländische
Nicht-Maori) verbannten das Buch aus den Bibliotheken.
Die Maori beschimpften ihn als Verräter an seiner eigenen
Kultur. Und all das nur, weil Duff offen und authentisch
über seine Kindheit berichtet hatte, in der tägliche
häusliche Gewalt und Erniedrigung keine Unbekannten
waren. Erst die Verfi lmung seines Buches verhalf Alan
Duff zu der Reputation, die er sich erhofft und verdient
hatte. Literatur dient ja gerade dazu Klassenunterschiede
aufzuzeigen. Duff, der den Finger direkt in die Wunde
des vermeintlich klassenlosen Neuseeland
gelegt hatte, gehört zu den
wichtigsten Pionieren und mutigsten
Vertretern neuseeländischer Literatur.
Ein Vorreiter, der sich allerdings
schmollend ins Exil nach Frankreich
begeben hat, sich heillos mit
dem Regisseur des Films zerstritten
hat und nun, im September 2012, in
Berlin, auf die Fortsetzung der als Trilogie
angelegten Saga verweist. Man
darf gespannt sein was Duff literarisch
aus dem Zylinder zaubert, denn
man wartet schon lange auf ein weiteres
gutes Buch von ihm.
Report Literaturspecial
Wer einen guten historischen Roman sucht, der sich
einerseits auf eine wahre spannende Geschichte stützt
und andererseits literarisch hervorragend erzählt ist,
dem sei das fabelhaft gute Buch der Autorin Paula Morris
namens „Rangatira“ ans Herz gelegt. „Rangatira“
wurde bislang nur in Neuseeland und Deutschland verlegt
und ist in England noch nahezu unbekannt. Wirklich
erstaunlich, zumal die sehr interessante Geschichte
des Maori-Häuptlings Paratene, der um 1863 nach London
reist, um dort die antipodische Welt kennenzulernen,
eben hauptsächlich in England spielt. Der mit einem
prächtigen Gesichts-Tattoo, einem Moko ausgestattete
Paratene, dem Missionare in seiner Heimat noch verboten
hatten, die traditionellen Tänze zu tanzen und Lieder
zu singen, soll nun in England all dies vorführen. Eine
widersprüchliche Welt, die der alte Häuptling mit viel
Witz und Humor meistert. So möchte er gerne, dass die
Londoner mal die Löwen aus dem Zoologischen Garten
befreien, damit er seine Kräfte als Krieger zur Schau
stellen kann. Ein tolles Buch, das zudem auch tiefe Einblicke
in unterschiedliche Sichtweisen zeigt. So wundert
sich der Maori-Häuptling, warum die primitiven Engländer
schmutzige Toiletten gleich neben der Küche in den
Häusern haben. In den Häusern der Maori kennt man
solche Unsitten nicht. Hier sind Küche, Bett und Toilette
je in anderen Häusern hygienisch streng getrennt. Ein
wunderbares Buch, das zu Recht 2012 den höchsten neuseeländischen
Buchpreis erhalten hat. Die Autorin Paula
Morris ist übrigens Halb-Maori und Halb-Pakeha und
kann sich, wie das Buch zeigt, wirklich in die Seelen der
Maori als auch der Engländer gleichermaßen versenken.
Eine weitere, bereits etablierte Autorin, die beide Seiten
der Medaille kennt, ist Keri Hulme. Ihre Vorfahren
stammen aus Schottland und England, mütterlicherseits
stammt sie vom Maori-Stamm der Kai Tahu ab. Ihr voluminöser
Bestseller „Unter dem Tagmond“ sollte übrigens
in meinen Augen nicht unbedingt als Einstieg in die literarische
Welt der Autorin herangezogen werden. Leichtere
Kost und, da in kurzen, gut lesbaren Appetithappen
kredenzt, bietet sich ihr Buch „Der Windesser“ wunderbar
an, um die mythischen Welten der Autorin kennenzulernen.
Keri Hulme war bereits Tabakpfl ückerin, Köchin
und Postbotin, sie kennt die Welt und schildert herrlich
skurrile, schräge Typen, die so typisch für Neuseeland
sind. Am schönsten jedoch sind ihre poetischen Reisen
zu Regenvögeln und Sommernachtsmeeren.
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 5
Literaturspecial Report
Ich bleibe noch kurz bei
den Maori und einem
wunderbaren Buch, das
sich ihrer Sache widmet.
Denn ganz aktuell kämpfen
die Maori nach wie
vor für ihre Rechte auf
Land, Kultur und Sprache,
und auch wenn es
hier in den letzten Jahren
gewaltige Fortschritte
gibt, so keimt
doch eine Maori-Protestform,
die sich Hikoi
nennt, wieder stark auf.
Eine sehr eigene und oft
sehr kreative Form des
Widerstands, die im Buch „Hikoi – Der lange Marsch der
Maori“ (Orlanda Verlag) mit zahlreichen Bildern sehr
eindrucksvoll nachzulesen und zu betrachten ist. Eines
der seltenen Bücher, in denen der Aspekt des Widerstands
(vom rassistischen Rugby bis hin zur Sprachkultur)
in vielen Aspekten beleuchtet wird. Ein sehr empfehlenswertes
Buch.
wo ist mein zuhause?
Die wohl bekannteste Schriftstellerin Neuseelands und
wohl einzige Autorin von Weltrang ist Katherine Mansfi
eld. Früh ging sie Neuseeland verloren, wurde als Teenager
in London eingeschult, ging dann zurück nach
Neuseeland, wurde aber nicht glücklich dort. Früh
auch emanzipierte sich Mansfi eld in ihrem Leben von
klassischen Vorgaben und den üblichen Lebensläufen
anderer Autoren. Zwar ging sie nicht so weit wie die
Kriminalschriftstellerin Edith Ngaio Marsh, die man oft
als Agatha Christie Neuseelands bezeichnet und die
auf ihren Recherchetouren als Mann verkleidet durchs
abendliche Christchurch zog. Doch Mansfi eld, die früh
den Kontakt zur Bloomsbury-Gruppe um Virginia Woolf
suchte, ging andere extreme Wege. Da die englischen
Autoren sie nicht akzeptierten und sie in einer durchaus
als arrogant zu bezeichnenden Art und Weise als
360° Autor: Joscha Remus
Neuseeland ist seit nunmehr acht Jahren
eine der Lieblingsdestinationen des
Reiseschriftstellers Joscha Remus, der
dieses Land auch als Wissenschaftsautor
immer wieder bereist. Neben einem
halbstündigen Radio-Wissensfeature bei
SWR 2, das zu großen Teilen in Neuseeland
angesiedelt ist („Die Suchmaschinen
der Zukunft“), hat Joscha Remus mittlerweile drei Bücher
zu Neuseeland geschrieben. Neben der „Lesereise Neuseeland.
Das Land der langen weißen Wolke“, das im Picus-Verlag
erschien, sind seit September 2012 auch seine beiden neuesten
Werke erhältlich. Die „Gebrauchsanweisung Neuseeland“
(Piper) und das Hörbuch „Die Maori“ (headroom).
eine „koloniale Autorin“ betrachteten, suchte sie in
Deutschland und während einer schweren Erkrankung,
die letztlich zu ihrem frühen Tod führte, in einer esoterischen
Gruppe bei Paris ihre Heimat. Mansfi eld suchte
immer eine Verortung, fühlte sich immer als Außenseiterin,
nie als „Insider“.
Sie war die Wegbereiterin der englischen Short Story
und gilt als Vorgängerin aller heutigen neuseeländischen
Autoren, die aus einer landestypischen Neugier
heraus eine Overseas Experience machten. In ihrer
Londoner Zeit erzählt Katherine Mansfi eld davon, wie
sehr sie romantische Metaphern wie Mondenschein
und Nachtigallengesang verabscheute. Ihre Sehnsucht
galt der klaren, authentischen, der kraftvollen und wahren
Literatur. Eine ewige Suche, die man als Leser wunderbar
in der Gesamtausgabe ihrer Werke im Diogenes-
Verlag nachverfolgen kann. Mit nur vierunddreißig
Jahren starb Mansfi eld in der Gemeinschaft des Mystikers
und Tanzlehrers Georg I. Gurdjieff in Fontaine-
bleau bei Paris an Tuberkulose.
Erst nach ihrem
Tod wurde sie in Neuseeland
zum Star. Im Garten
ihres Hauses in der Tinakori
Road 25 in Wellington
pfl egt man heute ihre
Rosen und Pelargonien.
Doch lange Zeit galt die
Autorin in ihrem Land als
Fremde und auch die neuseeländische
Heimat blieb
der Schriftstellerin lange
Zeit eine fremde Idylle.
Rotschopf sucht einen weg durch die welt
Wer die Verfi lmung von „Ein Engel an meiner Tafel“
gesehen hat, kann sich ein Bild von der neuseeländischen
Autorin machen, die 2003 Anwärterin auf den
Literatur-Nobelpreis war. Janet Frame, eine in jungen
Jahren mit mächtigem roten Haarnest ausgestattete Frau,
die es trotz aller realen Widerstände und Grausamkeiten
geschafft hat, sich einen herausragenden Platz in der
neuseeländischen Literatur zu erschreiben. Janet Frame
kann als die eigenwilligste Schriftstellerin des Landes
angesehen werden, denn ihr gelang es, ihr Misstrauen
gegenüber dem Leben, das ihr wirklich übel mitgespielt
hat, in prächtige Kunst zu verwandeln. Fünf Geschwister,
in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen (ein Bruder
starb an Epilepsie), wurde die junge Janet fälschlicherweise
in die Psychiatrie eingewiesen und jahrelang
mit unzähligen Elektroschocks „therapiert“. Im C.H.
Beck Verlag sind drei ihrer stärksten Romane nun neu
aufgelegt und übersetzt worden. Eine Autorin, die uns
wirklich hautnahe und tiefe Einblicke in die Seelen- und
Gemütslage Neuseelands Mitte des 20. Jahrhunderts
gewährt. Sprachmächtige, poetische und wirklich originelle
Wortkunst, gepaart mit einer tragischen zugrundeliegenden
Geschichte. Wer etwas über Neuseeland
erfahren möchte, sollte Frames Bücher lesen. Besonders
empfehlenswert: „Ein Engel an meiner Tafel“.
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neuseeländischen
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Cathie Dunsford
Lied der Selkies
Was haben die alten Frauen der
steinzeitlichen Siedlung von Skara
Brae den Seehundfrauen erzählt?
Und welches Geheimnis umgibt
den magischen Ring von Brodgar?
Der vierte Roman der beliebten
»Cowrie-Saga« führt die Maorifrau
aus ihrer Heimat Aotearoa/
Neuseeland in die raue Landschaft
der schottischen Orkney-Inseln.
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© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 7
Literaturspecial Report
Words Down Under – Auckland
Writers & Readers Festival
Unter dem Titel „Words Down Under“ fand in
Auckland vom 9. bis 13. Mai das größte jährliche
Literaturfestival Neuseelands statt. Mehr
als 100 internationale und neuseeländische Autoren trafen
fünf Tage lang auf rund 24.000 Besucher.
what the Dickens?
„What the Dickens“ war das Motto der Eröffnungsfeier,
der Listener Gala Night. Das bedeutet, „Was zum Teufel“,
stammt aus Shakespeares „Die Weiber von Windsor“ und
sorgte für etliche Lacher bei: „True storys told live“. Der
Ire Eoin Colfer („Artemis Fowl“) erzählte auf der Bühne
Anekdoten: Wie er im Selbstversuch herausfand, auf welche
Art Frauen ihren BH unter einem Kleidungsstück aus-
ziehen, oder wie er im Hotel umsonst übernachtete, weil er
sich immer wieder über das Summen seiner eigenen elektrische
Zahnbürste beschwerte. Die gebürtige Neuseeländerin
Anne Kennedy („Sing Song“) spielte vor, wie sie als
Neunjährige mit ihren älteren Geschwistern eine Woche
allein zu Hause blieb und diese dort ein Hippiecamp
errichteten. Jesmyn Ward („Salvage the Bones“) aus New
Orleans dagegen berichtet, wie sie und ihre Familie während
des Hurricanes Katrina nur knapp dem Tod entkamen,
indem sie sich in einem offenen Lastwagen versteckten.
Die acht Autoren, darunter noch Roddy Doyle, die neuseeländische
Jugendbuchautorin Kate De Goldi, Lemon
Anderson, Geoff Dyer und Oliver Jeffers, die vor den geladenen
Gästen auf der Bühne sprachen, hatten zehn Minuten
freie Redezeit. Bedingung: Was sie erzählten, musste
wahr sein und aus ihrem eigenen Leben stammen.
