Stefan Teppert, Genozid in Titos Jugoslawien - Kulturportal West Ost
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<strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>, M. A. (Meßstetten)<br />
<strong>Genozid</strong> <strong>in</strong> <strong>Titos</strong> <strong>Jugoslawien</strong> –<br />
Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ und e<strong>in</strong>ige weitere Beispiele<br />
von literarischer Dissidenz, nonkonformer Zeugenschaft und antiideologischer Stellungnahme<br />
aus der donauschwäbischen, serbischen, kroatischen und ungarischen Belletristik<br />
1. Johannes Weidenheims Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“<br />
1.1 E<strong>in</strong>leitung<br />
Es entspricht e<strong>in</strong>er langjährigen Tradition, daß bei Symposien und Fachtagungen zur deutschen<br />
Literatur aus Südosteuropa die Länder Ungarn und Rumänien im Mittelpunkt standen,<br />
während das ehemalige <strong>Jugoslawien</strong> stets unterrepräsentiert war oder völlig fehlte. Dabei<br />
lebten <strong>in</strong> allen drei Ländern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs jeweils etwa e<strong>in</strong>e halbe<br />
Million Deutsche.<br />
Abgesehen von e<strong>in</strong>er Gruppe, die bereits 1945 <strong>in</strong> den <strong>West</strong>en floh oder aus der Gefangenschaft<br />
entlassen wurde, fand <strong>in</strong> Rumänien nach 1945 e<strong>in</strong>e Vertreibung der Deutschen nicht<br />
statt. Die im Lande Verbliebenen wurden jedoch ihrer Bürgerrechte beraubt und vollständig<br />
enteignet, nach Rußland verschleppt oder <strong>in</strong> die Bărăgan-Steppe verbannt. 1948 wurden die<br />
deutschen Rumäniens wieder zu gleichberechtigten Bürgern und konnten e<strong>in</strong>en umfassenden<br />
Kulturbetrieb <strong>in</strong> deutscher Sprache entwickeln, bis sie ab Mitte der siebziger Jahre des<br />
vergangenen Jahrhunderts als Spätaussiedler Rumänien zum größten Teil verließen, viele<br />
freigekauft von der BRD, was als die letzte Phase der donauschwäbischen Vertreibung gelten<br />
kann.<br />
Ungarn stoppte die Vertreibung se<strong>in</strong>er Deutschen und behielt etwa die Hälfte zurück. Die<br />
verbliebenen Deutsche wurden bis etwa 1950 diskrim<strong>in</strong>iert, danach kam es zur Herstellung<br />
ihrer verfassungsmäßig zugesagten Gleichberechtigung und e<strong>in</strong>er dadurch ausgelösten Entfaltung<br />
des kulturellen Lebens sowie e<strong>in</strong>er Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschen<br />
und Ungarn. Das ungarische Parlament hat sich schließlich am 14. Mai 1990 für das<br />
Kollektivunrecht an der deutschen M<strong>in</strong>derheit entschuldigt. In dem Dokument heißt es, „daß<br />
die 1944 begonnene Verschleppung und die dann folgende Aussiedlung der Ungarndeutschen<br />
e<strong>in</strong> die Menschenrechte schwer verletzendes ungerechten Verfahren war“ 1 .<br />
Die ethnische Säuberung <strong>Jugoslawien</strong>s von se<strong>in</strong>er deutschen M<strong>in</strong>derheit am Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs und <strong>in</strong> den Jahren danach war im Unterschied zu Rumänien und Ungarn erbarmungslos<br />
und radikal, sie ist nahezu vollständig gelungen. Etwa 510.000 Menschen verschwanden<br />
durch Evakuierung, Flucht, Liquidierung, Verschleppung, durch die systematische<br />
Austilgung <strong>in</strong> Hungerlagern. M<strong>in</strong>destens 195.000 Donauschwaben fielen den Tito-Schergen<br />
<strong>in</strong> die Hände. Etwa 8.000 Deutsche, hauptsächlich Männer, wurden von Ende 1944 bis Anfang<br />
1945 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ersten Terrorwelle, der sogenannten „Aktion Intelligenzija“ zur Elim<strong>in</strong>ierung<br />
der „Kulaken“ bzw. Intelligenzschicht nach Stal<strong>in</strong>s Vorbild, ohne Gerichtsurteil von den<br />
kommunistischen Machthabern erschossen oder auf andere Weise ermordet. Rund 12.000<br />
1 Kathr<strong>in</strong> Sitzler, Gerhard Seewann: Aktuelle Stimmen zur Vertreibung aus Ungarn, <strong>in</strong>: Deutschland und se<strong>in</strong>e<br />
Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Heft 18, Bonn 1997, S. 50-83
Deutsche wurden zur Zwangsarbeit <strong>in</strong> die UdSSR deportiert und rund 180.000 <strong>in</strong> die Arbeits-<br />
und Konzentrationslager <strong>in</strong>terniert, darunter rund 40.000 K<strong>in</strong>der unter 14 Jahren, von denen<br />
6.000 <strong>in</strong> den Lagern verstarben, während 20.000 <strong>in</strong> jugoslawischen K<strong>in</strong>derheimen im S<strong>in</strong>ne<br />
der herrschenden Staatsideologie umerzogen wurden. 2 In diesen Vernichtungslagern kamen<br />
planvoll m<strong>in</strong>destens 48.500 Donauschwaben durch Mißhandlungen, Hunger und Seuchen<br />
ums Leben und wurden größtenteils <strong>in</strong> Massengräbern verscharrt. Rund 60.000 zivile Nachkriegsopfer<br />
haben die Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s zu beklagen. Nach Auflösung der Internierungslager<br />
1948 mußten die arbeitsfähig gebliebenen Überlebenden weitere drei Jahre<br />
Zwangsarbeit leisten, bevor sie sich von ihrem Heimatland loskaufen durften, um auszuwandern,<br />
vor allem um als „Spätheimkehrer“ Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu werden.<br />
Ab 1954 gab es kaum noch Deutsche <strong>in</strong> dem kommunistischen Balkanstaat unter <strong>Titos</strong> diktatorischer<br />
Herrschaft. Nur 1,8 Prozent der e<strong>in</strong>st im Lande lebenden Donauschwaben ist <strong>in</strong> der<br />
alten Heimat geblieben, oft deshalb, weil sie <strong>in</strong> Mischehen lebten, weil sie Schutz durch andersnationale<br />
Nachbarn genossen, weil ihre beruflichen Fähigkeiten zum Aufbau des neuen<br />
Staates unentbehrlich waren, weil sie zu Südslawen umerzogen wurden oder auch weil sie <strong>in</strong><br />
seltenen Fällen als Deutsche unerkannt blieben. Die Behandlung der Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s<br />
<strong>in</strong> den Jahren 1944 bis 1948 und darüber h<strong>in</strong>aus trägt alle Merkmale e<strong>in</strong>es Völkermords.<br />
Diese Tatsache hat Dieter Blumenwitz <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Rechtsgutachten nachgewiesen. 3<br />
Bis heute gibt es von serbischer Regierungsseite ke<strong>in</strong>e offizielle Entschuldigung für das an<br />
der deutschen M<strong>in</strong>derheit begangene Unrecht, die Gesetzgebung, die e<strong>in</strong>st zu ihrer Entrechtung<br />
und Enteignung führte, besteht fort, wenn sie auch nicht mehr praktiziert wird, und <strong>in</strong><br />
der Frage der Vermögensrestitution steht man immer noch im Anfangsstadium, obwohl die<br />
EU Druck macht. Von e<strong>in</strong>er Wiedergutmachung kann bisher ke<strong>in</strong>e Rede se<strong>in</strong>. Die Verbrecher<br />
laufen immer noch frei herum, sofern sie noch leben, wohnen unbehelligt <strong>in</strong> den Häusern<br />
ihrer Opfer, die sie für ihren „heldenhaften“ Kampf erhielten. Couragierte serbische Historiker<br />
und Schriftsteller haben <strong>in</strong>zwischen aber begonnen, zum<strong>in</strong>dest ihre Namen zu nennen.<br />
Seit se<strong>in</strong>em Ause<strong>in</strong>anderbrechen stellt sich das Thema Vertreibung für <strong>Jugoslawien</strong> und die<br />
europäische Öffentlichkeit plötzlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Sicht. Immerh<strong>in</strong> genießt die deutsche<br />
M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> Serbien <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>en staatlich geschützten Status und hat sich im Jahr<br />
2010 <strong>in</strong> der Stadt Subotica mit e<strong>in</strong>em Nationalrat etabliert. Allerd<strong>in</strong>gs bekommen die deutschen<br />
Organisationen des Landes ke<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung von der serbischen Regierung.<br />
Auch e<strong>in</strong>e b<strong>in</strong>ationale Historikerkommission zur Untersuchung der Vertreibungsverbrechen<br />
ist im Jahr 2000 vom Parlament der Prov<strong>in</strong>z Wojwod<strong>in</strong>a <strong>in</strong>stalliert worden, jedoch<br />
liegen me<strong>in</strong>es Wissens noch ke<strong>in</strong>e offiziellen Ergebnisse vor. Im Jahr 2009 wurde zwischen<br />
dem serbischen Präsidenten Boris Tadić und dem damaligen ungarischen Präsidenten Laszló<br />
Solyon die Gründung e<strong>in</strong>er gemischten Kommission vere<strong>in</strong>bart, um die Verbrechen an der<br />
Zivilbevölkerung <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a <strong>in</strong> den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu<br />
untersuchen und geheime Massengräber aufzudecken und zu kennzeichnen. Die Lands-<br />
2 Adalbert Karl Gauß: K<strong>in</strong>der im Schatten, Selbstverlag, Salzburg 1950. – Karl Spr<strong>in</strong>genschmid: Das goldene Medaillon.<br />
Erzählung, Pfad, Salzburg 1953 / Neuausgabe: Leopold Stocker Verlag, Graz und Stuttgart 1977. – Georg<br />
Tscherny: Donauschwäbische K<strong>in</strong>derschicksale, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben.<br />
Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen<br />
1993, Heft 4, S. 242-246. – <strong>Stefan</strong> Barth: Schicksal deutscher Lagerk<strong>in</strong>der <strong>in</strong> jugoslawischen K<strong>in</strong>derheimen, <strong>in</strong>:<br />
Donaudeutsche Nachrichten, 56. Jg., Februar 2010<br />
3 Dieter Blumenwitz: Rechtsgutachten über die Verbrechen an den Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> 1944-1948, Sonderausgabe<br />
Juristische Studien, Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, München 2002, 64 S.<br />
2
mannschaft der Donauschwaben hat daraufh<strong>in</strong> ihren Anspruch bei der serbischen Regierung<br />
angemeldet, ihre Interessen <strong>in</strong> dieser Kommission zu vertreten. 4<br />
Im ehemaligen <strong>Jugoslawien</strong> konnte <strong>in</strong> der Nachkriegszeit nach der erläuterten Lage der D<strong>in</strong>ge<br />
kaum e<strong>in</strong>e deutschsprachige Literaturszene entstehen, wenn man von e<strong>in</strong> paar bemerkenswerten<br />
Ausnahmen unter dem Häufle<strong>in</strong> der höchstens 10.000 Zurückgebliebenen absieht.<br />
Die e<strong>in</strong>stigen deutschen Kulturtraditionen s<strong>in</strong>d – im Unterschied zu Rumänien und<br />
Ungarn – nahezu vollständig aus dem ehemaligen <strong>Jugoslawien</strong> verschwunden. Ganz anders<br />
verhält sich dies <strong>in</strong> den neuen Heimatländern der Geflüchteten und Vertriebenen, besonders<br />
<strong>in</strong> Deutschland und Österreich, aber auch <strong>in</strong> Übersee. Sie haben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em viertausend Seiten<br />
umfassenden Werk ihre entsetzliche Leidensgeschichte im kommunistischen <strong>Jugoslawien</strong><br />
dokumentiert und bekannt zu machen versucht 5 , leider mit offenbar wenig Erfolg, denn immer<br />
noch ist der Völkermord an den <strong>Jugoslawien</strong>deutschen im öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong><br />
kaum vorhanden. 6 Viele Hundert Autoren legten ihre traumatischen Er<strong>in</strong>nerungen an Verfolgung,<br />
Internierung, Verschleppung und Flucht nieder. Themen wie das Leben <strong>in</strong> der alten<br />
Heimat, Heimatverlust und Heimweh dom<strong>in</strong>ieren die allermeisten dieser Aufzeichnungen,<br />
die häufig nur aus selbsttherapeutischen Motiven verfaßt wurden, für die Schublade, für<br />
familiäre oder Freundeskreise, und wenn sie doch das Licht des Gutenberg’schen Kosmos<br />
erblickten, waren die Auflagen verschw<strong>in</strong>dend ger<strong>in</strong>g und kursierten <strong>in</strong> aller Regel nur <strong>in</strong>nerhalb<br />
der eigenen Heimatortsgeme<strong>in</strong>schaft oder bestenfalls der eigenen Volksgruppe. Es<br />
bleibt e<strong>in</strong>er zukünftigen, ideologisch unbefangenen Literaturwissenschaft vorbehalten, über<br />
4 Vgl. Serbien/Wojwod<strong>in</strong>a Aktuell: Serbien und Ungarn wollen e<strong>in</strong>e Deklaration über die Verbrechen <strong>in</strong> der<br />
Woiwod<strong>in</strong>a verabschieden. Artikel von B. D. Savić <strong>in</strong> „Dnevnik (Rubrik „Politika“) vom 09.01.2011, aus dem<br />
Serbischen übersetzt von <strong>Stefan</strong> Barth, <strong>in</strong>: Mitteilungen/Der Donauschwabe v. 15.02.2011, S. 3 (Berichte auch<br />
<strong>in</strong> den Ausgaben von August 2009 und Januar 2010)<br />
5 Leidensweg der Deutschen im kommunistischen <strong>Jugoslawien</strong>. Band 1: Ortsberichte über die Verbrechen an<br />
den Deutschen durch das Tito-Regime <strong>in</strong> der Zeit von 1944-1948, München-S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1991, 1997 3 , 998 S.;<br />
Band 2: Erlebnisberichte, München-S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1993, 1997 3 , 1040 S.; Band 3: Erschießungen – Vernichtungslager<br />
– K<strong>in</strong>derschicksale, München S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, 992 S.; Band 4: Menschenverluste – Namen und Zahlen,<br />
München-S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1994, 1052 S. (alle vier Bände im Verlag der donauschwäbischen Kulturstiftung)<br />
- Die ersten drei Bände des „Leidensweges“ wurden <strong>in</strong>haltsgleich auch als Lizenzausgabe unter dem Titel Weißbuch<br />
der Deutschen aus <strong>Jugoslawien</strong> im Universitas Verlag <strong>in</strong> F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München<br />
herausgegeben<br />
- Verbrechen an den Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> 1944-1948. Die Stationen e<strong>in</strong>es Völkermords, Verlag der Donauschwäbischen<br />
Kulturstiftung, München 1998, 359 S.<br />
- Genocide of the Ethnic Germans <strong>in</strong> Yugoslavia 1944-1948, Published by Danube Swabian Association of the<br />
U.S.A., Inc., Santa Ana, California 2001, 133 S.<br />
- Genocide of the Ethnic Germans <strong>in</strong> Yugoslavia 1944-1948, European English-Language Edition, München 2003,<br />
224 S.<br />
- Genocid nad nemačkom manj<strong>in</strong>om u Jugoslaviji 1944-1948 („<strong>Genozid</strong> an der deutschen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong><br />
1944-1948“, Text der Europa-Ausgabe von „Genocide ...“ <strong>in</strong> serbischer Sprache), Belgrad 2004, Verlag<br />
der donauschwäbischen Kulturstiftung, Lizenznehmer und Herausgeber: Gesellschaft für serbisch-deutsche<br />
Zusammenarbeit, Belgrad<br />
- Leitfaden zur Dokumentationsreihe Verbrechen an den Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> 1944-1948. Gesamtübersicht<br />
mit thematischen Ergänzungen und Register (Deutsch – Englisch – Serbisch), Verlag der donauschwäbischen<br />
Kulturstiftung, ca. 240 S., <strong>in</strong> Vorbereitung, München 2005, 287 S.<br />
6 In der Nummer 1/2011 der Reihe „Geschichte“ im Spiegel-Verlag mit dem Titel „Die Deutschen im <strong>Ost</strong>en“<br />
wird der Völkermord an den <strong>Jugoslawien</strong>deutschen immerh<strong>in</strong> erwähnt, wenn auch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gehende Würdigung<br />
fehlt. Walter Mayr: Treibgut am Donaustrand, Werschetz, Serbien, S. 67 f.<br />
3
den sicherlich sehr unterschiedlichen Wert dieser Werke zu urteilen. Sie werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
umfassenden Anthologie ediert. 7<br />
Die wenigen Ausnahmen, die es unter den aus <strong>Jugoslawien</strong> stammenden deutschsprachigen<br />
Schriftstellern zu e<strong>in</strong>em größeren Bekanntheitsgrad, ja zu e<strong>in</strong>em gewissen Ruhm gebracht<br />
haben, lassen sich an e<strong>in</strong>er Hand abzählen. Es s<strong>in</strong>d dies vor allem die Namen Johannes Weidenheim,<br />
Franz Bahl und Franz Hutterer. Der bedeutendste unter ihnen ist zweifellos Johannes<br />
Weidenheim. Ich möchte se<strong>in</strong>en Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ hier <strong>in</strong> den Mittelpunkt<br />
stellen, weil der Autor dar<strong>in</strong> so deutlich und umfassend wie sonst nirgends zu den<br />
Totalitarismen des 20. Jahrhunderts Position bezieht. Es ist sowohl auf deutscher wie auf<br />
serbischer Seite die erste und zugleich tiefgründigste, bis heute wegweisende Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
mit dem Thema der Schuld. Neben Weidenheim sollen weitere Autoren gestreift<br />
werden, darunter vor allem donauschwäbische und serbische.<br />
1.2 Zu Person und Werk von Johannes Weidenheim<br />
Johannes Weidenheim, der 1918 als Ladislaus Jakob Johannes Schmidt <strong>in</strong> der damals ungarischen,<br />
heute serbischen Kle<strong>in</strong>stadt Baćka Topola geboren wurde, stammt aus e<strong>in</strong>er am Ende<br />
des 18. Jahrhunderts aus der Pfalz e<strong>in</strong>gewanderten Handwerkerfamilie. K<strong>in</strong>dheit und Jugend<br />
verbrachte er <strong>in</strong> Werbaß, dem kulturellen Mittelpunkt der Batschka-Deutschen. Er wuchs<br />
dreisprachig – deutsch, ungarisch, serbisch – auf. Erste literarische Versuche des zum Lehrer<br />
ausgebildeten Schriftstellers gehen <strong>in</strong> die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück, als er beim<br />
„Deutschen Volksblatt“ <strong>in</strong> Neusatz (Novi Sad) und beim deutschen Rundfunk <strong>in</strong> Belgrad als<br />
Redakteur tätig war. Während des Krieges mußte er zuerst als jugoslawischer Soldat gegen<br />
Deutschland und dann als deutscher gegen <strong>Jugoslawien</strong> dienen. Nach dem Krieg lebte er,<br />
wie viele se<strong>in</strong>er vertriebenen donauschwäbischen Landsleute, zuerst <strong>in</strong> Österreich, wo er<br />
zeitweilig Redakteur der Wochenschrift „Neuland“ war, danach war er im Schuldienst <strong>in</strong> der<br />
Lüneburger Heide und <strong>in</strong> Stuttgart, bis er sich 1952 als freischaffender Schriftsteller <strong>in</strong> Bonn<br />
niederließ. Se<strong>in</strong> umfangreiches, <strong>in</strong> den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von der<br />
Kritik geschätztes Werk umfaßt acht Romane und zwei Novellen, sieben Erzählbände und<br />
e<strong>in</strong>en Gedichtband, daneben zwei E<strong>in</strong>akter, Hörspiele sowie zahlreiche Essays und Aufsätze.<br />
Auch als Übersetzer aus dem Serbischen und Slowenischen ist er hervorgetreten. Im Brennpunkt<br />
se<strong>in</strong>es Schaffens steht die Problematik von Schuld und Versöhnung zwischen den Donauschwaben<br />
<strong>Jugoslawien</strong>s und ihren ehemaligen serbischen und andersnationalen Nachbarn.<br />
Die Er<strong>in</strong>nerung an das Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen im<br />
Pannonien se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit e<strong>in</strong>erseits, an die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg verübten<br />
Verbrechen an den Angehörigen dieser Gruppen und an das Leid der <strong>in</strong> Kollektivhaftung genommenen<br />
Donauschwaben andererseits bilden die Pole, zwischen denen sich se<strong>in</strong>e Literatur<br />
bewegt. Mit se<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>wendung zum Thema deutscher Schuld und der Schuld des Tito-<br />
Regimes nimmt Weidenheim e<strong>in</strong>e Sonderstellung <strong>in</strong> der ost- und westdeutschen Literatur<br />
der fünfziger und sechziger Jahre e<strong>in</strong>. Er gilt als e<strong>in</strong>e der bedeutendsten literarischen Stimmen<br />
der <strong>in</strong> viele Länder zerstreuten Donauschwaben. In den siebziger Jahren publizierte<br />
Weidenheim zum<strong>in</strong>dest im <strong>West</strong>en ke<strong>in</strong>e Bücher, weil er, bed<strong>in</strong>gt durch den Kalten Krieg,<br />
ke<strong>in</strong>en Verleger mehr fand. E<strong>in</strong> neuer Roman erschien mit „Heimkehr nach Maresi“ erst<br />
1994. Weidenheim wurde u. a. mit dem Andreas-Gryphius-Preis und dem Donauschwäbi-<br />
7 Die Er<strong>in</strong>nerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945. E<strong>in</strong>e Anthologie, herausgegeben und jeweils mit<br />
e<strong>in</strong>em Vorwort von <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>, Hartmann Verlag, Sersheim (bisher erschienen: Band 1, A-D, 1995, 669 S.;<br />
Band 2, E-G, 2000, 1021 S.; Band 3, H-J, 2004, 1010 S.; Band 4, K-L, 2009, 1143 S.)<br />
4
schen Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er starb am 8. Juni 2002 <strong>in</strong><br />
Bonn.<br />
1.3 „Treffpunkt jenseits der Schuld“<br />
Dieser Roman 8 ist der Ause<strong>in</strong>andersetzung mit der jüngsten Vergangenheit während und<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Versöhnung zwischen den schuldig gewordenen Parteien,<br />
den Donauschwaben und den Serben, gewidmet.<br />
Das Buch gibt e<strong>in</strong> Gespräch wieder, das der Serbe Marko Jastrogonac, der Deutsche aus <strong>Jugoslawien</strong><br />
Hans Daffee und der alte Jude Samuel Horowitz, dessen Herkunft ebenfalls <strong>in</strong><br />
Pannonien liegt, im Jahr 1954 im Laufe e<strong>in</strong>iger Abende mite<strong>in</strong>ander geführt haben. Schauplatz<br />
ist e<strong>in</strong>e deutsche Stadt mittlerer Größe, weil u. a. M<strong>in</strong>isterien genannt werden, ist sie<br />
erkennbar als die provisorische deutsche Hauptstadt Bonn, wo Johannes Weidenheim sich<br />
dauerhaft niedergelassen hatte. Die Gesprächsteilnehmer treffen sich <strong>in</strong> der Emigrantenkneipe<br />
„Konak“, das e<strong>in</strong>zige balkanische Gasthaus <strong>in</strong> der Stadt, wo die Ausgewanderten,<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge und Vertriebenen aller südosteuropäischen Staaten zur Pflege ihres Heimwehs<br />
und des guten Essens halber verkehren.<br />
Der Roman ist <strong>in</strong> drei Teile gegliedert, wobei jeder der Teile eigentlich e<strong>in</strong>e mehr oder weniger<br />
monologische Erzählung darstellt, mite<strong>in</strong>ander verbunden werden diese Teile durch die<br />
E<strong>in</strong>leitung, Kommentare und Zwischenbemerkungen des fiktiven Autors Hans Daffee, der die<br />
Gespräche bzw. Darlegungen der drei Beteiligten für wichtig genug erachtete, um sie nachträglich<br />
<strong>in</strong> deutscher Sprache, eigener Ausdrucksweise und raffenden Bearbeitung niederzuschreiben.<br />
Es sei, wie er bekundet, nicht nur das Heimweh, das ihn dazu drängte, sondern<br />
auch die politische Bedeutung ihres Inhalts, <strong>in</strong> dem sich se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach auch e<strong>in</strong> größeres<br />
Stück unserer Welt spiegelt mit ihren Verhängnissen, offenen Rechnungen und den<br />
Möglichkeiten, diese zu schließen.<br />
Jastrogonac und Daffee erkennen sich allmählich als alte Schulfreunde wieder, doch nach<br />
allem, was <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> geschehen ist, begegnen sie sich zunächst fe<strong>in</strong>dlich, vere<strong>in</strong>baren<br />
aber, e<strong>in</strong> Gespräch „unter uns“ zu führen, bei dem jeder den anderen aussprechen lassen<br />
muß. Daffee ist als erster an der Reihe und stellt das Leben der Deutschen <strong>in</strong> Maresi – Weidenheims<br />
Dichter-Wort für Pannonien – und die grundstürzenden Veränderungen vor und<br />
nach dem E<strong>in</strong>marsch der Roten Armee dar. E<strong>in</strong> <strong>in</strong> Jahrhunderten gewachsener Organismus<br />
kollabiert. Die Deutschen s<strong>in</strong>d lange unschlüssig, ob sie bleiben oder fliehen sollen, die e<strong>in</strong>en<br />
tun es, die anderen nicht, weil sie me<strong>in</strong>en, durch ihr re<strong>in</strong>es Gewissen geschützt zu se<strong>in</strong>, was<br />
sich jedoch als verhängnisvoller Fehler erweist. Nach dem Zwischenspiel der Umsturztage<br />
zeigt das neue Partisanen-Regime se<strong>in</strong> wahres Gesicht. Nachdem die kommunistische Propaganda<br />
den Haß gegen die Deutschen des Landes als „Konquistadoren Hitlers“ 9 aufgeheizt<br />
hat, werden diese kollektiv verantwortlich für die Verbrechen der Faschisten gemacht und<br />
ohne Unterschied verfolgt. Verhaftungen, Plünderungen, Erschießungen s<strong>in</strong>d an der Tagesordnung,<br />
Arbeitsfähige werden für Rußland zusammengefangen oder kommen <strong>in</strong> Arbeitslager,<br />
Alte und K<strong>in</strong>der werden systematisch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em über das Land verteilten Netz von Todeslagern<br />
durch Hunger und Krankheiten dezimiert. Die F<strong>in</strong>sternis e<strong>in</strong>er „diluvialen Abrechnung“<br />
ist angebrochen, an den Schwaben nehmen die Partisanen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wahren Blutrausch Rache,<br />
<strong>in</strong>dem sie sämtliche Arten von Grausamkeit erproben.<br />
8 Johannes Weidenheim: Treffpunkt jenseits der Schuld, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1956, 464 S.<br />
9 Ebenda, S. 99<br />
5
„Vielleicht war es e<strong>in</strong> alter Traum der Serben, e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> fremdes Volk zu beherrschen, um an<br />
diesem alle Grausamkeiten auszuprobieren, die sie als Erleidende von den Türken erlernt hatten.<br />
Und da ke<strong>in</strong> fremdes Volk ihnen zufiel, machten sie e<strong>in</strong>es aus ihrem eigenen Lande zum<br />
fremden.“ 10<br />
Daffee selbst als <strong>in</strong>tellektueller Zeitungsschreiber entgeht der H<strong>in</strong>richtung nur durch das E<strong>in</strong>schreiten<br />
e<strong>in</strong>es russischen Offiziers und <strong>in</strong>dem er sich vor se<strong>in</strong>en Pe<strong>in</strong>igern demütigt und der<br />
Lächerlichkeit preisgibt.<br />
Die Bilder des Elends vor allem im Lager Jarek, das e<strong>in</strong>zige, das Weidenheim stellvertretend<br />
für alle anderen beim Namen nennt, s<strong>in</strong>d erschütternd.<br />
„Wie schwach waren sie doch! Nichts von alledem vermochten sie festzuhalten, was ihren<br />
gesellschaftlichen Rang ausgemacht hatte. Wie Traumgebilde waren ihnen ihre Äcker und<br />
Häuser, ihre Kirchen und Straßen durch die F<strong>in</strong>ger geglitten; selbst die ungeheuerlichste Willensanstrengung<br />
hätte das nicht verh<strong>in</strong>dern können. Aber nicht alle<strong>in</strong> das Erbaute, auch das<br />
Anerzogene ließ sie im Stich; sie waren nicht mehr re<strong>in</strong>lich und gesittet, sie waren nicht mehr<br />
fleißig und redlich. Sie waren nur noch das widerwärtige Werk von Bestien.“ 11<br />
Der Name Jarek gehört für Weidenheim <strong>in</strong> jene Reihe, „die mit Lidice, Auschwitz und Bergen-<br />
Belsen nur unvollständig benannt ist – Namen, die als Menetekel nie vergessen werden sollen,<br />
die aber auch – weil sie auf beiden Seiten anzutreffen s<strong>in</strong>d – nicht zu Barrieren zwischen<br />
den Völkern werden dürfen.“ 12<br />
In die ausgeraubten Schwabendörfern ziehen Montenegr<strong>in</strong>er und Mazedonier, denen das<br />
unmenschliche Regime gleichfalls die Heimat geraubt hat und die nun <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e völlig fremde<br />
Welt verpflanzt s<strong>in</strong>d, von der sie nichts verstehen, nichts wissen von der Bedeutung des<br />
Ackers als der eigentlichen Lunge dieses Landes, sie schlagen Löcher <strong>in</strong> die Decken der Häuser<br />
und errichten Feuerstellen darunter, zerstören, was ihnen bald fehlen wird, und sie hassen<br />
alle Schwaben, weil man ihnen das e<strong>in</strong>geimpft hat. So g<strong>in</strong>g das alte Maresi endgültig<br />
zugrunde, resümiert Daffee am Ende se<strong>in</strong>er Darstellung, erfüllt von der Gewißheit, se<strong>in</strong>en<br />
Rivalen <strong>in</strong> der Rolle des Zuhörers pe<strong>in</strong>lich bee<strong>in</strong>druckt, ihm die Schuld se<strong>in</strong>es Volkes nahegebracht<br />
und ihn beschämt zu haben.<br />
Wenngleich sich Jastrogonac durchaus nicht ungerührt zeigt, fällt se<strong>in</strong>e Erwiderung selbstbewußt<br />
aus. Zunächst macht er den Schwaben e<strong>in</strong> Zugeständnis: „Sie waren e<strong>in</strong> braves, unschuldiges<br />
Bauernvolk, und was <strong>in</strong> den Kanzleien von Wien und Berl<strong>in</strong> ausgekocht wurde,<br />
davon hatten sie ke<strong>in</strong>e Ahnung und darauf besaßen sie ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß.“ 13<br />
Der Serbe Jastrogonac erzählt nun e<strong>in</strong>e Geschichte, die zehn Jahre vor den von se<strong>in</strong>em deutschen<br />
Landsmann geschilderten Ereignissen begann, nämlich im Jahr 1934/35, als der nationalsozialistische<br />
Ungeist mit se<strong>in</strong>er rassischen Überheblichkeit <strong>in</strong> Pannonien E<strong>in</strong>zug hielt,<br />
e<strong>in</strong>e zuvor friedliche und harmonische Nachbarschaft aus dem Gleichgewicht brachte und<br />
die Saat zum Untergang legte. Die Schwaben haben Besuch aus dem Reich mit staatlichem<br />
Auftrag. Sie werden getrimmt, auf all die primitiven Balkanesen im Taumel e<strong>in</strong>er angeblich<br />
überlegenen arischen Zivilisation ger<strong>in</strong>gschätzig h<strong>in</strong>abzublicken. Mit den Abgesandten des<br />
Reiches zusammen begehen sie die Ansiedlungsfeier ihres Dorfes Josephshausen (1785-<br />
1935) und schließen ihre alten Nachbarn kaltblütig als artfremd aus.<br />
10 Ebenda, S. 140<br />
11 Ebenda, S. 162<br />
12 Ebenda, S. 417<br />
13 Ebenda, S. 166<br />
6
Der E<strong>in</strong>druck, den sie <strong>in</strong> Deutschland machen, ist ihnen wichtiger geworden als der E<strong>in</strong>druck<br />
im eigenen Lande, stellt Jastrogonac bitter fest.<br />
„E<strong>in</strong> paar Wochen nach alledem, gleich nach der Weizenernte, fand dann die Ansiedlungsfeier<br />
statt – das größte Fest unseres Dorfes seit se<strong>in</strong>em Bestehen und zugleich die feierliche Ausrufung<br />
se<strong>in</strong>es Untergangs. E<strong>in</strong>e Woche lang strahlten die Gesichter der Schwaben vor Stolz<br />
und biederer Provokation, und ebensolange verdunkelten sich unsere Gesichter vor Bitterkeit<br />
und Zorn. Denn die Schwaben feierten dieses wundervolle, prächtige Fest nicht mit ihren<br />
Nachbarn und Gefährten aus e<strong>in</strong>er langen geme<strong>in</strong>samen Geschichte zusammen; sie feierten<br />
es nicht mit den Serben und Zigeunern, nicht mit den Magyaren und Juden, nicht mit all jenen,<br />
die seit jeher die bunte Geme<strong>in</strong>schaft des vielsprachigen Dorfes bildeten. Sie setzten sich<br />
vielmehr ganz klar von allen ab, die nicht ihres Blutes waren, und teilten ihren erlauchtesten<br />
Gedenktag nicht mit denen, die schon lange vor ihnen im Lande gewesen waren, die ihnen als<br />
Knechte und Kunden zum Reichtum mitverholfen und sie durch ihr bloßes Da-Se<strong>in</strong> und Anders-Se<strong>in</strong><br />
zur höchsten Entfaltung ihrer Kräfte angespornt hatten. Schon dies kränkte uns<br />
natürlich, denn wir bekamen zu fühlen, daß wir ihnen nicht gut genug und daß wir <strong>in</strong> ihren<br />
Augen am geme<strong>in</strong>samen Werk der Heimat nicht beteiligt waren. Unsere Mitwirkung blieb auf<br />
den amtlichen Teil beschränkt; sie g<strong>in</strong>g nur so weit, wie die Gesetze des Staates er erforderten.“<br />
14<br />
Weidenheim erwähnt zwar, daß die Älteren unter den Schwaben sich dem Rausch widersetzten,<br />
der die Zerstörung ihrer eigenen gesamten Geschichte zur Folge haben mußte, daß<br />
sie aber den Kampf gegen die Erneuerer verloren und alles laufen ließen, wie es lief. 15 Man<br />
könnte behaupten, daß die Darstellung dieses Konfliktes Ende der dreißiger Jahre <strong>in</strong> Weidenheims<br />
Roman zu kurz kommt, daß er die politische Polarisierung der Donauschwaben,<br />
wie Erneuerer und Kulturbündler, Schwarze, Rote und Magyaronen sich gegenseitig beschimpfen<br />
und bekämpfen, nicht ausreichend darstellt, doch ist dieser Konflikt stellvertretend<br />
<strong>in</strong> den tragenden Figuren von Jakob und Ludwig Köppel bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die familiären<br />
Verwerfungen zwischen Vätern und Söhnen ausgemalt.<br />
Auch von deutschen Herren und serbischen Knechten ist die Rede, vom Bodenhunger,<br />
Hochmut und Besitzerstolz der donauschwäbischen Großgrundbesitzer, denen Standesunterschiede<br />
wichtig, solche der Nationalität aber eher fremd s<strong>in</strong>d. Die Figur des selbstgerechten,<br />
gönnerhaften, ausbeuterischen Bauern Jakob Köppel steht für diese verbreitete Spezies,<br />
die auch aus anderen Quellen, aus Werken der donauschwäbischen Literatur vielfach bezeugt<br />
ist. Weidenheim hat mit dem reichen, massigen, herrischen Jakob Köppel e<strong>in</strong>en repräsentativen<br />
Typus gezeichnet, auch wenn gerade diese Figur bei donauschwäbischen Lesern<br />
als klischeehaft empfunden und kritisiert wurde.<br />
Köppels noch schulpflichtiger Sohn Ludwig ist mit Duschan, dem Sohn se<strong>in</strong>es Vorknechts<br />
Djoka Schuwakow, eng befreundet, Duschan verkehrt wie selbstverständlich im Hause Köppel,<br />
verliebt sich <strong>in</strong> Köppels Töchterchen Lili, was auf Gegenseitigkeit beruht, und macht sich<br />
Hoffnung, sie zur Frau zu bekommen. Daß diese Hoffnung völlig vergeblich ist, hätte er wissen<br />
können, wenn er die vorherrschende donauschwäbische Heiratspolitik gekannt hätte,<br />
bei der e<strong>in</strong> Geschacher der Eltern des ausersehenen Paars um die standesgemäße Mehrung<br />
von Feld und Besitz ke<strong>in</strong>e Rücksicht auf das Glück der oft schon im K<strong>in</strong>desalter Verkuppelten<br />
nimmt. In Duschan brennt e<strong>in</strong> dunkler Schmerz, er fühlt sich fremd geworden im eigenen<br />
Vaterland, erniedrigt und verachtet, se<strong>in</strong>e Enttäuschung und se<strong>in</strong> Haß entladen sich <strong>in</strong> zer-<br />
14 Ebenda, S. 307<br />
15 Ebenda, S. 306<br />
7
störerischer Wut auf Köppels Feldern, die schuld seien an aller Bl<strong>in</strong>dheit und Hartherzigkeit<br />
der Schwaben, die Grundlage ihres verbissenen Wohlstandes, denn ihr wachsender Reichtum<br />
zw<strong>in</strong>gt die anderen, ständig im Rückzug und <strong>in</strong> der Beschämung vor ihnen zu leben.<br />
Schließlich läuft Duschan zu den Partisanen über, zu den Freischärlern gegen das Unrecht,<br />
und kehrt erst nach neun Jahren als Rächer wieder. „Man darf uns besiegen, aber nicht erniedrigen“<br />
16 , <strong>in</strong> diesem Satz kristallisiert sich die Demarkationsl<strong>in</strong>ie des Hasses. Der allwissende<br />
Autor erzählt mit viel E<strong>in</strong>fühlungsvermögen aus Duschans Perspektive und „zeigt<br />
exakt den pathologischen Keim, der soviel Unheil angerichtet hat …“ 17<br />
Der technologisch-zivilisatorische Vorsprung der deutschen Kolonisten gepaart mit ihrem<br />
organisierten Fleiß und ihrem Ordnungsdrang war <strong>in</strong> Weidenheims Sicht zwar e<strong>in</strong> staatlich<br />
gesteuerter Innovationsschub für ihre neue Umgebung, auch steigerte er den Wohlstand des<br />
Geme<strong>in</strong>wesens <strong>in</strong> nie zuvor gekannte Dimensionen, allerd<strong>in</strong>gs war der Preis dafür nicht nur<br />
die tiefgreifende Veränderung, ja das weitgehende Verschw<strong>in</strong>den der natürlichen Landschaften<br />
mit dem Zauber ihrer Flora und Fauna, sondern auch die Zerstörung der Lebenswelt aller<br />
dort seit langer Zeit siedelnden Völker, die ehrfürchtig mit ihrem Lebensrhythmus, ihren Sitten<br />