8 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
an hour with ...
Die Schriftsteller sind sie selbst, treten aus der einsamen
Rolle des Geschichtenschöpfers heraus auf die
offene Bühne, ohne Manuskript, Buch, Moderator. „Das
würden deutsche Autoren nie mitmachen,“ wundert
sich Wolfgang Herles, Moderator des „Blauen Sofas“
im ZDF später auf der Feier. Es ist eine Mischung aus
Stand-Up Comedy, lebensnahem, persönlichem Erzählen
und Poetry-Slam, die hier in Neuseeland das Festival
eröffnet. Schon in dieser ersten Begegnung mit der hiesigen
Literaturszene wird klar, wie sehr sich das ganze
Konzept von deutschen Veranstaltungen unterscheidet.
Die Lesungen heißen „An hour with ...“ und beinhalten
Gespräche, kurze Passagen aus neuen Büchern,
aber vor allem eine lockere Atmosphäre, eine fast ungewohnte
Nähe zwischen Autoren und Publikum, viel
Gelächter, neugierige Fragen und Austausch. Bei Eoin
Colfer reißen die Kinder dir Arme hoch, als er fragt
„Any questions?“ – hunderte junger Leser sind zu seiner
„Stunde“ gekommen. Anthony McCarten reicht das
Mikrophon auf die Frage, warum seine Bücher gerade
in Deutschland so erfolgreich seien, augenzwinkernd
von der Bühne an die anwesenden deutschen Journalisten
weiter. „Wir mögen den Humor,“ lautet die Antwort
der überraschten Gäste. Die neuseeländische
Lässigkeit prägt das gesamte Festival, man kommt miteinander
ins Gespräch. „Wir brauchen solche Veranstaltungen,“
sagt Emily Perkins. „Hier begegnen sich
Literaten, Leser, Publizisten und Verleger. Es ist der einzige
Weg, die Menschen von Angesicht zu Angesicht zu
treffen, die dann unsere Arbeit lesen.“
emily perkins liest aus „the Forest“
Literaturhäuser gibt es in Neuseeland nicht, Lesungen
eher eine Seltenheit. Emily Perkins sei es vor allem
deshalb so leicht gefallen, einen Verlag für ihr erstes
Buch zu fi nden, weil sie „zur richtigen Zeit den richtigen
Leuten vorgestellt wurde“. Ebenfalls auf einem
Festival, damals in Wellington. Das mag eine Untertreibung
der begabten Autorin und Moderatorin einer
TV-Literatursendung sein, die im Moment mit ihrem
neuen Buch „The Forrests“ zum derzeitigen Liebling der
Report Literaturspecial
neuseeländischen Leser avanciert und auch in Deutschland
von Bloomsbury verlegt wird, zeigt aber die Bedeutung
des Auckland-Festivals.
erfolgreiches Festival
Die autorin Hinemoana Baker
Während Emily Perkins „Stunde“ von ihrer Schriftstellerkollegin
Paula Morris („Rangatira“) moderiert wurde,
saß sie selbst als Interviewerin bei Jeffrey Eugenides
(„Middlesex“) auf der Bühne. Er war eines der internationalen
Zugpferde des Festivals. Mit rund 24.000 Karten
wurden insgesamt zehn Prozent mehr als im letzten
Jahr verkauft. Dabei kosteten die Karten für eine der
82 Veranstaltungen im Aotea Centre zum Normalpreis
rund 25 bis 40 NZD, also 15 bis 25 EUR, nur Studenten
und Frühbucher zahlten weniger. Die hohen Verkaufszahlen
seien eine Überraschung gewesen, da der Buchmarkt
kontinuierlich schrumpfe, sagen Branchenkenner.
Das Programm ist bunt gemischt, das Spektrum reicht
über alle Genres von der historischen Romanze über
die Jugend- und Kinderbücher bis zu Krimis und Thrillern
oder Lyrik. In Hinemoana Bakers Workshop „Language
and Sound“ beschreibt die Lyri kerin, wie sie eine
wissenschaftliche Arbeit über ein elektronisches Musikstück
in ein Gedicht über die Geburt eines Kindes eins
zu eins übernahm. „Es geht um die Musik in der Sprache,“
lächelt sie. Die Performancekünstlerin ist Musikerin,
Maori, Poetin und Kosmopolitin.
Paul Moon hatte sich mit einem Buch über maorischen
Kannibalismus in den ersten Besiedlungszeiten bei vielen
Neuseeländern unbeliebt gemacht, der Historiker
spricht jetzt über die Kultur der Neuseeländer im 20.
Jahrhundert. Emotionale Aspekte der zusammenwachsenden
Kulturen scheinen ihn weniger zu interessieren
als Daten und Fakten. Eine Randerscheinung im offenen
Miteinander der bikulturellen Gesellschaft. Witi Ihimaera
(„Whalerider“), der wohl bekannteste neuseeländische
maorische Schriftsteller, Gelehrte und Komponist
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 9
Literaturspecial Report
von Opernlibretti, sitzt nach der Lesung fast eine Stunde
am Tisch, um die lange Schlange der Fans abzuarbeiten,
die sich seine Bücher signieren lassen wollen.
auch am schönsten ende der welt diskutiert:
e-Reader versus Bücherregal
Nicht nur Lesungen mit den bekanntesten neuseeländischen
Autoren und internationalen Stars aus allen
Genres zeichnen das Literaturfestival aus, sondern auch
Seminare mit Themen wie „Why Lyrics Matter“ oder
„The Future of the Novel“. Auch hier in Neuseeland sind
e-reader ein Thema, das in den vielen kleinen unabhängigen
Verlagen heiß diskutiert wird. Anthony McCarten
(„Ladies Night“) sieht das so: „Stellen sie sich vor,
Steve Jobs hätte zuerst das Ipad erfunden. Und dann,
eine Dekade später, würde er auf die Bühne treten und
sagen ‚Meine Damen und Herren, ich stelle Ihnen hier
eine wundervolle neue Erfindung vor: Das Buch! Es hat
eine einzigartige, unveränderbare Oberfläche ... und
dazu: Das Bücherregal!“. Der Autor ist überzeugt: Das
Buch stirbt nicht aus!
Anthony McCarten hat auf dem neuseeländischen Markt
gerade gleichzeitig zwei Bücher herausgebracht. Eines
davon, „Ganz normale Helden“, erscheint in Deutschland
im Herbst, bereits der erste Band „Tod eines Super-
www.writersfestival.co.nz
360° Info
360° Autorin: Meike Dannenberg
Meike Dannenberg ist Redakteurin beim Literatur-
Magazin „Bücher“ und wurde vom Kulturministerium
Neuseelands eingeladen, das „Auckland Writers
& Readers Festival“ im Mai zu besuchen.
helden“ war bereits ein Bestseller. Anthony McCarten
gibt zu, dass er nicht sehr lange darüber nachdenken
musste, ob er die Handlung des neuen Buches, wie
vom britischen Verlag gewünscht, nach London verlegen
konnte. „Neuseeland ist für mich immer noch eine innere
Heimat, aber die Geschichte kann auch überall spielen.“
Feier der lebendigen Bücherszene,
für Lesende und autoren
Anthony McCarten gehört zu den erfolgreichen Autoren
seiner Heimat, ebenso wie Lloyd Jones und Emily
Perkins, die im Ausland häufig als englische Autoren
wahrgenommen werden. Ihre Verlage befinden sich in
Übersee und kaum ein Publizist macht auf ihre Herkunft
aufmerksam. Der neuseeländische Buchmarkt
mit auch vielen kleinen Verlagen, wie beispielsweise
„Huia Publishers“ in Wellington, dem einzigen Verlag
für maorische Literatur, der teilweise auch in
maorischer Sprache publiziert, befindet sich ebenso
abseits vom internationalen Buchmarkt wie Neuseeland
auf der Landkarte. Ein großes Problem für Autoren
und Künstler, die von ihren Büchern oder Stücken
auch leben wollen. Das Literaturfestival in Auckland ist
mit seinen Veranstaltungen und Lesungen aber auch
eine Feier der lebendigen Bücherszene, für Lesende
und Autoren gleichermaßen.
Darüber hinaus bietet das Festival die Gelegenheit, die
neuseeländischen Künstler, die im Ausland leben, wieder
in ihrer Heimat zu begrüßen: Eine besonders erheiternde
Veranstaltung war die Stunde mit „Flight of the
Conchords“ Darsteller Rhys Darby. Besonders berührend
die Begegnung mit dem 81-jährigen Schriftsteller
Maurice Gee, der den diesjährigen Ehrenpreis des
Festivals für sein Lebenswerk erhielt. Denn mit seinen
Geschichten habe er Generationen von neuseeländischen
Autoren inspiriert und unterhalten, hieß es von
der Jury. Schade, dass diese hierzulande vollkommen
unbekannt ist. Neuseeland ist ein Land, in dem es viel
zu entdecken gibt. Auch literarisch.
10 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Gewinnspiel: Fünf Exemplare
des „Travel Handbuch
Neuseeland“ zu gewinnen
Urzeitliche Wälder, schneebedeckte Hochgebirge,
zerklüftete Küsten und eine einzigartige Tierwelt.
Dazu kommen faszinierende, junge Städte und
eine in Europa noch weitgehend unbekannte Kultur: Diese
Mischung lockt insbesondere naturverliebte Individualreisende
an.
Mit der vierten, komplett aktualisierten Ausgabe des Stefan
Loose Travel Handbuchs Neuseeland sind sie für Reisen
in das Land der Kiwis bestens gerüstet. Der Reiseführer ist
vollgepackt mit aktuellen, unschlagbar genauen Reisetipps
sowie Anregungen für die Routenplanung. Er begleitet Reisende
nicht nur durch die Natur und quer durch das Land,
sondern auch durch die pulsierenden Städte.
Das Kapitel Traveltipps von A bis Z bietet wichtige Auskünfte,
angefangen bei der Ausrüstung über Mietwagen
und Wassersport bis hin zu Zoll. Hilfreich für die Orientierung
vor Ort sind die Karten – von detaillierten Stadtplänen,
in denen die empfohlenen Unterkünfte, Restaurants und
Cafés eingezeichnet sind, über Karten von Nationalparks,
touristisch interessanten Regionen und Großräumen bis zu
einem 16-seitigen farbigen Reiseatlas am Ende des Buches.
Die allerneuesten Updates können im Vorfeld der Reise oder
unterwegs auf www.stefan-loose.de abgerufen werden.
360° medien gbr mettmann
Verlagsadresse:
Nachtigallenweg 1
40822 Mettmann
Tel.: + 49 2104 493 256 40,
Fax: + 49 2104 493 256 49,
E-Mail: info@360grad-medien.de,
www.360grad-neuseeland.de
Impressum
Stefan Loose:
travel Handbuch Neuseeland
Redaktion (V.i.S.d.P.): Christine Walter
E-Mail: redaktion@360grad-medien.de
Design und Layout:
S3 ADVERTISING KG, Düsseldorf
Gewinnspiel Literaturspecial
4. vollständige überarbeitete Auflage 2012
Autoren: Laura Harper, Catherine Le Nevez,
Tony Mudd, Paul Whitfield
856 Seiten / 103 zweifarbige Karten und Pläne plus
ein 16-seitiger Reiseatlas
Preis: 26,99 € (D), 27,80 € (A), 45,50 sfr
ISBN 978-3-7701-6701-2
Gewinnen sie eines der fünf exemplare des travel Handbuch Neuseeland von stefan Loose, indem sie uns verraten,
wie der Name von Neuseeland in der sprache der Maori lautet.
schicken sie uns das Lösungswort bis zum 31. Dezember 2012 per Mail an redaktion@360grad-medien.de.
Der Rechtsweg ist selbstverständlich ausgeschlossen!
Bildnachweis:
Markus Kirchgessner S. 5 o li, S. 14-17, Gregory Crow,
S. 9 o re, Auckland Writers & Readers Festival S. 8 u,
S. 9 u li, S. 10 o, Anja Schönborn S. 12, S. 13, Joscha Remus
S. 18-20, Michael Haustein S. 26, Julia Schoon S. 24
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 11
Literaturspecial Report
Die „Pilcherisierung“
Neuseelands
Dreharbeiten des zDF in Neuseeland
Hingeguckt und hineingelesen: Neuseeland aus perspektive
deutscher Fernsehproduktionen und autorinnen
historischer Romane
sonntagabend um Viertel nach acht schloss „Das
Paradies am Ende der Welt“, so einer der ersten
von zehn blumigen Fernsehfi lmtiteln nach den
Romanen der amerikanischen Bestsellerautorin Emilie
Richards, in die „Herzkino“-Reihe des ZDF auf. Bei einem
Quotenvergleich im Segment des Sonntagsfi lms, in dem
deutsche Schauspieler an Locations wie Australien, England,
Schweden und die Vereinigten Staaten verfrachtet
werden, schneiden die Produktionen mit Drehort Neuseeland
gut ab: Durchschnittlich 5,3 Millionen Zuschauer
verfolgten die ersten drei Ausstrahlungen, ein Marktanteil
von 15,2 Prozent. In Sachen Quote, so die Pressestelle
des ZDF, lägen die Pilcher- und Lindström-Verfi lmungen
natürlich vorn, da es eingeführte Reihen seien. Von Pilcher
sei im letzten Jahr die 100., von Lindström die 40.
Folge ausgestrahlt worden. Für den Neueinsteiger gibt es
also noch Luft nach oben.
Wer „Sehnsucht nach Neuseeland“ verspürt, schwelgt
in Familiendramen, Liebesgeschichten oder weichgespültem
Sex & Crime mit entsprechender lokaler Kiwi-
Färbung. Dass Authentizität nicht zwingend vonnöten ist,
belegt der Öko-Thriller „Das Geheimnis der Wale“, eine
ZDF-Produktion außer der Reihe, in der Veronika Ferres
nicht, wie der Plot behauptete, für die Meeressäuger vor
Ort in Neuseeland kämpfte, sondern in Südafrika unterwegs
war. Einspieler mit Inselpanorama simulierten die
Atmosphäre Ozeaniens. Eine wenig subtile Irreführung,
von der sich Kenner der Region nicht hinters Licht führen
ließen. Aber auch echte Aufnahmen, z.B. der Nordinsel
Neuseelands im „Herzkino“, stoßen nicht nur auf
Gegenliebe: „Die Landschaftsbilder waren so zusammengestückelt,
dass man als Neuseeländer lachen musste –
das war dann auch die größte Unterhaltung: herauszufi
nden, wo die nächste Szene gedreht wurde“, beschreibt
Monika Vance, eine Textildesignerin, die seit 40 Jahren in
Neuseeland lebt, ihre Eindrücke. Zu diesem persönlichen
Seherlebnis kam es, weil die deutsche Adaption Neuseelands
an den original Schauplatz exportiert wurde:
Neun Filme liefen dieses Frühjahr im neuseeländischen
Satellitenfernsehen, auf Deutsch mit englischen Untertiteln.
Jim Blackman, Geschäftsführer des in Auckland
12 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
ansässigen TV-Senders Triangle, geriet in einer Pressemeldung
erst ins Schwärmen („beautifully filmed“, „complex
characters and settings“), um dann festzustellen:
„While we may be somewhat bemused from time to time
by the manner in which we as a nation are portrayed,
these movies have had a huge impact in creating international
awareness of our country.“
Während für das Bewusstsein deutscher Zuschauer das
zeitgenössische Neuseeland als Sehnsuchtsziel mit Sonnenuntergängen
ausgeleuchtet wird, dort vorwiegend
heiter gestimmte Menschen aus der Mittel- und Oberschicht
in prächtigen Häusern leben und ihre Luxusprobleme
auf Spaziergängen am Sandstrand bewältigen,
wildern Autorinnen historischer Romane in den abenteuerlichen
Ursprüngen des Landes. Eine der erfolgreichsten
ist die Schriftstellerin Christiane Gohl, die unter
dem Pseudonym Sarah Lark die Weiße-Wolke- sowie die
Kauri-Trilogie veröffentlicht hat. In ihren „Landschaftsromanen“,
die eine Gesamtauflage von 2,4 Millionen Exemplaren
haben, spiele der Maori-Aspekt eine bedeutende
Rolle, so die Pressestelle ihres Verlages Bastei Lübbe:
„Sarah Lark (nutzt) in ihren Romanen die Konflikte zwischen
den Maori und den Siedlern für den Plot und die
Erzeugung von Spannung. Das Heraufbeschwören einer
vergangenen Zeit und die Beschreibung eines für den
Leser ,unbekannten Volkes‘ wirkt zugleich exotisch und
weckt Neugier.“ Die Autorin selbst geht in den Nachworten
zu ihren sechs Büchern, die mitreißend geschrieben
sind, ausführlich auf ihre Recherchen, die Verfremdung
von Charakteren und Schauplätzen ein. Auf die Frage, ob
man die Maori-Kultur aus der Perspektive eines Europäers
authentisch schildern könne, antwortet sie: „Ich
glaube, ganz authentisch schafft das niemand, der nicht
mit oder besser innerhalb dieser Kultur aufgewachsen
ist. Wobei es ja auch Maori-Autoren nicht wirklich
gelingt, diese doch sehr eigene Kultur Europäern verständlich
zu machen. Ich kann da also nur mein Bestes
versuchen und zumindest darauf verzichten, vollkommenen
Unsinn zu schreiben.“ Auch bei Katrin Tempel,
die unter dem Namen Emma Temple zwei Maori-Romane
veröffentlicht hat, spielen Mythologie und Gesang der
indigenen Bevölkerung eine zentrale Rolle. Vorbehalte
vonseiten ihrer Gesprächspartner, diese Geschichten aus
deutscher Hand erzählen zu lassen, habe es nicht gegeben,
sondern „eher ein Interesse, diese Kultur zu teilen“.
Ein Feedback auf ihre Romane gebe es bislang nicht.
„Es liegt ja nicht übersetzt vor. Ich bin mir nicht einmal
Report Literaturspecial
360° Autorin: Ulrike Mattern
Ulrike Mattern arbeitet als freiberufliche
Kultur- und Reisejournalistin von Berlin
aus und war dreimal in Neuseeland. Sie
hat ein Faible fürs neuseeländische Kino
jenseits von „Der Herr der Ringe“ und
besuchte die Sektion Generation der Berlinale
schon als sie noch Kinderfilmfest
hieß. Beim Internationalen Filmfestival
war sie 2009 zu Gast.
sicher, ob die (Maori-) Organisationen von dem Boom der
Neuseeland-Sagas in Deutschland wissen.“ Das könnte
sich bald ändern, zumindest im Fall von Sarah Lark: Ihr
erster Roman „Im Land der weißen Wolke“ ist in diesem
Sommer auf Englisch erschienen.
*„pilchern: Die Realitäten des Lebens bewusst oder
unbewusst ignorieren bzw. sich denselben nicht stellen.
Dadurch Flucht in eine heile Welt. Bezug zu den Romanen
der englischen Schriftstellerin Rosamunde Pilcher.“
Aus: Duden. Das neue Wörterbuch der Szenesprachen.
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 13
Literaturspecial Portrait
Keri Hulme –
mit der Schreibmaschine
in Onkel Bills Hütte
Bull Kelp vor onkel Bills Hütte
onkel Bills Hütte steht am Strand von Moeraki auf
der Südinsel. Moeraki heißt in der Sprache der
Maori „ein Ort, um bei Tag zu rasten“, aber als
Keri Hulme mit ihrer Schreibmaschine in Onkel Bills
Hütte zwischen den Weißdornbüschen zog, dachte sie
nicht ans Ausruhen. Sie ging fi schen und schrieb „Unter
dem Tagmond“, das Buch, das 1985 als erster neuseeländischer
Roman den Booker Prize, den wichtigsten britischen
Literaturpreis gewann. Er war zugleich ihr Debut.
Was Keri Hulme damals aus dem einzigen Fenster des
ockergelben Häuschens sah, ist noch immer ihr „wahres
Zuhause“: das brausende Meer und der wilde Strand. Jetzt
ist sie 65, eine spröde, uneitle Frau in Trainingshosen, das
graue Haar im Nacken zu einem Wirbel zusammengebunden.
Über dem Sweatshirt trägt sie Schmuck aus Jade und
Walknochen, der auf ihre Maori-Herkunft deutet.
Seit Jahren arbeitete sie an einem neuen Roman, aber
„die Verleger zahlen mir keine Vorschüsse mehr.“ Im
Herbst erscheint ein Band Erzählungen: „Steinfi sch“.
Onkel Bills Hütte verfällt. Eine Düne ist vor die Haustür
gewandert; Grünzeug klettert die Mauer hinauf. Doch
unwandelbar zischt der Pazifi k nur wenige Schritte entfernt,
seine Säume fassen die Barfußgänger um die Knöchel
und saugen ihnen den Sand unter den Sohlen weg.
Haufen von Seetang, Bull Kelp, ein schwarzgrün glänzendes
Geschlinge wie aus gigantischen Bandnudeln liegt
auf dem Strand. „Wenn ich mal im Lotto gewinne ...“, sagt
Keri Hulme und schaut auf das armselige kleine Haus.
„Gehen wir, das hier stimmt mich nicht glücklich.“
(Text: Elsemarie Maletzke, Fotos: Markus Kirchgessner)
Der strand von Moeraki
14 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
ausweichen in den container – auch hier überall Bücher
oturehua in Central Otago ist ein Ort mit nur einer
Straße. Brian Turner, Poet Laureate, Essayist,
Autor von Sportlerbiographien, Umweltaktivist,
Radrennfahrer, Segler, Bergsteiger und Fliegenfi scher
wohnt dort, ein langer drahtiger Mensch mit grauen Haaren
und dreieckigen Koboldaugen.
In den 1960er-Jahren spielte er Hockey für Neuseeland.
Bei Turner passt alles zusammen: Eigenbrötlerei,
grimmiger Witz, Abenteuer, Sport und Lyrik. Er ist kein
Freund großer Worte. Seine Gedichte sind wesentlich
und wie Treibholz bis auf die Maserung geschliffen. „Ich
schreibe über dieses Land“, sagt er. „Manche Leute verwechseln
das mit Provinzialismus. Sie sehen nur das Eingeschränkte
und ignorieren das große Ganze.“
Portrait Literaturspecial
Brian Turner –
Poet, Sportler und
Umweltaktivist
Sein Haus ist klein und klapperig. Seine Bibliothek
droht, ihn daraus zu verdrängen. Deshalb hat er im Garten
einen Container aufgestellt, mit Regalen und einem
Stuhl möbliert und einen Teil der Bücher dort ausgelagert.
Neben dem Container steckt eine Axt im Hackklotz.
Feuerholz ist in Tonnen gestapelt. Auf einer Wäschespinne
trocknen Radlerklamotten.
Über Central Otago sagt Turner: „Es sieht leer aus, aber
das ist es nicht.“ Er liebt die Farben der rauen südlichen
Landschaft, die mit falbem Büschelgras bewachsenen
Berge, das große Wolkentheater, die Pappeln, die im
Herbstlaub wie ein Goldsturm lodern. Und er lebt gern
dort, wo nicht allzu viele seinesgleichen anzutreffen sind.
„Die meisten Dichter nehmen sich viel zu wichtig“, sagt
er. „Sie sind es nicht. Wichtig ist nur das Werk.“
(Text: (Text: Elsemarie Elsemarie Maletzke, Maletzke, Fotos: Fotos: Markus Markus Kirchgessner)
Kirchgessner)
Brian turner vor seinem Haus
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 15
Literaturspecial Portrait
Patricia Grace –
schmale Dame, starke Frau
„Mein werk hat mit persönlicher erfahrung und der welt um mich herum zu tun“, sagt patricia Grace, eine
schmale Dame mit langen, grauen Haaren und blauen augen.
patricia Grace war 1975 die erste Maori-Autorin,
deren Geschichten publiziert wurden. „Ich
schreibe gern über starke Frauen, denn ich komme
aus einer Kultur, in der Frauen stark sind.“ In den 1980er
Jahren kämpften die Frauen und Männer von Hongoeka
nördlich von Wellington gegen einen Steinbruch in ihrer
Nachbarschaft. Auch Patricia Grace, Lehrerin und Mut-
autorin patricia Grace
ter von sieben Kindern, lebte in Hongoeka. Die Lastwagen
donnerten über die Piste am Meer und durchs
Dorf. Die Erfahrungen mit Zerstörung und Gewalt sind
in ihren Roman „Potiki“ eingefl ossen.
Patricia Grace hat Maori- und Pakeha-Vorfahren, wie
die europäischen Kolonisten in Neuseeland heißen.