und Bräuchen auf ihre Umgebung e<strong>in</strong>gestimmt waren. Weidenheim blickt – damals e<strong>in</strong><br />
Avantgardist – zivilisationskritisch h<strong>in</strong>ter die Fassade e<strong>in</strong>es skrupellosen Fortschrittsglaubens<br />
und macht die Verlustrechnung auf. Die deutsche Besiedlung ersche<strong>in</strong>t so nicht nur im Glanz<br />
der Modernisierung, sondern auch mit ihrer kaum beleuchteten Kehrseite, die ebenfalls ursächlich<br />
ist für nationale Demütigung und Enteignung. Aus dieser Perspektive ergibt sich<br />
auch die Möglichkeit, die oftmals arrogant belächelte balkanische Trägheit bzw. Arbeitsscheu<br />
unvore<strong>in</strong>genommen zu betrachten.<br />
„Ne<strong>in</strong>, unsere Schwaben hatten nicht nur aus e<strong>in</strong>er Wildnis e<strong>in</strong> blühendes, fruchtbares Land<br />
gemacht, sondern sie hatten auch dieses riesige Dorf von fünf Kilometer Länge aufgebaut an<br />
e<strong>in</strong>er Stelle, wo damals lediglich e<strong>in</strong> paar ziemlich verwilderte Serben am Rande e<strong>in</strong>es Weidengehölzes<br />
siedelten; sie hatten das Weidengehölz kraft ihrer Abneigung gegen alles Unangetastete<br />
spurlos weggeräumt und an se<strong>in</strong>er Stelle e<strong>in</strong> bewunderungswürdiges Netzwerk von<br />
vier Längs- und neun Querstraßen gezogen – jede Straße lotrecht zur anderen verlaufend und<br />
e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong>wurf breit; sie hatten mit allem, was sie taten, e<strong>in</strong> breites Tor aufgestoßen für die<br />
Geister e<strong>in</strong>es friedfertigen Furor teutonicus, und seit sie hier waren, hallte es im Land nicht<br />
mehr von Kartaunen wider, sondern nur noch vom Stampfen der Dreschmasch<strong>in</strong>en; sie hatten<br />
das Äußerste an geschlossener Siedlung geschaffen – von oben betrachtet, sah das Dorf<br />
wie e<strong>in</strong> riesiges Schachbrett aus oder wie e<strong>in</strong>e gewissenhafte Anordnung von akkurat angelegten<br />
Parzellen, von denen jede um das aus Gärten und Höfen bestehende Innere e<strong>in</strong>en lückenlosen<br />
Gürtel von Häusern, Mauern und Zäunen gelegt bekam; sie hatten als erste <strong>in</strong> diesem<br />
Lande das Gebot von me<strong>in</strong> und de<strong>in</strong> praktiziert und das gegenseitige Überrunden durch<br />
die höhere Leistung e<strong>in</strong>geführt.<br />
Sie waren von jenem unglücklichen Wiener Kaiser aus der geschichtlichen Taufe gehoben<br />
worden, der es für unbed<strong>in</strong>gt notwendig gehalten hatte, den schon vor ihnen hier heimischen<br />
Völkern den größten Teil ihrer hergebrachten Feiertage zu verbieten und sie zum Rackern und<br />
Unzufriedense<strong>in</strong> zu zw<strong>in</strong>gen.<br />
Sie waren mit den besten Absichten <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Land gekommen, das e<strong>in</strong>st der Fee Delibab gehört<br />
hatte, die es mit der Kulisse ihrer Luftspiegelungen <strong>in</strong> wechselnde Bühnenbilder von zauber-<br />
16 Ebenda, S. 101<br />
17 Ivan Poljaković: Schatten der Vergangenheit. Flucht und Vertreibung <strong>in</strong> der donauschwäbischen Literatur der<br />
Nachkriegszeit, Novum, Zagreb 2009, S. 225<br />
8
hafter Glasigkeit zu verwandeln verstand. Aber auch die Delibab hatte vor dem Aufräumungsdrang<br />
der Schwaben zurückweichen müssen; bis <strong>in</strong> die <strong>in</strong>nersten Bezirke der<br />
Hortobagy war sie mit der Zeit geflohen und hatte mit sich genommen all ihr Geschmeide<br />
und ihren gekränkten Stolz.<br />
Ne<strong>in</strong>, sie hatten aber nicht nur jede Fasz<strong>in</strong>ation verdrängt und nicht nur den Schlummer der<br />
genügsamen Armut abgelöst durch die eifersüchtige Reizbarkeit des ehrgeizigen Neul<strong>in</strong>gs,<br />
sondern sie hatten auch vor lauter friedlicher Arbeit die politische Leidenschaft nicht kennengelernt<br />
– bis jetzt -, und sie hatten dadurch <strong>in</strong>mitten älterer, leicht erhitzbarer und nationalbewußter<br />
Völker ausgleichend gewirkt – bis jetzt.“ 18<br />
Unwissenheit, Vorurteile und Ignoranz gegenüber den Serben s<strong>in</strong>d bei den Deutschen beschämend<br />
normal, ebenso wie die Ungarn werden sie kurzerhand als zurückgeblieben und<br />
primitiv, matt und faul abqualifiziert. Doch Jastrogonac macht klar, daß zwischen Deutschen<br />
und Serben durchaus auch alte und auf gegenseitigem Respekt beruhende Kulturbeziehungen<br />
bestehen, beg<strong>in</strong>nend mit der Begegnung zwischen dem mittelalterlichen König Friedrich<br />
Barbarossa mit Großgespan Stephan Nemanja bis h<strong>in</strong> zu derjenigen zwischen Goethe und<br />
dem Reformator der serbischen Sprache und Volksliedsammler Vuk <strong>Stefan</strong>ović Karadžić. Den<br />
deutschen Dichterfürsten begeisterten die serbischen Heldenepen so, daß er e<strong>in</strong>ige von ihnen<br />
<strong>in</strong>s Deutsche übertrug. Herder, Humboldt, Jakob Grimm und Ranke lernten das serbische<br />
Volk kennen und verbreiteten die Kunde von ihm <strong>in</strong> der westlichen Welt.<br />
Die Protagonisten Daffee und Jastrogonac legen aus eigener Betroffenheit ihre Teilwahrheiten<br />
und Standpunkte der Beschuldigung ausführlich und aus persönlicher Sicht dar, vielmehr<br />
sie erzählen romanhafte Geschichten, durch die nicht nur das historisch Geschehene transparent<br />
wird, sondern auch die Lebenswelten, Sitten und Gebräuche, die Mentalitäten, die<br />
Stärken und Schwächen der beteiligten Völker, nämlich vor allem die der Donauschwaben<br />
und Serben, daneben aber auch die der Juden, der Ungarn, der Zigeuner (heute würde man<br />
politisch korrekt S<strong>in</strong>ti und Roma sagen) sowie der Ruthenen. Die beiden dargelegten Betrachtungsweisen<br />
stehen dann zunächst wie erratische Blöcke nebene<strong>in</strong>ander, zwar nicht<br />
mehr so fe<strong>in</strong>dlich wie zuvor, denn alle<strong>in</strong> das offene Wort hat Bestürzung und Scham auf beiden<br />
Seiten ausgelöst, aber noch ohne die Möglichkeit echter Begegnung. Beide Kontrahenten<br />
haben sich gegenseitig den Spiegel vorgehalten und sich dar<strong>in</strong> erkannt. Nicht ohne Staunen<br />
muß der Serbe dem Volksdeutschen und dieser dem Serben zugestehen, gründliche<br />
Kenntnisse des jeweils fremden Volkes zu besitzen.<br />
Aber erst e<strong>in</strong>e dritte Ebene der Betrachtung macht zu gegenseitiger Annäherung und Versöhnung<br />
bereit, nämlich die Erzählung des alten Juden Horowitz, der sich den Kontrahenten<br />
im zweiten Teil ihres Gesprächs zugesellt, aber rechtzeitig genug, um den Kern der Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />
zu verstehen, die Tragweite der Anschuldigungen kennt er ohneh<strong>in</strong>. Auch er<br />
ist e<strong>in</strong> serbischsprachiger Pannonier, der die dort lebenden Völker bestens kennt, die Leiden<br />
se<strong>in</strong>es Volkes müssen h<strong>in</strong>ter denen der anderen nicht zurückstehen. Se<strong>in</strong> Lebensalter wie<br />
auch se<strong>in</strong>e ethnische Zugehörigkeit stehen zugleich für abgeklärte Weisheit, er stellt sich<br />
daher auf e<strong>in</strong>e neutrale, vermittelnde, dialektisch höhere Stufe, die <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erzählung von<br />
Liebe getragen ist, symbolisch verdichtet <strong>in</strong> der be<strong>in</strong>ahe unmöglichen, am Ende aber doch<br />
glückenden Liebe zwischen e<strong>in</strong>em serbischen Lageraufseher, der die schlimmsten Ausschreitungen<br />
heimlich zu verh<strong>in</strong>dern sucht, und e<strong>in</strong>er donauschwäbischen Internierten, die durch<br />
se<strong>in</strong>e Interventionen überlebt. Erst der dritte Gesprächsteilnehmer Horowitz ist es also, der<br />
die ganze Völker vere<strong>in</strong>nahmenden Pauschalurteile ergänzt um die Dimension des Individu-<br />
18 Ebenda, S. 282 f.<br />
9
ellen, <strong>in</strong> der alle<strong>in</strong> Verdienst und Schuld zu suchen s<strong>in</strong>d. Er als Jude hatte weder von den<br />
Deutschen noch von den Slawen viel Gutes erfahren, weiß aber dennoch, daß es neben dem<br />
propagierten und organisierten Bösen auch Mitleid und Bereitschaft zum Helfen seitens e<strong>in</strong>zelner<br />
Menschen aus beiden Lagern gab, gerade auch <strong>in</strong> bedrohlicher Lage. Es sei „fast lächerlich,<br />
es zu sagen“, resümiert er, „doch muß man nicht daran er<strong>in</strong>nern <strong>in</strong> dieser Zeit? –:<br />
jedes Volk besteht aus e<strong>in</strong>zelnen Menschen …“ 19 Damit hat – noch <strong>in</strong> großer Nähe zur Katastrophe<br />
– Horowitz/Weidenheim auch den Vorwurf der Kollektivschuld ad absurdum geführt,<br />
der speziell <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> zur Auslöschung der ganzen deutschen Volksgruppe geführt<br />
hatte. Die Beispiele Rumäniens und Ungarns, deren deutsche Bevölkerungen nicht dasselbe<br />
Schicksal wie <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> erleiden mußten, beweist, daß die Doktr<strong>in</strong> von der Kollektivschuld<br />
ke<strong>in</strong>eswegs zu e<strong>in</strong>em universalen Denken jener Zeit gehörte, wenn es auch noch Jahrzehnte<br />
nach dem Krieg auf das deutsche Volk Anwendung fand. Horowitz weiß, daß man auf<br />
e<strong>in</strong>en Standort jenseits der Schuld erst gelangt, wenn man zwei Wahrheiten kennt, wenn<br />
man nicht nur die Beschränkung und Bl<strong>in</strong>dheit jeder Seite betont, sondern auch die Quellen<br />
ihrer Potentiale, ihre je eigene Art von Genialität. Die zuvor noch haßerfüllten, unversöhnlich<br />
sche<strong>in</strong>enden Gegner haben am Ende verstanden, „daß unsere Aussöhnung ke<strong>in</strong>e Idylle ist,<br />
sondern e<strong>in</strong> hartes Stück ehrlicher Arbeit unserer Vernunft und unserer Herzen“ 20 .<br />
Diese Qu<strong>in</strong>tessenz des Romans ist nicht als schon erbrachte Leistung zu verstehen, sondern<br />
als bevorstehende Aufgabe, e<strong>in</strong>e Aufgabe, die bis heute fortbesteht, sowohl auf persönlicher<br />
wie auf staatlicher Ebene. Weidenheim traut der Literatur, dar<strong>in</strong> Bertolt Brecht und Walter<br />
Benjam<strong>in</strong> verwandt, e<strong>in</strong>e die Gesellschaft verändernde Kraft zu.<br />
1.4 Rezeptionsgeschichte<br />
„Treffpunkt jenseits der Schuld“ ist 1956 mit 3.000 Exemplaren im renommierten Gütersloher<br />
Bertelsmann-Verlag erschienen. E<strong>in</strong> Jahr später mußten weitere 4.000 Exemplare aufgelegt<br />
werden. Dieser Roman hat also e<strong>in</strong> relativ großes Interesse hervorgerufen, er wurde<br />
aber auch bald nach se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en hart kritisiert, er ist zweifellos das umstrittenste<br />
Werk Weidenheims. In der donauschwäbischen Presse entbrannte e<strong>in</strong>e erbitterte Kontroverse<br />
mit dem Tenor, daß Weidenheim die Slawen zu positiv gezeichnet habe, den Donauschwaben<br />
aber nicht gerecht geworden sei. Weidenheim wurde mit diesem Werk endgültig<br />
zum Enfant terrible se<strong>in</strong>er Landsleute, während Außenstehende sich anerkennend und lobend<br />
äußerten. Die Vorwürfe konzentrieren sich auf die Behandlung der Schuldfrage. Weidenheim<br />
sei „politisch extravagant“, fälle „ungerechte Fehlurteile“, sei „kaltherzig-böse“ gegenüber<br />
dem Schicksal se<strong>in</strong>er Landsleute. Es wird gar die pe<strong>in</strong>liche Frage gestellt: „Warum<br />
dies Abgleiten nach l<strong>in</strong>ks? Will der Weidenheim von heute den NS-Propagandisten Johannes<br />
Schmidt der Vergangenheit radikal vergessen machen? Flüchtet er sich aus e<strong>in</strong>em ideologischen<br />
Extrem <strong>in</strong>s andere? (...) Ohne Liebe hat Weidenheim se<strong>in</strong>e Landsleute im Unglück beschrieben<br />
und ohne Gerechtigkeit. Dafür bemüht er sich, dem Kommunismus Gerechtigkeit<br />
zuteil werden zu lassen und dessen Schuld an der H<strong>in</strong>schlachtung der <strong>Jugoslawien</strong>deutschen<br />
mit e<strong>in</strong>er Handbewegung auszulöschen. (...) Hochmut, Selbstsucht, Materialismus, selbstgefällige<br />
Sattheit, Abstand von den anderen Nationalitäten – aus diesen angeblich begangenen<br />
Sünden wird der Hanfstrick der schwäbischen Schuld gewirkt. (...) Fürwahr – hier wird beim<br />
Abwiegen der Völkerschuld die Waagschale der armen Schwaben heimlich mit dem Daumen<br />
h<strong>in</strong>untergedrückt. Nicht der Mörder, der Ermordete trägt die Hauptschuld. Die Schuld des<br />
19 Ebenda, S. 316<br />
20 Ebenda, S. 463<br />
10
großbäuerlichen, kapitalistischen Besitzenden – des Kulaken mit e<strong>in</strong>em Wort!“ Der mit H. H.<br />
unterzeichnende Verfasser des Artikels <strong>in</strong> der Wochenzeitung „Der Donauschwabe“ 21 hält<br />
Weidenheim se<strong>in</strong>e Wandlung vom „Alles-für-den-Endsieg-“ und „Blut-und-Boden-Aktivisten“<br />
zum „l<strong>in</strong>kslerischen Intellekturellen“ vor und führt folgende Zitate von Weidenheim an, die<br />
dieser als Journalist bei der „Volksdeutschen Stunde“ am Soldatensender Belgrad zu verantworten<br />
habe: „Du sollst wissen, daß de<strong>in</strong>e Rasse die germanische ist, die vom ewigen Verwalter<br />
und Verteiler des Lebens zu Großem ausersehen wurde …“ und „du sollst alles lieben, was<br />
de<strong>in</strong>em Volk nützt, und alles hassen, was ihm schadet …“ und „Aber wir glauben an die Teilung<br />
der Menschheit nach Rassen und an den Sieg unseres Blutes …“ und „Du deutscher<br />
Landsmann <strong>in</strong> diesem Land, wer vermag auf der ganzen Welt vor dich zu treten und zu sagen,<br />
er sei besser als du? Wo steht die Saat reifer als bei dir, wo ist die Häuslichkeit so unberührt<br />
wie bei dir, wo s<strong>in</strong>d die Frauen so re<strong>in</strong> wie bei dir und wo wird mehr gearbeitet als bei dir?“<br />
„Hochmut, Selbstsucht, Materialismus, selbstgefällige Sattheit, Abstand von den anderen<br />
Nationalitäten – aus diesen angeblich begangenen Sünden wird der Hanfstrick der schwäbischen<br />
Schuld gewirkt“, so kritisiert der anonyme Verfasser weiter. Es sei nicht das deutschslawische<br />
Konfliktmotiv gewesen, das zur Vernichtung und Vertreibung des Deutschtums<br />
zwischen <strong>Ost</strong>see und Adria führte, behauptet er, dies sei nur die emotionale Oberfläche gewesen.<br />
„Im Kern handelt es sich um e<strong>in</strong>en revolutionsstrategischen Vorstoß des Kommunismus,<br />
der – und das kommt ja gerade bei Weidenheim ungewollt so deutlich zum Ausdruck –<br />
örtlich den Charakter e<strong>in</strong>es gesellschaftlichen Racheaktes (und weniger den e<strong>in</strong>es nationalistischen)<br />
annahm.“<br />
Aus Leserbriefen im Ersche<strong>in</strong>ungsjahr geht hervor, daß dieses Buch für e<strong>in</strong>en betroffenen<br />
Donauschwaben e<strong>in</strong>e „unerträgliche Lektüre“ sei, e<strong>in</strong> anderer Leser schreibt, das habe nichts<br />
mit der Wahrheit zu tun, sondern sei „ressentimentgeladene Dichtung“, e<strong>in</strong> dritter urteilt,<br />
ohne das Buch gelesen zu haben, daß der Autor lieblos und ohne Ehrfurcht sei, e<strong>in</strong> vierter<br />
hält es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er technischen Gestaltung für glänzend gelungen, aber doch bedenklich, e<strong>in</strong><br />
fünfter wirft Weidenheim se<strong>in</strong>en Extremismus vor und bezeichnet ihn im S<strong>in</strong>ne von Nietzsches<br />
Zarathustra als e<strong>in</strong>en „Frechen, Höhnenden und Vernichter“. 22<br />
Etwas nachdenklicher verfährt e<strong>in</strong> ohne Namensnennung auskommender Artikel unter der<br />
Überschrift „Durchsichtige Fragen nach der Schuld“. Der Verfasser bezichtigt Weidenheim<br />
der Sensationslüsternheit. Er habe die Frage nach der Schuld aufgeworfen, um e<strong>in</strong>es Honorars<br />
aus der Sowjetzone und des <strong>in</strong>tellektualistischen Nervenkitzels willen. 23<br />
Peter B<strong>in</strong>der aus Batsch-Palanka, damals Leiter der Heimatbücherei der Donauschwaben <strong>in</strong><br />
Freilass<strong>in</strong>g, schreibt anerkennend: „Ganz gleich, ob wir e<strong>in</strong>st <strong>in</strong> die Heimat zurückkehren oder<br />
nicht, aus den Versäumnissen der Vergangenheit müssen wir lernen. Unser Kont<strong>in</strong>ent ist für<br />
Nationalstaaten zu kle<strong>in</strong> geworden, wir alle müssen uns ‚jenseits der Schuld’ treffen, um e<strong>in</strong><br />
besseres Europa aufzubauen. Aber wir müssen fair, objektiv, gerecht und aufrichtig bleiben –<br />
wir und die anderen! Ke<strong>in</strong>esfalls kann es heute darum gehen, das genaue Schuldverhältnis zu<br />
errechnen: hier 49, dort 51 Prozent …“ 24<br />
Die Kritik „richtete sich nicht gegen die völkerversöhnende Tendenz des Buches, aber sehr<br />
wohl gegen das Bemühen des Verfassers, am Beispiel e<strong>in</strong>es raffgierigen, hartherzigen, prunk-<br />
21<br />
H. H.: Schuld mit falschem Maß gewogen. Kritische Betrachtungen zu J. Weidenheims Batschka-Roman, <strong>in</strong>:<br />
Der Donauschwabe v. 23.8.1959, S. 4<br />
22<br />
Neuland Folge 1 v. Juni 1956, S. 4<br />
23<br />
ng: Durchsichtige Fragen nach der Schuld, <strong>in</strong>: Neuland, Folge 2, Juni 1956, S. 3<br />
24<br />
Offener Sprechsaal, <strong>in</strong>: Neuland v. 10.3.1956, S. 6<br />
11
süchtigen deutschen Großgrundbesitzers die geschichtliche Schuld der Deutschen aufzuweisen.<br />
Demgegenüber wurde zurecht festgestellt, daß ländliche Ausbeutertypen, ‚Kulaken’, im<br />
Südosten als soziales, nicht aber als nationales Problem zu betrachten waren.“ 25<br />
Kaum bestreitbar und unbestritten ist jedoch Weidenheims eigene Behauptung, „daß <strong>in</strong> diesem<br />
Buche die Blutschuld der chauv<strong>in</strong>istischen Slawen auf e<strong>in</strong>e bisher kaum offenere Weise<br />
an den Pranger gestellt worden ist“ 26 .<br />
Vor allem bezogen auf se<strong>in</strong>en Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ wird Weidenheim<br />
vorgeworfen, e<strong>in</strong> Kommunist zu se<strong>in</strong>. Auch se<strong>in</strong>e „Vorliebe für randseitige Gestalten“ gehört<br />
<strong>in</strong> diesen Zusammenhang. Weidenheim nimmt dazu folgendermaßen Stellung: „... Daß ich<br />
e<strong>in</strong> Kommunist se<strong>in</strong> soll, ist e<strong>in</strong> bösartiger Blöds<strong>in</strong>n. Jeder Kommunist, dem man mich als se<strong>in</strong>esgleichen<br />
vorstellen wollte, würde wahrsche<strong>in</strong>lich nur lachen.“<br />
Weidenheim zeigt die sozialen Zusammenhänge des Lebens <strong>in</strong> der Heimat und damit zusammenhängend<br />
die Versäumnisse. Er bezeichnet sich nicht als Kommunist, sondern als Sozialist<br />
oder Sozialkritiker, der für die Sozialisierung der meisten Produktionsmittel und e<strong>in</strong><br />
egalitäres staatliches Gesundheitswesen ebenso e<strong>in</strong>tritt wie für die Aufhebung aller Bildungsprivilegien<br />
und die Emanzipation der Frau.<br />
„Me<strong>in</strong> persönlicher Wachstumsprozeß hat mich als reifen Mann dah<strong>in</strong> gebracht, daß ich den<br />
Sozialismus im Vergleich zum Kapitalismus als die höhere Gesellschaftsform erkannt habe –<br />
und dieser Grundzug ist <strong>in</strong> allem, was ich schreibe, nachweisbar, auch wenn es nicht verbal so<br />
dasteht.“<br />
Insbesondere für die Landsmannschaft der Donauschwaben ist Weidenheim die längste Zeit<br />
e<strong>in</strong> rotes Tuch. Diese Front beg<strong>in</strong>nt erst Mitte der 1990er Jahre zu bröckeln, als der Schriftsteller<br />
von der unbefangenen Bekenntnisgeneration wiederholt zu Lesungen nach S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen<br />
e<strong>in</strong>geladen wird, allerd<strong>in</strong>gs nur Proben aus se<strong>in</strong>em milden Alterswerk zum Besten gibt.<br />
Adalbert Karl Gauß hat <strong>in</strong> den Jahren 1961, 1963, 1972 und 1974 als Chefredakteur der <strong>in</strong><br />
Salzburg beheimateten Vertriebenenzeitung „Neuland“ vier große Interviews mit Johannes<br />
Weidenheim geführt, die dem angefe<strong>in</strong>deten Erzähler wohlwollend die Möglichkeit gaben,<br />
explizit und relativ ausführlich <strong>in</strong>sbesondere zu politischen, historischen und poetologischen<br />
Fragen Stellung zu nehmen oder se<strong>in</strong>e im literarischen Kontext zuweilen mißverstandenen<br />
Positionen zu erläutern. Den Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“ hielt Gauß für das Werk<br />
e<strong>in</strong>er „eigenwilligen schöpferischen Persönlichkeit“, es sei „das geistige Ereignis e<strong>in</strong>es Jahrzehnts<br />
donauschwäbischen Vertriebenendase<strong>in</strong>s“, mit dem man sich ause<strong>in</strong>andersetzen<br />
müsse. 27<br />
Außer e<strong>in</strong>er Vielzahl von meist kurzen und nicht sehr tiefschürfenden Buchbesprechungen<br />
Weidenheimscher Werke <strong>in</strong> der bundesdeutschen und österreichischen Presse haben das<br />
größere Verständnis und das anhaltendere Interesse e<strong>in</strong>ige der eigenen, aus Pannonien<br />
stammenden Landsleute aufgebracht.<br />
25 Südostdeutsche Vierteljahresblätter 1969/2, S. 113<br />
26 Offener Sprechsaal, <strong>in</strong>: Neuland v. 24.3.1956, S. 6<br />
27 Neuland v. 11.2.1956, S. 3. Vier Interviews von Adalbert Karl Gauß mit Johannes Weidenheim <strong>in</strong> der Salzburger<br />
Wochenzeitung „Neuland“: 1) Das unausgeglichene Konto. „Neuland“-Interview mit Johannes Weidenheim,<br />
25.2.1961, S. 3; 2) Tragische Entfremdung. J. Weidenheim: Für mich ist me<strong>in</strong>e Heimat <strong>Jugoslawien</strong> noch nicht<br />
untergegangen, 26.10.1963, S. 3; 3) E<strong>in</strong> Gespräch mit Weidenheim – dem konstruktiven Unruhestifter,<br />
5.8.1972, S. 3 u. 5; 4) Johannes Weidenheim: Ich will nicht rehabilitiert werden!, 16.11.1974, S. 3<br />
12
Anton Scherer hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er 1959 erschienenen Anthologie „Die nicht sterben wollten“ e<strong>in</strong><br />
Gedicht und e<strong>in</strong>e Erzählung von Johannes Weidenheim aufgenommen und ihm <strong>in</strong> der am<br />
Ende des Bands stehenden „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die donauschwäbische Literatur“ drei Seiten (von<br />
23) gewidmet, selbst mehr als dem Erzschwaben Adam Müller-Guttenbrunn. Zweifelsohne<br />
sei dieser stark <strong>in</strong>tellektualisierte, aber auch mit den untersten sozialen Schichten denkende<br />
und fühlende Erzähler das größte Talent der jüngeren Generation, das die Freiheit des Geistes<br />
und der Völkerversöhnung über die Kräfte des Volkstums stellt. Auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er 19 Seiten<br />
umfassenden Schrift „Die Literatur der Donauschwaben als Mittler<strong>in</strong> zwischen Völkern und<br />
Kulturen“ (1972) räumt Scherer die letzte Seite dem Werk von Weidenheim e<strong>in</strong> und erwähnt<br />
die Erzählungen „Das späte Lied“ und „Der verlorene Vater“ sowie die Romane „Kale-<br />
Megdan“, „Das türkische Vaterunser“, „Mensch, was für e<strong>in</strong>e Zeit“ und schließlich, trotz Bedenken<br />
und E<strong>in</strong>wänden, die er schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er „E<strong>in</strong>führung“ erhoben hatte, „Treffpunkt jenseits<br />
der Schuld“, das harte Stück Arbeit der Aussöhnung zwischen Donauschwaben und Serben<br />
vor Augen. Weidenheim sei, me<strong>in</strong>t Scherer resümierend, „e<strong>in</strong> starkes Glied <strong>in</strong> der stattlichen<br />
Kette der Donauschwaben, die seit zwei Jahrhunderten bewußt oder unbewußt als Mittler<br />
zwischen der deutschen und den südosteuropäischen Literaturen und Kulturen im Dienst<br />
der Verständigung der Völker wirken“ 28 .<br />
Karl-Markus Gauß, der Sohn von Adalbert Karl Gauß, hat die Erzählung „Der süße Kuchen<br />
des heiligen Sava“ <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Prosaanthologie „Das Buch der Ränder“ (1992) aufgenommen<br />
und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Die Vernichtung Mitteleuropas“ (1991) Johannes Weidenheim unter<br />
der Überschrift „Maresi als Zentrum der Welt“ e<strong>in</strong> eigenes Kapitel e<strong>in</strong>geräumt. Dar<strong>in</strong> und <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>igen Presseartikeln liefert er treffende Charakterisierungen und <strong>in</strong>sgesamt die wohl hellsichtigste<br />
E<strong>in</strong>schätzung se<strong>in</strong>er Werke. Gauß bezeichnet Weidenheim als e<strong>in</strong>en „getreuen<br />
Chronisten des pannonischen Alltags“, der e<strong>in</strong>e „konzentrierte und poetische Fassung der<br />
donauschwäbischen Geschichte“ geliefert habe. „Se<strong>in</strong>e Entdeckung steht noch immer aus“,<br />
und „der so schmählich unbekannte Johannes Weidenheim“ könnte kundig die Besichtigung<br />
e<strong>in</strong>es zerstörten Kont<strong>in</strong>ents begleiten. Wie kaum e<strong>in</strong> anderer schätzt Gauß die literarische<br />
Bedeutung Weidenheims und se<strong>in</strong> Potential für die Völkerverständigung <strong>in</strong> Mitteleuropa<br />
überaus hoch e<strong>in</strong>. 29<br />
Re<strong>in</strong>hold Grimm hat zur Def<strong>in</strong>ition der politischen Novelle vier exemplarische, überaus lehrreiche<br />
Beispiele herangezogen, neben Werken von Bruno und Leonhard Frank, Thomas<br />
Mann und Gottfried Benn auch die „Pannonische Novelle“ von Johannes Weidenheim, die<br />
wegen e<strong>in</strong>er ans Romanhafte streifenden lebenszeitlichen Erstreckung und Auffächerung der<br />
28 Anton Scherer: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Geschichte der donauschwäbischen Literatur, 1960, S. 25-27; Ders.: Die<br />
Literatur der Donauschwaben als Mittler<strong>in</strong> zwischen den Kulturen, Selbstverlag, Graz 1972, S. 18 f.; Ders.: Große<br />
Verdienste. Tomislav Bekić übersetzte Jochanes Wajdenchajm, <strong>in</strong>: Der Donauschwabe v. 13.2.2000, S. 5<br />
29 Karl-Markus Gauß: Das Buch der Ränder. Prosa, hrsg. v. Karl-Markus Gauß, Wieser Verlag, Klagenfurt/Salzburg<br />
1992, S. 251-257; Ders.: Maresi als Zentrum der Welt – Johannes Weidenheim, <strong>in</strong>: Die Vernichtung<br />
Mitteleuropas. Essays, Wieser Verlag, Klagenfurt/Salzburg 1991, S. 185-198; Vgl. auch Ders.: Johannes<br />
Weidenheim: E<strong>in</strong> pannonischer Schriftsteller, <strong>in</strong> Wiener Tagebuch 1984, H. 7/8, S. 30-32; Ders.: Ine<strong>in</strong>ander der<br />
Literatur. Dichterische Entdeckungen, <strong>in</strong>: Zeitschrift für Kultur und Politik, Graz 1985, Nr. 48; Ders.: Das Experiment<br />
Maresi. Johannes Weidenheim: e<strong>in</strong> pannonischer Schriftsteller, <strong>in</strong>: Wiener Zeitung v. 18.7.1986; Ders.:<br />
Geistige Zeugen Mitteleuropas, <strong>in</strong>: Parnaß, L<strong>in</strong>z 1991, H. 4, S. 82 f.; Ders.: E<strong>in</strong>es Morgens war er bl<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>: Die<br />
Presse, Wien v. 21.3.1999<br />
13
Handlung ke<strong>in</strong>e makellose Novellenform besitze, aber dank der übrigen Merkmale der Gattung<br />
durchaus als Muster zugerechnet werden müsse. 30<br />
<strong>Stefan</strong> Sienerth <strong>in</strong>terviewte Johannes Weidenheim für die Südostdeutschen Vierteljahresblätter<br />
1992. Im Vorspann f<strong>in</strong>det sich folgende Charakterisierung Weidenheims: „Der fabulierfreudige,<br />
auf m<strong>in</strong>utiöse und atmosphärische Wiedergabe des Erlebten und Erfahrenen<br />
bedachte Autor, dem e<strong>in</strong> Hang sowohl zu ironisch-kritischer Haltung als auch zu Schwermut<br />
und Resignation eigen ist, siedelt – von den wenigen Ausnahmen abgesehen – die Handlung<br />
se<strong>in</strong>er Romane und Erzählungen <strong>in</strong> der mult<strong>in</strong>ationalen Welt se<strong>in</strong>er Herkunft an.“ 31<br />
In diesem Interview erklärt Weidenheim, von der deutschen Kritik für se<strong>in</strong>e Werke recht viel<br />
Lob geerntet zu haben, paradoxerweise sei aber aus den Kreisen se<strong>in</strong>er Landsleute e<strong>in</strong> positives<br />
Echo ausgeblieben, stattdessen habe er von dieser Seite nur Schläge e<strong>in</strong>stecken müssen.<br />
„Der Sturm, der damals … durch den e<strong>in</strong>schlägigen Blätterwald g<strong>in</strong>g, bewies mir nur,<br />
daß mir me<strong>in</strong>e Absicht, den F<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e echte Wunde zu legen, gelungen war. Die Wunde<br />
hieß … die Mitschuld, ja gewissermaßen die Vorausschuld der Donauschwaben an ihrer Vernichtung<br />
…“ 32<br />
In <strong>in</strong>tellektuellen serbischen Kreisen schätzte man Weidenheims Werk als überaus konstruktiv<br />
e<strong>in</strong>, das gilt <strong>in</strong>sbesondere für se<strong>in</strong>en Roman „Treffpunkt jenseits der Schuld“. Weidenheim<br />
war verschiedentlich zu Lesungen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> e<strong>in</strong>geladen. Daß die „Pannonische<br />
Novelle“ und „Heimkehr nach Maresi“ <strong>in</strong>s Serbische übersetzt wurden 33 , ist e<strong>in</strong> deutliches<br />
Zeichen der Anerkennung.<br />
Wieviel man geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> <strong>in</strong> Deutschland von Johannes Weidenheim und se<strong>in</strong>em Werk zu wissen<br />
pflegt, dafür gab das Hamburger Wochenmagaz<strong>in</strong> „Der Spiegel“ e<strong>in</strong> erhellendes Beispiel,<br />
als dort <strong>in</strong> der Rubrik „Register“ anläßlich von Weidenheims Tod im Jahr 2002 <strong>in</strong> wenigen<br />
Zeilen dessen Leben und Wirken gewürdigt wurden. 34 Der Autor des wenige Zeilen umfassenden<br />
Nachrufs brachte es fertig, mehrere sachliche Fehler bzw. Ungenauigkeiten unterzubr<strong>in</strong>gen<br />
und sie mit dem ungläubigen Staunen zu verb<strong>in</strong>den, wie man ausgerechnet im krisengeschüttelten<br />
<strong>Jugoslawien</strong> se<strong>in</strong>en Traum vom friedlichen Mite<strong>in</strong>ander der Völker ansiedeln<br />
könne. In den Büchern Weidenheims kann man auf Schritt und Tritt erfahren, daß e<strong>in</strong><br />
friedliches multiethnisches Zusammenleben <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> durchaus e<strong>in</strong>mal möglich war.<br />
E<strong>in</strong>em Journalisten, der gewissenhaft recherchiert und mit dem Werk dieses Autors durch<br />
Lektüre auch nur ansatzweise vertraut ist, hätten auch folgende Fehle<strong>in</strong>schätzungen nicht<br />
unterlaufen dürfen: die Anzahl der Romane von tatsächlich acht auf dreißig zu steigern; den<br />
Autor als Verfasser von Theaterstücken zu bezeichnen, obwohl er lebenslänglich nur zwei<br />
kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>akter geschrieben hat; irrtümlich zu behaupten, daß es um Weidenheim still geworden<br />
sei, dies aber se<strong>in</strong>er Produktivität ke<strong>in</strong>en Abbruch getan habe. Obwohl also das Epitaph<br />
des „Spiegel“ an sich verdienstvoll ist, zeigt er zugleich schlaglichtartig, wie sehr Wei-<br />
30 Re<strong>in</strong>hold Grimm: Drei bis vier politische Novellen: Notizen zu Bruno und Leonhard Frank, Johannes Weidenheim,<br />
Thomas Mann und Gottfried Benn, <strong>in</strong>: Versuche zur europäischen Literatur, Europäischer Verlag der<br />
Wissenschaften, Bern 1994, S. 93-134<br />
31 Me<strong>in</strong>e Betroffenheit ist kaum zu beschreiben ... E<strong>in</strong> Gespräch mit Johannes Weidenheim (Die Fragen stellte<br />
<strong>Stefan</strong> Sienerth.), <strong>in</strong>: Südostdeutsch Vierteljahresblätter 1992/4, S. 287-97; auch <strong>in</strong>: <strong>Stefan</strong> Sienerth: „Daß ich <strong>in</strong><br />
diesen Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geboren b<strong>in</strong>“. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südosteuropa, Verlag Südostdeutsches<br />
Kulturwerk, München 1997, S. 21-36<br />
32 Ebenda<br />
33 Von Tomislav Bekić <strong>in</strong>s Serbische übersetzte Werke Johannes Weidenheims: „Pannonische Novelle“<br />
(Panonska novela. Životna povesc Katar<strong>in</strong>e D., Krovovi, Sremski Karlovci 1998, 105 S.); „Heimkehr nach Maresi“<br />
(Povratak u Marezi, Krovovi, Sremski Karlovci 1999, 328 S.)<br />
34 Johannes Weidenheim, <strong>in</strong>: Der Spiegel, Hamburg, Ausgabe vom 25/17. 6.2002, S. 206 (Register)<br />
14
denheim <strong>in</strong> Vergessenheit geraten oder besser, wie bedauerlich unbekannt er geblieben ist.<br />
Selbst Kürschners Deutscher Literatur-Kalender verzeichnet lediglich fünf von acht Romanen.<br />
Erfreulicherweise ist <strong>in</strong> der akademischen Welt dem Werk Weidenheims neuerd<strong>in</strong>gs große<br />
Beachtung erwiesen worden. Der 1956 <strong>in</strong> Maria-Theresiopel (Subotica) <strong>in</strong> der Batschka geborene<br />
Germanist Ivan Poljaković promovierte im Jahr 2004 an der University of Auckland <strong>in</strong><br />
Neuseeland mit der Dissertation „Flucht und Vertreibung <strong>in</strong> der donauschwäbischen Literatur<br />
der Nachkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des Werks von Johannes Weidenheim“.<br />
Im September 2009 erschien diese Doktorarbeit <strong>in</strong> kroatischer und deutscher Sprache<br />
<strong>in</strong> Zagreb. 35 In diesem ersten Versuch, die donauschwäbische Vertreibungsliteratur als e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>heitliches Thema zu erforschen und systematisch darzustellen, widmet sich der Doktorand<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em eigenen Kapitel auch Weidenheims Werk „Treffpunkt jenseits der Schuld“, zu<br />
dem er folgendes Resümee zieht: „Das Grundanliegen des Romans bleibt das Streben danach,<br />
jenes Wirrwarr von Schuld und Not, von Leid und Verbrechen, das auf der Kriegsgeneration<br />
so lange nach der Verwüstung lastete, mit dem Blick auf die Zukunft zu überw<strong>in</strong>den. Er<br />
bietet Möglichkeiten e<strong>in</strong>er Lösung, e<strong>in</strong>es ‚Treffpunkts jenseits der Schuld’, freilich lediglich<br />
e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle, menschliche Lösung …“ 36<br />
1.5 Forschungslage<br />
Wenn man will, kann man <strong>in</strong> der Existenz der „Serbisch-deutschen Gesellschaft“ und des<br />
„Donauschwäbisch-serbisches Dialog-Symposions“ (ARDI) 1999 <strong>in</strong> Wien so etwas wie die<br />
Realisierung der Weidenheim’schen Romanvorlage erkennen. In beiden Vere<strong>in</strong>igungen ist<br />
viel Aufklärungsarbeit geleistet worden, man hat sich mittlerweile gegenseitig se<strong>in</strong>e Standpunkte<br />
erschöpfend dargelegt, Interesse und Verständnis für den jeweils anderen aufgebracht,<br />
sich durchaus angenähert, damit ist jedoch der Prozeß zu e<strong>in</strong>em gewissen Stillstand<br />
gekommen, allem Ansche<strong>in</strong> nach fehlt noch der alte Horowitz, d. h. die höhere, versöhnende<br />
Stufe, die sich dann auch auf Regierungsebene spiegeln müßte.<br />
Nach me<strong>in</strong>em Informationsstand ist bisher ke<strong>in</strong> Versuch unternommen worden, das Werk<br />
von Johannes Weidenheim systematisch auf se<strong>in</strong>e völkerkundliche Ergiebigkeit zu untersuchen,<br />
auf se<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>es Sensorium für die historisch gewachsenen Charaktereigenschaften der<br />
Völker im pannonischen Raum und die sich daraus ergebenden <strong>in</strong>terethnischen Relationen<br />