„Es ist eine Frage des Lebensstils, als was man sich
versteht.“ Sie hat sich für ihre Maori-Seite entschieentschieden, für für die traditionellen Werte, einen starken starken FamiFamilienzusammenhalt und eine spirituelle Verbindung
mit der Natur.
Mittelpunkt ihres Dorfes ist ein spitzgiebeliges Versammlungshaus
aus rotem Holz mit reichen Schnitzereien.reien.
Die aufgerissenen Augen der Ahnenstatuen, die
dem Besucher entgegen blicken, sind mit glänzenden
Abalone-Muscheln ausgelegt.
Inzwischen hat der Wald die Wunden des Steinbruchs
geschlossen. Der Kokosduft blühenden Stechginsters
vermischt sich mit mit der salzigen Brise. „Heute
fahren wir zum Picknicken an den Strand“, sagt Patricia
Grace. „Es ist ein sicherer Ort, an dem die Kinder
schwimmen können.“ können.“
(Text: (Text: Elsemarie Elsemarie Maletzke, Maletzke, Fotos: Fotos: Markus Markus Kirchgessner)
Kirchgessner)
16 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
es war keine gute Idee, Lloyd Jones im Palmenhaus
eines Botanischen Gartens fotografi eren zu wollen.
Dschungelgrün ist der Hintergrund zu seinem
Roman Mister Pip, der auf der vom Militär abgeriegelten
Insel Bougainville spielt.
In den 1990er-Jahren arbeitete Jones, ein Mann mit breiten
Schultern, leichtem Gang und weißem Stoppelhaar,
als Kriegskorrespondent in Papua Neuguinea. „Ich kann
Dschungel nicht ausstehen“, sagt er.
Mister Pip ist die Geschichte eines weißen Mannes,
der die Kinder auf der Insel das Überleben durch die
Kraft der Fantasie lehrt, indem er ihnen Dickens Roman
„Große Erwartungen“ vorliest und sie, als das Buch verloren
geht, zu dem langen Gedankenspiel einer Rekonstruktion
ermuntert. Der Humor und die Zartheit dieses
Unterrichts gehen in Gewalt und Gemetzel über, die
Lloyd Jones mit einer Unbewegtheit schildert, die dem
Leser den Atem nimmt.
„Die gemeinsame Erinnerungsarbeit steht für unseren
Umgang mit dem Kolonialismus“, sagt Lloyd Jones, „für
den fehlgeschlagenen Versuch, die Kultur der alten Welt
zu rekonstruieren. Denn um eine neue Welt zu schaffen,
muss man die alte zerschlagen. Die Kolonisatoren
wollten ein einziges Land schaffen. So wurden die Maori
britische Staatsbürger. Das Problem ist, dass wir, ihre
Nachkommen, keine Maori geworden sind.“
Portrait Literaturspecial
Lloyd Jones
und Mister Pip
Manuskript des autors
Sein neues Manuskript erforscht auch die Geschichte der
eigenen Familie. Es geht um Vergebung und die Überwindung
von Schwellen. „Ich liebe Schwellen“, sagt
Jones. Deshalb bitte keinen Dschungel für mich. Meine
innere Landschaft ist die Küste, die größte Schwelle, der
verlockende Horizont.“
(Text: Elsemarie Maletzke, Fotos: Markus Kirchgessner)
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 17
Literaturspecial Interview
Interview mit Witi Ihimaera
und Joe Harawira
360°: Witi, du hast einen Wal im Hudson gesehen,
heißt es da auf der Wikipedia-Seite über dich. Ist das
wahr, hat dich dieser Wal zum Buch „Whale Rider“
inspiriert?
witi ihimaera: Von 1986 bis 1990, als ich in New York
war, gab es in der Tat einige Walsichtungen im Hudson
River. Immer wieder verirrten sich atlantische Wale in
den Fluss. Der Wal kam bis zur 27 th Street und ich lebte
im 33. Stock eines Hochhauses und hatte eine sehr gute
Sicht auf den Fluss. Ja, das ist eine wahre Geschichte.
Ich sah ihn an der westlichen 67 th Street, zu einer Zeit,
in der ich wirkliches Heimweh nach Aotearoa hatte. Ich
sah die Walfontäne und habe das als Symbol für mein
Heimatland Neuseeland gesehen. Was mich allerdings
störte, waren die vielen Helikopter, die den Wal umkreisten.
Man wollte ihn zurück in den Hafen und zurück ins
Meer treiben. Ich war zu dieser Zeit bereits über zwei
Jahre von Neuseeland weg. Der Wal inspirierte mich also
mein Buch „The Whale Rider“ zu schreiben.
360°: Aber war die Geschichte nicht schon vorher in dir
drin, irgendwo?
witi ihimaera: Das stimmt. Ich trug sie schon als kleines
Pfl änzchen seit meiner Kindheit mit mir herum, seit ich
meinen Großvater in Whangara besucht hatte. Und dort
hörte ich auch zum ersten Mal Geschichten von Walreitern,
die die ganze Strecke von unserer ursprünglichen
Heimat bis nach Aotearoa auf dem Rücken eines
Wals zurücklegten.
360°: In dem Buch “Whale Rider“ geht es um Brüche mit
Traditionen aber irgendwie auch ums Reisen?
witi ihimaera: Du musst wissen, die Reise der Maori
von Hawaiki nach Aotearoa ist ja nur der Anfang einer
viel längeren Reise, die wir noch vor uns haben. Einer
Lebensreise, die uns letztlich zu den Sternen und in
den Kosmos führt. Es ist mir wichtig ein Mittler zu sein,
der die Mythologie der Maori in eine zeitgenössische
Kunst überträgt, in aktuelle Worte und Wörter übersetzt,
die jeder verstehen kann.
[Joe Harawira, der Storyteller, kommt dazu.]
witi ihimaera: Ah, hier kommt der Storyteller. Er wird in
der Maori-Sprache Kai korero purakau genannt, während
jemand, der diese Worte in Buchstaben gießt, also ein
Schriftsteller wie ich, Kai korero tuhituhi genannt wird.
Das bedeutet, es gibt einen Unterschied, aber wir beide
sind Geschichtenerzähler – so oder so. Aber gerade im
Zeitalter der Hörbücher macht das mündliche Erzählen
wieder viel Sinn. Ich schreibe ja auch in Englisch, aber
wir sind beide auch Übersetzer. Das ist wichtig, denn
unsere Geschichten werden zuhause gesungen, viel mehr
gesungen als erzählt.
Joe Harawira: Wir sprechen hier vom „Geist der Sprache“,
dem „Spirit oft the language“ und der ist in Englisch
und Maori grundlegend anders. Wie ich die Geschichte
hier in Berlin gestern Abend erzählt habe, unterscheidet
sie sich grundlegend von der Art, wie ich sie in Neusee-
18 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
land erzähle. Die Leute lieben hier die Maori-Sounds so
sehr, also fl echte ich Musik in die Erzählung ein.
witi ihimaera: Maori ist eine sehr rhythmische Sprache.
Englisch klingt für uns fremd und seltsam. Sehr seltsam,
denn während Deutsch und Italienisch viel klarer gesprochen
werden, mit klaren Vokalen: a, e i, o und u, benutzen
Engländer diese seltsamen Kaugummilaute. Die Deutschen
sagen klar „Rotorua“ zu einer Stadt, die Engländer
kann man als Maori oft kaum verstehen.
360°: Das Weben ist eine wichtige Kunstform der Maori.
Gibt es auch ein Weben der Sprache? Können zwei Erzähler
ihre Geschichten miteinander verweben?
Joe Harawira: Klar, das ist Bestandteil unserer Kultur.
Ich kann mit Witi interagieren und auf seine Stories
eingehen.
witi ihimaera: Zuhause sind wir im Marae, dort tauschen
wir uns eher aus. Hier auf der Bühne gibst du
etwas wieder, vor allem mimisch, was oft gar nicht da
ist und von Eurer Kultur auch nicht richtig verstanden
werden kann. Im Marae aber ist das anders – dort üben
wir die freie, die hemmungslose Rede, die schönste Art
der Literatur überhaupt.
360°: Witi, du heißt mit weiterem Namen auch Smiler.
Witi Tame Ihimaera Smiler. Lächler – das ist ein schöner
Name. Woher kommt der?
witi ihimaera: Mein Großvater nahm diesen Namen an,
weil die Pakehas Ihimaera nicht aussprechen konnten.
Das klang für die wie „Smiler“.
Joe Harawira: Mein Name ist Headfi eld. Das ist aber
keine Übersetzung. Ein Missionar hat ihn einfach meinen
Vorfahren gegeben. Aber wir haben uns nie so genannt,
wir waren immer Harawiras. Wörtlich übersetzt heißt
Hara „sündigen“ und Wira hat viele verschiedene Bedeutungen.
Übersetzt verliert der Name seine Integrität! Also
bitte, versucht die Maori-Namen nicht einfach zu übersetzen,
da kommt oft nur Unsinn heraus. Ich bin natürlich
sündig wie wir alle, aber natürlich nicht die reine Sünde.
witi ihimaera: Wie sehr unsere Traditionen unter drückt
wurden, kannst du daran sehen, dass ich als kleiner
Junge niemals ein Moko, ein Gesichts-Tattoo gesehen
habe. Nur einige wenige Frauen hatten ein Kinn-Tattoo,
ein Ta-Moko, aber wirklich nur sehr wenige.
360°: Joe, du trägst ein gesichtsfüllendes Tattoo. Bei den
Kämpfern des Maori-Bataillon im Zweiten Weltkrieg sieht
man allerdings kein Moko.
witi ihimaera: Das Revival des Ta-Moko kam erst in den
1980ern wieder in unsere Gesellschaft. Über 100 Jahre
war es verboten. Früher bekam es der Rangatiro, der
Häuptling, oder aber Maori, die bestimmte Fähigkeiten
haben, ein Moko. Als man weißsagte, was aus mir
werden würde, sagte jeder, aus dem wird nie ein großer
Kämpfer, aber an seiner Stirn sieht man bereits, er
wird ein großer Erzähler. Mein Gesichts-Tattoo ist also
Interview Literaturspecial
Joe Harawira
ein Resümee meines Lebens, ein Curriculum Vitae, man
könnte auch sagen: meine Geburtsurkunde.
Als Erzähler arbeiten wir beide übrigens auch an der
Konservierung unserer Mutter Erde, an der Bewahrung
der alten Dinge. Weil Joe ein Storyteller ist, muss er
dafür sorgen, dass die Geschichte intakt ist, authentisch
ist. Wir Fiktion-Writer leben mehr in der Imagination,
der aktuellen Schöpfung. Er vertritt mehr den
Part des Bewahrers, des Schwellenhüters und des Mittlers
der oralen Sprachkultur hinüber in die Performance
und letztlich kann er auch Ideengeber und Initiator meiner
Schreibgeschichten werden.
Joe Harawira: Ich arbeite in beiden Welten. Ich bewahre
die Integrität einer alten Geschichte, bewahre das alte
Wissen, kann aber auch spontan sein und kreativ. Aber
ich diene vor allem dazu, eine Verbindung zur Vergangenheit
herzustellen, denn diesen Kontakt zu unseren
Wurzeln haben wir oft längst verloren.
witi ihimaera: Auch der Tanz ist wichtig, in der westlichen
Kultur ist eine Geschichte vor allem etwas
Geschriebenes. Bei uns wird eine Story gelebt, getanzt,
geschnitzt, gewebt, erzählt, gesungen und eben auch
geschrieben.
Joe Harawira: Unser Geist ist heutzutage viel zu beschäftigt
mit niedrigen Dingen, wirklich fruchtbar, habe ich
herausgefunden, richtig kreativ sind wir nachts. Also fi nden
viele meiner Workshops in der Nacht statt, denn
die optimale Zeit, etwas intensiv zu lernen ist zwischen
Mitternacht und sechs Uhr morgens. Wissen geht dann
direkt in unser Unbewusstes über. Also: Schlafe wenig,
ohne Bedauern. Sei wach!
witi ihimaera: Maori haben ein fantastisches Gedächtnis,
es ist sehr gesund sich Geschichten zu erzählen.
Das reinigt und übt unsere Synapsen-Verbindungen im
Kopf. Für die Alten war es wunderbar diesen Gesundheitssport
namens Erzählen auszuüben. Das ist eine
schöne Schule des Lebens und sollte in jeder richtigen
Schule unterrichtet werden.
Das Interview führte 360° Neuseeland-Autor Joscha
Remus.
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 19
Literaturspecial Interview
Interview mit
Sarah Quigley
sarah Quigley studierte in Oxford und lebt heute
in Berlin. Ihr Roman „Der Dirigent“ ist 2012 im
Aufbau Verlag erschienen und ist eine Hommage
an die Stärke der Kunst, die große Gefühle wecken,
aber auch große Kraft entfalten kann. Ihr erster antipodischer
Roman „Nach Robert“ ist eine spannende
Geschichte, die die Ferne Neuseelands zelebriert und
ausmalt, wie es wohl ist, wenn man auf der anderen
20 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Seite der Welt wirklich einen Gegenspieler, einen Antipoden,
einen Gegenfüßler besitzt. Ein Buch mit überraschendem
Ende.
360°: Sarah, du studiertest Literatur in Oxford. „Nach
Robert“ (im Original „After Robert“) war dein erster Roman.
Möchtest du uns etwas über das Geheimnis darin verraten.
sarah: Kein Problem. „Nach Robert“ ist ein Roman,
den ich in San Diego geschrieben habe, kurz nachdem
ich Oxford verlassen hatte. Dieser Roman spielt teilweise
in Neuseeland und teilweise in London. Es ist
ein Roman über Zwillinge, die bei der Geburt getrennt
wurden. Haley wuchs in London auf und ihr Zwilling
in Auckland, Neuseeland. Als Haleys Lebenspartner
Robert stirbt, reist sie nach Neuseeland, und am Ende
des Buches entdeckt sie, dass sie dort eine Schwester
hat. Im Roman haben die Zwillinge eine wirkliche, fast
unheimliche physische Nähe, ahnen also bereits, dass
es einen „Counterpart“ auf der anderen Seite der Welt
geben könnte. Ihr Spüren dringt um die halbe Welt.
Wenn die eine der Schwestern Schmerzen hat, kann die
andere es in gewisser Weise fühlen.
360°: Wer hat dich literarisch am meisten beeinflusst?
sarah: Ich bin in einem Haus voller Bücher aufgewachsen.
Meine Mutter war Buchkritikerin. Meine Schwester
und ich hatten ständig Bücher um uns. Aber ich konnte
meinen Wunsch Schriftstellerin zu werden, nie an einem
bestimmten Autor verorten oder festmachen. Natürlich
liebe ich den Stil von Virginia Woolf, ich liebe Janet
Frame, Katherine Mansfield und natürlich T.S. Eliot
und Patricia Grace. Eine wirklich wunderbare Autorin,
eine derjenigen, die wirklich aus dem Herzen Neuseelands
schreibt. Wer also etwas über Neuseeland erfahren
möchte, sollte Patricia Grace lesen. Über die Maori-
Kultur und die Schwierigkeiten, die Neuseeland hatte,
diese Kultur zu assimilieren, zu absorbieren, zu integrieren.
Eine der wichtigsten Autorinnen für das relativ
junge Land. Sie fängt die Stimmen Neuseelands ein und
ist, so wie Witi Ihimaera auch, literarisches Sprachrohr
der oralen Tradition dieses Landes.
360°: Sarah, du spielst Cello und Piano. In deinem
jüngsten Roman geht es um den Komponisten Schostakowitsch.
Benannt aber ist der Titel „Der Dirigent“. Es
geht um den Dirigenten Karl Eliasberg. Lässt sich das
Komponieren und Schreiben vergleichen?
sarah: Es gibt Parallelen. Wie den Mut, allein an einem
Stück, einem Text zu arbeiten, und ganz profan, die
viele Zeit, die man beiden Künsten widmet. Musik hat
ihre eigene, universelle Sprache. Eine Sprache ohne
Grenzen, die weitaus mehr Menschen erreichen kann.
Ich höre meine Literatur während ich sie schreibe in
meinem Inneren. Sie erklingt dort. Worte haben ihre
eigene Musik. Aber in Übersetzungen geht leider viel
verloren und Komponisten kennen dieses Problem
kaum oder gar nicht.
360°: Die 7. Sinfonie von Schostakowitsch ist eine ganz
besondere.
Interview Literaturspecial
sarah: Musik kann Menschen Kraft geben. 1942, als
Leningrad belagert wurde, war diese Kraft nötig, denn
die Menschen, die diesen furchtbaren Winter und die
Belagerung erleben mussten, brauchten diese Kraft.
Musik beruhigt Menschen und stärkt sie. Literatur kann
das auch, aber in geringerem Maße.
360°: Ein Leben im Grenzbereich, im Krieg – kann ein
solches Dasein die Sinne für Kunst schärfen?
sarah: Künstler sollten sich niemals gemütlich einrichten.
Ein geschärftes Gehirn ist auf Extreme, auf Gefahren
und auf Grenzbereiche angewiesen. Wie ein Diamant, der
nur unter Druck entsteht. Ich zum Beispiel kann sehr gut
unter Druck arbeiten. Aber den meisten Druck mache ich
mir natürlich selbst.
360°: Kommt zuerst der Plot oder kommen zuerst die
Charaktere in deinen Sinn, wenn du einen Roman planst?
sarah: Ich brauche keinen Plan, meine Literatur wird von
den Charakteren vorangetrieben, weitaus weniger von
einer Idee oder einem Plan. Die Struktur entsteht erst
während des Schreibens. So war ich auch niemals in St.
Petersburg, um mir meine Fantasie für den Stoff nicht
zerstören zu lassen.
360°: Du sagst, man muss wie ein Kind schreiben.
Meinst du damit, man muss sich die Frische der Wahrnehmung
bewahren?
sarah: Ich erinnere mich so genau an meine Kindheit,
dass es für mich nicht schwer ist, wieder in diese Kinderhaut
zu schlüpfen. Ich war das Mittlere von drei Kindern,
von drei Mädchen, und hatte eine wunderbare Kindheit
und habe alles sehr genau beobachtet. Habe alles absorbiert,
alles aufgesaugt. Jetzt habe ich selbst Kinder und
weiß um deren unglaubliche Imagination. Meine jüngere
Schwester und ich saßen stundenlang auf der Wiese und
haben uns spontan erfundene Geschichten erzählt. Wir
brauchten kein Buch und keine Kostüme. Das sollten
Erwachsene auch wieder einüben. Sie haben diese imaginative
Fähigkeit oft verloren – leider.
360°: Kennst du Ester Glenn und ihr Buch „ Six little New
Zealanders?“. Es wurde jetzt das erste Mal ins Deutsche
übersetzt.
sarah: Ein herrliches Buch. Es ist die Quintessenz einer
Kindheit in Neuseeland. Der wilden Kindheit in einer
wunderbaren Landschaft. Ich habe dieses Buch geliebt
und verschlungen. Mehrmals.
360°: Was liest du gerade?
sarah: Literatur kann das Herz berühren, auch in den
härtesten Zeiten. Im Moment lese ich viele Diarys, Tagebücher,
vor allem die von Katherina Mansfield. Wenn ich
lese, wie schwer ihnen das Schreiben gefallen ist, fühle
ich mich richtig wohl – und verstanden.
Das Interview führte 360° Neuseeland-Autor Joscha
Remus
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 21
Literaturspecial Interview
Rabenschwarzes
Christchurch:
„Der siebte Tod“
bald auch als Film
paul cleaves Kriminalromane spielen in christchurch
– jedoch ist es eine düstere, abgründige
version der Gartenstadt, die wir durch die augen
seiner protagonisten kennenlernen. Mit „Das Haus des
todes“ erscheint nun bereits sein sechstes Buch auf
Deutsch. 360° Neuseeland-autorin Julia schoon traf
den gut gelaunten autoren zum Gespräch.
360°: Man sieht Ihnen gar nicht an, dass Sie seit drei
Tagen ohne Ihr Gepäck auskommen müssen …
paul: (lacht) Sie lesen offenbar meine Facebookseite.
Mein Gepäck ist inzwischen angekommen, zum Glück.
360°: Ist das Ihr erster Besuch in Deutschland?
paul: Nein, ich war schon vier Mal hier. Aber nie wegen
meiner Bücher, sondern als Tourist und vor allem, um
Leute zu treffen. Und es gibt coole Städte hier, Deutschland
ist so anders als Neuseeland.
360°: Was hält eigentlich die Polizei in Christchurch von
Ihren Büchern?
paul: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie sie überhaupt
lesen … oder dass irgend jemand in Christchurch
meine Bücher liest (lacht). Im Ernst, meine Romane verkaufen
sich in Neuseeland nicht besonders gut.
360°: In Deutschland haben Sie umso mehr Leser.
Bekommen Sie viel Fanpost?
paul: Das meiste Feedback kommt über meine Facebookseite,
aber ich bekomme auch Mails. Ich freue mich besonders,
wenn deutschen Leser sich die Mühe machen,
360° Info
Paul Cleave wurde 1974 in Christchurch geboren. 2006 erschien
sein Debütroman „The Cleaner“, der es 2007 als „Der
siebte Tod“ auf die vorderen Plätze der deutschen Bestsellerliste
schaffte. Seitdem sind erschienen (in dieser Reihenfolge):
Die Stunde des Todes, Die Toten schweigen nicht, Der
Tod in mir, Die Totensammler und im Oktober 2012 Das Haus
des Todes. Er schreibt regelmäßig auf seiner Facebookseite:
http://www.facebook.com/PaulCleave
paul cleave
mir zu schreiben, auch wenn sie oft nicht so gut Englisch
sprechen. Das ist wirklich motivierend. Manchmal
habe ich einen richtig miesen Tag und dann schreibt mir
jemand, dass er mein Buch toll fi ndet.
360°: Beantworten Sie Ihre Leserbriefe selbst?
paul: Jeden einzelnen! Ein paar der Leute, die ich bei
meinen Besuchen in Deutschland treffe, habe ich sogar
darüber kennengelernt. Das ist echt cool, ich mag das.
360°: Ihr aktuelles Buch ist in einer Zeit entstanden,
als Christchurch durch schwere Erdbeben erschüttert
wurde. Wie hat Sie das beeinfl usst?
paul: Die Erdbeben haben das Leben aller Menschen in
Christchurch verändert. Die halbe Innenstadt ist zerstört, sie
ist einfach nicht mehr da. Jetzt, wo der Schutt weggeräumt
ist, sind da nur noch leere Flächen. Die Kathedrale, unser
Wahrzeichen, wird es wohl bald nicht mehr geben. Und was
noch viel schlimmer ist: 185 Menschen sind gestorben.
360°: Was erhoffen Sie sich von diesem Jahr, in dem Neuseeland
Ehrengast der Frankfurter Buchmesse ist?
paul: Ich wünsche mir natürlich, dass mehr Menschen
neuseeländische Bücher kaufen – vor allem meine
Bücher. (lacht) Aber eigentlich bin ich sehr zufrieden. Ich
habe gerade die Filmrechte für mein erstes Buch, Der
siebte Tod, verkauft.
360°: Herzlichen Glückwunsch! Können Sie uns schon
mehr darüber verraten?
paul: Bisher weiß ich selbst nur, dass der französische
Produzent Pierre-Ange Le Pogam die Rechte erworben
hat. Er arbeitet eng mit Luc Besson zusammen und hat
schon Filme wie „Taken“ und die „Transporter“-Serie produziert.
Ich glaube, mein Buch ist in sehr guten Händen.
360°: Werden Sie während der Frankfurter Buchmesse
auch Lesungen geben?
paul: Ja – und es sind auch einige Lesungen in anderen
Städten geplant. Ich komme Anfang Oktober wieder nach
Deutschland, los geht’s am 8. in München.
22 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
antonia steeg
tief in den neuseeländischen alpen dokumentiert
die deutsche Fotografi n antonia steeg
das Leben der High country Farmer und fängt
in ihren Bildern auf spektakuläre weise die raue
schönheit des Hinterlandes ein. eine auswahl ihrer
arbeiten legt sie jetzt in einem Bildband vor. 360°
Neuseeland-autorin Julia schoon traf sie auf der
Leipziger Buchmesse zum interview.
360°: Sie sind zur Vorstellung Ihres Buches zum ersten
Mal, seit sie vor sieben Jahren ausgewandert sind, zu
Besuch in Deutschland. Wie ist das?
antonia: Es fühlt sich seltsam an. Ich bin es nicht mehr
gewohnt Deutsch zu sprechen. Ich hab zwar ein paar
deutsche Freunde in Neuseeland, aber irgendwann spricht
man nur noch Englisch.