und Beziehungen, schließlich auf se<strong>in</strong>en vorausweisenden Gehalt für e<strong>in</strong>e Versöhnung der<br />
Völker nach den Verheerungen von Nationalsozialismus und Kommunismus. Lange bevor die<br />
Komparatistische Imagologie sich <strong>in</strong> der Literaturwissenschaft etablieren konnte, hat Weidenheim<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Romanen und Erzählungen diese Methodik des Vergleichens und<br />
Gegenüberstellens von kulturell und geschichtlich entstandenen Welt- und Menschenbildern,<br />
die sich die Völker vone<strong>in</strong>ander machen, auf dichterische Weise angewandt und sie<br />
geradezu prototypisch mit der Kennerschaft des multikulturell und mehrsprachig Aufgewachsenen<br />
zu bewundernswerter Plastizität und Leuchtkraft getrieben. Se<strong>in</strong> oberstes Ziel<br />
war dabei, kollektive Selbst- und Fremdbilder, stereotype Wahrnehmungsweisen der eigenen<br />
und anderer Kulturen bewußt zu machen, Interesse und Befähigung für die <strong>in</strong>terkulturelle<br />
Kommunikation und Verständigung zu entwickeln, die aber nur dann stattf<strong>in</strong>den kann,<br />
wenn die Gesprächsteilnehmer <strong>in</strong> der Lage s<strong>in</strong>d, die Welt auch mit den Augen der anderen<br />
35 Ivan Poljaković: Schatten der Vergangenheit. Flucht und Vertreibung <strong>in</strong> der donauschwäbischen Literatur der<br />
Nachkriegszeit, Novum, Zagreb 2009, 295 S. (deutscher Teil) + Bildanhang / Sjene prošlosti. Bijeg i progon u<br />
poratnoj književnosti podunavskih Švaba, Novum, Zagreb listopad 2009, 227 S.<br />
36 Ebenda, S. 226<br />
15
zu sehen und ihre Perspektiven <strong>in</strong> das eigene Denken e<strong>in</strong>zubeziehen. Genau diesen Anspruch<br />
hat Weidenheim <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Treffpunkt“ e<strong>in</strong>zulösen versucht. Aber auch se<strong>in</strong>e übrigen Werke<br />
s<strong>in</strong>d mehr oder m<strong>in</strong>der immer zugleich Studien von Mentalitäten und Milieus, Temperamenten<br />
und Begabungsprofilen, ihres Interagierens, ihrer Konfliktherde und tragischen Zuspitzungen,<br />
aber auch ihrer friedlichen, sich gegenseitig befruchtenden Koexistenz, wie sie<br />
vor dem Kriege – Europa zum Exempel! – tatsächlich praktiziert wurde. Mit e<strong>in</strong>em Wort:<br />
Weidenheims Werk ist e<strong>in</strong>e Idealvorlage zur Fortentwicklung e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>terkulturellen Germanistik,<br />
die es bisher nur <strong>in</strong> Ansätzen gibt. 37<br />
Wir müssen Titel und Motto des hier <strong>in</strong> Rede stehenden Romans zu se<strong>in</strong>er Deutung genauer<br />
bedenken. Es geht um e<strong>in</strong>en Treffpunkt jenseits der Schuld. Der kann nur h<strong>in</strong>ter den perspektivischen<br />
Teilwahrheiten der betroffenen, schuldig gewordenen Völker und jenseits ihrer<br />
Religionen und Weltanschauungen liegen, ganz gleich, ob sie Christen, Muslime oder<br />
Juden, Agnostiker oder Atheisten s<strong>in</strong>d, was ihnen im übrigen unbenommen bleibt. Der Treffpunkt<br />
kann demzufolge nur auf e<strong>in</strong>er Ebene des ideologiefreien Humanismus liegen oder<br />
anders gesagt: der re<strong>in</strong>en Menschlichkeit. So verstanden wird das Motto aus dem Munde<br />
des alten Juden Horowitz „Man muß e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>, das ist alles“ 38 als Schlüssel für diesen<br />
Roman und darüber h<strong>in</strong>aus für das gesamte Schaffen Weidenheims erkennbar. Von diesem<br />
Standpunkt aus wird es auch verständlich, daß Weidenheim weder den Serben noch den<br />
Schwaben vollständige Gerechtigkeit angedeihen lassen konnte, obwohl er sich darum redlich<br />
bemüht hat, auch die guten Seiten beider Völker zu würdigen. Allen Seiten une<strong>in</strong>geschränkte<br />
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist wohl auch e<strong>in</strong>e übermenschliche Anforderung.<br />
Es g<strong>in</strong>g dem Verfasser dieses Romans vielmehr um die Keimzellen und neuralgischen<br />
Punkte der Fe<strong>in</strong>dseligkeit, um die Krisenherde und Problemfelder im Zusammenleben der<br />
Völker und e<strong>in</strong>zelnen Menschen, die letztlich zur Katastrophe führten. Deshalb ist der Treffpunkt<br />
jenseits der Schuld auch gleich weit von Kapitalismus wie von Kommunismus entfernt,<br />
während sich Weidenheim auf der Plattform dieses Treffpunkts gleichwohl um soziale Gerechtigkeit,<br />
Chancengleichheit, Toleranz, <strong>in</strong>terkulturelles Verständnis und – damals schon –<br />
um die Bewahrung der Schöpfung sorgt. Auch <strong>in</strong> unserer Gegenwart der multikulturellen<br />
Durchmischung, der die Politik gängelnden Arroganz des Geldes, der wachsenden Kluft zwischen<br />
Arm und Reich, der Verheerungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der Unterdrückung<br />
des Selbstbestimmungsrechts, auch heute also, wo wir immer noch weit von<br />
solchen Idealen und Forderungen der Menschlichkeit entfernt s<strong>in</strong>d, erweist sich Weidenheim<br />
als „konstruktiver Unruhestifter“ 39 , als Versöhner mit visionärem Weitblick, der zwar<br />
nicht unverblendet blieb, aber wohl gerade aus dem Bewußtse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissen Mitverantwortung<br />
für die NS-Ideologie e<strong>in</strong>e radikale Wandlung vollzog, selbstgerechte Überheblichkeit<br />
überwand, sich zum vermittelnden Gewissen läuterte und sich letztlich gegen beide Totalitarismen<br />
des vergangenen Jahrhunderts auflehnte.<br />
37 Die „Gesellschaft für <strong>in</strong>terkulturelle Germanistik“ wurde 1984 <strong>in</strong> Karlsruhe gegründet. Ihr Ziel ist es, kulturelle<br />
Unterschiede zu respektieren und die Erkenntnischancen zu nutzen, die <strong>in</strong> der Unterschiedlichkeit der jeweiligen<br />
kulturellen Ausgangsposition, <strong>in</strong> dem produktiven Wechselverhältnis zwischen Fremdem und Eigenem<br />
liegen. Indem wir uns diese Positionen bewußt machen, die kulturelle Vielfalt ihrer Bed<strong>in</strong>gungen, Fragestellungen<br />
und Erkenntnismöglichkeiten <strong>in</strong> den Blick nehmen, gew<strong>in</strong>nen wir Zugänge nicht nur zur fremden, sondern<br />
auch zur eigenen Kultur. Die Gesellschaft ist der Ansicht, daß die Erforschung <strong>in</strong>terkultureller Kommunikation<br />
im Zeichen global zunehmender Kontakte, Kontexte und Konflikte auch <strong>in</strong> der Germanistik an Bedeutung nur<br />
gew<strong>in</strong>nen kann.<br />
38 „Man muß e<strong>in</strong> Mensch se<strong>in</strong>, das ist alles.“ Diesen Satz formuliert der alte Horowitz als Qu<strong>in</strong>tessenz am Ende<br />
des Romans. (S. 462). Er wird dem Werk auch als Motto vorangestellt. (S. 5)<br />
39 Vgl. Anm. 27<br />
16
1.6 Zusammenfassung<br />
Die genozidartigen Ausschreitungen von 1944 bis 1948 blieben den Bürgern <strong>Jugoslawien</strong>s<br />
nicht verborgen, obwohl sie nach Kräften vertuscht wurden. Wenn auch viele mehr oder<br />
weniger Bescheid wußten, sprach man <strong>in</strong> den Jahrzehnten danach nur h<strong>in</strong>ter vorgehaltener<br />
Hand und lediglich gegenüber eng Vertrauten darüber. Für die Presse und öffentliche Diskussion<br />
waren solche Themen bis lange nach <strong>Titos</strong> Tod 1980 absolut tabu, Verstöße wurden<br />
strengstens geahndet. Auch <strong>in</strong> Deutschland war das politische Klima für die Thematisierung<br />
von Kriegsverbrechen, die an Deutschen begangen wurden, alles andere als günstig. 40 Während<br />
sich die Welt mit berechtigter Sorgfalt um die nie zuvor dagewesene Dimension der NS-<br />
Verbrechen kümmerte, blieben die Vertreibung von bis zu 14 Millionen Deutschen und die<br />
an ihnen unterscheidungslos begangenen Massenverbrechen unbeachtet und ungesühnt.<br />
Von ethnischer Säuberung und <strong>Genozid</strong> im Namen anderer Völker wurde wirksam und dauerhaft<br />
abgelenkt. Am auffallendsten s<strong>in</strong>d hier wohl die Verbrechen der Tito-Partisanen an<br />
der deutschstämmigen Bevölkerung <strong>Jugoslawien</strong>s, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt<br />
nicht angemessen im öffentlichen Bewußtse<strong>in</strong> verankert s<strong>in</strong>d, obwohl die Donauschwaben<br />
selbst mit aller wünschenswerten E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichkeit ihr Schicksal dokumentiert und diese e<strong>in</strong>zigartige<br />
Dokumentation vielen politischen Entscheidungsträgern im In- und Ausland zu Verfügung<br />
gestellt haben. Solange selbst die Bundesregierung die Archive zu den Verbrechen an<br />
Deutschen unter Verschluß hielt und deutschen Vertriebenen sogar diplomatischen Schutz<br />
verweigerte, mußte freilich die Aufarbeitung dieses Kapitels der ganzen Wahrheit stagnieren,<br />
solange konnte sich e<strong>in</strong> schuldig gewordenes Regime mit retuschiertem Geschichtsbild<br />
und e<strong>in</strong>er manipulierten Bevölkerung <strong>in</strong> Sicherheit wiegen.<br />
Erst seit der Europarat im Jahr 2000 e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Diskrim<strong>in</strong>ierungsverbot beschloß, können<br />
auch deutsche Heimatvertriebene das an ihnen begangene Unrecht vor dem europäischen<br />
Gerichtshof für Menschenrechte e<strong>in</strong>klagen, nach mehr als e<strong>in</strong>em halben Jahrhundert<br />
können endlich auch sie aufgrund der Unverjährbarkeit von Völkermord-Delikten ihr Recht<br />
auf Heimat und Eigentum durchsetzen.<br />
Bis heute sche<strong>in</strong>t es jedoch e<strong>in</strong> Sakrileg zu se<strong>in</strong>, über Opfer und Verluste auf der Verliererseite<br />
zu sprechen, bis heute kochen die Emotionen hoch, wenn etwa das von Anfang an übernational<br />
konzipierte „Zentrum gegen Vertreibungen“ angeschnitten wird, stets mit denselben<br />
schablonenhaften Unterstellungen und Verdächtigungen, daß von der deutschen Seite<br />
Aufrechnung des Leids und Re<strong>in</strong>waschung betrieben werde, der Massenmord an den Juden<br />
relativiert, das Verursacherpr<strong>in</strong>zip aufgeweicht und Wiedergutmachung gefordert werden<br />
solle. Diese Ängste s<strong>in</strong>d zwar verständlich. Jedoch kann e<strong>in</strong>e vollständige Geschichtsschreibung<br />
und echte Versöhnung nicht stattf<strong>in</strong>den, solange die „E<strong>in</strong>maligkeit“ der Nazi-<br />
Verbrechen andere Untaten verleugnen hilft, sie verniedlicht oder gar zu Heldentaten stilisiert,<br />
solange Trauer das Privileg der e<strong>in</strong>en und Sühne das der anderen bleibt. „Die Humanitas<br />
ist unteilbar“, sagte Ralph Giordano 41 , der nicht im Verdacht steht rechtslastig zu se<strong>in</strong>,<br />
aber se<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>dbild e<strong>in</strong>gerissen hat und zum Befürworter des Zentrums geworden ist.<br />
Wie Angehörige und Freunde von Opfern immer wieder bekunden, könnten sie zwar vergeben,<br />
aber niemals vergessen. Vor der Versöhnung steht der ehrliche Wille zur Er<strong>in</strong>nerung.<br />
40 E<strong>in</strong>e Ausnahme bildet etwa das Buch von Erich Kern: Verbrechen am deutschen Volk. Dokumente alliierter<br />
Grausamkeiten 1939-1949, Verlag K. W. Schütz, Gött<strong>in</strong>gen 1964, 332 S.<br />
41 Interview mit Ralph Giordano: „Ich habe me<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>dbild e<strong>in</strong>gerissen“. Das Interview führte Sever<strong>in</strong> Weiland,<br />
Spiegel Onl<strong>in</strong>e vom 29.7.2002, www.spiegel.de<br />
17
Ohne Er<strong>in</strong>nerung ist Versöhnung gar nicht denkbar. E<strong>in</strong>e alte jüdische Weisheit besagt, das<br />
Geheimnis der Versöhnung heiße Er<strong>in</strong>nerung. Das Gedenken und Er<strong>in</strong>nern darf nicht nur das<br />
eigene Leid und die eigenen Opfer im Gedächtnis bewahren, sondern muß auch die Opfer<br />
von Verfolgung und Verbrechen auf der anderen Seite umfassen. Nur e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>geschränkte<br />
Aufarbeitung der Vergangenheit vermeidet Beschönigung und E<strong>in</strong>seitigkeit, sie stellt große<br />
Anforderungen an die Wahrhaftigkeit aller Betroffenen. Als zeitverhaftete Wesen können<br />
wir die Kette von Kausalität und Schuld nicht e<strong>in</strong>fach durchbrechen, um e<strong>in</strong>en unbefleckten<br />
Neuanfang zu setzen, wir müssen unentr<strong>in</strong>nbar historisch denken, die Last der Er<strong>in</strong>nerung<br />
deutend bewahren, um den Weg <strong>in</strong> die Zukunft zu f<strong>in</strong>den. Nur darüber h<strong>in</strong>aus steht uns die<br />
erlösende Kraft des Vergebens offen, allerd<strong>in</strong>gs verlöre sie Gewicht und Bedeutung, wäre<br />
der Verzeihende nicht der ganzen Tragweite des Vergehens schmerzlich e<strong>in</strong>gedenk. Es kostet<br />
Überw<strong>in</strong>dung, dennoch zur Versöhnung bereit zu se<strong>in</strong>. Glaubhaftes Verzeihen kann nur aus<br />
e<strong>in</strong>em sehr bewußten geistig-seelischen Akt entspr<strong>in</strong>gen, der um alles Geschehene weiß, aus<br />
dem Zusammenhang der Aufrechnung aber heraustritt und gerade deshalb auf märchenhaft<br />
anmutende Weise erstarrte Fronten aufweicht. Aus diesem Aufbruch im Bereich des Individuellen<br />
können sich sukzessive ungeahnte Perspektiven eröffnen. Persönliche Entwicklungen<br />
– nicht selten von der Literatur oder allgeme<strong>in</strong> der Kunst angeregt – pflegen sich langfristig<br />
<strong>in</strong> den Breichen der Medien, der Politik und der Schulen niederzuschlagen und haben das<br />
Potential, letztlich e<strong>in</strong>en Paradigmenwechsel im Zusammenleben der Völker herbeiführen.<br />
Genau diese Voraussetzungen für e<strong>in</strong>e echte Versöhnung hat Johannes Weidenheim mit<br />
allen dazugehörigen Dimensionen wie der geschichtlichen, völkerkundlichen, kulturellen,<br />
moralischen und religiösen schon vor mehr als e<strong>in</strong>em halben Jahrhundert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Roman<br />
„Treffpunkt jenseits der Schuld“ vorgezeichnet. Weidenheim war nicht nur der erste, der<br />
diese zwei antagonistischen Wahrheiten vore<strong>in</strong>ander ausrollte und sie schonungslos mite<strong>in</strong>ander<br />
konfrontierte, sondern auch der erste mit dem vorauseilenden Weitblick des Vermittlers<br />
und Versöhners. Je weniger der Prozeß der Versöhnung <strong>in</strong> der politischen Realität<br />
fortgeschritten ist, desto mehr kann und soll Weidenheims dialektische Utopie uns Heutige<br />
immer noch leiten. Sie kann es, auch wenn der Autor selbst sich zuvor durch e<strong>in</strong>seitige Parte<strong>in</strong>ahme<br />
schuldig gemacht hatte und trotz des immer möglichen E<strong>in</strong>wandes, daß er e<strong>in</strong>er<br />
Partei nicht gerecht geworden sei.<br />
Zusammenfassend möchte ich noch e<strong>in</strong>mal thesenartig diejenigen Aspekte nennen, die Weidenheims<br />
Werk als unverm<strong>in</strong>dert modern, ja brandaktuell auszeichnen: 1) Weidenheim war<br />
mit se<strong>in</strong>er Vision e<strong>in</strong>es „Treffpunkts jenseits der Schuld“, also e<strong>in</strong>er Annäherung und Versöhnung<br />
durch vorausgehende Selbsterforschung und das E<strong>in</strong>geständnis eigener Schuld,<br />
se<strong>in</strong>er Zeit weit voraus und sche<strong>in</strong>t es heute immer noch zu se<strong>in</strong>; 2) Aus Geschichte und Erbe<br />
der Donauschwaben leitet Weidenheim für sie den unveralteten Auftrag e<strong>in</strong>er Mittlerrolle<br />
zwischen den Völkern mit der Fähigkeit zu Multikulturalität, verständnisvoller Toleranz und<br />
europäischer Integration ab; 3) Mit se<strong>in</strong>er europäischen Grunde<strong>in</strong>stellung war Weidenheim<br />
der um 1960 an der adriatischen Küste e<strong>in</strong>setzenden Mitteleuropa-Debatte voraus (Der damals<br />
sehr junge Triest<strong>in</strong>er Literaturwissenschaftler Claudio Magris 42 ist e<strong>in</strong>er der geistigen<br />
42 Claudio Magris: - Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna, 1963; dt.: Der<br />
habsburgische Mythos <strong>in</strong> der modernen österreichischen Literatur, übers. v. Madele<strong>in</strong>e von<br />
Pásztory, Otto Müller Verlag, Salzburg 1966; nach der italienischen Neuausgabe bearb.:<br />
Zsolnay Verlag, Wien 2000<br />
Ders.: Danubio, 1966; dt.: Donau. Biographie e<strong>in</strong>es Flusses, übers. v. He<strong>in</strong>z-Geog Held, Hanser<br />
Verlag, München 1988, dtv 2007<br />
18
Väter dieses Gefühls der natürlichen Verbundenheit mit Mitteleuropa und machte bereits<br />
mit se<strong>in</strong>er Dissertation „Der habsburgische Mythos <strong>in</strong> der österreichischen Literatur“ auf<br />
längst verschüttete Zusammenhänge mitteleuropäischer Zusammengehörigkeit aufmerksam.<br />
4) Das Tabu, auch das Leiden deutscher Opfer als Folge des Zweiten Weltkriegs literarisch<br />
darzustellen, hat Weidenheim fast e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert vor Günter Grass gebrochen.<br />
Grass nimmt sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Novelle „Im Krebsgang“ 43 aus dem Jahr 2002 des tragischen<br />
Untergangs der „Wilhelm Gustloff“ und der Wirkung der Vergangenheit auf die Gegenwart<br />
an. 5) Bevor es <strong>in</strong>s modische Gespräch kam, hat Weidenheim mit e<strong>in</strong>em im multiethnischen<br />
Raum geschulten Sensorium Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> Deutschland dargestellt. 44<br />
Das Werk Weidenheims weist – so viel hoffe ich gezeigt zu haben – e<strong>in</strong>en bis heute gültigen<br />
und immer noch <strong>in</strong> die Zukunft weisenden Gehalt auf, der zwischen den vertriebenen Donauschwaben<br />
und ihren e<strong>in</strong>stigen Nachbarvölkern e<strong>in</strong>erseits und erst als Konsequenz daraus,<br />
als Bewußtse<strong>in</strong>sbildung, auch für den deutschen Staat und die jugoslawischen Nachfolgestaaten<br />
andererseits Verständnis und Versöhnung stiften kann. Dieser Prozeß der Annäherung<br />
konnte aus ideologischen Gründen bislang nur auf untergeordneten Ebenen vorangetrieben<br />
werden. Aus den gleichen Gründen s<strong>in</strong>d auch die Bücher Weidenheims nach kurzfristig<br />
hohem Bekanntheitsgrad <strong>in</strong> den fünfziger und sechziger Jahren wieder <strong>in</strong> Vergessenheit<br />
geraten. Nun, wo das Ende der staatlich verordneten Geschichtsschreibung im ehemaligen<br />
<strong>Jugoslawien</strong> angebrochen ist und neue Möglichkeiten der Begegnung und Vergangenheitsbewältigung<br />
eröffnet s<strong>in</strong>d, ist die Zeit reif, auch die Frage der Schuld ohne e<strong>in</strong>seitige Brandmarkung<br />
neu aufzuwerfen und damit engstens zusammenhängend zugleich das System von<br />
Auto- und Heteroimages aufzuarbeiten, um zu e<strong>in</strong>er fundierteren Völkerverständigung im<br />
Blick auf die Zukunft zu gelangen. Es kann so e<strong>in</strong> Beitrag zur Entwicklung e<strong>in</strong>es Bewußtse<strong>in</strong>s<br />
für die kulturell und geschichtlich bed<strong>in</strong>gte Unterschiedlichkeit von Perspektiven und Mentalitäten<br />
geleistet werden. Dabei müssen neben Fehlern und Verbrechen, die begangen wurden,<br />
selbstverständlich auch die positiven Seiten, das Nachgeahmte und Nachahmenswerte<br />
herausgestellt und der öffentlichen Wahrnehmung zur Verfügung gestellt werden. Durch<br />
imagologische Analyse können die im Zentrum stehenden Texte des donauschwäbischen<br />
Autors Weidenheim mit besonders signifikanten Beispielen e<strong>in</strong>erseits aus den Reihen se<strong>in</strong>er<br />
Landsleute und andererseits mit e<strong>in</strong>igen südslawischen Autoren verglichen werden. Es liegt<br />
nahe und fügt sich <strong>in</strong> den imagologischen Ansatz, über die autoreferentielle Struktur von<br />
literarischen Texten h<strong>in</strong>aus auch Zeugnisse aus historischen Werken sowie aus der Medienlandschaft<br />
beider Seiten heranzuziehen. Diese Aufgabe konnte ich hier nur andeuten, sie ist<br />
jedoch auf weite Strecken und als geschlossene Darstellung e<strong>in</strong> Desiderat.<br />
43 Günter Grass: Im Krebsgang, Steidl Gerhard Verlag, Gött<strong>in</strong>gen 2002, 216 S. (auch als Taschenbuch bei dtv).<br />
Das deutsche Passagierschiff „Wilhelm Gustloff“ hatte hauptsächlich zivile Flüchtl<strong>in</strong>ge an Bord, es wurde am 30.<br />
Januar 1945 durch das sowjetische U-Boot S-13 versenkt und riß mehr als 9000 Menschen <strong>in</strong> den Tod.<br />
44 Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit <strong>in</strong> Deutschland kommt bei J. Weidenheim etwa <strong>in</strong> folgenden Erzählungen zur Darstellung:<br />
Morgens zwischen vier und fünf / Der Laie, <strong>in</strong>: Morgens zwischen vier und fünf. Erzählungen, Union Verlag,<br />
Berl<strong>in</strong> 1963, S. 59-81, 99-106; Brief e<strong>in</strong>es Bosniaken an e<strong>in</strong>en deutschen Amtsgerichtsrat, <strong>in</strong>: Der Wegweiser.<br />
Zeitschrift für das Vertriebenen- und Flüchtl<strong>in</strong>gswesen Nr. 7, Düsseldorf 1976, S. 26 f.; Janusz Kowalski,<br />
alias Schmidt, verteidigt Zabrze, <strong>in</strong>: Neues Rhe<strong>in</strong>land Nr. 5, Köln 1977, S. 36 f.; Wie kommt der Junge an den<br />
Rhe<strong>in</strong>, <strong>in</strong>: Der Wegweiser. Zeitschrift für das Vertriebenen- und Flüchtl<strong>in</strong>gswesen Nr. 8-9, Düsseldorf 1981, S.<br />
21; Stojanov kann gehen, Düsseldorf 1982; Die Bürgernähe unseres Stadthauses, <strong>in</strong>: Neues Rhe<strong>in</strong>land Nr. 3,<br />
Köln 1982, S. 26 f.; Der arme Milosevic, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahesblätter, München 4/1983, S. 278<br />
19
2. Weitere Positionen <strong>in</strong> der donauschwäbischen Literatur<br />
Franz Bahl ist neben Johannes Weidenheim als der wohl bedeutendste donauschwäbische<br />
Literat aus <strong>Jugoslawien</strong> anzusehen. Er wurde 1926 <strong>in</strong> Tscheb <strong>in</strong> der Batschka, e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en<br />
Schwabendorf an der serbischen Donau, geboren. Zu ersten Bildungselementen werden ihm<br />
die Natur und die fremdartige Welt der verschiedenen Nationalitäten und Kulturkreise. Als<br />
Fünfzehnjähriger erlebt er die Bilder des Kriegs und der Verfolgung. Im Oktober 1944 flüchtet<br />
er vor dem E<strong>in</strong>marsch der Roten Armee, über Budapest und Österreich kommt er 1946<br />
nach Deutschland. In Frankfurt studiert er Germanistik, Philosophie und Geschichte, wird<br />
Lehrer, Leiter e<strong>in</strong>es Studiensem<strong>in</strong>ars, Schulrat und Schulamtsdirektor <strong>in</strong> Frankfurt. Als Mitarbeiter<br />
von Fachzeitschriften schreibt er pädagogisch-soziologische Abhandlungen, historische<br />
Bücher für Unterrichtszwecke, auch im Rundfunk ist er präsent, <strong>in</strong> Zeitungen ersche<strong>in</strong>en<br />
Gedichte, der geliebten Donau widmet er 1961 e<strong>in</strong>en Bildband. Bahls literarische Buchveröffentlichungen<br />
s<strong>in</strong>d im Lauf von fünf Jahren <strong>in</strong> rascher Folge erschienen. Sie schildern unverblümt<br />
die Zustände <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schwabendorf während des Zweiten Weltkriegs mit ihren unliebsamen<br />
Begleitersche<strong>in</strong>ungen und Folgen. In dem Roman Schwarze Vögel (1957) wird die<br />
Welt der alten Heimat aus der Sicht des abenteuerlustigen serbischen Bauernjungen Jowan<br />
und se<strong>in</strong>er halbwüchsigen Freunde geschildert, der über die Donau e<strong>in</strong>en Ausbruchsversuch<br />
<strong>in</strong> die Große Welt unternimmt, aber scheitert. In Hitlers Balkanfeldzug werfen die „schwarzen<br />
Vögel“, die deutschen Stukas, auf dem Rückflug von der Bombardierung Belgrads auch<br />
über dem kle<strong>in</strong>en Dorf Bomben ab. Als Jowans Vater wider Willen zu den Waffen e<strong>in</strong>gezogen<br />
wird, gerät der Sohn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Konflikt zwischen Kriegsbegeisterung und Pazifismus, der se<strong>in</strong>e<br />
K<strong>in</strong>dheit verfrüht beendet. Das Buch wurde 1960 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet.<br />
Während e<strong>in</strong>er Tagung der namhaften „Gruppe 47“ sprachen He<strong>in</strong>rich Böll und<br />
Günter Grass ihm ihre Anerkennung aus. 45<br />
Ebenfalls aus der Sicht von Buben, die dem K<strong>in</strong>desalter kaum entwachsen s<strong>in</strong>d, schildert der<br />
Roman Patrouillen der Nacht (1960), wie durch die deutschen Besatzungstruppen Fe<strong>in</strong>dschaft<br />
unter die bis dah<strong>in</strong> friedlich mite<strong>in</strong>ander lebenden Völker kommt. Die Söhne deutscher<br />
Bauern leben seit Generationen an der unteren Donau und gehören zum jugoslawischen<br />
Staat. „In den Jahrzehnten der Türkenvertreibung waren sie gekommen und hatten<br />
Sümpfe trocken gelegt, Wälder gerodet und Flüsse reguliert, damit das Land fruchtbar werde<br />
und se<strong>in</strong>e Bewohner ernähre: Deutsche, Serben, Madjaren und die kle<strong>in</strong>en Sippen der streunenden<br />
Zigeuner, nicht abgesondert <strong>in</strong> hochmütiger Überlegenheit, sondern im friedlichen<br />
Nebene<strong>in</strong>ander glücklicher Menschen, Bauern neben Bauern. Jetzt war Krieg. Der jugoslawische<br />
Staat war besiegt und zerstückelt worden, deutsche Truppen standen im Land, und mit<br />
den deutschen Truppen kam Fe<strong>in</strong>dschaft unter die Völker. Die Serben begannen die deutschen<br />
Siedler zu hassen. Die zogen die Uniformen der Besatzungstruppen an und machten<br />
sich zum Fe<strong>in</strong>d des Landes, <strong>in</strong> dem sie lebten und leben wollten und das ihr Vaterland war.“ 46<br />
Ähnlich schonungslos wie Weidenheim kritisiert auch Bahl die politische Bl<strong>in</strong>dheit und prov<strong>in</strong>zielle<br />
Arbeitswut der Schwaben, die im Gegensatz zu allen anderen nicht merken, <strong>in</strong> welcher<br />
Gefahr sie schweben, als die Rote Armee täglich näherrückt. Auch bei den Serben hatten<br />
die Deutschen vor dem Krieg noch viel gegolten. „Damals lernte jeder Serbe, wenn er<br />
etwas werden wollte, deutsch, zerbrach se<strong>in</strong>e Zunge, um deutsche Romantik, Weltverklärung<br />
zu verstehen. In den Schaufenstern lagen deutsche Waren, Bücher, Beethoven, Bach. Aber die<br />
Wirklichkeit, die deutsche Wirklichkeit sah anders aus, die roch nach Gewalttat und Blut, Sta-<br />
45<br />
„Ich war e<strong>in</strong> Geschöpf jener verlorenen Welt …“ Franz Bahl im Gespräch mit <strong>Stefan</strong> Sienerth, <strong>in</strong>: Südostdeutsche<br />
Vierteljahresblätter 2/1995, S. 101<br />
46<br />
Franz Bahl: Patrouillen der Nacht, Roman, <strong>West</strong>ermann Verlag, Braunschweig 1960, S. 7<br />
20
cheldraht, Konzentrationslagern.“ 47 Die Reaktion bleibt nicht aus. Jugoslawische Partisanen<br />
verbrennen auf nächtlichen Patrouillen die Weizenernte von Tscheb und anderen Dörfern<br />
nach dem Motto, daß s<strong>in</strong>nlos vernichtetes Brot der Menschheit besser dient als Brot, das<br />
nach Deutschland rollt und <strong>in</strong> Faschistenhände gerät. Die Partisanen stecken Tscheb <strong>in</strong> Brand<br />
und ermorden e<strong>in</strong>zelne Bewohner aus dem H<strong>in</strong>terhalt. Raubend und brandschatzend ziehen<br />
sie <strong>in</strong> der Nachhut der sowjetischen Armee durch die schwäbischen Dörfer und stecken die<br />
deutschen Bewohner <strong>in</strong> Ausrottungslager. Wie es <strong>in</strong> diesen Lagern aussah, was sich da an<br />
Folter und Mißhandlung zutrug, verdeutlicht Bahl <strong>in</strong> der Erzählung Spuren im W<strong>in</strong>d (1960).<br />
Dort f<strong>in</strong>den wir folgende sehr aufschlußreiche Stelle: „Die Schuldigen sitzen im eigenen Volk:<br />
unsere Herren, die große Töne gespuckt und von Endsieg und Großdeutschland und Führer<br />
und Heimat redeten – man kennt die Kundgebungen und Ansprachen noch –, s<strong>in</strong>d schuld.<br />
Unsere Herren, und sonst niemand, denn unsere Herren haben, um vor den ‚reichsdeutschen<br />
Brüdern’ etwas zu gelten (vielleicht auch um etwas zu werden, falls der Krieg doch irgendwie<br />
gewonnen worden wäre), so lange <strong>in</strong> das Kriegshorn von Blut und Ehre und Heldentum geschrien,<br />
bis der ‚Führer’ uns endlich rief. Was haben wir jetzt. Deutsche Art und deutsches<br />
Wesen und Ahnenglaube und Vätererbe geschützt. Nichts haben wir, <strong>in</strong>s Gras gebissen und<br />
endlich die Dummheit, die man uns Bauern aufgeschwätzt hat, mit Entsetzen erkannt. Ja, und<br />
verloren haben wir, was uns gehörte, alles verloren. Die Herren haben gewußt, daß da ke<strong>in</strong>e<br />
Heldentum und ke<strong>in</strong>e Tapferkeit nützten, die haben gut gewußt, wie s<strong>in</strong>nlos und überflüssig<br />
der ganze Spektakel war. Aber ne<strong>in</strong>, damit das Maß voll wird, haben sie uns noch <strong>in</strong> letzter<br />
Stunde verraten und verkauft. Wenn ich dir sage, dort <strong>in</strong> den Drecklöchern hab ich ke<strong>in</strong>en<br />
e<strong>in</strong>zigen Herrn bemerkt, ke<strong>in</strong>en Kreisleiter und ke<strong>in</strong>en Gebietsführer und ke<strong>in</strong>en Abgeordneten<br />
und ke<strong>in</strong>en Volksgruppenvertreter (der Teufel hole sie und ihre geschwollenen Titel). Aber<br />
ich habe mir berichten lassen, daß sie bei Ödenburg an der österreichischen Grenze e<strong>in</strong> süffiges<br />
Leben führten und geheime Tafelrunden hielten, während ich und Rudolf und noch e<strong>in</strong><br />
paar Männer im Heuschuppen steckten und hörten, wie die Russen im We<strong>in</strong>keller grölten.“ 48<br />
Um e<strong>in</strong>en verantwortungsvollen „Umgang mit der Sprache <strong>in</strong> der Bewältigung der Vergangenheit<br />
zu statuieren, war es e<strong>in</strong> Anliegen Bahls, die verhängnisvollen Ereignisse der vierziger<br />
Jahre <strong>in</strong> der Batschka differenziert, von verschiedenen Gesichtspunkten aus und nach Möglichkeit<br />
ohne leichtfertige und e<strong>in</strong>seitige Schuldzuweisungen zu beleuchten – und damit näherte<br />
er sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vorhaben der Position Weidenheims, der seit Ende des Krieges bereits<br />
mehrere Bücher dieser Orientierung verfaßt hatte, und zum Teil auch jener des fast gleichaltrigen<br />
Hutterer, der ähnliche Gedanken vertrat“. 49 Die Thematik der Bücher von Franz Bahl<br />
dürfte der Grund gewesen se<strong>in</strong>, daß sie <strong>in</strong> der bundesdeutschen Öffentlichkeit für e<strong>in</strong>ige<br />
wenige Jahre Resonanz fanden, dann aber an den Rand gedrängt und vergessen bzw. totgeschwiegen<br />
wurden. Der Schriftsteller Bahl geriet daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Lebenskrise und zog sich<br />
aus der literarischen Szene zurück. Unveröffentlicht geblieben s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>es Wissens zwei<br />
Gedichtbände und e<strong>in</strong> dreibändiges Romanwerk, das den Arbeitstitel Nimrod trägt.<br />
Wendel<strong>in</strong> Gruber (1914-2002) hat das wohl bedeutendste, wenn auch nachträglich rekonstruierte<br />
Lagertagebuch e<strong>in</strong>es Donauschwaben geschrieben. Es besitzt dokumentarischen<br />
Wert. Das Buch erschien 1977 zuerst <strong>in</strong> portugiesischer Sprache <strong>in</strong> Brasilien, weil der Autor<br />
<strong>in</strong> der donauschwäbischen Siedlung Entre Rios wirkte. Ins Deutsche rückübersetzt unter dem<br />
47 Ebenda, S. 91<br />
48 Franz Bahl: Spuren im W<strong>in</strong>d. Erzählung, Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1960, S. 31 f.<br />
49 <strong>Stefan</strong> Sienerth: Zum schriftstellerischen Werk des Franz Bahl, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der<br />
Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband,<br />
Heft 5, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1994, S. 83; Ders.: „Ich habe die Stille gehört“. Zum schriftstellerischen Werk des<br />
Franz Bahl, <strong>in</strong>: Der Geme<strong>in</strong>same Weg Nr. 80/1995, S. 32-35<br />
21
Titel In den Fängen des roten Drachen erschien es 1986, also dreißig Jahre nach Grubers<br />
Freilassung aus dem berüchtigten Zuchthaus Mitrovitza <strong>in</strong> der ehemals jugoslawischen, heute<br />
serbischen Wojwod<strong>in</strong>a. Gruber war aufgrund e<strong>in</strong>er persönlichen Intervention des damaligen<br />
Bundeskanzlers Konrad Adenauer entlassen worden.<br />
Der Autor war Zeuge der sogenannten freiwilligen Rekrutierungen se<strong>in</strong>er Landsleute zur<br />
Waffen-SS sowie auch Zeuge der Bestrafung derselben donauschwäbischen Landsleute<br />
durch das Tito-Regime nach dem Zusammenbruch der deutschen Front im Südosten. Im ersten<br />
Teil se<strong>in</strong>es Tagebuchs, der am 8. Mai 1945, dem Tag se<strong>in</strong>er Verhaftung <strong>in</strong> Zagreb beg<strong>in</strong>nt,<br />
schildert der Autor <strong>in</strong> aller Nüchternheit e<strong>in</strong> modernes Kapitel der Acta Martyrum, wie er die<br />
Geschichte der Ausrottungslager <strong>Jugoslawien</strong>s e<strong>in</strong>ige Male ausdrücklich nennt. Gruber wollte<br />
den m<strong>in</strong>destens 70.000 Opfern dieser Lager, deren Leiden von der Welt gar nicht wahrgenommen<br />
oder längst wieder vergessen wurde, „e<strong>in</strong> geistliches Monument“ errichten, „wenn<br />
man schon von Seiten der roten Machthaber bisher alles Mögliche versuchte, jede blutige<br />
Spur ihrer Greueltaten von der Erdoberfläche verschw<strong>in</strong>den zu lassen“ 50 . Thema des Tagebuchs<br />
ist zunächst, was Gruber <strong>in</strong> diesen Lagern für se<strong>in</strong>e Landsleute tun konnte. Bei den<br />
Säuberungsaktionen war auch er selbst mehrere Monate lang schweren Mißhandlungen <strong>in</strong><br />
den Gefängnissen ausgesetzt, wurde aber doch freigelassen, weil ihm ke<strong>in</strong> Geständnis zu<br />
entlocken war und weil die Kommunisten wohl glaubten, ihn mürbe gefoltert zu haben. Mitte<br />
Januar 1946 drang Gruber heimlich <strong>in</strong> das Lager Gakowa/Batschka, nach <strong>Ost</strong>ern auch <strong>in</strong><br />
das größte der zehn Vernichtungslager Rudolfsgnad/Banat e<strong>in</strong>, um <strong>in</strong> aufopferungsvoller<br />
H<strong>in</strong>gabe se<strong>in</strong>en ohne Schuld und Gericht dem Hungertod preisgegebenen Landsleuten<br />
christlichen Glaubenstrost zu spenden und materielle Hilfe zu leisten, die er wagemutig und<br />
listenreich beschaffen konnte. Dies tat er <strong>in</strong> aller Verborgenheit, teils getarnt als Gefangener.<br />
Hier wie dort nahm er se<strong>in</strong>en Geme<strong>in</strong>den das Gelöbnis ab, jährlich zu wallfahren, „wenn wir<br />
wieder Befreiung f<strong>in</strong>den“. Bis heute erfüllen die Donauschwaben weltweit dieses Gelöbnis<br />
und pilgern nach Altött<strong>in</strong>g, auf den Schönenberg bei Ellwangen, nach Bad Niedernau, nach<br />
Mary Lake <strong>in</strong> Kanada und Entre Rios <strong>in</strong> Brasilien. Unerschrocken schlich Pater Gruber sich<br />
auch <strong>in</strong> die Todesmühlen von Molidorf/Banat, Kruschiwl/Batschka und Tenje/Slawonien,<br />
immer suchte er die gefährlichsten Stellen auf, leitete <strong>in</strong>tern Hilfsaktionen <strong>in</strong> die Wege, wurde<br />
dreimal verhaftet, und dennoch gelang es ihm, <strong>Titos</strong> Schergen zu überlisten und se<strong>in</strong>e<br />
Maßnahmen fortzusetzen, bis er am 5. Oktober 1948 zu 14 Jahren Zwangsarbeit verurteilt<br />
wurde. Dem Neusatzer Gericht lagen se<strong>in</strong>e Tagebuchaufzeichnungen als Anklagematerial vor<br />
und enthüllten se<strong>in</strong>e subversive Tätigkeit. Nun begann se<strong>in</strong> be<strong>in</strong>ahe zehnjähriger Kreuzweg<br />
durch die kommunistischen Kerker, die Strafe, die er wegen des E<strong>in</strong>satzes für se<strong>in</strong>e Landsleute<br />
erleiden mußte. Knapp und unaufdr<strong>in</strong>glich wird die Zeit im Zuchthaus Mitrowitz, die Arbeit<br />
<strong>in</strong> der Ziegelei, der Aufenthalt im Zuchthauslazarett geschildert. Diesen Leidensweg beschreibt<br />
Wendel<strong>in</strong> Gruber im letzten Drittel se<strong>in</strong>es erschütternden Tagebuchs. Das authentische<br />
Werk fand e<strong>in</strong>en gewissen Widerhall <strong>in</strong> der Öffentlichkeit und erlebte mehrere Auflagen.<br />
Der frühere Südosteuropa-Experte der Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en Zeitung Johann Georg<br />
Reißmüller nannte es e<strong>in</strong>e furchtbare Leseerfahrung, die er den Bonner Politikern empfahl. 51<br />
50<br />
Wendel<strong>in</strong> Gruber: In den Fängen des roten Drachen. Zehn Jahre unter der Herrschaft <strong>Titos</strong>, Miriam Verlag,<br />
Jestetten 1986, S. 15<br />
51<br />
Johann Georg Reißmüller: Das aktuelle Buch. Geschundene Leiber und Seelen. Was Zehntausende Deutscher<br />
<strong>in</strong> Vernichtungslagern erlitten, <strong>in</strong>: Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung v. 7.5.1985; vgl. auch: Ders.: Die Toten unseres<br />
Volkes, <strong>in</strong>: Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung v. 5.5.1986, S. 1; Herbert Czaja: Geschunden <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>.<br />
Leserbrief, <strong>in</strong>: Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung v. 24.5.1986; Hans Krump: Vom Los der Donauschwaben <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>s<br />
KZs. Auf blutigen Spuren, <strong>in</strong>: Die Welt Nr. 134 v. 12.6.1986, S. 18<br />
22
Neben Pater Wendel<strong>in</strong> Grubers Tagebuch „In den Fängen des roten Drachen“ ist uns e<strong>in</strong> Tagebuch<br />
im eigentlichen S<strong>in</strong>n des Wortes, e<strong>in</strong>es also, das tagesaktuell entstanden ist, von se<strong>in</strong>em<br />
ebenfalls aus Filipowa <strong>in</strong> der Batschka stammenden Landsmann Matthias Johler erhalten<br />
geblieben. Johler wurde am 15. März 1945 als Kaplan mit den deutschen Bewohnern von<br />
Prigrewitza Sentiwan von <strong>Titos</strong> Partisanen <strong>in</strong>s Lager Filipowa getrieben. Dort erhielt er unter<br />
H<strong>in</strong>weis auf die Religionsfreiheit die Erlaubnis, die Messe zu zelebrieren. 1945-46 war er Lagerkaplan<br />
im Vernichtungslager Gakowa. Man wird die Geschichte des Hungerlagers Gakowa<br />
nicht schreiben können, ohne die aufopfernde Rolle Johlers zu würdigen, der sich im priesterlichen<br />
Dienst bis zur Erschöpfung der Lager<strong>in</strong>sassen annahm, unter widrigsten Umständen<br />
Eucharistiefeiern, K<strong>in</strong>dergottesdienste und Krankenpastoral zustande brachte, Seelsorgehelfer<br />
heranzog und unverdrossen die K<strong>in</strong>der religiös und profan zu unterrichten versuchte.<br />
Se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz muß „zu den seelsorgerlichen Großtaten der donauschwäbischen Geschichte<br />
gerechnet werden“ 52 . Aus der Zeit zwischen 1945 und 1947 hat Johler e<strong>in</strong> aufschlußreiches<br />
Lagertagebuch h<strong>in</strong>terlassen, ohne literarischen Anspruch zwar, aber zweifellos mit der Absicht,<br />
die Außenwelt <strong>in</strong> gläubig-nüchterner Zeugenschaft über himmelschreiendes Unrecht<br />
zu unterrichten. Tatsächlich konnte Johler se<strong>in</strong>e Aufzeichnungen <strong>in</strong> die Freiheit retten, es<br />
s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zigen uns bekannten aus e<strong>in</strong>em jugoslawischen Vernichtungslager, die e<strong>in</strong>zigen,<br />
die das Leid dort hautnah, aus täglicher Mitleidenschaft und nicht aus dem Abstand nachträglicher<br />
Er<strong>in</strong>nerung überliefern. Durch se<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>guläre Stellung besitzt Johlers Tagebuch für<br />
uns Heutige neben se<strong>in</strong>em historischen Quellenwert e<strong>in</strong>e aus Not und Schrecken geborene<br />
Würde.<br />
Johannes Weidenheim selbst nimmt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Artikel 53 Bezug auf den jugoslawiendeutschen<br />
Schriftsteller Franz Hutterer, der neben Franz Bahl und ihm selbst zu den erfolgreichsten<br />
donauschwäbischen Schriftstellern der Nachkriegszeit bis h<strong>in</strong> zu Herta Müller gehört.<br />
Er nennt Hutterer e<strong>in</strong>en „Abtrünnigen zur höheren Ehre des Vaterlandes“, dessen Erlebnismittelpunkt<br />
und Schicksalsfaktor die Donau ist, der aber trotzdem als moderner<br />
Schriftsteller e<strong>in</strong>zuschätzen sei. In se<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>derbuch An den Ufern der Donau (1959) lernen<br />
K<strong>in</strong>der die ehemalige Heimat ihrer Eltern während e<strong>in</strong>er Dampferfahrt von Wien aus auf der<br />
Donau kennen und werden sich darüber klar, wieviel Unglück und Heimatlosigkeit der Krieg<br />
gebracht hat. Hier beg<strong>in</strong>nt die Versöhnung der Völker mit der vorurteilslosen Freundschaft<br />
der K<strong>in</strong>der. In se<strong>in</strong>em Schreiben wie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wirken war Hutterer darauf aus, Brücken zu<br />
schlagen, ausgleichend zu wirken, das Gespräch zu suchen, was er auch bis zu se<strong>in</strong>em Tod als<br />
Vorsitzender des „Südostdeutschen Kulturwerks“ <strong>in</strong> München (heute: „Institut für deutsche<br />
Kultur und Geschichte Südosteuropas“) tat. Die Literatur der Donauschwaben sah er noch zu<br />
sehr vom tatsächlich Geschehenen dom<strong>in</strong>iert, als daß neben Er<strong>in</strong>nerungsprosa und Biographischem<br />
auch e<strong>in</strong> großes episches Werk hätte entstehen können. Diese Feststellung trifft<br />
auch auf Hutterer selbst zu, er hat ke<strong>in</strong> episches Werk h<strong>in</strong>terlassen, sondern zeigte se<strong>in</strong> Talent<br />
als Erzähler von Kurzgeschichten und Essayist. E<strong>in</strong> Roman mit dem vorläufigen Titel Gras<br />
wächst über die Geschichte oder Die Erbschaft ist nicht vollendet worden, allerd<strong>in</strong>gs gliederte<br />
Hutterer e<strong>in</strong>zelne Kapitel aus und veröffentlichte sie als <strong>in</strong> sich geschlossene Erzählungen<br />
(„Djordje oder die Erbschaft“). 54 Die gesammelten Erzählungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dem Band Gesang<br />
52 Drei Lagerseelsorger <strong>in</strong> Gakowa, <strong>in</strong>: Filipowa – Bild e<strong>in</strong>er donauschwäbischen Geme<strong>in</strong>de. Sechster Band:<br />
Kriegs- und Lageropfer, hrsg. v. Paul Mesli, Franz Schreiber, Georg Wildmann, Wien 1985, S. 177<br />
53 Johannes Weidenheim: Der Erzähler Franz Hutterer, <strong>in</strong>: Neuland v. 23.5.1953, S. 3<br />
54 <strong>Stefan</strong> Sienerth: E<strong>in</strong>spruch gegen das Vergessen. Literarische Vergegenwärtigung als Gegenmittel. Der Erzähler<br />
und Schulbuchautor Franz Hutterer, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus<br />
dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 6, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen<br />
1995, S. 75-80<br />
23
über dem Wasser 1996 erschienen. Hutterer war immer bemüht, ausgleichend zwischen den<br />
Völkern zu wirken, auf Versöhnung h<strong>in</strong>zuarbeiten, die Vergangenheit multiperspektivisch<br />
aufzuarbeiten, dabei ist er immer e<strong>in</strong> hellwacher und mißtrauischer Beobachter der jugoslawischen<br />
Politik und Kultur geblieben, er war aber auch der erste, wenn es darum g<strong>in</strong>g,<br />
Schritte der Aufklärung vor allem <strong>in</strong>nerhalb der serbischen Literatur seit den achtziger Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts zu würdigen. Sowohl <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Erzählungen wie auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Aufsätzen<br />
bemühte er sich stets, die Schuldfrage <strong>in</strong> ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit<br />
darzustellen. Das Unheil des Krieges machte nicht nur die Donauschwaben zu Opfern, sondern<br />
auch die Angehörigen der Nachbarvölker. In se<strong>in</strong>em tiefschürfenden Geschichtsessay<br />
Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichtsschreibung<br />
aus dem Jahr 1999 55 hat er die bis heute nahezu unverändert schwierige Gemengelage<br />
umrissen. Ich halte es für angebracht, drei bedeutsame Passagen zu zitieren, weil<br />
Hutterer sich hier gültige Gedanken zum Problem der M<strong>in</strong>derheiten und des M<strong>in</strong>derheitenschutzes<br />
gemacht hat:<br />
„Das Zusammenleben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er multikulturellen Region beruht auf der Beachtung ungeschriebener<br />
Verhaltensformen. Diese werden <strong>in</strong> enger Nachbarschaft e<strong>in</strong>gehalten, solange der latente<br />
Funke vorhandener Nationalismen nicht entfacht und agitatorisch mißbraucht wird.<br />
Der Schritt dazu ist nicht groß. Jede M<strong>in</strong>derheit hat tief e<strong>in</strong>gewurzelte Vorstellungen des eigenen<br />
Selbstverständnisses. Demütigungen und Verluste spielen dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e große Rolle. Konflikte<br />
und Traumata, die lange Zeit stagnieren, die von e<strong>in</strong>er Generation nicht gelöst werden<br />
können, geraten nicht <strong>in</strong> Vergessenheit, sie werden an die nächste weitergegeben. Sie bergen<br />
Möglichkeiten explosiver Entwicklungen <strong>in</strong> sich. In e<strong>in</strong>er Region von M<strong>in</strong>derheiten, wie sie <strong>in</strong><br />
Südosteuropa anzutreffen ist, will jede Gruppe ihre Probleme alle<strong>in</strong> lösen, sie strebt ke<strong>in</strong>e<br />
Partnerschaften an. Solange nationalstaatliches Denken als Priorität akzeptiert wird und nationalstaatliches<br />
Handeln auch staatsrechtlich Vorrang vor M<strong>in</strong>derheitenschutz erhält, s<strong>in</strong>d<br />
M<strong>in</strong>derheitenprobleme nicht anders zu lösen als durch Assimilation oder durch Aussiedlung<br />
und Rückführung <strong>in</strong> den Bereich des sogenannten Muttervolkes. Auf diese Alternativen hat<br />
sich die Entwicklung der M<strong>in</strong>derheiten nicht nur <strong>in</strong> Südosteuropa zugespitzt. Beide wurden<br />
dort Realität. Die zweite, e<strong>in</strong>e Um- oder Rücksiedlung, erfuhren die deutschen M<strong>in</strong>derheiten<br />
<strong>in</strong> der extremsten Lösung, <strong>in</strong> der Vertreibung mit allen verbrecherischen Konsequenzen. Die<br />
Geschichte der deutschen M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> Südosteuropa bezeugt <strong>in</strong> ihren e<strong>in</strong>zelnen Stadien<br />
paradigmatisch den Weg von M<strong>in</strong>derheiten <strong>in</strong> forciert gebildeten Nationalstaaten.“<br />
Wie die Donauschwaben unschuldig schuldig geworden s<strong>in</strong>d, dazu bemerkt Hutterer folgendes:<br />
„E<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit, die ihre Sprache, ihre Schulen, ihre Kultur, ihr ethnisches Umfeld geschützt<br />
sehen wollte und für diese Rechte e<strong>in</strong>trat, geriet e<strong>in</strong>e weltanschaulich <strong>in</strong>terpretierte ‚völkische<br />
Erneuerung’ <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Eigendynamik, die sie nicht mehr steuern konnte. Auch hier die großen<br />
weißen Flecken, der direkte Zugriff des Dritten Reiches auf die M<strong>in</strong>derheit, ihre wirtschaftlichen<br />
Ressourcen und ihre Menschen. Die Rekrutierung der Volksdeutschen für die<br />
Waffen-SS, die Verträge, die Berl<strong>in</strong> mit den Regierungen von deren Heimatstaaten geschlossen<br />
hat, die sogenannten ‚freiwilligen Meldungen’ mit dem Druck, der dah<strong>in</strong>ter stand, die<br />
e<strong>in</strong>en Komplex von Schuldgefühlen erzeugten, der E<strong>in</strong>satz der Division ‚Pr<strong>in</strong>z Eugen’ durch das<br />
deutsche Oberkommando <strong>in</strong> Südosteuropa, nicht zuletzt die Reaktionen, die der E<strong>in</strong>satz von<br />
Angehörigen deutscher M<strong>in</strong>derheiten für die Belange der deutschen Kriegsführung bei den<br />
55 Franz Hutterer: Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichtsschreibung,<br />
<strong>in</strong>: Heimatbote, Toronto, Juli 2001, S. 15 f., Fortsetzung: August 2001, S. 15 f.<br />
24
Völkern <strong>in</strong> der Region, besonders den slawischen, ausgelöst und hervorgerufen hat, das s<strong>in</strong>d<br />
Fragen, die sich nicht von selbst erledigen. Es ist weith<strong>in</strong> nicht zu verstehen, warum die deutschen<br />
M<strong>in</strong>derheiten nicht mit Nachdruck darauf dr<strong>in</strong>gen, diese Fragen untersucht und beantwortet<br />
zu bekommen. Sie wurden nach 1945 <strong>in</strong> Haftung genommen für e<strong>in</strong>e Politik, die sie<br />
nicht bestimmt haben. Sie s<strong>in</strong>d von dieser Politik wie der Rache ihrer Heimatländer mißbraucht<br />
und getroffen worden, was weniger mit der Unfähigkeit zur Gestaltung e<strong>in</strong>er eigenen<br />
Geschichte zu tun hat als mit e<strong>in</strong>em Grundproblem dieses Jahrhunderts, dem e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>derheit.“<br />
Und schließlich sei hier noch das Ende dieses lehrreichen Aufsatzes angeführt:<br />
„Wir, Zeugen e<strong>in</strong>es Jahrhunderts, das uns nicht geschont hat, haben se<strong>in</strong>e Realität erlebt. Wir<br />
wollen se<strong>in</strong>e Taten und Untaten nicht beschönigen oder verniedlichen, weder Entschuldigung<br />
noch Verständnis für se<strong>in</strong>e Täter f<strong>in</strong>den, se<strong>in</strong>e Opfer auch nicht vergessen. Das Jahrhundert<br />
hat uns gelehrt, Deutungen und Erklärungen gegenüber mißtrauisch zu se<strong>in</strong>. Wir wollen uns<br />
an Daten, Abläufen, Dokumenten orientieren. Aber auch diese stellen wir <strong>in</strong> Frage, wollen<br />
selber prüfen und vergleichen. Unsere Generation hat die große Manipulation, die Verführung,<br />
die Propaganda erlebt. Wir wollen nicht erklärt bekommen, was oder wie wir zu denken<br />
haben. Wir wollen den Dialog, nicht Gefälligkeitsbekundungen. Ereignisse, die nicht betrauert<br />
und verarbeitet werden, bleiben im Unbewußten stehen und brechen wieder auf. Traumata<br />
graben sich <strong>in</strong> die Seele der Völker e<strong>in</strong>. Für sie kann es ke<strong>in</strong>e obrigkeitlichen Schlußstriche<br />
geben. Wir wollen nicht nach e<strong>in</strong>em neuen Vokabular <strong>in</strong>strumentalisiert und mobilisiert werden.<br />
In Sprachregelungen kennen wir uns aus. Die haben wir erlebt. Das Jahrhundert nimmt<br />
Abschied. Wir trauern ihm nicht nach. Wir s<strong>in</strong>d offen für die Zukunft.“<br />
Ernst Hodschager harrte aus Verbundenheit mit se<strong>in</strong>en Schwaben trotz der schlimmen Ereignisse<br />
der Nachkriegszeit <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> aus. Ungewollt wurde er zum Zeugen von Massakern<br />
an se<strong>in</strong>en Landsleuten und ihrer Rußlandverschleppung. Da er als Ungar e<strong>in</strong>getragen<br />
und durch se<strong>in</strong>en Namen Blaschek nicht als Deutscher angesehen wurde, blieb er von Übergriffen<br />
unbehelligt, mußte allerd<strong>in</strong>gs unfreiwillig bis zum Kriegsende <strong>in</strong> der Petöfi-Brigade<br />
dienen. Diese Lebensphase fand später <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Erzählung ihren Niederschlag. 56 Nach dem<br />
Krieg konnte er <strong>in</strong> Zagreb sogar Mediz<strong>in</strong> studieren. Se<strong>in</strong>e Ges<strong>in</strong>nung und se<strong>in</strong>e Gedichte<br />
mußte er sorgfältig verbergen, denn sie lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.<br />
Was Hodschager <strong>in</strong> Worte faßte, wurde für ihn selbst e<strong>in</strong> Mittel, Ungeheuerliches auszuhalten.<br />
Se<strong>in</strong>e Gedichte bedeuteten für ihn Überlebenshilfe, mit denen er Vere<strong>in</strong>samung, Bedrückung,<br />
Drohung, Gewalt, der Gefahr für Leib und Leben standhalten konnte. In se<strong>in</strong>em literarischen<br />
Wirken war er Autodidakt. Ideelle Vorbilder waren ihm Andreas Hofer und Leo<br />
Schlageter, literarisch orientierte er sich an Nikolaus Lenau, Friedrich Schiller, Wilhelm Weber<br />
(Dreizehnl<strong>in</strong>den) und Hans Carossa. Seit 1957 war Hodschager Dorfarzt <strong>in</strong> der Batschka,<br />
zunächst <strong>in</strong> Lalić, dann <strong>in</strong> Doroslovo. Er verstand se<strong>in</strong>e exponierte Stellung als Mittelsmann<br />
zwischen Heimat und Fremde, als Posten gegen Kommunismus und Tyrannei. In der Heimat<br />
wurde er zunehmend zum Fremdl<strong>in</strong>g, fühlte sich unbehaust und alle<strong>in</strong>. 1966 verließ er enttäuscht<br />
das Land und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> die BRD, wo er als Arzt <strong>in</strong> Frankfurt a. M. Fuß faßte.<br />
E<strong>in</strong> wesentlicher Antrieb se<strong>in</strong>es Schaffens war das Entsetzen über Unmenschlichkeit,<br />
„unversöhnt, voll Haß“ zeigte er darauf. Und vor allem als Mahnung mochte er se<strong>in</strong> Dichten<br />
56 Ernst Hodschager: Das nannte man Petöfi Brigade, <strong>in</strong>: Mahnruf. Gedichte und Berichte, Oswald Hartmann<br />
Verlag, Sersheim 1989, S. 41-52; vgl. Koloman Stumpfögger: Nutzlos auf Posten. Gedanken zu Gedichten von<br />
Ernst Hodschager, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm<br />
1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, Heft 6, S. 107-117<br />
25
und Schreiben verstanden wissen. Er wollte der Welt die Augen öffnen über den aus „Raubgelüst“<br />
begangenen und selbst von der UNO totgeschwiegenen Völkermord an den Deutschen<br />
<strong>Jugoslawien</strong>s, über die „unsägliche Brutalität e<strong>in</strong>es Josip Broz, genannt Tito, und Konsorten“<br />
und die Tyrannei der „satten Bonzen der Partei“ 57 , gegen die sich das Volk nicht erhob,<br />
wie er es stets erhofft und anzustoßen versucht hatte.<br />
1989 erschien se<strong>in</strong> Mahnruf. Dieser Band mit Gedichten und kurzen Prosastücken füllt e<strong>in</strong>e<br />
Lücke, weil nur äußerst wenige Veröffentlichungen, die vom Unheil der Schwaben <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong><br />
berichten, von donauschwäbischen Autoren stammen, die erst Mitte der sechziger<br />
Jahre <strong>in</strong> die BRD umsiedelten. Die Auslieferung se<strong>in</strong>es Buches hat Hodschager nicht mehr<br />
erlebt, er starb am 30. März, am Abend zuvor.<br />
Alois und Georg<strong>in</strong>e König, beide <strong>in</strong> Kroatien <strong>in</strong> deutschen Familien geboren, erzählen <strong>in</strong> ihrem<br />
Roman Die Tage der ungesäuerten Brote (Dani beskvasnoga kruha, 1992) von den<br />
Kriegs- und Nachkriegsschrecken der deutschen M<strong>in</strong>derheit, die die Autoren als K<strong>in</strong>der selber<br />
durchgemacht haben. Die Hauptgestalt des Romans ist Elisabeth Müller, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
kle<strong>in</strong>en Dorf nahe Zagreb aufwächst, die Verfolgungen zuerst der Zigeuner, Serben und<br />
Kommunisten, später der Deutschen miterlebt und überlebt und schließlich nach Deutschland<br />
aussiedelt, um sich dort zu <strong>in</strong>tegrieren. Der Roman bietet Umrisse e<strong>in</strong>er der Ideologie<br />
entzogenen Geschichtsschreibung, die Möglichkeiten zur donauschwäbischen Identitätssicherung<br />
bereitstellen kann, wie e<strong>in</strong> kroatiendeutscher Interpret me<strong>in</strong>t. 58 Nachdem die akademisch<br />
gebildeten und tätigen Autoren <strong>in</strong> Zagreb e<strong>in</strong>e Buchhandlung eröffnet hatten, wollten<br />
sie ihre Tätigkeit auf das Herausgeben und Drucken von Büchern ausweiten, bekamen<br />
aber deswegen Probleme mit den Behörden. In der Arbeit lahmgelegt, beschlossen sie 1986,<br />
nach Deutschland auszuwandern. In Hemm<strong>in</strong>gen bei Stuttgart gründeten sie e<strong>in</strong>en eigenen<br />
Verlag, <strong>in</strong> dem 1992 auch ihr geme<strong>in</strong>samer Roman auf deutsch erschien.<br />
E<strong>in</strong>er der Beweggründe für Rita Prost-Pertschy, ihr Buch Das Heimweh der Simon Rita<br />
(1994) aus der deutschen <strong>in</strong> die serbische Sprache übersetzen zu lassen, war die unerträglich<br />
verzerrte Darstellung der Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s <strong>in</strong> dortigen Veröffentlichungen. Speziell<br />
störte sie sich an den dick aufgetragenen Lügen, wie sie <strong>in</strong> der 1991 erschienenen Monographie<br />
über die Geme<strong>in</strong>de Bački Gračac – so heißt ihr Heimatort Filipowa seit 1948 – über die<br />
ehemaligen deutschen E<strong>in</strong>wohner verbreitet werden. Dort heißt es etwa, daß die Deutschen<br />
Filipowa vom 9. bis 12. Oktober 1944 vollständig evakuierten und im festen Glauben an e<strong>in</strong>e<br />
baldige Rückkehr ihre gesamte, im Laufe von zwei Jahrhunderten erarbeitete Habe e<strong>in</strong>schließlich<br />
der nicht abgeernteten Felder e<strong>in</strong>fach zurückließen. Nach e<strong>in</strong>em Jahr sei das völlig<br />
leere Dorf mit armen Menschen aus e<strong>in</strong>em Teil der im Krieg geschundenen Lika neu besiedelt<br />
worden. Mit solcher und ähnlicher Geschichtsfälschung wurde die zu e<strong>in</strong>em großen<br />
Teil ahnungslose Bevölkerung <strong>Jugoslawien</strong>s <strong>in</strong> der gesamten Nachkriegszeit abgespeist. E<strong>in</strong><br />
Klima der Repression und Verängstigung verh<strong>in</strong>dert teilweise bis heute, daß die verordnete<br />
Ideologie öffentlich h<strong>in</strong>terfragt wird. Mit großer Dankbarkeit greifen die Menschen <strong>in</strong> der<br />
Wojwod<strong>in</strong>a aber nach Informationsquellen, die ihnen die Geschichte ihrer Heimat aus e<strong>in</strong>er<br />
bisher tabuisierten Perspektive erzählen und ihnen die Augen für die Wahrheit öffnen. Noch<br />
s<strong>in</strong>d diese Quellen so selten und kostbar wie Oasen. Durch etliche Leserzuschriften aus Serbien<br />
an die Autor<strong>in</strong> hat es sich erwiesen, daß ihr Buch nicht nur gelesen wird, übrigens auch<br />
57<br />
Ebenda: „Unversöhnt“, S. 23; „Bundesrepublik“, S. 35 f.; „Darüber kann man nie genug schreiben“, S. 56;<br />
„Zeitungsverkäufer“, S. 27<br />
58<br />
Goran Beus Richembergh: Alois und Georg<strong>in</strong>e König: Dani beskvasnoga kruha / Tage des hefelosen Brotes, <strong>in</strong>:<br />
Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmannschaft<br />
der Donauschwaben Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1993, Heft 4, S. 176-178<br />
26
von jüngeren Leuten, sondern auch als e<strong>in</strong>e solche Quelle betrachtet wird, die heilende, versöhnende<br />
Kraft entfaltet. Im Serbischen trägt dieses von Gordana Bukvić übersetzte Buch<br />
den Titel „Žal za zavičajem Rite Simove“. E<strong>in</strong>er der Briefe an die Autor<strong>in</strong> sei hier auszugsweise<br />
wiedergegeben. 59 Es kann dem Prozeß der Versöhnung nur schaden, wenn weiterh<strong>in</strong> die<br />
Stimmen der Gutwilligen ungehört bleiben und radikale Blockierer die Deutungshoheit behalten.<br />
Wegen e<strong>in</strong>er tiefsitzenden Angst, die <strong>in</strong> der Bevölkerung Serbiens bei diesem Thema<br />
immer noch spürbar ist, wurden die Nachnamen des Verfassers weggelassen.<br />
Bács Topola, 30. November 2004<br />
Liebe Rita,<br />
(…) Die Menschen haben das Bedürfnis, über das eigene Leiden zu sprechen, leider ohne an<br />
das Leid der anderen zu denken. Genauso habe ich viel über das Leiden me<strong>in</strong>es Volkes gelesen<br />
und gelernt, aber über das Leiden De<strong>in</strong>es Volkes habe ich ke<strong>in</strong>e Ahnung gehabt. Jetzt<br />
wurden me<strong>in</strong>e Augen geöffnet, ich habe die Geschichte dieser Zeit besser kennengelernt und<br />
b<strong>in</strong> schockiert. Ich will nicht über Ursachen und Wirkungen <strong>in</strong> der Geschichte nachdenken,<br />
das sollen andere machen. Ich wollte Dir nur sagen, daß leider <strong>in</strong> den Kriegsgeschehnissen<br />
meistens die kle<strong>in</strong>en Menschen leiden mußten, obwohl sie ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluß hatten. Alles geht<br />
über den Rücken der Ohnmächtigen. In De<strong>in</strong>em Buch kann man das schön erkennen. Jede<br />
Zeile De<strong>in</strong>es Buches hat <strong>in</strong> mir me<strong>in</strong> Antikriegsgefühl noch mehr verstärkt. (…) Du hast <strong>in</strong> De<strong>in</strong>en<br />
jungen Jahren so e<strong>in</strong> Elend erlebt, wenn der Mensch als K<strong>in</strong>d am bildsamsten ist. Trotzdem<br />
hat Dich das nicht gebrochen und De<strong>in</strong>e Seele nicht vergiftet. (…) Du hast so e<strong>in</strong> Leiden<br />
erlebt, und trotzdem hast Du De<strong>in</strong>e Seele vor Haß gerettet und bewiesen, daß das Gute stärker<br />
ist als das Böse. E<strong>in</strong> slowenischer Dichter hat e<strong>in</strong>mal darüber geschrieben, wie e<strong>in</strong>e Muschel<br />
am Meeresboden eigene Schmerzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Perle verwandelt. Ich f<strong>in</strong>de, Du hast auch<br />
De<strong>in</strong>e Schmerzen <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Werk der Literatur übertragen, das historischen und literarischen<br />
Wert hat. Teile De<strong>in</strong>es Buches (…) haben es verdient, <strong>in</strong> die Schulbücher übernommen zu<br />
werden, weil sie e<strong>in</strong>e starke Humanität ausstrahlen. Das ganze Elend, das auf De<strong>in</strong>en k<strong>in</strong>dlichen<br />
Rücken geladen wurde, hat De<strong>in</strong>en Optimismus und Glauben an das Gute nicht gebrochen.<br />
Bravo! Danke! (…)<br />
Dragan<br />
Das Buch „E<strong>in</strong> Junge aus der Nachbarschaft. Lebensbericht e<strong>in</strong>es Donauschwaben“ (2007)<br />
zeigt den Autor <strong>Stefan</strong> Barth mit der „versöhnenden Kraft e<strong>in</strong>er geborenen Mittlerfigur“.<br />
Den Tag, als er <strong>in</strong> Futok <strong>in</strong> der jugoslawischen Batschka das Licht der Welt erblickte, den 26.<br />
Februar 1937, sowie se<strong>in</strong>e eigene Taufe gleich am folgenden Sonntag beschreibt <strong>Stefan</strong><br />
Barth mit präzisen Beobachtungen und so viel Atmosphäre, als hätte er alles selbst registriert<br />
und im Gedächtnis bewahrt. Aber es war die Mutter, die ihm viele hundert Male von<br />
dem freudigen Ereignis erzählt hat, bis es ihm vorkommt, als wäre es e<strong>in</strong> Teil se<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung<br />
geworden. Ansonsten schöpft der Autor allerd<strong>in</strong>gs weitgehend tatsächlich aus eigenen,<br />
guten wie bösen Memorabilien <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em „Lebensbericht e<strong>in</strong>es Donauschwaben“, der knapp<br />
sieben Jahrzehnte umfaßt und sich auf gut dreihundert Seiten erstreckt.<br />
Zutiefst prägend waren die ersten acht Lebensjahre, <strong>in</strong> denen der Junge <strong>in</strong> der Nachbarschaft<br />
von Deutschen, Serben und Ungarn aufwuchs. Das Multiethnische mit se<strong>in</strong>er Mehrsprachigkeit<br />
bildete e<strong>in</strong> Lebenselement für alle <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a beheimateten Völker, deren<br />
Zusammenleben mustergültig funktionierte, bevor ideologische Verblendung <strong>in</strong> Gestalt<br />
59 <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: Wie funktioniert Versöhnung?, <strong>in</strong>: Das Donautal-Magaz<strong>in</strong> Nr. 143 v. 1.5.2007, S. 31-34; Mit-<br />
teilungen / Der Donauschwabe v. 15.3.2007, S. 14<br />
27
des Nationalsozialismus, dann des Kommunismus E<strong>in</strong>zug hielt und <strong>in</strong> Jahrhunderten gewachsene<br />
Symbiosen zerstörte.<br />
Zuweilen, wenn Barth über die Donau und den Fischfang, über Nikolaus, Weihnachten und<br />
<strong>Ost</strong>ern, über K<strong>in</strong>derspiele, Tanz und Feste <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Heimatort Futok spricht, mag sich der<br />
Leser an die Themenliste e<strong>in</strong>es der zahlreichen donauschwäbischen Heimatbücher er<strong>in</strong>nert<br />
fühlen mit ihrem obligatorischen Défilé kirchlicher und volkstümlicher Bräuche, örtlicher<br />
Verbände und Vere<strong>in</strong>e, des Lebens und Arbeitens im Dorf. All diese mit eigenen Kapiteln<br />
gewürdigten Segmente e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>takten Ortsgeme<strong>in</strong>schaft <strong>in</strong> der Vorkriegszeit kl<strong>in</strong>gen im ersten<br />
Drittel dieses Buches ebenfalls an. Barths er<strong>in</strong>nerungsselige Hommage an den Heimatort<br />
ist aber sehr persönlich gefärbt, durchflochten mit den frühesten Bezugspersonen, Haustieren,<br />
Örtlichkeiten und Begebenheiten, eben mit Familiengeschichte. Darüber h<strong>in</strong>aus unterscheiden<br />
sich se<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em wesentlichen Punkt von den meisten Heimatbüchern,<br />
sie blicken nämlich über den donauschwäbischen Tellerrand h<strong>in</strong>aus und werfen später<br />
e<strong>in</strong>en bedauernden Blick auf die andersnationalen Nachbarn, ihre Leiden und Verluste<br />
durch den Terror der Partisanen. Auch die Verbrechen der Nationalsozialisten <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong><br />
werden hier nicht unter den Teppich gekehrt. Dagegen rechtfertigt Barth die Rolle des geschmähten<br />
Kulturbundes als e<strong>in</strong>es legitimen Instruments zur Bewahrung der eigenen Identität,<br />
ähnlicher Mittel hätten sich ja auch die Nachbarvölker bedient.<br />
Als nach dem Durchmarsch der Roten Armee im Oktober 1944 <strong>Titos</strong> Partisanen das Regiment<br />
übernahmen, brach bis 1947 die Zeit des „totalen Hasses“ aus, ihre Mordlust wütete<br />
uferlos. Systematisch wurden alle Privilegierten, Intellektuellen und Besitzenden als „Volksfe<strong>in</strong>de“<br />
liquidiert, auch viele Serben, Kroaten und Ungarn kamen ums Leben. Die nicht geflüchteten<br />
Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s wurden aus haßerfülltem Neid und Rache für Hitlers südslawischen<br />
Feldzug e<strong>in</strong>em staatlich gelenkten Enteignungs-, Entrechtungs- und Vernichtungsprogramm<br />
preisgegeben, dem 64.000 Zivilpersonen zum Opfer fielen.<br />
Im Zuge der „Volksbefreiung“ kamen <strong>Stefan</strong>s Vater und Großvater <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Arbeitslager, er<br />
selbst mit se<strong>in</strong>er Mutter, Großmutter und Schwester <strong>in</strong>s KZ Jarek, wo viele Menschen an<br />
Hunger oder Krankheiten starben oder angesichts der Mißhandlungen und Entwürdigungen<br />
Selbstmord verübten. Täglich fuhren Leiterwagen mit aufe<strong>in</strong>ander geschichteten Leichen<br />
durchs Dorf zum Massengrab. Sogar den K<strong>in</strong>dern war der Tod ke<strong>in</strong> Schrecken mehr, so sehr<br />
gehörte er zum Alltag. Damit die Kle<strong>in</strong>en ihre Mütter nicht bei der (mitunter s<strong>in</strong>nlosen, nur<br />
der Schikane dienenden) Zwangsarbeit stören konnten, kamen sie <strong>in</strong> K<strong>in</strong>derheime, Geschwister<br />
wurden ause<strong>in</strong>andergerissen und ihrem Volk entfremdet, falls sie nicht zuvor<br />
elend gestorben waren. Diesem Schicksal entg<strong>in</strong>g <strong>Stefan</strong> nur durch die Intervention e<strong>in</strong>es<br />
befreundeten Serben, der die Familie als Leiharbeiter für se<strong>in</strong> Gut aus dem Lager holte.<br />
E<strong>in</strong> Verbrechen bleibt e<strong>in</strong> Verbrechen. So lautet der gar nicht so selbstverständliche Kernsatz<br />
dieses aufwühlenden Buches. Gleichgültig, welche Seite e<strong>in</strong> Verbrechen begangen hat, man<br />
muß es verurteilen, „<strong>in</strong>sbesondere dann, wenn der Täter sich auf angeblich höhere Ziele<br />
beruft“. Dieses Fundamentalaxiom der Gerechtigkeit hat den im Kern se<strong>in</strong>er Menschlichkeit<br />
Verletzten wie viele se<strong>in</strong>er Landsleute e<strong>in</strong> Leben lang umgetrieben, es war wohl auch die<br />
tiefste Ursache für die Niederlegung se<strong>in</strong>er Memoiren. Denn, so Barths Credo, ohne Gerechtigkeit,<br />
ohne Wahrhaftigkeit kann es letztlich auch ke<strong>in</strong>e echte Versöhnung geben, die er aus<br />
tiefstem Herzen wünscht, weil ihm se<strong>in</strong>e alte Heimat teuer blieb.<br />
Als Vermittler zwischen Serben und Donauschwaben (Deutschen) eignet sich <strong>Stefan</strong> Barth<br />
durch Werdegang und Charakter <strong>in</strong> hervorragender Weise. Die Rolle des ehrlichen Maklers<br />
war ihm wiederholt zugefallen, sie schien e<strong>in</strong>en Grundzug se<strong>in</strong>es Lebens auszumachen.<br />
28
Dank se<strong>in</strong>er Lehrer<strong>in</strong> Nada Aleksić konnte er <strong>in</strong> zwei Jahren vier Klassen Volksschule abschließen<br />
und so die im Lager versäumten Jahre wettmachen. Auch andere Lehrer lebten<br />
ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zeit voller Ressentiments Unvore<strong>in</strong>genommenheit vor. Die serbische Sprache,<br />
Kultur und Mentalität hat er <strong>in</strong> Volksschule und Gymnasium gründlich kennengelernt, als<br />
e<strong>in</strong>ziger Deutscher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Klasse. Nach <strong>Stefan</strong>s Abitur wanderte die Familie <strong>in</strong> die Bundesrepublik<br />
aus, weil die Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> 1949 zwar ihre Bürgerrechte, nicht aber ihr<br />
Vermögen zurückerhielten. Wieder befand er sich zwischen allen Stühlen. Hatte er <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong><br />
als Faschist gegolten, so galt er nun <strong>in</strong> Deutschland als Kommunist. Es folgten Berufsausbildung<br />
und Karriere, Familiengründung und Hausbau, E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> den Stadtrat von<br />
Erlangen und Sorge für die Umwelt. Als der Eiserne Vorhang fiel, engagierte sich Barth für<br />
die Völkerverständigung durch Städtepartnerschaften. Er hielt Verb<strong>in</strong>dung zur alten Heimat,<br />
der freundschaftliche Kontakt zu se<strong>in</strong>en Schulkameraden ist nie abgerissen, die politische<br />
Entwicklung des Landes hat er besorgt im Auge behalten. Doch erst als e<strong>in</strong> Krebsleiden ihn<br />
auf die wesentlichen D<strong>in</strong>ge im Leben zurückwarf, beschloß er, die guten Taten zu vergelten,<br />
die den Verfolgten <strong>in</strong> Serbien widerfahren waren, und an se<strong>in</strong>e Wohltäter zu er<strong>in</strong>nern. Ohne<br />