360°: Ihr Bildband heißt „High Country New Zealand“, für
Ihre Fotoarbeiten besuchen Sie sogenannte High Country
Stations. Was können wir uns darunter vorstellen?
antonia: High Country Stations sind Bergfarmen in den
Alpen der Südinsel von Neuseeland. Da werden Merinoschafe
gezüchtet, aber auch Kühe. Die Tiere sind das
ganze Jahr über draußen, in den Bergen, nur im Herbst
werden sie in tiefere Lagen getrieben. Die Farmen liegen
entsprechend einsam, oft fährt man drei, vier Stunden
auf heftigen Pisten dorthin, und man fährt sich auch mal
im Matsch oder Schnee fest … Ich hab mir irgendwann
ein Satellitentelefon mit Notfallpieper zugelegt, denn da
oben gibt es nicht mal Handynetz.
360°: Und die Farmer leben dort das ganze Jahr über in
dieser Einsamkeit?
antonia: Genau. Oft sind es Familien, die Farmen werden
von Generation zu Generation weitergegeben. Die Kinder
auf den Bergfarmen werden alle zuhause unterrichtet.
Entweder mit Correspondence School von den Eltern
oder auf größeren Stationen, wo mehrere Farmarbeiter
mit ihren Familien leben, sogar in eigenen Schulen.
Wenn sie älter sind, gehen sie dann meist aufs Internat.
360°: Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Interview Literaturspecial
„Dieser Lebensstil
hat mich fasziniert“
antonia: 2008 habe ich, eher durch Zufall, eine High Country
Station besucht. Damals lebten mein Mann, unser kleiner
Sohn und ich noch in Wellington und wir haben eine
Reise auf die Südinsel unternommen. An einem Abend
konnten wir keine Übernachtungsmöglichkeit fi nden, aber
die Lady in der Touristeninformation meinte, es gäbe da
noch etwas, allerdings ziemlich außerhalb und sehr einfach.
Und so landeten wir auf der Mesopotamia Station
am Rangitata River. Es war Spätherbst und sehr kalt in der
Nacht, wir haben zum Schluss alle vor dem Kamin unseres
kleinen Cottage geschlafen. Aber so leben die Menschen
dort: ohne doppelt verglaste Fens ter, ohne Isolierung in
den Wänden. Dieser Lebensstil hat mich fasziniert.
360°: Wie kam es, dass Sie nach Neuseeland ausgewandert
sind?
antonia: Ich wollte da immer mal hin, aber erst 2005
klappte es: für zwei Wochen Urlaub. Natürlich viel zu
kurz. Aber mir gefi el die Lebensweise der Kiwis, die ist
einfach ein bisschen gelassener und die Leute sind aufgeschlossener.
Man kann mitten im Nirgendwo ein supertolles
Gespräch mit jemandem haben. Ich hab mich von
anfang an zuhause gefühlt. Ich hatte das Gefühl: Ich bin
angekommen.
360°: Nach zwei Wochen haben Sie eine so große Entscheidung
getroffen?
antonia: Ein bisschen mehr Zeit wollte ich mir trotzdem
geben, um das Land kennenzulernen. Also habe ich ein
Working Holiday Visum beantragt und ein Jahr dort verbracht.
In dieser Zeit habe ich meinen Partner kennengelernt
und das Visum auf zwei Jahre verlängert. Und nach
diesen zwei Jahren war dann auch schon unser Sohn
geboren und ich habe mich für eine permanent residency
beworben. Ich habe es nie bereut.
Antonia Steeg mit Philip Temple: High Country New Zealand:
The Land. The People. The Seasons. Erschienen bei
Te Papa Press. 99,99 NZD.
360° WebInfo
Die Tochter eines Kameramanns und Fotografen wuchs im
ländlichen Niedersachsen mit Pferden und Hunden auf.
Sie studierte Forstwirtschaft und arbeitete einige Jahre
als Hundetrainierin, bevor sie sich ganz der Fotografie zuwandte.
2005 wanderte sie nach Neuseeland aus, wo 2006
Sohn Henry geboren wurde. Die kiwi-deutsche Familie lebt
in Christchurch. Video zum Buch: http://www.youtube.com/
watch?feature=player_embedded&v=xdxtWu_VsMk
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 23
Literaturspecial Interview
Verschwörungsroman
„Der spanische Helm“:
Wer entdeckte
Neuseeland wirklich?
Mit seinem erstlingswerk hat der in der schweiz
lebende Neuseeländer Greg scowen gleich
einen Bestseller abgeliefert – obwohl, oder
sogar weil, er es im eigenverlag publiziert hat. im interview
mit Julia schoon lüftet er einige Geheimnisse.
360°: Ich habe Ihr Buch in einem Rutsch durchgelesen
und mich danach gefragt: Wie viel davon ist wahr?
Greg: Fast alles ist wahr! Aber es gibt trotzdem viele offene
Fragen. Der Spanier Francisco de Hoces zum Beispiel ist,
wie im Buch beschrieben, 1525 mit einer Flotte von sieben
Schiffen in La Coruna losgesegelt. Bis zu dem Moment, als
er das letzte Mal Sichtkontakt mit den anderen Schiffen
hatte und in Richtung Pazifi k segelte, ist alles aus den Logbüchern
der anderen Schiffe bekannt. Seine Tagebucheinträge
im „Spanischen Helm“ habe allerdings ich geschrieben.
Aber wer weiß, vielleicht liegt sein Tagebuch in
irgendeinem Archiv und wurde nur noch nicht gefunden?
360°: Wie kommen Sie darauf, dass de Hoces bis nach
Neuseeland gesegelt ist?
Greg: Die Theorie wurde von einem Australier namens
Robert Langdon veröffentlicht, der sich als akribischer
Rechercheur der Geschichte des Pazifi kraumes einen
Namen gemacht hat.
360°: Wie ist das mit den Artefakten aus Ihrem Buch, die
diese Theorie stützen?
Greg: Den Spanischen Helm kann man sich im Te Papa
Museum anschauen! Allerdings gibt es keinen offi ziellen
Herkunftsbeweis dafür – die Unterlagen, wann und wo
er gefunden wurde, sind „verloren gegangen“. Ich habe
aber ein Foto an Experten in Großbritannien und der
Schweiz geschickt, die mir bestätigt haben, dass diese
Art von Helm im 16. Jahrhundert von Spaniern getragen
wurden. Und in Neuseeland wurde ein Schädel gefunden,
der zum Skelett eines Europäers gehörte, der den
Wissenschaftlern zufolge im 16. Jahrhundert gelebt hat.
Doch nachdem sie ihn untersucht hatten, wurde er im
Keller eines kleinen Museums gelagert und seitdem darf
ihn keiner mehr sehen. Da frage ich mich schon: Warum?
360°: Wird in Neuseeland denn über solche alternativen
Entdeckungs-Theorien diskutiert?
Greg scowen
Greg: Ja – aber weniger über die Spanier als über die Kelten
als erste Entdecker. Leider sind das vor allem Gruppen
mit rassistischen Beweggründen, da geht es um
Besitzansprüche. Das fi nde ich schade! Ich glaube, es
gibt viele Leute wie mich, die sich einfach dafür interessieren,
ob es noch eine andere Geschichte gibt als die,
die wir in der Schule gelernt haben – ohne dass es ändern
soll, was unser Land ist.
360°: In Ihrem Roman gibt es Geheimagenten der neuseeländischen
Regierung, die unliebsame Informationen
verschwinden lassen. Glauben Sie das wirklich?
Greg: Ich glaube zumindest, dass die Regierung nicht
alles veröffentlicht, was sie weiß.
360°: Haben Sie Ihr Buch deshalb auch im Alleingang
publiziert?
Greg: Überhaupt nicht! (lacht) Es ist nur zur Zeit beinahe
unmöglich, einen Verlag für ein Buch zu fi nden, insbesondere
als Neuautor. Von den drei größten neuseeländischen
Verlagen habe ich nach vier Monaten eine Standardabsage
bekommen. In der Zwischenzeit hatte ich es dann schon
selbst veröffentlicht. Und das ist sogar besser für mich. In
den großen Verlagen muss man das Marketing sowieso
allein machen, dafür gibt es bei Neu-autoren praktisch
kein Budget. Und man bekommt nur einen kleinen Vorschuss.
Als Selbstverleger kann ich mein Buch günstiger
verkaufen und bekomme trotzdem pro verkauften Exemplar
mehr als Stephen King! Auf Amazon bin ich sogar der
am zweitbesten verkaufte neuseeländische Autor!
360°: Respekt. Wie haben Sie das geschafft?
Greg: Wichtig ist, dass man ein professionelles Produkt
abliefert. Ich hatte einen Lektor, aber das Cover, Layout
und Trailervideo zum Buch habe ich selbst gemacht. Und
dann: Hartnäckigkeit. Ich habe mein Buch den großen
Schweizer Buchhandlungen vorgestellt und auf Kommission
angeboten. Nachdem ich bei einer Erfolg hatte,
wollten die anderen mich auch.
360°: Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?
24 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Greg: Das Thema habe ich durch Zufall im Internet entdeckt:
erst die Keltentheorie, dann habe ich ziemlich
gegraben und die spanische Theorie gefunden. Drei
Jahre lange habe ich immer wieder gestöbert und mehr
darüber gelesen, es hat mich einfach interessiert. Irgendwann
war klar: Darüber muss ich schreiben. Erst dachte
ich an ein Sachbuch, aber wer will sowas Langweiliges
lesen? Also wurde es ein Roman. Dabei habe ich keinerlei
Kreativität in meinen Knochen! Über ein Jahr habe
ich daran geschrieben – und nebenbei mein Bachelorstudium
und Postgraduate Diplom gemacht, bin Vater
geworden und hatte einen Vollzeitjob als Systemspezialist
an der ETH-Bibliothek in Zürich.
360°: Unter diesen Arbeitsbedingungen wird es wohl bei
diesem einen Roman bleiben …?
Greg: Wenn mir jemand vor drei Jahren gesagt hätte,
ich würde einen Roman schreiben, hätte ich ihn ausgelacht.
Aber jetzt kann ich nicht mehr aufhören. Es ist
toll, ein gutes Buch zu lesen, aber es zu schreiben, ist
noch viel spannender!
GReG scoweN: DeR spaNiscHe HeLM
Steinkreise auf der Nordinsel Neuseelands, ein von den
Maori errichtetes Gebäude, dessen Architektur sich an
Sonne, Mond und Sternen orientiert: Könnte es sein,
dass Aotearoa lange vor den Maori bereits von Kelten
entdeckt und besiedelt wurde? Doch welche Interessen
verfolgen eigentlich die Hobby-Archäologen, die Beweisen
für diese Theorie nachjagen? Und warum will die
neuseeländische Regierung um jeden Preis verhindern,
dass diese an die Öffentlichkeit gelangen?
In seinem Erstlingsroman verwebt Greg Scowen geschickt
Fakten mit Fiktion und Verschwörungstheorie zu einem
hochspannenden Thriller.
Protagonist Dr. Matthew Cameron ist Historiker und wissenschaftlicher
Mitarbeiter einer britischen Universität.
Hals über Kopf folgt er der Einladung eines alten Freundes,
Warren Rennie, der in Neuseeland zu den Verfechtern
der Kelten-Theorie gehört und bei seinen Hobby-
Grabungen nun endlich einen Beweis gefunden zu haben
glaubt. Cameron soll als unabhängiger Experte die Echtheit
des Fundstücks überprüfen, bevor Agenten der
Regierung es verschwinden lassen können. „Traue keinem“,
schärft Rennie seinem Freund ein, bevor der sich
auf den Weg macht.
Durch Zufall lernt dieser im Flugzeug Aimee kennen, eine
neuseeländische Historikerin, die ihm von einer ganzen
Reihe weiterer alternativer Entdeckungstheorien erzählt,
nach denen bereits wahlweise Chinesen, Tamilen, Spanier
oder schlicht „rothaarige, hellhäutige Menschen“ an
Neuseelands Küsten gelandet sein sollen. Auch für diese
Theorien gebe es Indizien, doch anscheinend haben nur
360° Rezension
Interview Literaturspecial
360°: Können Sie schon absehen, wann Ihr nächstes
erscheinen wird?
Greg: Fest steht: Es wird weitere Geschichten mit
Matt geben. In meinem nächsten Roman geht es um
eine Entführung, Sekten spielen darin auch eine Rolle.
Wenn mir meine Masterarbeit nicht in die Quere kommt,
erscheint es noch vor der diesjährigen Frankfurter
Buchmesse.
360°: Sie sind einer der 40 Autoren, die die neuseeländische
Autorenvereinigung für das Gastjahr ausgewählt
hat. Wo können deutsche Leser Sie treffen?