Rachegedanken setzt er sich für die Rehabilitation der Donauschwaben e<strong>in</strong>, für e<strong>in</strong>e echte<br />
Versöhnung auf der Grundlage der historischen Wahrheit, er stellte Hilfslieferungen <strong>in</strong> das<br />
verarmte Land zusammen, im September 2004 gab es e<strong>in</strong>e von ihm <strong>in</strong>itiierte und organisierte<br />
Ausstellung <strong>in</strong> Novi Sad, die auch das so lange verleugnete Fanal der donauschwäbischen<br />
Geschichte veranschaulichte.<br />
Mit realistischem Augenmaß hält Barth e<strong>in</strong>e Entschädigung der Enteigneten nur auf symbolischer<br />
Ebene für möglich. Zahlungen sollten, so se<strong>in</strong>e ausgezeichnete Idee, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Stiftung für<br />
deutsch-serbische Versöhnung e<strong>in</strong>fließen, um Kulturdenkmäler pflegen und Schriftsteller<br />
unterstützen zu können, die sich für die Völkerverständigung verdient gemacht haben. E<strong>in</strong>e<br />
zweite Randbemerkung mit Pfiff nimmt den Nationalstolz aufs Korn: Er habe nur dann e<strong>in</strong>e<br />
Berechtigung, wenn man selber e<strong>in</strong>en Beitrag zum Erfolg se<strong>in</strong>es Vaterlandes geleistet hat.<br />
Im ganzen Buch ist der Wechsel zwischen <strong>in</strong>dividuellem Erleben und zeitgeschichtlichem<br />
Bezugsrahmen gut gelungen. Dem Leser geht bei den Ausblicken auf übergreifende geschichtliche<br />
Zusammenhänge die Entwicklung des Ich-Erzählers nie verloren, dessen auch<br />
mit Fotos illustrierter Lebenslauf bekommt im Gegenteil erst den rechten Verständnishorizont<br />
und leistet so die Aufgabe e<strong>in</strong>er guten Autobiographie. Besonders Leser ohne Vorwissen<br />
werden dankbar se<strong>in</strong> für die vorausgeschickte, auf wenige Seiten komprimierte E<strong>in</strong>führung<br />
<strong>in</strong> die Geschichte der Donauschwaben, dieses jüngsten deutschen Volksstammes, von<br />
drei Kaisern des Hauses Habsburg <strong>in</strong> das von den Türken zurückeroberte, verwüstete und<br />
nahezu menschenleere Pannonien gerufen, um es urbar zu machen und aufzubauen, was die<br />
Kolonisten als erste freie Bauern <strong>in</strong> Europa mit fortschrittlichen Methoden und deutscher<br />
Arbeitsmoral erfolgreich bewerkstelligten. Nicht unbed<strong>in</strong>gt neu, aber klug und ausgewogen<br />
s<strong>in</strong>d Barths E<strong>in</strong>lassungen über die widers<strong>in</strong>nige Zwangskollektivierung <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>, die<br />
zum Verderben der fruchtbaren Wojwod<strong>in</strong>a wurde und katastrophale Auswirkungen für die<br />
ganze Volkswirtschaft hatte; über die tief wurzelnden Gründe für den <strong>Genozid</strong> an den <strong>Jugoslawien</strong>deutschen;<br />
über den aberwitzigen Personenkult um Tito und die ausgebliebene Vergangenheitsbewältigung<br />
<strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>, die ähnlichen Exzessen am Ende des 20. Jahrhunderts<br />
Vorschub leistete; weiterh<strong>in</strong> über Willy Brandts <strong>Ost</strong>politik und Michail Gorbatschows<br />
Perestrojka; schließlich leidgeprüfte Gedanken über den Fluch nationalistischer Borniertheit<br />
im Unterschied zur Notwendigkeit e<strong>in</strong>es gesunden Patriotismus. Diese analytischen Betrachtungen<br />
s<strong>in</strong>d gerafft und gehaltvoll, sie zeugen von e<strong>in</strong>em reifen homo politicus.<br />
29
Daß der Endredakteur offenbar vergessen hat, das Silbentrennungsprogramm zu aktivieren,<br />
ist e<strong>in</strong> Wermutstropfen, der aber durch das gefällige, ja fasz<strong>in</strong>ierende Äußere des Buches<br />
mehr als aufgewogen wird. E<strong>in</strong>em Freundschaftsdienst verdanken sich die vier Gemälde des<br />
<strong>in</strong>ternational bekannten, aus Werschetz stammenden Künstlers Robert Hammerstiel, die<br />
E<strong>in</strong>band und Vorsatz zieren, auch sie verarbeiten traumatische Lagererlebnisse.<br />
So s<strong>in</strong>d diese wegen ihrer großen Offenheit sympathisch berührenden, spannend geschriebenen<br />
und außerordentlich lehrreichen Aufzeichnungen e<strong>in</strong> Mehrfaches <strong>in</strong> E<strong>in</strong>em: Heimatbuch<br />
und Autobiographie, Zeitzeugenschaft e<strong>in</strong>es Davongekommenen und Geschichtskompendium,<br />
der Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben gewidmetes Vermächtnis,<br />
Mahnmal und Herausforderung für Heutige und Künftige. Kurz: e<strong>in</strong> pädagogisch überaus<br />
wertvolles und lesenswertes, e<strong>in</strong> politisch bedeutsames Buch! Nach der bahnbrechenden<br />
Publikation „E<strong>in</strong> Volk an der Donau“ von Nenad <strong>Stefan</strong>ović wiederum e<strong>in</strong> Meilenste<strong>in</strong> gegen<br />
das Schweigen und Vertuschen <strong>in</strong> Serbien, aber nicht nur dort! E<strong>in</strong> unentbehrliches Hilfsmittel,<br />
um e<strong>in</strong>e der schwersten Hypotheken abzubauen, die Europa aus e<strong>in</strong>er unseligen Vergangenheit<br />
auch heute noch belastet. Denn trotz Enttabuisierung der Themen Vertreibung und<br />
Völkermord stoßen Versuche der Landsmannschaft, auf den Massengräbern der e<strong>in</strong>stigen<br />
Konzentrationslager Denkmäler zu errichten, immer noch auf Widerstand, immer noch will<br />
e<strong>in</strong> großer Teil der serbischen Bevölkerung nichts von dem geschehenen Unrecht wissen,<br />
immer noch gibt es ke<strong>in</strong>e offizielle Stellungnahme von Regierungsseite zum <strong>Genozid</strong> an den<br />
Donauschwaben, selbst die AVNOJ-Gesetze, 1942-45 erlassen, um die <strong>Jugoslawien</strong>deutschen<br />
zum Abschuß freizugeben, existieren nach wie vor. <strong>Stefan</strong> Barths Buch ist daher zu wünschen,<br />
daß es diejenige Verbreitung f<strong>in</strong>det, die es um der Völkerverständigung, um des Friedens<br />
willen verdient. 60<br />
3. Ausgewählte Positionen <strong>in</strong> der jugoslawischen bzw. serbischen oder kroatischen und<br />
ungarischen Literatur<br />
Nach 1945 erlangte das Genre der „Partisanenerzählung“ oder der „Prosa des nationalen<br />
Befreiungskampfes“, wie es <strong>in</strong> der offiziösen Term<strong>in</strong>ologie heißt, <strong>in</strong> der Literatur aller jugoslawischen<br />
Nationen und Nationalitäten e<strong>in</strong>e außerordentliche Bedeutung. Im sogenannten<br />
„sozialistischen Realismus“ wurde der heldenhafte Abwehrkampf der Partisanen gegen den<br />
Nationalsozialismus verherrlicht, während freilich die Schattenseiten der Vergangenheit fast<br />
vollständig ausgeblendet blieben, was die Schundliteratur ausufern ließ. Über die Verbrechen,<br />
die <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> aus ethnischen Motiven, aus nationalistischem Wahn, aus Rache,<br />
religiösem Fanatismus und der Gier, sich über das Blut des anderen <strong>in</strong> den Besitz se<strong>in</strong>es Bodens<br />
zu setzen, nicht nur gegenüber Donauschwaben verübt wurden, durfte nach 1945 nicht<br />
gesprochen werden. Tito verordnete denen, die er zur Ausrottung der Deutschen des Landes<br />
legitimiert hatte, und von denen, die sich gegenseitig hatten vernichten wollen und von ihm<br />
daran geh<strong>in</strong>dert wurden – geme<strong>in</strong>t s<strong>in</strong>d die Serben und Kroaten –, den gleichen nicht mehr<br />
ethnisch, sondern staatsbürgerlich verstandenen Jugoslawismus, e<strong>in</strong>e soziale Utopie des<br />
südslawischen Völkerfriedens, der auch das Schweigen darüber e<strong>in</strong>schloß, was geschehen<br />
war. Die Verteufelung der ausgerotteten Donauschwaben und ihre Gleichsetzung mit dem<br />
faschistischen Fe<strong>in</strong>d gehörte ebenso zum Programm der Sowjetisierung <strong>Jugoslawien</strong>s wie die<br />
alle Südslawen betreffende Auslöschung des Bildungs-, Geld- und Industriebürgertums, die<br />
60 <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: Versöhnende Kraft e<strong>in</strong>er geborenen Mittlerfigur. Lebensbericht e<strong>in</strong>es Donauschwaben, Besprechung<br />
des Buches von <strong>Stefan</strong> Barth: E<strong>in</strong> Junge aus der Nachbarschaft, Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung,<br />
München 2007, 323 S., <strong>in</strong>: Deutscher <strong>Ost</strong>dienst (DOD), Bonn 2/2008, S. 23 f.<br />
30
komplette Enteignung der serbischen orthodoxen Kirche und Racheakte gegen die kroatische,<br />
ungarische und italienische Volksgruppe. Indem Tito planmäßig die Zeugnisse der Geschichte<br />
beseitigte, glaubte er e<strong>in</strong>e lichte Zukunft zu begründen. Mit Hilfe der Geheimpolizei<br />
und des Militärs mußte er diesen Zustand aufrecht erhalten. Auch noch lange nach se<strong>in</strong>em<br />
Tod hielt diese Repression an. An die wahre Geschichte des Landes ist jedoch nach wie vor<br />
nur über das dunkle Kapitel der Vernichtungslager und Massengräber heranzukommen. Nur<br />
so kann das e<strong>in</strong>geschläferte Gewissen geweckt und die verordnete Amnesie überwunden<br />
werden.<br />
Der Montenegr<strong>in</strong>er Milovan Djilas (1911-1995), zunächst überzeugter kommunistischer Ideologe<br />
und Agitator, jahrelang mit hohen Funktionen <strong>in</strong>nerhalb des Bundes der Kommunisten<br />
<strong>Jugoslawien</strong>s bis h<strong>in</strong> zur Stellvertretung se<strong>in</strong>es persönlichen Freundes Josip Broz Tito betraut,<br />
dessen Ideologie er theoretisch untermauerte und mit unmenschlicher Härte im Partisanenkampf<br />
durchsetzen half, wandelte sich zum kompromißlosen Kritiker des Kommunismus,<br />
worauf es 1954 zum Bruch zwischen den beiden Volkshelden kam. Milovan Djilas verlor se<strong>in</strong>e<br />
Ämter und war neun Jahre lang <strong>in</strong>haftiert. Lange vor Alexander Solschenizyn und Andrej<br />
Sacharow galt er als Urbild des kommunistischen Dissidenten. Se<strong>in</strong>e Schrift Die neue Klasse.<br />
E<strong>in</strong>e Kritik des zeitgenössischen Kommunismus (1957) markiert die Wende <strong>in</strong> der Haltung<br />
des Autors gegenüber der Staatsideologie, <strong>in</strong>sbesondere ihren stal<strong>in</strong>istischen Deformationen.<br />
Djilas’ Grundthese ist, daß der europäische Kommunismus, weit entfernt, die klassenlose<br />
Gesellschaft der marxistischen Theorie zu verwirklichen, e<strong>in</strong>e neue auf Herrschaft und<br />
Unterdrückung gegründete Ordnung geschaffen hat. Ihre Träger beschreibt Djilas als „neue<br />
Klasse“, die als Parteibürokratie die Verhaltensnormen der Bürger vorgibt, die Nutzung der<br />
Produktionsmittel adm<strong>in</strong>istriert und kontrolliert und das gesamte Leben und Denken im<br />
Staat kanalisiert. Gnadenlos entlarvte Djilas den totalitären Alltag im real existierenden<br />
Kommunismus.<br />
Auch der Nobelpreisträger Ivo Andrić (1892-1975) und der große kroatische Schriftsteller<br />
Misroslav Krleza (1893-1981) hatten sich von der Parteidoktr<strong>in</strong> abgekehrt und ihre eigene<br />
poetische Welt auf Motiven der Vergangenheit aufgebaut. Ihre Romane und Erzählungen<br />
wurden ebenso wie diejenigen von Miloš Crnjanski (1893-1977), Meša Selimović (1910-<br />
1982), Milorad Pavić (1929-2009), Miodrag Bulatović (1930-1991) und Danilo Kiš (1935-<br />
1989) <strong>in</strong> verschiedene Sprachen übertragen und erreichten die Weltöffentlichkeit.<br />
Diejenigen Werke von serbischen, aber auch kroatischen und ungarischen Erzählern, die sich<br />
thematisch mit den Verbrechen der Parteidiktatur sowie dem tragischen Schicksal der deutschen<br />
Bevölkerung und anderer M<strong>in</strong>derheiten im ehemaligen <strong>Jugoslawien</strong> beschäftigen und<br />
kritisch ause<strong>in</strong>andersetzen, weisen <strong>in</strong>zwischen e<strong>in</strong>e sich über mehr als drei Jahrzehnte erstreckende<br />
Entwicklungsgeschichte auf. Sie waren und s<strong>in</strong>d Vorreiter für das Aufbrechen der<br />
kommunistischen Des<strong>in</strong>formationspolitik, deren lange Arme bis an die Jahrtausendwende, ja<br />
teils sogar bis <strong>in</strong> die Gegenwart reichen. Diese Werke stehen als Pioniere vor der seit den<br />
neunziger Jahren langsam e<strong>in</strong>setzenden Debatte <strong>in</strong> den Medien Kroatiens und später auch<br />
Serbiens. Trotzdem s<strong>in</strong>d auch sie meist nicht frei von verzerrenden oder bruchstückhaften<br />
Darstellungen und e<strong>in</strong>seitigen Schuldzuweisungen. Es ist hier nicht der Platz, alle diese Autoren<br />
und Werke ausführlich zu diskutieren, wir können nur kursorisch auf e<strong>in</strong>ige der markantesten<br />
von ihnen e<strong>in</strong>gehen, soweit sie überhaupt <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt oder für die deutsche<br />
Literaturszene rezipiert worden s<strong>in</strong>d. Viele liegen bis heute nur <strong>in</strong> serbischer Sprache<br />
vor, manche wurden <strong>in</strong>s Ungarische übersetzt, was die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit ihnen aber<br />
31
für uns nicht wesentlich erleichtert. Auch der vergleichenden Literaturwissenschaft s<strong>in</strong>d sie<br />
daher kaum zugänglich. 61<br />
Daran hat selbst die Leipziger Buchmesse im März 2011 nicht viel ändern können. Dort war<br />
Serbien das Schwerpunktland und konnte sich mit 30 neu übersetzten Titeln, darunter vier<br />
umfangreichen Sammelbänden, vorstellen, <strong>in</strong> denen viele junge Stimmen erstmals zu Wort<br />
kommen. Abgesehen von e<strong>in</strong>er Handvoll Neuersche<strong>in</strong>ungen moderner Klassiker wie Ivo<br />
Andrić und dem nach zwei Jahrzehnten nach se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Serbien <strong>in</strong>s Deutsche<br />
übersetzten Roman „Me<strong>in</strong> lieber Petrović“ von Milovan Danojlić war aber die uns <strong>in</strong>teressierende<br />
Thematik kaum präsent. Aber die Tatsache, daß die marktbeherrschenden Staatsverlage<br />
im früheren <strong>Jugoslawien</strong> <strong>in</strong>zwischen kaum noch e<strong>in</strong>e Rolle spielen und durch private<br />
Verleger ersetzt wurden, läßt immerh<strong>in</strong> für die Zukunft hoffen.<br />
Noch zur Zeit des „sozialistischen Realismus“ und der offenen Polizeidiktatur trat e<strong>in</strong> Autor<br />
hervor, der sich nicht damit zufrieden gab, auf die sozialistische Umformung der Landwirtschaft<br />
e<strong>in</strong>zuwirken, sondern als erster das heikle Thema des heute sogenannten Posttraumatischen<br />
Belastungssyndroms aufgrund von Kriegserfahrungen thematisierte und literarisch<br />
verarbeitete. 1957 erschien <strong>in</strong> Sarajevo der Roman Das Vermächtnis (Molitva za moju Braću,<br />
Sarajevo 1957) des damals gerade 31jährigen Autors Mladen Oljača (1926-1994), der zu den<br />
Jungen der se<strong>in</strong>erzeitigen Gegenwartsliteratur zählte, aber als Kommunist und Literat bereits<br />
e<strong>in</strong>e Karriere h<strong>in</strong>ter sich hatte. Se<strong>in</strong> literarisches Werk war sogar mit e<strong>in</strong>em Preis ausgezeichnet<br />
worden. Schon als Schüler war er <strong>in</strong> den Kampf gegen das „volksfe<strong>in</strong>dliche Regime<br />
des alten <strong>Jugoslawien</strong>“ e<strong>in</strong>getreten, se<strong>in</strong>e politische Laufbahn setzte sich l<strong>in</strong>ientreu als Genosse<br />
und Mitglied des Bundes der Kommunisten fort, er wurde 1941 Kommissar e<strong>in</strong>es Partisanenbataillons<br />
und dann Wirtschaftsführer im Zentralkomitee des kommunistisch kontrollierten<br />
Jugendverbandes.<br />
„Das Vermächtnis“, im Orig<strong>in</strong>altitel „Gebet für me<strong>in</strong>e Brüder“, gehört nicht zu denjenigen<br />
Werken, für die das Nachwuchstalent ausgezeichnet worden war, er durfte zwar ersche<strong>in</strong>en,<br />
wurde aber dann systematisch totgeschwiegen. Diese zweifellos vom Politbüro gelenkte<br />
Maßnahme ist aus dessen Sicht verständlich, denn Oljača wagt es zwar nicht, das kommunistische<br />
System direkt anzugreifen, dennoch setzte sich der Autor über die engen Grenzen der<br />
Parteidoktr<strong>in</strong> und se<strong>in</strong>er eigenen ideologischen Herkunft h<strong>in</strong>weg, unterwarf sich der Stimme<br />
se<strong>in</strong>es Gewissens und machte sich se<strong>in</strong>e eigenen Gedanken, ohne zu fragen, wem se<strong>in</strong> Buch<br />
gefallen könnte. Der Autor erkannte klar, daß der sozialistische Realismus mit se<strong>in</strong>er Theorie<br />
von der Konfliktlosigkeit die Möglichkeit der Kritik preisgebe. Wohl wegen dieser<br />
nonkonformen Pionierleistung hat der Donauschwabe Johannes Weidenheim den Roman <strong>in</strong>s<br />
Deutsche übertragen, er erschien 1962 im Münchner K<strong>in</strong>dler Verlag.<br />
Oljačas Romanheld, Hauptmann Draschko Jaruga, der aus dem kollektiven Korsett ausbrechen<br />
will und schriftstellerische Ambitionen hat, notiert als Alter ego des Autors <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Ta-<br />
61 Daher können wir hier etwa auf die Schriftsteller Momir Čalenić mit se<strong>in</strong>em Roman Tudje god<strong>in</strong>e („Fremde<br />
Jahre“), wo er von den Deutschen <strong>in</strong> Nadalj erzählt, auf Arsen Diklić mit Salaš u malom ritu („Salasch im kle<strong>in</strong>en<br />
Ried“), auf Milenko Fudurulja oder auf Vuksan Kenžević mit se<strong>in</strong>em Roman Heroji i heroji zla („Helden und<br />
Helden des Bösen“), auf die Erzählungen von Aleksandar Kron mit dem Titel Trijumfalna kapija smrti („Das<br />
Triumphtor des Todes“, Gutenbergova galaksija), auf Stevan Radak mit dem Roman Igračke sa poljane („Spielzeug<br />
vom Feld“, Vršac) oder Nemanja Rotar mit dem Roman Netrpeljivost („Intoleranz“, Stubovi kulture, Belgrad<br />
2005), auf Miroslav Popovićs Sudb<strong>in</strong>e („Schicksale“), Igor Marojevićs Šnit („Schnitt“, Laguna 2007) oder<br />
Stjepan A. Seder mit se<strong>in</strong>en Büchern Prvoj smrt, drugoj patnja, trećoj hleb („Dem ersten der Tod, dem zweiten<br />
die Not, dem dritten das Brot“) bzw. Plitki grobovi („Flache Gräber“) gar nicht, auf die Schriftsteller Ivan Aralica,<br />
Mladen Markov und Miodrag Maticki nur <strong>in</strong>direkt e<strong>in</strong>gehen.<br />
32
gebuch: „Die Kaserne lehrt mich Unterwürfigkeit, doch es gibt ke<strong>in</strong>en schöpferischen Menschen<br />
ohne Freiheit. Ich liebe Schriftsteller nicht, die nicht gewagt schreiben, gewagt bis zum<br />
Widers<strong>in</strong>n. E<strong>in</strong> sozialistischer Autor muß nicht immer denken wie das Politbüro. Auch er hat<br />
das Recht, e<strong>in</strong> Banner zu se<strong>in</strong>. Ich höre von me<strong>in</strong>en Freunden, der Stil unserer Nationalliteratur<br />
sei nicht immer gut. Unser literarisches Wörterbuch macht den E<strong>in</strong>druck des Kastrierten,<br />
des Blutleeren …“ 62<br />
Jaruga ist der Überzeugung, daß se<strong>in</strong>e Generation e<strong>in</strong>e vollständig geopferte sei. Sie wurde<br />
im blutigen Kampf zur Verwirklichung der kommunistischen Ideale von Freiheit und brüderlicher<br />
Gleichheit mißbraucht, um ihre Jugend und ihre privaten Interessen betrogen. Jaruga<br />
gehört zu den tapfersten se<strong>in</strong>er Brigade, steigt auf; weil die Ideale und die Parolen es so<br />
verlangen, tut er manches und läßt manches geschehen, was se<strong>in</strong>em natürlichen, von der<br />
bäuerlichen Herkunft geprägten Empf<strong>in</strong>den widerstrebt. Als erwachsener Mann im Alter von<br />
zwanzig Jahren hat Jaruga nach vier Jahren Okkupation, nach dem Elend des Volksbefreiungskrieges<br />
und der Revolution sowie dem Verlust der Eltern noch ke<strong>in</strong>erlei Erfahrung<br />
mit dem weiblichen Geschlecht sammeln können und ist doch bereits menschlich verkrüppelt,<br />
unfähig, die grausame Vergangenheit abzuschütteln und e<strong>in</strong>e gel<strong>in</strong>gende Beziehung zu<br />
e<strong>in</strong>er Frau aufzubauen, heimgesucht von den Toten, von Schuldgefühlen, weil er freiwillig<br />
angetreten war, um e<strong>in</strong>e deutsche Spion<strong>in</strong> zu exekutieren, e<strong>in</strong> Mann, der den Helden und<br />
Kommunisten herauskehrt, aber von Angstzuständen gefoltert wird, wenn es Abend wird.<br />
Weder die Flucht <strong>in</strong> die Ehe mit Bojana, der zwei K<strong>in</strong>der entsprießen, noch <strong>in</strong> Liebschaften<br />
mit Mar<strong>in</strong>a, Emilia, Ipolita und Brankica können Jarugas Partisanenseele retten. Für den Verrat<br />
an se<strong>in</strong>er Ehe, se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern und der Partei übt schließlich die Gatt<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Revolverschuß<br />
auf den wehrlos Schlafenden Vergeltung.<br />
Der ganze Roman wird aus dem Grab heraus von dem erschossenen Helden <strong>in</strong> Ich-Form erzählt,<br />
was e<strong>in</strong> Rezensent für e<strong>in</strong>en absurd kitschigen E<strong>in</strong>fall hielt. 63 Der Kunstgriff ermöglicht<br />
es dem Autor jedoch, e<strong>in</strong>e freie Sprache zu führen, denn e<strong>in</strong> Toter ist ohne Furcht und Illusion,<br />
also unangreifbar und objektiv, er kann endlich aufrichtig bekennen, was er im Leben<br />
geschickt sogar vor sich selbst zu verbergen wußte.<br />
Novi Sad und die Wojwod<strong>in</strong>a, die Heimat des <strong>in</strong> Horgoš nahe der ungarischen Grenze geborenen<br />
Aleksandar Tišma (1924-2003), ist auch das offene oder kryptische Zentrum se<strong>in</strong>es<br />
Werkes. Die Stadt und die Gegend, <strong>in</strong> der Serben, Kroaten, Ungarn, Deutsche und Juden zusammenlebten,<br />
werden zum literarischen Kosmos, <strong>in</strong> dem sich das historische Panorama der<br />
europäischen Geschichte mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts entrollt: Deportationen,<br />
Vernichtungslager, Folterungen, Massaker, Kriegs-, Besatzungs- und Friedenszeiten werden<br />
im Schicksal e<strong>in</strong>zelner Romanfiguren plastisch greifbar und <strong>in</strong>dividuell faßbar. Der Autor war<br />
gerade 18 Jahre alt, als er die Schlüsselerfahrung se<strong>in</strong>es Lebens machte: Kroatische Nazis<br />
massakrierten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimatstadt Novi Sad mehr als tausend jüdische K<strong>in</strong>der, Frauen und<br />
Männer und warfen die leblosen Körper durch e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> der zugefrorenen Donau <strong>in</strong> die<br />
eisigen Fluten. „Fünf Bände lang schildert der Autor das Zerbrechen der Zivilgesellschaft …“<br />
(Pentalogie) Umkreisen Die Schule der Gottlosigkeit (1978), Der Gebrauch des Menschen<br />
(1980), Kapo und Das Buch Blam (1983) noch die dreißiger und vierziger Jahre, die Zeit des<br />
Dritten Reiches und die unmittelbare Nachkriegszeit, so greift Die wir lieben bis <strong>in</strong> die fünfzi-<br />
62 Mladen Oljača: Das Vermächtnis. Roman, K<strong>in</strong>dler Verlag, München 1962, S. 92, vgl. auch S. 291 ff.<br />
63 He<strong>in</strong>rich Zillichs Besprechung, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München 1963, Folge 2, S. 118; vgl.<br />
auch dk.: E<strong>in</strong> Gebrannter spricht. Zu Mladen Oljacas totgeschwiegenem Roman „Das Vermächtnis“, <strong>in</strong>: Volksbote,<br />
München, 15.06.1963, S. 7<br />
33
ger und schließlich Treue und Verrat bis <strong>in</strong> die sechziger Jahre des sozialistischen <strong>Jugoslawien</strong><br />
voraus. In Tišmas zweitem Erzählband Ohne e<strong>in</strong>en Schrei (1980) tritt die Schilderung geschichtlicher<br />
h<strong>in</strong>ter die Schilderung existentieller Erfahrung zurück. Tišmas Romane zeugen<br />
von der Zerstörung durch Krieg und Terror e<strong>in</strong>er durch friedliches Zusammenleben zwischen<br />
Deutschen, Ungarn, Serben, Juden und Zigeunern geprägten Gesellschaft, vom Scheitern des<br />
europäischen Humanismus, von der Schuldverstrickung menschlicher Existenz, ohne Hoffnung<br />
und ohne Ausweg aus ihrem Gefangense<strong>in</strong> <strong>in</strong> re<strong>in</strong>er Immanenz, aus ihrer Unfähigkeit<br />
zum Glück. Die Frage der Schuld wird nicht expressis verbis aufgeworfen, sondern ist ständig<br />
anwesend, die Er<strong>in</strong>nerung an e<strong>in</strong>e von Gewalt erfüllte Vergangenheit hält alle Akteure unerbittlich<br />
<strong>in</strong> ihren Klauen. Der Autor richtet jedoch nicht über se<strong>in</strong>e Figuren, er berichtet ohne<br />
Pathos und Sentimentalität, mit „unterkühlter Perfektion“, wie der Mensch den Menschen<br />
als Objekt gebraucht, wie das Schicksal den Menschen zu Boden wirft und ihn zermalmt, wie<br />
am Ende nur Erniedrigte und Beleidigte, Gebrochene und Entwurzelte, an Körper und Seele<br />
Verstümmelte übrigbleiben, Persönlichkeit und Würde vernichtet s<strong>in</strong>d. Den Bürgerkrieg im<br />
zerfallenden <strong>Jugoslawien</strong> kommentiert Tišma als Folge des Zweiten Weltkriegs, <strong>in</strong> dem die<br />
deutschen Besatzer den Nationalismus der e<strong>in</strong>zelnen Völker geschürt hätten: „Das Abschlachten<br />
von damals ist <strong>in</strong> den Köpfen geblieben.“ Besonders die Serben hätten darunter<br />
gelitten: „Es war dann auch die Furcht vor der Wiederholung solcher Massaker, welche die<br />
Brutalität bewirkt hat. Furcht <strong>in</strong>spiriert Terror. Und das Morden unserer Tage wird nicht ohne<br />
Folgen für die Zukunft bleiben.“ 64<br />
Der Grazer Germanist Anton Scherer kritisierte 1992 den Roman „Der Gebrauch des Menschen“<br />
scharf als tendenziös gegen die Deutschen im allgeme<strong>in</strong>en und die Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s<br />
im besonderen gerichtet. Im ganzen Buch werde den Donauschwaben ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige<br />
positive Eigenschaft zuerkannt. Der Schritt von der Tendenz zur Geschichtslüge sei hier bereits<br />
getan. Dem Leser werde die Lüge aufgetischt, daß die <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a angesiedelten<br />
Deutschen „im Schutz des erstarkten Dritten Reichs den Serben das fruchtbarste Feld weggeschnappt,<br />
geräumige Häuser darauf gebaut und diese mit ihrer sche<strong>in</strong>bar blutarmen und<br />
schlaffen, jedoch fleißigen und zielstrebigen Brut angefüllt“ 65 haben. Diese offenbare Geschichtslüge<br />
werde als historische Tatsache verkauft. Gehässiger und ungerechter als mit der<br />
Auswahl der die <strong>Jugoslawien</strong>deutschen typisierenden Figuren im Roman, nämlich e<strong>in</strong>er<br />
ehemaligen Hure und e<strong>in</strong>es von Mordlust erfüllten SS-Manns, könne man die Freiheit und<br />
Autonomie der Kunst nicht mißbrauchen. Der Autor befolge parteiamtliche Direktiven. Das<br />
Massensterben <strong>in</strong> den jugoslawischen Internierungslagern werde von Tišma vollständig verschwiegen.<br />
Dazu ist zu bemerken, daß Scherer offenbar nicht ausreichend zwischen e<strong>in</strong>er historischen<br />
Darstellung und e<strong>in</strong>er literarischen Aufarbeitung unterscheidet, sonst hätte er beispielsweise<br />
bemerken können, daß <strong>in</strong> der Figur des Nemanja Lazukić e<strong>in</strong> aus Bosnien nach Neusatz zugewanderter<br />
Serbe dargestellt ist, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>ierter Chauv<strong>in</strong>ist, der die Deutschen haßt und<br />
sie als se<strong>in</strong>e und se<strong>in</strong>es Volkes Fe<strong>in</strong>de betrachtet, ohne je mit ihnen <strong>in</strong> Berührung gekommen<br />
64 Franz Hutterer: Die Donauschwaben <strong>in</strong> der zeitgenössischen serbischen Literatur: Beispiele aus dem Werk<br />
von Aleksandar Tišma, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm<br />
1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 5, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1994, S. 85-91<br />
65 Anton Scherer: Zur Frage der politischen Lüge <strong>in</strong> der Literatur. Betrachtungen zu e<strong>in</strong>em jugoslawischen Roman,<br />
<strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus der aktuellen Diskussion, herausgegeben<br />
von der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, Heft 2, 1992, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1991, S. 85-<br />
88; vgl. auch die <strong>in</strong>haltsgleiche Zweitveröffentlichung: E<strong>in</strong> geehrter Staatspreisträger. Die Republik Österreich<br />
zeichnet e<strong>in</strong>en Donauschwabenhasser aus, <strong>in</strong>: Der Donauschwabe v. 22.11.1998, S. 6<br />
34
zu se<strong>in</strong>. Diese Figur ist durchaus als repräsentativ zu verstehen für e<strong>in</strong>e breite Gruppe von<br />
Zuwanderern aus Altserbien <strong>in</strong> die Wojwod<strong>in</strong>a.<br />
Der 1938 <strong>in</strong> Ivanovci geborene Milovan Danojlić zählt mit se<strong>in</strong>em umfangreichen Werk –<br />
das Romane, Essays, Gedichte und K<strong>in</strong>derbücher umfaßt – zu den wichtigsten Autoren Serbiens.<br />
Zwar lebt er seit 1984 <strong>in</strong> Poitiers, wo auch der größte Teil se<strong>in</strong>es Œuvres entstand, ist<br />
aber <strong>in</strong> Serbien sehr präsent. Zwanzig Jahre nach se<strong>in</strong>em Ersche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Orig<strong>in</strong>alsprache<br />
1990 ist se<strong>in</strong> Roman Dragi moj Petroviću als erstes Werk dieses im deutschen Sprachraum<br />
bisher unbekannten Schriftstellers endlich auch auf deutsch unter dem Titel Me<strong>in</strong> lieber<br />
Petrović zu lesen.<br />
Der 1977 aus dem amerikanischen Exil <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Geburtsort Kopanja zurückgekehrte pensionierte<br />
Universitätsprofessor Mihailo Putnik beschreibt für se<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Cleveland, Ohio, zurückgebliebenen<br />
Freund und Kollegen Steve Petrović <strong>in</strong> zehn ausführlichen Briefen die Zustände<br />
<strong>in</strong> ihrer geme<strong>in</strong>samen Heimat, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg Hals über Kopf auf der<br />
Flucht vor dem Zugriff des Bösen verlassen hatten. Auch Petrović will sich nach se<strong>in</strong>em Arbeitsleben<br />
<strong>in</strong> der alten Heimat zur Ruhe setzen. Die Briefe se<strong>in</strong>es Freundes Putnik sollen ihm<br />
jedoch zur Warnung dienen, es s<strong>in</strong>d Zeugnisse der Desillusionierung, denn <strong>in</strong> der Fremde<br />
haben die Freunde alles Negative ausgeblendet und sich e<strong>in</strong> ideales Sehnsuchtsbild der Heimat<br />
voller Verklärungen und patriotischer Illusionen geschaffen. Der Rückkehrer Putnik (das<br />
Wort bedeutet: Reisender) analysiert nun e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich die unsanfte Kollision se<strong>in</strong>es sentimentalen,<br />
hoffnungsfrohen Elans mit der erstarrten Wirklichkeit e<strong>in</strong>es E<strong>in</strong>parteiensystems,<br />
das Verwahrlosung, Niedertracht und Haß gezüchtet hat und wo weder Putniks Bildung noch<br />
se<strong>in</strong> importiertes Geld etwas zählen.<br />
Die Briefe verteilen sich über den Zeitraum von 1977 bis 1985, setzen also noch zu Lebzeiten<br />
des Partisanenführers Tito e<strong>in</strong> und markieren das beg<strong>in</strong>nende Ende der fragilen gesamtjugoslawischen<br />
Staatskonstruktion. Jedoch ist von Politik und politischem Personal im Roman<br />
nicht die Rede, er zeigt nur höchst anschaulich, <strong>in</strong> luziden Beobachtungen, vielfach auch <strong>in</strong><br />
essayartigen Passagen und philosophischen Reflexionen die Folgen politischer Orientierung.<br />
Zu der verbreiteten balkanischen Trägheit, die für e<strong>in</strong> Zeichen von Tiefe und Weisheit gehalten<br />
wird, gesellt sich nämlich e<strong>in</strong>e tiefe Depression, die e<strong>in</strong>erseits aus der serbischen Geschichte<br />
zu resultieren sche<strong>in</strong>t, vor allem aber aus der jede Initiative und das selbständige<br />
Denken lähmenden kommunistischen Ideologie, was zusammen wie e<strong>in</strong>e Schlafkrankheit mit<br />
Gedächtnisverlust wirkt. So ist der Alltag „e<strong>in</strong>e Mischung aus Stumpfs<strong>in</strong>nigkeit und Unverständlichkeit“<br />
66 , Unternehmer werden zermürbt vom Mißtrauen der Behörden, das freie<br />
Leben ist paralysiert von ungeschriebenen Denk- und Sprechverboten, verstellt von den<br />
Wahrern unrechtmäßig erworbenen Besitzes und gewaltsam usurpierter Macht, von den<br />
„Verbrechen, die <strong>in</strong> der Vergangenheit passiert s<strong>in</strong>d“ 67 , die jedoch niemals aufgearbeitet,<br />
statt dessen verleugnet und verfälscht wurden und so ihren verderblichen E<strong>in</strong>fluß auf die<br />
Gegenwart behielten. „Die Er<strong>in</strong>nerungen an das Geschehene haben nicht die Kraft, bis zu<br />
irgendwelchen Schlußfolgerungen durchzuschlagen.“ 68 Putnik ist anfangs angenehm überrascht<br />
von der herrschenden Gleichgültigkeit, muß aber später erkennen, „dass es sich nicht<br />
um Toleranz handelt, sondern um e<strong>in</strong>e tiefe Verachtung gegenüber allem, was der E<strong>in</strong>zelne<br />
denkt und fühlt“. 69<br />
66 Milovan Danojlić: Me<strong>in</strong> lieber Petrović. Roman, Suhrkamp, Berl<strong>in</strong> 2010, S. 21<br />
67 Ebenda, S. 66<br />
68 Ebenda, S. 59<br />
69 Ebenda, S. 67<br />
35
So sieht sich Putnik, das schreibende Alter ego des Verfassers, h<strong>in</strong>- und hergerissen, e<strong>in</strong>erseits<br />
möchte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Volk leben, weil er es liebt, zugleich aber ist er pe<strong>in</strong>lich von ihm<br />
abgestoßen, weil es rückständig und arbeitsscheu, abergläubisch, übellaunig und von heuchlerischem<br />
Respekt, ohne Größe und ohne Geistesgrößen, <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>er Unwichtigkeit aufgeblasen<br />
sei, er vermißt die Errungenschaften und Annehmlichkeiten der westlichen Welt. Am<br />
liebsten wäre er daher gleichzeitig <strong>in</strong> der Heimat und <strong>in</strong> der Fremde, um Wohlstand und Armut,<br />
Freiheit und E<strong>in</strong>schränkung zugleich auskosten zu können. Aber die heimatliche Realität<br />
läßt se<strong>in</strong>e Wünsche und Hoffnungen, Bestrebungen und selbst se<strong>in</strong>e Gedanken auf e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum<br />
zusammenschrumpfen.<br />
In der Figur des pensionierten Gymnasiallehrers für Geschichte Vitomir Lukić zeichnet der<br />
Autor den aufgeklärten kommunistischen Ideologen, der verbissen und für Gegenargumente<br />
– wie etwa Solschenizyns „Archipel Gulag“ – nicht zugänglich an der Verwirklichung des totalen<br />
Menschen festhält. Aus e<strong>in</strong>er „dreisten Distanz“ 70 zerpflückt Danojlić das aus Neid und<br />
Mißgunst geborene Gesellschaftskonstrukt, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>en gegenseitigen Übere<strong>in</strong>kunft<br />
zur Verachtung von Begabung, Elite und Leistung, zur Drosselung aller Impulse, zur<br />
Zerschlagung des Bauernstandes, zur Erstickung des wirtschaftlichen und geistigen Wettbewerbs<br />
führt. Der Autor liefert e<strong>in</strong>e vernichtende Fundamentalkritik am sozialistischen Experiment.<br />
In der Figur des ehemaligen Apothekers Vuk Paligorić dagegen typisiert er den verbohrten<br />
Nationalisten, für den das Serbentum e<strong>in</strong>e unantastbare Größe ist und der mit aggressiver<br />
Arroganz andere Lebensformen, andere Denk- und Fühlweisen nicht gelten läßt. Paligorić<br />
verkörpert die serbische Geistesverwirrung <strong>in</strong> der Zeit, Kle<strong>in</strong>mut und Größenwahn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em,<br />
die Verfangenheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netz von Täuschungen und Selbsttäuschungen. Was Danojlić hier<br />
an Serbenschelte liefert, ist e<strong>in</strong> kühles und zugleich leidenschaftliches Bravourstück beißender<br />
Selbstkritik. E<strong>in</strong> besonders wunder Punkt sei die Ablehnung des logischen Denkens bei<br />
den Südslawen. Das Denken an sich wird im repressiven Staat gar zum Delikt, denn das Denken<br />
kann nicht ohne Freiheit bestehen wie auch umgekehrt „die Freiheit ohne das Denken<br />
s<strong>in</strong>nlos ist“. 71 „Die Angst vor der konsequenten Denkweise ist die Angst vor der Wahrheit; wir<br />
haben es uns abgewöhnt, uns mit ihr zu konfrontieren.“ 72 Auf dem Balkan weiß man nicht,<br />
„bis woh<strong>in</strong> die Politik reicht, wo die Gewohnheiten und die Bräuche beg<strong>in</strong>nen, wo die Grenze<br />
zwischen Mentalität und Ideologie verläuft“. 73 „Die Entschlossenheit, im Selbstbetrug auszuharren,<br />
ist neben der Gekränktheit e<strong>in</strong> bedeutendes Charakteristikum unseres Patriotismus.“<br />
74<br />
Danojlićs Roman ist e<strong>in</strong>e melancholisch poetische und zugleich schonungslos kritische Abrechnung<br />
mit der Misere se<strong>in</strong>es Landes <strong>in</strong> politischer, ökonomischer, kultureller, <strong>in</strong>tellektueller<br />
und moralischer H<strong>in</strong>sicht. Trotz e<strong>in</strong>er rückhaltlosen Bissigkeit, wie sie vielleicht nur e<strong>in</strong><br />
Exilserbe zustande br<strong>in</strong>gen konnte, s<strong>in</strong>d die Verbrechen von 1944 bis 1948 nur mit e<strong>in</strong>er vagen<br />
Andeutung <strong>in</strong> die Thematik dieses Romans e<strong>in</strong>geflossen. Es handelt sich ja immerh<strong>in</strong> um<br />
<strong>Titos</strong> <strong>Jugoslawien</strong> – dessen Name im ganzen Buch übrigens nicht genannt wird –, bevor es <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em blutigen Bruder-Gemetzel untergehen sollte.<br />
Ivan Ivanji, serbisch-jüdischer Schriftsteller, Publizist und Übersetzer, 1929 als Sohn e<strong>in</strong>es<br />
Ärzteehepaares <strong>in</strong> Betschkerek geboren, ist Überlebender von Auschwitz und Buchenwald.<br />
70 Ebenda, S. 191<br />
71 Ebenda, S. 206<br />
72 Ebenda, S. 138<br />
73 Ebenda, S. 169<br />
74 Ebenda, S. 239<br />
36
Er studierte Architektur und Germanistik <strong>in</strong> Belgrad. Über zwanzig Jahre arbeitete er als<br />
Journalist und Dolmetscher für Tito und die jugoslawische Staats- und Parteiführung, trat<br />
aber nach dem Machtantritt von Slobodan Milošević aus der Partei aus. Se<strong>in</strong>e diplomatische<br />
Laufbahn führte ihn u. a. nach Bonn, wo er 1974-78 als Botschaftsrat für Kultur und Presse<br />
fungierte. 1982-88 war er Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes. Seit<br />
1992 lebt er <strong>in</strong> Wien. Se<strong>in</strong>e literarische Karriere begann er mit Lyrik. 1954 veröffentlichte er<br />
se<strong>in</strong>en ersten Roman über se<strong>in</strong>e Zeit im Konzentrationslager. Seitdem s<strong>in</strong>d Romane und Essays<br />
erschienen – wenn auch ohne große Resonanz beim deutschen Publikum. Se<strong>in</strong> Roman<br />
Das K<strong>in</strong>derfräule<strong>in</strong> (1998) knüpft an den autobiographischen Text „Schattenspr<strong>in</strong>gen“ aus<br />
dem Jahr 1993 an, verschmilzt aber historische Fakten mit fiktiven Figuren und Situationen.<br />
Ivanji setzt sich dar<strong>in</strong> mit dem Schicksal der Deutschen im Banat während und nach der Nazizeit<br />
ause<strong>in</strong>ander. Aus zum Teil leidvoller Erfahrung rekapituliert Ivanji den geschichtlichen<br />
H<strong>in</strong>tergrund des Romans: die deutsche Besetzung <strong>Jugoslawien</strong>s 1941, die Pogrome und Deportationen<br />
durch die Nazis, den Widerstand der Partisanen, die militärische Wende und die<br />
Befreiung durch die Rote Armee, die Internierungen und Vergeltungsaktionen durch die<br />
Kommunisten bis h<strong>in</strong> zum jugoslawischen Sonderweg 1948 und der Absetzung vom Terror<br />
des Stal<strong>in</strong>-Regimes. Im Mittelpunkt des Romans steht der Lebensweg der Erzieher<strong>in</strong> Ilse von<br />
Blockberg aus Klagenfurt, e<strong>in</strong>e zwanzigjährige Lehrer<strong>in</strong> aus verarmtem Adel, die ohne Aussicht<br />
auf e<strong>in</strong>e andere Anstellung nun als K<strong>in</strong>derfräule<strong>in</strong> arbeiten will. Mitte der dreißiger Jahre<br />
reist sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>stadt im Banat, um im Hause des jüdischen Zuckerfabrikanten Moritz<br />
Keleti dessen Sohn Viktor zu betreuen. Zu jener Zeit leben <strong>in</strong> dieser mitteleuropäischen Enklave<br />
der Wojwod<strong>in</strong>a Deutsche und Juden, Serben und Ungarn, Slowaken und Zigeuner nicht<br />
spannungsfrei, aber <strong>in</strong> fruchtbarem Austausch und relativ friedlich mite<strong>in</strong>ander, ähnlich wie<br />
dies auch <strong>in</strong> den Romanen von Milo Dor und Johannes Weidenheim überliefert wird. Ilse<br />
verliebt sich <strong>in</strong> den deutschnationalen Spediteur Peter Jaksch, der dem Schwäbisch-<br />
Deutschen Kulturbund angehört und die allmähliche Hitlerisierung der Stadt vorantreibt.<br />
Damit ist sie, ohne es zu merken, zwischen die Fronten geraten, die sich kurze Zeit später auf<br />
so krasse Weise bilden werden: ihre jüdische Gastfamilie Keleti e<strong>in</strong>erseits, ihr Volksdeutscher<br />
Geliebter und ihre eigene adelige und deutsche Herkunft andererseits. Damit ist e<strong>in</strong>e tragische<br />
Verstrickung vorprogrammiert. Bei der Machtübernahme durch die Nazis wird Keleti<br />
ermordet. Um se<strong>in</strong>e Frau und Viktor zu retten, akzeptiert Ilse die Stelle e<strong>in</strong>er Gestapo-<br />
Sekretär<strong>in</strong>, über deren Schreibtisch Verhaftungsbefehle und Todesurteile gehen. Mit dieser<br />
Hypothek muß sie nachher leben und sich von Viktor den Vorwurf gefallen lassen, sie sei<br />
e<strong>in</strong>e Verräter<strong>in</strong> und schuld am Tod se<strong>in</strong>er Eltern. Das Werk be<strong>in</strong>haltet bemerkenswerte Reflexionen<br />
zu den Fragen von Schuld und Vergebung, privater Er<strong>in</strong>nerung und öffentlichem<br />
Gedächtnis. Es br<strong>in</strong>gt dem Leser näher, daß Geschichte nicht e<strong>in</strong> Abstraktum ist, sondern<br />
e<strong>in</strong>e Verstrickung von unzähligen E<strong>in</strong>zelschicksalen und daß sich Schuldige nicht säuberlich<br />
von Unschuldigen trennen lassen. Dieses Fazit stimmt im wesentlichen mit dem von Johannes<br />
Weidenheim übere<strong>in</strong>. Die entscheidenden Differenzen s<strong>in</strong>d herauszuarbeiten.<br />
Wichtig s<strong>in</strong>d auch e<strong>in</strong>ige weitere Arbeiten von Ivanji zum Thema, etwa „Vergeltung und<br />
Scham. Das Schicksal der Donauschwaben <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a“ 75 . Ivanji bestreitet die systematische<br />
Ausrottung der Deutschen nach der Befreiung durch die Sowjets. Im anfänglichen<br />
Chaos seien lediglich nicht genügend Kräfte vorhanden gewesen, um „e<strong>in</strong>zelne wilde und<br />
räuberische Handlungen an schutzlosen deutschen Häusern und Geschäften zu vermeiden“.<br />
75 Skript von Dr. Peter B<strong>in</strong>zberger. Auch Ivanjis Hörspiel „Rache und Scham. Das Schicksal der Volksdeutschen <strong>in</strong><br />
<strong>Jugoslawien</strong>“, ist hier relevant, gesendet wurde es <strong>in</strong> WDR 3, Köln, am 25.1.1990 von 21.00 bis 22.00 Uhr (Regie/Produktion:<br />
Joachim Sonderhoff; Verantwortlicher Redakteur: Ansgar Skriver; Programmgruppe: Kommentare<br />
und Feature; Programmbereich: Politik)<br />
37
Über die Ermordung der Deutschen habe er ke<strong>in</strong>erlei Angaben <strong>in</strong> den Archiven gefunden. Es<br />
gebe bis heute (1999) nirgendwo Direktiven betreffs der Organisation von Lagern für die<br />
Deutschen. „Vielleicht schmachten noch im Archiv des ZK Berichte über die Untaten oder sie<br />
wurden e<strong>in</strong>fach vernichtet. Vielleicht handelte es sich um abgesprochene Vorgänge, die nie<br />
schriftlich festgehalten wurden.“ Die <strong>in</strong> ehemals deutschen Dörfern angesiedelten Kolonisten<br />
aus „angegriffenen“ Gebieten <strong>Jugoslawien</strong>s dürften trotz des Rechts auf Heimat und Eigentum<br />
nicht wiederum enteignet und vertrieben werden. Sie lebten bereits <strong>in</strong> der dritten Generation<br />
dort und hätten <strong>in</strong> ihren Fabriken enorme Summen <strong>in</strong>vestiert. Es sei unmöglich, die<br />
alte Ungerechtigkeit mit neuen Ungerechtigkeiten wiedergutmachen zu wollen. Dies dürfe<br />
auch ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>dernis bei der Absicht Serbiens se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> die Europäische Geme<strong>in</strong>schaft aufgenommen<br />
zu werden. Nach Lektüre e<strong>in</strong>iger donauschwäbischer Erlebnisberichte aus den Lagern<br />
(so u. a. Wendel<strong>in</strong>s Grubers „In den Fängen des roten Drachen“) bekannt sich Ivanji<br />
aber dazu, daß „sicherlich auch die Deutschen das Recht bekommen“ sollen, sich an alle auf<br />
diesem Boden begangenen Untaten zu er<strong>in</strong>nern und so wie alle anderen auch „ihre Toten zu<br />
bewe<strong>in</strong>en“. Ivanji gesteht, nicht zu wissen, wie er damals gehandelt hätte, wäre er <strong>in</strong> Freiheit<br />
gewesen. „Aber heute erfüllt mich der Gedanke mit Entsetzen und Scham, daß e<strong>in</strong>em deutschen<br />
K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Mädchen, die Ratten die Zehen an den Füßen abgenagt haben <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Lager im Banat, zur gleichen Zeit, als ich <strong>in</strong> Deutschland ebenfalls <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Lager war.“<br />
Mladen Markov, der 1934 <strong>in</strong> Samoš im Südbanat geborene und mit Schwaben <strong>in</strong> dieser Gegend<br />
aufgewachsene Serbe, hat ihre Vertreibung und Internierung miterlebt. Markov kennt<br />
alle maßgeblichen Köpfe der politischen Elite se<strong>in</strong>es Landes. In den 90er Jahren war er selbst<br />
politisch aktiv, war Mitbegründer e<strong>in</strong>er nationalistisch e<strong>in</strong>gefärbten Partei und organisierte<br />
die ersten Massendemonstrationen gegen Slobodan Milosevic. Se<strong>in</strong>e Romane und Kurzgeschichten<br />
handeln meist vom Trauma des Zweiten Weltkriegs, oft hat er damit politische<br />
Tabus gebrochen. Er war e<strong>in</strong>er der ersten serbischen Autoren, der die grausame Ausrottung<br />
der deutschen M<strong>in</strong>derheit nach 1945 thematisierte und die Ressentiments <strong>in</strong>nerhalb des<br />
Vielvölkerstaats <strong>Jugoslawien</strong> beschrieb. In se<strong>in</strong>em umfangreichen Werk kommt er breit aufgefächert<br />
auf die Schwaben zu sprechen, die Volksdeutschen, die im pannonischen Raum,<br />
wo alle se<strong>in</strong>e Romane und Erzählungen spielen, „e<strong>in</strong>trächtig mit den Serben gelebt“ haben,<br />
selbst <strong>in</strong> jener Zeit, als das Banat von deutschen Truppen besetzt war. Der Kulturbund<br />
kommt ebenso vor wie die Deutsche Volksgruppe, der Marienbund, Franz Reith, der Polizeipräfekt<br />
des Banats, Dr. Spiller und auch Volksgruppenführer Sepp Janko sowie die Aktionen,<br />
die im Banat durchgeführt wurden.<br />
Im zweiten Teil des Buches, den der Autor Mittlere Glocke (Srednje zvono) nennt, steht die<br />
Erzählung Die Vertreibung des Vetter Peter (Proterivanje Tate Petera), <strong>in</strong> der Markov die<br />
Internierung der Deutschen schildert. Die Betrachtung ist vielschichtig und bleibt mehrdeutig.<br />
Im Mittelpunkt steht der serbische Offizier Skakić, der zweifelnd und widerwillig den Auftrag<br />
der Internierung (logorizacija) der Schwaben ausführt und dabei e<strong>in</strong>e Verkehrung aller<br />
Verhältnisse erlebt. Die Schwaben, mit denen die pannonischen Serben alles außer der Sprache<br />
verbunden hat, s<strong>in</strong>d vertrieben und bleiben dennoch gegenwärtig, die „Hergelaufenen“<br />
Bosniaken, Serbianer und Montenegr<strong>in</strong>er aber, die nun <strong>in</strong> die fertigen Häuser der Schwaben<br />
e<strong>in</strong>ziehen, wirken wie Fremdkörper, mit denen die e<strong>in</strong>heimischen Serben nichts außer der<br />
geme<strong>in</strong>samen Sprache verb<strong>in</strong>det. Skakić kann die Bilder vergangener Tage nicht abschütteln,<br />
sie bedrängen ihn im Gegenteil immer stärker. In dem Roman Austreibung Gottes<br />
(Isterivanje boga), erschienen 1984 <strong>in</strong> Belgrad, erzählt Markov über Ereignisse aus dem Jahr<br />
1945, u. a. von dem schwäbischen Bauern Jakob Stuhlmüller, der ausgerechnet von jenem<br />
Serben „Tarojec“ denunziert wird, den er im Krieg versteckt hatte. Markovs zweibändiger<br />
38
Roman Sch<strong>in</strong>danger (Pseće groblje) erschien 1990 <strong>in</strong> Belgrad und erzählt die Geschichte der<br />
Herm<strong>in</strong>e Deutsch, geborene Huber, die Geschichte des Serben Matija, der Herm<strong>in</strong>e von der<br />
logorizacija bewahren will, sie versteckt und doch nicht retten kann. 76<br />
Danilo Kiš, geboren 1935 <strong>in</strong> Subotica an der jugoslawisch-ungarischen Grenze als K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>es<br />
ungarisch-jüdischen Vaters und e<strong>in</strong>er montenegr<strong>in</strong>ischen Mutter, gestorben 1989 <strong>in</strong> Paris,<br />
kann neben Ivo Andric und Milos Crnjanski als der bedeutendste serbische Schriftsteller des<br />
20. Jahrhunderts betrachtet werden. Se<strong>in</strong> Vater und andere Familienmitglieder starben <strong>in</strong><br />
verschiedenen Lagern der Nazis. Kiš überlebte die Okkupation <strong>Jugoslawien</strong>s durch die Truppen<br />
des Dritten Reiches versteckt bei Bauern <strong>in</strong> Ungarn.<br />
Die Veröffentlichung se<strong>in</strong>es Romans E<strong>in</strong> Grabmal für Boris Dawidowitsch (1976) rief <strong>in</strong> ganz<br />
<strong>Jugoslawien</strong> e<strong>in</strong>en Skandal hervor, h<strong>in</strong>terließ im literarischen Establishment bleibenden E<strong>in</strong>druck<br />
und bee<strong>in</strong>flußte entscheidend jüngere Autoren, die <strong>in</strong> den siebziger Jahren zu schreiben<br />
begannen. Als Kiš nach Ersche<strong>in</strong>en des Buches e<strong>in</strong> literarischer, de facto aber e<strong>in</strong> politischer<br />
Prozeß gemacht wurde – es g<strong>in</strong>g um se<strong>in</strong>e Kritik am Stal<strong>in</strong>ismus und Nationalismus als<br />
Paranoia – antwortete er, da es ihm verwehrt war, <strong>in</strong> der Presse Stellung zu nehmen, mit<br />
dem fulm<strong>in</strong>anten Essay Anatomiestunde (Čas anatomije, 1978) und verließ se<strong>in</strong>e Heimat.<br />
Von 1979 bis zu se<strong>in</strong>em frühzeitigen Tod 1989 lebte er <strong>in</strong> Paris. In se<strong>in</strong>em Werk, dessen geschichtlicher<br />
H<strong>in</strong>tergrund der Holocaust <strong>in</strong> Mitteleuropa und der stal<strong>in</strong>istische Terror s<strong>in</strong>d,<br />
begibt er sich auf Spurensuche im vernichteten Kont<strong>in</strong>ent Pannonien („ich evoziere nur Er<strong>in</strong>nerungen“).<br />
Neben ihren e<strong>in</strong>stigen Nachbarvölkern und vor allem der jüdischen<br />
Intelligentzija Mitteleuropas werden auch die Schwaben bzw. Folksdojčeri genannt. Jahre<br />
se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit war Kiš <strong>in</strong> der Neusatzer Bem-Gasse, der Deutschen-Gasse aufgewachsen,<br />
se<strong>in</strong>e Lehrer<strong>in</strong> hieß Fräule<strong>in</strong> Fanni, se<strong>in</strong> Freund Fredi Fuchs, genannte Atza der Lange war e<strong>in</strong><br />
„Volksdeutscher“. 77 In se<strong>in</strong>er ironisch als „Familienzirkus“ betitelten Trilogie, zu der neben<br />
Frühe Leiden (Rani jadi, Belgrad 1969) und Garten, Asche (Bašta, pepeo, Belgrad 1965) der<br />
Roman Sanduhr (Peščanik, 1972) gehört, betätigt sich Kiš mit se<strong>in</strong>er „Ethik und Poetik des<br />
Details“ als Archäologe, Archivar und Rekonstrukteur e<strong>in</strong>er verschwundenen Welt, der gegen<br />
das Vergessen anschreibt. Die geheime Hauptfigur, der verrückte Luftmensch und Erf<strong>in</strong>der<br />
<strong>in</strong>ternationaler Fahrpläne Eduard Sam, geistert mit Brille, Stock und schwarzem Gehrock<br />
durch den Roman, bis er e<strong>in</strong> schreckliches Ende im Lager nimmt. In dem Erzählungsband<br />
Enzyklopädie der Toten (Enciklopedija mrtvih, Zagreb 1983) geht es um die Würde und E<strong>in</strong>zigartigkeit<br />
noch des unsche<strong>in</strong>barsten Menschenlebens. Danilo Kiš war für den Literatur-<br />
Nobelpreis nom<strong>in</strong>iert, doch kam se<strong>in</strong> Tod der Verleihung zuvor.<br />
Kaća Čelan, Jahrgang 1956, schrieb ihr Theaterstück Heimatbuch (1989) aus Angst, sie könnte<br />
vergessen, woher sie kommt. Die ersten sieben Jahre ihres Lebens verbrachte sie nämlich<br />
im ehemaligen Parabutsch (heute Ratkovo) <strong>in</strong> der Obhut e<strong>in</strong>er volksdeutschen Familie. Ihre<br />
Eltern waren als Kroaten aus Bosnien <strong>in</strong> die Batschka zugezogen und knüpften e<strong>in</strong>e „große<br />
Freundschaft“ 78 mit der donauschwäbischen Familie. Kaća Čelan studierte <strong>in</strong> Sarajevo an der<br />
Philosophischen Fakultät vergleichende Literatur- und Theaterwissenschaft sowie Schau-<br />
76 Franz Hutterer: Die Donauschwaben <strong>in</strong> der zeitgenössischen serbischen Literatur: Beispiele aus dem Werk<br />
von Mladen Markov, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm<br />
1992 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft 3, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1993, S. 107-112<br />
77 Danilo Kiš: Frühe Leiden, München 1989, S. 10<br />
78 Anton Scherer: Kaća Čelans „Heimatbuch“. E<strong>in</strong>e Parabutscher Kroat<strong>in</strong> setzte den Donauschwaben e<strong>in</strong> literarisches<br />
Denkmal, <strong>in</strong>: Der Donauschwabe v. 7.10.2001, S. 5; vgl. auch Kaća Čelan, <strong>in</strong>: Dürener Illustrierte 05/2006;<br />
Die letzte Geschichte und e<strong>in</strong> neuer Anfang. Kaća Čelan und ihr Exiltheater <strong>in</strong> Düren, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart<br />
und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben<br />
Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, Heft 6, S. 118-122<br />
39
spielkunst. Später war sie dort Regisseur<strong>in</strong> am selbst gegründeten „Amfiteatar“ und Professor<strong>in</strong><br />
an der Akademie für szenische Künste. Nach dem Ausbruch des Krieges im ehemaligen<br />
<strong>Jugoslawien</strong> flüchtete sie zunächst nach Slowenien, anschließend nach Deutschland. Während<br />
ihres Aufenthalts im He<strong>in</strong>rich-Böll-Haus <strong>in</strong> Langenbroich als Stipendiat<strong>in</strong> des Kultusm<strong>in</strong>isteriums<br />
Nordrhe<strong>in</strong>-<strong>West</strong>falen gründete und leitete sie das Theater TAS im Exil und die<br />
Celan-Theaterschule auf Schloß Burgau bei Düren. Für ihre aufsehenerregenden gesellschaftskritischen<br />
Dramen und Hörspiele sowie ihren Gedichtband „ICH UND DU“ erhielt die<br />
Autor<strong>in</strong> mehrere Preise. Heute lebt sie als Theaterwissenschaftler<strong>in</strong>, Autor<strong>in</strong> und Regisseur<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> New York.<br />
Schon als Kaća Čelan zum Studium nach Sarajevo kam, nahm sie sich vor, e<strong>in</strong> Buch über jene<br />
Leute zu schreiben, die sie voller Liebe auf den Arm nahmen, als sie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d war. So ist das<br />
Theaterstück „Heimatbuch“ entstanden, geschrieben <strong>in</strong> Moskau, Subotica, Belgrad, Sarajevo<br />
und beendet <strong>in</strong> Deutschland. Das Stück spielt <strong>in</strong> Gakowa, e<strong>in</strong>em Vernichtungslager für Donauschwaben<br />
<strong>in</strong> der nordwestlichen Wojwod<strong>in</strong>a, zu Frühl<strong>in</strong>gsbeg<strong>in</strong>n des Jahres 1946. Im<br />
Hungerlager s<strong>in</strong>d 15.000 Deutsche <strong>in</strong>terniert. Dargestellt wird die ohnmächtige Endstation<br />
der unschuldig schuldig Gewordenen. Es handelt sich dabei um das erste künstlerische Werk<br />
– und wahrsche<strong>in</strong>lich auch das e<strong>in</strong>zige – im ehemaligen <strong>Jugoslawien</strong>, das sich ausschließlich<br />
mit dem Schicksal der im Land gebliebenen Volksdeutschen beschäftigt, wenn auch von e<strong>in</strong>em<br />
„verspäteten Zeugen“ geschrieben. Immerh<strong>in</strong> war das Thema bis zur Erstaufführung des<br />
Stücks „Heimat“ 1988 am Nationaltheater der serbischen Stadt Subotica auf jugoslawischen<br />
Bühnen tabu, kam aber dann auch <strong>in</strong> Zagreb, Belgrad und Sarajevo zur Aufführung. Mit großem<br />
Erfolg wurde es damals auch <strong>in</strong> Mühlheim an der Ruhr und im April 1997 unter dem<br />
Titel „Heimatbuch“ am Bonner Schauspielhaus aufgeführt. Im Jahr 2006 <strong>in</strong>szenierte die Autor<strong>in</strong><br />
selbst ihr Stück am TAS-Theater auf Schloß Burgau. Sie vertritt übrigens die Ansicht, das<br />
Schicksal nationaler M<strong>in</strong>derheiten gehöre <strong>in</strong> den „Spielen der Sieger und der Mächtigen“ zu<br />
den allergrößten Problemen und werde als unversiegbares Thema das neue, also unser jetziges<br />
Jahrhundert begleiten. „Heimatbuch“ bedeutet e<strong>in</strong>en Meilenste<strong>in</strong> für die Wahrnehmung<br />
des <strong>Genozid</strong>s an den Donauschwaben <strong>in</strong> der jugoslawischen, aber auch <strong>in</strong> der deutschen<br />
Öffentlichkeit. Für das Stück „Heimatbuch“ wurde Kaća Čelan 1995 mit dem Dramatikerpreis<br />
der Theatergeme<strong>in</strong>den Deutschlands ausgezeichnet.<br />
Nenad <strong>Stefan</strong>ović, geboren 1961 <strong>in</strong> Belgrad, Redakteur der Zeitung Politika, Journalist und<br />
Romanautor, war langjähriger Befürworter e<strong>in</strong>es Dialogs mit den aus <strong>Jugoslawien</strong> vertriebenen<br />
Deutschen, bevor er im Herbst 1995 am Chiemsee, <strong>in</strong> S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen und Tüb<strong>in</strong>gen unzensierte<br />
Gespräche mit zwölf donauschwäbischen Zeitzeugen führen und damit e<strong>in</strong> <strong>in</strong> Serbien<br />
jahrzehntelang herrschendes Tabu weiter aufweichen konnte. Kriegsdienst, Enteignung, Vertreibung,<br />
die bestialische Rache der Sieger, die Internierung <strong>in</strong> Arbeits- und Todeslagern <strong>in</strong><br />
Jarek, Rudolfsgnad, Gakowa, Sombor und anderen Orten, aber auch die Hilfeleistung zwischen<br />
den Angehörigen verschiedener Völker und das Heimweh werden von Augenzeugen <strong>in</strong><br />
autobiographischer Realitätsnähe dargestellt, die bis dah<strong>in</strong> <strong>in</strong> serbischen Publikationen nicht<br />
vorgekommen war. Die Berichte geben E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> <strong>in</strong>dividuelle Schicksale, die der These von<br />
e<strong>in</strong>er Kollektivschuld widersprechen. Zusammen mit Kommentaren und kurzen geschichtlichen<br />
Abhandlungen s<strong>in</strong>d diese Gespräche unter dem Titel Jedan svet na Dunavu Ende 1996<br />
zunächst <strong>in</strong> serbischer Sprache erschienen, f<strong>in</strong>anziert von serbischen Akademikern <strong>in</strong> Stuttgart<br />
und Umgebung. Dieses Buch wurde zum damals wichtigsten Mittel, die serbische Öffentlichkeit<br />
aufzuklären und wachzurütteln. Tatsächlich erfüllte es die Rolle e<strong>in</strong>es Augenöffners<br />
und Eisbrechers. Schon e<strong>in</strong> Jahr später konnte der Band auch <strong>in</strong> deutscher Sprache unter<br />
dem Titel E<strong>in</strong> Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> unter dem<br />
40
kommunistischen Tito-Regime ersche<strong>in</strong>en. Das Buch stellt nach Dutzenden von Romanen,<br />
Novellen, Feuilletons, Interviews und Artikeln und neben Studien von Wissenschaftlern wie<br />
Vladimir Geiger und Zoran Žiletić die ersten Dokumentation von serbischer Seite dar, die<br />
vorausgegangene Darstellungen des <strong>Genozid</strong>s an den Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s von donauschwäbischer<br />
Seite nicht nur bestätigt und fortsetzt, sondern um die spezifisch serbische<br />
Sicht erweitert. Dabei gew<strong>in</strong>nt die neue E<strong>in</strong>sicht an Raum, daß die Deutschen nicht die<br />
Hauptschuldigen an der Verfolgung der Serben gewesen seien, sondern vielmehr die kroatische<br />
Ustascha. Die Angehörigen der deutschen nationalen M<strong>in</strong>derheit hätten sich im Gegenteil<br />
vielfach bemüht, den Ustascha-Terror zurückzudrängen und aufzuhalten. Die Deutschen<br />
hätten nach dieser E<strong>in</strong>schätzung für die Sünden anderer büßen müssen und ihr Leidensweg<br />
sei zum Fundament geworden für die <strong>in</strong> der Folge verbesserten Beziehungen zwischen Kroaten<br />
und Serben. Das Problematische an dieser wohl nicht ganz falschen Revision der Geschichte<br />
ist es allerd<strong>in</strong>gs, daß der Wille zu neuer Versöhnlichkeit auf der e<strong>in</strong>en Seite mit dem<br />
Aufbrechen neuen Hasses auf der anderen erkauft wird. Auf gegenseitige Hilfeleistungen<br />
zwischen Deutschen und Serben weisen mehrere Erlebnisberichte h<strong>in</strong>. Von den vor mehr als<br />
50 Jahren erlassenen diskrim<strong>in</strong>ierenden Gesetzen hat sich <strong>Jugoslawien</strong> jedoch bis heute<br />
nicht losgesagt. Interessant ist auch die Feststellung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Nachwort von Goran Nikolić,<br />
daß <strong>in</strong> der Nachkriegszeit bis zur Öffnung der jugoslawischen Grenzen und dem Beg<strong>in</strong>n des<br />
deutschen Wirtschaftswunders ca. 70.000 Angehörige der deutschen M<strong>in</strong>derheit durch<br />
Umdeklarierung zu Magyaren, Kroaten und Serben <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> assimiliert wurden und<br />
nachweislich am öffentlichen Leben des Landes aktiv teilnahmen, teils sogar an hervorragenden<br />
Stellen <strong>in</strong> Staat und Parteiapparat als Verfechter des „Proletarischen Internationalismus“.<br />
Beipflichten muß man dem resümierenden Satz: „Die kommunistischen Verbrechen<br />
an Deutschen müssen genauso als verwerflich gelten wie die NS-Verbrechen und sollten dieselbe<br />
Beachtung f<strong>in</strong>den.“ 79<br />
Das Ersche<strong>in</strong>en dieses Buches hat offensichtlich e<strong>in</strong>e Wandlung angestoßen. Bei e<strong>in</strong>er Präsentation<br />
<strong>in</strong> der Bücherei <strong>in</strong> Zrenjan<strong>in</strong>/Betschkerek 80 s<strong>in</strong>d, wie der Autor selbst es schildert,<br />
Repräsentanten der damals demokratischen lokalen Regierung anwesend. E<strong>in</strong> Raum im Oberen<br />
Geschoß ist vollgestopft mit Menschen. Viele Besucher stehen im Korridor und den Tore<strong>in</strong>gängen.<br />
Es herrscht spannungsgeladene Stille. Nach der Lesung wagt niemand, Fragen zu<br />
stellen, weil e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>stiger Lagerwächter im Publikum ist. Die zehn anwesenden Lager<strong>in</strong>sassen<br />
von e<strong>in</strong>st erkennen ihn. Doch ihre Angst ist unbegründet, der pensionierte Wächter ist <strong>in</strong>zwischen<br />
machtlos und verläßt die Veranstaltung <strong>in</strong> der Pause. Jetzt erst reden die Leute ohne<br />
Unterlaß. Auch die Regierungsvertreter können nicht unbee<strong>in</strong>druckt se<strong>in</strong>. <strong>Stefan</strong>ović fragt sie<br />
am Ende des Abends, ob sie der Errichtung e<strong>in</strong>es Denkmals im Lager Rudolfsgnad zustimmen<br />
würden. Dort wurden 11.000 donauschwäbische Opfer <strong>in</strong> Massengräbern verscharrt, meist<br />
Alte und K<strong>in</strong>der. Die Politiker stimmen zu und halten ihr Versprechen. Die Gedenktafeln haben<br />
e<strong>in</strong> neues Verhältnis zwischen den e<strong>in</strong>stigen und den jetzigen Rudolfsgnadern e<strong>in</strong>geleitet.<br />
Sie besuchen sich gegenseitig, halten geme<strong>in</strong>same Mittagessen ab, haben die Friedhofskapelle<br />
renoviert und e<strong>in</strong>e gemischte serbisch-deutsche Gesellschaft zur Erhaltung der<br />
Denkmäler gegründet.<br />
79 Nenad <strong>Stefan</strong>ović: E<strong>in</strong> Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> unter dem kommunistischen<br />
Tito-Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen, Übersetzung <strong>in</strong>s Deutsche<br />
von Oskar Feldtänzer, 1997, Donauschwäbische Kulturstiftung, München-Eggenfelden-Belgrad 2 2004, S. ?;<br />
vgl. Julia Schiff: Besprechung „E<strong>in</strong> Volk an der Donau“, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2001/4, S.<br />
80 Geschichte des Entstehens des „Eisbrecher” Buches: E<strong>in</strong> Volk an der Donau, donauschwaben-<br />
usa.org/2008_oktober_ardi_dialog_symposium.htm<br />
41
Die Literaturkritiker<strong>in</strong> Nadežda Radović sieht das Ganze trotz der positiven Entwicklungen<br />
skeptischer. Sie schreibt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Besprechung des <strong>in</strong> Rede stehenden Buches im Jahr 2007:<br />
„In dem Land, wo nur e<strong>in</strong>e Wahrheit gepflegt wurde, <strong>in</strong> dem das Monopol über die historische<br />
Wahrheit e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert lang nur die Sieger besaßen, <strong>in</strong> dem weder über ihre<br />
Fehler, geschweige denn über ihre Verbrechen e<strong>in</strong> Wort gesagt werden durfte, da bahnte sich<br />
‚E<strong>in</strong> Volk an der Donau’ nur langsam se<strong>in</strong>en Weg. Trotz der großen Wertschätzung dieses<br />
Buches b<strong>in</strong> ich nicht überzeugt, daß es – genauso wenig wie zahlreiche andere Bücher, die<br />
danach geschrieben wurden – die historische Ungerechtigkeit korrigiert hat, noch daß der<br />
systematisch gepflegte Haß gegenüber den Deutschen verr<strong>in</strong>gert wurde. Der Spruch ‚Ich hasse<br />
dich als Deutschen’ ist weiterh<strong>in</strong> gebräuchlich. Damit die Ideen des Buches Wirkung zeigen,<br />
ist es notwendig, daß die Regierung h<strong>in</strong>ter diesen Ideen steht und das tut, was sie den<br />
unschuldigen deutschen K<strong>in</strong>dern schon seit sechzig Jahren schuldig ist: sich zu entschuldigen,<br />
die völkermörderischen Entscheidungen des AVNOJ (Anm. <strong>Teppert</strong>: AVNOJ steht für ‚Antifaschistische<br />
Ratsversammlung für die Befreiung der Völker <strong>Jugoslawien</strong>s’, gegründet am 26.<br />
November 1942 zur Verwaltung von Gebieten unter Partisanenherrschaft) außer Kraft zu<br />
setzen, ihnen das Vermögen ihrer Vorfahren zurückzugeben, ihre Leiden anzuerkennen. Es ist<br />
notwendig, daß die Medien offen über das Unrecht, das ihnen zugefügt wurde, berichten. Die<br />
Stimmen der ehrlichen Aktivisten s<strong>in</strong>d nur e<strong>in</strong> Tropfen der Wahrheit im Meer von Lüge, h<strong>in</strong>terhältigem<br />
Schweigen, Vertuschen und Verantwortungslosigkeit.“ 81<br />
Was Frau Nadežda Radović hier anmahnt, ist unleugbar richtig. Aber erst, wenn genug Druck<br />
von unten entsteht, werden auch die Politiker handeln müssen. Immerh<strong>in</strong> hat das Buch E<strong>in</strong><br />
Volk an der Donau <strong>in</strong> Serbien sechs Auflagen mit 15.000 Exemplaren erlebt, für dieses kle<strong>in</strong>e<br />
Land mit knapp 7,5 Millionen E<strong>in</strong>wohnern ist das recht ansehnlich und läßt den Hunger nach<br />
Wahrheit erkennen. So gesehen ist es doch e<strong>in</strong> gewisser Durchbruch gewesen. Auch <strong>in</strong><br />
Deutschland mußte übrigens 2004 e<strong>in</strong>e zweite Auflage gedruckt werden, <strong>in</strong> den Vere<strong>in</strong>igten<br />
Staaten erschien 2007 die Übersetzung <strong>in</strong>s Englische.<br />
<strong>Stefan</strong>ović hat mit dem <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Reiseberichts zu den Donauschwaben <strong>in</strong> Amerika verfaßten<br />
Band Erde im Koffer (2007) gewissermaßen den Fortsetzungsband zu E<strong>in</strong> Volk an der<br />
Donau geliefert, und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Novelle Der Doktor hört Sw<strong>in</strong>g (2009, liegt bisher nur <strong>in</strong> serbischer<br />
Sprache vor) befaßt er sich abermals, zwar fiktiv, aber doch realitätsnah und solide<br />
recherchiert, mit dem Schicksal der Donauschwaben im Vernichtungslager Rudolfsgnad,<br />
stellvertretend also <strong>in</strong>sgesamt mit der grausamen Behandlung der deutschen M<strong>in</strong>derheit <strong>in</strong><br />
<strong>Jugoslawien</strong> durch die Tito-Partisanen. <strong>Stefan</strong>ović erhielt für diese Erzählung den Liplje-Preis,<br />
e<strong>in</strong>e Auszeichnung der <strong>in</strong>ternationalen Buchmesse im bosnischen Banja Luka. Se<strong>in</strong>e Erzählung<br />
wurde zum „Buch des Jahres <strong>in</strong> serbischer Sprache“ 82 gekürt.<br />
Mit se<strong>in</strong>em Roman Fremde im eigenen Haus (1991) gibt Juro Marč<strong>in</strong>ković, geboren 1942 <strong>in</strong><br />
Belice/Bosnien als achtes von dreizehn K<strong>in</strong>dern, gibt der Autor gleich anfangs Anlaß zu Irritationen.<br />
Wegen widersprüchlicher Angaben ist der Ort unweit von Neusatz, wo die Handlung<br />
1945 beg<strong>in</strong>nt, logisch nicht vorstellbar. Auch mit Klischees und geschichtlichen Halbwahrheiten<br />
arbeitet der Autor, der <strong>in</strong> Eut<strong>in</strong>gen bei Karlsruhe als Franziskanerpater lebt und von se<strong>in</strong>em<br />
Anliegen getragen ist, die E<strong>in</strong>heimischen unbed<strong>in</strong>gt besser über das leidvolle Schicksal<br />
der Vertriebenen aufzuklären. So versucht Marč<strong>in</strong>ković, e<strong>in</strong>e ihm wohl exemplarisch ersche<strong>in</strong>ende<br />
Geschichte von dem neunzehnjährigen Iwan und Maria zu erzählen, die sich als<br />
Waisen auf der Flucht im Zug nach Deutschland kennenlernen, heiraten und e<strong>in</strong> ansehnli-<br />
81 Nadežda Radović: Nenad Novak <strong>Stefan</strong>ovićs Erde im Koffer, Belgrad 2007, übersetzt von <strong>Stefan</strong> Barth, Gesellschaft<br />
für serbisch-deutsche Zusammenarbeit, http://www.drustvosns.org<br />
82 www.donauschwaben-ooe.at unter dem Artikel „E<strong>in</strong> Volk an der Donau“<br />
42
ches Haus bauen, bis sie nach zehn glücklichen Ehejahren von Verleumdung, Mißtrauen und<br />
Neid seitens der E<strong>in</strong>heimischen getroffen werden. Die Ehe zerbricht, weil Iwan der E<strong>in</strong>flüsterung<br />
glaubt, se<strong>in</strong>e Frau habe ihn mit se<strong>in</strong>em Freund betrogen, er erhängt sich, und Maria<br />
widmet sich h<strong>in</strong>fort der Caritas, den Vertriebenen und den Umsiedlern. Herausgekommen ist<br />