Greg: Ich werde von Mittwoch bis Sonntag auf der Buchmesse
sein und möglichst häufig am neuseeländischen
Stand in Halle 8. Ich freue mich, wenn Leser vorbeikommen!
Im Oktober lese ich auf den Literaturtagen Zofingen
und in Zürich, Genaueres veröffentliche ich auf meiner
Website: www.gregscowen.com.
(Julia Schoon)
ein paar Spinner, wie Aimee sie nennt, Interesse, sie weiter
zu erforschen.
Schon bald nach dessen Landung in Neuseeland schickt
Scowen seinen Protagonisten auf einen temporeichen
Roadtrip quer durchs Land, auf dem er von Aimee
begleitet und von einem mysteriösen Unbekannten verfolgt
wird. Getrieben von wissenschaftlicher Neugierde
und zunehmend detektivischem Eifer sammeln die beiden
Indizien: Anfangs noch für die Kelten-Theorie. Bald
scheint es jedoch, als führten die Spuren vielmehr zurück
zu einem spanischen Schiff, das lange vor Abel Tasman
und James Cook die Küste Neuseelands erreichte – und
dessen Besatzung dort siedelte.
Es ist nicht die einzige überraschende Wendung, die dieser
Thriller nimmt. Und weil Scowen die Orte, die seine
Protagonisten auf ihrer Reise besuchen, sehr anschaulich
beschreibt, lernt man durch die Augen von Neuseeland-
Neuling Cameron das Land sehr schön kennen – mitsamt
seiner echten und erdachten Mysterien und Abgründe.
Fazit: So spannend, dass man das Buch nicht aus der
Hand legen kann. Und dabei so gespickt mit Fakten, dass
man danach wissen will: Was ist wirklich
dran an den Theorien? (Julia Schoon)
Greg Scowen: Der spanische Helm.
Erschienen im Greg Scowen Verlag
358 Seiten.
Ebook 2,69 €, eine Druckausgabe ist zur
Buchmesse geplant.
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 25
Literaturspecial Rezension
ÜBeR Die aUtoRiN
360° Info
Rebecca Maly, geboren 1978, arbeitete als Archäologin und
Lektorin, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei widmete. Die
Kultur der Maori lernte sie bereits im Studium kennen, eine
Faszination, die bis heute geblieben ist. Die Autorin kann sich
nichts Schöneres vorstellen, als ferne Länder zu bereisen und
deren Kultur kennen zu lernen. In ihrer Freizeit genießt sie es,
lange Ausritte in der Natur zu machen oder gemütlich mit ihren
Katzen daheim zu lesen. Unter ihrem realen Namen Rebekka
Pax hat sie bereits erfolgreich mehrere Romane veröffentlicht.
Um ihre Familie vor dem wirtschaftlichen Ruin zu
retten, muss Johanna anstelle ihrer ersten großen
Liebe Liam, Thomas Waters, einen vermögenden
Industriellen, heiraten. Kurz nach der Hochzeit bricht
dieser nach Neuseeland auf und Johanna bleibt nichts
anderes übrig als ihm zu folgen. Sie kann nicht ahnen,
dass Thomas das Land verlässt, weil er aus Eifersucht
Liams Bruder ermordet und Liam selbst ins Gefängnis
gebracht hat. Liam sinnt derweil auf Rache.
Die erste Zeit auf der neuseeländischen Farm ist für
Johanna schwer, doch sie lernt die Früchte ihrer eigenen
Hände Arbeit zu schätzen und schließt Freundschaft mit
den eingeborenen Maori. So lernt sie auch deren kunstvolle
Schnitzereien kennen und beginnt, damit zu handeln.
Aber die politische Lage im Land spitzt sich allmählich
zu, da die Maori sich zunehmend gegen den
Landraub durch die Siedler wehren. Durch ihre Freundschaft
mit den Maori und ihre Ehe mit Thomas sitzt
Im Tal des
Windes:
Die große
Auswanderersaga
von
Rebecca Maly
Johanna zwischen allen Stühlen. Als sie schließlich auch
noch ihre große Liebe Liam wieder trifft, ist es um ihren
Seelenfrieden geschehen.
Johannas Schicksal allein wäre eine spannende Geschichte.
Allein in der Fremde, oft (zu recht) verzweifelt, verliert sie
doch nie den Mut, rappelt sich aus dem schlimmsten Situationen
wieder auf, macht das Beste draus und kämpft
auf ihre ganz eigene, zurückhaltende Art für ihr Glück.
Johanna wirkt authentisch. Sie erscheint weniger wie
eine moderne Frau in einem historischen Roman, sondern
passt in die damaligen Zeiten und in ihr ‚Korsett‘.
Sie ist eine tapfere junge Frau, die auf der einen Seite
ihr Schicksal akzeptiert, jedoch auch handeln will. Sie
braucht ihre Zeit und reichlich Tritte des Schicksals, ehe
aus dem braven Mädchen aus gutem Hause eine gestandene
Entdeckerin wird, die sich die Hände schmutzig
macht, weil sie anzufassen weiß, und beides bekommt sie
von der Autorin zugestanden.
Fazit: „Im Tal des Windes“ ist ein historischer Roman,
der von bis zur letzten Seite zu fesseln weiß. Rebecca
Maly gelingt eine wunderbare Mischung aus wahrer
Liebe, hartem Schicksal und einem authentischen Einblick
in die blutigen Konflikte im Neuseeland des 19 Jahrhunderts.
(Christine Walter)
Rebecca Maly
im tal des windes
Heyne Verlag
Originalausgabe
Taschenbuch, Broschur
512 Seiten
9,99 [D] | € 10,30 [A] | CHF 14,90
ISBN: 978-3-453-40967-5
Erscheinungstermin: 09. Juli 2012
26 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
es ist Nacht über der Metropole Christchurch, Neuseeland.
Caleb Cole verlässt sein Haus, steigt in
den Wagen und fährt los. Er macht sich an die
Arbeit – es gibt viel zu tun. Caleb fühlt sich gut – er ist
frisch geduscht, kein Blut klebt mehr an seinem Körper.
zUM aUtoR
„cleave ist einer der abgefahrensten autoren.“
Tess Gerritsen
„Der nächste stephen King!“
NDR 2
Paul Cleave wurde 1974 in Christchurch geboren und
wollte, solange er denken kann, Autor werden. Seine Kurzgeschichten,
die er in der Schule schrieb, machten seinen
Lehrern Sorgen. Auf einem seiner High School-Zeugnisse
stand der Vermerk, dass möglicherweise die Zeit und
der Ort für seine Art zu schreiben kommen werden – aber
nicht, solange er zur Schule geht. Paul fragt sich, was seine
Lehrer heute wohl zu seinem Debüt Der siebte Tod sagen
würden.
Mit 19 Jahren begann Paul mit ersten schriftstellerischen
Arbeiten, die aber niemals den Weg aus der untersten
Schublade ans Tageslicht finden sollten. Mit 24 schrieb
er bereits erste Teile von Die stunde des todes und Der
siebte tod. Ein Jahr später gab er seinen Job – in dem er
seit sieben Jahren gearbeitet hatte – auf, um sich voll und
ganz auf das Schreiben konzentrieren zu können. Ohne
Paul Cleave:
Das Haus des
Todes
Rezension Literaturspecial
Nun ist es Zeit, das Werk zu vollenden. Es soll eine lange
Nacht werden – mit vielen neuen Opfern. Caleb biegt in
die Straße zum alten Schlachthaus. Hier wird er seine
Gäste versammeln. Behutsam fasst er an sein Messer.
Das Spiel beginnt …
360° Info
Einkommen war er gezwungen, eine Entscheidung zu treffen
– sich einen anderen Job zu suchen oder sein Haus zu
verkaufen. Er verkaufte sein Haus und schrieb weiter.
2006 erschien Paul Cleaves Debüt Der siebte tod und
machte die Welt mit Joe bekannt, einem Serienkiller, der als
Hausmeister in einer Polizeistation in Christchurch arbeitet.
Der siebte Tod wurde ein internationaler Bestseller.
2008 erschien Die stunde des todes, gefolgt von Die
toten schweigen nicht im Jahr 2009. Der tod in mir
wurde 2010 veröffentlicht: Hauptfigur ist der Ermittler
Theodore Tate, der eine dunkle Vergangenheit hat und
auch in den folgenden Cleave-Romanen auftritt.
In Die totensammler (2011) machen gleich mehrere
Psychopathen Christchurch unsicher: Theo Tate nimmt
eine blutige Spur auf.
Neben dem Schreiben renoviert er Immobilien („Ich
kaufe ein Haus, lebe etwa ein Jahr in ihm, während ich
es renoviere, und verkaufe es dann“).
Paul Cleave
Das Haus des todes
Heyne Verlag,
576 Seiten, 9,99 €
ISBN 978-3-453-43695-4
Erscheinungstermin:
8. Oktober 2012
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 27
Literaturspecial Rezension
Rose Tremain:
Die Farbe
der Träume
Neuseeland, Mitte des 19. Jahrhunderts: Joseph
und Harriet Blackstone wollen am anderen
Ende der Welt als Farmer ein neues Leben
beginnen. Dort treffen sie jedoch, völlig unerfahren
und unvorbereitet, auf ein karges, raues Land, das
ihre Träume bereits im ersten Winter zu zerstören
droht. Die Probleme lauern aber auch in den eigenen,
ärmlichen vier Wänden: Das Zweckbündnis,
welches das frisch verheiratete Paar vor der Emigration
geschlossen hat, bekommt in der Fremde bald
Risse, statt der erhofften Liebe entwickeln sich Abneigung,
Misstrauen und Geheimnisse voreinander. Verstärkt
werden die Spannungen durch Josephs Mutter,
die sich in der neuen Heimat nicht zurechtfi ndet.
Als Joseph im Fluss, der durch ihr Grundstück fl ießt,
Gold fi ndet, verfällt er dem Rausch, der zu dieser Zeit
schon Glücksritter aus der ganzen Welt nach Neuseeland
lockt. Hals über Kopf lässt er die beiden Frauen
zurück auf der Farm, die sie unmöglich allein bewirtschaften,
geschweige denn retten können, um auf der
anderen Seite der Berge den erhofften Reichtum zu
fi nden. Doch Harriet will sich nicht ihrem vermeintlichen
Schicksal ergeben und macht sich ebenfalls auf
den Weg, um auf ihre Weise ihr Glück und tatsächlich
ein neues Leben in Neuseeland zu fi nden.
In ihrem bildgewaltigen Roman beschreibt Rose Tremain
das Leben der Siedler zu jener Zeit so eindringlich,
dass man meint, ihre Verzweifl ung und Hoffnungen
selbst zu erleben und die Einsamkeit in dem
noch kaum erschlossenen Land zu spüren, in dem die
Nachbarsfarm einen Tagesritt entfernt lag. Es sind Bilder
wie das von Josephs Mutter, die in dem einfachen,
aus Gras- und Lehm-Ziegeln erbauten Haus die Scherben
ihres kostbaren Porzellans zu kleben versucht
und sich damit am Rest ihres alten Lebens festklammert.
Oder das der Goldgräber, die ihren letzten Dollar
für einen Claim ausgeben und eher im eiskalten Wasser
und Schlamm oder vor Hunger sterben, als sich
im erbarmungslosen Wettrennen um „die Farbe der
Träume“ geschlagen zu geben. Und durch Pare, das
Maori-Kindermädchen der Nachbarsfamilie, bekommt
der Leser eine Ahnung von der Kultur der Ureinwohner
und was die Ankunft der neuen Siedler für sie
bedeutete.
Rose TR emain
Die FaRbe
DeR TRäume
Roman
Fazit: Ein literarisch anspruchsvoller Abenteuerroman,
der die frühe Geschichte Neuseelands lebendig werden
lässt, und dem Mut der Siedler, die in ein noch kaum
erschlossenes Land aufbrachen, ein Denkmal setzt.
(Julia Schoon)
Rose Tremain:
Die Farbe der träume
Insel Verlag,
459 Seiten,
Taschenbuch 9,99 €
ISBN 978-3-458-35848-0
Leseprobe unter http://www.suhrkamp.de/download/
Blickinsbuch/9783458358480.pdf
28 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Rebecca, Julie, Lauren und Cathy sind vier Schwestern
aus Dublin, deren Eltern bei einem Autounfall
ums Leben kommen. Die Jüngste, Cathy, ist da
gerade acht Jahre alt. Und die Älteste, Rebecca, selbst
erst 17, fi ndet sich auf einmal in einer ungewollten Mutterrolle
wieder, unterstützt von einer Sozialarbeiterin, die
sie nicht ausstehen kann.