e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache, seelsorgerisch durchwirkte Geschichte, Erbauungsliteratur mit traktathaften<br />
E<strong>in</strong>schüben und, vor dem H<strong>in</strong>tergrund der zweihundertjährigen Geschichte der Donauschwaben<br />
<strong>in</strong> Pannonien, e<strong>in</strong>em Gemisch von Angaben zu Ereignissen um das Jahr 1945, von<br />
Stationen e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>derreichen Familie bis zum E<strong>in</strong>bruch ihres Unglücks. Trotz der möglicherweise<br />
guten Absicht, die dah<strong>in</strong>tersteckt, leistet dieses Buch weder <strong>in</strong> aufklärerischer noch <strong>in</strong><br />
polemisch antiideologischer H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong>en besonders neuartigen oder weiterführenden und<br />
ist daher auch als Beitrag zur Aufarbeitung von Schuld und der Wegbereitung für Versöhnung<br />
als marg<strong>in</strong>al zu betrachten.<br />
Marian Nakitsch, 1952 im kroatischen Novska geboren, e<strong>in</strong> deutsch schreibender kroatischer<br />
Lyriker von eigenwüchsiger lyrischer Ausdruckskraft, der e<strong>in</strong>e lange tragische Liebe zu<br />
Deutschland hegte, bevor er im Land se<strong>in</strong>er Sehnsucht leben durfte, hat sich ausdrücklich als<br />
Donauschwabe bekannt und schreibt u. a. <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ersten Gedichtband Flügelapplaus<br />
(1994) Gedichte über den Leidensweg der Donauschwaben <strong>in</strong> jugoslawischen Vernichtungslagern<br />
wie z. B. Rudolfsgnad. Nakitsch vollzog se<strong>in</strong>e Nationalitätenwende, als er schon erwachsen<br />
war, weil im damaligen Kroatien das Kroatentum unterdrückt war, weil Land und<br />
Sprache von den Serben besetzt waren und weil dem kroatischen Volk ohneh<strong>in</strong> „e<strong>in</strong>e Vorliebe<br />
für das Deutsche eigen ist“ 83 , so Nakitsch wörtlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bekenntnisschreiben „Me<strong>in</strong><br />
Verhältnis zu den Donauschwaben“. Se<strong>in</strong>e allmähliche <strong>in</strong>nere Wandlung zu e<strong>in</strong>em Deutschen<br />
g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>her mit e<strong>in</strong>er zunehmenden Entfremdung von se<strong>in</strong>em kroatischen Umfeld,<br />
Mißhandlungen durch die serbische Volksmiliz und die E<strong>in</strong>bürgerung se<strong>in</strong>er schon seit Ende<br />
er sechziger Jahre <strong>in</strong> Deutschland weilenden Familie haben diesen Prozeß beschleunigt. Als<br />
Nakitsch 1987 durch e<strong>in</strong>e Artikelserie <strong>in</strong> der Agramer Zeitung „Danas“ und der Belgrader<br />
„N<strong>in</strong>“ auf das Schicksal der Volksdeutschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimat stößt, nimmt ihn das mit Haut<br />
und Haaren gefangen und läßt ihn diese Menschen als se<strong>in</strong>e wahren Landsleute erleben. Als<br />
deutschsprachiger Schriftsteller, der sich die deutsche Sprache autodidaktisch angeeignet<br />
hat, versuchte Nakitsch, „ihre Leiden zu erben“ 84 , <strong>in</strong>dem er sich e<strong>in</strong>gehend mit ihrem Schicksal<br />
befaßte und darüber Gedichte voller Empathie und poetischer Kraft schrieb. Nachdem<br />
man Marian Nakitsch die Aufenthaltsgenehmigung aus gesundheitlichen Gründen lange<br />
verweigert hatte, konnte er schließlich doch noch se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>bürgerung erreichen und lebt seit<br />
1994 als freier Schriftsteller <strong>in</strong> Deutschland, zuerst <strong>in</strong> Werl, seit 1996 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Nakitsch ist<br />
Mitglied des Verbands Deutscher Schriftsteller. Er erhielt mehrere Auszeichnungen, u. a.<br />
1995 den Andreas-Gryphius-Förderpreis und 1996 den Adalbert-von-Chamisso-Förderpreis.<br />
Miodrag Maticki, Sohn e<strong>in</strong>es Popen, erzählt <strong>in</strong> mündlicher Tradition von Kudritz, von Veliko<br />
Središte, von Margita im Umkreis von Werschetz, thematisiert die entfesselte Habgier der<br />
Partisanen und Zigeuner, die Plünderungen <strong>in</strong> deutschen Häusern, grausame E<strong>in</strong>zelschicksale,<br />
die Evakuierung der Deutschen <strong>in</strong> letzter M<strong>in</strong>ute, e<strong>in</strong>en Flüchtl<strong>in</strong>gstreck, Massenexekutionen,<br />
Internierungslager und Massengräber sowie landsmannschaftliche Treffen der Donauschwaben<br />
<strong>in</strong> Österreich. Es kommt sogar zur Sprache, daß die Banater Deutschen die Schulden<br />
anderer bezahlen mußten. „Der Roman Matickis Die Deutschen gehen (1994) wird von<br />
83 Marian Nakitsch: Me<strong>in</strong> Verhältnis zu den Donauschwaben, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben.<br />
Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband,<br />
Heft 6, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, S. 81<br />
84 Ebenda<br />
43
der Revolte über das e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert und mehr andauernde Totschweigen über die<br />
ideologische Fälschung des bösen Schicksals derjenigen <strong>Jugoslawien</strong>deutschen getragen, die<br />
glaubten, das Banat nach dem Abzug der deutschen Wehrmacht im Oktober 1944 nicht verlassen<br />
zu müssen, da sie re<strong>in</strong>en Gewissens waren. Sie hatten dabei jedoch – wie der Großteil<br />
der übrigen Bevölkerung des Banats auch – die Gefahren des Totalitarismus stal<strong>in</strong>otitoistischer<br />
Prägung verkannt.“ 85 Matickis apolitischer Roman be<strong>in</strong>haltet ke<strong>in</strong>e Polemik gegen<br />
das Regime oder die mit ihm konformen Feuilletonisten, Filmographen oder Geschichtsschreiber,<br />
sondern hat wohl eher se<strong>in</strong>em Verfasser ermöglicht, sich vom Druck se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerungen<br />
freizuschreiben. Nach Žiletić hat Matickis Historiographieren des Tabuierten<br />
aus den Umbruchzeiten des AVNOJ-<strong>Jugoslawien</strong> die Funktion des Lückenschließers.<br />
Maticki werbe um die Opfer der anarchischen Zeiten ohne Verständnis für ihre Urheber.<br />
Ivan Aralica, geboren 1930 im dalmat<strong>in</strong>ischen Prom<strong>in</strong>a bei Kn<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>er der bedeutendsten<br />
Exponenten der kroatischen Literatur <strong>in</strong> der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts,<br />
hat sich mit dem Schicksal der Donauschwaben beschäftigt, wenn auch nur vorübergehend<br />
und fragmentarisch. Nach e<strong>in</strong>igen schwachen Romanen im Stil des sozialistischen Realismus<br />
gehörte Aralica zu den Befürwortern e<strong>in</strong>er größeren Unabhängigkeit Kroatiens vom kommunistischen<br />
<strong>Jugoslawien</strong>. Die gewaltsame Unterdrückung dieser nationalen Bewegung 1971,<br />
auch „Kroatischer Frühl<strong>in</strong>g“ genannt, und se<strong>in</strong>e spätere berufliche und soziale Degradierung<br />
veranlaßten Aralica, zu se<strong>in</strong>en katholischen Wurzeln zurückzukehren. Er wandte sich ab von<br />
doktr<strong>in</strong>ärer Propagandaliteratur und entwickelte se<strong>in</strong>e eigenen literarischen Anschauungen,<br />
bee<strong>in</strong>flußt vor allem von Ivo Andric, Thomas Mann und Knut Hamsun. Interessanterweise<br />
war er als Dalmat<strong>in</strong>er der erste kroatische Literat, der das heikle Thema der Volksdeutschen<br />
aufgriff. Er schreibt über die serbischen Orthodoxen, die nach dem Krieg <strong>in</strong> das Dorf Berak <strong>in</strong><br />
Slawonien kamen, die Häuser der verjagten Deutschen und deren Land als Kämpferpension<br />
bekamen. Sie hatten die Macht, kamen sich deshalb wichtig vor und führten sich entsprechend<br />
hochnäsig auf. In Aralicas Erzählung Dreirosengasse (1992) geht es um das Flüchtl<strong>in</strong>gsschicksal<br />
der kroatischen Bosniak<strong>in</strong> Marta Ivosević und ihrer Familie, die aus den armen<br />
Landesteilen kommt und auf der Suche nach e<strong>in</strong>em besseren Leben Ende der sechziger Jahre<br />
des vorigen Jahrhunderts nach Slawonien e<strong>in</strong>wandert. Dort allerd<strong>in</strong>gs wird sie überall fortgejagt<br />
oder f<strong>in</strong>det verschlossene Türen vor. Ausgerechnet <strong>in</strong> der ärmlichen Behausung e<strong>in</strong>er<br />
alten Schwäb<strong>in</strong>, bei „Tante Tereza“ <strong>in</strong> der Dreirosengasse, die wie durch e<strong>in</strong> Wunder <strong>in</strong> Berak<br />
zurückgeblieben ist, obwohl ihr gesamtes Volk verjagt wurde, f<strong>in</strong>det sie jahrelang, über deren<br />
Tod h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Bleibe, nur weil sie nicht mit der angesagten Formel „Hallo Genoss<strong>in</strong>“<br />
grüßte, sondern aus alter Gewohnheit mit „Gelobt sei Christus“. Ganz gezielt br<strong>in</strong>gt Aralica<br />
das Schicksal der heimatsuchenden Bosnier mit jenem tragischen und verhängnisvollen<br />
Schicksal der heimischen Schwaben, verkörpert <strong>in</strong> Tante Tereza, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung und verdeutlicht<br />
so die Geschichte e<strong>in</strong>er fortlaufenden pannonischen Tragödie. Die durch Kriegsgew<strong>in</strong>n<br />
reich und mächtig gewordene Schicht der orthodoxen Serben bedienstet die ärmeren Zugewanderten<br />
und schürt damit e<strong>in</strong>en alten, nun wieder aufflammenden Konflikt. Das kroatische<br />
Fernsehen hat 1992 nach dieser Vorlage e<strong>in</strong>e gleichnamige Verfilmung unter der Regie<br />
85 Zoran Žiletić: „Die Deutschen gehen“ Miodrag Matickis. Der Leidensweg der Deutschen aus Veliko Središte<br />
und Werschetz vom Oktober 1944 und kurz darauf als literarischer Stoff, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur<br />
der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband,<br />
S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, Heft 6, S. 92-106, hier S. 102; vgl. auch: Helmut Frisch: Idu Nemci – Die Deutschen<br />
gehen. E<strong>in</strong>e außergewöhnliche Buchbesprechung, <strong>in</strong>: Der Donauschwabe v. 29.10.1995, S. 5, 11; Maria Moser:<br />
Die Deutschen gehen. Herr Maticki, se<strong>in</strong> Buch und Groß-Sredischte, <strong>in</strong>: Der Donauschwabe v. 20.4.1997, S. 5<br />
44
von E. Galić ausgestrahlt. Der Streifen wurde dem Publikum bei den Tagen des kroatischen<br />
Films damals vorgestellt. 86<br />
Prof. Dr. Zoran Žiletić, geboren 1933 <strong>in</strong> Belgrad, hat sich als e<strong>in</strong>er der wenigen serbischen<br />
Wissenschaftler mit dem Thema der Donauschwaben gründlich befaßt und nimmt e<strong>in</strong>e Position<br />
jenseits von Vorurteil, Ideologie und e<strong>in</strong>seitiger Betrachtung e<strong>in</strong>, die es ihm ermöglicht,<br />
e<strong>in</strong>ige Defizite <strong>in</strong> der Geschichtsschreibung sowohl auf donauschwäbischer als auch auf serbischer<br />
Seite aufzuzeigen. Žiletić verfaßte mehrere Beiträge über die Fälschung der donauschwäbischen<br />
Zeitgeschichte von 1945 bis zum Fall des Milošević-Regimes. Die <strong>Jugoslawien</strong>deutschen<br />
waren bis 1991 e<strong>in</strong>es der Tabuthemen der stark e<strong>in</strong>geschränkten Öffentlichkeit<br />
und somit auch ke<strong>in</strong> Thema für die jugoslawische Germanistik seit dem Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs. In der Belgrader Germanistik wurden sie erst 1992 Gegenstand e<strong>in</strong>es von Žiletić<br />
veranstalteten halbsemestrigen Spezialkurses über ihre Ansiedlung, ihre Herkunft und ihre<br />
kulturelle Leistung bis zu ihrer Vertreibung. Um e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> Ansätzen schon begonnenen Rehabilitierungsprozeß<br />
den Donauschwaben gegenüber fortzusetzen und zu verstärken und der<br />
Indoktr<strong>in</strong>ierung entgegenzuwirken, plädiert er dafür, das Thema im akademischen Unterricht<br />
anzubieten. Vor allem müsse die Geschichte der Donauschwaben <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a<br />
auch e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> die Sowjetisierung <strong>Jugoslawien</strong>s und vernetzt mit den parallel laufenden<br />
Leidenswegen anderer Volksgruppen dargestellt werden, so se<strong>in</strong>e Forderung. Ebenso dürften<br />
sich die Medien <strong>in</strong> Serbien nicht mehr an den tief e<strong>in</strong>gefressenen, von ehemaligen Instituten<br />
für die Geschichte der <strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung gefälschten geschichtlichen<br />
Gegebenheiten orientieren. Erst wenn e<strong>in</strong>e ideologiefreie Geschichtsdarstellung vorliege<br />
und gelehrt werde, werde man aufhören, die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und<br />
die Donauschwaben für den serbischen Erzfe<strong>in</strong>d zu erachten. Nur so könnten die Voraussetzungen<br />
für die serbische Wiedere<strong>in</strong>gliederung <strong>in</strong> Europa geschaffen werden.<br />
Žiletić stimmt mit donauschwäbischen Historikern dar<strong>in</strong> übere<strong>in</strong>, daß die Wojwod<strong>in</strong>a-<br />
Deutschen nicht so sehr wegen ihrer Rolle während der Kriegsjahre, besonders seit der Okkupation<br />
<strong>Jugoslawien</strong>s 1941, entrechtet, enteignet und ausgerottet wurden, sondern vor<br />
allem wegen ihres beträchtlichen Vermögens an Geld, Grund und Boden, Häusern und<br />
Sachwerten. Dieses Vermögen wurde zum Aufbau der neuen kommunistischen Gesellschaftsordnung,<br />
zur E<strong>in</strong>führung der Kollektivwirtschaft benötigt. Verdiente Partisanenkämpfer<br />
konnten mit guten Häusern und fruchtbarem Boden belohnt werden, man erlangte so<br />
problemlos das wirtschaftliche Übergewicht und konnte zugleich die Macht des neuen Regimes<br />
stabilisieren. Indem man den Wojwod<strong>in</strong>a-Deutschen alle Schuld <strong>in</strong> die Schuhe schob<br />
und sie ihrer Geschichte beraubte, entschuldigte man auf der anderen Seite die Verbrechen<br />
von Kroaten und Albanern, die auf diese Weise <strong>in</strong> den neuen Staatsverband e<strong>in</strong>bezogen<br />
werden konnten. Gerade die Deutschen wären für das neue System wegen ihres Vermögens<br />
am wenigsten zu gew<strong>in</strong>nen gewesen, außerdem waren sie als Kriegsverlierer und Angehörige<br />
des bis 1949 im gesamten Europa für vogelfrei erklärten deutschen Volkes e<strong>in</strong>e leichte<br />
Beute. Dem großserbischen Nationalismus h<strong>in</strong>gegen mißt Žiletić ke<strong>in</strong>e tragende Rolle bei der<br />
Vernichtung des Deutschtums <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> durch <strong>Titos</strong> Partisanen bei.<br />
Seit ihrer Gründung 1991 <strong>in</strong> der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste bis<br />
2001 war Prof. Žiletić Vorsitzender der Gesellschaft für deutsch-serbische Zusammenarbeit,<br />
zu deren Aufgaben auch die ideologisch unverkrampfte Aufarbeitung der jüngsten Geschich-<br />
86 Vladimir Geiger (Zagreb/Agram): Das Schicksal der Donauschwaben <strong>in</strong> der Erzählung „Dreirosengasse“<br />
(„Kokak triju ruža“) des kroatischen Schriftstellers Ivan Aralica, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben.<br />
Texte aus dem Jahresprogramm 1993 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband,<br />
Heft 4, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1993, S. 179-181<br />
45
te <strong>Jugoslawien</strong>s und se<strong>in</strong>er Donauschwaben gehört. Žiletić wandte sich mit Vorträgen über<br />
die Ansiedlung der späteren Donauschwaben gegen die herrschende Me<strong>in</strong>ung, sie sei e<strong>in</strong><br />
Germanisierungsakt gewesen, und gegen e<strong>in</strong>e fast e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert andauernde Verteufelung<br />
alles Deutschen. Die Gesellschaft konnte auch die Erlaubnis erwirken, auf Massengräbern<br />
von Deutschen wie <strong>in</strong> Rudolfsgnad Gedenktafeln zu errichten und Gedenkfeiern im<br />
Beise<strong>in</strong> hoher kirchlicher Würdenträger und unter Anteilnahme der Öffentlichkeit zu organisieren.<br />
Dank dieser Pionierarbeit konnten <strong>in</strong> der Folge, wenn auch mitunter gegen heftigen<br />
Widerstand, auf serbischem Boden e<strong>in</strong>e ganze Reihe von Gedenkstätten errichtet werden:<br />
Neben Rudolfsgnad s<strong>in</strong>d dies Kik<strong>in</strong>da, Gakowa und Kruschiwl, Syrmisch Mitrowitz und Jarek.<br />
Im Juni dieses Jahres (2011) kann nun auch auf der Heuwiese bei Filipowa (heute Bački<br />
Gračac) e<strong>in</strong>e Gedenkstätte e<strong>in</strong>geweiht werden. Dort wurden am 12. November 1944 von<br />
Tito-Partisanen 212 deutsche Männer ermordet und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Massengrab verscharrt. Bei<br />
der Feier wird der Freiburger Erzbischof und Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz<br />
Robert Zollitsch zelebrieren. Er stammt aus Filipowa, se<strong>in</strong> älterer Bruder gehört zu den Opfern<br />
der Heuwiese.<br />
Lajos László, 1925 im ungarischen Szekszárd geboren, hat sich stets auf die Seite der Schwachen<br />
und Benachteiligten gestellt und sich auch <strong>in</strong> Zeiten, als dies bittere Konsequenzen<br />
nach sich ziehen konnte, unangenehmen Themen gewidmet. Von den Donauschwaben <strong>Jugoslawien</strong>s<br />
wurde es als geradezu befreiend empfunden, daß e<strong>in</strong> ungarischer Anwalt sich ihres<br />
Leidensweges annahm und ihn literarisch <strong>in</strong> ungarischer Sprache und <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>er Trilogie<br />
gestaltete. Der erste Teil Im Bergwerk spielt niemand Balalaika (1992) schildert <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Kranz von Erzählungen e<strong>in</strong>ige Schicksale von Rußlandverschleppten. Ende der 80er Jahre<br />
hatte der Autor e<strong>in</strong>e Anzahl Donauschwaben <strong>in</strong>s Lenau-Haus <strong>in</strong> Fünfkirchen e<strong>in</strong>geladen und<br />
ihre Geschichten dann literarisch aufgearbeitet. Den Mittelteil der Trilogie bildet der Roman<br />
Ich komme aus dem Todeslager (1997), er handelt über die bestialische Rache der Partisanen<br />
<strong>Titos</strong> für die Kriegsverbrechen der Deutschen während ihres <strong>Jugoslawien</strong>-Feldzuges. Die<br />
Zeit im Todeslager wird aus der Sicht der 13jährigen Esther geschildert. Die Brutalität ihrer<br />
Bewacher, der Haß und die Gefühllosigkeit, das Sterben und Morden <strong>in</strong> der Marschkolonne<br />
und im Lager Jarek gehen dem Leser unter die Haut und wirken gerade deshalb so e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich,<br />
weil sie <strong>in</strong> kurzen, e<strong>in</strong>fach strukturierten, eben k<strong>in</strong>dgemäßen Sätzen wiedergegeben<br />
werden, sie verharren <strong>in</strong> naiver Gläubigkeit an die ausgleichende Gerechtigkeit e<strong>in</strong>es göttlichen<br />
Strafgerichts und be<strong>in</strong>halten deshalb ke<strong>in</strong>e moralische Anklage. Abgeschlossen wird die<br />
Trilogie mit dem Roman Und führe uns nicht <strong>in</strong> Versuchung (1998). Dar<strong>in</strong> zeigt der Autor die<br />
Epoche nach den großen Tragödien im Leben e<strong>in</strong>er Familie gemischter Nationalität, <strong>in</strong> der<br />
sich die grausamen Ereignisse und Schicksalsprüfungen, vielmehr die schmerzlichen Er<strong>in</strong>nerungen<br />
daran bereits aufzulösen sche<strong>in</strong>en <strong>in</strong> der Wärme des familiären Beisammense<strong>in</strong>s, <strong>in</strong><br />
wiedergefundener Menschlichkeit, im Glück der Gegenwart. Allmählich rückt das Thema des<br />
geschundenen Menschen im Prozeß der sich ablösenden Generationen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e unwirkliche<br />
Ferne. 87<br />
S<strong>in</strong>iša Jakonić, 1961 <strong>in</strong> Kik<strong>in</strong>da im serbischen Banat geboren, hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Ende Dezember<br />
2002 erschienenen Buch „Zloč<strong>in</strong>i Miloševićeve tajne policije“ (Die Verbrechen der Geheimpolizei<br />
von Milošević, 2002) auch das Schicksal der Donauschwaben offen angesprochen, als<br />
87 <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: Trilogie des geschundenen Menschen (Besprechung Lajos László: Im Bergwerk spielt niemand<br />
Balalaika / Ich komme aus dem Todeslager / Und führe uns nicht <strong>in</strong> Versuchung), <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter<br />
1999/4, S. 406 f.; Donaudeutsche Nachrichten, Folge 6, 1999, S. 22; Deutsches Wort 35/2000, S. 27 f.<br />
(mit Übersetzung <strong>in</strong>s Kroatische); Das Donautal-Magaz<strong>in</strong> v. 1.12.1999, S. 13<br />
46
e<strong>in</strong>er der ersten serbischen Autoren hat er öffentlich auf die Massengräber im Lande h<strong>in</strong>gewiesen.<br />
88<br />
Im Falle <strong>Jugoslawien</strong>s hat e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert der Vertuschung, der ideologisch aufbereiteten<br />
Geschichte und der e<strong>in</strong>seitigen Erziehung e<strong>in</strong>en „e<strong>in</strong>geschüchterten, handlungsscheuen<br />
Menschen mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>seitigen geistigen Ausrichtung“ geformt, der vollständig abhängig<br />
war von der Verwaltung und der Staatswirtschaft, kaum e<strong>in</strong>en wirtschaftlichen Rückhalt hatte<br />
und nur im Geiste des Regimes geduldete und überwachte Gruppierungen bilden konnte.<br />
Dennoch waren die Leute nach den Beobachtungen B<strong>in</strong>zbergers ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> ihrer Gesamtheit<br />
gebrochen, sondern wichen anarchisch der Bedrängung von oben aus, entzogen<br />
sich dem als bedrohlich erlebten Staat und konspirierten je nach Interessenlage. Dieses distanziert-ablehnende<br />
Verhältnis des Untergebenen zum Staat hatte B<strong>in</strong>zberger auch schon<br />
vor dem Krieg registriert.<br />
Zu allen Zeiten und <strong>in</strong> allen Völkern tauchen jedoch immer wieder unerschrockene e<strong>in</strong>zelne<br />
auf, die ihrer tyrannischen Obrigkeit die Stirn bieten und unter Lebensgefahr versuchen, deren<br />
Lügengebäude zum E<strong>in</strong>sturz zu br<strong>in</strong>gen. Zu diesen mutigen Verfechtern der Wahrheit<br />
gehören auch der 1989 verstorbene Banater Serbe Luka Nadlački und der 1961 <strong>in</strong> Kik<strong>in</strong>da<br />
geborene Serbe S<strong>in</strong>iša Jakonić. Der gebildete Historiker und Leiter des Kik<strong>in</strong>daer Zentralarchivs<br />
Nadlački machte sich Toma Granfil, e<strong>in</strong> prom<strong>in</strong>entes Mitglied des Tito-Regimes, zum<br />
Intimfe<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>dem er sich dessen Wunsch verweigerte, se<strong>in</strong>e zwielichtige Vergangenheit zu<br />
frisieren.<br />
Granfil hatte nämlich allem Ansche<strong>in</strong> nach, so behauptet Jakonić, als Doppelagent zwischen<br />
Kommunisten und Nazis fungiert. Er sei verantwortlich gewesen für die Versorgung oder<br />
besser Unterversorgung der donauschwäbischen Hungerlager, für die Plünderung der nicht<br />
unbeträchtlichen deutschen Vermögen, deren Filetstücke er se<strong>in</strong>em Privatvermögen zuführte.<br />
Er habe auch dafür gesorgt, daß alle Deutschen eigens erschlagen wurden, die zu Zeugen<br />
se<strong>in</strong>es Tuns geworden waren. Nach Jakonić war er neben Tito der Hauptverantwortliche für<br />
die Verbrechen an den Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s.<br />
Nadlački jedenfalls stellte sich Granfils Ans<strong>in</strong>nen entgegen, belastende Dokumente zu vernichten.<br />
Der <strong>in</strong>tegere Archivar fiel daraufh<strong>in</strong> <strong>in</strong> Ungnade, wurde entlassen und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ganzen<br />
Existenz ru<strong>in</strong>iert, während aus dem Archiv verräterische Spuren über den verheimlichten<br />
<strong>Genozid</strong> verschwanden. Unbeugsam sammelte Nadlački jedoch vierzig Jahre lang beweiskräftiges<br />
Material über Granfil und veröffentlichte es ab Anfang der achtziger Jahre. Da weder<br />
polizeiliche E<strong>in</strong>schüchterung noch ständige Überwachung, ja nicht e<strong>in</strong>mal drei Mordanschläge<br />
durch f<strong>in</strong>gierte Autounfälle, von denen der letzte ihn zum Invaliden machte, etwas<br />
an se<strong>in</strong>er Haltung ändern konnten, wurde der junge Inspektor der geheimen Staatspolizei<br />
S<strong>in</strong>iša Jakonić auf ihn angesetzt, um ihn zu verhören und gefügig zu stimmen. Die <strong>in</strong>tensiven<br />
Gespräche unter den beiden ließen jedoch e<strong>in</strong>e enge Ges<strong>in</strong>nungsverwandtschaft zutage treten,<br />
die sie zu Verbündeten schmiedete. Dem Argusauge des Überwachungsapparates<br />
entg<strong>in</strong>g dies freilich nicht, was Jakonić zum Verhängnis wurde. Er verlor Posten, guten Ruf<br />
und jede Chance auf e<strong>in</strong>e neue Anstellung. Jahrelang kämpfte er verbittert um se<strong>in</strong>e Rehabilitierung,<br />
das korrupte System saß jedoch bis zum Regimewechsel im Oktober 2000 am längeren<br />
Hebel.<br />
88 Vor ihm hat bereits Slobodan Maričić, vermutlich als erster serbischer Autor, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch Susedi, dželati<br />
žrtve. Folksdojčeri u jugoslaviji (Nachbarn, Henker, Opfer. Volksdeutsche <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>), Beograd 1995 auf die<br />
Internierungslager für die donauschwäbische Bevölkerung h<strong>in</strong>gewiesen. Er zählt Arbeits-, K<strong>in</strong>der-, Kranken- und<br />
Konzentrationslager auf im Banat, der Batschka, Slawonien und der Baranja, <strong>in</strong>sgesamt 78.<br />
47
Bis dah<strong>in</strong> versuchte Jakonić, se<strong>in</strong> gefährliches Wissen über die Massenmörder der jugoslawischen<br />
Vernichtungslager zu publizieren und gegen die damals Befehlsgewaltigen Strafanzeige<br />
zu erstatten. In den neunziger Jahren konnte er etliche Artikel über das heikle Thema <strong>in</strong><br />
verschiedenen Zeitungen im Lande veröffentlichen. Se<strong>in</strong> am 16. April 1993 <strong>in</strong> dem Sonntagsblatt<br />
„Balkan Ekspres“ veröffentlichter Text „Die Wahrheit über die geheimen Gräber“ war<br />
wohl der erste se<strong>in</strong>er Art schlechth<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>. E<strong>in</strong>en gegen ihn wegen Rufschädigung<br />
angestrengten Prozeß gewann er. In se<strong>in</strong>em 1992 geschriebenen, aber erst zehn Jahre später<br />
erschienenen Buch „Die Verbrechen der Geheimpolizei von Milošević“ schreibt Jakonić auch<br />
über den <strong>Genozid</strong> an den Deutschen, den Juden und Serben, zudem über ungarische Opfer<br />
und bestätigt die Angaben, wie sie von donauschwäbischer Seite im „Leidensweg“ vorgelegt<br />
wurden. Dar<strong>in</strong> offenbart er das Ausmaß der Kriegsverbrechen durch die jugoslawischen<br />
Kommunisten wie auch die Dimension des Lagersystems im Lande, er entwickelt e<strong>in</strong>e überraschend<br />
differenzierte Sicht auf die Donauschwaben mit ihrem Vorbildcharakter und ihrer<br />
weitgehenden Loyalität, er nennt die Gründe ihrer Flucht oder ihres Bleibens, enthüllt die<br />
Verschleierung der Wahrheit über sie und stellt resigniert fest, daß auch nach 55 Jahren viele<br />
Tatsachen immer noch verschleiert werden. Vergeblich bot er das Manuskript 15 Verlagen<br />
zur Veröffentlichung an, unterbreitete es 1997 und 1999 sogar der Deutschen Botschaft –<br />
ohne Erfolg. Als se<strong>in</strong> Buch schließlich im Dezember 2002 erschien, trug es bezeichnenderweise<br />
weder den Namen e<strong>in</strong>es Verlags noch den e<strong>in</strong>er Druckerei. Der Autor mußte auf den<br />
Straßen selbst für den Vertrieb se<strong>in</strong>es Werkes sorgen und machte die Erfahrung, daß die<br />
Leute ihm die Ware buchstäblich aus der Hand rissen.<br />
Jakonić begrüßt übrigens nicht nur die Gedenkstätte <strong>in</strong> Kik<strong>in</strong>da, sondern hat selbst schon <strong>in</strong><br />
den Jahren 1992, 1997 und 1999 der katholischen wie auch orthodoxen Kirche von Kik<strong>in</strong>da<br />
vorgeschlagen, auf den Gräbern Kreuze zu errichten, allerd<strong>in</strong>gs trafen se<strong>in</strong>e Vorstöße auf<br />
wenig Gegenliebe. Dergestalt gehört der streitbare Ex-Polizist neben Nadlački zu den besten<br />
Beispielen für e<strong>in</strong>en von ihm selbst geprägten Satz: „So wie es ke<strong>in</strong>e Kollektivschuld gibt, gibt<br />
es auch bei ke<strong>in</strong>em Volke e<strong>in</strong> völliges Schweigen.“ 89<br />
Der junge, 1971 <strong>in</strong> Zrenjan<strong>in</strong> (früher Großbetschkerek) geborene serbische Schriftsteller<br />
Uglješa Šajt<strong>in</strong>ac hat als erster nach dem Heimatbuch von Kaća Čelan aus dem Jahr 1989 e<strong>in</strong><br />
Schauspiel über das Schicksal der aus <strong>Jugoslawien</strong> verschwundenen Donauschwaben geschrieben:<br />
„Das Banat“. Ebenso wie Čelans Drama durchbricht dieses Bühnenstück die noch<br />
von <strong>Titos</strong> und Milošević’ Zeiten nachwirkende Doktr<strong>in</strong>. Das 2003 <strong>in</strong> Zrenjan<strong>in</strong> fertiggestellte<br />
Stück ist die erste und e<strong>in</strong>zige Arbeit des Autors, die sich mit diesem Thema ause<strong>in</strong>andersetzt.<br />
Ob der Vater des Autors, der Lyriker und Romancier Radivoj Šajt<strong>in</strong>ac, dazu angeregt<br />
hat?<br />
Uglješa Šajt<strong>in</strong>ac diplomierte 1999 an der Fakultät für dramaturgische Künste <strong>in</strong> Belgrad. Neben<br />
Beiträgen <strong>in</strong> verschiedenen serbischen Zeitschriften hat er e<strong>in</strong>en Roman und e<strong>in</strong>en Band<br />
mit Erzählungen veröffentlicht. E<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Erzählungen ist auch <strong>in</strong> der Anthologie der neueren<br />
serbischen Prosa vertreten. Aufgeführt wurden die Dramen Requisiteur von 1999 im serbischen<br />
Volkstheater <strong>in</strong> Novi Sad, Sprechen Sie australisch? von 2001 im Volkstheater „Toša<br />
Jovanović“ <strong>in</strong> Zrenjan<strong>in</strong> und Huddersfield von 2004 auf der Szene im <strong>West</strong>yorkshire Playhouse<br />
<strong>in</strong> Leeds sowie an der Volksbühne Berl<strong>in</strong>.<br />
Durch Zufall ist der aus Futok stammende und <strong>in</strong> Erlangen lebende Donauschwabe <strong>Stefan</strong><br />
Barth an den serbischen Text des Schauspiels „Das Banat“ herangekommen und hat ihn<br />
89 Vgl. <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: Stationen e<strong>in</strong>er Annäherung. Serben und Donauschwaben seit dem Ende des Zweiten<br />
Weltkriegs (1. Fortsetzung), <strong>in</strong>: Das Donautal-Magaz<strong>in</strong> Nr. 127 vom 1. März 2004, S. 12-17<br />
48
spontan <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt. Schon lange hatte er nämlich nach Werken <strong>in</strong> der serbischen<br />
Literatur Ausschau gehalten, die das Thema „Donauschwaben“ nicht propagandistisch<br />
verzerrt, sondern objektiv für beide Seiten bearbeiten. Barths Idee, das Stück im Rahmen<br />
e<strong>in</strong>er von ihm im Jahr 2004 auf die Be<strong>in</strong>e gestellten Ausstellung über die Donauschwaben <strong>in</strong><br />
Novi Sad aufführen zu lassen und zugleich e<strong>in</strong>en Runden Tisch mit Historikern zu veranstalten,<br />
ließ sich aus Geld- und Zeitmangel leider nicht verwirklichen. Se<strong>in</strong>e Anläufe, es <strong>in</strong><br />
Deutschland auf die Bühne zu br<strong>in</strong>gen, s<strong>in</strong>d bisher gescheitert. E<strong>in</strong> Verleger hat sich bedauerlicherweise<br />
auch noch nicht gefunden. „Das Banat“ wurde bisher nur am Jugoslawischen<br />
Dramentheater <strong>in</strong> Belgrad aufgeführt ( JDP = Jugoslovensko dramsko pozoriste u Beogradu).<br />
Es gibt auch e<strong>in</strong>e englische Übersetzung. Der Titel wurde angepaßt <strong>in</strong> „Borderland“.<br />
Schauplatz dieses Stücks ist das nach Hitlers Überfall auf <strong>Jugoslawien</strong> von Deutschen okkupierte<br />
serbische Banat gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Seit dem tragischen Tod se<strong>in</strong>er<br />
Frau durch e<strong>in</strong>e Erntemasch<strong>in</strong>e hat der e<strong>in</strong>st ehrgeizige deutsche Landwirt Josef Wolf jeden<br />
Antrieb verloren, se<strong>in</strong>e Pferde verkauft, das Feld verpachtet und sitzt nur noch rauchend im<br />
Hof herum. Se<strong>in</strong>e vierzehnjährige Tochter Magdalena hat Sehnsucht nach ihrer Mutter. Sie<br />
phantasiert an e<strong>in</strong>em Brunnen – <strong>in</strong> Märchen und Sagen das Tor <strong>in</strong>s Jenseits und zurück – von<br />
Selbstmord und stickt wie besessen, um Er<strong>in</strong>nerungszeichen ihrer Existenz zu h<strong>in</strong>terlassen.<br />
Statt gewöhnlicher Bauer ist der achtzehnjährige Sohn Erw<strong>in</strong> Soldat mit großdeutscher Ges<strong>in</strong>nung<br />
geworden, er trägt schwarze Uniform mit dem Abzeichen der SS-Truppen. Die Fotographie<br />
se<strong>in</strong>er Mutter an der Stubenwand ersetzt er durch e<strong>in</strong> Hitler-Porträt, brüllt davor mit<br />
Führergruß die „Hymne der Banater Deutschen“ und kann sich zwischen dem Kreuz Christi<br />
um se<strong>in</strong>en Hals und dem Hakenkreuz auf se<strong>in</strong>er Armb<strong>in</strong>de nicht entscheiden, wenngleich der<br />
Vater ihn warnt, wie unvere<strong>in</strong>bar beide s<strong>in</strong>d. Der konservative Vater ist gläubiger Katholik, er<br />
personifiziert e<strong>in</strong>e breite bäuerliche Schicht der Donauschwaben, die den Nationalsozialismus<br />
entschieden ablehnte. Auch se<strong>in</strong> Name Josef deutet auf glaubensfeste Frömmigkeit.<br />
Dies ist die Ausgangssituation des Schauspiels.<br />
Nicht <strong>in</strong> Akte, sondern <strong>in</strong> 16 Szenen ist das Schauspiel unterteilt, deren Sequenzen sich <strong>in</strong> der<br />
zweiten Hälfte beschleunigen und teilweise <strong>in</strong> zwei parallelen Aktionen über die Bühne gehen.<br />
Parallel, aber doch entgegengesetzt s<strong>in</strong>d auch die extremen Figuren des Stücks. Auf der<br />
e<strong>in</strong>en Seite der dem Nationalsozialismus verfallene Erw<strong>in</strong> und dessen jüngere Schwester<br />
Magdalena, auf der anderen der vom Kommunismus <strong>in</strong>doktr<strong>in</strong>ierte Dobrivoj und dessen<br />
ebenfalls jüngere, wiederum stickende Schwester Djudja. Zur Ideologie Erw<strong>in</strong>s gehört der<br />
Glaube an die Überlegenheit der deutschen Zivilisation, die Kolonisten auch <strong>in</strong>s Banat gebracht<br />
und das Land aufgebaut haben, nunmehr aber von neidischen Fe<strong>in</strong>den umz<strong>in</strong>gelt leben<br />
müssen. Zu Dobrivojs Ideologie gehört die Bereitschaft, um der Revolution willen rücksichtslos<br />
über Leichen zu gehen, gleichgültig, ob Freund oder Fe<strong>in</strong>d. Er wird damit der Bedeutung<br />
se<strong>in</strong>es Namens „Guter Kämpfer“ gerecht. Sowohl Dobrivoj wie auch Erw<strong>in</strong> verarmen<br />
menschlich dadurch, daß sie sich von e<strong>in</strong>er Ideologie vere<strong>in</strong>nahmen lassen, ihren<br />
Schwestern dagegen ist dieser Vorgang nicht geheuer, gefühlsmäßig lehnen sie sich dagegen<br />
auf, verharren aber beim Sticken, während die mörderische Konfrontation ihrer Brüder sich<br />
zuspitzt.<br />
Zwischen den Fronten steht der pazifistisch e<strong>in</strong>gestellte Student Svetislav, Sohn e<strong>in</strong>es reichen<br />
serbischen Bauern. Er verkehrt sogar im Hause der Wolfs, respektiert – zum<strong>in</strong>dest<br />
symbolisch – den Führer und hegt gewisse Sympathien für die Deutschen, läßt sich aber von<br />
ihrer straffen Organisation und kriegstechnologischen Überlegenheit nicht blenden. Entrüstet<br />
ist er über die Schleifung der Synagogen, obwohl es ke<strong>in</strong>e Juden mehr gibt. Die maßlose<br />
Vergeltungspraxis der Deutschen gegenüber den Partisanen f<strong>in</strong>det er deprimierend, sie ver-<br />
49
schaffe ihnen lediglich Zulauf. Erw<strong>in</strong> hält er für e<strong>in</strong>en unglücklichen, verirrten Hitzkopf, der<br />
das am meisten haßt, wovon er am wenigsten weiß, der aber im Grunde e<strong>in</strong> guter Junge sei.<br />
Se<strong>in</strong>e unkorrumpierte Haltung br<strong>in</strong>gt ihm zwar nicht Erw<strong>in</strong>s, aber Magdalenas Vertrauen e<strong>in</strong>.<br />
Ihr zeigt er abseits des Dorfes durchs Fernglas, wie Kommunisten von den Nazis zu Dutzenden<br />
h<strong>in</strong>gerichtet werden. Wenig später liquidieren die Partisanen se<strong>in</strong>en eigenen Vater, e<strong>in</strong>en<br />
Kommunistengegner. Angesichts e<strong>in</strong>er grotesken, unwirklich ersche<strong>in</strong>enden Welt des<br />
gegenseitigen Mordens f<strong>in</strong>den die m<strong>in</strong>derjährige Deutsche und der verunsicherte Serbe vor<br />
allem über das Thema Film und K<strong>in</strong>o zue<strong>in</strong>ander, dort suchen sie Wahrheit. Svetislav hat<br />
sogar davon geträumt, K<strong>in</strong>obesitzer zu werden und amerikanische Filme vorzuführen.<br />
Zwischen Svetislav auf der e<strong>in</strong>en, Dobrivoj und Djudja auf der anderen Seite kommt es zum<br />
Zerwürfnis. Zu unversöhnlich prallen die weltanschaulichen Haltungen aufe<strong>in</strong>ander. Erw<strong>in</strong><br />
kehrt mit Eisernem Kreuz dekoriert, aber verkrüppelt von der <strong>Ost</strong>front heim. Nun durchschaut<br />
er die Propagandalügen im K<strong>in</strong>o und ist von den Nazis kuriert. Das Hitler-Porträt <strong>in</strong><br />
der Stube der Wolfs wird wieder entfernt. Aber die Heimat ist verloren. Svetislav überbr<strong>in</strong>gt<br />
die Botschaft: „In Rumänien morden die Russen die Deutschen.“ Die Wolfs packen und flüchten.<br />
Zum Abschied schenkt Magdalena ihrem serbischen Freund e<strong>in</strong> von ihr besticktes Taschentuch;<br />
durch ihn von ihrer Besessenheit befreit, geht sie, analog ihrer biblischen Namensgeber<strong>in</strong>,<br />
ihrem Golgatha entgegen.<br />
Die Partisanen haben nun das Regiment übernommen und <strong>in</strong>ventarisieren den zurückgelassenen<br />
Besitz der Deutschen. Der Partisan Dobrivoj bedient sich am „göttlichen“ We<strong>in</strong> der<br />
Wolfs. Ihr Hof ist wüst und leer. Djudja empf<strong>in</strong>det die Selbstbereicherung der Partisanen an<br />
den Häusern der Schwaben als Schande, während Dobrivoj dieses Vorgehen als ausgleichende<br />
Gerechtigkeit legitimiert. Er berichtet Djudja von der Gefangennahme des deutschen<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gstrecks. Er sei im Lager für deutsche Gefangene gewesen, „um zu überprüfen, wer<br />
von hier ist, ob es unter ihnen Kriegsverbrecher gibt, damit man die Verzeichnisse abgleichen<br />
kann“. Dabei habe er erfahren, daß Erw<strong>in</strong> sich als SS-Angehöriger der Rache der Partisanen<br />
durch Selbstmord entzog. Se<strong>in</strong> Vater sei an Herzversagen <strong>in</strong> Magdalenas Armen gestorben.<br />
Das Mädchen, „nicht ganz bei Verstand“, wolle sich auf e<strong>in</strong>er tropischen Insel verstecken.<br />
Was Dobrivoj nicht weiß: Sie hat dabei den Film „La Habanera“ mit Zarah Leander von Detlev<br />
Sierck als Vorbild im S<strong>in</strong>n, von dessen Inhalt Svetislav ihr erzählt hat.<br />
In der letzten Szene bef<strong>in</strong>det sich Svetislav auf e<strong>in</strong>em Schiff nach Australien. Dort trifft er<br />
Mathias Häuser, e<strong>in</strong>en ehemaligen deutschen Soldat aus Dresden. Auch dessen Vater wurde<br />
als Kommunist von den Nazis umgebracht. Auf se<strong>in</strong>em Grammophon spielt Häuser das Lied<br />
„Ich weiß, es wird e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Wunder geschehn“ von Zarah Leander. Svetislav denkt dabei<br />
mit geschlossenen Augen an Magdalena. Dies suggeriert jedenfalls das gestickte Taschentuch<br />
von ihr, das er <strong>in</strong> Händen hält, sowie Magdalenas paralleles Ersche<strong>in</strong>en am anderen<br />
Ende der Szene. Die Musik verschmilzt mit ihrer Gestalt; sie selbst sche<strong>in</strong>t das Lied zu s<strong>in</strong>gen.<br />
Am Ende des Schauspiels verschränken sich die schreckliche Wirklichkeit und die Flucht aus<br />
ihr zur Sehnsuchtsmelodie nach e<strong>in</strong>er heilen Welt.<br />
E<strong>in</strong>e ausführliche Inhaltsangabe erschien hier s<strong>in</strong>nvoll, weil „Das Banat“ nicht greifbar ist.<br />
Durch die Parallelisierung der zwei großen Trugbilder des 20. Jahrhunderts, des Kommunismus<br />
und des Nationalsozialismus, gel<strong>in</strong>gt es dem Dramatiker, e<strong>in</strong>e starke Ambivalenz aufrechtzuerhalten<br />
und e<strong>in</strong> relativ unparteiisches, aufklärendes und vielschichtiges Drama vorzulegen,<br />
das Verstrickung und Schuld nicht nur auf e<strong>in</strong>er Seite sucht. Die Momentaufnahme<br />
e<strong>in</strong>er epochalen Umwälzung präsentiert sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher, aber konzentrierter Sprache, die<br />
Dialoge s<strong>in</strong>d so sparsam wie das Bühnenbild. Freilich bleibt, im Gegensatz zu Kaća Čelans<br />
Theaterstück, das im Lager Gakowa spielt, die furchtbare Fratze der Partisanenherrschaft,<br />
50
wie sie sich <strong>in</strong> den Massenerschießungen der donauschwäbischen Intelligenz und der Vernichtung<br />
der nicht arbeitsfähigen Bevölkerung <strong>in</strong> Hungerlagern darbot, völlig ausgeblendet.<br />
Vor allem <strong>in</strong> der Neigung zwischen Magdalena und Svetislav spiegelt sich e<strong>in</strong> auch <strong>in</strong> dieser<br />
Zeit heil gebliebenes Humanum als Möglichkeit. Denn wo das Schicksal es <strong>in</strong> der Wirklichkeit<br />
nicht zuläßt, auf der Ebene der Fiktion wenigstens (nämlich durch Film und Filmmusik) überschreitet<br />
Liebe die bornierten Grenzen von Vorurteil, Völkerhaß und Ideologie. Das Medium<br />
des Films eignet sich jedoch gleichermaßen zur Verbreitung von Lüge wie von Wahrheit.<br />
Šajt<strong>in</strong>ac zeigt beide Möglichkeiten.<br />
Zwei von der herkömmlichen parteigelenkten Sprachregelung abweichende Sentenzen seien<br />
hier noch herausgegriffen. Der unorthodoxe Svetislav sagt im Zusammenhang mit Hitlers<br />
Überfall auf <strong>Jugoslawien</strong>: „Den Pakt hätte man unterschreiben sollen. Es hätte ke<strong>in</strong>e Zerstörung<br />
gegeben. Die begeisterte Menge Unwissender jubelte und brüllte aus lauter Trotz.“<br />
Auch e<strong>in</strong>e Aussage Dobrivojs mag überraschen: „Jetzt holen sie die Verzeichnisse heraus, und<br />
solange die Deutschen da s<strong>in</strong>d, säubern sie. Es verraten uns die, die unsere Sprache sprechen.<br />
Sie leben hier mit uns. Sie verraten uns aus Angst und weil es Mistkerle s<strong>in</strong>d, schlimmer als<br />
jeder deutsche Mistkerl.“ 90<br />
Dragi Bugarčić kam 1948 <strong>in</strong> Werschetz zur Welt, auf serbisch Vršac genannten, nahe der<br />
rumänischen Grenze im serbischen Banat. Bugarčić engagiert sich seit vielen Jahren für die<br />
Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben. Seit 1999 wirkt er als Gründungsmitglied<br />
von „Društvo srpsko-nemačko-austrijskog prijateljstva“ (1999), auf deutsch: Vere<strong>in</strong> der Serbisch-Deutsch-Österreichischen<br />
Freundschaft, wo er den Vorsitz des Vere<strong>in</strong>svorstandes <strong>in</strong>nehat.<br />
Auch das dem gleichen Zweck dienende Wiener Dialogsymposium ARDI unterstützt<br />
er.<br />
Se<strong>in</strong> neuester Roman kam 2006 <strong>in</strong> Belgrad unter dem Titel Sporedna ulica heraus. Wörtlich<br />
übersetzt bedeutet das „Nebengasse“. In der deutschen Ausgabe, die 2010 erschien, heißt<br />
der Roman Dreilaufergasse, so der alte deutsche Name der betreffenden Straße <strong>in</strong> Vršac.<br />
„Dreilaufergasse“ ist e<strong>in</strong>e Erzählung über die Verbrechen, die an den Bewohnern der Stadt<br />
Werschetz am Ende des Zweiten Weltkrieges begangen wurden. Die Russen haben die Stadt<br />
von allen Seiten umstellt, man hört den dumpfen Donner der Katjuscha. Dann rollt die Rote<br />
Armee durch die Straßen. Nach ihrem glorreichen E<strong>in</strong>marsch verschw<strong>in</strong>den die Bewohner<br />
zur Zwangsarbeit und h<strong>in</strong>terlassen gespenstische Leere. Die Sieger ziehen saufend durch die<br />
Häuser, vergewaltigen die zurückgebliebenen Frauen. Als e<strong>in</strong> russischer Major von e<strong>in</strong>er<br />
Sauftour nicht zurückkommt, durchkämmen se<strong>in</strong>e Kameraden die Häuser, entdecken se<strong>in</strong>en<br />
Leichnam schließlich vergraben <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Misthaufen. Er wurde erschlagen, als er sturzbetrunken<br />
se<strong>in</strong>e unfreiwillige junge Wirt<strong>in</strong> vergewaltigen wollte. Deren im Hof versteckter Bruder<br />
war ihr zu Hilfe geeilt. Das eigentliche Verbrechen ist nun aber die schändliche Rache<br />
dafür, nämlich die Erschießung aller Bewohner der Dreilaufergasse, mehr als 130 Menschen.<br />
Tagelang karren angeheuerte Zigeuner die Leichen auf die Sch<strong>in</strong>derwiese zu den Tierkadavern<br />
außerhalb der Stadt und verscharren sie ohne Kennzeichnung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Massengrab.<br />
Von diesem lokalen Ereignis löst und erweitert sich der Blick alsbald auf die vorausgegangene<br />
und folgende Verkettung von Verbrechen. Das Generalthema dieses Romans reicht von<br />
der Ansiedlung der Deutschen <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a am Ende des 18. Jahrhunderts bis zu ihrer<br />
90 Vgl. <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: „Das Banat“, e<strong>in</strong> neues serbisches Schauspiel über die Donauschwaben, <strong>in</strong>: fenster,<br />
Karlowitz, August 2005, Nr. 03, S. 9-11; „Das Banat“, e<strong>in</strong> neues serbisches Schauspiel auch über Donauschwaben,<br />
<strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2005/4, S. 358-360<br />
51
Vertreibung und Auslöschung von 1944 bis 1948. Im Mittelpunkt steht aber das dann über<br />
e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert währende Schweigen über ihre ehemalige Anwesenheit wie auch ihr<br />
Verschw<strong>in</strong>den aus dem Land. Dabei bleiben die Verbrechen der Deutschen Wehrmacht nicht<br />
ausgeblendet, sondern bilden den H<strong>in</strong>tergrund für e<strong>in</strong>e systematisch betriebene und ausgesucht<br />
grausame Vergeltung, für den <strong>Genozid</strong> an den Deutschen <strong>Jugoslawien</strong>s. E<strong>in</strong>em staatlich<br />
verordneten Credo gel<strong>in</strong>gt es bis heute, dieses Nachkriegsverbrechen aus dem Gedächtnis<br />
der jugoslawischen Völker wie auch der übrigen Welt zu verbannen. Doch hat die nie<br />
ganz unterbrochene konspirative Überlieferung des Ungeheuerlichen e<strong>in</strong>e komplette Gehirnwäsche<br />
verh<strong>in</strong>dern können. Dennoch durfte ke<strong>in</strong>er ungestraft über die Greueltaten der<br />
Partisanen publizieren oder öffentlich reden. Parteien, e<strong>in</strong>flußreiche Gruppen und mächtige<br />
E<strong>in</strong>zelpersonen diktierten e<strong>in</strong>e kraß schöngefärbte Version der eigenen Vergangenheit.<br />
Um die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, nimmt der Romanautor Dragi Bugarčić<br />
durch die E<strong>in</strong>führung mehrerer Erzählebenen mehrfachen Anlauf.<br />
Diese Erzählebenen wechseln sich gegenseitig ab, auch im Schriftbild übrigens, sie fragmentieren<br />
den Roman <strong>in</strong> viele überschaubare Episoden, die immer neue Perspektiven eröffnen,<br />
sukzessive Informationen preisgeben, sich gegenseitig erhellen und verweben, dem Roman<br />
Spannung und Tiefe verleihen. Dieses dialektische Spiel mit e<strong>in</strong>er Kakophonie von Stimmen,<br />
mit These, Antithese und Synthese führt schließlich zu e<strong>in</strong>er Objektivierung des sensiblen<br />
Themenkomplexes. Wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Thriller wird das Verbrechen Stück für Stück <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Schuldzusammenhang aufgedeckt und läßt se<strong>in</strong>e erschreckende Fratze unverhüllt sehen.<br />
E<strong>in</strong> Strang der Erzählung versetzt uns nach Werschetz zwanzig Jahre nach den Pogromen,<br />
also im Jahr 1964. Im damaligen Vielvölkerstaat <strong>Jugoslawien</strong> herrscht Tito mit se<strong>in</strong>er kommunistischen<br />
Ideologie. Hauptfigur ist jetzt der Erzähler und Romanschriftsteller Danilo<br />
Kopča als Gegenstand der Erzählung. Er wagt es, brisante Themen aufzugreifen, <strong>in</strong>vestigative<br />
Prosa zu schreiben, über das Wesen des Krieges nachzudenken, die Geschichte der Donauschwaben<br />
aufzurollen, die Leichen im Keller se<strong>in</strong>er Vaterstadt Werschetz beim Namen zu<br />
nennen. Dar<strong>in</strong> gleicht er spiegelbildlich se<strong>in</strong>em Schöpfer Dragi Bugarčić. Doch Kopča kapituliert<br />
am Ende vor der repressiven Macht des Staates und begibt sich als e<strong>in</strong>geschüchterter<br />
Untertan <strong>in</strong> Selbstzensur.<br />
Am Ende des Romans münden alle se<strong>in</strong>e Erzählebenen <strong>in</strong> die sozusagen nunmehr voll orchestrierte<br />
f<strong>in</strong>ale Apokalypse der Donauschwaben: e<strong>in</strong>erseits <strong>in</strong> der Werschetzer<br />
Dreilaufergasse, dann im größten Vernichtungslager Rudolfsgnad, schließlich ausgedehnt auf<br />
den ganzen Archipel GuLag der Wojwod<strong>in</strong>a. Das Grundmotiv des Völkermords an der deutschen<br />
Volksgruppe <strong>in</strong> <strong>Titos</strong> <strong>Jugoslawien</strong> wird multiperspektivisch dargestellt, man könnte<br />
geradezu sagen: e<strong>in</strong>gehämmert. Selbst der Epilog vertieft das Thema noch e<strong>in</strong>mal, bevor er<br />
Helmut darauf warten läßt, von den Partisanen abgeholt zu werden. In dieser abschließenden<br />
Reprise wird so das Leitmotiv e<strong>in</strong> letztes Mal variiert und zugleich umgepolt. Die Schrecken,<br />
die längst vergangen schienen und sich bis dah<strong>in</strong> aus der Retrospektive darboten, werden<br />
im Zustand angsterfüllter Erwartung als unmittelbar bevorstehend vergegenwärtigt und<br />
dadurch abermals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glicher, nicht mehr zu überbietender Steigerung heraufbeschworen.<br />
E<strong>in</strong> Ende im Inferno der Angst, ohne versöhnlichen Abschluß, anders gesagt: e<strong>in</strong> F<strong>in</strong>ale,<br />
dem die Versöhnung noch fehlt, e<strong>in</strong> herausfordernd offener Schlußakkord also, der offenbar<br />
etwas Neues <strong>in</strong> Gang setzen will.<br />
52
Danach folgt nur noch buchhalterisch trocken: „Am vierzehnten Oktober zweitausendvier<br />
war der letzte Satz dieses Romans geschrieben.“ 91 Diese Bemerkung er<strong>in</strong>nert uns an den eigentlichen<br />
Verfasser des Romans, der alle Fäden <strong>in</strong> der Hand hält und gleichsam e<strong>in</strong>e fünfte,<br />
übergeordnete und ständig immanente Erzählebene e<strong>in</strong>nimmt. Hier, wo sie zum e<strong>in</strong>zigen<br />
Mal explizit wird, schlägt das Ende e<strong>in</strong>en schalkhaften Bogen zurück bis zum Anfang des<br />
Werks.<br />
Der Knoten des Romans „Dreilaufergasse“ schürzt sich am Ende so unentr<strong>in</strong>nbar, als sollte<br />
dem Leser ke<strong>in</strong> Schlupfloch zugestanden werden, die grauenhaften, über mehr als zwei Generationen<br />
tabuisierten Ereignisse weiterh<strong>in</strong> zu verdrängen oder zu verschleiern. Sie stehen<br />
nun mit voller Wucht am Tageslicht, allen sichtbar, empathisch und beredsam, gewissenhaft<br />
und ungeschm<strong>in</strong>kt, ohne Unterschlagung, ohne Verharmlosung. Daß es e<strong>in</strong> Serbe ist, der<br />
diesen Stoff ausgräbt und nicht nur wohl<strong>in</strong>formiert darstellt, sondern auch vielstimmig und<br />
kunstvoll verwoben, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er berührenden, nachdenklich stimmenden Form erzählt, ist alles<br />
andere als e<strong>in</strong>e Beiläufigkeit. Es ist die Pforte zu e<strong>in</strong>em historischen Durchbruch. Mit bisher<br />
nicht dagewesener Ehrlichkeit und historischer Tiefenschärfe werden die dämmrigen Zonen<br />
e<strong>in</strong>er abträglichen Des<strong>in</strong>formationspolitik ausgeleuchtet. Alle<strong>in</strong> die Gedanken über Kriegsvermeidung<br />
und Friedenserhaltung machen die Lektüre dieses Romans lohnend. Fazit: Feige<br />
Übeltäter, die ihrer Strafe entkommen, erhalten so wieder ausreichend Zeit, um anderswo<br />
neue Konflikte anzuzetteln und über unschuldige Opfer h<strong>in</strong>wegzutrampeln. Genau dies ist<br />
auf dem Balkan geschehen.<br />
Dragi Bugarčić hat mit diesem Roman dem donauschwäbischen Schicksal, den deutschen<br />
Opfern, aber auch der verleugneten Vergangenheit se<strong>in</strong>es Landes e<strong>in</strong> erschütterndes Denkmal<br />
gesetzt, das durch se<strong>in</strong>e dichterische Intensität unter die Haut geht. Damit hat er zugleich<br />
für die Versöhnung zwischen Serben und Donauschwaben e<strong>in</strong>en Beitrag von rehabilitierender<br />
Qualität geleistet. Stellvertretend für se<strong>in</strong> Volk hat er gesellschaftliche und politische<br />
Verantwortung übernommen, dazu braucht es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zwischen Aufbruch und Beharren<br />
zerrissenen Gesellschaft bewundernswerten Mut. 92<br />
Brisanz und Tragweite dieses bahnbrechenden Romans s<strong>in</strong>d von den Rezensenten <strong>in</strong> Serbien<br />
übrigens durchaus wahrgenommen worden. Ilija Bakić schreibt u. a.: „Die Verbrechen und<br />
Lügen verflechten sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Knäuel, welches das ganze nationale Wesen belastet.“ Nadežda<br />
Radović me<strong>in</strong>t: „Bugarčić hält die Erzählung fest <strong>in</strong> der Hand, und die Fragmente s<strong>in</strong>d nur<br />
e<strong>in</strong>e Falle für den Leser, damit er die Qualen der Offenbarung über D<strong>in</strong>ge begreift, über die<br />
man e<strong>in</strong> halbes Jahrhundert schmerzlich geschwiegen hat.“ Zlatoje Mart<strong>in</strong>ov bemerkt, daß es<br />
nach der vierjährigen Okkupation <strong>Jugoslawien</strong>s durch die Nazis im Herbst 1944 „zu unnötigen<br />
und unbegreiflichen Verbrechen an unschuldigen Zivilisten deutscher Volkszugehörigkeit,<br />
vor allem Frauen, K<strong>in</strong>dern und alten, erschöpften Personen“ gekommen sei. Er erkennt e<strong>in</strong>e<br />
„metaphysische Verantwortung“ an den Verbrechen. E<strong>in</strong>e Gruppe von sensiblen und gewissenhaften<br />
Weschetzer Intellektuellen habe „genau zwei Jahrzehnte nach dem magnum<br />
crimen der Befreier“ die Spuren der Vergangenheit zu ergründen versucht. „Deshalb“, so<br />
teile uns der Autor mit, soll es <strong>in</strong> letzter Konsequenz aus der Erkenntnis der absurden Banalität<br />
des Bösen „e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>dividuelle und kollektive Lehre se<strong>in</strong>, daß sich das Böse und die<br />
Verbrechen nicht wiederholen, und andererseits sollen sie vollkommen und bed<strong>in</strong>gungslos<br />
91<br />
Dragi Bugarčić: Dreilaufergasse. Roman, aus dem Serbischen von Goran Miletić, Oswald Hartmann Verlag,<br />
Sersheim 2010, S. 209<br />
92<br />
Vgl. <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>: Blick <strong>in</strong> die Welt der Donauschwaben. Vorstellung des Romans „Dreilaufergasse“ (Abdruck<br />
e<strong>in</strong>er Buchpräsentation bei der Studientagung des St. Gerhards-Werks <strong>in</strong> Stuttgart am 30. Oktober 2010),<br />
<strong>in</strong>: Das Donautal-Magaz<strong>in</strong> Nr. 164 v. 15.12.2020, S. 8-11<br />
53
schuldhaft strafbar se<strong>in</strong> und <strong>in</strong>dividuell und kollektiv, moralisch und metaphysisch e<strong>in</strong>er Re<strong>in</strong>igung<br />
unterzogen werden“. 93<br />
Primärliteratur<br />
Aralica, Ivan:<br />
- Sokak triju ruža (Dreirosengasse. Gespräche, Ansichten und Erzählungen), Znanje, Zagreb<br />
1992, 217 S.<br />
Bahl, Franz:<br />
- Schwarze Vögel. Roman, <strong>West</strong>ermann Verlag, Braunschweig 1957, 195 S.<br />
- Patrouillen der Nacht. Roman, <strong>West</strong>ermann Verlag, Braunschweig 1960, 220 S.<br />
- Spuren im W<strong>in</strong>d. Erzählung, Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1960, 93 S.<br />
- Die Donau von der Quelle bis zur Mündung. E<strong>in</strong> Strom der Völker (mit 2 Vorsatzkt. u. 147<br />
Fotos), Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1961, 190 S.<br />
Barth, <strong>Stefan</strong>:<br />
E<strong>in</strong> Junge aus der Nachbarschaft. Lebensbericht e<strong>in</strong>es Donauschwaben, Verlag der Donauschwäbischen<br />
Kulturstiftung, München 2007, 323 S.<br />
Bugarčić, Dragi:<br />
- Sporedna ulica, Belgrad 2006; dt.: Dreilaufergasse. Roman, aus dem Serbischen von Goran<br />
Miletić, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 2010, 214 S.<br />
Čelan, Kaća:<br />
- Heimatbuch. Drama, ausgestrahl <strong>in</strong>: Zbornik 3. programa Radio Sarajeva, Sarajevo 1989;<br />
aufgeführt 1997 am Bonner Schauspielhaus, 2006 am TAS-Theater auf Schloß Burgau, letzteres<br />
<strong>in</strong>szeniert von der Autor<strong>in</strong><br />
Danojlić, Milovan:<br />
- Me<strong>in</strong> lieber Petrović (Dragi moj Petroviću). Roman, Suhrkamp, Berl<strong>in</strong> 2010, 310 S.<br />
Djilas, Milovan:<br />
- Die neue Klasse. E<strong>in</strong>e Analyse des kommunistischen Systems (Nova klasa. Kritika<br />
savremenog komunizma), München 1958<br />
- Die unvollkommene Gesellschaft. Jenseits der „Neuen Klasse“ (Nesavršeno društvo), Ins<br />
Deutsche übertragen von Zora Shaked, Verlag Fritz Molden, Wien-München-Zürich 1969,<br />
255 S.<br />
Gruber, Wendel<strong>in</strong>:<br />
- In den Fängen des roten Drachen. Zehn Jahre unter der Herrschaft <strong>Titos</strong>, Miriam Verlag,<br />
Jestetten 1986, 240 S.; Neuauflage <strong>Stefan</strong> Gauß, Ditz<strong>in</strong>gen 1994, 256 S.<br />
Hodschager, Ernst:<br />
93 Rezensionen zu Dragi Bugarčić: „Dreilaufergasse“ von Ilija Bakić: „Dunkle Geheimnisse des Siegers“, Nadežda<br />
Radović: „Über den Sch<strong>in</strong>derplatz und uns“, Zlatoje Mart<strong>in</strong>ov: „Die Banalität als Vorhof des Verbrechens“, <strong>in</strong>:<br />
Dragi Bugarčić als Schriftsteller, Belgrad 2009, S. 211-221 (Die Übersetzung von Auszügen dreier Rezensionen<br />
aus dem Serbischen <strong>in</strong>s Deutsche verdanke ich <strong>Stefan</strong> Barth, Erlangen.)<br />
54
- Mahnruf. Gedichte und Berichte, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1989, 75 S.<br />
Hutterer, Franz:<br />
- An den Ufern der Donau. Peter, Michael und Brigitte reisen <strong>in</strong> die Heimat ihrer Eltern,<br />
Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1959, 100 S.<br />
- Die Welt an der Donau. Vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer. E<strong>in</strong> Buch für junge<br />
Menschen, Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1964, 79 S.<br />
- Die Geschichte der Donauschwaben ist noch nicht geschrieben. Anmerkungen und Fragezeichen,<br />
<strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm<br />
1994 der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen<br />
1994, Heft 5, S. 163-169<br />
- Gesang über dem Wasser. Erzählungen, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München<br />
1996, 180 S.<br />
- E<strong>in</strong>e Welt an der Donau. Stimmen aus Belgrad, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 46.<br />
Jg., Folge 3, 1997, S. 199-204<br />
- Streng vertraulicher Völkermord. Unterlassungssünden der gegenwärtigen Geschichtsschreibung,<br />
<strong>in</strong>: Heimatbote, Toronto, Juli 2001, S. 15 f., August 2001, S. 15 f.<br />
- „Der Südosten, unser Erfahrungsraum …“ Gedanken über kont<strong>in</strong>entale Geistesbeziehungen,<br />
<strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Folge 2, 2002, S. 116-118<br />
Ivanji, Ivan:<br />
- Vergeltung und Scham. Das Schicksal der Donauschwaben <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a, Manuskript<br />
- „Rache und Scham. Das Schicksal der Volksdeutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong>“, Hörspiel, gesendet <strong>in</strong><br />
WDR 3, Köln, am 25.1.1990 von 21.00 bis 22.00 Uhr (Regie/Produktion: Joachim Sonderhoff;<br />
Verantwortlicher Redakteur: Ansgar Skriver; Programmgruppe: Kommentare und Feature;<br />
Programmbereich: Politik)<br />
- Das K<strong>in</strong>derfräule<strong>in</strong>. Roman, Picus Verlag, Wien 1998, 286 S.<br />
- <strong>Titos</strong> Dolmetscher. Als Literat am Pulsschlag der Politik, Promedia Verlag, Wien 2007, 200 S.<br />
Jakonić, S<strong>in</strong>iša:<br />
- Zloč<strong>in</strong>i Miloševićeve tajne policije (Die Verbrechen der Geheimpolizei von Milošević), 2002<br />
Johler, Matthias:<br />
- Lagertagebuch 1945-1947, <strong>in</strong>: Die Er<strong>in</strong>nerung bleibt. Donauschwäbische Literatur seit 1945.<br />
E<strong>in</strong>e Anthologie, Band 3, H-J, herausgegeben und mit e<strong>in</strong>em Vorwort von <strong>Stefan</strong> <strong>Teppert</strong>,<br />
Hartmann Verlag, Sersheim 2004, S. 817-836<br />
Kiš, Danilo:<br />
- Garten, Asche (Bašta, pepeo, Belgrad 1965)<br />
- Frühe Leiden. Roman (Rani jadi, Nolit, Belgrad 1969), Aus dem Serbokroatischen von Ivan<br />
Ivanji, Carl Hanser Verlag, München-Wien 1989, 164 S.<br />
- Sanduhr (Peščanik, Prosveta, 1972), Aus dem Serbokroatischen von Ilma Rakusa, Carl Hanser<br />
Verlag, München-Wien 1988, 283 S.<br />
- E<strong>in</strong> Grabmal für Boris Davidowitsch (Grobnica za Borisa Davidoviča, 1976)<br />
55
- Anatomiestunde (Čas anatomije, Nolit, Belgrad 1978), Aus dem Serbokroatischen von Kathar<strong>in</strong>a<br />
Wolf-Grießhaber, Carl Hanser Verlag, München-Wien 1998, 375 S.<br />
- Enzyklopädie der Toten. Erzählungen (Enciklopedija mrtvih, Globus, Zagreb 1983), Aus dem<br />
Serbokroatischen von Ivan Ivanji, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 1988, 217 S.<br />
König, Alois & Georg<strong>in</strong>e:<br />
- Die Tage der ungesäuerten Brote (Dani beskvasnoga kruha), Georg<strong>in</strong>e König Verlag, 1991,<br />
deutsche Ausgabe: Hemm<strong>in</strong>gen b. Stuttgart 1992, 278 S.<br />
László, Lajos:<br />
- Im Bergwerk spielt niemand Balalaika (Halálpolka, 1990), Oswald Hartmann Verlag,<br />
Sersheim 1992, 244 S.<br />
- Ich komme aus dem Todeslager (Könyörgés a hontalanokért, 1993), Oswald Hartmann Verlag,<br />
Sersheim 1997, 240 S.<br />
- Und führe uns nicht <strong>in</strong> Versuchung (Tigrismosoly, 1990), <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt von Vata<br />
Vágyi, Babits-Verlag, Szekszárd 1998, 240 S.<br />
Marč<strong>in</strong>ković, Juro:<br />
- Fremde im eigenen Haus. Roman, Universitas Verlag, München 1991, 211 S.<br />
Markov, Mladen:<br />
- Banatski voz. Roman (Banater Zug), 1973<br />
- Mittlere Glocke. Roman (Srednje zvono), 1979<br />
- Austreibung Gottes. Roman (Isterivanje boga), Belgrad 1985<br />
- Hundefriedhof. Roman (Pseće groblje), Belgrad 1990<br />
Maticki, Miodrag:<br />
- Die Deutschen gehen. Roman (Idu Nemci), DBR International Publish<strong>in</strong>g, Belgrad 1994<br />
Nakitsch, Marian:<br />
- Flügelapplaus. Gedichte, mit e<strong>in</strong>em Pass-Bild von Re<strong>in</strong>er Kunze, Collection S. Fischer, Frankfurt<br />
a. M. 1994, 107 S.<br />
- Me<strong>in</strong> Verhältnis zu den Donauschwaben / Gedichte (Vukovar, Der vertriebene Kroate, Slawonien,<br />
K<strong>in</strong>dheitser<strong>in</strong>nerung, W<strong>in</strong>terliche Landschaft, Feldaf<strong>in</strong>g, Augengedicht, Re<strong>in</strong>er Kunze),<br />
Weihnachtsfest, <strong>in</strong>: Geschichte, Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus<br />
dem Jahresprogramm 1995 der Landsmannschaft der Donauschwaben, Bundesverband, Heft<br />
6, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, S. 81-85<br />
Oljača, Mladen:<br />
- Das Vermächtnis. Roman (Molitva za moju Braću, Sarajevo 1957), <strong>in</strong>s Deutsche übersetzt<br />
von Johannes Weidenheim, K<strong>in</strong>dler Verlag, München 1962, 399 S.<br />
Prost-Pertschy, Rita:<br />
- Das Heimweh der Simon Rita, Oswald Hartmann Verlag, Sersheim 1994, 175 S., übersetzt<br />
<strong>in</strong>s Serbische von Gordana Bukvić 2007 unter dem Titel „Žal za zavičajem Rite Simove“.<br />
Šajt<strong>in</strong>ac, Uglješa<br />
56
- Das Banat. Schauspiel <strong>in</strong> 16 Szenen, Zrenjan<strong>in</strong> 2003, bisher unveröffentlicht, wurde lediglich<br />
am Jugoslawischen Dramentheater <strong>in</strong> Belgrad aufgeführt ( JDP = Jugoslovensko dramsko<br />
pozoriste u Beogradu). Es existieren Übersetzungen <strong>in</strong>s Deutsche und Englische. Der englische<br />
Titel heißt „Borderland“.<br />
<strong>Stefan</strong>ović, Nenad:<br />
- Jedan svet na Dunavu – Razgovori i komentari (E<strong>in</strong> Volk an der Donau – Gespräche und<br />
Kommentare), Tiker, Belgrad 1996 (6 Auflagen mit <strong>in</strong>sgesamt 15.000 Exemplaren);<br />
Dt.: E<strong>in</strong> Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> unter dem kommunistischen<br />
Tito-Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen,<br />
Übersetzung <strong>in</strong>s Deutsche von Oskar Feldtänzer, 1997, Donauschwäbische Kulturstiftung,<br />
München-Eggenfelden-Belgrad 2 2004, 257 S.;<br />
Engl.: A people on the Danube. The fate of the German Citizens of German Descent after the<br />
World War II, Years of 1944-48 <strong>in</strong> Communist Yugoslavia, übersetzt aus dem Deutschen:<br />
Hans Kopp, John Michels, Eduard Grünwald, Bismarck, North Dakota, USA, University of<br />
Mary 2007<br />
- Zemlja u koferu (Erde im Koffer), Belgrad 2007<br />
- Der Doktor hört Sw<strong>in</strong>g. Novelle, 2009<br />
Tišma, Aleksandar:<br />
- Die Schule der Gottlosigkeit (Škola bezbožništva, 1978), dtv, München 2000<br />
- Der Gebrauch des Menschen (Upotreba čoveka, Nolit, Belgrad 1980), Hanser, München<br />
1991, dtv, München 2001<br />
- Ohne e<strong>in</strong>en Schrei (Bez krika, 1980), dtv, München 2006<br />
- Kapo. Roman, dtv, München 1999<br />
- Das Buch Blam (Knjiga o Blamu, 1983), dtv, München 2000<br />
- Die wir lieben (Koje volimo, ??), dtv, München 1999<br />
- Treue und Verrat (Vere i zavere, ??), dtv, München 2001<br />
- Reise <strong>in</strong> me<strong>in</strong> vergessenes Ich. Tagebuch 1942-1951. Meridiane Mitteleuropas, Hanser-<br />
Verlag, München 2003<br />
Weidenheim, Johannes:<br />
Romane:<br />
- Kale-Megdan, Hansischer Gildenverlag, Hamburg 1948, 475 S.<br />
- Das türkische Vaterunser, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1955, 384 S. (auch holl.)<br />
- Treffpunkt jenseits der Schuld, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1956, 464 S. (auch holl. u.<br />
serb.)<br />
- Schultage (unter dem Pseudonym Ernest Waldteufel), Halle 1961, 231 S.<br />
- Mensch, was für e<strong>in</strong>e Zeit oder E<strong>in</strong>e Laus im deutschen Pelz, List Verlag, München 1968,<br />
445 S. (auch poln.)<br />
- Heimkehr nach Maresi, Otto Müller Verlag, Salzburg 1994, 405 S.<br />
57
- Theodora. Roman, Landpresse Verlag, 1998<br />
- Maresi. E<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em donauschwäbischen Dorf, Rowohlt Verlag, Re<strong>in</strong>bek bei<br />
Hamburg 1999, 271 S.<br />
Novellen:<br />
- Nichts als e<strong>in</strong> bißchen Musik, Hansischer Gildenverlag, Hamburg 1947, 126 S. (Neufassung<br />
unter dem Titel „Nur e<strong>in</strong> bißchen Musik“, G. <strong>West</strong>ermann Verlag, Braunschweig 1959, 176 S.<br />
- Lebenslauf der Kathar<strong>in</strong>a D., Pannonia-Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1963, 118 S.; Neuauflage unter d.<br />
Titel: Pannonische Novelle. Lebenslauf der Kathar<strong>in</strong>a D., Otto Müller Verlag, Salzburg 1991,<br />
119 S.<br />
Erzählbände:<br />
- Der verlorene Vater, Claudius-Verlag, München 1955, 115 S.<br />
- Der verlorene Vater. Drei Erzählungen, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 1956, 276 S.<br />
- Das späte Lied. Zwei Erzählungen, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1956, 61 S.<br />
- Das späte Lied, Stuttgart 1957, auch <strong>in</strong>: Anton Scherer: Die nicht sterben wollten, Pannonia-<br />
Verlag, Freilass<strong>in</strong>g 1959, S. 143-54<br />
- Seltene Stunden, Kreuz-Verlag, Stuttgart 1957, 61 S.<br />
- Morgens zwischen vier und fünf, J. F. Ste<strong>in</strong>kopf Verlag, Stuttgart 1958, 131 S. u. Union Verlag,<br />
Berl<strong>in</strong> (DDR) 1963, 248 S.<br />
- Maresiana. E<strong>in</strong>e erzählerische Suite, J. F. Ste<strong>in</strong>kopf Verlag, Stuttgart 1960, 248 S.<br />
Lied vom Staub, Otto Müller Verlag, Salzburg 1992, 208 S.<br />
Žiletić, Zoran:<br />
- „Die Deutschen gehen“ Miodrag Matickis. Der Leidensweg der Deutschen aus Veliko<br />
Središte und Werschetz vom Oktober 1944 und kurz darauf als literarischer Stoff, <strong>in</strong>: Geschichte,<br />
Gegenwart und Kultur der Donauschwaben. Texte aus dem Jahresprogramm 1995<br />
der Landsmannschaft der Donauschwaben Bundesverband, S<strong>in</strong>delf<strong>in</strong>gen 1995, Heft 6, S. 92-<br />
106<br />
- Die Deutschen der Wojwod<strong>in</strong>a und der Zweite Weltkrieg, <strong>in</strong>: Nenad <strong>Stefan</strong>ović. E<strong>in</strong> Volk an<br />
der Donau. Das Schicksal der Deutschen <strong>in</strong> <strong>Jugoslawien</strong> unter dem kommunistischen Tito-<br />
Regime. Gespräche und Kommentare serbischer und deutscher Zeitzeugen, Belgrad 1996, 2.<br />
deutsche Auflage, München-Eggenfelden-Belgrad 2004, S. 201-217, siehe auch Vorwort von<br />
Zoran Žieltić, S. 10-21<br />
- Die Geschichte der Donauschwaben <strong>in</strong> der Wojwod<strong>in</strong>a. Zu ihrer Darstellung <strong>in</strong> Serbien und<br />
Deutschland, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 45. Jg., Folge 2, 1996, München, S. 83-<br />
90 (gekürzt). Dieser Text erschien vollständig <strong>in</strong>: Die Deutschen <strong>in</strong> <strong>Ost</strong>mittel- und Südosteuropa.<br />
Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache. Bd. 2, hrsg. v. Gerhard Grimm u. Christa Zach,<br />
München 1996, S. 223-236<br />
- „Zwischen Völkern zu vermitteln, die oft durch tiefe Gräben getrennt waren“. Zoran Žiletić<br />
im Gespräch mit <strong>Stefan</strong> Sienerth, <strong>in</strong>: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, München, Folge 1,<br />
2002, S. 38-53<br />
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