Während Rebecca kaum Spielraum für ihre eigene Trauer
bleibt, gehen ihre drei Schwestern ganz unterschiedlich
mit dem Schicksalsschlag um. Die 12-jährige Lauren, eine
bis dahin talentierte Baletttänzerin, gibt sich die Schuld
an dem Unfall. Im Schock erstarrt, zieht sie sich völlig
in sich zurück und beginnt damit, sich selbst zu verletzen.
Die 14-jährige Julie fi ndet Halt in ihrer Rockband, in
der sie singt und in der auch ihr fester Freund und wichtigster
Vertrauter Paul spielt. Und die kleine Cathy klammert
sich verzweifelt an ihre älteste Schwester.
Doch dann kommt jener Julitag, an dem sich für die Vier
erneut alles ändert. Die inzwischen 15-jährige Cathy ist
schwanger und kann sich ihren Schwestern, insbesondere
Rebecca, unmöglich anvertrauen. Sie fl ieht, erst
nach London, dann nach Neuseeland, und bricht jeden
Kontakt mit ihrer Familie ab.
Fünfzehn Jahre später: Cathy will heiraten und ihr Sohn
Conor, inzwischen selbst ein Teenager, überzeugt sie,
ihre Schwestern nach Neuseeland einzuladen. Widerstrebend
stimmen die drei zu und verbinden ihre Reise ans
andere Ende der Welt mit einem gemeinsamen Urlaub,
an dessen Ende das Wiedersehen mit Cathy steht.
Wer angesichts des Buchcovers mit einem Kitschroman
rechnet, wird von „Wiedersehen in Havenswalk“
überaus positiv überrascht. Auf sensible Art und Weise
erzählt er, wie das Unglück die vier Schwestern erst
zusammenschweißt und wie sie sich dann doch im
Laufe der Jahre immer fremder werden. Geschickt verwebt
die Autorin dabei den Erzählstrang in der Jetztzeit
– die Reise nach Neuseeland – mit Rückblicken
in Form von Tagebucheinträgen der jungen Rebecca
sowie Briefen der kleinen Cathy an ihre tote Mutter, in
denen sie auf anrührende, kindlich-ehrliche Weise ihr
Leben ohne sie beschreibt.
Laura Elliot:
Wiedersehen in
Havenswalk
Rezension Literaturspecial
Stück für Stück klärt sich so puzzlegleich das Rätsel, warum
Cathy damals alle Brücken hinter sich abbrach. Und die
Neuseelandreise entwickelt sich für Lauren, inzwischen
behütete Frau eines reichen, sehr viel älteren Mannes,
Julie, inzwischen mit Paul verheiratet und dreifache Mutter,
und Rebecca, deren Leben sich ganz um ihren Gnadenhof
für misshandelte Tiere dreht, zu einer einmaligen
Chance, wieder zusammen zu fi nden – nicht nur mit der
verlorenen Schwester, sondern auch untereinander. Das
dauernde Beisammensein in einem engen Wohnmobil und
das bevorstehende Wiedersehen mit Cathy stoßen eine
ganz eigene Gruppendynamik an. Und dann bringt die
Fahrt durch das unbekannte Land auch noch für jede der
drei überraschende Begegnungen, Herausforderungen
und Verlockungen mit sich, die sie ihr Leben, in dem sie
sich eingerichtet haben, gründlich überdenken lassen.
Laura Elliot ist das Pseudonym der irischen Journalistin
und Autorin June Considine, die zunächst zwölf Kinderbücher
schrieb, bevor sie sich der Erwachsenenliteratur
zuwandte. Die Idee zu „Wiedersehen in Havenswalk“ kam
ihr während einer Urlaubsreise über Neuseelands Südinsel,
der wir auch die sehr genauen, wunderbaren Landschaftsbeschreibungen
in diesem Roman verdanken. Bei
mir haben sie so manche Erinnerung an meine eigenen
Besuche Aotearoas geweckt und wer noch nicht dort war,
wird nach der Lektüre bestimmt Lust bekommen haben.
Fazit: Eine bewegende Familiengeschichte, erzählt vor
der dramatischen Landschaft der neuseeländischen
Südinsel.
(Julia Schoon)
Laura Elliot:
wiedersehen in Havenswalk
rowohlt,
496 Seiten,
Gebundene Ausgabe: 19,95 €,
Ebook: 16,99 €,
Taschenbuch: 9,99 €
ISBN 978-3-805-25000-9
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 29
Literaturspecial Rezension
Emily Perkins:
Die Forrests – Roman einer
Familie
so war das erwachsensein – man sprach
mit völlig ruhiger stimme und normalem
Gesicht, während innerlich der tumult brodelte
und man im Herzen immer noch sieben
oder zwölf oder fünfzehn war”.
Es gibt Schriftsteller, bei denen fi ebert man jeder Neuerscheinung
entgegen. Emily Perkins gehört zu ihnen. Sie
schreibt auf eine Art, die einen anfasst. Ihre Figuren lassen
einen nicht los. Von Perkins’ Kurzgeschichten und
Romanen, vier an der Zahl, lag auf Deutsch bislang nur
„Roman über meine Frau“ vor, der seine innere Spannung
beklemmend zu steigern weiß, indem er die Geschichte
eines in London lebenden Autors aufrollt, dessen Frau
sich von einem Unbekannten verfolgt fühlt.
Dieses latente Unbehagen, das Perkins über ineinander
geschlungene Perspektiven in der Schwebe halten kann,
prägt auch ihren neuen Familienroman, der in Neuseeland
spielt: Den vier Kindern der Familie Forrest, die
durch ihr Leben begleitet werden, ist im Kontrast zur
heimeligen Umgebung eine existentielle Verunsicherung
als Grundgefühl mitgegeben worden. Auf ihre Eltern, die
mit ihnen nach Neuseeland gezogen sind, ist kein Verlass,
weder in emotionaler noch in fi nanzieller Hinsicht.
Frank und Lee machen Versprechungen, die sie nicht halten;
ihre Kinder, drei Mädchen und ein Junge, sind auf
sich allein gestellt, und Dorothy, die Protagonistin mit
der kraftvollsten Erzählstimme und einer tief sitzenden
Angst, wird ihrer jüngeren Schwester Ruth später gestehen,
dass sie die „Vergangenheit am liebsten mit einem
Flammenwerfer abfackeln” würde. Dorothy ist es auch,
die mit der älteren Schwester Evelyn von klein auf um die
Zuneigung des Nachbarsjungen Daniel wetteifert; eine
Liebe im Stand-by-Modus, die das fragile Beziehungsgefl
echt in Folgejahren, an der Seite fürsorglicher Ehemänner,
die ihre Funktion als „Ernährer“ erfüllen, brüchig
werden lässt.
Emily Perkins:
the Forrests –
Roman einer Familie
Berlin Verlag
400 Seiten,
19,99 €
ISBN: 978-3-827-01076-6
Nach dem Erfolg ihres preisgekrönten Debüts „Not Her
Real Name“ von 1996 muss es Perkins ähnlich ergangen
sein wie dem deutschen „Fräuleinwunder” Judith Hermann
mit „Sommerhaus, später“: Die Literaturkritik stilisierte
die 1970 in Christchurch geborene Perkins zur
„Stimme ihrer Generation“. Solch ein Titel klebt wie Pech
an Debütantinnen. Gleichwohl gehört gerade die Schilderung
der Adoleszenzphase in „Die Forrests“ wieder
zu den Stärken ihres Schreibens. Im elliptischen Erzählfl
uss stoßen Sinneseindrücke an Ecken und Kanten des
Daseins. Das wirkt manchmal, als habe Perkins ihren
jung gebliebenen Figuren hastig ein passendes Kleid aus
dem Fundus der Dahinwelkenden übergeworfen. Aber so
ist das Leben: Fern der Spiegel, in denen wir sichtbar
altern, halten wir an dem Bild von uns fest, das sich in
der Kindheit eingeprägt hat.
(Ulrike Mattern)
30 Literaturspecial 2012 © 360° Neuseeland
Anthony
McCarten:
Ganz normale
Helden
„Das hätte sie ihr sagen sollen: dass es mit dem Glück
auch einmal vorbei sein kann. Dass man alles verlieren
kann.“
Das Leben der Familie Delpe ist aus der Spur gelaufen.
Durch ein Unglück frontal gegen die Wand
gerast: Donald Delpe, der Teenager aus Anthony
McCartens offenherzigem, überaus traurigem Roman
„Superhero“ ist seit fast einem Jahr tot, an Krebs gestorben.
Seine Mutter Renata, sein Vater Jim und sein Bruder
Jeff bleiben zurück, sie müssen ohne ihn weitermachen.
Der Familienzusammenhalt, durch die Krankheit
und das Leiden von Donald bereits arg strapaziert, ist zerbrochen.
Jeder kreist wie ein Satellit um sich selbst, versucht
auf seine Weise, mit dem Verlust umzugehen, und
kapselt sich von seiner Umgebung ab.
Eine Trauerzeit, die keinen Trost bereithält, skizziert
McCarten in seinem literarischen Sequel „Ganz normale
Helden“. Renata sorgt sich um ihren Ältesten, der
nicht mehr ansprechbar ist, und offenbart ihre Gefühle
auf einer Internetseite im Zwiegespräch mit „Gott“. Jim
stürzt sich in die Arbeit in seiner Anwaltskanzlei, kauft
ein Häuschen auf dem Land und lenkt sich mit dessen
Renovierung ab. Jeff beamt sich an seinem Computer wie
einst Scotty vom „Raumschiff Enterprise“ in entlegene
Welten. Als Renata ihm hinterher spioniert, reicht es dem
18-Jährigen, und er verlässt das Elternhaus ohne eine
Nachricht über seinen Verbleib. Jim begibt sich daraufhin
online in das digitale Universum von „Life of Lore“,
in dem er Jeff hinter einer der vielen undurchschaubaren
Spielfi guren vermutet.
Anthony McCarten:
Ganz normale Helden
Diogenes Verlag
464 Seiten,
Hardcover, 22,90 €
ISBN: 978-3-257-06794-1
anthony Mccarten bei einer Lesung in
der Buchhandlung Graff in Braunschweig
zUM aUtoR
Rezension Literaturspecial
360° Info
anthony Mccarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland.
Mit 25 (mit Stephen Sinclair) weltweiter Theatererfolg
Ladies Night, in der unautorisierten Filmadaption (the Full
Monty/Ganz oder gar nicht) eine der weltweit erfolgreichsten
Filmkomödien. Seine vier ersten Romane bei Diogenes waren
alle große Kritiker- und Publikumserfolge. Die Verfi lmung von
superhero durch Ian FitzGibbon (nach einem Drehbuch von
Anthony McCarten) mit Andy Serkis, Thomas Brodie-Sangster,
Jessica Schwarz, Michael McElhatton und Sharon Horgan
kommt 2012 unter dem Titel am ende eines viel zu kurzen
tages in die deutschen Kinos.
Wie bereits in „Superhero“ verlagert McCarten meisterhaft
im schnodderigen Tonfall innere Konfl ikte und
Widersprüche seiner Protagonisten in ein Paralleluniversum.
Es bietet eine temporäre Zufl ucht gleich einem
Panic Room, kollidiert aber immer wieder mit der Wirklichkeit,
sobald einer der User offl ine geht und in die
„kalte, harte Realität“ plumpst. „Das Internet ist schuld.
Es stellt alles in Frage: die Familie, die alten Grenzen
(…), die Bedeutung von Nähe, Gespräche, Erfahrung,
Privatsphäre, Beziehungen, ein sinnvolles Leben.“ Alle
drei fi nden trotz anfänglicher Skepsis zunehmend Gefallen
an ihrem jeweiligen Schonraum. Sie setzen einiges
aufs Spiel und entdecken neue Facetten an sich fern von
Trauer und Schmerz. Es ist ein Labyrinth mit toten Winkeln
und Abzweigungen, durch dass sich Familie Delpe
im digitalen Dschungel da draußen schlägt, solange bis
alle drei erschöpft von ihren virtuellen Scharmützeln
zurückkehren und wieder anfangen können, von Angesicht
zu Angesicht zu kommunizieren „auf jenen
geheimen Kanälen, auf denen sie für alle Zeit, und was
auch immer geschieht, verbunden sind“.
(Ulrike Mattern)
© 360° Neuseeland Literaturspecial 2012 31
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